Leseprobe Verbrechen am Columbus Circle

Eins

Es ist wohlbekannt, dass wir Iren zu melancholischen Anfällen neigen, selbst ohne davor ins Glas geschaut zu haben. Ich schätze, das geht mit dem keltischen Temperament und den langen Wintern einher. Auf jeden Fall durchlebte ich gerade einen solchen Anfall, während ich durch einen Regenguss nach Hause stapfte, der nasser und kälter war als alles, was ich je in der irischen Heimat erlebt hatte. Märzwinde und Aprilschauer bringen Maiblumen hervor – so hatte ich es in Ballykillin in der Schule gelernt. Nun, es war jetzt Mitte April, und der Sturm, der den Regen begleitete, war stärker als alles, was wir je im März erlebt hatten. Ich würde wohl nie ein Gefühl für das New Yorker Wetter bekommen! In einem Moment konnte es sonnig und frühlingshaft sein, und im nächsten fiel die Temperatur um fünfzehn Grad und wir waren wieder im Winter.

Wir hatten einen besonders langen und kalten Winter ertragen müssen, mit Schneefällen bis in den März hinein. Das raue Wetter hatte alle möglichen Krankheiten hervorgebracht und die Menschen waren gestorben wie die Fliegen, als sich eine schlimme Grippe vielfach zur Lungenentzündung entwickelt hatte. Selbst ich, die ich für meine robuste körperliche Verfassung bekannt bin, war ihr erlegen und hatte über eine Woche lang mit einem heftigen Fieber gerungen, das schließlich abgeklungen war, mich aber schwach und ausgelaugt zurückgelassen hatte. Das war jetzt beinahe drei Wochen her, und ich hatte kaum das Haus verlassen, bis meine kleine Detektei, P. Riley and Associates (deren Inhaberin und einzige Mitarbeiterin ich mittlerweile war), einen Auftrag angeboten bekommen hatte, den ich schlichtweg nicht ablehnen konnte. Er kam von Macy’s neuem Kaufhaus an der Ecke 34th Street und Herald Square. Man erwartete von mir, einen Fall von Ladendiebstahl zu untersuchen, den selbst die hauseigenen Ladendetektive nicht hatten aufklären können. Natürlich war ich begeistert und willigte sofort ein. Für einen solchen Auftrag hätte ich mich selbst vom Totenbett erhoben. Wer konnte wissen, wohin das führen würde, wenn ich in diesem Fall Erfolg hätte?

Das Wetter war frühlingshaft gewesen, als ich mich am Morgen an die Arbeit gemachte hatte, weshalb ich mein leichtes Geschäftskostüm trug und nicht daran gedacht hatte, Mantel oder Regenschirm mitzunehmen. Das bereute ich, als ich Macy’s verließ und feststellte, dass die Temperaturen wieder gefallen waren und ein kräftiger Wind blies. Binnen Sekunden war ich bis auf die Haut durchnässt, fror und fühlte mich einfach nur schrecklich.

Ich hätte voller Freude sein sollen. Ich hatte gerade wieder erfolgreich einen Fall abgeschlossen. In der Rolle einer neuen Angestellten hatte ich beobachtet, dass die gestohlene Ware von einem der anderen Angestellten im Müll nach draußen geschmuggelt worden war, wo ein Komplize sie dann aus den großen Mülltonnen holte. Ich war für meine Dienste großzügig entlohnt worden und strahlte voller Stolz. Ich hatte es kaum erwarten können, diese Neuigkeiten mit jemandem zu teilen, als ich Macy’s durch die Hintertür verlassen hatte und in den Sturm hinausgetreten war.

Ich war auf dem Broadway auf eine vorbeifahrende Straßenbahn aufgesprungen und hatte später auch das bereut, da ich vom Broadway aus nach Hause laufen musste, während mir der Regen direkt ins Gesicht getrieben wurde und ich mir mit einer Hand meinen hübschen Frühlingshut auf den Kopf pressen musste. Auf halbem Weg nach Hause zerfloss ich bereits in Selbstmitleid. Ich war natürlich immer noch geschwächt. Normalerweise suhlte ich mich nicht in Selbstmitleid oder hielt mich für eine hilflose Frau. Doch während ich mich weiterschleppte, überwältigten mich düstere Gedanken. Ich sehnte mich nach Heimat, Familie und jemandem, der sich um mich kümmerte.

Ich schätze, dieser Anflug von düsterer Laune und Unsicherheit hatte mit meinem Zukünftigen, Daniel Sullivan, zu tun. Wir waren noch nicht offiziell verlobt, aber wir hatten definitiv ein gewisses Einverständnis erreicht. Und genau das machte mich unruhig und nervös.

Wäre meine Mutter noch am Leben, hätte sie großen Gefallen daran gefunden, mir vorzuhalten, dass ich nie zufrieden war. Sie hätte wohl recht gehabt – als Daniel in Ungnade gefallen und von seinem Rang als Captain der Polizei suspendiert worden war, hatte er jeden Tag vor meiner Tür gestanden und ich hatte mir gewünscht, dass er bald wiedereingesetzt würde; nicht um seinetwillen, sondern für mein eigenes Wohl. Ich dachte ernsthaft darüber nach, ob Hochzeit und häusliches Glück wirklich das waren, was ich mir erträumte.

Doch vor Kurzem war er vom neuen Commissioner wiedereingesetzt worden und seitdem hatte ich ihn kaum zu Gesicht bekommen. Er hatte einmal auf dem Höhepunkt meiner Erkrankung vorbeigeschaut, seine Sorge zum Ausdruck gebracht und war wieder geflohen, ohne sich erneut blicken zu lassen. Daher war ich jetzt voller Sorge: Bedeutete diese fehlende Aufmerksamkeit mir gegenüber, dass er genug von mir hatte, oder betrachtete er mich bloß als selbstverständlich, seit er wieder einen interessanteren Zeitvertreib hatte? Wenn ich ihn heiratete, würde ich mich damit arrangieren müssen, dass das Leben einer Polizistengattin nun mal so aussah. Und wie würde es mir gefallen, die brave Ehefrau zu spielen, die zu Hause die Socken stopfte, während ich auf ihn wartete und mir Sorgen um ihn machte? Da hatte ich noch über einiges nachzudenken. Niemals zufrieden, schalt ich mich. Du willst Sicherheit, aber nicht gebunden sein. Du willst Liebe, aber auch Freiheit. Du willst ...

