Leseprobe Tödliche Ufer

1

Sie hatten es schon einmal versucht. Vor vier Jahren. Damals, nach ihrer Hochzeit, waren sie mit einem gemieteten Wohnmobil die Ostsee entlanggefahren. Von Warnemünde bis Usedom. Auf dem Rückweg hatten sie die Küste verlassen. Jan wollte unbedingt einen Abstecher zur Mecklenburgischen Seenplatte machen. Außerdem hatte er im Internet von den Steinkreisen gelesen. Der Boitiner Steintanz. Sie waren im Dorf Boitin losmarschiert, hatten jedoch eine Abzweigung verpasst. Als sie merkten, dass irgendetwas nicht stimmte, war es zu spät geworden. Sie mussten einen Stellplatz finden, solange es hell genug war, und hatten aufgegeben.

„Glaubst du, dass wir diesmal richtig sind?“ Jan hatte den Wagen in einer Ausbuchtung am Waldrand hinter Tarnow abgestellt.

Sina griff nach der Wanderkarte und drehte sie auf den Kopf. „Also, wenn ich das richtig sehe, müssen wir diesen Weg drei Kilometer geradeaus gehen, dann liegen die Steinkreise rechts und links der Strecke.“

Jan stieg aus und ließ die Hunde aus dem Kofferraum, bevor er sie breit angrinste. „Na, dann wollen wir mal sehen, ob du uns diesmal wieder in die Irre führst.“

Sina schnappte nach Luft, während sie sich den Rucksack auf den Rücken hievte und ihrem Mann einen vorwurfsvollen Blick zuwarf. „Was soll das denn heißen? Wer wollte damals unbedingt diesen Weg gehen?“

Jan lachte laut auf. „Schon gut, ich ärgere dich nur ein bisschen.“

Sina musste ebenfalls lachen. „Schuft!“

Jan pfiff die Hunde zurück, die die ersten Meter des Waldwegs auf eigene Faust erkundet hatten. Balu kehrte sofort zu seinem Herrchen zurück. Asha blieb zögernd stehen und schaute sich unsicher um. Schließlich machte sie kehrt, entschied sich aber wie gewöhnlich für Sina. Im Gegensatz zum schokobraunen Labradorrüden Balu, den sie vor dreieinhalb Jahren als Welpen bei einem Züchter erstanden hatten, kam Asha aus dem Tierheim. Die zierliche weiße Mischlingshündin musste in ihrem früheren Leben einiges ertragen haben, was ihr Vertrauen in Menschen zutiefst erschüttert hatte. Mit viel Geduld hatte Sina sie für sich gewonnen, doch anderen gegenüber blieb sie skeptisch. Jan bildete da keine Ausnahme. Lediglich der ewig gut gelaunte Balu verstand es, seine heiß geliebte Freundin hin und wieder ihre Unsicherheit vergessen zu lassen. Und auch jetzt tapste sie dem gemütlichen Riesen hinterher, nachdem Jan das Kommando zum Rumstreunen gegeben und Asha sich bei Sina vergewissert hatte, dass dies ebenso für sie galt. Ein paar Meter abseits des Pfads war ein Gedenkstein für Emil Jürgensen errichtet worden, einen Förster, der Ende des neunzehnten Jahrhunderts die Steinkreise rekonstruiert hatte. Sie kamen gerade von dort zurück, als Sina den Pritschenwagen bemerkte, der ihnen folgte. Unsicher fixierte sie die beiden Männer in dem Fahrzeug.

„Was ist?“ Jan folgte ihrem Blick.

„Die fahren uns schon eine ganze Weile hinterher.“ Sinas Ton verriet, dass ihr der Wagen mit den zwei Gestalten nicht gefiel.

„Vermutlich Waldarbeiter, die irgendetwas zu erledigen haben.“ Jan drehte sich um und setzte seinen Weg fort.

Sina musste sich beeilen, um mitzuhalten. Die Hunde liefen ein ganzes Stück voraus. „Sie fahren Schritttempo …“

Jan schaute sie mit diesem hochmütigen Lächeln an, das sie so an ihm hasste. „Ja und? Sollen sie durch den Wald rasen? Würde es dir besser gefallen, wenn sie unsere Hunde anfahren?“

„Nein, natürlich nicht.“ Sina war ungehalten. „Aber ich habe kein gutes Gefühl …“ Sie drehte sich noch einmal um und sah, wie der Wagen nach rechts in einen Weg abbog und verschwand. Nun kam sie sich albern vor. War sie wirklich so übertrieben ängstlich, wie Jan immer behauptete? Früher hatte sie geglaubt, dass sie untrügliche Instinkte besäße. In letzter Zeit kamen ihr Zweifel.

„Und, sind sie weg?“ Jan schaute sie von der Seite an, ohne sich die Mühe zu machen, den Blick nach hinten zu richten.

„Ja“, sagte sie kleinlaut. „Nach rechts abgebogen.“

Jan schwieg, doch sie spürte, wie er in sich hinein grinste.

Es war nicht mehr weit bis zu den Steinkreisen. Vier sollten es sein. Allerdings entdeckten sie nur drei. Zwei dicht beieinander liegend rechts und einen links des Wegs. Sie waren nicht besonders groß. Kein Vergleich zu dem, was sie schon unzählige Male in Schottland vorgefunden hatten. Darauf kam es jedoch nicht an. Die Steine markierten Energiepunkte, deren Kraft man spüren konnte, war man bereit, sich darauf einzulassen. Sina war bereit. Fast eine Stunde wanderte sie über den feuchten Waldboden zwischen den Steinen umher, berührte jeden mit geschlossenen Augen.

Schließlich sah sie sich um. „Laut Karte müsste es einen vierten Kreis geben. Er kann nicht weit weg sein.“

„Mag sein, nur hier ist kein Weg. Und du glaubst nicht ernsthaft, dass ich mit dir durch den Wald stapfe und mich womöglich verirre, hm? Außerdem sieht es schwer nach Regen aus.“

Sina konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen, auch wenn Jan recht hatte. Es war zwar außergewöhnlich warm für Juni – letzte Woche war das Thermometer fast auf 30 Grad geklettert –, es hatte in den letzten Tagen aber wie aus Eimern gegossen. Der Waldboden würde ziemlich aufgeweicht sein, und selbst sie hatte keine Lust, sich im Schlamm zu verlaufen, wasserfeste Wanderschuhe hin oder her.

„Gut, dann lass uns zurück zum Auto gehen.“ Sie hatte sich schon umgewandt, als der Mann wie aus dem Nichts neben ihr stand. Erschrocken fuhr sie zusammen.

„Oh, ich habe Sie erschreckt. Das wollte ich nicht.“ Sein Grinsen strafte ihn Lügen.

