Leseprobe Wie Licht und Schatten

Prolog

IVA

Mit großer innerer Unruhe tigerte Iva durch das Wohnzimmer. Ein paar Minuten zuvor hatte sie nach einem harten Arbeitstag gemütlich mit ihrem Mann Adrian auf der Couch gesessen und im Fernsehen eine Dokumentation über Haie angesehen. Iva fand keine Erklärung für ihren inneren Aufruhr. Es war, als zöge sie ein Magnet aus ihrer Wohnung. In ihren Gedanken blitzten Bilder einer Straße auf, die durch einzelne Laternen schwach erleuchtet war. Iva wusste, dass das nicht einfach nur Bilder waren. Es war eine Vision. So etwas hatte sie nicht oft. Aber wenn, dann meist sehr intensiv.

Die Vision zeigte ihr eine menschenleere Straße, ein Auto und schließlich ein Bild von ihm. Dem Mann, durch den sich für sie alles verändert hatte. Dem Mann, an den sie ihr Herz verloren hatte. Dem Mann, für den sie brannte. Dem Mann, der mehr Macht über sie hatte, als sie sich eingestehen wollte. Dem Mann, der Engel und Teufel zugleich war. Amon.

Verunsichert rieb sie sich über die Stirn und blickte zu ihrem Ehemann hinüber, der interessiert der Doku lauschte.

Ein Hai von kolossaler Größe flimmerte über den Bildschirm. Adrian schob sich ein paar Chips in den Mund und starrte gebannt zum Fernseher.

Die Unruhe nahm langsam überhand. Iva atmete ganz bewusst ein und aus, um sich zu fangen. Nervös rieb sie die Hände über ihre Oberschenkel. Die Wände ihrer Wohnung verursachten ein beklemmendes Gefühl in Ivas Kehle.

Wieder diese Bilder. Sternenhimmel. Küsse. Sie verschwanden nicht. Irgendetwas zog Iva hinaus in die klare Nacht. Es erschien ihr übernatürlich.

Ivas Blick fiel auf die Uhr über dem Kamin. Das Zifferblatt zeigte halb elf an. An diesem Tag hatte sie Frühschicht gehabt und wenigstens am Abend frei. Sie schaute aus dem Fenster. Es war schon sehr dunkel. Vereinzelt funkelten kleine Sterne am wolkenfreien Himmel.

Ihr Herz schlug stark. Sie spürte seine Nähe. Mit zittrigen Händen öffnete sie die Balkontür. Frische, klare Luft drang in ihre Lunge. Durchatmen. Langsam trat Iva nach draußen und lehnte sich an das Balkongeländer. Unbändige Sehnsucht und Einsamkeit stiegen in ihr auf. Ein leichter Windhauch schien sie in einer Umarmung zu wiegen.

Gedankenverloren zog Iva ihr Handy aus der Hosentasche und tippte hastig:

Wo bist du?

Ohne auf eine Antwort zu warten, steckte sie das Handy wieder ein. Sie spürte, dass Amon in der Nähe war.

Iva verließ den Balkon, stopfte die Hausschlüssel in die Hosentasche und eilte durch das Wohnzimmer in Richtung Garderobe. Hastig schlüpfte sie in ihre Schuhe und stürmte zur Wohnungstür.
Adrian stand in der Küche und nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Ein kurzes „Bin gleich wieder da!“ ging ihr in der Hektik noch über die Lippen.

Ihr Mann schaute sie ein wenig verwundert an. Er schloss den Kühlschrank, zuckte mit den Schultern und setzte sich vor den Fernseher. Ihm war schlichtweg egal, was Iva trieb.

Sie hetzte die Treppen im Hausflur des Zweiparteienhauses so schnell hinab, dass es schallte. Die Haustür fiel laut hinter ihr ins Schloss.

Iva rannte die von Laternen erleuchtete Straße, in der sie wohnte, hinunter.

Kalt war es nicht in dieser lauen Sommernacht. In Ballerinas, Boyfriend-Jeans und einem weißen Sommerkurzarmpulli war sie wie von Sinnen aus dem Haus gelaufen. Sie eilte in die stockfinstere Nacht, als wäre sie auf der Flucht.

Ihr Handy vibrierte. Vor Anstrengung keuchend blieb Iva stehen, kramte das kleine Smartphone aus ihrer Tasche hervor und schaute auf das Display. Amon. Sie öffnete die Nachricht.

Vor der Haustür meines Bruders.

Iva schaute auf und spürte, wie ihr Herz raste. Denn in diesem Moment stand sie keine zehn Meter davon entfernt. Amons Bruder Martin wohnte in Ivas unmittelbarer Nachbarschaft. Zaghaft schlich sie ein paar Schritte geradeaus und blieb plötzlich stehen. Es war sehr dunkel, doch durch die Straßenlaterne, neben der Amon geparkt hatte, erkannte sie seinen weißen Mustang sofort. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und ihre Wangen glühten.