Zu dem dritten Bedürfnis kam ich nicht, da eine heftige Böe vom Hudson herüberwehte und mir den Hut vom Kopf blies. Ich schrie verzweifelt auf und sprang hinterher. Es war ein neuer Hut; die erste, extravagante Anschaffung, seit meine Detektei Geld abwarf, und ich würde nicht dabei zusehen, wie er unter den Rädern eines vorbeifahrenden Hansom-Taxis verschwand. Ich hob meine Röcke und jagte ihm auf höchst würdelose Weise bis zur 5th Avenue hinterher. Als ich den Hut gerade aufheben wollte, wurde er von einer weiteren heftigen Böe gepackt und auf die Straße geweht. Ich dachte nicht nach und rannte hinterher. Ein wütendes Hupen machte mir bewusst, dass ein niedriges, schwarzes Ding auf mich zuraste.

„Heilige Mutter Gottes“, keuchte ich, während ich mich zur Seite warf. Das Automobil kam quietschend wenige Zentimeter vor meinem Hut zum Stehen, der jetzt im Schlamm lag.

„Was zum Teufel sollte das werden?“, schrie eine wütende Stimme. „Sie hätten umkommen können.“

„Es tut mir leid“, hob ich an, dann blieb mir der Mund offenstehen, als der Gentleman seine Fahrerbrille abnahm und ich ihn im selben Moment erkannte wie er mich. „Daniel!“, rief ich.

„Molly, was machst du für Dummheiten?“, blaffte er. „Du weißt, dass diese Maschinen schnell sind. Und sie können nicht in Sekundenschnelle zum Stehen kommen. Es sind keine Pferde.“

„Ich sagte doch, es tut mir leid“, blaffte ich zurück. Ich kam mir vor der sich versammelnden Menge dämlich vor. „Der Wind hat sich meinen Hut geschnappt und ich wollte ihn nicht verlieren.“ Während ich das sagte, trat ich vorsichtig in den Schlamm und hob den Hut auf, der jetzt vom Regen durchnässt war und lädiert aussah.

„Steig ein.“ Daniel streckte sich, um mir die Tür zu öffnen. „Ich fahre dich nach Hause. Du siehst aus, als hätte man dich rückwärts durch eine Hecke geschleift.“

„Danke für das Kompliment, werter Herr“, gab ich zurück und wollte beinahe sagen, dass ich lieber laufen würde. Aber natürlich gewann die Vernunft und ich stieg brav neben Daniel ins Automobil.

„Warum warst du bei diesem Regen ohne Schirm unterwegs?“, fragte Daniel und starrte mich noch immer wütend an. „Du solltest nicht den ganzen Tag draußen unterwegs sein. Du wirst noch ernstlich krank, Molly.“

„Es ging mir besser, und außerdem hatte ich einen Auftrag“, sagte ich. „Er war zu gut, um ihn abzulehnen. Und wenn du es unbedingt wissen willst, als ich heute Morgen um sieben das Haus verließ, war der Himmel blau. Und glaub mir, ich habe in der vergangenen halben Stunde bereits bei jedem Schritt bereut, meine Frühlingskleidung angezogen zu haben.“

Daniel blickte in mein wütendes Gesicht. Haare klebten an meinen Wangen und Tropfen rannen über meine Nase. Er lachte. „Ich weiß, ich sollte nicht lachen“, versuchte er, sich das Lächeln zu verkneifen, „aber du siehst wirklich aus wie eine Waise im Sturm. Komm her. Lass mich deine kleine, nasse Nase küssen.“

Er zog mich zu sich und küsste meine Nasenspitze, dann legte er eine Hand unter mein Kinn und wiederholte den Vorgang mit meinem Mund. Ich spürte seine warmen Lippen an meinen und merkte, dass ich bereit war, ein wenig von meinem hohen Ross herunterzusteigen.

„Gut, bringen wir dich nach Hause und holen dich aus den nassen Kleidern, ehe du dir eine Lungenentzündung einfängst“, sagte Daniel. „Ich muss aber in einer Stunde wieder im Hauptquartier sein.“

Er löste die Bremse und stellte den Fuß aufs Gaspedal. Die Maschine antwortete mit Husten, bockte wie ein wildes Pferd und verstummte dann. Daniel fluchte murmelnd und trat in den Sturm hinaus. „Jetzt muss ich das verdammte Ding noch mal anlassen“, sagte er. Ich beobachtete, wie er die Kurbel herausholte, um den Wagen herumlief und an der Frontseite mehrfach die Kurbel drehte, bis die Maschine wieder hustend zum Leben erwachte. Daniel schwang sich geschickt auf den Sitz, ehe der Motor wieder ausgehen konnte und wir fuhren los. Ich sah ihn an und brach in Gelächter aus. „Wer sieht jetzt aus wie eine Waise im Sturm?“, fragte ich triumphierend.

Etwa eine Minute später hielten wir vor meinem kleinen Haus am Patchin Place. Es ist eine Straße, die manche als Gasse bezeichnen würden, aber für mich ist sie eine bezaubernde, verschlafene Ecke von Greenwich Village. Auf wundersame Weise hörte in diesem Moment der Regen auf und zwischen den dunklen Gewitterwolken tauchte ein Fleck blauen Himmels auf. Daniel stieg aus und kam um das Auto herum, um mir hinauszuhelfen. Ich öffnete die Haustür, setzte Wasser auf und zog die nassen Kleider aus. Gegen meine durchnässten Haare konnte ich nicht viel tun, aber immerhin sah der Rest von mir trocken und respektabel aus, als ich wieder nach unten kam.

