Leseprobe Tödliches Erwachen

Kapitel eins

Ich mag viele Dinge. Meinen 1965er Mustang. Burgunderrot mit Black-Pony-Interieur. Captain Rocky’s Surf and Turf, meine Bar, die am Strand von Gulf Shores lag. Das Leben an der Golfküste, wo ich bisher die meiste Zeit verbracht habe. Das ist auch ziemlich cool. Und dann sind da noch die Erinnerungen an ein paar epische Spiele während meiner Karriere als Major-League-Pitcher für die Texas Rangers. Das war ich. Jake Longly. Baseballprofi. Fastballs, die über neunzig Meilen pro Stunde erreichten, und genügend Effet hatten, dass die Schlagmänner sich in den Boden schrauben mussten. Doch das war in einem anderen Leben gewesen, das lange vorbei war. Hinfortgeblasen an einem kalten Abend in Cleveland von einer gerissenen Rotatorenmanschette. Nur wenige Pitcher erholen sich von so etwas. Ich sicher nicht.

Doch ganz oben auf der Liste der Dinge, die ich mochte, stand einer großartigen, fast nackten Frau dabei zuzusehen, wie sie sich auf dem Fußboden herumrollte. Es war eher ein Drehen, Dehnen und Strecken in einer Art Pilates oder Yoga oder so. Ich konnte diese Dinge nicht auseinanderhalten. Aber wie auch immer es heißen mochte, es sah sicher besser aus als Liegestütze im Wechsel mit Strecksprüngen.

Die Frau, um die es ging, war Nicole Jamison. Meine aktuelle Freundin. Ich denke, das war sie. Obwohl wir einander erst wenige Wochen kannten, erschien es mir länger. Als wären wir schon immer zusammen gewesen. Bisschen gruselig. Definitiv nicht normal für mich, denn bisher war es eher eine Aneinanderreihung von One-Night-Stands gewesen. Ja, ich weiß, nicht korrekt, aber wenigstens bin ich damit ehrlich.

Jeder konnte sehen, warum ich mich mit ihr abgab. Ich meine, atemberaubend traf es nicht ganz. Diese blonden Haare, das perfekte Lächeln und diese Augen. Oh ja. Blauer als blau. Tief, lebhaft und intelligent. Und natürlich dieser Körper. Oh mein Gott.

Warum sie mich akzeptierte, war eine komplett andere Geschichte. Ich konnte ein wenig schwierig sein. Meinte sie jedenfalls. Meine Ex-Frau Tammy würde ihr von ganzem Herzen zustimmen und eine Reihe handverlesener Schimpfwörter hinzufügen. Nicht unverdient natürlich, doch unser Experiment einer harmonischen Ehe war vor Jahren zusammengebrochen. Man könnte meinen, dass sie mittlerweile sanft geworden wäre, doch Tammy wurde nicht sanft.

Wahrscheinlich sollte ich mich gemeinsam mit Nicole auf die Matte begeben und dieselben Übungen machen, aber nie im Leben könnte ich meinen Körper in die Positionen bringen, die sie dort einnahm. Nicht jetzt. Und noch nicht einmal, als ich ein junger Baseballprofi gewesen war.

Sie trug einen pfirsichfarbenen Sport-BH und schwarze Shorts, die auf ihre festen Hüften gemalt zu sein schienen. Bei ihr sah alles so einfach aus. Für das Auge zumindest. Meine Güte.

Statt einen dauerhaften Rückenschaden und einen Besuch beim Orthopäden zu riskieren, lümmelte ich auf dem Sofa herum, schlürfte Kaffee und gab vor die Zeitung zu lesen, wobei ich in Wahrheit jede ihrer Bewegungen beobachtete.

„Hör auf mich anzugaffen“, sagte Nicole.

„Angaffen?“

„Gut, sabbern.“ Sie rollte sich auf ihre Schulterblätter und fuhr mit ihren Beinen in einer Geschwindigkeit Fahrrad, dass diese Tour-de-France-Typen neidisch geworden wären. Ein feiner Schweißfilm glänzte auf ihrem perfekten Gesicht.