Die Fahrertür stand offen. Er saß mit dem Rücken zu ihr hinter dem Lenkrad. Sein linkes Bein ragte aus dem Wagen. Die kinnlangen, dunkelbraunen Haare, die sich im Nacken leicht kräuselten, trug er mit Haargel nach hinten gestylt. In der Dunkelheit wirkten sie fast tiefschwarz.

Ivas Herz klopfte zunehmend stärker vor lauter Aufregung. Sie war unsicher, ob sie auf ihn zugehen oder besser wieder umkehren sollte. Dann nahm sie vorsichtig ihr Handy und öffnete den Nachrichtenverlauf mit Amon erneut. Mit zittrigen Fingern tippte sie:

Ich auch.

Sie schickte es ab, ohne sich bemerkbar zu machen. In diesem Moment genoss sie die Tatsache, ihn wie ein Voyeur beobachten zu können und zu wissen, dass sie in wenigen Augenblicken aufeinandertreffen würden.

Iva erschrak, als hinter ihr plötzlich ein Radfahrer aus der Dunkelheit auftauchte und dicht an ihr vorbeischoss. So schnell, wie er gekommen war, war er auch schon wieder verschwunden. Ivas Aufregung war so stark, dass sie sich mit einer kleinen Atemübung selbst zu beruhigen versuchte. Sie atmete bewusst in den Bauch und sammelte dabei ihre Gedanken.

Da ertönte nur einige Meter entfernt von ihr Amons Handy. Er nahm es in die Hand, öffnete die Nachricht und las sie. Das Licht des Handys im dunklen Auto ermöglichte Iva einen kurzen Blick auf Amons Antlitz. Das Display erlosch wieder. Sichtlich irritiert stieg er aus dem Wagen und schaute sich überrascht um, während er sich nervös die Hose glatt strich, die vom Sitzen Falten geschlagen hatte. Dann sah er in ihre Richtung. Sein Blick war wie erstarrt. Leise schloss er die Fahrertür.

Iva wusste ganz genau, wie heikel die Situation in diesem Moment war. Ihr Blick streifte von links nach rechts, um die Gefahr, entdeckt zu werden, genau einschätzen zu können. Zu ihrem Glück war die kleine Straße menschenleer. In der Ferne hörte sie eine Feuerwehrsirene, die erst lauter wurde und dann wieder verstummte.
Langsam und ohne ein Wort zu sagen, gingen sie aufeinander zu. Als sie sich in der Mitte der Straße trafen, berührten sich ihre Hände. Sie schauten sich tief in die Augen.

Iva grinste und merkte, wie ihre Knie weich wurden.

Amon nahm sie fest bei der Hand. Seine Mundwinkel zogen sich ebenfalls zu einem Lächeln nach oben.

Entschlossen und mit ihrem frechen Schlitzohr-Blick sah Iva zu ihm auf. Dann rannte sie los, ohne ihre von seiner Hand zu lösen.

Sie sprinteten in die Nacht. Weg von der Straße und weg von Martins Haus. Kurz darauf erreichten sie eine dunkle Gasse und blieben stehen.

Mit seinen Händen nahm Amon Ivas Kopf und zog ihn zu sich heran. Hi“, sagte er. Seine dunkelbraunen Augen bargen so viel Wärme und Liebe in sich.

Sie schauten sich an und die Welt um sie herum schien stillzustehen. Zeit hatte in diesem Augenblick keine Bedeutung mehr.

Amon zog Ivas Gesicht noch näher zu seinem, sodass sich ihre Lippen berührten.

Sie küssten sich so leidenschaftlich, als wäre es der letzte Kuss vor einem langen Abschied.

Amon strich ihr liebevoll eine Strähne aus dem Gesicht.

Völlig ergriffen von diesem Moment füllten sich Ivas Augen mit Tränen. Sie spürte die Flamme in sich lodern, von der sie gedacht hatte, sie wäre längst erloschen.

Da waren sie wieder: das Leben und das Lieben.

1. Kapitel

IVA

Endlich war es so weit! Ivas erster Arbeitstag bei MALI – Spa & Fitness Club war gekommen. Diesen Tag im Juni hatte sie so sehr herbeigesehnt, dass sie im Kalender sogar einen Countdown notiert und die Achtundzwanzig dick eingekreist hatte.

Aufgeregt rannte Iva nach einer erfrischenden Dusche aus dem Bad in das Schlafzimmer. Die Arbeitskleidung, die aus einer schwarzen Jeans und einem magentafarbenen Shirt bestand, hatte sie bereits am Vorabend auf ihrer Kommode bereitgelegt. Sie schlüpfte hastig in die Jeans und streifte das Shirt über. Mit einem kritischen Blick in den Spiegel begutachtete Iva ihr Arbeitsoutfit.

Das Shirt hätte ich doch besser in XS nehmen sollen, S ist ein wenig zu groß. Na ja, zu körperbetont ist wohl auch nicht so gut. Jetzt muss ich mir noch schnell die Haare machen, mich schminken und dann kann ich los.

Sie schaute auf ihre Armbanduhr.

Mist! Nur noch zwanzig Minuten. Ich will nicht zu spät kommen.

