01
Alle großen Dinge beginnen mit Gotteslästerung.
George Bernhard Shaw, irischer Dramatiker
Mannheim, noch 4 Tage, 4 Stunden, 4 Minuten bis zum Weltuntergang
»Ibiza-Paul ist tot.«
»Was?« Ich blickte geschockt das Telefon an. Ibiza-Paul! Unser treuer Freund, Hobby-Spanier und Weltrekordhalter im Bier-Schnorren war tot? Tränen sammelten sich in meinen Augen, ich schniefte, brachte vor Ergriffenheit kein Wort mehr heraus.
»Ich weiß, es ist furchtbar«, sagte Christian. »Sein Notar hat mich gerade angerufen, wegen des Testaments.«
Kaum hatte Christian das letzte Wort ausgesprochen, war ich nicht mehr ganz so betrübt. Irgendwann muss man schließlich mit dem Trauern aufhören. Warum also nicht gleich?*
*Zur Entschuldigung von Thomas muss ich sagen, dass wir uns seit Jahren am untersten Ende der Einkommensskala befinden, weit abgeschlagen hinter Mc-Donalds-Aushilfen, Zalando-Packern und 1-Euro-Jobbern. Denn Thomas ist Schriftsteller ohne Bestseller und ich habe alle drei Monate eine neue Geschäftsidee, mit der ich regelmäßig scheitere. Momentan bin ich Videoproduzent und Drohnen-Filmer, wieder mal eine umwerfende Idee, aber seit man Videodrohnen in jedem Kaugummi-Automaten kaufen kann und Pornofilme als Gratisbeilage im digitalen Supermarktprospekt verschenkt werden steht auf meinem Frühstückstisch nicht mal mehr Margarine. Kurz und gut, wir drehen beide jeden Cent viermal um und geben ihn dann doch nicht aus. Und Ibiza-Paul war nun mal mehrfacher Millionär. Gewesen.
Ich bin übrigens Christian Purwien, der Typ, der alles kommentiert, korrigiert und konterkariert, was Thomas so von sich gibt.
Sollte Ibiza-Paul tatsächlich in seiner letzten Stunde an uns gedacht haben? Er hatte sicher eine Menge Freunde und so würden wir wahrscheinlich nur einen klitzekleinen Teil seines Vermögens bekommen, zum Beispiel seine Pfandflaschensammlung. Aber selbst die würde uns reichen, die nächste Monate zu überleben.
»Wir sind Alleinerben!«, platzte Christian mitten in meine Überlegungen hinein. Mir fiel der Telefonhörer aus der Hand. Ja richtig, Telefonhörer – das Handy hatte ich abgeschafft, seit man mit den Dingern alles konnte, nur nicht mehr telefonieren.
Jedenfalls nicht ohne Informatikstudium.
»...Bedingung«, hörte ich nur noch, als ich den Hörer wieder aufgehoben hatte.
»Alleinerben?«, fragte ich. »Hatte er den keine Frau oder Kinder?«
»Eltern hat er keine mehr, Geschwister auch nicht, ebenso wenig Kinder. Und er hat nie geheiratet.«
»Aber was ist mit Gertrud? Die beiden haben sich doch in Ibiza kennengelernt?*«
*Bevor ihr dumm fragt was da ablief, kauft euch besser Pommes! Porno! Popstar! Von mir aus ladet es auch illegal im Internet runter, aber beschwert Euch dann nicht, wenn ihr nach Eurem Ableben in der Download-Hölle landet und Euch ein Zimmer mit Death-Metal-Enthusiasten, Hobby-Rappern und Paulo-Coelho-Esoterikerinnen teilen müsst, während über die festinstallierten Zimmerboxen sämtliche von Euch illegal heruntergeladenen Tracks und Bücher zu hören sind, natürlich gleichzeitig. Und ja, der Lautstärkeregler ist defekt. Wäre es sonst die Hölle?
Nein, es hilft auch nicht, Vegetarier zu sein und zu glauben, damit auf dieser Welt genug Gutes getan zu haben, um der Strafe zu entgehen. Im Gegenteil, Satan hat sich für Euch etwas ganz besonderes ausgedacht: Wurstwasserboarding.
»Das lief anfangs super mit Gertrud«, seufzte Christian. »Aber dann hat Ibiza-Paul sie überredet in einen Swingerclub mitzugehen und am Ende hat sie den Club mit einem anderen Typen verlassen. Seitdem haben sie sich nie wieder gesehen.«
»Und was ist entfernten Angehörigen? Irgendein Halbneffe oder so?«
»Sind nicht erbberechtigt«, antwortete Christian und klang dabei, als würde er die Becker-Faust machen. »Weil es ein Testament gibt. Laut Notar wollte Ibiza-Paul sein Vermögen nämlich für einen guten Zweck verwenden.«
»Und da hat er an uns gedacht?« Erneut blickte ich ungläubig mein Telefon an. Wir waren zwar arm, aber nicht bedürftig, außerdem lebten wir in einem der reichsten Länder der Welt, waren Weltmeister nicht nur im Fußball, sondern auch im Meckern.
»Deswegen die Bedingung«, sagte Christian.
»Äh, welche Bedingung denn?«
»Wir müssen einen Triathlon absolvieren. Und wir müssen gleich los.«
»Was?« Seit ich letztes Jahr gelesen hatte, das Sport besser gegen Krankheiten hilft als die meisten Medikamente, war ich zwar ein ganz passabler Jogger und Radfahren konnte ich auch ohne Stützräder, aber das nützte alles nichts, wenn ich schon nach einem Meter absoff. »Ich kann nicht schwimmen«, piepste ich kleinlaut.
»Das musst du auch nicht. Es ist ein spezieller Triathlon. Und wir sind wie geschaffen dafür.«
»Ausgerechnet wir?« Ich überlegte, was unsere Stärken waren, mir fielen jedoch nur unsere Schwächen* ein.
*Falls sich das bei Euch exakt umgekehrt verhält, leidet Ihr wahrscheinlich an Wahrnehmungsverschiebung und seid Politiker, CEO einer Investmentbank oder Lance Armstrong.
»Das einzige Problem ist, wir fliegen morgen früh und der Triathlon findet im Land des Bösen statt.«
Da ich ein so freischaffender wie erfolgloser Schriftsteller war, stellte erstes kein Problem dar. Aber das Land des Bösen machte mir Gedanken. »Wo müssen wir hin? Iran, Irak, Afghanistan?«
»Ganz falsch.«
»Nordkorea, Russland, Libyen?«
»Nö.«
»Holland?«, wagte ich einen letzten Versuch, den nur Fußballfans nachvollziehen können.
»Nein«, antwortete Christian. »Die Vereinigten Staaten von ...«
»Amerika«, fiel ich ihm ins Wort.
Und Christian sagte nur: »Yeah. God's own country.«
»Das ist mir egal, wessen Land das ist«, antwortete ich. »Ich flieg da nie mehr hin.«