Leseprobe Trügerisches Paradies

Prolog

Istanbul 1993

Letztes Abendlicht fiel durch das Zimmerfenster des Istanbuler Krankenhauses. Dominique Demesy versuchte sich ein wenig aufzurichten, um einen Blick nach draußen zu erhaschen. Er hatte das Zeitgefühl darüber verloren, wie lange er schon in diesem Krankenzimmer vor sich hinvegetierte, mal mit scheußlichen Schmerzen in der Brust und mal auf den angenehmen Wattewölkchen schwebend, die er dem Morphium verdankte.

Außerdem hatte er seit jener Nacht, in der jemand auf ihn geschossen und er anschließend eine schwere Gehirnerschütterung beim Aufprall auf den steinigen Boden erlitten hatte, teilweise sein Gedächtnis verloren. Zum Glück kehrte es allmählich Stück für Stück zurück, und das nahezu chronologisch. Jede Nacht fielen ihm erlebte Abenteuer und Anekdoten ein, aber was die Geschehnisse der letzten Wochen betraf, hatte er noch immer ein völliges Blackout.

Er wusste vom Krankenhauspersonal, dass er sich in Istanbul befand, hatte aber keine Ahnung, warum er dort gewesen war. Bestimmt ein Auftrag seiner Detektivagentur Stacy & Langmaster, für die er in New Delhi arbeitete. Aber was hatte es damit auf sich gehabt?

Immerhin erinnerte er sich daran, dass er in Irland geboren worden und in Paris bei Adoptiveltern aufgewachsen war, dass er jahrelang in der Übersee-Gendarmerie gearbeitet hatte, bis er vor über sieben Jahren in Indien sesshaft geworden war, als Privatermittler für eben jene große Agentur. Seit über zwei Jahren lebte seine einundzwanzigjährige Tochter Jennifer bei ihm und arbeitete als Assistentin bei Stacy & Langmaster, und nach einigen Anfangsschwierigkeiten miteinander standen sie sich nun sehr nahe. Wobei Jennifer sich nur zu gerne in seine Ermittlungen einmischte und ein Talent dafür hatte, dabei in Schwierigkeiten zu geraten.

Dominique seufzte und zuckte zusammen, als ein Schmerz seine Brust durchfuhr. Sein angeschossener Lungenflügel rebellierte noch immer, wenn er zu tief einatmete, husten musste oder sich bewegte. Er war immer sehr sportlich und aktiv gewesen, und es machte ihn verrückt, nun zu solcher Untätigkeit verdammt zu sein. Wenn er nur wüsste, wem er das zu verdanken hatte.

Die Einzige, die mit Sicherheit mehr darüber wusste, war Jennifer. Er erinnerte sich dunkel, dass sie ihn kurz nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus besucht hatte, als er noch auf der Intensivstation gelegen und auch sie erst auf den zweiten Blick erkannt hatte.

Kurz entschlossen klingelte er nach seiner Nachtschwester, die sich, seit er nicht mehr auf der Intensivstation war, liebevoll um ihn kümmerte und ihm geduldig zuhörte, wenn er ihr von seinen Erinnerungen erzählte. Sie stammte aus Istanbul, sprach aber dank einer französischen Mutter fließend Dominiques Muttersprache. Er hatte Französisch stets als seine Muttersprache betrachtet, zumal er erst im Alter von einundzwanzig Jahren erfahren hatte, dass er eigentlich irischer Herkunft war. An seine leibliche Mutter hatte er keine Erinnerung, auch nicht vor dieser Amnesie.

 

Als Gülay Dominiques Zimmer betrat, blickte er ihr erwartungsvoll entgegen.

„Gülay, was ist mit meiner Tochter? Warum kommt sie mich nicht mehr besuchen? Ist sie etwa abgereist?“

Die Krankenschwester biss sich auf die Lippen, als habe sie diese Frage befürchtet.

„Nein, sie ist nicht abgereist. Sie liegt selbst im Krankenhaus.“

„Was hat sie?“, fragte er erschrocken.

Gülay setzte sich an sein Bett, zögerte.

Dominique wurde blass. „Wie schlimm ist es? Ist sie in Lebensgefahr?“

„Nein, nicht mehr. Sie  Sie hat versucht, sich umzubringen.“

„Sich umzubringen“, flüsterte er fassungslos. „Um Gottes Willen  was hat sie …?“

„Sie hat hier im Krankenhaus Schlaftabletten gestohlen. Aber sie ist über den Berg“, versicherte Gülay hastig. „Allerdings … will sie Sie nicht sehen, Dominique.“

„Will mich nicht sehen“, wiederholte er tonlos. „Hat sie einen Brief ?“

„Nein.“

„Schlaftabletten … Sicher war es ein Unfall. Sie hat nie Schlaftabletten genommen, sie muss die Dosis unterschätzt haben.“

Gülay schüttelte den Kopf. „Dafür waren es zu viele. Als sie Sie das letzte Mal besucht hat, war sie sehr durcheinander. Das war kurz vor ihrem Suizidversuch, da haben Sie noch auf der Intensivstation gelegen. Sie schien zu glauben, dass sie auf Sie geschossen hat.“

„Unsinn, sie war ja gar nicht dabei “ Dominique runzelte die Stirn.

