Leseprobe Vier Pfoten für ein Wunder

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Catlin betrachtete den Schwangerschaftstest in ihrer Hand und seufzte auf. Nichtsdestotrotz warf sie zur Sicherheit einen erneuten Blick in die Anleitung. Ein einziger Streifen hieß negativ. Zwei Streifen bedeutete positiv. Verdammt. Dabei war sie sich dieses Mal so sicher gewesen. Ihre Brüste hatten gespannt und drei Tage lang war sie von einer unterschwelligen Übelkeit geplagt gewesen. Aber der Test zeigte dasselbe Ergebnis, wie bereits auch die letzten zwei Male zuvor – nur ein Streifen. Negativ.

Schnell schluckte sie den aufkommenden Kloß herunter und steckte das Plastikstäbchen zurück in die Verpackung. Dann verbarg sie alles im Mülleimer ganz weit unten, damit Nick den Test nicht zu Gesicht bekam. Er wünschte sich genauso sehr ein Kind wie sie und würde über sein Ergebnis nur maßlos enttäuscht sein.

Catlin wusch sich die Hände und trocknete sie gedankenverloren an einem Handtuch ab. Manchmal fragte sie sich, ob das Schicksal war. Es gar nicht so gut war, ein Kind zu bekommen. Immerhin hatte sie schmerzhaft am eigenen Leibe erfahren müssen, was es bedeutete, ohne Familie in einem Waisenhaus aufzuwachsen. Ohne Rückhalt. Ohne Zuwendung. Ohne Liebe.

Was wenn ihnen etwas Ähnliches widerfuhr, wie Nicks Familie? Als seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, hatte er daraufhin ins Heim gemusst. Wenn ihnen das Gleiche zustoßen würde, dann müsste auch ihr Kind ohne sie aufwachsen. Wollte sie ein Kind wirklich dieser Gefahr aussetzen? Diesem Risiko, alleine durchs Leben gehen zu müssen? Sich gegen die anderen zur Wehr zu setzen?

Wenn sie erst an Hamesworth dachte. Ihr fuhr ein kalter Schauer über den Rücken. Der Mistkerl von Heimleiter hatte sie jahrelang missbraucht. Seelisch wie körperlich. Es hatte sie einiges an Kraft gekostet, dieses zu verarbeiten. Nein, ein Heimkind zu sein, war keine schöne Erfahrung, da war sie sich sicher. Und vielleicht wollte das Schicksal ihr mit dem negativen Schwangerschaftstest nur einen Wink geben.

Catlin straffte die Schultern und sah in den Spiegel. In ihren grünen Augen lag ein Ausdruck von unendlicher Traurigkeit. Trotz allem wäre es schön, ein eigenes Kind zu haben. Aber ihr Leben war geprägt von Schicksalsschlägen. Von Verlusten. Von Ängsten. Vielleicht sollte sie sich einfach damit abfinden. Kein Kind bedeutete auch kein Risiko. Keine Verantwortung für ein Leben. Sie hatte doch Dog. Er war beinahe wie ein Kind für sie. Wenn auch mit Fell und vier Pfoten.

Das Klopfen an der Tür ließ sie erschrocken zusammenfahren.

„Cat, bist du fertig? Wir müssen endlich los. Sonst haben die Geschäfte zu, bevor wir auch nur einen Fuß in das Shoppingcenter gesetzt haben.“ Nick klang selbst gedämpft durch die Badezimmertür hindurch angespannt. Shopping war nichts für ihn. So kurz vor Weihnachten noch viel weniger. Volle Geschäfte, hektische Menschen, der ganze Trubel rund um die Geburt Jesu Christi, Weihnachtsgedudel im Radio, all das machte ihn nur verrückt. Und dies, wo er sonst recht ausgeglichen, ruhig und besonnen war. Ganz im Gegensatz zu ihr. Mit ihrer impulsiven, aufbrausenden Art brachte sie ihn oft schneller auf die Palme, als es ein singendes und auf Dauerschleife eingestelltes Rentier konnte.