„Manchmal verzweifle ich an dir“, sagte Daniel. „Setz dich. Ich mache den Tee.“

Er nahm den Kessel von der Herdplatte und füllte die Teekanne. „Du hast nicht zufällig Rum oder Brandy da, den ich dazugeben könnte, oder?“

„Habe ich nicht“, sagte ich. „Ich führe ein sehr bescheidenes Leben, wie du sehr wohl weißt.“

Er lächelte. „Schade. Na ja, zumindest ist der Tee heiß und süß. Besser als nichts.“ Er schenkte mir eine Tasse ein. „Trink das.“ Er sah mich mit zärtlicher Verbitterung an. „Du hast nicht einen Funken gesunden Menschenverstand, oder? Wenn du nicht gerade dein Leben riskierst, indem du Mördern nachjagst, dann achtest du nicht auf deine Gesundheit. Du musst wissen, dass das keine gewöhnliche Grippe ist. Ich kann dir gar nicht sagen, wie viele Leichenzüge ich in den vergangenen Wochen gesehen habe. Selbst einer unserer Männer, ein strammer Kerl von fünfundzwanzig Jahren, hat sich angesteckt und war drei Tage später tot. Und dennoch rennst du in einem Gewitter umher, während du eigentlich noch im Bett liegen solltest.“

„Ich konnte nicht ablehnen, Daniel“, sagte ich. „Der Auftrag kam von Macy’s Kaufhaus. Sie boten eine stattliche Belohnung und es war ein Fall, den ihr eigener Ladendetektiv nicht hatte aufklären können.“

„Und du hattest Erfolg?“

„In der Tat. Sie glaubten, sie hätten es mit einem einfallsreichen Ladendieb zu tun, aber es stellte sich als Verschwörung der eigenen Angestellten heraus – ein Mitarbeiter ließ kleinere Waren im Vorübergehen in Mülleimern verschwinden und ein Komplize holte die Sachen aus den Mülltonnen. Ich hatte das Glück, zu beobachten, wie eine Flasche Parfum von einem Ladentisch verschwand.“

„Das ist schön“, sagte Daniel. „Jetzt lass uns hoffen, dass du lang genug lebst, um den Gewinn auszukosten.“

„Es geht mir schon viel besser“, sagte ich. „Oder zumindest ging es mir deutlich besser, als ich heute Morgen aufbrach. Und ich kann nicht behaupten, dass du dir bislang große Sorgen um meine Gesundheit gemacht hättest. Du hast einen Blick auf meine fiebrige Stirn geworfen, eilig den Rückzug angetreten und dich dann nicht mehr blicken lassen.“

Daniel zog eine Grimasse. „Ja, ich weiß. Das tut mir leid.“

„Ich hörte, dass Gentlemen eine Aversion gegen Krankheiten haben.“

„Nein, ich versichere dir, das war es nicht. Ich habe mir große Sorgen um dich gemacht.“

„So große Sorgen, dass ich dich zwei Wochen lang nicht zu sehen bekam und mich vor dein Automobil werfen musste, um deine Aufmerksamkeit zu erregen.“

Er bekam ein Grinsen zustande. „Tatsächlich arbeite ich an einem Fall, der mich Tag und Nacht in Atem hält. Ich habe kaum Zeit zum Schlafen gefunden.“

„Was für ein Fall ist das?“ Ich trank einen großen Schluck von meinem heißen Tee und spürte, wie die Wärme durch meinen Körper strömte. „Lass es mich wissen, wenn ich behilflich sein kann.“

Daniel lächelte mich auf eine Weise an, die herablassend auf mich wirkte. „Meine Liebe, du weißt, dass ich nicht mit dir über Kriminalfälle sprechen kann, und ich lasse gewiss nicht zu, dass du mir hilfst.“

„Du glaubst, ich tauge nicht zum Detective?“, fragte ich.

„Ich halte dich auf deine eigene Art für sehr kompetent“, sagte er vorsichtig, „aber ich muss nach den Regeln spielen, und außerdem versuche ich, dich von jeglichen Morden fernzuhalten. Also halt du dich an deine Ermittlungen und ich bleibe bei meinen.“

„Sei nicht so verdammt herablassend.“ Ich warf das Geschirrtuch in seine Richtung.

„Du liebe Güte, wir sind aber reizbar, was?“ Er lachte. „Und ich hatte nicht die Absicht, herablassend zu sein. Ich freue mich, dass dein Geschäft gut läuft, aber du kennst meine Meinung. Ich wäre sehr viel glücklicher, wenn du nicht arbeiten und dich insbesondere nicht in Gefahr begeben müsstest. Jetzt, da ich meine Stelle wiederhabe, können wir vernünftige Zukunftspläne schmieden. Ich spare für ein Haus, Molly.“

„Du hast noch nicht um meine Hand angehalten“, rief ich ihm ins Gedächtnis.

„Ich beabsichtige, das anständig zu machen, im richtigen Moment“, sagte er.

„Und du weißt noch nicht, ob ich ja sagen werde.“

Seine beunruhigend blauen Augen blitzten auf. „Nein, das weiß ich nicht, aber ich bin hoffnungsvoll. Immerhin erlebst du jetzt, wie die Realität eines Lebens mit mir aussieht. Unregelmäßige Arbeitszeiten. Kommen und Gehen. Anrufe mitten in der Nacht und Zeiten, in denen du mich tagelang nicht zu Gesicht bekommst.“

„Bei dir klingt das wirklich entzückend. Ein Wunder, dass ich dich nicht vom Fleck weg heirate“, gab ich zurück und er kicherte.

„Ich weiß, dass ich dich in letzter Zeit vernachlässigt habe“, sagte er. „Ich mache es wieder gut, wenn der Fall erfolgreich abgeschlossen ist, versprochen.“

„Du wirst doch bestimmt über Ostern freibekommen, oder? Warum laufen wir nicht bei der Osterparade mit? Das wollte ich schon immer mal machen.“

„Die Osterparade? Komm schon, Molly. Das ist etwas für die Neureichen, die mit ihren neuen Hüten prahlen wollen, und ich fürchte, dass dein durchgeweichter Hut da nicht mithalten kann.“

„Ich versuche nicht, mitzuhalten. Ich möchte bloß Dinge erleben, die New Yorker so tun“, sagte ich. „Und ich hätte gern mal die Gelegenheit, Arm in Arm mit meinem Liebhaber die Prachtstraße entlangzulaufen.“

„Ich wünschte, wir könnten das tun, aber die Antwort ist nein. Ich bekomme an Ostern nicht frei. Nicht, solange sich die Leute in Lower Manhattan gegenseitig umbringen.“ Er trank seinen Tee aus und erhob sich. „Apropos, ich fürchte, ich muss gehen. Ich werde im Hauptquartier erwartet. Bis bald, meine Süße. Pass bitte auf dich auf. Keine Spaziergänge im Regen mehr, bis du nicht vollständig genesen bist.“ Er kam zu mir, küsste mich auf die Stirn und war zur Haustür hinaus, ehe ich irgendetwas antworten konnte. Ich lief ihm nach und sah von der Tür aus zu, während er wie wild die Maschine ankurbelte.