Iva hastete zu ihrem kleinen Schminktisch, trug eine Base auf und ließ sie kurz einwirken. In der Zwischenzeit suchte sie nach ihren Turnschuhen, die sie sich extra für die Arbeit gekauft hatte, und stellte sie neben die Wohnungstür. Dann eilte sie zum Schminktisch zurück und trug das Make-up auf. Puder und Rouge wählte sie etwas dezenter als sonst. Auf ihren Sechzigerjahre-Eyelinerstrich wollte Iva jedoch nicht verzichten. Sie liebte den Vintage-Look und alles aus dem Zeitraum zwischen 1920 und 1970. Ihre zierliche Figur ähnelte der von Twiggy, den Pony des schulterlangen, mittelblonden Haares trug sie wie Brigitte Bardot und die Lippen schminkte sie gern rot wie Marilyn Monroe. Ihr Stil war wie der von Audrey Hepburn inklusive typischer Eyelinerstrich und etwas Mystisches, Katzenhaftes wie Vivien Leigh in der Rolle der Scarlett O’Hara hatte sie auch an sich. Dieser Stil war ihr Markenzeichen. Eine Hommage an früher. Ein Früher, das sie selbst nicht einmal kannte. Jedoch stellte sie es sich so vor, da sie gern in alten Modezeitschriften blätterte und sich von ihnen inspirieren ließ. „Hundert Jahre Vogue“ war eine von ihren Inspirationsquellen.

Als sie die letzte Schicht Wimperntusche aufgetragen hatte, bürstete Iva ihre Haare im Eiltempo und band sie zu einem Pferdeschwanz zusammen. Lediglich der Pony durfte ihr ins Gesicht fallen, denn Iva fand, dass sie dadurch ein halbes Jahrzehnt jünger wirkte. Und wer möchte schon nicht wieder fünfundzwanzig sein?! Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel und …

Parfüm!

Ein Spritzer links, ein Spritzer rechts. Fertig.

Iva fuhr zusammen, als sich Adrian mit einem lauten Räuspern bemerkbar machte. Erschrocken fuhr sie herum und entdeckte ihn mit verschränkten Armen im Türrahmen stehend. Sie war so darauf konzentriert gewesen, sich fertig zu machen, dass sie ihn überhaupt nicht kommen gehört hatte.

„Adrian! Du hast mich erschreckt.“

Er wedelte sich Luft mit den Händen zu.

„Hier riecht es übertrieben stark nach Alien. Ein Spritzer weniger hätte doch auch gereicht, oder?“ Adrian verzog angewidert das Gesicht.

„Mensch Adrian. Übertreib doch nicht. In fünf Minuten ist das doch wieder verflogen. Das ist seit zehn Jahren mein Lieblingsduft. Schlimm?“

„Nö. Mich wundert nur, dass du für so einen Job solche Geschütze auffährst mit dem ganzen Make-up und Parfüm.“

Iva hob eine Augenbraue. „So einen Job? Ich arbeite als Servicekraft.“

„Du kippst Kaffee in eine Tasse. Das kann jeder. Dafür musst du dich nicht so aufstylen.“

„Dass du aber auch immer alles schlechtreden musst, was ich mache oder was mir gefällt. Ich freue mich auf diesen Job. Schließlich war ich seit Claras Geburt nur zu Hause.“

„Jaja.“

„Was macht Clara?“

„Guckt Fernsehen.“

„Och Adrian. Spiel doch mal mit ihr, statt sie vor der Glotze zu parken.“

„Ich will aber gleich noch zocken.“

Iva gab ein Marge-Simpson-Brummen von sich. Sie hasste es, wenn Adrian sich nicht so um ihre gemeinsame Tochter kümmerte, wie er sollte.
Sie war wahnsinnig unglücklich mit ihrem introvertierten und egoistischen Ehemann. Ihre Liebe zu ihm war schon vor vielen Jahren eingeschlafen, denn er bemühte sich nicht mehr um Iva und zeigte ihr kaum noch Zuneigung. Er gab ihr stets das Gefühl, ihm egal zu sein. Die erste Zeit hatte das Iva sehr hart getroffen, doch nach und nach hatte sie sich damit abgefunden und mit dem Gedanken angefreundet, die Beziehung zu beenden. Jedoch brachte sie es wegen Clara nicht übers Herz, sich endgültig von ihrem Mann zu trennen.

In den letzten Wochen hatte sie sich oft Gedanken gemacht und festgestellt, dass sie und Adrian eigentlich überhaupt nicht zusammenpassten. Iva war schon immer ein musisch-kreativer Mensch mit Hang zur Esoterik gewesen. Adrian konnte damit nichts anfangen.

Er war eher der nüchterne Faktenmensch, bei dem es für alles eine logische Erklärung gab. Er war nicht wie Iva Autodidakt und voller Ehrgeiz, sondern tat nur, was ihm aufgetragen wurde. Nicht mehr und nicht weniger.

Bei Iva verhielt sich das ganz anders. Was sie lernen wollte, brachte sie sich bei. Was sie sich zum Ziel setzte, erreichte sie. So war es schon immer gewesen.