Insgeheim vermutete sie, dass Nick ein kleiner Weihnachtsgrinch war, genau wie sie, es aber ihr gegenüber versuchte, mehr schlecht als recht zu verheimlichen. Im Waisenhaus hatten sie Weihnachten gar nicht gefeiert. Weihnachten war dort ein Tag wie jeder andere auch. Es sei denn, man hatte noch Angehörige, zu denen man nach Hause durfte. Also, wie sollte ein erwachsener Mensch dann später das Weihnachtsfest schön finden?

Hastig sah sie sich um, ob sie etwas vergessen hatte, das ihrem Freund den Grund für ihren langen Toilettenaufenthalt verraten könnte. Doch da gab es nichts.

„Eine Minute noch. Hol schon mal Dog rein. Dann können wir von mir aus sofort los“, rief sie und überprüfte ein letztes Mal ihr Aussehen im Spiegel. Sie zupfte ihren blonden Bob zurecht und legte etwas Lipgloss auf. Zum Schluss betätigte sie zum Schein die Klospülung und entriegelte die Tür.

 

***

 

„Dog, hierhin.“ Nick rief im Garten nach dem Hund. Hatte seine Stimme vorhin angespannt geklungen, klang das leichte Vibrieren darin jetzt eher genervt. Catlin griff zu ihrer Winterjacke, die an der Garderobe in der Diele hing.

Ein lauter Pfiff ertönte. „Komm schon Dog, wir bringen dir auch einen leckeren Büffelhautknochen mit.“

Catlin seufzte und zog sich die Jacke über. Anscheinend war Dog wieder einmal unterwegs. In letzter Zeit kam es öfter vor, dass der Hund eine defekte Stelle im Zaun gnadenlos ausnutzte, um für einige Stunden auf Wanderschaft zu gehen.

Sie trat ins Wohnzimmer, zog den Reißverschluss ihrer Jacke zu, richtete ihren Kragen und lief durch die Terrassentür in den Garten hinaus. Kleine Dampfwolken stiegen aus ihrem Mund empor. Mittlerweile war es merklich abgekühlt. Tagsüber war es zwar für einen Dezember in Arizona mit zehn Grad und Sonne noch angenehm, aber sobald die Sonne unterging, fielen die Temperaturen schnell unter null.

Sie fröstelte und hakte sich bei Nick unter. Selbst durch ihre dick gefütterte Daunenjacke hindurch spürte sie, wie verkrampft er war. Viel zu tun in der Werkstatt, Weihnachtsshopping, der verschwundene Dog, alles in allem genug Gründe, Nicks gute Stimmung ordentlich zu verhageln.

„Wolltest du den Zaun nicht längst reparieren?“

Nick schnaufte ungehalten auf. „Hab ich ja, aber der Hund hat eine weitere Stelle geortet. Guck hier.“ Er löste sich von ihr, trat zu der Buchsbaumhecke und zog die Sträucher beiseite. Dahinter klaffte ein schmales Loch im Lattenzaun. Definitiv groß genug für einen schlanken Schäferhund, um sich hindurchzuquetschen. Insgeheim musste Catlin schmunzeln. Wirklich clever. Manchmal glaubte sie, der Hund hatte mehr Verstand als nötig.

„Was hältst du davon, wenn wir hier mal alles abreißen und einen komplett neuen Zaun ziehen? Aus Metall? Mit einem kleinen schmiedeeisernen Törchen?“, schlug sie vor. Dog war vielleicht clever, aber sie saßen trotz allem am längeren Hebel. Ein neuer Zaun würde die Wanderschaften des Hundes eingrenzen.

Nick ließ die Sträucher los und trat zurück. Dabei ließ er weitläufig seinen Blick über die weite Wüstenlandschaft schweifen, die an ihr Grundstück angrenzte. In einiger Entfernung konnte Catlin die Bergkette ausmachen. Vermutlich erhoffte Nick sich, den Hund irgendwo zwischen Kakteen und Sandläufern entlangstromern sehen zu können. Doch Catlin wusste, wenn Dog erst einmal weg war, konnte es mehrere Stunden dauern, bis er sich wieder blicken ließ.