„Das würde ich niemals tun.“

Sie lächelte. „Das hört sich aber anders an als das, was du letzte Nacht gesagt hast.“

Da hatte sie recht. Die letzte Nacht war gut in den neuen Tag übergegangen. Um zwei Uhr nachts, wenn ich mich richtig erinnere. Natürlich war meine Erinnerung an die letzte Nacht bestenfalls fragwürdig. Wir hatten mit Rum im Captain Rocky’s angefangen, sind dann bei Nicole zu Hause im Whirlpool zu Tequila übergegangen und haben im Bett noch einen Blunt geraucht. Gefolgt von all diesem Sex, der mit Nicole ein sportliches Ereignis war. Mein Hirn war mehr oder weniger Haferbrei. Das konnte sie anrichten. Wenn man all das zusammenzählt, ist klar, dass ich Probleme hatte so früh in Gang zu kommen.

Ich faltete die Zeitung zusammen, legte sie auf den Beistelltisch und massierte mir die Schulter.

„Immer noch steif?“, fragte sie.

„Ein bisschen.“

Es war erst vor einer Woche gewesen, dass wir mitten in der Nacht aus einer Höhe von dreißig Fuß vom Deck der Sea Witch gesprungen waren, der Hundert-Fuß-Megajacht, die dem verstorbenen Victor Borkov gehört hatte. Direkt ins kalte, dunkle, vom Sturm zerwühlte Wasser des Golfs. Wir sind nicht freiwillig gesprungen, so viel steht fest. Aber es war entweder das oder wir wären hineingeworfen worden, und zwar gefesselt an einen massiven Eisenring, der uns in den Schlick gezogen hätte, der sich mehrere hundert Fuß unter jeglicher Frischluft befand. Das war offenbar Borkovs bevorzugte Methode sich derjenigen zu entledigen, die sich ihm entgegenstellten oder ihm einfach missfielen. Wie die Wilbanks-Brüder. Unsere Reise auf den Grund des Golfs wäre Borkovs Killern Joe Zuma und Frank Boyd zu verdanken gewesen. Diese beiden konnten nun auch unter der Kategorie „verstorben“ abgelegt werden. Die drei befanden sich nun beim Leichenbeschauer des Escambia County drüben in der 9th Avenue in Pensacola.

Aus dreißig Fuß auf aufgewühltes Wasser zu treffen ist kein Vergnügen. Ich hatte mir eine Schulter gezerrt und meinen Rücken verrenkt; Nicole hatte sich die Hüfte geprellt und den Hals verstaucht. Unmittelbar danach ist es uns nicht aufgefallen, weil das Adrenalin unsere Gedanken auf unser Überleben gerichtet hatte. Die Schmerzen waren erst am nächsten Tag gekommen. Doch alles in allem haben wir es überstanden.

„Deshalb solltest du mit mir hier unten sein und dich dehnen“, sagte sie. „Arbeite die Schmerzen weg.“

„Mit dir in diesem Outfit könnte das gut zu etwas anderem führen.“

Sie schaukelte sich in eine sitzende Position und rieb ihr Gesicht mit einem Handtuch ab. „Zeit für eine Dusche.“ Sie stand auf. „Komm mit und wir werden sehen, ob etwas anderes passiert.“

Selbst um halb acht morgens klang das nach einem Plan. Mein Hirn mochte Haferbrei sein, aber der Rest von mir funktionierte ganz gut.

Dazu kam es jedoch nicht. Ihr Mobiltelefon klingelte. Sie nahm es vom Küchentresen und meldete sich.

„Onkel Charles?“ Sie runzelte die Stirn. „Ich kann dich kaum hören. Warte kurz.“ Sie durchquerte das Wohnzimmer und ging hinaus auf die Terrasse.

Onkel Charles musste ihr Onkel Charles Balfour sein. Berühmter Filmproduzent, Regisseur und was sonst noch so ganz oben auf der Liste stand. Ein Regiment von Oscars und eine Armee weiterer Auszeichnungen.

„Jetzt ist es besser“, sagte sie und kickte die Terrassentür zu.