 

Nach einer fünfzehnminütigen Autofahrt vom hessischen Städtchen Florstadt nach Friedberg hatte Iva ihre neue Arbeitsstätte erreicht. Obwohl zu dem Club ein großer Kundenparkplatz gehörte, stellte Iva ihren Wagen in der Nachbarstraße ab. Die letzten Meter wollte sie zu Fuß gehen, um noch einmal tief durchatmen zu können. Ihre Aufregung war auf einmal riesig.

Sie stieg aus und bemerkte, dass es für eine lange Hose viel zu warm war. Mit klopfendem Herzen näherte sie sich dem Club.

Das große Gebäude mit dem überdimensionalen Logo wirkte aus nächster Nähe sehr einschüchternd auf Iva. Sie erreichte den Eingang und atmete noch einmal tief ein, bevor sie die Tür öffnete. Die kalte Luft der Klimaanlage hüllte sie angenehm ein.

Iva stellte sich an die Theke im Eingangsbereich. Sie war sich nicht sicher, wo sie sich melden sollte.
Eine Mitarbeiterin kam herangeeilt und musterte sie. „Kann ich helfen?“, fragte sie ziemlich unfreundlich.

Iva schaute stumm an sich und ihrer Arbeitskleidung herab. Vor lauter Aufregung brachte sie kein Wort heraus.

„Ach so, du bist die Neue. Dann geh bitte mal kurz ins Büro zu Tim, unserem Chef. Ich bin übrigens Yasmina“, sagte sie gelangweilt. Ohne Iva auch nur ein Wort sprechen zu lassen, winkte Yasmina sie hinter sich her und klopfte an die Bürotür. „Tim, darf ich kurz stören?“, fragte Yasmina mit Schwung in der Stimme. „Hier ist diese Neue.“

Hoppla. Diese Neue? Mein Name ist Iva, aber das wirst du auch noch lernen. Doch davon lasse ich mich jetzt nicht beirren.

„Herein!“, hörte Iva eine monotone Stimme aus dem Büro rufen. Sie trat ein und erblickte einen Mann hinter einem großen Schreibtisch.

Ihr neuer Chef hatte feuerrotes Haar und schien Mitte vierzig zu sein. Er blickte auf und lächelte Iva an. „Oh, hallo. Bist du Iva?“

„Ja, das bin ich.“ Sie reichte ihm lächelnd die Hand.

„Schön, dass du da bist. Deine Arbeitskleidung hast du schon an, wie ich sehe. Dann kann es ja gleich direkt losgehen. Yasmina hat heute die Serviceleitung, weil Claudia nicht da ist. Normalerweise macht sie das. Für die ersten Tage reicht es vollkommen, wenn du Yasmina im Service einfach über die Schulter guckst. Doch vorher schaust du dir am besten erst mal unseren Club an.“

Iva atmete erleichtert auf, da es nicht direkt wieder zu Yasmina ging. „Prima.“

„Gut, dann schau ich mal, wer Zeit hat, dich kurz herumzuführen.“

Iva nickte begeistert und sah zu Tim, der sich von seinem Stuhl erhoben hatte und aus seinem Büro trat.

Sie folgte ihm durch einen kleinen Flur hinter der Kaffeetheke, zu dem nur das Personal Zugang hatte.

„Hier rechts sind die Toiletten für die Mitarbeiter und da vorne links geht es zum Personalraum. Dort kannst du deine Sachen in einen Spind schließen.“

„Okay.“

Tim bog am Ende des Flurs links ab und steuerte mit Iva auf die Trainingsfläche zu. „Ah, da vorne ist Bianca. Sie ist eine Trainerin hier und kann dich herumführen.“ Ivas Chef winkte die Trainerin zu sich. „Bianca? Das ist Iva. Heute ist ihr erster Tag als Servicekraft bei uns. Es wäre super, wenn du ihr kurz unseren Club zeigst. Oder warst du schon mal hier, Iva?“

„Nein, noch nicht.“

Bianca, eine sportliche junge Frau mit dunklem Haar, lächelte Iva an. „Kein Problem. Dann komm einfach mal mit.“

„Gern.“

Die Trainerin ging voran und stieg die Treppe zur ersten Etage hinauf. Diese und auch das Erdgeschoss wurden mit den aktuellen Charts beschallt, was Iva richtig gut gefiel. „Hier oben ist eine große Trainingsfläche, auf der unter anderem auch meine Bauchkurse und das Zirkeltraining stattfinden. Da hinten sind Männer- und Damentoiletten und da vorn ist der große Kursraum.“

„Wow. Gefällt mir sehr gut.“

„Wir bieten verschiedene Kurse an. Von Pilates über BOP ist alles dabei. Unten an der Theke liegt ein Kursplan aus. Da kannst du nachher gerne mal draufschauen. Dann siehst du genau, was wir wann anbieten. Wir Mitarbeiter genießen im Übrigen das Privileg, hier kostenlos in unserer Freizeit trainieren und den Wellnessbereich nutzen zu dürfen.“

„Ach was! Echt? Das ist ja toll.“

„Ja, Yasmina macht nachher ein Bild von dir für den Computer und dann bekommst du einen Ausweis zugewiesen. Mit dem kannst du zum Training, aber auch zur Arbeit einchecken. Eine Etage höher ist noch ein weiterer Kursraum, in dem der Cycling-Kurs stattfindet. Den kannst du dir gern in deiner Pause anschauen, wenn du möchtest. Ich habe gleich eine Trainerstunde und zeige dir jetzt erst mal nur die für dich relevanten Bereiche.“

„Okay.“

Nachdem sie die obere Etage besichtigt hatten, stiegen sie die Treppe zum Erdgeschoss wieder hinab.

