Leseprobe Liebe zwischen den Zeiten

Kapitel 1

Etwas kitzelte meine Nase und ich musste niesen. Himmel! Wonach stank es denn hier? Mühsam kämpfte ich mich aus dem Schlaf. Mir brummte der Schädel. Hatte ich zu viel Schampus getrunken? Oder gar etwas Stärkeres? Meine Lider lagen schwer wie Blei auf den Augen, ich musste mich zwingen, sie zu öffnen. Was ich wahrnahm, ergab kein sinnvolles Bild. Vor mir tanzten Staubflocken in einem Lichtstrahl.

Warum hat niemand meine Gardinen zugezogen?

Ich wollte schon losschreien, das Personal zusammenfalten, als mir einfiel, dass ja gar keines da war. Ivy! Das hatte ich ihr und ihrem sozialen Fimmel zu verdanken. Jemand schnaubte laut in mein Ohr und ich fuhr erschrocken auf.

»Hilfe! Hilfe!«, mein Geschrei klang selbst in meinen Ohren hysterisch. Der Gaul, der vor mir stand, schob bereits wieder sein weiches Maul in mein Haar und knabberte daran herum.

Jetzt nahm ich meine Umgebung deutlicher wahr. Ich befand mich nicht in meinem Zimmer. Ich lag in einer Holzbox, auf einem Haufen Stroh, das mich nicht nur erneut zum Niesen brachte, sondern auch noch verdammt unangenehm in Arme und Beine stach. Winterweißes Licht fiel durch ein winziges Fenster hoch zu meiner Rechten, die Luft war eiskalt und ich begann augenblicklich zu frieren. »Wo bin ich?«, murmelte ich vor mich hin und erschrak Sekunden später zum zweiten Mal heftig, als ein Mann neben mir auftauchte. Hinter ihm hechelte ein Jagdhund mit schwarz-weiß geflecktem, kurzem Fell, der mit einer unangenehm feuchten Nase sogleich an meinen Beinen schnupperte.

»Hast du so geschrien?«, wollte der Fremde wissen und musterte mich stirnrunzelnd. »Was machst du überhaupt hier im Stall?«

Ja, das wüsste ich auch gern. Leicht panisch robbte ich weg von ihm und dem Hund und klaubte mir Strohstängel aus den Haaren, damit der Gaul mich endlich in Ruhe ließ. Ich trug die merkwürdigen Klamotten, also musste das Ganze hier etwas mit der Weihnachtsaufführung zu tun haben. War ich umgekippt, noch bevor es losging? Wenn ja, wo war Ivy, wo waren die anderen? Und wo zum Teufel befand ich mich? Das war doch keine Kirche? Mühsam versuchte ich, mich zu erinnern, was meine Schwester mir über die Aufführung erzählt hatte. Das einfache Leben, darum ging es. Sich klarzuwerden darüber, was wir in unserer Wohlstandsgesellschaft zur Verfügung hatten. Wo andere in prekären Umständen lebten. Nur, dass alle Leute in meinem Bekanntenkreis, die Pferde hatten, nicht gerade zur Unterschicht gehörten. Ich räusperte mich, um die Flocken loszuwerden, die sich in meinen Atemwegen festgesetzt hatten. Ställe, Stroh und Pferde hatte ich noch nie gemocht.

»Mit Dieben machen wir hier kurzen Prozess.« Er trat einen Schritt auf mich zu und stemmte die Arme in die Hüften.

»Sorry«, sagte ich zu dem Typ. »Aber ich weiß grad nicht mehr, wie ich hergekommen bin. Und was sollte ich wohl hier stehlen wollen?«

Er verzog keine Miene.

»Wo ist meine Schwester?«, fragte ich. Seiner derben Kleidung nach – er trug grobe braune Hosen, ein einfaches Hemd mit Schnüren am Verschluss und eine gräuliche Fellweste – spielte er ebenfalls in diesem kurzen Stück mit, da würde er ja wohl wissen, was hier gerade abging.