Der Mann war nicht allzu groß, dafür kräftig. Er trug ein kariertes Hemd und eine dunkelgrüne Latzhose. Das Haar war dunkel und schütter, sein Gesicht so nichtssagend, dass sie es vermutlich schon morgen nicht mehr wiedererkennen würde, wäre sein Blick nicht so ungeheuer gleichgültig gewesen. Er ist ein Mensch ohne Mitleid, wurde Sina im Bruchteil einer Sekunde klar. Ihr lief ein Schauder über den Rücken. Sie hätte schwören können, dass er einer der Kerle aus dem Wagen war. Sie schaute sich um, konnte den zweiten Mann jedoch nirgends entdecken. Stattdessen kam Balu angerannt und schnüffelte neugierig am Hosenbein des Fremden. Asha blieb zurück und knurrte leise vor sich hin, ohne den Mann eine Sekunde aus den Augen zu lassen.

Jan war aufmerksam geworden und schloss zu ihnen auf.

Gut, dachte Sina, das Rudel hat sich versammelt. Selbst wenn der andere Typ irgendwo herumstreifte, waren sie keine leichten Opfer. Jan war zwar schlank, aber groß und konnte unglaublich wütend werden. Sie hatte bereits mehrfach erlebt, wie allein die Macht seines Zorns erwachsene Menschen völlig aus der Bahn geworfen hatte. Sie hatte mehrere Kurse in Selbstverteidigung absolviert, und obwohl ihre Tai-Chi-Kenntnisse nach zwei Jahren Training nicht allzu ausgeprägt waren, hatte sie zumindest gelernt, ihre Kraft optimal einzusetzen. Ihre Lage war also nicht schlecht. Das ungute Gefühl blieb.

„Ist alles in Ordnung?“ Jan schaute sie prüfend an. Falls der Typ sie bedrängt hätte, würde er nicht lange fackeln.

Das Grinsen im Gesicht des Fremden wurde breiter und offenbarte eine Reihe schiefer, vom Nikotin gelb gefärbter Zähne. Die blassgrünen Augen blieben kalt. „Kein Problem, Mann. Wollte Ihrer Frau gerade erklären, dass es noch ’nen weiteren Steinkreis gibt. Da drüben im Wald. Is nicht leicht zu finden, dafür is er größer als die.“ Er hatte zuerst in den Wald zu ihrer Linken und anschließend auf die Kreise gezeigt, die sie schon gesehen hatten.

Jan musterte den Mann. „Ja, das haben wir gelesen.“ Er wies auf eine der hölzernen Tafeln am Wegrand. „Wir hatten aber Angst, dass wir ihn nicht finden und im Wald herumirren.“

„Ach, das is kein Problem. Ich kann Sie hinbringen. Is nur ein paar Minuten von hier.“ Der Mann hatte die Hände in die Hosentaschen geschoben und schenkte Jan einen Blick, den man für Freundlichkeit hätte halten können.

„Das ist wirklich nett von Ihnen“, sagte Jan prompt. „Meine Frau war schon ganz traurig, dass sie auf den vierten Kreis verzichten sollte, nicht wahr, Schatz?“ Er lächelte Sina an.

Ihr wurde übel. Sie kannte diesen Ausdruck in seinem Gesicht. Er spürte ihre Unsicherheit – und genau deshalb würde er mit dem Fremden in den Wald gehen. Es war eine seiner schrecklichsten Angewohnheiten, dass er sich hin und wieder als ihren Therapeuten betrachtete. Was immer sie nicht mochte, er bemühte sich rechtschaffen, es in ihr Leben zu bringen. Er drängte sie ständig, Fisch oder Muscheln zu essen, obwohl er genau wusste, dass sie alles verabscheute, was aus dem Meer kam. Er glaubte fest daran, dass das beste Mittel gegen ihre Höhenangst ein Jahresticket für die Achterbahn wäre. Und er würde sie auch in diese Situation zwingen, weil er davon überzeugt war, dass es heilsam wäre, sie mit der Lächerlichkeit ihres Misstrauens zu konfrontieren.

„Du warst zu lange mit diesem paranoiden Polizisten zusammen. Das hat dir nicht gutgetan“, war seine Standarderklärung, und manchmal fragte Sina sich, ob es ihm wirklich darum ging, ihr zu helfen, oder ob er sich auf diese Weise lediglich von seinem Vorgänger und vermeintlichen Konkurrenten abheben wollte.

„Nein, ich möchte zurück zum Auto. Es ist spät …“ Sie bemühte sich, gelassen zu wirken.

„Ach Unsinn. Du bist ganz verrückt nach diesen Steinkreisen. Hunderte von Kilometern sind wir gefahren, um diese magischen Orte zu finden. Wir glauben nämlich fest daran, dass es an diesen Plätzen eine besondere Energie gibt, müssen Sie wissen.“ Er wandte sich von dem Fremden ab. „Los, Schatz, dafür brauchen wir uns nicht zu schämen.“

Sina hätte ihn umbringen können.

„Na, dann dürfen Sie sich den vierten Steintanz nicht entgehen lassen“, entgegnete der Fremde und sah zu Sina, wobei er sich vergeblich bemühte, gewinnend zu lächeln. „Er is viel größer als diese Kümmerlinge.“

Sinas Magen zog sich zusammen. Sie hätte heulen können. Asha begann zu winseln, was ihr einen verständnislosen Blick von Balu einbrachte, der grundsätzlich alle Menschen mochte.

„Also, was ist jetzt? Ich gehe auf jeden Fall mit dem freundlichen Mann. Kommst du mit, oder wartest du lieber, bis wir zurück sind?“ Jan schaute sie provozierend an.

Am liebsten hätte Sina ihm ins Gesicht geschlagen. Dann gab sie sich einen Ruck. Er war manchmal ein richtiges Arschloch. Aber sie würde ihn nicht mit diesem Kerl allein lassen. Gemeinsam hatten sie deutlich bessere Karten, unbeschadet aus der Nummer herauszukommen. Und was sollte schon passieren? Ihre Papiere und das meiste Geld hatten sie im Ferienhaus gelassen. Im schlimmsten Fall müssten sie zu Fuß bis zum nächsten Ort laufen, weil die Kerle ihnen ihr Auto weggenommen hätten.

Sie kniff die Augen zusammen und blitzte ihren Mann wütend an. „Ich komme mit.“

Er nahm sie in den Arm und strahlte. „Na, siehst du, geht doch.“

Anfangs blieben sie hinter ihrem Führer zurück. Es ist noch nicht zu spät, wir könnten einfach umkehren. Ein Seitenblick zeigte Sina, dass Jan sich darauf niemals einlassen würde.