Auch ihr gefiel das nicht. Ganz und gar nicht. Gerade in den höher gelegenen Regionen gab es Bergpumas, giftige Schlangen oder andere maderartige Raubtiere, die einem Hund gefährlich werden konnten. Abgesehen von zerklüfteten Felsen mit tiefen Spalten. Und auch wenn sie verstehen konnte, dass der Hund nicht gerne eingesperrt war, immerhin hatte er jahrelang in einem Zwinger an einer Tankstelle gefristet, bis sie ihn gerettet hatten, konnte es so nicht weitergehen. Deswegen war eine neue Umzäunung längst fällig.

„So ein Zaun würde auch viel hübscher aussehen“, setzte sie nach.

Nick seufzte auf. „Vielleicht hast du recht. Der Zaun ist marode. Ich bestelle morgen einfach neue Elemente und frage James, ob er mir am kommenden Wochenende hilft, ihn aufzustellen.“

Catlin nickte beipflichtend. „Dann kümmere ich mich in der Zwischenzeit um Bethany und die Kinder und abends machen wir gemeinsam ein leckeres Winter-Barbeque mit Folienkartoffeln und Stockbrot.“

Nick drehte sich zu ihr um und sah sie angespannt an.

„Und mit Bier“, sie grinste. „Viel Winterbier. Du magst doch das Avery Old Jubilation so gerne.“

Er schenkte ihr ein verhaltenes Lächeln. „Bier mit Haselnuss und Karamellgeschmack klingt toll.“ Das Lächeln verschwand genauso schnell, wie es gekommen war. „Aber wir sollten jetzt langsam los. Du weißt, ich hasse es, meine Weihnachtsgeschenke erst im letzten Moment zu kaufen. Soll der verdammte Hund halt so lange draußen frieren.“

Nick wollte sich bereits an ihr vorbeidrängen. Doch so verstimmt, wie er war, wollte sie ihn nicht gehenlassen.

Mit einem Lächeln auf den Lippen stellte Catlin sich ihm in den Weg. „Moment noch, Mr. Grump.“ Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und presste sich an ihn. „Kann ein Kuss von mir dich vielleicht für den Ärger mit dem Hund entschädigen?“

Zart berührte sie Nicks Mund mit ihren Lippen. Er schlang seine Arme fest um ihre Taille, um sie noch näher an sich zu ziehen und ihren Kuss fordernd zu erwidern. Seine Lippen waren kühl, doch sie entfachten eine Hitze in ihr, die sie beide schnell aufwärmte. Ihr Herz klopfte unweigerlich schneller.

Auch wenn sie schon seit mehr als zwei Jahren zusammen waren und sich bereits eine halbe Ewigkeit kannten, schaffte der Kerl es immer noch, ihren Körper in süße Aufruhr zu versetzen. Ihre Knie weich werden zu lassen. Aus ihrem Herzen eine in der Sonne dahinschmelzende Schneeflocke zu machen.

Seufzend löste er sich von ihr. „Auch wenn ich jetzt gerade ganz andere Bilder im Kopf habe, wie wir den Nachmittag verbringen könnten, müssen wir endlich los. Aber vielleicht probieren wir es mit der Entschädigung heute Abend noch mal im warmen Bett?“ Er lächelte, was seine Züge um Klassen entspannter aussehen ließ, was sie eigentlich hatte erreichen wollen.

„Ich liebe dich“, hauchte sie ihm zu, wobei ihr Atem in einer verhaltenen Wolke aufstieg.

Er betrachtete versonnen ihr Gesicht und strich eine freche Haarsträhne beiseite. „Ich dich auch. Auch wenn du uns für die nächsten Jahre diesen Ausbrecherflohzirkus ans Bein gebunden hast.“ Augenzwinkernd schob er sie von sich und bugsierte sie durch die Terrassentür.