„Erinnern Sie sich wieder an den Tag?“

„Nein, ich habe immer noch ein Black-out“, gab er zu.

„Wie können Sie dann so sicher sein?“

„Himmel, sind Sie von der Kriminalpolizei, Gülay?“

„Nein, aber die Polizei wird Sie in den kommenden Tagen befragen. Die waren schon zweimal da.“

„Was ist mit Fingerabdrücken auf der Waffe? War es meine eigene Pistole?“

„Keine Ahnung, das müssen Sie die Polizei fragen. Ich weiß nur, dass der Chirurg zwei Kugeln aus ihrer Brust geholt hat. Und den Gerüchten nach deutet alles auf diese Italienerin hin, die auf der Flucht ist. Aber wenn Ihre Tochter sich selbst beschuldigt, wird es sicher kompliziert.“

„Verdammt, wie kommt sie nur auf solch hirnrissige Ideen?“ Dominique schüttelte den Kopf. „Sie würde nie auf mich schießen, sie liebt mich.“

„Ihre Zimmernachbarn im Hotel wollen gehört haben, dass Sie beide einen heftigen Streit hatten. Seien Sie also auf unangenehme Fragen der Polizei gefasst“, warnte sie.

„Woher wissen Sie das alles?“

Gülay lächelte. „Ihre Geschichte war tagelang das Thema Nummer eins im Krankenhaus.“

„Ich muss zu Jennifer.“ Er richtete sich auf und versuchte, die Bettdecke zurückzuschlagen.

„Hey, lassen Sie das!“, rief sie erschrocken. „Es geht Ihnen noch nicht gut genug, um hier nach Belieben herumzuspazieren.“

„Irgendwann muss ich ja wieder damit anfangen.“

„Aber nicht heute Abend, und nicht ohne vorherige ärztliche Untersuchung.“

„Dann rufen Sie einen Arzt.“

„Nein. Hören Sie, Dominique, es ist schon neun Uhr abends, Jennifer wird bereits schlafen. Sie ist erschöpft, sie braucht Ruhe. Und überhaupt wissen Sie ja gar nicht, wo sie liegt.“

„Sie werden es mir sagen.“

„Und meinen Job verlieren, wenn Ihnen was passiert? Ich mache Ihnen einen Vorschlag: morgen früh lasse ich einen Pfleger kommen, der Sie im Rollstuhl zu Jennifer bringt. Einverstanden?“

„Habe ich eine Wahl?“, knurrte er.

„Kommen Sie, ruhen Sie sich weiter aus. Und ich gebe Ihnen eine Spritze, damit Sie gut schlafen.“

„Kein Morphium mehr, darüber waren wir uns doch einig.“

„Man darf es nicht abrupt absetzen. Sie könnten Entzugserscheinungen bekommen.“

„Das nehme ich in Kauf.“ Ächzend ließ er sich in die Kissen zurücksinken.

„Nun gut. Aber nehmen Sie wenigstens ein Schlafmittel.“

„Ich will jetzt nicht schlafen. Ich erfahre, dass meine Tochter versucht hat, sich umzubringen, weil sie sich einbildet, auf mich geschossen zu haben, und da soll ich schlafen, als ob nichts wäre? Kommt nicht in Frage.“

Gülay seufzte. Er war kein einfacher Patient, aber immerhin schien er auf dem Weg der Besserung zu sein.

„Dann erzählen Sie mir, wie es so weit gekommen ist mit Ihnen und Jennifer. Was ist passiert?“

„Einiges. Nach Jaclyns Tod hat unser Verhältnis eine eigenartige Form angenommen …“

„Jaclyn ist gestorben? Ihre Partnerin?“ Sie sah ihn mitfühlend an. „Was ist geschehen?“

„Ich werde es Ihnen erzählen. Aber es ist eine traurige Geschichte.“ Dominique starrte an die Decke und fröstelte, trotz der Wärme im Zimmer. So erleichtert er war, dass sein Gedächtnis zurückkehrte, quälte es ihn auch, denn manche Erinnerungen schmerzten mehr als die Schusswunde in seiner Brust.

Gülay warf einen raschen Blick zur Uhr. Sie hatte Einiges zu tun, aber das musste noch ein wenig warten – sie war viel zu gespannt auf die Fortsetzung seiner Geschichte.

EPISODE 1: RACHE FÜR JACLYN

1

New Delhi 1992

Leise betrat Dominique Demesy die dunkle Wohnung. Es war ein Uhr nachts, und er hoffte, dass Jaclyn, seine Partnerin im Leben und im Beruf, bereits schlief. Er schlich ins Schlafzimmer und schlüpfte aus seiner Hose. Als er seine Socken auszog, wurde das Licht der Nachttischlampe angeknipst, und Jaclyn blinzelte ihm entgegen.

„Du bist noch wach?“, fragte er.