Als habe er ihre Gedanken erraten, drehte er sich zu ihr und lächelte. „Du wirst sehen, das wird ein tolles Abenteuer. Und es wird uns rein gar nichts passieren.“

„Kannst du nicht einmal auf mein Bauchgefühl hören?“

Jan lachte laut auf. „Wenn ich das tun würde, dann würden wir uns in ein Mauseloch verkriechen und nie wieder rauskommen. Sieh ein, dass du voller neurotischer Ängste steckst und es meine Aufgabe ist, dich davon zu heilen.“

Es sollte ein Scherz sein. Sina wusste allerdings zu gut, dass Jan den Kern seiner Aussage ernst meinte. Sie war wütend. Und verzweifelt. Wie konnte er nur so blind sein? Dieser verdammte Sturkopf.

„Ah, da ist ja meine kleine Zicke. Die hat mir schon richtig gefehlt.“

Jan zog die übliche Nummer ab, und Sina war klar, dass sie die Sache nun mit jedem Satz schlimmer machen würde. Also schwieg sie.

Nach einer Weile beschleunigte Jan seine Schritte und gesellte sich zu ihrem Führer, der stumm vor ihnen her durch den feuchten Wald stapfte und ihren Streit scheinbar nicht zu Kenntnis genommen hatte. Betont forsch fragte Jan den Mann aus. Sina wusste, dass er ihr damit signalisieren wollte, die Situation im Griff zu haben – egal, was ihr unsympathischer Begleiter womöglich im Schilde führte. Sie hörte weg und überließ sich ihren düsteren Grübeleien.

Manchmal fragte sie sich, wieso dieser sensible und liebevolle Mann eine solch unerträglich ignorante Seite haben musste. Vielleicht wollte er auf diese Weise ihre Liebe testen. Tatsächlich war es Sina in den ersten Jahren ihrer Beziehung manchmal schwer gefallen zu bleiben. Putzte er sie runter, machte sie klein, behandelte sie wie ein dummes Kind, fiel es ihr noch heute schwer, an seine Liebe zu glauben. In diesen Momenten wusste sie, dass er sie liebte, doch sie spürte es nicht. Der Impuls, die Koffer zu packen und vor ihm bis ans andere Ende der Welt zu flüchten, war manchmal übermächtig gewesen. Sie war jedoch geblieben und hatte gelernt, ihn in seiner Welt zu sehen. Gerade das, was Sina so tief verletzte, war seine Art, Fürsorge auszudrücken. Er übernahm Verantwortung – für sie, ihr Leben, ihre Seele. Unzählige Male hatten sie darüber gesprochen, dass Sina das nicht wollte. Sie konnte gut auf sich selbst aufpassen. Hatte es immer getan. Von klein auf. Sie hatte Fehler begangen, sich tiefe Wunden schlagen lassen. Aber sie hatte daraus gelernt. Heute war ihr bewusst, dass nichts ihren innersten Kern zerstören konnte. Nicht nach allem, was sie überlebt hatte.

Dieses Wissen gab ihr überhaupt erst die Kraft, sich auf einen Mann wie Jan einzulassen. Es hatte ihr geholfen, hinter der Dominanz und der Selbstgefälligkeit die verletzliche Seele zu erkennen. Und die Angst, im Chaos der inneren und äußeren Welten unterzugehen. Sie liebte ihn. Trotz seiner völlig sinnlosen Sticheleien. Sie taten allerdings nach wie vor weh. Alles tat nach wie vor weh. Nachdem sie jahrelang versucht hatte, sich eine harte Schale zuzulegen, hatte Sina schließlich akzeptiert, dass das nicht zu ihrem Wesen passte. Sie konnte überaus pragmatisch sein und nüchterne Entscheidungen treffen. Sie konnte ihre Gefühle perfekt vor anderen verbergen. Was sie erlebte, ging ihr dennoch tief unter die Haut. Das war ihre Schwäche. Und ihre Stärke. Sie hatte das akzeptiert. Jan konnte es nicht. Noch nicht. Er versuchte tagtäglich, sie umzuformen. Sie zu dem zu machen, was er für ihr wahres Wesen hielt. Oder zumindest für den notwendigen Schutzschild vor ihrem wahren Wesen. Er meinte es gut, und wie immer war das besonders schlecht. Doch er liebte sie. Und eigentlich wollte er sie gar nicht anders haben. Denn in Wirklichkeit war es wohl eher ihre Aufgabe, ihn zu retten. Ihm durch ihren beharrlichen Widerstand zu beweisen, dass man die Welt auch ohne die Wand aus Stahl überleben konnte, die er um sein Herz gezogen hatte. Sina spürte, wie ihr Ärger verflog. Stattdessen fragte sie sich, wie weit der vierte Steinkreis noch entfernt sein konnte.

Der erste Schuss traf Balu. Wie ein gefällter Baum kippte der Rüde zur Seite und landete winselnd im dichten Laub. Es war für eine Sekunde still, selbst die üblichen Geräusche des Waldes schienen verstummt. Der zweite Donnerschlag hinterließ mitten auf Jans Brust einen roten Fleck, der sich in rasendem Tempo ausbreitete. Völlig verblüfft schaute er von dem toten Hund auf seine zerfetzte Regenjacke und dann zu ihr. In seinem Blick las sie alles, was er ihr niemals mehr würde sagen können. Für einen Moment blieb Sinas Welt stehen. Sie hatte recht gehabt, und Jan wusste es. Zu spät. Er konnte sie nicht mehr beschützen, und diese Schuld nahm er mit in den Tod. Ich liebe dich. Das war alles, was Sina denken konnte, als sie in die sterbenden Augen ihres Mannes sah, der langsam in die Knie sackte und einige Meter entfernt von Balu auf den Waldboden fiel.

Bevor die Panik sie überrollen konnte, schaltete Sina um. Später würde der Schock kommen. Sie würde zittern und verzweifelt sein. Jetzt schwebte sie über der Szene. Völlig ruhig und überlegt. Asha hatte sich beim ersten Knall an Sinas Knie gepresst. Nun jaulte sie panisch auf.

„Asha, lauf!“

Sie hatten diesen Befehl nie geübt, die Hündin verstand ihn jedoch sofort. Wie ein weißer Blitz verschwand sie im Wald. Die Kugel, die ihr hinterherflog, streifte einen Baum und ließ einen Splitterregen niedergehen. Asha jaulte erneut auf, diesmal vor Schmerz. Aber sie blieb nicht stehen, sondern rannte um ihr Leben. Sinas Blick suchte ihren Begleiter. Er hatte sich nach dem ersten Schuss hinter einer großen Buche in Sicherheit gebracht. Oder war es vor dem Schuss gewesen? Ihre Blicke trafen sich.