„Wir duzen übrigens alle.“

„Gut zu wissen. Also ich finde den Club wirklich toll. Das breit gefächerte Angebot und vor allem, dass man hier als Mitarbeiter kostenlos trainieren kann.“

„Hier im Erdgeschoss findest du eine große Trainingsfläche mit Laufbändern und Geräten wie oben auch und einen Kraftraum. In dem halten sich aber meist nur unsere männlichen Mitglieder auf.“

„Ich finde es hier echt klasse. Besonders die hellen, sonnigen Farben und die vielen verschiedenen Geräte. Alles ist so modern und sauber. Das findet man nicht in jedem Club.“

„Danke. In unserem Club wie auch in allen anderen Clubs, die zu dieser Kette gehören, ist das Standard. Du müsstest mal das Mali Deluxe Spa in Frankfurt sehen. Da komme selbst ich aus dem Staunen nicht mehr raus.“ Biancas Augen leuchteten. „Na, komm, ich zeige dir noch die untere Etage.“

Sie gingen die Treppe zum Untergeschoss hinab.

„Wie du bestimmt schon bemerkt hast, sind überall Überwachungskameras installiert.“ Bianca zeigte auf eine der Kameras an der Decke des Flurs der unteren Ebene. „In den Umkleiden sind natürlich keine.“

Iva und Bianca betraten den Wellnessbereich. Es duftete überall nach Lavendel und aus den Lautsprechern erklang Entspannungsmusik.

„Hier ist unser Wellnessbereich. Dazu gehört ein großer Bade- und Massagebereich. Dort wirst du jedoch nicht eingesetzt. Dort arbeiten unsere Masseure, zwei Bademeister und eine Kosmetikerin. Deine Aufgabe ist es, die Sonnenbänke regelmäßig zu säubern und zu kontrollieren sowie morgens die Sauna anzuschalten oder abzuschalten, wenn du Spätschicht hast. Yasmina wird dir noch zeigen, wie das geht.“

„Okay.“

„Die Mitglieder sind eigentlich alle ganz nett. Doch wenn morgens die Sauna nicht rechtzeitig warm ist, können die auch ganz schön ungemütlich werden.“

„Puh, das darf mir nicht passieren.“

„Nun ja, wie dir vielleicht schon aufgefallen ist, ist hier einiges anders, als in einem normalen Fitnessstudio. Die Hälfte unserer Besucher kommen nur, um Wellness zu machen und haben dafür eine eigene Mitgliedschaft. Dann gibt es noch die Leute, die nur zum Training kommen und die Deluxe-Kunden haben eine Kombikarte. Das Konzept hat Mali – die Frau vom Gründer – entworfen. Sie kommt manchmal her. Wenn so ein Termin ansteht, muss hier alles besonders gut laufen. Sonst gibt es schnell Ärger. Ach, noch etwas zum Fitnessbereich: Im Vergleich zu anderen Clubs wird hier nicht jeder angenommen. Anabolika-Typen oder Leute, die schon aussehen, als würden sie hier Ärger machen, nehmen wir grundsätzlich nicht an. Anmelden kann man sich ab 16 mit Einwilligung der Eltern. Darauf achten wir wirklich sehr penibel. Auch die Bekleidung ist hier etwas, auf das wir sehr achten, damit sich niemand belästigt fühlt. Deshalb hat unser Club auch einen ausgezeichneten Ruf.“ Bianca wies auf die eingerahmte Kleiderordnung, die neben ihr im Flur hing. „Achselshirts oder das Trainieren mit freiem Oberkörper sind hier zum Beispiel verboten. Eine Kopie der Regeln bekommst du auch noch. Komm, wir gehen wieder hoch. Hast du noch Fragen?“

„Diese Mali – ist sie oft da? So, wie du es darstellst, scheint sie streng zu sein.“

„Nun ja, sie ist sehr speziell. Keiner kann es ihr wirklich recht machen. Zumindest ist das mein Eindruck.“

„Okay!“ Iva schnaufte kurz.

„So schlimm ist sie nun auch nicht.“

„Wie ist denn so die Stimmung im Team?“

„Also alle hier lieben ihren Job. Ich auch. In diesem Club arbeitet man einfach gerne. Der Chef ist locker, die Mitglieder sind nett. Viele ihnen sitzen nach den Kursen noch beisammen, trinken Shakes und unterhalten sich. Da ist es egal, ob man Geschäftsmann oder Schüler ist. Alle sind hier gleich.“

„Hört sich toll an.“

Die beiden Frauen erreichten die Theke, die Ivas Hauptarbeitsbereich werden würde. Ivas Blick fiel auf Yasmina, die Kaffee für zwei Männer, die auf den Barhockern saßen, zubereitete.