„Du solltest bei Pferden bleiben, die sind leichter zu starten“, rief ich ihm zu.

Er blickte auf und grinste. „Es ist ein Experiment. Der Police Commissioner will herausfinden, ob Automobile für die Polizeiarbeit von Nutzen sein können. Bislang bin ich nicht begeistert.“ Er kurbelte noch einmal schwungvoll, während er das sagte, und die Maschine erwachte stotternd zum Leben. Damit sprang er auf den Sitz, winkte und fuhr rückwärts den Patchin Place hinunter.

Zwei

Während das Automobil tuckernd den Patchin Place verließ, öffnete sich die Haustür auf der anderen Straßenseite und meine Nachbarin Sid streckte den Kopf heraus. „Hallo, Molly. Was war das für ein höllischer Krach, den wir da gerade hörten?“

„Daniel fährt jetzt ein Automobil“, sagte ich. „Er hat mich vor dem Regen gerettet und nach Hause gefahren.“

„Komm rüber und lass uns ein Glas Wein trinken“, sagte Sid. „Wir haben aufregende Neuigkeiten.“

Ich musste mich nicht zweimal bitten lassen. Meine Nachbarinnen Elena Goldfarb und Augusta Walcott, üblicherweise unter ihren Spitznamen Sid und Gus bekannt, schafften es stets, mein Leben mit Freude zu erfüllen. Sie waren beinahe zu großzügig und experimentierten stets mit neuen Gerichten und kulturellen Erfahrungen, was jeden Besuch in ihrem Haus zu einem Abenteuer machte. Die Tatsache, dass ihr Lebensstil nicht allgemein akzeptiert wurde, spielte für mich keine Rolle.

Sid führte mich mit einer überschwänglichen Geste in den Salon.

Gus saß in einem der Sessel neben dem lodernden Kamin, hielt ein Glas Rotwein in der Hand und trug einen schwarzen, mit Gagatperlen behangenen Spitzenschal um die Schultern. Im Gegensatz zu Sid trug sie eine weite Hose, die aussah, als würde sie aus einem türkischen Harem kommen. Ich bemerkte ihren eigenartigen Kleidungsstil kaum mehr, doch ich konnte mir vorstellen, dass er auf Fremde verblüffend wirkte.

Gus sah auf. „Sieh an, du hast Molly gefunden. Wie praktisch, gerade als wir sie brauchten. Und hast du herausgefunden, was diesen höllischen Krach verursacht hat?“, fragte sie.

„Das war Mollys Captain Sullivan, er fuhr ein Automobil. Aber er brachte Molly im Regen nach Hause, also scheint es mir, als könnten wir ihm dieses Mal vergeben.“

„Was hast du überhaupt draußen im Regen gemacht?“ Gus sah mich vorwurfsvoll an. „Du sollst doch im Bett bleiben und dich erholen. Du warst sehr krank.“

„Ich weiß, und es würde mir weitaus schlechter gehen, wenn ihr beide euch nicht so gut um mich gekümmert hättet. Aber ich hatte einen Auftrag in Macy’s Kaufhaus und das Wetter schien heute Morgen recht mild zu sein, also bin ich ohne Regenschirm oder Mantel aus dem Haus gegangen. Zum Glück wehte der Wind meinen Hut vor Daniels Automobil, so fuhr er mich nach Hause.“

„Schreckliche, neumodische Apparaturen, diese Automobile“, sagte Gus. „Die werden sich niemals durchsetzen, merkt euch meine Worte. Stellt euch nur vor, wie laut die Stadt wäre, wenn jeder eins besäße. Gus und ich glauben, dass wir in Zukunft alle fliegen werden. Wir sollten alle einen persönlichen Heißluftballon besitzen und gelassen durch die Wolken schweben.“

„Das klingt recht unpraktisch, findet ihr nicht?“, fragte ich. „Wir würden ständig aneinanderstoßen und bei starkem Wind in Boston landen, obwohl wir nach Philadelphia wollten.“

Gus kicherte. „Ach, aber denk doch nur an die Romantik des Fliegens. Warum sollte das Ziel da eine Rolle spielen? Sid, wir müssen jemanden mit einem Heißluftballon finden und darin das Land überqueren. Stell dir nur mal vor, über die Rockies zu gleiten.“

„Stellt euch eine Bruchlandung auf einem Gipfel vor“, sagte ich.

„Molly, du bist viel zu vernünftig. Um Himmels willen, schenk der Frau ein Glas Wein ein und erzähl ihr von unserem großen Ausflug.“

Rotwein wurde aus einem Dekanter ausgeschenkt. Ich trank einen Schluck und genoss die sanfte Wärme, während der Wein durch meinen Hals hinabrann. Ein Luxus wie Wein war noch immer neu für mich, und jeder Schluck war stets eine neue, köstliche Erfahrung.