„Ich konnte nicht einschlafen.“ Sie hielt sich die Hand zum Schutz gegen das Licht über die Augen und musterte ihn prüfend. „War ja ein langer Tag für dich.“

„Das kann man wohl sagen.“ Dominique begann sein Hemd aufzuknöpfen. „Ich habe jemanden beschattet, zusammen mit Bikram Gupta, und das hat kein Ende genommen.“

„Trägt Gupta jetzt langes blondes Haar und Minirock?“, fragte sie spitz. „Oder war das die Zielperson, die du verfolgt hast?“

Er starrte sie schuldbewusst an. „Wie kommst du darauf?“

Jaclyn stieg aus dem Bett, trat langsam auf Dominique zu und griff prüfend nach seinem weißen Hemdkragen, auf dem sich eigenartige Flecken abzeichneten. „Make-up“, stellte sie mit gespielter Überraschung fest. „Und ich habe gedacht, das Mädchen hätte echte Sonnenbräune!“

„Ach, du meinst Pamela“, sagte Dominique mit erzwungener Nonchalance.

„So, so, das war also Pamela.“

„Ja, sie ist mal wieder auf Stippvisite in Delhi. Wir haben uns zufällig getroffen.“ Pamela war eine Flugbegleiterin der PAN AM, mit der er eine kurze Affäre gehabt hatte, bevor er Jaclyn kennengelernt hatte.

„Und vor lauter Freude über diesen Zufall hat sie sich dir an den Hals geworfen“, folgerte Jaclyn sarkastisch.

„Wir haben zusammen mit ihren Kollegen ein paar Drinks an der Hotelbar genommen“, gab Dominique zu. „Und sie hat mich zur Begrüßung und zum Abschied umarmt. Das ist alles, du wirst deswegen doch wohl nicht eifersüchtig werden oder mir eine Szene machen.“

„Ich mache keine Szene, ich treffe nur Feststellungen“, erwiderte sie kühl. „Und diese Feststellung ist, dass ihr nach den Drinks um 20.45 Uhr auf ihr Zimmer gegangen seid, und du erst jetzt nach Hause kommst. Natürlich kann man annehmen, dass sie dir lediglich gezeigt hat, wie hübsch die Zimmer des Hotels Taj Mahal sind, und ihr danach weiterhin um die Häuser gezogen seid“, fuhr sie ironisch fort. „War es so?“ Wie immer beherrschte sie sich gut, in ihren hübschen Gesichtszügen zeichneten sich weder Verletzung noch Verärgerung ab, aber gerade diese Selbstkontrolle machte Dominique wütend.

„Was soll ich davon halten, dass du mir jetzt nachspionierst?“, fragte er gereizt, ganz nach seiner Devise, dass Angriff die beste Verteidigung war.

„Ich habe dir nicht nachspioniert. Ich hatte heute Abend lange im Büro zu tun, und Mr Stacy suchte dich vorhin ganz dringend“, erklärte sie. „Du hast ja deinen Pieper im Büro liegen lassen. Gupta wusste, dass du ins Hotel Taj Mahal gefahren bist, nachdem ihr mit eurer Beschattung fertig wart. Da es auf meinem Nachhauseweg lag, habe ich angeboten, dir Bescheid zu sagen. Du bist gerade mit Blondie aus der Bar gekommen, und ich habe nur noch gesehen, wie sich die Aufzugtüren hinter euch geschlossen haben. Da ich nicht wusste, wie deine Begleitung hieß, konnte ich nicht an der Rezeption nach ihrer Zimmernummer fragen.“

„Was wollte Stacy?“, versuchte Dominique abzulenken.

„Es geht um eine brisante Entwicklung in deinem neuen Auftrag. Ich habe Stacy angerufen und ihm gesagt, dass ich dich nicht gefunden habe. Was tatsächlich der Fall gewesen wäre, wenn ich ein paar Minuten später gekommen wäre.“

„Es tut mir leid“, murmelte er unangenehm berührt.

„Mach dir nichts draus. Stacy war zwar ziemlich ungehalten, aber er beruhigt sich auch wieder. Er denkt jetzt über die Anschaffung von Mobiltelefonen nach. Ist der große Renner in den USA. Nützt natürlich auch nur, wenn du es nicht irgendwo liegen lässt.“

„Jaclyn, das mit Pamela hat keine Bedeutung.“

Sie lachte bitter auf. „Du betrügst mich, und es hat nicht einmal eine Bedeutung für dich, das höre ich gerne!“

„Du weißt genau, wie es gemeint war.“ Dominique zog das Hemd mit den verräterischen Spuren aus und warf es wütend auf einen Stuhl. „Es tut mir leid“, wiederholte er. „Ich hatte es nicht geplant, es ist einfach passiert. Es ist mit mir durchgegangen, das hat mit uns beiden nichts zu tun.“

Schweigend ging sie ins Bett zurück, zog sich die Decke bis zu den Ohren und drehte Dominique den Rücken zu. Er verschwand kurz im Bad, um sich die Zähne zu putzen. Geduscht hatte er bereits bei Pamela. Schließlich legte er sich neben Jaclyn und löschte das Licht, konnte jedoch nicht einschlafen. Er hörte Jaclyn leise weinen, zum ersten Mal, seit er sie kannte.

„Jacky, bitte“, murmelte er hilflos und legte ihr vorsichtig die Hand auf die Schulter.

„Siehst du sie öfter?“, schluchzte sie.