„Folgen Sie mir. Wir müssen weg. Ich zeig Ihnen den Weg hier raus.“

Sina wusste, dass er log. Sie drehte sich um und hetzte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Der Mann folgte ihr. Plötzlich war er neben ihr, vermutlich hatte er ihr den Weg abgeschnitten. Sina wusste, dass sie ihm nicht entfliehen konnte. Sie blieb stehen, schleuderte den Rucksack von sich und versuchte, auf dem unebenen Boden einen sicheren Stand zu finden. Sie stellte ein Bein nach vorn und ging leicht in die Knie. Fand ihre Mitte. Die schweren Wanderschuhe und die Regenjacke schränkten sie in ihrer Bewegungsfreiheit ein. Doch sie würde ihren Verfolger bezwingen können. Er war schwer und kräftig, aber auch plump. Keuchend verharrte der Mann vor ihr und schaute sie aus seinen gefühllosen grünen Augen an.

„Was soll das? Ich will Ihnen helfen. Also kommen Sie schon mit.“

Er trat einen weiteren Schritt auf sie zu, war nur eine Armlänge von ihr entfernt. Oder einen Hieb. Sina schlug zu. In einer fließenden Bewegung und ohne jede Anstrengung krachte ihre Handkante auf seinen Kehlkopf. Verblüfft griff ihr Gegner sich an den Hals und rang nach Luft. Sie sprang ein paar Zentimeter in die Luft und platzierte einen gezielten Tritt in seine Hoden. Der Mann stürzte japsend zu Boden. Sie landete geschmeidig im Laub und geriet ins Straucheln. Im Bruchteil einer Sekunde fand sie ihr Gleichgewicht zurück und sah sich selbst über den Waldboden fliegen, um ihren Gegner endgültig auszuschalten. Der Schlag, der sie völlig unvermittelt in den Rücken traf, nahm ihr den Atem und riss sie von den Beinen. Sie landete hart mit dem Kopf auf einem umgestürzten Baumstamm. Ihr letzter Gedanke gehörte dem zweiten Mann. Dem Schützen. Sie hatte ihn völlig vergessen. Dafür würde sie nun bezahlen müssen.

2

Kriminalhauptkommissarin Katie Hansen stapfte über den schmalen Kiesstreifen und gab sich alle Mühe, trockenen Fußes zu ihren Kollegen zu gelangen. Das war allerdings so gut wie unmöglich, denn die Flut stand bereits hoch und an manchen Stellen war vom Ufer kaum etwas übrig, das die Bezeichnung „Weg“ verdient hätte. Sie konnte nur hoffen, dass die Leute von der Spurensicherung den Leichnam bergen würden, bevor die Ostsee die kleine Bucht nördlich von Sassnitz vollkommen überflutete und den Toten womöglich mit sich forttragen würde.

Als sie den Fundort der Leiche endlich erreichte, war ihr schnell klar, warum der Tote überhaupt noch dort lag. Er war in der Krone einer gewaltigen Buche gelandet, die vor einigen Tagen mitsamt einem nicht unerheblichen Teil des Hochuferwegs abgestürzt war. Die Äste des Baums hatten sich so in dem Rucksack verfangen, den der Mann nach wie vor auf dem Rücken trug, dass sie ihn regelrecht festgehalten und ein Abtreiben verhindert hatten. Sonst wäre er vermutlich in Schweden wiederaufgetaucht. Oder gar nicht mehr. Allein diese Tatsache weckte Katies Misstrauen.

Es ist so einfach, eine Leiche verschwinden zu lassen …

Allerdings stürzten immer wieder leichtsinnige Wanderer in die Tiefe, die die Gefahren der Abbrüche entweder nicht kannten oder sie mit der Selbstgefälligkeit der Ortsfremden genauso ignorierten wie die unzähligen Absperrungen und Warnschilder, die gerade jetzt im Sommer die Wanderwege säumten. Und hier hatte es vor Kurzem eindeutig einen gewaltigen Abbruch gegeben. Kein Wunder, nach dem vielen Regen der letzten Wochen.

Katie schaute sich um und versuchte, unter den einförmigen Gestalten in den weißen Overalls und Einweghandschuhen Prof. Dr. Klaus Ellermann auszumachen, den Chef der Rechtsmedizin. Ihr Blick scannte die Bucht, in die Baum und Mann gestürzt waren. Selbst aus zehn Metern Entfernung konnte sie an der aufgedunsenen Haut erkennen, dass der Tote mindestens eine Flut hinter sich hatte, was es mehr als wahrscheinlich machte, dass Spuren, die es vielleicht einmal gegeben hatte, längst vom Wasser zerstört worden waren.

„Hallo, Mädchen. Ich hoffe, Sie sind auf dem Weg hierher nicht allzu nass geworden.“

Sie drehte sich um und schaute zu Ellermann auf, der hinter sie getreten war. Hinter dem Spott spürte sie das Wohlwollen, das ihr der sympathische Endvierziger entgegenbrachte.

„Kein Problem, Prof. Die Jugend ist hart im Nehmen, das wissen Sie ja. Aber ich frage mich, wie Sie ohne Lungenentzündung hier wieder wegkommen wollen. Die Flut steht hoch, und Sie müssen ja noch den Toten mitnehmen.“

„Da machen Sie sich mal keine Sorgen.“ Er drehte sich zur Leiche um und beobachtete einige Sekunden lang, wie zwei seiner Mitarbeiter den Körper aus den Ästen befreiten, indem sie kurzerhand die Gurte des Rucksacks durchtrennten. Dann wandte er sich wieder Katie zu. „Wir ziehen ihn mit einer Winde nach oben. Das ist zwar nicht ganz ohne Risiko, denn das Ufer ist völlig durchnässt und entsprechend instabil. Doch es ist definitiv zu spät, um ihn sicher über den Strand zu bergen.“

Katrin schaute zur Wassergrenze und fragte sich, wie nass sie selbst wohl auf dem Rückweg werden würde. „Können Sie mir schon was sagen?“, fragte sie und hatte es plötzlich eilig, den schmalen Streifen Land zu verlassen.

Der Rechtsmediziner grinste. Angegraute Schläfen, markante Gesichtszüge – Ellermann sah auf eine bodenständige Art gut aus.

„Nichts als Spekulation, Mädchen. Er könnte runtergefallen sein. Oder gesprungen. Allerdings, wer springt schon mit Rucksack in den Tod? Es könnte ihn natürlich auch jemand hinuntergeworfen haben. Ist ja keine schlechte Methode, eine Leiche zu entsorgen. Falls sie überhaupt wiederauftaucht, ziemlich weit weg.“ Er schaute Katie vielsagend an. „Derzeit ist alles drin. Deshalb ein Vorschlag zur Güte, Frau Kommissarin: Wir sehen zu, dass wir halbwegs trocken aufbrechen, und treffen uns am späten Nachmittag in der Kantine des Kommissariats. Dann erkläre ich Ihnen ausführlich, was ich herausgefunden habe. Versprochen.“

3

Die Schmerzen waren höllisch. Vor allem an ihren Fingerspitzen, dort, wo einmal die Nägel gewesen waren. Die Nase dagegen war zwar gebrochen und behinderte sie beim Atmen, sie tat jedoch kaum noch weh. Anders als die gebrochene Rippe und die Prellungen, von denen ihr Körper übersät war. Ihr ganzes Selbst schien nur aus Schmerz zu bestehen. An manchen Stellen mehr, an anderen weniger. Doch sie war längst über den Punkt hinaus, an dem das eine Rolle gespielt hätte. Sie hatte vor einer Ewigkeit aufgehört zu weinen.