„Ungarisch“, sagte Sid stolz. „Wir hatten noch nie ungarischen Wein und der hier heißt Bullenblut, da mussten wir ihn natürlich probieren. Göttlich, nicht wahr? Gus ist seitdem fest entschlossen, nach Ungarn zu reisen und die Bullen selbst zu sehen.“

Gus kicherte. „Und du hast den Wunsch geäußert, die Donau von der Quelle bis zum Schwarzen Meer hinunterzufahren.“

Sid ließ sich auf der Armlehne von Gus’ Sessel nieder und seufzte. „Es gibt zu viele Entscheidungen im Leben. Zu viele Orte und Unternehmungen. Und dann bekommt man das Gefühl, das eigene Leben wäre zu frivol und egoistisch geworden und beschließt, der Menschheit etwas Gutes zu tun.“

„Und wenn man schlau ist, verbindet man beides – Abenteuer und Philanthropie“, sagte Gus. „So wie bei unserem Ausflug am kommenden Sonntag, hoffe ich.“

„Sonntag? Wohin wollt ihr am Sonntag?“

„Zur Osterparade. Wohin sonst?“

Ich war überrascht. „Ich hätte euch beide für die Letzten gehalten, die ihre Pracht zur Schau tragen wollen.“

„Das ist auch so“, antwortete Sid, „es sei denn, es geschieht für einen guten Zweck. Wir planen, als Teil der VWVW-Brigade zu gehen.“

„Der was?“

„Das ist ein Akronym für Vassar Wants Votes for Women – Vassar will das Frauenwahlrecht“, erklärte Gus. „Wir werden Teil eines Aufgebots von Vassar-Alumni sein, unser Anliegen der New Yorker Bevölkerung vortragen und hoffentlich einige Frauen auf das grundlegende Bürgerrecht aufmerksam machen, das ihnen noch immer verwehrt wird.“

Ich nickte zustimmend. „Ich wünschte, ich wäre an der Vassar gewesen, damit ich mich euch anschließen könnte.“

„Wir würden uns freuen, dich bei uns zu haben, Molly“, sagte Sid. „Aber wir dachten, dass du so kurz nach deiner Krankheit noch nicht wieder stark genug bist, um die ganze 5th Avenue entlangzulaufen.“

„Ich habe eine starke, irische Konstitution“, sagte ich, „und in meiner Heimat war ich es gewohnt, mehrere Meilen am Tag zu laufen. Ich schaffe das bestimmt.“

„Dann sage ich nur: je mehr, desto besser.“ Sie prostete mir zu. „Es muss ja keiner wissen, dass du keine Vassar-Absolventin bist. Wie der Zufall so will, haben wir keine große Resonanz bekommen und werden nur wenige sein, also wärst du der Sache sicher dienlich.“

„In dem Fall nehme ich gern an. Ich habe Daniel vorgeschlagen, an der Parade teilzunehmen, aber er war sehr kritisch. Er sagte, dort würden sich lediglich die Reichen zur Schau stellen.“

„Das trifft natürlich zu“, räumte Sid ein.

„Einige der Vierhundert nehmen ebenfalls jedes Jahr teil“, sagte Gus. „Ich habe Verwandte, die jedes Mal dabei sind.“

„Ich sage dir, Gus hat in jeder Stadt Verwandtschaft“, kommentierte Sid und sah Gus liebevoll an.

„Wird erwartet, dass wir uns schick machen und ausgefallene Hüte tragen?“, fragte ich, als mir erste Zweifel kamen, da Studentinnen an der Vassar in der Regel reich waren. „Denn ihr kennt den Umfang meiner Garderobe.“

„Ganz und gar nicht. Dein Geschäftskostüm ist ideal. Wir wollen uns als verantwortungsbewusste Mitglieder der Gesellschaft präsentieren, nicht als verhätschelte Schätzchen mit Firlefanz. Und wir bekommen Schärpen und ein Banner mit unseren Anliegen, das wir tragen werden. Also zieh dir bequeme Schuhe an. Es wird ein langer Marsch.“

„So lang ist er nicht“, warf Gus ein. „Nur zehn Blocks. Und es werden sicher Kutschen bereitstehen, sollte eine der jungen Damen nicht mehr laufen können.“

„Ich werde keine Kutsche brauchen und vorbereitet erscheinen“, sagte ich. „Ich bin gern bereit, meinen Teil für diese Sache beizutragen. Es ist lächerlich, dass Geschäftsfrauen wie ich kein Mitspracherecht haben, wenn es um die Regierungsbildung geht.“

„Gut gesprochen, Molly. Ich sehe schon, du wirst eine echte Unruhestifterin werden.“

„Lasst uns hoffen, dass es am Sonntag sonnig und trocken ist“, sagte Gus. „Es wäre zu schade, wenn es so regnen würde wie heute.“

„Wird die Parade abgesagt, wenn es regnet?“, fragte ich.

„Sie wurde noch nie abgesagt, oder, Gus?“, fragte Sid.

„Nicht, dass ich wüsste“, stimmte Gus zu. „Die High Society kümmert das natürlich nicht. Sie klappen lediglich das Verdeck ihrer Kutschen hoch und machen ungerührt weiter. Aber bei einem Unwetter wie heute würde es an Zuschauern mangeln.“

„Dann fahren die meisten Teilnehmer in Kutschen und laufen nicht?“

„Fast alle. Wir gehen zu Fuß, damit wir herausstechen und unsere Solidarität mit dem Volk zum Ausdruck bringen“, sagte Sid. „Die Parade beginnt um zehn Uhr, also werden wir hier rechtzeitig aufbrechen, damit wir um Viertel vor zehn dort aufmarschieren können.“

„Aufmarschieren? Bei dir klingt das, als wären wir im Krieg.“ Ich lachte.

„So ist es“, sagte Sid nüchtern. „Ein Krieg, den es zu gewinnen gilt, Molly. Wir haben zu lang als arme, unselbstständige Kreaturen gelebt, immer der Gnade unserer Herrn und Meister ausgeliefert. Jetzt ist es an der Zeit, dass wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen.“

Inspiriert und mit entflammter Leidenschaft, aufgewärmt vom Rotwein und der Ansprache, kehrte ich in mein Haus zurück.

Drei

Glücklicherweise brach der Sonntag hell und klar an. Ein kalter Wind wehte und trieb Schäfchenwolken über den Himmel, aber es gab keinerlei Anzeichen für Regen, als wir den Patchin Place verließen, die Straßenbahn zur 47th Street nahmen und dann zur 5th Avenue liefen, wo die Parade starten sollte. Zu beiden Seiten der Prachtstraße hatte sich bereits eine Menschenmenge versammelt, angefangen bei der St. Nicholas Church, vor der einige recht vornehme Kutschen aufgereiht standen; quasi in den Startlöchern. Selbst ein flüchtiger Blick zeigte mir beeindruckende Osterhauben, die eigentlich keine Hauben waren, sondern verzierte Hüte, mit allen erdenklichen Früchten, Blumen, Federn und sogar Vögeln.