„So, dann übergebe ich dich mal Yasmina. Sie wird dir deinen Bereich näher zeigen.“

„Super und danke fürs Rumführen.“

„Sehr gern.“ Bianca verabschiedete sich und betrat wieder die Theke des Trainerpostens auf der Fläche.

Iva steuerte auf Yasmina zu, die ihr zunächst keine Beachtung schenkte. Wie bestellt und nicht abgeholt stand Iva hinter der Theke und kam sich ziemlich nutzlos vor.

Doch kurze Zeit später nahm Yasmina sich ihrer endlich an. „Ah, Iva, da bist du ja wieder. Hat Bianca dir alles gezeigt?“

„Ja, hat sie. Wirklich ein ganz toller Club.“

„Das ist er wirklich. Hast du schon mal im Service gearbeitet?“

„Nein, das ist absolutes Neuland für mich.“

„Oh“, stieß Yasmina aus und klang etwas enttäuscht.

„Das ist überhaupt kein Problem. Ich liebe neue Herausforderungen. Was ich lernen will, eigne ich mir sehr schnell an.“

„Hm. Na gut. Also das ist unser Computer, mit dem wir alles buchen, was wir an der Theke verkaufen. Das sind nicht nur Getränke, sondern auch Riegel oder Shakes zum Mitnehmen. Das Einchecken können wir auch von hier aus vornehmen. Die Trainertermine machen die Mitglieder eigentlich beim Trainer selbst aus. Aber wenn sie absagen, rufen sie ja meist hier vorne an, weil es am Trainerposten kein Telefon gibt. Dann streichen wir den Termin im System und vereinbaren direkt einen neuen Termin.“

Iva verfolgte Yasminas Erklärungen mit großer Neugierde und Aufregung. Alle Informationen saugte sie sofort auf wie ein Schwamm.

„Am besten beobachtest du, wie ich das mache, und merkst dir alles. Kannst du gut auswendig lernen?“

„Ja, eigentlich schon.“

„Super. Wir sprechen unsere Mitglieder nämlich alle mit Namen an, wenn sie unseren Club betreten oder verlassen. Wir haben ziemlich viele Mitglieder. Keiner erwartet von dir, dass du alle mit Namen kennst, aber die unserer Stammmitglieder solltest du dir merken. Irgendwann wirst du auch automatisch wissen, wer was und wann trinkt. Die Mitglieder sind immer wieder begeistert, wenn wir ihnen die Bestellung von den Augen ablesen. Das hier sind übrigens Mario und Amon. Die beiden sind unsere Masseure. Wenn die zwei auf die Theke zusteuern, hast du am besten schon den Kaffee bereit.“ Yasmina wies mit einem Lächeln auf die beiden Männer, die am Tresen ihren Kaffee tranken. „Stimmt’s, Männer? Das ist Iva, unsere neue Servicekraft. Seid nett.“

„Wir beißen nicht. Ich bin Mario“, sagte der blonde, gut gebaute Kerl, den Iva auf Ende zwanzig schätzte.
Der Mann neben ihm musste also ihrer Schlussfolgerung nach Amon sein. Er war ziemlich breitschultrig, hatte braunes Haar, das ihm bis zum Nacken ging, und braune Augen.

Als Iva den beiden ein verlegenes Lächeln schenkte, fing Mario an, ihr von sich zu erzählen. Von seinem Beruf als Masseur, seinen Hobbys, seinen Fahrradtouren und seiner zuckerfreien Lebensweise.

Amon dagegen trank in aller Seelenruhe seinen Kaffee und sagte nichts.

 

Die ersten beiden Wochen waren schnell vergangen. Die Namen der Stammmitglieder – einige kamen sogar mehrmals am Tag – und Kollegen hatte Iva recht schnell gelernt. Eigentlich war sie gar nicht so gut darin, sich Namen zu merken. Da sich Iva auf der Arbeit viel unterhielt, benutzte sie Gesprächsinhalte als Eselsbrücken.

Julia war zum Beispiel ein Stammmitglied, das sich von hundertvierzig auf stolze sechsundsiebzig Kilo hinunter gekämpft hatte, Jürgen war der Typ, den man zweimal täglich begrüßte, Roxanne die Fitnessbloggerin, Mario der Masseur, der dem Zucker den Kampf angesagt hatte, und dann gab es da noch Amon.

Meistens gab sich Iva den Mitgliedern und Kollegen gegenüber zwar offen und freundlich, jedoch wahrte sie eine professionelle Distanz, da sie nicht zu viel von sich und ihrem Privatleben preisgeben wollte. Schließlich waren die Mitglieder in erster Linie Fremde und die ging das Privatleben der Angestellten nichts an.