»Du hast eine Schwester hier bei uns?« Er sah mich verständnislos an, schob aber freundlicherweise das Pferd zur Seite. »Wer ist sie?«

»Die, die das Weihnachtsspiel hier organisiert.«

Er antwortete nicht, dafür sprach sein Blick Bände. Hielt er mich für gaga?

»Ivy«, half ich ihm auf die Sprünge. »Oder Martha-Ivonne.« Unsere Eltern hatten Freude an Doppelnamen entwickelt, nachdem sie mich Valerie-Anne getauft hatten.

Ich musterte ihn. Er war einer dieser Männer, deren Haar ein bisschen zu lang und der Bart ein wenig zu 3-Tage-mäßig war, aber das stand ihm gut, so wie die Robin-Hood-Kluft, die er trug. Nur dieses mottenzerfressene Fell, das er um den Oberkörper trug, sah merkwürdig aus. Aus welchem Theaterfundus der Plunder wohl stammte?

Er würde auch in einem Anzug gut aussehen. Oder in einer Badehose.

Ein ziemlich sexy Bild entstand in meinem Kopf. Ups. Ich musste lachen. Vermutlich war ich schon zu lange Single.

»Martha ist im Haus«, entgegnete er schleppend. Ob er hübsch, aber doof war? So ganz konnte ich mir seine lahme Reaktion nicht erklären.

»Und du solltest besser gehen. Der Earl duldet hier keine Fremden.«

»Der Earl?«

»Aye.«

Hatte ich eine Hörstörung? Mein Kopf funktionierte leider immer noch nicht einwandfrei.

»Hilf mir mal, aufzustehen«, forderte ich ihn auf und streckte ihm die Hand entgegen. Nach einem kurzen Zögern trat er näher, packte mich am Handgelenk und zog mich hoch.

»Puh du stinkst wie ein Iltis. Hat dein Deo versagt?«, konnte ich es mir nicht verkneifen, zu sagen. Er ließ meine Hand los und ich plumpste auf den Boden.

»Hey, spinnst du?«, schrie ich. Er schüttelte den Kopf und trat zwei Schritte zurück.

»Freches Weibsstück«, grummelte er.

Stöhnend erhob ich mich. »Zeig mir einfach, wo das Ganze stattfindet.«

Schwankte ich oder war das der Boden unter meinen Füßen?

»Himmel, wenn ich nicht wüsste, dass ich gar nichts getrunken habe, würde ich meinen, ich hätte den Hangover meines Lebens.« Verzweifelt kramte ich in meiner Erinnerung. Da war der Keller, die Champagnerflasche. Die Tür. Das flackernde Licht. Die Pilze. DIE PILZE!

»Oh Gott, ich glaube, ich habe eine Dosis magic mushrooms gegessen.« Unwillkürlich kicherte ich. Mein Gegenüber sah nicht glücklich drein.

»Bist du auf den Kopf gefallen?«

»Vermutlich ja«, entgegnete ich. Die Erinnerung war so vage und schwammig wie manchmal ein Traum, an den man sich beim besten Willen nur noch in Fetzen erinnern kann.

»Da waren diese Pilze. Sie haben getanzt. Ihre Farbe verändert. Einer wurde auf einmal ganz groß.« Ich deutete mit der Hand ein Stück über den Scheitel des Mannes. »Dann hat er nach mir gegriffen. Ich bin vor Schreck gestolpert und hingefallen.«

Und dann? Nichts mehr. »An mehr kann ich mich nicht erinnern. Also – wo bin ich?«

Ich trat näher zu ihm. Abgesehen vom strengen Körpergeruch war er wirklich attraktiv. Lebendige braungrüne Augen und der Rest sah nach viel Bewegung an der frischen Luft aus.

»Du bist im Stall von Bathermore Castle.«

»Häh?« Was war das denn für ein Witzbold?