Im Kontrast dazu waren die Vassar-Frauen leicht auszumachen. Sie standen gemeinsam um die Ecke in der 47th Street und waren so schlicht gekleidet, dass ich mich mit meinem Geschäftskostüm tatsächlich gut einfügte. Zu meinem Erstaunen waren auch Sid und Gus ganz uncharakteristisch gekleidet, wie sittsame, bescheidene junge Frauen in zweiteiligen Kostümen, die meinem ähnelten. Sids Kostüm war taubengrau, Gus trug dunkelgrünen, feinen Kord. Sie wurden vom Vassar-Aufgebot wärmsten empfangen. Sid stellten mich vor und ich erntete ein oder zwei fragende Blicke sowie freundliches Lächeln. Jemand gab mir eine Schärpe, die ich über die Schulter legen sollte: „VWVW. Frauenwahlrecht.“ Das Banner verkündete etwas ausführlicher: „Vassar-Absolventinnen fordern ihre Rechte ein. Frauenwahlrecht jetzt.“ Auf anderen Bannern las ich: „Wir können alles, was ein Mann kann, außer zu wählen. Die halbe Bevölkerung hat keine Stimme. Frauen verlangen, gehört zu werden! Nehmt euren rechtmäßigen Platz in der Gesellschaft ein.“

Ich freute mich und war aufgeregt, als ich die Stange des Banners nahm, das ich zusammen mit einer der Vassar-Absolventinnen tragen sollte. Die junge Frau lächelte mich an. „Hallo“, sagte sie. „Ich glaube, wir kennen uns noch nicht. Emily Boswell. In welchem Jahrgang waren Sie?“

„Ich fürchte, ich bin eine Hochstaplerin“, sagte ich. „Ich heiße Molly Murphy und ich bin nur hier, weil meine Nachbarinnen mich mitgenommen haben, um die Gruppe größer zu machen. Und weil ich mich der Sache sehr verbunden fühle.“

Sie war groß und hatte ein schmales, bleiches Gesicht, ernste, braune Augen und schwarze Haare, die sie in einen strengen Dutt zurückgebunden und unter einer einfachen Haube versteckt hatte. Man würde sie wohl nicht als Schönheit bezeichnen, aber sie hatte etwas leicht Exotisches an sich und ihr Gesichtsausdruck wandelte sich zu einem entzückenden Lächeln, als ich auf Sid und Gus deutete. „Ach du bist es, Augusta“, sagte sie. „Ich hatte gehofft, dich hier zu sehen.“

„Emily, meine Liebe. Wie schön, dich wiederzusehen“, sagte Gus und sie umarmten sich. „Sid, schau mal, Emily ist hier.“ Als Sid die junge Frau begrüßte, wandte Gus sich zu mir. „Ich war in meinem Abschlussjahr Emilys Mentorin. Sie ist so ziemlich die intelligenteste Frau, der ich je begegnet bin.“

„Du übertreibst, Augusta.“ Emily errötete. „Aber ich gestehe einen gewissen Wissensdurst ein.“

„Sid und ich waren ziemlich enttäuscht, weil du Anfang des Jahres nicht beim Ehemaligentreffen dabei warst“, sagte Gus. „Es hat großen Spaß gemacht, die alte Clique wiederzusehen und wir haben dich schmerzlich vermisst.“

Emilys Lächeln verblasste. „Ich wollte wirklich teilnehmen, aber mein Arbeitgeber hat mir nicht freigegeben. Er ist ein unsympathischer, alter Mann, fast wie Mr. Scrooge aus Dickens’ Weihnachtsgeschichte, und würde mir vermutlich nicht einmal einen Tag freigeben, wenn meine Mutter gestorben wäre. Da meine Mutter bereits tot ist, habe ich die Theorie noch nicht testen können.“

„Du hast eine feste Stelle? Wie wundervoll.“

„Ich würde sie nicht als wundervoll beschreiben. Eher eine Notwendigkeit als alles andere“, sagte Emily. „Ich bin allein in der Welt und muss meinen Lebensunterhalt bestreiten. Ich scheue mich davor, Gouvernante zu werden, also arbeite ich in einer Apotheke.“

„Wie passend“, sagte Gus. „Du hast dich doch schon immer für Chemie interessiert.“

„Habe ich, und ich tue es noch, aber mein Arbeitgeber sträubt sich dagegen, mich mehr tun zu lassen, als an der Ladentheke zu arbeiten, also Geld entgegenzunehmen und Medikamente einzupacken. Ich habe versucht, ihn davon zu überzeugen, mich als Auszubildende anzunehmen, aber er glaubt, dass diese Arbeit eine Frau überfordert, selbst eine Vassar-Absolventin.“

„Typisch“, sagte Sid. „Was muss passieren, damit Männer verstehen, dass wir genauso zu logischem Denken in der Lage sind wie sie?“

„Hoffen wir, dass Demonstrationen wie diese nach und nach die öffentliche Meinung ändern“, sagte Emily.

„Ich hatte auf eine größere Beteiligung gehofft“, sagte Sid und sah sich in der Gruppe um, die weniger als zwanzig Köpfe zählte. „Ehrlich gesagt ist das eine Enttäuschung.“

Emily nickte. „Ich habe mehrere Freundinnen kontaktiert, aber sie haben alle abgesagt. Manche halten es für ein sinnloses Unterfangen. Manche glauben, dass es weder die richtige Zeit, noch der richtige Ort für eine solche Demonstration ist, und manchen verbat der Ehemann oder der Vater die Teilnahme.“

„Man hat es ihnen verboten? Warum haben sie uns dann überhaupt Bildung angedeihen lassen, wenn sie nicht wollen, dass wir eigenständig denken?“, fragte Sid wütend. „Egal, wir werden stolz unsere Banner tragen und vielleicht den einen oder anderen offenen Geist erreichen.“

„Wie ich sehe, stellen wir uns auf“, sagte Emily. „Wir nehmen wohl besser unsere Plätze ein.“

Emily und ich entfalteten unser Banner und hielten es in die Höhe. Sie warf mir ein aufmunterndes Lächeln zu. „Wo wurden Sie unterrichtet, Miss Murphy?“