Ich ging in die Küche, füllte meinen Kaffeebecher auf, lehnte mich gegen den Tresen und sah ihr dabei zu, wie sie mit dem Telefon am einen Ohr und ihrem Finger im anderen auf und ab lief. Dieses Haus gehörte Onkel Charles. Ein massiver Pfahlbau auf dem Sand von The Point, einem Reichenviertel in Perdido Beach an der Golfküste von Alabama. Ich wusste, dass er sich an einem fernen Ort in Europa aufhielt und einen Film mit riesigem Budget drehte. Ich nahm an, dass sie ihn deshalb so schlecht verstehen konnte.

In den nächsten Minuten sah ich ihr zu. Ihre Miene und ihre Körpersprache sprangen zwischen Sorge und Schock hin und her. War ihm etwas passiert?

Als sie wieder hereinkam, sagte sie einfach: „Los, komm.“

„Wohin?“

„Zu Ray.“

Ray war Ray Longly. Mein Vater. Longly Investigations. Die Privatdetektei, die Ray von seinem Zuhause in Gulf Shores aus führte. Nicht weit vom Captain Rocky’s und meinem eigenen Haus entfernt.

„Warum?“

„Ich habe einen Auftrag für uns“, sagte Nicole.

„Einen Auftrag? Für uns?“

„Nun, eigentlich für Ray. Aber, ja, für uns.“

„Wir arbeiten nicht für Ray“, sagte ich.

„Sicher tun wir das. Ich habe meinen Dienstausweis noch, den Pancake für mich gemacht hat. Das macht es offiziell.“

Meine Güte.

„Okay, Mata Hari, worum geht es bei dem Auftrag?“, fragte ich.

„Kirk Ford.“

„Der Schauspieler?“

„Der megareiche Schauspieler, der ganz oben auf jeder Liste steht.“

„Was hat der alte Kirk ausgefressen?“

„Wurde wegen Mordes verhaftet. Offenbar wurde ein Mädchen aus der Gegend heute Morgen erwürgt in seinem Bett gefunden.“

„Ich hasse es wirklich, wenn das passiert.“

„Sein kein Klugscheißer und beeil dich.“

Kapitel zwei

Das Duschen war nicht annähernd so spaßig wie es hätte sein können. Ich hoffte auf „etwas anderes“, aber Nicole war zu beschäftigt. Mehr als einmal schlug sie meine Hände fort. Zumindest ließ sie mich ihren Rücken waschen.

Wir zogen uns also an, stiegen in ihren neuen Mercedes SL und machten uns auf den Weg. Für Nicole bedeutete „sich auf den Weg machen“ mit Warp-Geschwindigkeit aus dem Wohngebiet und auf den Highway zu schießen, sehr zum Missvergnügen anderer Fahrer. Hupen und ausgestreckte Mittelfinger begleiteten uns.

Ihr alter SL, den Victor Borkovs Schläger Zuma und Boyd mit ihrem riesigen SUV geschrottet hatten, war rot gewesen; dieser hier, der Ersatz, den sie von ihrer Versicherung bekommen hatte, war weiß mit einem gesetzten, hellgrauen Interieur.

Ich hoffte, dass die weniger aggressive Farbe sie beruhigen würde. Ein Traum, der zum Scheitern verdammt war. Nicole hatte nur eine Geschwindigkeit.

Trotzdem überlebten wir die Fahrt.

Als wir auf den Parkplatz fuhren, sah ich Rays schwarzen Pick-up unter den Stützpfeilern stehen. Nicole stellte den Wagen ab. Wir stiegen die Außentreppe in den ersten Stock hinauf. Wie üblich saß Ray an seinem Terrassentisch unter dem Sonnenschirm und hatte seinen Laptop, das Telefon und eine Mountain-Dew-Limonade in Reichweite.

„Was führt euch beide so früh hierher?“, fragte er.

„Ich habe einen Fall für uns“, sagte Nicole.

„Uns?“, fragte Ray.

„Du weißt schon – du, ich, Jake.“

„Ah, dieses ‚uns‘.“ Ray sah mich an und dann wieder Nicole. „Ihr arbeitet also noch für Longly Investigations?“

Nicole: „Ja.“

Ich: „Nein.“

Nicole ignorierte mich. „Ja, das tun wir. Ich habe sogar meinen Dienstausweis dabei.“ Sie zog ihn aus der Gesäßtasche ihrer Jeans und hielt ihn hoch.