„Nein. Es war das erste Mal, dass ich dich betrogen habe, und es wird auch das einzige Mal bleiben, das schwöre ich dir. Ich liebe dich, Jaclyn.“

„Nicht mehr so wie zu Anfang“, sagte sie leise. „Irgendwas hat sich zwischen uns verändert.“

Dominique leugnete nicht. „Ich weiß nicht, ob ich dafür geeignet bin, auf Dauer mit einer Frau zusammenzuleben“, gab er zu. „Ich bin wohl zu sehr an ein unabhängiges Single-Leben gewöhnt.“

Sie drehte sich zu ihm herum. „Hast du den Eindruck, dass ich dir deine Freiheit nehmen will?“

„Nein, eigentlich nicht. Unabhängiger als dich kann ich mir eine Frau kaum vorstellen.“

„Vielleicht willst du ja lieber ein Heimchen am Herd, das ständig für dich da ist?“

„Nein, bestimmt nicht. Aber bei dir habe ich das Gefühl, dass du mich im Grunde gar nicht brauchst.“

„Unsinn. Nur weil ich gut alleine klarkomme, heißt das nicht, dass ich dich nicht brauche. Aber vielleicht sind wir zu schnell zusammengezogen“, meinte sie nachdenklich. „Wir hatten keine Zeit, uns langsam aufeinander einzustellen.“

„Ja, schon möglich. Aber du hast dich in Delhi einsam gefühlt und ich hatte es satt, auf der Couch zu schlafen, während sich Jenni in meinem Schlafzimmer breitgemacht hat.“

„Ihr hättet ja tauschen können.“

„Wie du weißt, gab es mit Jennifer schon so genug Spannungen.“

„Du kannst nicht immer wegrennen, wenn nicht alles so unbeschwert ist, wie du es gerne hättest, Nick.“ Jaclyn griff nach einem Kleenex und putzte sich die Nase. „Du bist in deinem Gefühlsleben nicht richtig erwachsen – deswegen kannst du auch nicht dauerhaft mit einer Frau zusammenleben. Sobald es Probleme gibt, hast du keine Lust, sie zu lösen. Du machst einfach Schluss, stimmt’s?“

„Ach, hör auf, das führt doch zu nichts.“

„Vielleicht läuft es ja auch deswegen mit uns schief. Wir wissen beide, dass es zu nichts führt.“ Jaclyn stützte sich auf einen Unterarm und sah auf Dominique hinunter.

Er runzelte die Stirn. „Was meinst du?“

„Nächsten Monat kommt Peter wieder. Wir haben das Thema immer wieder aufgeschoben, aber jetzt sollten wir endlich mal ernsthaft darüber sprechen – auch wenn dir solche Art von Gespräch verhasst ist.“

„Du weißt, dass Rajiv gekündigt hat. Ich bin sicher, dass du seinen Platz einnehmen kannst, wenn Peter wieder da ist.“

„Ja. Mr Stacy hat es mir bereits angeboten. Er erwartet meine Entscheidung. Und Langmaster in London will auch wissen, ob ich nun im Oktober zurückkomme oder nicht.“

Jaclyn arbeitete eigentlich für das Londoner Büro der Detektivagentur und war lediglich für ein Jahr nach Indien versetzt worden, um Dominiques Kollegen Peter Hestersant zu vertreten, der sich hatte beurlauben lassen, um persönliche Angelegenheiten in den USA zu regeln.

„Und wie wirst du dich entscheiden?“

„Wenn du sagst, dass du mit mir nach London gehst, würde ich mich sofort für London entscheiden.“

„London? Ewiges Nieselwetter und steife britische Manieren … Nein, das kannst du nicht von mir verlangen“, sagte er ablehnend.

„Ich habe es nicht verlangt, ich habe es nur vorgeschlagen. Es regnet nicht ständig, und die meisten Leute sind sehr cool.“

„Trotzdem. Großbritannien liegt mir nicht. Ich habe seit unserem Gespräch im Juli immer wieder darüber nachgedacht. Allenfalls kann ich mir vorstellen, irgendwann nach Frankreich zurückzukehren und mir dort etwas aufzubauen. Am besten im sonnigen Süden. Wir könnten das zusammen tun.“

„Mein Französisch ist nicht gut genug, um dort als Detektivin zu arbeiten“, wandte sie ein.

„Es war gut genug, um ein Jahr in Frankreich zu leben. Du würdest dich sehr schnell wieder zurechtfinden.“

„Das ist lange her. Und ich muss gestehen, ich habe Heimweh nach England.“

Sie schwiegen beide.

„Willst du, dass wir Schluss machen?“, fragte Dominique schließlich gepresst. „Möchtest du lieber nach London in dein altes Leben zurückkehren – allein?“

„Ungern ohne dich.“

„Lass mir noch ein bisschen Zeit“, bat er. „Wir könnten zu Weihnachten nach London fliegen. Und wenn du wieder dort bist, wirst du vielleicht feststellen, dass du es gar nicht mehr so erstrebenswert findest, dort zu leben. Sag Stacy und Langmaster, du willst noch ein halbes Jahr hierbleiben. Nur ein halbes Jahr, bitte, Jacky.“

„Ach, was wird das schon ändern.“ Ein verärgerter Blick ihrer grünen Augen streifte ihn. „Du wirst dich in einem halben Jahr auch nicht entscheiden können.“

„Sag mir, dass du mich noch liebst“, murmelte er und zog sie in seine Arme.