Bei Amon war es anders. Auf eine Art und Weise, die Iva sich nicht erklären konnte, fühlte sie sich in seiner Nähe sehr wohl. Sie versuchte jedoch, nicht allzu viel Kontakt zu Amon zu suchen, denn sie wollte nicht unprofessionell wirken. Doch immer wieder versuchte sie, Amon ein paar Details über sich durch Small Talk zu entlocken. Sehr schnell fand sie heraus, dass er Witwer und seit einiger Zeit neu liiert war.

Der durchtrainierte Amon mit seinem leicht südländischen Aussehen und den kinnlangen dunklen Haaren entsprach in jeder Hinsicht Ivas Geschmack. Unbewusst brachte er es mit seiner charmanten Art an so manchen Tagen zustande, Iva jeglicher Konzentration auf die Arbeit zu berauben. Er trank seine Espressi in jeder seiner Pausen und nach Feierabend bei ihr an der Theke. Wie Iva floh auch er gern aus seinem Alltag und vertrieb sich die Zeit im Club, wenn er dieses an seinen freien Tagen besuchte, nicht nur mit Training, sondern auch mit netten Gesprächen.

 

Iva arbeitete inzwischen seit drei Wochen im neuen Club. Sie arbeitete hart, war manches Mal erst gegen Mitternacht zu Hause. Jedoch bekam sie deswegen nie Ärger mit ihrem Mann, denn ihn störte es nicht sonderlich, dass seine Frau so lange weg war. Iva hatte sogar den Eindruck, dass er froh darüber war. Er fragte sie auch nie, wie ihr Tag gewesen war. Nie! Wenn sie spätabends nach Hause kam – total fertig von der Arbeit –, saß er meistens an der Spielekonsole und zockte.

Diese Gleichgültigkeit und das Desinteresse an ihr und ihrer Arbeit waren für Iva unerträglich und machten sie jedes Mal traurig. Sie stellte fest, dass er ihr nicht mehr geben konnte (oder wollte). Sie nahm die Tatsache frustriert hin.

Als sie Adrian vor fünf Jahren kennengelernt hatte, war er viel offener gewesen. Als nach drei Jahren dann das erste gemeinsame Kind und die Hochzeit gefolgt waren, war für Iva eigentlich alles perfekt gewesen.

Schleichend hatte Adrians Desinteresse an Iva und ihrer Tochter Clara mit den Jahren jedoch immer weiter zugenommen. Mehr und mehr hatte er sich in seine Zockerwelt zurückgezogen, in die er jeden Tag nach der Arbeit eintauchte.

Damit konnte und wollte Iva nicht für immer leben. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als einfach nur von ihrem Mann geliebt zu werden. Sie wollte endlich wieder glücklich sein.

2. Kapitel

IVA

Es war fast Ende Juli. Die Sonne brannte und ließ das Thermometer auf vierunddreißig Grad Celsius im Schatten ansteigen. Abgesehen vom öffentlichen Schwimmbad war der einzige Ort, an dem es gut auszuhalten war, der ausgezeichnet klimatisierte Club.

Iva wischte die Theke ab, nachdem sie Amon seinen zweiten Espresso serviert hatte. Karsten und Roxanne – die immer gemeinsam trainierten – hatten sich neben Amon niedergelassen, um dort bei einem Isodrink kurz zu verweilen.

„Gibst du uns zwei Isodrinks?“ Roxanne warf Iva ein freundliches Lächeln zu.

„Natürlich.“ Iva bediente die zwei und buchte die Bestellung in den Computer. Sie war stolz darauf, inzwischen die gesamte Theke alleine führen zu können.

Mike, einer von Ivas Kollegen, der ihr in den letzten Wochen so manches Mal schmachtende Blicke zugeworfen hatte, betrat den hinteren Teil der Theke und schaute auf ihre Hände. Er war neben Bianca einer der drei Trainer des Clubs. „Sag mal, du bist doch verheiratet, oder? Warum trägst du eigentlich keinen Ring?“

Karsten und Roxanne schauten Iva verdutzt an, als diese dreist gestellte Frage von Mike im Raum stand.

Iva schnaufte verärgert. „Ich weiß doch, dass ich verheiratet bin. Außerdem stört er mich bei der Arbeit.“

„Also trägst du ihn gar nicht? Auch zu Hause nicht?“, bohrte Mike nach.

Iva war dieses Thema vor den Mitgliedern sehr unangenehm. Sie entgegnete gereizt: „Wenn man glücklich verheiratet ist, trägt man mit Sicherheit auch seinen Ehering. Themawechsel bitte.“

Das war ihre letzte Antwort. Sie war ziemlich genervt, über ihre Ehe sprechen zu müssen. Es stimmte sie traurig und gehörte wahrlich nicht zu ihrer Lieblingsthematik. Sie stellte schwungvoll eine Tasse in den Abwasch, dass es nur so schepperte.

Mit beleidigtem Gesicht verzog sich Mike in den Kraftraum.

Iva schaute zu Amon, der leicht schmunzelte und schließlich verlegen auf seinen Espresso hinunterblickte.