Wenn sie dem künstlichen Licht trauen konnte, dessen Hell- und Dunkelphasen ihrem Dahinvegetieren den einzigen Rhythmus gaben, war es vier Tage her, dass sie ihre Peiniger zuletzt gesehen hatte. Das zumindest war ein Trost. Anfangs hatten sie sie in Ruhe gelassen. Allein mit ihrem Kummer und ihrer Angst. Dann folgten die Vergewaltigungen. Es war ekelhaft gewesen. Andererseits war es nichts, das sie nicht gekannt hätte. Ein geiler, schwitzender Mann, der brutal in sie eindrang, ohne sich um ihre Wünsche und Gefühle zu kümmern. Es hatte so manches Betriebsfest gegeben, das ähnlich geendet war.

Als der Größere der beiden sie zusammengeschlagen hatte, war sie völlig verblüfft gewesen. Bis dahin hatte sie ihn für den Sanftmütigen gehalten. Manchmal hatte sie sogar geglaubt, so etwas wie Mitleid in seinen braunen Augen zu erkennen. Anders als beim Schwein. Er widerte sie an, mit seiner Halbglatze und den fettigen dunklen Haarsträhnen, dem säuerlichen Geruch seines ungewaschenen massigen Körpers und dem bestialischen Gestank aus seinem Maul mit den schiefen gelben Zähnen. Am schlimmsten aber waren seine wässrig grünen Augen, die sie ständig mit dieser unglaublichen Kälte fixierten. Als wäre sie ein Versuchskaninchen. Das Schwein war es auch gewesen, das ihr ohne die geringste Regung einen Fingernagel nach dem anderen aus dem Fleisch gezogen hatte. Ihr war eingefallen, dass das in einem Film, den sie vor ewigen Zeiten gesehen hatte, eine beliebte Methode war, um Informationen von Gefangenen zu erpressen. Das Schwein stellte allerdings keine Fragen. Es gab nichts, was sie ihm hätte verraten können, damit er aufhörte, sie zu quälen. Nachdem er fertig gewesen war, hatte er sie einfach sitzen lassen. Mit einem Nylonseil an die Rückenlehne des Stuhls gefesselt, die blutenden Hände mit Kabelbinder an die Armlehnen fixiert. Sie hatte geglaubt, das wäre das Ende. Irgendwie hatte sie sich den Tod herbeigewünscht, denn er schien das Einzige zu sein, das ihr Martyrium beenden konnte. Doch Gott, wenn es ihn denn gab, hatte sich als wenig gnädig erwiesen. Vielleicht hatte sie sich seine Gnade nicht verdient. Wann hatte sie sich in ihrem Leben denn schon um Gott gekümmert? Zuletzt im Konfirmationsunterricht, und das halbherzig. Kein Wunder, dass er sich nun nicht sonderlich für sie interessierte.

Irgendwann war der Große aufgetaucht, hatte sie losgeschnitten, auf die Pritsche gelegt und ihr zwei Lappen um die blutigen Hände gebunden. Anschließend war er wortlos gegangen. Am liebsten hätte sie ihn gebeten zu bleiben und sich an seiner Schulter ausgeweint – als sie noch Tränen gehabt hatte. Als sie noch verzweifelt gewesen war. Als sie noch auf Rettung gehofft hatte. Das war vorbei. Jetzt wollte sie nur noch eines: wissen, warum. Warum hatten sie Nils erschossen? Und warum hatten sie sie am Leben gelassen? Waren sie nur Sadisten, die gern Frauen quälten?

O Gott, Nils. Warum sind wir bloß zu diesen verdammten Steinkreisen gegangen? Und warum waren wir so leichtgläubig und sind dem Schwein in den Wald gefolgt? Er schaute schließlich nicht besonders vertrauenserweckend aus.

Wie naiv sie gewesen waren. So verliebt, so glücklich, dass sie es nicht für möglich gehalten hatten, etwas könnte dieses Glück stören. Und nun war Nils tot.

Der Gedanke an ihren Mann weckte etwas in ihr. Sie sah ihn vor sich, sein lachendes Gesicht, das sich plötzlich in ungläubiges Staunen verwandelte. Zuerst hatte sie genauso wenig verstanden wie er, was passiert war. Was der laute Knall zu bedeuten hatte, der den Wald abrupt zum Verstummen gebracht hatte. Der hellrote Fleck auf seiner Jacke, der immer größer und größer wurde. Ihr Verstand weigerte sich, das Offensichtliche zu verstehen. Nils war wie ein nasser Sack auf sie gestürzt und hatte sie zu Fall gebracht. Kurz vor dem Begreifen hatte ihr Bewusstsein sich verabschiedet.

Sie wusste nicht, was als Nächstes geschehen war. Nur Erinnerungsfetzen, die keinen Sinn ergaben. Das Schwein. Der Große. Etwas Stinkendes, das über ihren Kopf geworfen wurde. Erst in diesem winzigen Raum mit seinen trostlosen grauen Betonwänden war sie wieder zu sich gekommen. Eingesperrt auf neun Quadratmetern. Es gab eine Pritsche, eine schmuddelige Decke, einen Stuhl, eine Glühbirne und eine Toilette, die ohne jede Abtrennung in einer Ecke stand. Kein Fenster. Ihre Kerkermeister versorgten sie mit Wasser und trockenem Brot. Wortlos selbst dann, wenn sie sich an ihr vergingen. Oder sie folterten.

Sie schaute auf ihre blutverkrusteten Hände und strich sich eine verfilzte Strähne ihres einst glänzenden dunklen Haars hinters Ohr. Am Anfang hatte sie das Wasser, das sie ihr brachten, auch dafür benutzt sich zu waschen. Sie hatte es aufgegeben, nachdem sie zwei Tage lang solchen Durst gelitten hatte, dass sie glaubte, das wäre ihr Ende. Sie waren nicht großzügig. Das hatte sie gelernt. Und einen Vorteil hatte die mangelnde Hygiene: Die Vergewaltigungen waren weniger geworden. Selbst dem Schwein war sie mittlerweile zu schmutzig. Vielleicht waren sie ja deshalb dazu übergegangen, sie zu misshandeln.