„Es ist ein schlechter Zeitpunkt, mich das zu fragen, wenn du gerade aus dem Bett einer anderen Frau kommst“, knurrte sie. „Gerade hasse ich dich eher ein wenig!“

„Kannst du mir wenigstens verzeihen?“

Jaclyn verzog den Mund. „Dafür musst du mir schon ein bisschen Zeit lassen.“

Er seufzte. „Ich bin ein Idiot …“

Sie fuhr ihm grob durch das zerzauste dunkelbraune Haar. „Da sind wir endlich mal einer Meinung. Und jetzt ab auf die Couch, heute Nacht will ich dich nicht in meinem Bett haben!“

„Ach, Jacky …“, begann er, doch ihr ausgestreckter Zeigefinger wies unmissverständlich zur Tür.

Seufzend nahm er sein Kopfkissen und zog sich ins Wohnzimmer zurück.

2

„Mr Feather ist kaufmännischer Leiter der Delco India Ltd.“, stellte William Stacy vor. „Das ist eine Beteiligungsgesellschaft der Delco International Ltd., die kennen Sie ja sicher.“

Jaclyn, müde nach der fast schlaflosen Nacht, blinzelte angestrengt aus umschatteten Augen. „Sprechen Sie von der Multinationalen mit Sitz in London, die im Bereich von Telekommunikation und Haushaltsgeräten arbeitet?“

„Genau“, bestätigte Edward Feather, ein großer, zur Korpulenz neigender Brite, der einen maßgeschneiderten, grauen Anzug trug. „Aber Delco stellt noch so Einiges mehr her: unsere Beteiligungsgesellschaft hier in Indien produziert Mikroprozessoren, Verpackungsmaschinen und Elektrowerkzeuge.“

„Was führt Sie zu uns, Mr Feather?“, fragte Mr Stacy.

„Nun, die Sache ist etwas heikel und muss mit äußerster Diskretion behandelt werden …“

„Wir gewähren Ihnen absolute Diskretion“, versicherte Stacy.

Feather räusperte sich. „Ich habe den Verdacht, dass unser Geschäftsführer in Indien Gelder unterschlägt.“

„Wie kommen Sie auf diesen Verdacht?“

„Ich bin seit anderthalb Jahren kaufmännischer Leiter in Indien. Vorher war ich Leiter einer der Zentralabteilungen in London. Man hat mich unter anderem nach Indien geschickt, um der Tatsache abzuhelfen, dass Delco India nicht so viel Profit macht, wie es eigentlich sollte. Ich habe Nachforschungen angestellt und fand heraus, dass das Umsatzproblem nicht auf Vertriebsschwierigkeiten oder schlechtes Management zurückgeht, sondern dass immer wieder größere Summen verschwinden, und keiner weiß so recht, wohin. Die Spuren führten mich an die höchste Stelle. Mein Verdacht gegen Perry Melbrook, das ist unser Geschäftsführer, ist berechtigt, aber ich habe keine Beweise, die London überzeugen könnten. Sie können sich vorstellen, dass so ein Verdacht eine schlimme Sache ist. Man muss absolut sicher sein und es auch eindeutig beweisen können. Mir selbst ist es jedoch nicht möglich, diese Beweise gegen Melbrook zu sammeln, da in der Geschäftsführung äußerste Geheimhaltung besteht. Er setzt mich oft nicht in Kenntnis von seinem Tun. Leider sagt er mir nicht einmal Dinge, die ich unbedingt wissen müsste, sondern stellt mich oft vor vollendete Tatsachen. Unsere Sekretärinnen dürfen keinerlei vertrauliche Informationen miteinander austauschen, und unsere Chauffeure dürfen einander nicht sagen, wohin sie mit uns fahren.“ Er schüttelte missmutig den Kopf. „Die CIA ist nichts dagegen!“

„Sie suchen also eine Person, die das Vertrauen von Mr Melbrook gewinnen und Beweise für seine Unterschlagungen zusammentragen kann“, folgerte Jaclyn.

„Richtig. Und diese Person werden Sie sein, Mrs Holt.“

„Haben Sie bereits eine Idee, wie das am besten zu bewerkstelligen ist?“, erkundigte sie sich.

„Ja. Wir beabsichtigen seit einiger Zeit, Ihre Agentur mit diesen Nachforschungen zu beauftragen, doch das Wie erwies sich als Problem. Nun ist vorgestern etwas passiert, was zwar traurig für die Betroffene, aber für uns ein Geschenk des Himmels ist: Miss Borner, Melbrooks Sekretärin, hatte einen Unfall.“

Jaclyn und Mr Stacy tauschten einen raschen Blick. War dieser Unfall ein Zufall oder ein skrupelloses Komplott?