Nachdem sie ihre Isodrinks geleert hatten, verließen Roxanne und Karsten die Theke und setzten ihr Training fort.

Daraufhin sah Amon Iva verständnisvoll an und sagte leise: „Ich kenne das.“

Iva lächelte peinlich berührt, da er allem Anschein nach auch keine glückliche Beziehung führte.

Amon deutete mit seinem Zeigefinger vorsichtig auf sein Handy. „Wenn du magst, gebe ich dir meine Nummer. Dann können wir ja einfach mal so schreiben.“ Ein wenig verlegen sah er Iva an.

Sein plumpes Angebot warf sie total aus der Bahn. So schaute sie ihn nur verdutzt an. Doch anschließend lächelte sie verhalten. Iva zögerte und wunderte sich darüber, dass sie nicht sofort Nein gesagt hatte, wie sie es normalerweise getan hätte. Bei Amon war es auf eine ihr unerklärliche Weise anders. Sie wollte nicht Nein sagen, weil er ihr so gut gefiel, dass sie mehr von ihm erfahren wollte. Entschlossen beendete sie ihre Grübelei. „Na gut. Aber ohne Hintergedanken, Amon. Ich habe ein Kind und bin verheiratet.“

„Ich bin doch auch liiert“, sagte er leise, grinste ungeniert und schaute sie dann ernst an. Vorsichtig sah er sich um und winkte Iva mit dem Finger zu sich heran.

Sie beugte sich bedacht zu ihm vor.

„Wir können aber nicht hier die Nummern austauschen“, flüsterte er. Er schaute zu den Überwachungskameras des Clubs hinüber.

„Ich habe gleich Feierabend“, entgegnete sie leise und wandte sich daraufhin sofort wieder von ihm ab, aus Angst, zu auffällig zu wirken.

Hoffentlich hat das jetzt niemand gesehen. Ich möchte keinen Ärger bekommen. Aber es kann ja nicht falsch sein, neue Freundschaften zu knüpfen, oder? Jedoch wäre es besser, wenn meine Arbeitskollegen das nicht unbedingt mitbekommen.

„Ich habe auch gleich frei.“ Er zwinkerte ihr zu und bestellte sich einen weiteren Espresso, um die Wartezeit bis zu ihrem Feierabend zu überbrücken.

Yasmina kam um die Ecke und rümpfte die Nase, die sie immer höher trug als alle anderen, sagte jedoch nichts. Sie warf Iva nur einen herablassenden Blick zu. Die siebenundzwanzigjährige Blondine hielt sich für etwas Besseres, weil sie die Nichte vom Gründer des Clubs war. Sie duldete keine Konkurrenz und das waren alle Frauen im Club. Das ließ sie auch unmissverständlich jedermann um sich herum wissen.

Die ersten Tage war sie noch einigermaßen nett zu Iva gewesen, aber auch nur, weil Tim in seiner Funktion als Clubleiter ein Auge mehr als sonst auf den Thekenbereich geworfen hatte. Claudia, die den Service leitete, war jedoch inzwischen wieder aus ihrem Urlaub zurück.

So fristete Yasmina ihr Dasein in der hintersten Ecke des Clubs an ihrem Beraterschreibtisch. Sie war offenbar ein wenig neidisch auf Iva, weil sie dort nicht mehr ständig jemanden um sich hatte. Iva hingegen hatte an der Theke immer Gesellschaft und unterhielt sich oft mit den Mitgliedern.

Iva verdrehte verspielt die Augen, während sie sich daranmachte, die Zuckerdosen aufzufüllen.

Was für eine eingebildete Ziege. Die denkt auch, dass alle Welt sie toll findet. Aber solche Menschen gibt es ja leider überall. Die brauchen nicht mal einen Anlass, um ihre schlechte Laune an anderen auszulassen. Ich versuche besser, ihr einfach aus dem Weg zu gehen.

Mittlerweile waren es noch fünf Minuten bis Arbeitsschluss. Iva zog sich in der Umkleide um, packte ihre Klamotten und Arbeitsschuhe ein und loggte sich danach im System aus. Sie wünschte ihrer Kollegin Fiona, die sie abgelöst hatte, eine angenehme Schicht und machte sich auf den Weg nach draußen.

Wenig später verließ auch Amon den Club.

Sie gingen um die Ecke, wo sein weißer Mustang parkte.

Amon setzte sich in seinen Wagen und ließ das Fenster der Fahrerseite herunter.

Iva trat näher, während Amon sein Handy zückte.

„Dann gib mir mal deine Nummer. Ich schreibe dir und dann hast du ja auch meine“, sagte er leise.

Sie sagte ihm ihre Nummer an.

Amon tippte in sein Handy eine Nachricht an Iva.

Als ihr Smartphone einen Signalton von sich gab, schaute Iva in ihren Nachrichteneingang, las die SMS:

Hi.

Sie schickte ebenfalls ein Hi zurück.

Er grinste und verabschiedete sich mit einem „Ciao“.

Iva sah ihm nach, bis sein Auto in der Ferne verschwand, und machte sich dann auf den Weg nach Hause.