„In Irland. Aber ich hatte nicht das Glück, wie Sie und Ihre Freundinnen ein College zu besuchen. Und bitte, nennen Sie mich Molly.“

„Sehr gern, wenn Sie mich Emily nennen. Dann sind Sie vor Kurzem aus Irland hergekommen? Mit Ihrer Familie?“

„Vor zwei Jahren und allein.“

„Und Sie haben es geschafft, sich in New York durchzuschlagen? Dafür bewundere ich Sie. Ich hörte, New York sei nicht gerade freundlich zu Einwanderern.“

„Nein, es war manchmal schwer, aber ich habe es geschafft, den Kopf über Wasser zu halten, mit der Hilfe von Sid und Gus, die sehr gut zu mir waren.“

„Dann sind Sie auch angestellt?“

„Ich führe mein eigenes Geschäft. Eine kleine Detektei.“

Ihre braunen Augen wurden groß. „Eine Detektei? Wie aufregend. Aber haben Sie damit wirklich Erfolg? Vertrauen Männer einer Frau ihre Geheimnisse an?“

„Manchmal, ja. Gerade diese Woche habe ich einen Auftrag für Mr. Macy abgeschlossen.“

„Der Mann mit den berühmten Kaufhäusern?“

„Genau der. Und Anfang des Jahres habe ich für Tommy Burke gearbeitet, den Theaterdirektor.“

„Du liebe Güte“, sagte sie. „Ich beneide Sie um solch ein aufregendes Leben.“

„Manchmal ist es etwas zu aufregend“, gestand ich. „Ich versuche, nur einfache Fälle anzunehmen, aber auch die haben mich schon mehr als einmal in Schwierigkeiten gebracht. Mein Zukünftiger sagt mir immer wieder, dass ich die meisten meiner neun Leben aufgebraucht hätte.“

„Sie haben auch noch einen Geliebten? Sie haben wirklich Glück.“

„Manchmal würde ich dem widersprechen.“ Ich grinste. „Er ist Polizist.“

„Dann können Sie sich gegenseitig bei der Arbeit unterstützen. Das ist ideal, oder nicht? Wenn ein Paar Interessen teilt und sich als intellektuell gleichgestellt begegnen kann.“

„Das ist es“, sagte ich und beschloss, Daniels Tendenz zu chauvinistischen Vorstellungen zu verschweigen. „Führen Sie auch eine Beziehung?“

Sie errötete auf bezaubernde Weise. „Ja. Er arbeitet in derselben Apotheke wie ich, doch er lernt sehr fleißig. Er ist ein echter Auszubildender und Mr. McPherson lehrt ihn die Kunst der Arzneiherstellung. Er ist sehr gut. Ein brillanter Kopf. Es ist eine Schande, dass seine Familie kein Geld hat und er seine Bildung deshalb nicht an einer Universität vertiefen konnte.“

„Sie sagten, Sie müssten auch auf eigenen Füßen stehen“, sagte ich. „Wie haben Sie es geschafft, ans Vassar zu gehen?“

„Verwandte haben das bezahlt“, sagte sie und ein verärgerter Ausdruck huschte über ihr Gesicht. „Aber schauen Sie mal, vor uns geht die Parade los. Sehen Sie diese Kutschen, die sich schon bewegen?“

Wir liefen los. Der Wind zerrte an unseren Bannern und die Anstrengung, sie festzuhalten, machte jegliche Unterhaltung unmöglich. Als wir auf die 5th Avenue hinaustraten, bemerkte uns die Menge. Ich hörte ermutigende Rufe sowie bewundernde Pfiffe und einige unangebrachte Vorschläge. „Zeigt ein bisschen Bein, Mädels. In dem Aufzug werdet ihr nie einen Ehemann finden. Wo sind eure Osterhauben?“

Dazu kam ein Stimmengewirr allgemeiner Ablehnung. „Frauen werden niemals wählen dürfen“, schrie ein Mann und trat mit erhobener Faust vor. „Nur über meine Leiche.“

„Das kommt davon, wenn man Frauen Bildung zukommen lässt“, rief ein anderer Mann. „Behaltet sie zu Hause zum Kinderkriegen. Das ist ihr angestammter Platz.“

„Könnt ihr euch vorstellen, was für ein albernes Chaos das wäre, wenn Frauen bei Regierungsgeschäften mitreden dürften?“, fuhr der erste Mann fort. „Am Ende versuchen sie noch, eine Frau zum Präsidenten zu wählen.“

Dieser Satz erntete brüllendes Gelächter.

„Geht nach Hause, Mädels. Kehrt an euren Platz zurück und hört auf, euch zum Narren zu machen.“

„Im Moment scheinen Sie es zu sein, der sich hier zum Narren macht, Sir“, sagte eine der jungen Frauen vor uns besonnen. „Jetzt treten Sie bitte zurück und lassen Sie uns weitergehen.“

Emily und ich sahen uns an. Ich hatte nie in Betracht gezogen, dass unsere kleine Demonstration böse enden könnte. Oder dass die Menschen so aggressiv reagieren würden. Ich bemerkte, dass auch Frauen unter denjenigen waren, die uns Beleidigungen zuriefen. Manche schienen Mitleid zu haben. Der Begriff „Blaustrumpf“ wurde stetig wiederholt, während wir die Straße hinaufliefen.

„Ich schätze, wir haben keinen einfachen Kampf vor uns“, sagte ich zu Emily, als die Parade für einen Moment zum Stehen kam.

„Nein, es wird ganz offensichtlich nicht leicht werden. Die meisten Frauen sind zufrieden mit ihrem Platz im Leben und wollen sich nicht um Politik kümmern müssen.“

„Aber es geht nicht nur um Politik, oder?“, fragte ich. „Es geht darum, ein Mitspracherecht in der Gesellschaft zu haben.“

„Natürlich. Lokale Angelegenheiten wie Wasserversorgung oder Nahverkehr. Schulfinanzierung. Frauen haben keine Stimme in Angelegenheiten, die ihnen wichtig sind – ihre Gesundheit, ihre Sicherheit und ihre Kinder. Das ist es, was wir den amerikanischen Frauen vermitteln müssen. Aber sie wollen nicht zuhören.“

Die Parade setzte sich wieder in Bewegung. Da wir einer stattlichen Menge von Pferdefuhrwerken folgten, mussten wir vorsichtig laufen und darauf achten, wohin wir unsere Füße setzten. Als ich nach unten blickte, traf mich etwas an der Schulter. Ich erschreckte mich und stellte fest, dass mein Kostüm jetzt mit Schlamm verschmiert war. Ein weiterer Schlammklumpen schlug der Frau vor mir den Hut vom Kopf. Brüllendes Gelächter breitete sich in der Menge aus.