Stacy räusperte sich. „Was für einen Unfall?“

„Sie ist beim Reiten vom Pferd gefallen, das Pferd hat wohl vor irgendwas gescheut. Und das im Galopp, sie hat sich einen Arm und ein Bein gebrochen. Es wird eine Weile dauern, bis sie wieder einsatzfähig ist. Ich will Sie damit beauftragen, die Vertretung von Miss Borner zu übernehmen, Mrs Holt.“

„Aber ich habe keinerlei Referenzen für die Arbeit als Direktionsassistentin“, wandte Jaclyn ein. „Kein Personalchef würde mich einstellen.“

„Der Personalchef untersteht mir und wird tun, was ich ihm sage. Die Referenzen werden wir Ihnen besorgen. Können Sie tippen?“

„Ja, das habe ich bei Scotland Yard lange genug getan.“

„Und kennen Sie sich mit Textverarbeitung aus?“

„Auch das, ja.“

„Gut. Dann machen Sie sich um den Rest keine Sorgen. Außer mir und meiner Sekretärin darf selbstverständlich niemand etwas davon erfahren. Wir werden sagen, dass London Sie geschickt hat, um Miss Borner zu vertreten. Ihre mangelnde Erfahrung als Direktionssekretärin können wir damit erklären, dass Sie in London eher Sachbearbeitertätigkeit ausgeübt haben.“

„Das kann Mr Melbrook doch nachprüfen.“

„Natürlich kann er das. Aber ich werde die nötigen Vorkehrungen treffen. Die Geschäftsleitung in London weiß Bescheid, dass wir gewisse interne Probleme zu lösen versuchen und gezwungen sind, auf einen Detektiv zurückzugreifen.“

„Wie soll ich Mr Melbrook weismachen, dass ich bei Delco in London gearbeitet habe, wo ich die Firma gar nicht kenne? Wie soll ich glaubwürdig auftreten, wenn er mir Fragen stellt?“ Jaclyn spürte auf einmal, wie sie ins Schwitzen geriet und war nicht sicher, ob das an der Schwüle des Septembermorgens lag.

Feather öffnete seine schwarze Aktentasche, zog ein Bündel Papiere in Klarsichthüllen hervor und legte sie vor Jaclyn auf den Tisch. „Hier sind ein paar Informationen, die eine Sekretärin von Delco wissen sollte. Meine Sekretärin, Mrs Lansbury, hat früher auch bei Delco in London gearbeitet und kann Ihnen ebenfalls mit so Einigem helfen.“ Er schob Jaclyn eine Videokassette zu. „Und hier ist ein Präsentationsvideo der Aktivitäten unserer Beteiligungsgesellschaft, vorgestellt von Perry Melbrook. Damit Sie schon mal einen ersten Eindruck von Ihrem neuen Chef bekommen. Aber verlassen Sie sich nicht auf diesen Eindruck: Wenn er will, ist Mr Melbrook ein sehr einnehmender Mann mit viel Charisma, das kann man nicht abstreiten. Ich will ihm auch keineswegs seine Führungsqualitäten und sein Gespür für Management absprechen. Ohne das hätte er sich gar nicht so lange in dieser Position behaupten können. Aber nehmen Sie sich vor ihm in Acht: Dieser Mann lächelt Ihnen freundlich ins Gesicht und sticht Ihnen dann ein Messer in den Rücken.“

Das trug nicht gerade dazu bei, Jaclyn zu beruhigen. „Wird ein so gewiefter Geschäftsmann auf so eine Komödie hereinfallen?“, fragte sie zweifelnd. „Und wird er nicht seine eigene Vorstellung für die Vertretung seiner Sekretärin haben? Besonders, wenn er so auf Geheimhaltung bedacht ist, und vor allem, wenn er wirklich Dreck am Stecken hat? Er hat mich schließlich noch nie gesehen. Vertrauen kann man nur langsam erwerben, und bis dahin ist seine Sekretärin wieder genesen.“

„Er kann unmöglich länger als zwei Tage ohne Assistentin auskommen, und intern ist im Moment niemand verfügbar. Er war gestern und heute auf Geschäftsreise und wird froh sein, wenn ihm das Problem so schnell abgenommen wird.“

„Gut, versuchen wir es. Wann soll ich anfangen?“

„Morgen früh. Damit Mr Melbrook gar keine Zeit hat, sich nach einer anderen Vertretung umzusehen.“

„Okay. Ich brauche genaueste Informationen über die Ergebnisse Ihrer Nachforschungen.“ Jaclyn begann, die vor ihr liegenden Unterlagen durchzublättern.

„Die werden Sie sofort von mir bekommen.“ Feather warf einen Blick auf die Uhr. „Ich habe in einer Stunde einen Termin, aber das müsste reichen. Wenn Sie erst einmal offiziell für Melbrook arbeiten, können Sie nicht in mein Büro kommen, das wäre zu auffällig. Wir werden über Mrs Lansbury Kontakt halten. Aber im Sekretariat geht es manchmal wie im Taubenschlag zu, die Abteilungsleiter und einige andere Sekretärinnen gehen ständig ein und aus. Sie müssen vorsichtig sein, wenn Sie mir Informationen zukommen lassen.“

„Selbstverständlich.“

Auch Stacy konsultierte seine Armbanduhr. „Sie brauchen mich sicher nicht mehr“, sagte er. „Ich würde Sie bitten, ins Besprechungszimmer zu gehen, da sind Sie ungestört. Ich werde Ihnen Getränke bringen lassen.“ Mit einem Grinsen fügte er an Jaclyn gewandt hinzu: „Vielleicht sollten Sie das übernehmen, Jaclyn, damit Sie sich schon mal daran gewöhnen.“

Sie schnitt eine Grimasse und nahm die Aktenbündel und die Videokassette an sich. „Gehen wir, Mr Feather.“

3

„Was gibt es Neues in der Chefetage?“, fragte Dominique, als Jaclyn gegen acht Uhr abends nach Hause kam.