„Schwer zu widerlegendes Argument“, sagte Ray.

Nein, überhaupt nicht, dachte ich. Und wollte gerade genau das sagen, aber Ray fuhr bereits fort. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah mich an. „Bist du dabei?“

„Ja, ist er“, sagte Nicole.

Ich nahm an, dass mir in diesem Familienstück keine Sprechrolle zugefallen war.

„Er wird mir folgen, wo immer ich auch hingehe“, fügte sie hinzu.

Würde ich das? Natürlich würde ich.

Ray lachte. „Ich schätze, das stimmt wohl.“

Ich wollte eine scharfsinnige Antwort geben, doch mir fiel keine ein.

„Also, worum geht’s?“, fragte Ray. „Hast du deine Brieftasche verloren?“

Sie sah zuerst ihn und dann mich böse an.

Mich? Ich habe gar nichts gesagt. Und da Ray und ich nur selten einer Meinung waren, konnte ich keine Schuld wegen Verbrüderung tragen. Oder? Offenbar schon. Nicole schüttelte den Kopf. „Der Apfel fällt nicht weit vom Baum. Ihr seid beide Blödmänner.“

Ray lachte. „Sorry. Ich konnte nicht widerstehen.“ Er nahm einen Schluck Limonade.

„Also, erzähl schon.“

Nicole setzte sich in den Stuhl Ray gegenüber. „Kirk Ford ist heute Morgen wegen Mordes verhaftet worden.“

„Der Schauspieler?“

Sie nickte. „Er ist in New Orleans und dreht gerade seinen neuesten Space-Quest-Film. Mein Onkel, Charles Balfour, ist einer der Produzenten dieser Reihe. Er rief mich an und bat mich, mir das einmal anzusehen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Eigentlich bat er mich dich zu bitten dir das einmal anzusehen.“

Ray starrte sie einen Augenblick lang an. „Woher kennt er mich?“

„Ich habe ihm von dir erzählt“, sagte sie. „Wegen dieser ganzen Borkov-Sache und wie du uns aus dem Golf gerettet hast.“

„Ich dachte, das sei ich gewesen“, sagte ich.

Sie tätschelte lächelnd meinen Arm. „Du auch.“

„Warum tut dein Onkel das nicht selbst?“, fragte Ray.

„Er ist immer noch in Europa. In der Nähe von Paris. Dreht dort einen anderen Film.“

Ray breitete seine Hände auf dem Tisch aus. „Was wisst ihr bis jetzt?“

„Sieht so aus, als hätte sich Kirk mit einem Mädchen aus der Gegend eingelassen. Heute Morgen lag sie tot in seinem Bett. Onkel Charles sagt, dass die Polizei meint, sie sei erdrosselt worden.“

„Macht er daraus jetzt eine Gewohnheit?“

Nicole starrte ihn an. „Woraus? Frauen zu erdrosseln?“

„Nein“, sagte Ray. „Mädchen aus der Gegend aufzureißen, wenn er irgendwo ist.“

„Er ist Schauspieler. Die tun das nun mal.“

„So lese ich es in den Schlagzeilen im Laden.“ Ray leerte die Mountain-Dew-Dose und zerquetschte sie in seiner Hand, bevor er sie in den nächsten Mülleimer warf.

„Aber Kirk? Macht er das oft?“

Nicole nickte. „Er ist ein Frauenheld, sagt man. Hat einen Haufen gebrochene Herzen in seinem Fahrwasser.“

„Du kennst ihn also?“

„Seit vielen Jahren.“

„Und?“

„Er ist eigentlich ein netter Kerl. Er vögelt herum, ohne Zweifel, aber er ist dabei nicht böswillig. Zumindest denke ich das.“

„Sonst noch irgendwas?“, fragte Ray.

Sie schüttelte den Kopf. „Das ist alles, was ich weiß.“

„Ich nehme an, dass dein Onkel unser Auftraggeber ist?“

Nicole nickte.