Sie verspürte den irrwitzigen Impuls zu lachen. Ihr Blick hastete zum tausendsten Mal über die nackten Wände ihres Gefängnisses, blieben eine Sekunde an dem schmalen Lüftungsschlitz knapp unter der Decke hängen. Es lohnte sich nicht, ihn zu inspizieren. Sie hatte es unzählige Male getan. Ohne Ergebnis. Es gab keinen Ausweg. Sie hatte nicht einmal ein improvisiertes Werkzeug, mit dem sie der Nachwelt eine Nachricht hinterlassen konnte. Eingeritzt an einer versteckten Stelle der Wand. So wie in den Krimis, die sie immer mit Nils geschaut hatte. Niemand würde je erfahren, was aus ihr geworden war. Wo und wie sie die letzten Stunden ihres Lebens verbracht hatte. Ihre Eltern und ihre Freunde würden um sie weinen. Aber es würde keine Sicherheit geben. Sie war einfach verschwunden. Ihre Leiche würde niemals auftauchen. Sie wusste es.

Vielleicht ging es ja darum. Jemand wollte sie auslöschen und nicht nur sie, sondern auch ihre Familie quälen. Mira kam ihr in den Sinn. Wieso musste sie ausgerechnet jetzt an die Katze denken? Vermutlich würde sie ins Tierheim kommen. Ihr Vater hatte eine Allergie, deshalb würden ihre Eltern sie bestimmt nicht nehmen. Und ihre Freunde mochten entweder keine Tiere oder hatten welche. Plötzlich wollte sie auf keinen Fall, dass die Katze ins Tierheim abgeschoben wurde.

„Mira“, entfuhr es ihr mit einem Stöhnen.

Sie wünschte sich mit ganzer Kraft, dass sie die Katze noch einmal im Arm halten durfte. Ihr seidiges Fell unter ihren Händen. Ihr Gewicht auf ihrem Schoß. Beinahe konnte sie das sanfte Vibrieren des schnurrenden Tiers spüren. Sofort wurde sie ruhiger. Nein, sie würde nicht aufgeben. Egal, was sie ihr antaten. Sie legte sich auf die Pritsche und fühlte die Katze auf sich liegen. Dann schlief sie ein. Zum ersten Mal, seit der Schuss im Wald gefallen war, träumte sie – nichts.

4

Katie Hansen legte deutlich hörbar den ersten Gang ein und gab Gas. Der rote Mini machte einen Satz nach vorn und raste los. Sie war spät dran. Eigentlich hatte sie sich bei der Kripo Stralsund mit Ellermann treffen wollen. Doch vor einer Stunde hatte der Rechtsmediziner sich auf ihrem Handy gemeldet und sie nach Greifswald beordert. Nun war sie auf dem Weg zur Uni, um ihn an seinem Arbeitsplatz zu treffen. Keine berauschende Aussicht.

Ellermann musste einen triftigen Grund haben, seine Pläne zu ändern und sie nach Greifswald zu bestellen. Vermutlich bedeutete das nicht mehr und nicht weniger, als dass sie ihr freies Wochenende in den Wind schreiben konnte. Inklusive dem Kinoabend mit Piet. Denn falls der Tote einem Verbrechen zum Opfer gefallen war, würde die Mordkommission sich darum kümmern. Und da sie als diensthabende Beamtin am Tatort gewesen war, würde die Sache mit Sicherheit an ihr hängen bleiben. Vielleicht sollte sie lieber gleich Kriminaloberkommissar Hendrik van Loh anrufen. Schließlich waren sie Partner. Dann ließ sie es doch bleiben. Hendrik hatte sich freigenommen, um seiner Mutter zum Geburtstag zu gratulieren. Inzwischen war es später Nachmittag. Vor morgen Vormittag würden sie ohnehin nichts unternehmen können.

Nachdem sie in dem großen, weiß gekachelten Raum mit den kalten Metalltischen angelangt war, strahlte ihr Ellermann entgegen.

„Ah, da ist ja meine Lieblingskommissarin. Kommen Sie ruhig näher, meine Schöne. Ich muss Ihnen etwas zeigen.“

Katie trat an den Tisch. Trotz der fahlen Haut und der starren Gesichtszüge bemerkte Katie im Bruchteil einer Sekunde, dass der Mann zu Lebzeiten attraktiv gewesen sein musste. Und er hatte nur kurze Zeit im Wasser gelegen, denn er war zwar aufgequollen, die ursprüngliche Form seines schlanken, muskulösen Körpers war jedoch noch gut erkennbar. Wahrscheinlich eine, höchstens zwei Fluten lang. Außerdem wies er nur wenige blaue Flecke und Schürfwunden auf. Stattdessen entdeckte sie mitten auf seiner Brust ein kreisrundes schwarzes Loch.

„Erschossen?“ Fragend schaute sie zu Ellermann auf.

„Eindeutig“, erwiderte er.

„Und er war schon eine ganze Zeit lang tot, als man ihn in die Tiefe geworfen hat.“

Ellermann forderte sie mit einem Kopfnicken auf fortzufahren.

„Hätte er bei seinem Sturz noch gelebt, wäre er von Prellungen und Schürfwunden übersät, stimmt’s?“

Wieder nickte Ellermann. „Sie sind richtig gut, Frau Hansen. Wollen Sie nicht doch bei uns anfangen? Ich könnte Sie gut gebrauchen.“ Sein Grinsen ließ offen, wofür genau der Rechtsmediziner sie zu brauchen glaubte, und Katie fragte vorsichtshalber nicht nach.

„Danke, Doc. Ich weiß Ihr Angebot zu schätzen. Aber ich bin mit meinem Job zufrieden.“ Sie schenkte Ellermann einen unschuldigen Augenaufschlag. „Was ist denn so wichtig, dass wir uns hier treffen mussten? Dass er erschossen wurde, hätten Sie mir auch im Kommissariat sagen können.“

„Nicht so ungeduldig, junge Dame. Lassen Sie mich ein wenig Spannung aufbauen, sonst verderben Sie mir die Pointe.“

Ellermann machte eine Pause. Ungeduldig schob Katie sich eine blonde Strähne hinters Ohr, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte.

„Also gut“, seufzte er. „Der Mann wurde erschossen, richtig. Er lag nicht allzu lange im Wasser. Eine Flut, und auch da hat das Wasser ihn nicht die ganze Zeit umspült, weil er zu dicht an der Abbruchkante hängen geblieben ist. Er war definitiv bereits mehrere Stunden tot, als er über den Rand der Klippe geworfen worden ist. Ich würde sagen, der oder die Täter haben ihn in der Nacht entsorgt. Erstens ist es am Tag selbst in der Vorsaison viel zu riskant, mit einer Leiche über den Hochuferweg zu marschieren. Und zweitens erklärt das, warum sie den Abbruch und den Baum nicht gesehen haben, auf dem unser Freund gelandet ist und dem wir seine Entdeckung zu verdanken haben.“

Katie holte Luft, um Ellermann zu unterbrechen. Doch er stoppte sie mit einer Handbewegung.