Seit seinem Fehltritt vor zwei Wochen verhielt er sich ihr gegenüber sehr aufmerksam und zuvorkommend, doch er konnte nichts daran ändern, dass sie immer noch distanziert war. Die Tatsache, dass Jaclyn ständig gestresst und erschöpft war, seit sie bei Delco arbeitete, trug nicht gerade dazu bei, ihre Beziehung wieder zu verbessern.

Sie stöhnte und schleuderte die hochhackigen Pumps von den Füßen.

„Ich hätte nie gedacht, dass es so anstrengend sein kann, ein Telefon zu bedienen, Termine abzustimmen und Eingangspost zu sortieren. Wenn ich als Detektivin mal untauglich werden sollte, erinnere mich bitte daran, dass ich mich nicht zur Sekretärin umschulen lasse.“

„Und was ist daran so anstrengend?“

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie pingelig und anspruchsvoll diese Direktoren sind. Diese Empfindlichkeiten, Spitzfindigkeiten und die ganze Etikette – dagegen ist das Protokoll der britischen Monarchie ein Klacks! Aber das ginge ja alles noch, wenn ich nicht außerdem noch meinen eigenen Chef ausspionieren müsste.“

„Und hast du schon Beweise gefunden?“

„Indizien, aber keinen konkreten Beweis. Rechnungen, die an Scheinfirmen bezahlt wurden, Überweisungen für Ware, die nie gekauft wurde, und Arbeiten, die nie durchgeführt wurden. Aber es gelingt mir nicht, eine Verbindung zu Melbrook herzustellen. Helen Forster telefoniert andauernd mit Firmen und Banken, die auf diesen Rechnungen stehen, aber der Name Perry Melbrook ist dort nie bekannt.“

„Er wird auch kaum solche Papiere im Büro aufbewahren. Kannst du dich nicht bei ihm zu Hause umsehen?“

„Glaubst du, er vertraut mir seinen Hausschlüssel an?“

„Vielleicht kannst du einen Vorwand finden, dich mal bei ihm umzusehen. Ist er verheiratet?“

„Ja, klar. Geschäftsmänner dieser Größenordnung sind doch immer verheiratet.“

„Und arbeitet seine Frau?“

„Ich glaube nicht. Ich jedenfalls würde nicht arbeiten, wenn mein Mann – schon auf legale Weise – runde siebzigtausend Dollar im Monat verdient.“

„Siebzigtausend Dollar!“, rief Dominique bestürzt.

„Ja. Und das ist nur ein Taschengeld für ihn. Sein Haus, natürlich mit Swimmingpool und Tennisplatz, gehört Delco, und er wohnt dort, ohne Miete zu zahlen. Und der Dienstwagen inklusive Chauffeur steht ihm auch privat zur Verfügung.“

Dominique schüttelte den Kopf. „Ich verstehe nicht, wie Menschen so gierig sein können, dann auch noch Gelder zu unterschlagen.“

„Das ist mir auch zu hoch. Und das sind dieselben Vorgesetzten, die sich schwertun, den Lohn eines Arbeiters oder einer Sekretärin mal um fünfzig Dollar zu erhöhen. Ich habe von Feathers Sekretärin Dinge über die Geschäftsleitung von Delco India erfahren, bei denen mir übel wird. Ich habe den Eindruck, ich sitze in einem Wespennest. Der kaufmännische Leiter, der vor Feather im Amt war, hatte eine Sekretärin, die ein unverschämt hohes Gehalt bezog. Dreimal so viel wie Nancy Lansbury, und die kann sich auch schon nicht beklagen. Dabei hat diese Dame nichts getan, um es zu verdienen. Jede andere mit ihrem Arbeitsstil wäre hinausgeworfen worden. Sie nicht, sie konnte sich alles erlauben. Und willst du wissen, warum?“

Dominique zuckte mit den Schultern. „Das liegt auf der Hand. Sie hatten was miteinander.“

„Nein, das wohl nicht. Aber der Vorgänger von Feather war trotz seines enormen Gehalts ständig pleite, weil er auf zu großem Fuß lebte, und pumpte seine Sekretärin regelmäßig um Geld an. Sie hatte immer welches. Inzwischen sind beide pensioniert, aber da er weiterhin einige spezielle Aufgaben als Berater erfüllt, fallen natürlich Spesen dafür an. Und noch heute muss seine ehemalige Sekretärin seine Spesenrechnungen erledigen – er hat Mrs Lansbury als nicht kompetent dafür erklärt. Dreimal darfst du raten, warum. Und die Buchhaltung rauft sich die Haare. So kann man sich seine Rente auch aufbessern.“