»Stall? Ist das Teil des Spiels?«

In einer verständnislosen Geste schüttelte er den Kopf. »Was für ein Spiel meinst du? Eines, bei dem du gefallen bist?«

Jetzt war es an mir, verständnislos zu gucken. War der so schwer von Begriff oder tat der nur so?

»Himmel. Bring mich zu Ivy!« Ich wurde laut. Meine Schwester konnte was erleben. Mich in eine solche Situation zu bringen. Das Pferd neben mir schnaubte bei meinem Geschrei erschrocken auf. Der Mann legte beruhigend seine Hand auf das Hinterteil und sofort war das Tier wieder ruhig.

»Ich bringe dich ins Haus«, sagte er schließlich und gab mir mit einer Geste zu verstehen, ich solle ihm folgen. Nichts lieber als das!

»Aber wehe, du hast mich angelogen. Wegen der Schwester.«

Ich schüttelte erschöpft den Kopf.

»Nein, habe ich nicht. Ich bin übrigens Valerie. Genannt Val.«

Na, hat’s jetzt geschnackelt?

Offensichtlich nicht, sein Blick war fragender als zuvor. Aber wenigstens stellte er sich jetzt ebenfalls mit Namen vor.

»Adrian. Ich bin Wildhüter und Jäger.«

Er befahl dem Hund, sich wieder in seine Ecke zu trollen und winkte mich mit einer Kopfbewegung zur Tür hinaus. Ich folgte ihm, heftig mit den Augen rollend. Der nahm das blöde Spiel ja sehr ernst!

Kapitel 2

Die nächste Überraschung ließ nicht lange auf sich warten. Als ich nämlich hinter diesem Adrian aus dem Gebäude trat, befand ich mich keineswegs in einer mir bekannten Umgebung. Ein unebener, nur teilweise gepflasterter Hof, umgeben von hohen Mauern, lag zwischen dem Stall und einem zweistöckigen Haus, das mich mit seinen grauen, groben Steinen an die alten Burgen erinnerte, die ich als Teenager gelegentlich mit meinen Eltern besichtigt hatte. Ein paar Hühner flatterten auf, als der Mann vor mir mit festen, weit ausholenden Schritten den Innenhof durchquerte. Aus einer halboffenen Stalltür hörte ich das Muhen einer Kuh. Es war so kalt, dass mein Atem kleine weiße Wölkchen vor meinem Gesicht bildete. Frierend zog ich meine Strickjacke fester um mich und war froh um die Doc Martens, denn der Boden war gefroren und die unebenen Steine eisglatt. Es war heller Tag, was mich irgendwie erschreckte, denn als ich mein Zimmer verlassen hatte, um in den Keller zu gehen, war es draußen bereits dunkel gewesen. Andererseits war der Schnee vom Vorabend verschwunden. Jetzt machte sich der Winter durch dichten Raureif und eisüberzogene Äste bemerkbar.

»Hier herein.« Der Mann hielt mir eine Tür auf und ließ mich hindurchtreten. War ich eben noch von kalter, klarer Luft umgeben gewesen, befand ich mich nun in einem völlig überhitzten, riesigen Raum, in dem dicke Bündel getrockneter Kräuter von der Decke hingen und durch den intensive Essensgerüche zogen. Sofort brach mir der Schweiß aus.

»Martha!«, rief der Mann.

Eine kleine, dicke, heftig schnaufende Frau tauchte aus dem hinteren Teil des Raumes mit einem Korb voller Eier an der Tür zur Küche auf. Sie trug eine helle, unter dem Kinn zusammengebundene Haube, ein graues Kleid mit einem gebauschten, knöchellangen Rock und darüber eine helle Schürze, die schon bessere Tage gesehen hatte und voller Flecken war.

Wo bin ich hier? Sind das die Brüder-Grimm-Festspiele?