„Ist die Polizei nicht an dem Fall dran?“

„Onkel Charles vertraut ihnen nicht. Zumindest nicht, wenn es darum geht, eine schnelle und sorgfältige Ermittlung zu führen. Der Fokus liegt auf schnell.“ Sie warf ihr Haar über ihre Schulter zurück. „Ein Filmdreh an einem Ort außerhalb des Studios kann schnell Millionen verbrennen. Wenn Kirk eingesperrt wird, muss die Produktion angehalten werden, bis er wieder herauskommt.“

„Dein Onkel Charles, kennt er unser Honorar?“

„Ja. Er sagt, er zahlt das Dreifache. Wenn nötig mehr.“

„Das gefällt mir.“ Ray hob eine Augenbraue. „Aber reagiert er nicht ein wenig über?“

Nicole stützte ihre Ellbogen auf den Tisch. „Weißt du, wer Kirk Ford ist?“

„Ja, er ist ein Schauspieler, der irgendwelche albernen Weltraumfilme macht.“

Sie schüttelte den Kopf. „Albern? Die Space-Quest-Reihe hat bisher fast zwei Milliarden Dollar eingespielt.“

Ray pfiff durch die Zähne. „Das ist ein Haufen Geld.“

„Er dreht gerade den sechsten Film. Es soll der größte und beste werden. Aber wenn Kirk von der Bildfläche verschwindet – Wortspiel nicht beabsichtigt – fällt das ganze Ding in sich zusammen.“

Ray massierte seinen Nacken. „Okay, warum fahrt ihr zwei nicht rüber nach New Orleans. Schaut euch um. Ich rufe Pancake an und wir wühlen ein bisschen herum.“

Sie stand auf. „Wir sind dran.“

Dran? Sie klang sogar wie eine Privatermittlerin.

Ray sah mich an. „Wollt ihr fliegen oder fahren?“

Fliegen kam mir in den Sinn, aber bevor ich es sagen konnte, sprach Nicole.

„Fahren“, sagte sie. „Dann sind wir schneller da.“

Oh Gott. Ich sah Geschwindigkeit und Angst in meiner Zukunft. Vielleicht ein Herzstillstand. Was mich zu einem weiteren Punkt führte. Warum setzte ich mich immer wieder ihrem Fahrstil aus? Ich sah sie an. Enge Jeans, Trägertop, wunderbare feste Bauchmuskeln. Nun, deshalb.

„Ich buche euch irgendwo ein Zimmer“, sagte Ray.

„Schon erledigt. Onkel Charles hat Marty Ebersole angerufen. Er ist der Regisseur. Wir haben eine Suite im Monteleone. Und Onkel Charles kommt, sobald er einen Flieger erwischt.“

Ray nahm den Telefonhörer auf. „Dann fahr los. Ich rufe Pancake an.“

„In Ordnung“, sagte sie.

„Und seid vorsichtig“, fügte Ray hinzu. „Ich habe auf der Seite des Wetterkanals gesehen, dass in New Orleans ein Sturm wütet, der auf dem Weg hierher ist.“

Ausgezeichnet. Nasse Straßen und Nicole im Rennfahrermodus.

Kapitel drei

Wir brauchten zwei Stunden, um allein aus Gulf Shores herauszukommen. Unser erster Halt war das Captain Rocky’s. Ich sprach mit Carla Martinez, meiner Managerin, und sagte ihr, dass ich ein paar Tage fort sein und sie die Verantwortung übernehmen würde.

Ihre Antwort: „Ich habe immer die Verantwortung. Dir gehört der Laden nur.“

Und sie hatte recht. Sie leitete den alltäglichen Betrieb. Aber ich könnte es selbst tun, wenn nötig. Doch das würde meine Freizeit beschneiden. Und Freizeit war wichtig. Natürlich sah Ray das anders. Für ihn war Freizeit verschwendete Zeit. Er hielt es sogar für unsinnig, dass ich eine Bar besaß. Er meinte, ich sollte mich ihm anschließen und Privatermittler sein. Ja, als wenn das je passieren würde.

Doch während Carla mir einen Abriss über die Einnahmen und Ausgaben sowie die Essens- und Getränkebestellungen der letzten Woche gab und während ich nickte, als würde ich tatsächlich zuhören, dämmerte mir, dass Ray mich einmal mehr in seinen Dunstkreis gezogen hatte. Hier war ich, auf dem Weg nach New Orleans. Um für Ray zu arbeiten. Wie zur Hölle war das passiert?