„Sie wollen wissen, wann er getötet wurde. Nun, ich würde sagen, gestern zwischen zehn und vierzehn Uhr. Und zwar in einem Wald, allerdings nicht auf Rügen und sonst nirgendwo in der Nähe des Meers, sondern weiter im Landesinneren. Wir haben Erde unter seinen Fingernägeln gefunden. Nur ohne die typische Sandbeimischung, die wir von den Wäldern in Ostseenähe kennen.“

„Dann hat sich also jemand richtig viel Mühe gemacht, um die Leiche zu beseitigen.“ Katie schaute nachdenklich auf den Toten. Er kommt nicht von hier, war ihr plötzlich klar. Vielleicht war es das dunkle, halblange Haar. Oder der feingliedrige Knochenbau. In der Gegend waren die meisten Männer blond und kräftig. Obwohl …

„Jemand legt großen Wert darauf, dass der Tatort nicht gefunden wird“, bestätigte Ellermann ihre Überlegung. „Dafür bietet die Ostsee sich ja geradezu an. Je nachdem, in welche Strömung eine Leiche gerät, wird sie erst Monate später an einem Ort gefunden, der Hunderte von Kilometern entfernt ist. Oder sie taucht gar nicht mehr auf. So oder so gibt es in einem solchen Fall für uns keine verwertbaren Spuren mehr. Nicht mal eine Schusswunde wäre nach ein paar Wochen im Wasser einfach zu finden.“

„Wir haben also Glück gehabt, dass der Mann an dem Baum hängen geblieben ist, sonst wüssten wir nicht einmal, dass er getötet wurde.“

„Das ist noch nicht alles.“ Ellermann schaute sie triumphierend an. „Ich kann Ihnen sogar sagen, wer unser Toter ist.“

Nun war Katie ehrlich verblüfft. Bevor sie nach Greifswald aufgebrochen war, hatte sie mit den Kollegen der Spurensicherung gesprochen. Im Rucksack des Toten hatten sie weder einen Ausweis, ein Handy oder sonst etwas gefunden, das ihnen bei der Ermittlung seiner Identität hätte helfen können.

„Spannen Sie mich nicht auf die Folter, Prof“, mahnte sie.

„Er heißt Jan Lehmann und besitzt ein gut gehendes IT-Unternehmen in Neuwied. Das liegt übrigens am Rhein zwischen Bonn und Koblenz.“

Natürlich kannte Katie Bonn, das war schließlich die Hauptstadt der BRD gewesen. Auch von Koblenz hatte sie gehört, nur dass diese Stadt am Rhein lag, war ihr neu. „Woher wissen Sie das?“

„Was, dass Bonn und Koblenz am Rhein liegen?“

Katie wurde rot, und das gefiel ihr überhaupt nicht. „Jeder weiß, dass Bonn am Rhein liegt“, sagte sie unwirsch. „Ich meine natürlich, woher Sie wissen, wer der Mann ist. Oder war.“

Das Grinsen auf Ellermanns Gesicht wurde breiter. „Na ja, wir haben ihn ausgezogen – und siehe da, er hat einen dieser präparierten Gürtel getragen. Sie wissen schon, eines von den Teilen, die an der Innenseite einen Reißverschluss haben, damit man Wertsachen darin verstecken kann, ohne dass sie bei einem Raubüberfall gefunden werden. Ich vermute, dass in Asien oder Lateinamerika längst jeder Räuber die Dinger kennt und deshalb weiß, wo er suchen muss. Bei uns in Meck-Pomm sind die Bösewichte nicht auf dem aktuellen Stand. In jedem Fall haben sie das Versteck übersehen. Und die Sache mit der Firma habe ich für Sie gegoogelt.“

Katie schaute Ellermann ungeduldig an. Er war manchmal eindeutig zu ausschweifend. „Sie wollen mir also sagen, dass der Tote seinen Ausweis in einem Geheimfach seines Gürtels versteckt hatte?“

„Genau.“ Ellermann wurde ernst, was Katie sofort alarmierte.

„Was noch?“

Der Arzt seufzte auf. „Ich fürchte, der Mann war nicht allein unterwegs, als er erschossen wurde. Das hier ist der Ausweis seiner Frau, der ebenfalls in seinem Gürtel gesteckt hat. Den hätte er wohl kaum bei sich gehabt, wenn sie nicht mit ihm zusammen unterwegs gewesen wäre. Außerdem hatte er dieses Foto dabei.“

Katie starrte auf das Bild, das Ellermann ihr unter die Nase hielt. Es war klein und ein wenig zerknittert, dennoch gut zu erkennen. Offenbar war es im Gürtelversteck nicht allzu nass geworden. Von der Aufnahme lachten ihr Jan Lehmann und eine zierliche blonde Frau entgegen, die gemeinsam einen kräftigen braunen Hund in ihrer Mitte umarmten. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff. Erschüttert löste sie den Blick von dem Foto.

„Sie meinen …?“

Aus dem Gesicht des Rechtsmediziners war jeder Anflug von Humor verschwunden. „Genau das meine ich. Falls sie ihn nicht erschossen hat, was unwahrscheinlich ist, war sie bei ihm, als er getötet wurde. Und dann stellt sich die Frage: Wo ist sie jetzt?“

5

Linda war unruhig. Etwas stimmte nicht. Sina und Jan waren seit vierundzwanzig Stunden überfällig. Natürlich war es möglich, dass sie ihren Urlaub spontan verlängert hatten. Aber es sah Sina nicht ähnlich, dass sie ihre Freundin nicht informierte, wenn sie ihre Pläne änderte. Am Morgen waren die ersten Patienten in der Praxis aufgetaucht, die sie gemeinsam betrieben. Sie hatte sie mit einer fadenscheinigen Erklärung fortgeschickt. Jans Sekretärin hatte auch schon bei ihr angerufen, weil er nicht wie verabredet im Büro erschienen war.

Selbstverständlich hatte Linda versucht, die zwei zu erreichen. Doch weder Sina noch Jan gingen ans Handy. In der Ferienanlage hatte man ihr versichert, dass sie abgereist seien. Zumindest waren der Bungalow geräumt und das Auto weg. Allerdings war der Verwalter der Anlage ziemlich sauer gewesen, da die beiden den Schlüssel nicht abgegeben, sondern auf dem Esstisch liegen gelassen hatten. Es sei üblich, dass er das Haus abnehme und sich von seinem ordnungsgemäßen Zustand überzeuge, bevor die Gäste abreisen, hatte der Mann ihr erklärt. Er habe sich nur deshalb bislang nicht beschwert, weil alles in Ordnung gewesen sei.