»Das ist …«, der Braungekleidete kam nicht dazu, seinen Satz zu Ende zu sprechen.

»Valerie«, ergänzte ich seinen Satz. »Aber Ihr könnt Val zu mir sagen.«

Ich musste grinsen, denn plötzlich wusste ich genau, was hier los war.

»Und dann hätte ich gerne einen Cappuccino und die neue Vogue und zur Feier des Tages ein paar Kohlenhydrate. Brownies oder Salted Caramel Cashew Cookies Ice Cream.« Ich lachte laut auf, bevor ich mich umdrehte, die Hände in die Hüften stützte und schrie: »Und die versteckte Kamera kann rauskommen!«

Keine Reaktion der anderen Anwesenden, wenn man einmal von den verständnislosen Blicken absah, die sich die beiden zuwarfen.

»Äh, also, die junge Frau ist gestürzt«, stammelte der Mann neben mir nun. Er bewegte die Hand mit einer vielsagenden Geste vor dem Gesicht hin und her.

»Ja, ja. Gestürzt. Aber egal, was ihr hier mit mir aufführen wollt. Ich mach jetzt nicht mehr mit.«

Hinter der dicken Köchin betraten nun zwei weitere, wesentlich jüngere Frauen den Raum. Eine hatte schwarzes, unsauber wirkendes Haar. Sie musterte mich aus harten Augen und murmelte etwas, das ich nicht verstand. Sie trug Holzscheite im Arm, die sie neben einer Feuerstelle ablegte.

»Wo habt ihr nur dieses alte Gelump gefunden?«, murmelte ich beim Anblick eines Ofens mit offener Flamme, auf dem in einem großen Topf etwas vor sich hinköchelte.

»Da müsstet ihr aber einen Feuerlöscher parat haben, oder?« Fragend blickte ich mich um. Jetzt fiel mir auf, dass es im ganzen Raum nicht nur keinen Feuerlöscher, sondern auch keine Lampen und keine Steckdose gab.

Die zweite der neu hinzugekommenen Frauen trug ein eng um den Kopf gebundenes Tuch, unter dem ihr ein langer, kastanienfarbener Zopf über den Rücken fiel. Sie war so schmal, dass der Wassereimer, den sie in der Hand trug, geradezu riesig wirkte. Sie starrte mich aus großen, hellblauen Augen an, bevor auch sie dem Mann und der Köchin fragende Blicke zuwarf.

»Valerie. Genannt Val.« Ich streckte ihr die Hand hin, die sie zögernd ergriff.

»Ich bin Lizzy«, murmelte sie. Ihre Finger waren schwarz, unter den Nägeln zeigten sich Trauerränder und sie roch intensiv nach Schweiß. Ich trat zwei Schritte zur Seite und wiederholte das Begrüßungsritual mit der Dicken und der Frau mit den Holzscheiten, die mir jedoch die Hand nicht gab, sondern lediglich nickte.

»Ich habe sie im Stall bei den Pferden gefunden. Sie sucht ihre Schwester«, stellte der Mann klar. »Sie sagt, das seist du.«

»Nein!«, rief ich aus. »Natürlich ist diese Frau«, ich deutete auf die Dicke, die er angesprochen hatte, »nicht meine Schwester. Ivy!«, rief ich. »Komm endlich raus. Ich habe keinen Bock mehr auf das Spiel.«

In die Stille hinein, die darauf folgte, hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Adrian, Martha und die beiden Frauen warfen sich beunruhigte Blicke zu. Sie spielten ihre Rollen so echt, dass mir ein kalter Schauer über den Rücken lief.

»Ich muss jetzt gehen. Der Herr will später ausreiten.« Adrian bewegte sich rückwärts zu einer Tür. Er ließ mich dabei nicht aus den Augen.

»Ich bin keine Diebin!«, rief ich ihm zu. Plötzlich wurde mir schwindelig und ich sah mich nach einer Sitzgelegenheit um. Auf einem grob gezimmerten Schemel sank ich nieder.