Dann warf ich Nicole einen Blick zu. Durch die Fenster. Sie war auf der Terrasse, lehnte sich ans Geländer und starrte auf den Golf hinaus. Das erklärte alles. Ich meine, man musste sie sich nur ansehen.

Ich ließ in der Küche ein paar Burritos zum Frühstück und eine Thermoskanne Kaffee einpacken. Dann fuhren wir zuerst zu mir und dann zu Nicole nach Hause, um ein paar Sachen zu holen. Ich brauchte zwanzig Minuten; Nicole zehn. Ich habe nie eine Frau so schnell und effizient packen sehen.

Wir rasten aus The Point heraus und schossen zwanzig Minuten später auf der I-10 nach Westen. Warp-Faktor 4. Nicole ließ die 429 Pferde unter der Haube arbeiten. Ich klammerte mich fest und hielt die Klappe. Für eine Weile zumindest.

„Was gibt es zu Kirk Ford noch zu sagen?“, fragte ich, als wir durch ein ländliches Gebiet fuhren. Es hatte zu nieseln begonnen und der Horizont sah dunkel und bedrohlich aus. Wunderbar.

„Nur, was ich gesagt habe. Er ist eine große Nummer. Bringt dem Studio einen Haufen Geld.“

„Durch diese Filmreihe.“

„Richtig. Die Space-Quest-Reihe beginnt mit Verborgene Welt. Darin geht es um einen verborgenen Planeten, der einen Krieg mit einem Nachbarn anzettelt.“

„Ich hasse es, wenn das passiert.“

„Es hat über dreihundert Millionen gebracht.“

„Ich schätze, es bringt einen Haufen Geld verborgene Planeten zu erobern.“

„Kirk und seine Mannschaft sind dort gelandet und haben alle gerettet. In allen anderen Episoden ebenso.“ Sie flog an einem Konvoi aus fünf Sattelschleppern vorbei.

„Irgendwie habe ich es verpasst sie mir anzusehen“, sagte ich.

„Du gehörst auch nicht zur Zielgruppe. Bei den Highschool- und College-Kids ist es sehr beliebt. Sehr treue Fangemeinde.“

„Das könnte eine Rolle spielen. Ob er schuldig ist oder nicht, meine ich.“

„Das ist natürlich Onkel Charles’ Sorge. Er hat viel Geld in dieses Projekt investiert.“

„Worum geht es in der aktuellen Folge?“, fragte ich. „Kleine grüne Männchen, die den Palast des Kommandanten angreifen?“

Sie lachte. „Nein. Es heißt Sumpfkrieg. Deshalb sind sie in New Orleans. Dort haben sie einen Haufen Sümpfe zur Auswahl.“

„Also, wie gut kennst du ihn genau? Kirk Ford?“

„Wir sind ein paarmal zusammen ausgegangen.“

„Und?“

„Und was?“ Sie sah mich an.

„Wart ihr zwei ein Paar?“

Sie lachte. „Niemals. Natürlich haben die Klatschblätter versucht es so darzustellen. Selbst das People-Magazin hat ein Foto von uns beiden abgedruckt, als wir auf dem roten Teppich standen.“

„Bei der Oscarverleihung?“

„Nein, bei einer kleineren Auszeichnung. Ich weiß nicht mehr, welche.“ Sie hob eine Braue. „Eifersüchtig?“

„Er ist ein verdammter Superstar.“

„Genau wie du.“ Sie lachte.

„Ich hasse ihn trotzdem.“

„Du kennst ihn nicht einmal.“

„Na und? Ich kann ihn trotzdem hassen. Wir leben in einem freien Land.“

Sie verdrehte die Augen. Ich wünschte, sie täte das nicht, während sie mit fünfundachtzig Meilen pro Stunde auf einem regennassen Highway dahinraste.