 

***

 

„Was schenken wir James und Bethanys Kindern?“ Catlin griff zu einem Buch und blätterte es durch. Es handelte sich um eine Geschichte über einen Schneemann namens Freddy Frosty. Heutzutage gab es richtig schöne Kinderbücher. Mit bunten Illustrationen und farblich abgestimmt auf die jeweilige Zielgruppe. Sie konnte sich nicht daran erinnern, in ihrer Zeit im Heim je ein so schön gestaltetes Werk in den Händen gehalten zu haben. Wenn sie ein Kind haben sollte, würde sie sich mit ihr oder ihm zusammen ins Bett kuscheln und gemeinsam genau solche Bücher lesen.

Hastig schlug sie das Buch zu, stellte es zurück ins Regal zu den anderen und ignorierte den Stich in ihrer Herzgegend. Vermutlich würde daraus ja nichts werden. Ob Dog es mochte, wenn sie ihm vorlas?

„Was hältst du von Barbies?“ Nick hielt zwei Pappkartons hoch, in denen sich die perfekt geformten Plastikpuppennachbildungen einer Eiskunstläuferin und einer Winterelfe befanden. Er bewegte erst den einen dann den anderen in die Höhe, so als wolle er sie auffordern, sich für eine von beiden zu entscheiden.

„Herrgott Thornton, hast du mal in das Zimmer der Mädels geguckt? Das besteht quasi nur aus Barbies.“ Catlin schüttelte energisch den Kopf. Die Kinder von ihren besten Freunden James und Bethany sollten sicher nicht lernen, dass eine hübsche Figur und lange Haare alles im Leben war. Schönheit brachte einige Vorteile, aber auch jede Menge Risiken mit sich. Wie sie selbst am eigenen Leibe hatte erfahren müssen. Bei ihrem Heimleiter Hamesworth war ihr ihr Aussehen zum Verhängnis geworden, während sie es die Jahre danach benutzt hatte, um sich erfolgreich als Beischlafdiebin über Wasser zu halten. Aber auch das hatte irgendwann seinen Tribut gezollt. Sie war an den falschen Typen geraten und beinahe im Gefängnis gelandet.

Sie ließ ihren Blick über die Regale in der Spielwarenabteilung gleiten, der an einem großen Werbeschild hängenblieb. Ja das wäre doch was!

„Was hältst du hiervon? Ein elektronischer Lernstift für beide und passend dazu zwei Bücher über Elfen oder Pferde.“

Nick runzelte die Stirn. „Lernstift?“

Sie nickte. „Er liest den Kindern vor oder erzählt ihnen Geschichten.“ Vorsichtig nahm sie den Teststift in die Hand und drückte auf den On-Knopf. Er piepte und begrüßte sie mit einem: Schön, dass du da bist.

Nick verzog das Gesicht. „Dafür gibt es doch Eltern. Also wenn wir irgendwann mal ein Kind haben, erzähle ich ihm lieber selbst Geschichten.“

Catlin tippte auf einige Symbole in dem Buch. Der Stift erkannte jedes davon und erklärte, was genau sich dahinter verbarg. Faszinierend.

„Ihm?“, entfuhr es ihr, als ihr klar wurde, was Nick da gerade gesagt hatte.

Er grinste. „Es wird natürlich ein Junge, ist doch klar. Ein Mädchen wird nicht freiwillig mit mir an Autos herumschrauben.“

Sie dachte kurz nach. „Aber dann wird unser Sohn mehr Zeit mit dir verbringen, als mit mir und ich muss immer alleine shoppen oder zum Friseur gehen.“ Unweigerlich flammte der negative Schwangerschaftstest in ihr auf und Catlin spürte, wie ihre Wangen warm wurden.