»Also – jetzt noch einmal zum Mitschreiben. Ich sollte beim Krippenspiel von Ivy, meiner Schwester, mitmachen. Dann bin ich im Keller gestürzt. Danach weiß ich nichts mehr, nur, dass ich im Stroh aufgewacht bin. Keine Ahnung, wer mich in den Stall gebracht hat. Aber jetzt will ich entweder heim oder in die Kirche, um endlich bei diesem Spiel mitzumachen. Heute ist doch Heiligabend.«

Die Dicke scheuchte die beiden Jüngeren, die neugierig näherkamen, zurück an ihre Arbeit.

Adrian zog die Augen zusammen.

»Heiligabend war gestern. Und die nächste Kirche ist im Dorf. Eine Strecke Wegs weg. Und dort findet nichts statt. Nicht gestern, nicht heute, nicht morgen.« Adrian schüttelte leicht den Kopf.

Mir blieb die Spucke weg.

»Trink einen Becher Wasser«, murmelte der Jägersmann. »Ich muss jetzt zu meinem Herrn. Er wartet sicher schon.«

Die dicke Martha brummte etwas und hob ihren Korb. »Ich bereite ihm gleich das Frühstück«, warf sie Adrian zu. Dann wandte sie sich an die Holzscheitfrau. »Und du hole einen Krug Ale aus dem Keller.«

Misstrauisch musterte sie danach mich. »Suchst du Arbeit?«

»Arbeit? Nein, ich studiere ja noch«, entgegnete ich leichthin.

Die Augen der Dicken wurden kugelrund, die Holzscheitfrau prustete hinter vorgehaltener Hand und Adrian trat verlegen von einem Fuß auf den anderen.

»Sie ist verrückt«, stellte die Frau mit dem Wassereimer fest, bevor sie ihre Last abstellte und nach einer riesigen schwarzen Pfanne griff, die von einem Haken an der Wand hing.

Sie ging zu dem Ungetüm von Eisenherd, nahm ein paar Ringe von der Feuerstelle herunter und stellte die Pfanne auf den Freiraum. Zischend schäumte gleich darauf das Fett auf, das sie reichlich hineingab. Danach schlug sie in aller Seelenruhe ein Dutzend Eier auf. Ich stand auf und trat näher.

»Das ist alles für eine Person?« Fassungslos schüttelte ich den Kopf. »Wenn das keine Cholesterinbombe ist, weiß ich auch nicht«, murmelte ich. »Wer auch immer das essen soll, dem wird kein langes Leben beschieden sein.«

Die Köchin schien jetzt alarmiert, ihr Gesicht lief puterrot an, ihre Augen bewegten sich nervös. »Bringt sie weg«, wandte sie sich an Adrian. »Sie ist nicht ganz richtig im Kopf und kann hier nicht bleiben.«

»Ja, genau«, gab ich der Köchin recht. »Bringt mich weg. Am besten zu meiner Schwester und ihrer Spielschar.« Die hatten ja wohl das Spiel über den Heiligabend hinaus verlängert. Anders konnte ich mir all das hier nicht erklären. So drehte ich mich noch einmal um und rief, indem ich mich um mich selbst drehte, in alle Ecken des Raumes »Ich bin Valerie, der Star dieser Show. Holt mich hier raus. Aber presto.« Mein Kichern klang mir laut in den Ohren. Leider war ich die Einzige, die das lustig fand.

Kapitel 3

Wir standen alle noch in der Küche, als von draußen Schritte auf dem Steinfußboden zu hören waren. Gleich darauf sanken die Frauen in einen Knicks, Adrian senkte den Kopf. Ein Mann in einer Art Uniformjacke über dem Kilt, so altmodisch wie die Kleidung aller um mich herum, betrat die Küche und blickte sich um. Ein herrischer Blick traf mich. »Knie nieder, der Herr des Hauses kommt!«, ranzte mich der Kerl sogleich an.