„Zwischen uns stimmte die Chemie nicht“, sagte sie. „Er ist ein netter Kerl, aber zu hübsch.“

„Hübsch? Ich bin nicht sicher, dass das ein angemessenes Wort für einen Kerl ist.“

„Für ihn schon. Er ist eher hübsch als gut aussehend.“ Sie überholte einen weiteren Laster. „Und kein Mädchen möchte einen Freund haben, der hübscher ist als sie.“

„In deinem Fall nicht möglich.“

„Versuchst du für die Suite später Punkte zu sammeln?“

„Es schadet nie vorauszuplanen.“

„Du bist so ein guter Pfadfinder.“

„Darauf wollte ich hinaus.“

Sie schüttelte ihren Kopf. „Falls du es vergessen hast, ich bin unkompliziert.“

„Dabei möchte ich es auch belassen.“

„Natürlich willst du das.“ In schneller Folge zog sie an einer Corvette, einem Lexus und einem aufgemotzten SUV vorbei.

„Du sagtest, Ford ist ein netter Kerl?“

„Ja. Das ist er.“

„Nett genug, um seine Geliebte zu töten?“

„Nicht der Kirk, den ich kenne.“ Sie seufzte. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das getan hat.“

„Liebe und Sex verleiten Menschen zu schrecklichen Dingen.“

Sie nickte. „Stimmt.“

Irgendwie verpasste ich Mississippi. Den gesamten Staat. Schien nur ein paar Herzschläge zu dauern, oder in meinem Fall ein paar Millionen davon, den Staat zu durchqueren und nach Louisiana zu gelangen. Als wir an der Ausfahrt nach Slidell vorbeiflogen und auf den Sturm zujagten, trieb Nicole die Pferde weiter an. Schnell waren wir draußen über dem See Pontchartrain, wo der Wind das Wasser zu Schaum aufschlug und ein paar der Wellen sahen aus, als würden sie gleich über die Straße schwappen. Regen stürzte aus einem niedrigen Winkel auf die Windschutzscheibe und die Scheibenwischer wurden kaum damit fertig. Nicole störte das nicht. Sie fuhr mit einer Hand am Steuer, während die andere mit einer Strähne ihres Haares in der Nähe ihres linken Ohrs spielte. Ich hätte es lieber gesehen, wenn sie beide Hände am Steuer gehabt hätte, auf zehn und zwei Uhr natürlich, war aber schlau genug, um in diesem Punkt meinen Mund zu halten.

Der Sturm war mächtig aber kurzlebig. Als wir ins French Quarter abfuhren, war der Regen zu einem Nieseln geworden. Im Westen konnte ich sogar Stücke blauen Himmels sehen.

Ein paar Kurven, Abbiegungen und wütende Fahrer später kam Nicole schlitternd vor dem Monteleone zum Stehen. Das Gebäude war weiß mit goldenen Dekorationen und lauter Schnörkeln auf der Fassade. Sehr französisch. Sehr wie eine Hochzeitstorte. Ist das ein guter Vergleich? Egal, es ist eine gute Beschreibung.

Ein Diener und zwei ordentlich gekleidete Pagen erschienen. Der Diener stieg in den Mercedes und fuhr ihn um die Ecke auf die Tiefgarage zu, während unser Gepäck auf einem Rollwagen durch die Eingangstür gefahren wurde. Wir folgten.

Drinnen sah die Hochzeitstorte auch ziemlich cool aus. Die Lobby des Monteleone erschien eher wie die eines Palastes an der Côte d’Azur. Gewölbte Decken, Kronleuchter, Parkettboden. Hinter dem Empfangstresen stand eine attraktive junge Dame, deren Namensschild sie als Katrina auswies. Nicht wie der Hurrikan, nicht windzerzaust oder deplatziert. Auch sie war ordentlich gekleidet und lächelte uns einladend an.

Sie brauchte eine Minute, um uns zu erzählen, dass unsere Suite fertig war, und weitere fünf Minuten, bis ein Page die Tür zu unserem Zimmer öffnete. Auch dieses gehörte in einen französischen Palast. Onkel Charles hatte sich Mühe gegeben. Sehr große Mühe.

Während wir auspackten, rief Nicole Marty Ebersole an. Er sagte, er würde uns in dreißig Minuten an der Bar treffen. Nicht lange genug für ein Nickerchen, eine Dusche oder „etwas anderes“, also beschlossen wir, schon früher hinunterzugehen. Ein Drink oder zwei konnten nur helfen, oder?