Nick lachte. „Okay ich sehe schon, wir brauchen auf jeden Fall mindestens zwei Kinder. Ein Mädchen für dich und einen Jungen für mich.“ Er trat neben sie und nahm ihr den Stift aus der Hand, um ihn selbst auszuprobieren.

In diesem Moment konnte sie nicht anders. Sie musste wissen, wie Nick über eine kinderlose Beziehung dachte. Was wenn er unbedingt welche wollte und sie ihm keine schenken konnte?

„Und was wenn uns gar keine Kinder gegönnt sind?“

Sie sah Nick angespannt dabei zu, wie er wahllos auf dem Buch herumtippte. Plötzlich machte der Stift nur noch Geräusche. Grunzen, Muhen, Miauen, Bellen. Catlin hätte am liebsten vor Anspannung gejault.

„Warum sollten uns keine Kinder vergönnt sein?“, gab er beiläufig zurück.

Sie zögerte kurz. „Vielleicht weil es immer noch nicht geklappt hat.“

Nick sah sie an. Er wurde umgehend ernst und legte den Stift weg. „Cat, bitte. Ich finde, du machst dir viel zu viele Gedanken. Wir probieren es erst seit einem halben Jahr. Ich habe von Paaren gehört, bei denen der Klapperstorch erst Jahre später an die Tür geklopft hat.“ Spontan zog er sie in seine Arme. Catlin schluckte schwer. Plötzlich hatte sie einen Kloß in ihrem Hals, der so groß wie ein Tennisball zu sein schien. „Und zu viel Gegrübel macht es auch nicht besser. Im Gegenteil. Es erhöht nur den Stresspegel. Was passieren soll, passiert. Lass es doch einfach geschehen.“ Sie schmiegte sich an ihn. Mit der Hand strich er ihr beruhigend über den Rücken.

„Und wenn wir das Gefühl haben, es klappt nicht, dann sollten wir zwei doch wohl die Ersten sein, die darüber nachdenken, einem Kind aus einem Heim ein schönes zu Hause zu geben, oder?“ Er schob sie ein Stück von sich und sah sie an. Er lächelte. Und plötzlich löste sich der Kloß auf.

Vielleicht hatte Nick recht. Vielleicht verlangte sie einfach zu viel. Vielleicht war der Zeitpunkt noch nicht der richtige. Sie hatte gerade erst ihre Ausbildung zur Tierpflegerin beendet. Womöglich sollte sie sich zuerst um einen Studienplatz für Tiermedizin kümmern. Kinder konnte sie auch mit fünfunddreißig noch bekommen. Also hatte sie doch noch fünf Jahre Zeit. Zeit genug, ein Studium anzufangen und zu beenden.

Catlin nickte zustimmend, ließ die Sache vorerst auf sich beruhen und wandte sich wieder dem Spielzeug zu. „Dann eben kein Lernstift und keine Barbies. Was hältst du dann von Malen nach Zahlen?“ Die seltsame Grimasse, die Nick in diesem Moment zog, zeigte ihr, dass auch Malen nach Zahlen keine Option war. Seufzend griff sie zu seiner Hand und zog ihn weiter in Richtung der Gesellschaftsspiele. Kommt Zeit, kommt Rat.

 

***

 

Zurück in Anthem trat Catlin zuallererst auf die Terrasse, um nach Dog zu rufen. Doch er ließ sich einfach nicht blicken. Nick maß derweil den Zaun aus, um am nächsten Tag die neuen Elemente besorgen zu können. Um sich von ihrer Unruhe abzulenken, griff sie zu den Rollen Weihnachtspapier, die sie im Schreibwarenladen besorgt hatten, und begann die ersten Geschenke einzupacken.

Für die Kinder von James hatten sie sich nach langer Diskussion für zwei Gesellschaftsspiele entschieden, die sie dann mit ihnen gemeinsam spielen wollten. Bethany, James Frau, würde den neuen Roman von Ken Follett bekommen, sowie eine kleine Flasche Cashmere, ihr Lieblingsparfum, das perfekt zu der kalten Jahreszeit passte. Für James gab es nur eine Option – ein Gutschein eines Home Depots. Er brauchte immer neues Werkzeug und um ihm nicht etwas zu schenken, was er vielleicht schon hatte, konnte er sich für den Gutschein selbst etwas aussuchen.