»Den Hofknicks habe ich grade nicht drauf«, entgegnete ich trotzig und verschränkte die Arme vor der Brust. Unter seinem harten Blick wurde mir allerdings ein wenig unwohl. Gleichzeitig spürte ich Adrians Hand, die sich auf meine Schulter legte und mich mit Kraft nach unten drückte. Auf eine gewisse Art und Weise knickste ich dadurch also doch und weil er mich in dieser Position festhielt, kam ich nicht mehr hoch. Gleich darauf betrat ein nicht allzu großer, schmächtiger Mann um die Fünfzig den Raum. Er war rothaarig, blass, unscheinbar und schob darüber hinaus einen Schmerbauch vor sich her. Anhand seiner Kleidung konnte man jedoch schnell feststellen, dass er hier wohl derjenige mit der meisten Knete war.

»Martha, erhebe dich«, nuschelte er. Die dicke Köchin ächzte leise beim Aufrichten. Ich hob den Kopf und erntete einen missfallenden Blick.

»Wer ist diese junge Frau? Eine neue Küchenhilfe?« Er trat näher, kraulte dabei seinen fusseligen roten Bart und bedeutete mir mit einer Geste, mich ebenfalls zu erheben. Die Hand verschwand von meiner Schulter, ich stand auf. Der Hausherr betrachtete mich von oben bis unten. Noch bevor jemand seine Frage beantwortet hatte, zwickte er mich in die Wange. »Hübsch anzusehen«. Er drehte sich um. »Lasst sie gleich das Frühstück auftragen, damit ich sehen kann, was sie taugt.«

Ich wollte etwas entgegnen, doch Adrian hatte mich bereits am Oberarm gepackt und zog mich zur Seite. Sein Blick sprach Bände. Halt jetzt bloß den Mund, sagte er mir.

Der Herr des Hauses spazierte zum Herd, wo noch die Pfanne mit den Eiern stand. »Ich glaube, die sind fertig«, stellte er fest und die eine der beiden Mägde beeilte sich, alles vom Feuer zu nehmen.

»Habt ihr noch genügend Fleisch im Haus? Heute Abend will ich meine Jagdfreunde zu einem kleinen Imbiss laden«, wandte er sich inzwischen an Martha.

Während nun die Köchin aufzählte, was noch alles in ihrer Speisekammer lag, machten sich die beiden Mägde daran, das Frühstück weiter vorzubereiten. Eine legte Fladenbrot auf einen Teller, die andere eilte in eine Kammer nebenan und kam mit einem Stück Käse zurück.

»Adrian, folge mir«, befahl der Earl und der ließ mich endlich los und tat, wie ihm geheißen. Nicht, ohne mir noch einen warnenden Blick zuzuwerfen.

»Schickt uns das neue Mädchen«, rief der Earl der Köchin über die Schulter zu, bevor er mit seinem Begleiter verschwand. Mir war leicht schwindelig nach diesem Auftritt, mein Arm schmerzte. Vielleicht war ich in eine Folge von Leben wie vor Hunderten von Jahren geraten? Bloß wie? Hatte ich einen Teil meines Gedächtnisses verloren? Die dicke Köchin schnaufte verärgert.

»Zeig ihr den Weg!«, befahl sie der Magd, die neben der Pfanne stand.

»Ich bin doch keine Servicefachkraft«, wagte ich zu bemerken. Doch jetzt schien niemand mehr von mir Notiz zu nehmen. Der Earl-Darsteller wartete auf sein Frühstück und am Abend wurden Gäste erwartet. Genug zu tun für alle, die in diesem Haushalt beschäftigt waren. Ohne es zu wollen, gehörte jetzt auf einmal auch ich dazu.

»Na gut«, knurrte ich. »Bringen wir dem Herrn sein Frühstück.« Vielleicht würde dieses Spielchen ja noch unterhaltsam.