Dominique schüttelte den Kopf. „Es ist wohl Zeit, dass London mal seine Nase da reinsteckt. Und wie ist dein Chef so?“

„Kühl und distanziert. Einigermaßen höflich, aber ziemlich arrogant“, sagte Jaclyn mit einem Schulterzucken. „Hast du was zum Abendessen eingekauft?“

Er strahlte sie an. „Ich habe es sogar schon gekocht! Die erschöpfte Chefsekretärin braucht nur noch ihre Beine unterm Tisch auszustrecken.“

 

***

 

Jaclyn hatte nicht gelogen, als sie Perry Melbrook Dominique gegenüber als kühl und arrogant beschrieben hatte, doch sie hatte ihm wohlweislich die Anziehungskraft verschwiegen, die er trotz dieser Distanziertheit – oder vielleicht auch gerade deswegen – auf sie ausübte.

Perry Melbrook war ein gutaussehender Mann Mitte Fünfzig, schlank und mittelgroß. Von Weitem oder bei öffentlichen Auftritten von geschickten Kameraleuten ausgeleuchtet, ging er für zehn Jahre jünger durch. Doch sein dunkelblondes Haar begann schütter zu werden, und bei Tageslicht sah man, dass seine Haut von einem dichten Netz von Fältchen überzogen wurde. Sein gutgeschnittenes freundliches Gesicht mit den strahlend blauen Augen und den sinnlichen Lippen stand in einem verwirrenden Gegensatz zu seinem kühlen, etwas hochmütigen Auftreten. Zumindest Jaclyn war leicht verwirrt, so oft sich der intensive Blick seiner Augen auf sie richtete. In seiner Gegenwart fühlte sie sich trotz ihrer achtunddreißig Jahre wie ein linkisches Schulmädchen. Sie, deren Auftreten gewöhnlich so selbstsicher war, hatte das Gefühl, in seiner Gegenwart nie das Richtige zu sagen oder zu tun. Er hatte etwas an sich, das sie einschüchterte und zugleich anzog.

Ihr war klar, dass sie etwas tun musste, um die Distanz, die Perry Melbrook wahrte, zu überbrücken, sonst würde sie nie sein Vertrauen gewinnen, geschweige denn einen echten Beweis seiner Schuld erbringen. Und die Zeit drängte. Sie war nun schon über zwei Wochen in der Firma, Miss Borners Genesung machte gute Fortschritte und Mr Feather zeigte erste Anzeichen von Ungeduld.

Jacyln hatte sich ihren Platz in der männerdominierten Welt von Scotland Yard und privaten Ermittlungsdiensten hart erkämpft und es widerstrebte ihr, auf altbewährte, weibliche Tricks zurückgreifen zu müssen, aber es war das Einzige, das ihr nun noch einfiel. Sie begann, kürzere Röcke und figurbetonte, tief ausgeschnittene Shirts und Kleider anzuziehen.

Perry Melbrook schien diese Veränderung nicht zu entgehen. Sein Blick, der von nun an öfter auf ihr verweilte, verriet erstmals Interesse, und sein Verhalten ihr gegenüber lockerte sich.

„Ich möchte Sie um etwas bitten, Jaclyn“, sagte er zu Beginn der vierten Woche. „Ich gebe am kommenden Freitag einen geschäftlichen Empfang bei mir zu Hause. Meine Frau muss jedoch für die Hochzeit einer unserer Nichten nach London fliegen. Würde es Ihnen etwas ausmachen, bei dieser Cocktailparty die Gastgeberin zu spielen? Ich habe natürlich Personal, das sich um alles kümmern wird, aber es wirkt besser, wenn eine elegante Dame dabei ist, die die Gäste empfängt und alles ein wenig koordiniert.“

Jaclyn frohlockte innerlich. Endlich eine Gelegenheit, sich in seinem Haus umsehen zu können. „Wenn Sie es wünschen, kann ich mich für diesen Abend freimachen, Mr Melbrook“, sagte sie mit angemessener Zurückhaltung.

„Ausgezeichnet.“ Sein Blick blieb an dem großen goldgefassten Opal hängen, den sie an einer Kette um den Hals trug. Es war ein prachtvoller blaugrüner Stein, aus dessen Tiefe orangefarbene und gelbe Sprenkel blitzten. Perry Melbrook griff vorsichtig danach und drehte den Anhänger ein wenig, um das Farbenspiel bei Lichteinwirkung zu betrachten. Seine Finger berührten dabei wie unbeabsichtigt Jaclyns Dekolleté.

„Wunderschön“, murmelte er.

Sie hielt den Atem an. Seine leichte Berührung schien ihre Haut zu verbrennen.

„Ein Erbstück meiner Mutter“, erklärte sie.

Er hob den Blick und sah ihr in die Augen. Jaclyn fühlte sich wie elektrisiert. Einen Moment lang glaubte sie, er würde sie küssen. Aber er lächelte nur, ließ den Opal los und ging ohne ein weiteres Wort in sein Büro zurück.

Jaclyn blieb mit glühenden Wangen zurück, atmete tief durch und wünschte, sie könnte eine kalte Dusche nehmen.