Da fiel ihr ein, dass sie für Nick ja auch noch ein Geschenk brauchte. Sie wusste nur nicht recht was. Ihm etwas zu schenken, empfand sie als wirklich schwer. Zumal ihr Weihnachten nicht so lag. Vielleicht ein Buch über Autos? Oder ein Modellauto? Aber wäre das wirklich was für einen Automechaniker? Sie nahm sich vor, James um Rat zu fragen. Als Nicks bester Freund wusste er bestimmt, was Nick sich wünschte.

 

***

 

Nach dem Einpacken trat Catlin erneut auf die Terrasse. Aber von dem Hund war weit und breit nichts zu sehen. Mittlerweile war die Sonne hinter einem Berg verschwunden und es wurde zunehmend frostiger. Sie zitterte. Dennoch zwang sie sich, ein wenig draußen zu bleiben.

„So lange war er noch nie weg“, gab Nick zu bedenken, als er neben sie trat und ihr seine Jacke um die Schultern legte. Sie zog sie vor der Brust zu. Beide suchten schweigend die Umgebung ab, doch die Dämmerung erschwerte das Erkennen über mehrere hundert Meter hinaus.

In Catlins Bauch zog es merkwürdig. Sie machte sich langsam Sorgen. „Meinst du, es ist ihm was passiert?“

Schulterzuckend klappte Nick den Zollstock ein. „Keine Ahnung, aber wir sollten wirklich einen neuen Zaun aufstellen. Auch zu unserem Schutz. Ich habe gehört, dass in der Nähe ein Bergpuma gesichtet wurde.“

Catlin zuckte zusammen. Dog hätte gegen einen Puma keine Chance. Jedoch klammerte sie sich an die Vorstellung, dass er nur rumstromerte und nach Futter suchte. Für Leckerchen tat der Hund beinahe alles.

„Mach dir keine Sorgen, Cat. Er kommt schon klar. Und falls er eingefangen wird, ist er ja gechipt. Dann rufen sie uns an und wir holen ihn ab.“ Nick legte Catlin den Arm um die Schulter. Er zog sie tröstend an sich. So standen sie beide da und sahen schweigend in die Nacht hinaus.

Catlin rieb sich kurz darauf über die Arme. Die Temperaturen fielen merklich ab und sie fror trotz Nicks Jacke. Eigentlich war Arizona kein Gebiet, wo es in den tiefliegenden Gebieten weiße Weihnachten gab. Höchstens mal bei einem Blizzard oder wenn die Temperaturen stark abfielen, was aber nur alle Jubeljahre vorkam. Doch bekam sie das Gefühl, dass es dieses Jahr auch weiter unterhalb schneien und womöglich weiße Weihnachten geben könnte. Somit würde vielleicht dieses Jahr nicht nur wie sonst immer Flagstaff in den Genuss der weißen Pracht kommen. Sie konnte sich nämlich nicht daran erinnern, dass es in den letzten Jahren Anfang Dezember schon so kalt gewesen war.

„Ich wollte morgen an den Computer in deinem Büro. Wäre das in Ordnung?“

Nick runzelte die Stirn. „Natürlich. Du brauchst nicht zu fragen. Aber warum? Willst du etwa eine Suchanzeige aufgeben?“

Mit einem Ruck drehte Catlin sich um und ging durch die Terrassentür zurück ins Haus. Sie zog Nicks Jacke aus und hing sie an die Garderobe. „Ich wollte meinen Lebenslauf überarbeiten und mich um einen Studienplatz in Tiermedizin bemühen.“