„Achten Sie nicht auf die“, sagte Emily. „Das sind nur Gassenkinder, die ihren Spaß haben wollen.“

„Geht nach Hause!“, skandierte die Menge.

Wir marschierten mit hocherhobenen Köpfen weiter, während Schlamm auf unsere Banner spritzte.

Plötzlich hastete ein Mann aus der Menge auf uns zu. „Lucinda. Was soll das?“, rief er und packte den Arm einer der jungen Frauen an der Spitze unseres Zuges. „Hör sofort auf mit dieser absurden Farce. Du machst dich und deine ganze Familie lächerlich.“

Es war ein junger Mann mit einem beeindruckenden Schnurrbart und einem Gehstock mit Silberknauf.

„Geh weg, Laurence“, sagte die junge Frau und schüttelte ihn ab. „Es geht dich nichts an, was ich tue. Und du bist es, der mich lächerlich macht.“

„Ich lasse nicht zu, dass du dich hier zum Affen machst. Komm mit.“ Er zerrte sie aus der Gruppe heraus.

„Lass mich los. Ich werde meine Freundinnen nicht im Stich lassen. Wir leben in einem freien Land. Ich habe das Recht, meine Meinung zum Ausdruck zu bringen.“ Die Frau schrie jetzt.

„Lassen Sie sie los!“ Die Frau hinter ihr stürzte sich ins Getümmel.

Aus der Menschenmenge kamen weitere Männer angerannt und bald entwickelte sich ein ausgewachsener Tumult. Pfeifen ertönten und Polizisten traten auf den Plan.

„Schluss jetzt. Genug“, sagte einer von ihnen ernst. „Treten Sie zur Seite. Gehen Sie aus dem Weg und lassen Sie die Parade passieren.“

„Aber wir sind Teil der Parade“, sagte Sid.

„Jetzt nicht mehr, Miss. Sie sorgen für Unruhe, aber ich lasse Sie mit einer Verwarnung davonkommen. Lösen Sie Ihre Versammlung auf und gehen Sie nach Hause, sonst muss ich Sie wegen Ruhestörung verhaften.“

„Wir haben nichts anderes getan, als friedlich mitzumarschieren“, sagte Sid. „Es war dieser Mann, der ein Mitglied unserer Gruppe angriff.“

„Ich versuchte nur, meine Schwester zu beschützen, Officer“, sagte der Mann. „Ich bin Laurence Patterson der Dritte und ich glaube, dass Sie meinen Vater kennen, Richter Laurence Patterson.“

„Ich kenne den Gentleman sehr gut, Sir.“ Der Sergeant fasst sich an die Mütze. „Ich schlage vor, Sie nehmen die junge Dame mit nach Hause, ehe ihr etwas zustößt. Verschwinden Sie, Miss.“

Lucinda warf uns einen wütenden Blick zu, als sie weggeführt wurde.

„Das ist nicht gerecht, Sergeant“, sagte Sid. „Wir haben dasselbe Recht, in der Parade mitzulaufen, wie jeder andere Bewohner New Yorks.“

„Nicht, wenn Ihre Anwesenheit für Störungen sorgt, was eindeutig der Fall war. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Parade reibungslos verläuft. Daher ist dies meine letzte Warnung. Gehen Sie nach Hause, sonst lasse ich Sie verhaften.“

„Wir wählen die Verhaftung“, sagte Sid. „Steht ihr hinter mir, Schwestern?“

Der Polizist seufzte. „Na gut, wenn Sie darauf bestehen. Bringt sie weg, Männer. An der Ecke der 50th wartet ein Gefängniswagen.“

„Das ist ungeheuerlich!“, rief Sid.

„Mein Vater wird davon erfahren“, rief eine andere Frau.

„Ihr Vater wird mir danken, Miss, weil ich Sie in Sicherheit gebracht habe“, rief uns der Sergeant nach.

„Na, sind Sie nicht Miss Murphy?“, fragte eine Stimme an meinem Ohr und ich blickte in ein bekanntes Gesicht. Es war einer der wenigen Polizisten, die Daniel die Treue gehalten hatten, als er in Ungnade gefallen war.

„Hallo, Constable Byrne“, sagte ich und schenkte ihm ein schwaches Lächeln.

„Was machen Sie denn bei diesen Leuten?“, fragte er.

„Ich setze mich für das Frauenwahlrecht ein, wie die anderen auch.“

„Hören Sie“, sagte er leise, „ich geleite Sie durch die Menge, dann können Sie einfach nach Hause gehen. Sie müssen nicht die Unannehmlichkeiten des Gefängnisses durchleben. Captain Sullivan würde das gewiss nicht wollen.“

Ich muss gestehen, dass ich ernstlich versucht war, da ich das Gefängnis bereits mehr als einmal erlebt hatte. Doch dann sah ich, wie Sid, Gus und Emily wie gewöhnliche Kriminelle die Straße hinuntergeführt wurden.

„Es tut mir leid“, sagte ich, „aber ich kann meine Freundinnen jetzt nicht im Stich lassen. Ich kenne meine Pflicht. Bringen Sie mich mit ihnen zum Gefängniswagen.“

„Na gut, wenn Sie darauf bestehen.“ Er musterte mich deutlich besorgt. „Aber Captain Sullivan wird das nicht gefallen.“

„Sie könnten mir einen Gefallen tun, Constable. Würden Sie Captain Sullivan hiervon unterrichten? Ich möchte nicht, dass meine Freundinnen und ich mehr Zeit als nötig im Gefängnis verbringen müssen.“

„Ich tue mein Bestes, Miss Murphy“, sagte er und half mir hinten in den Gefängniswagen.