Nick lief ihr nach. „In Ordnung. Wenn du meinst.“

Catlin horchte auf. Wenn du meinst war ein Satz, den Nick nur zu gerne verwendete, wenn er etwas zu bemängeln hatte, aber zu höflich war, ein Wort darüber zu verlieren. „Passt dir daran etwas nicht?“

Mit einem Kopfschütteln schloss Nick die Tür und verriegelte sie. „Eigentlich nicht. Nur, wie passt ein Studium mit unserer Familienplanung zusammen?“

Wut kam plötzlich in ihr hochgeschossen wie eine Rakete. Wut, weil der Hund weg war, Wut, weil der Test negativ ausgefallen war, Wut auf Nick, weil er über ihre Entscheidung zu studieren, nicht in Begeisterungsstürme ausgebrochen war. Wut, weil er damit ja sogar irgendwie recht hatte. „Herrgott Nick, meinst du ich will auf ewig im Phoenix Zoo Käfige ausschrubben?“ Aufgebracht klaubte sie die übrig gebliebenen Weihnachtspapierschnipsel vom Boden und knüllte sie zusammen.

„Natürlich nicht. Aber wenn du ein Kind bekommst, willst du doch sicherlich zu Hause bleiben wollen. Oder meinst du, du kannst das Kind zwischen Gehege schrubben und Futter fertigmachen eben schnell stillen?“

Sie räumte angefressen das Klebeband und die Papierrolle mit den bunten Weihnachtsengeln weg. „Oh toll, dann soll ich also plötzlich zum Heimchen am Herd mutieren, oder was?“ Die Schublade des Wohnzimmers knallte, als Catlin sie rigoros zuschob. Etwas Kräuselband hing heraus, aber das war ihr egal.

„Das sagt keiner, aber Beruf und Familie passen in meinen Augen nicht zusammen. Eine Frau sollte zu Hause bleiben, wenn sie Kinder hat.“

Abrupt drehte sie sich zu ihm um. „Ehrlich gesagt, ist das eine ziemlich antiquierte Einstellung, Thornton, meinst du nicht auch?“ Sie schnaufte auf. „Es gibt viele Frauen, die Kinder bekommen und sogar parallel arbeiten gehen.“

Vehement schüttelte Nick den Kopf und zuckte zeitgleich mit den Schultern. „Mag sein, aber ich finde, ein Kind großzuziehen, ist ein Fulltime-Job und guck dir die Frauen mal an. Meist sind es total gestresste Muttis, die bei jeder Kleinigkeit gleich an die Decke gehen oder in Tränen ausbrechen.“

Vor Empörung über diese chauvinistische Aussage wusste sie nichts mehr zu sagen und presste die Lippen aufeinander.

Nick seufzte auf. „Cat“, er trat auf sie zu und ergriff ihre Hand. „Was ist los? Du bist doch sonst nicht sofort auf hundertachtzig.“ Sie schüttelte seine Hand ab und legte die Papierrollen auf den Wohnzimmerschrank zu den anderen. „Ist es wegen Dog? Mach dir keine Sorgen. Er kommt ganz bestimmt wieder. Das ist er doch bisher immer.“

Am liebsten hätte sie ihm gesagt, dass sie gar nicht so eine riesen Diskussion hatte anstoßen wollen. Dass der Test negativ ausgefallen war, und die Sache mit dem Studium ihre Alternative zu einer kinderlosen Zukunft sein sollte, doch das wollte sie nicht. Sie wollte Nick nicht deprimieren. Es reichte doch, wenn einer von ihnen beiden deprimiert war.

„Vergiss es, Thornton. Ich bin sicher nur müde und der ganze Weihnachtsrummel macht mich fertig. Du weißt, das ist nichts für mich.“ Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn an. Sein Gesichtsausdruck zeigte absolutes Unverständnis. „Ich werde jetzt einfach ins Bett gehen. Kannst du bitte die Terrassentür auflassen, falls Dog doch noch kommt?“ Dann drehte sie sich um und lief wortlos hoch ins Schlafzimmer, wo sie heimlich in ihr Kissen weinte.