Lindas Sorgen hatten sich nach dem Telefonat verstärkt. Denn dieses Verhalten sah ihren Freunden nicht ähnlich. Was war nur mit den beiden los? Und wo waren sie? Man hätte sie bestimmt informiert, hätten sie einen Unfall gehabt, oder? Wenigstens Jans Firma wäre benachrichtigt worden. Die Polizei hatte Möglichkeiten, die Lebensumstände von Unfallopfern zu ermitteln. Außerdem hatte Sina immer eine Karte dabei, auf der stand, dass sie, Linda, im Fall eines Unglücks zu informieren wäre. Die könnte natürlich verbrannt sein, sollte das Auto Feuer gefangen haben, meldete sich eine leise, verzweifelte Stimme in ihrem Kopf.

Linda konnte nicht verhindern, dass ihr Tränen in die Augen schossen. Sie fasste einen Entschluss. Auf die Gefahr hin, dass Sina ihr den Hals umdrehen würde. Sie würde Alex anrufen. Obwohl Sina den Kontakt Jan zuliebe vor mehr als zwei Jahren abgebrochen hatte, Alex würde herausfinden, was geschehen war. Er würde sie finden. Da war sie sich völlig sicher.

6

Die Sache gefiel seinem Vorgesetzten nicht, das war ihm deutlich anzusehen. Am liebsten hätte der Leiter der Koblenzer Mordkommission wohl Nein gesagt. Doch Kriminalhauptkommissar Alexander Bierbrauer wusste, dass er das nicht tun würde. Allerdings war Jochen Berg nicht bereit, so einfach nachzugeben.

„Mein Gott, Alex, das kannst du nicht für eine gute Idee halten.“

Alex schaute seinen Freund mit versteinerter Miene an. „Ich halte es sogar für eine verdammte Selbstverständlichkeit. Und wenn du ehrlich bist, weißt du, dass ich recht habe.“

Jochen versuchte noch immer, ihn von Sina fernzuhalten. Fast konnte man den Eindruck haben, er habe sich mit ihrem Mann verbrüdert. Der Gedanke an Jan Lehmann ließ gewohnheitsmäßig Wut in Alex aufsteigen, die sich als dünner Schweißfilm am Ansatz seiner dunkelblonden Locken sammelte. Dann fiel ihm jäh ein, dass Jan tot war, und sein Zorn verflog. Tatsächlich wünschte er sich mit aller Kraft, es wäre alles nur ein großer Irrtum und der verhasste Unternehmer wäre in Wirklichkeit putzmunter mit Sina im Urlaub auf den Malediven oder sonst wo unterwegs. Weit weg von der Ostsee und Dunkeldeutschland. Wie konnte man so blöd sein, ausgerechnet in diesem unterentwickelten Teil der Republik seine Ferien zu verbringen?

Du bist ungerecht, sagte er zu sich selbst, schließlich ist die Schwerkriminalität in Mecklenburg-Vorpommern statistisch betrachtet sehr gering ausgeprägt. Alex schob die Gedanken zur Seite. Er wollte nicht gerecht sein. Nicht jetzt. Jan Lehmann war tot, und Sina war verschwunden. Seine Sina. Denn das war sie immer noch, und sie würde es bleiben, solange er atmete. Egal, was sie gesagt und wen sie geheiratet hatte. Er wusste genau, wie schwer es ihr gefallen war, ihn aus ihrem Leben zu verbannen. Sie hatte es getan, weil Jan es verlangt hatte. Und weil sie seine Forderung verstehen konnte, obschon es sie schmerzte. Wer wollte gern ständig seinen Nebenbuhler vor Augen haben? Wahrscheinlich hätte er sich genauso verhalten. Trotzdem nahm er es Jan übel, dass er Sina durch ihn endgültig verloren hatte. Einzusehen, dass das Zusammenleben mit ihm eine Qual für sie gewesen war, war eine Sache. Ihre Freundschaft zu verlieren, war etwas anderes gewesen. Es hatte ihn beinahe zerstört. Sie waren schon so lange befreundet, viel länger als sie ein Liebespaar gewesen waren, dass er das Gefühl hatte, mit ihr einen Teil seiner Seele eingebüßt zu haben. Und zwar den wichtigsten. Das Beste an ihm war nun mal Sina gewesen. Das wusste nicht nur er, alle Freunde und Kollegen sahen es auch so.

„Du hast es versemmelt, Alex, das weißt du. Und obwohl Jan Lehmann tot ist, wird sie nicht zu dir zurückkommen.“

Jochen kannte ihn zu gut. Wenngleich sich in Alex’ Gesicht nicht das Geringste geregt hatte, ahnte sein Freund und Vorgesetzter, was in ihm vorging. Na ja, sie kannten sich seit dem Kindergarten, waren zusammen zur Schule gegangen – Jochen etwas länger und mit größerem Erfolg als er – und hatten bei der Polizei angefangen. Jochen dank Abi mit sehr viel besseren Aussichten. Sie konnten einander nichts vormachen. Trotzdem ärgerte es ihn, dass Jochen seine Gefühle so genau erraten konnte. Zu gefährlich. Das war einer der Punkte gewesen, in dem er sich nie mit Sina hatte einigen können. Solange sie nur Freunde gewesen waren, hatte sie über ihn und sein Misstrauen gegenüber anderen Menschen gelacht und ihn ermuntert, ihr seine Geheimnisse anzuvertrauen. Später war sie an seiner Verschlossenheit verzweifelt.

Entschlossen blickte Alexander seinen Freund an. Es wurde Zeit, ihn in die Schranken zu weisen. „Vielleicht hast du recht. Aber sie wird eher zu mir zurückkommen als zu dir. Das wissen wir beide. Denn sie wollte immer mich und nicht dich.“

Im Bruchteil einer Sekunde wurde Jochen so grau wie die schmucklose Wand hinter ihm. Nervös fuhr der Erste Kriminalhauptkommissar sich mit der Hand durchs kurz geschnittene Haar, dessen gräuliches „Eifelblond“ er neuerdings mit einigen hellblonden Strähnen aufzupeppen versuchte.

Alex wusste genau, was in ihm vorging. Jochen hatte von Anfang an darunter gelitten, dass er bei Frauen besser ankam. Schließlich bildete sein Freund sich viel auf seine Intelligenz, seinen Erfolg und sein kultiviertes Auftreten ein. Außerdem war es Alex selbst schleierhaft, was die Frauen an ihm fanden. Er war zwar größer und athletischer gebaut als Jochen. Und wer ihm seine bäuerliche Abstammung nicht ansah, der wusste Bescheid, sobald er anfing zu reden. Denn egal, wie hart er an sich gearbeitet hatte, der markante Westerwälder Dialekt verriet ihn sofort als Dorfjungen. Sina hatte seine dunkelblauen Augen und die vollen Lippen geliebt. Alex war kritisch, was sein Aussehen und den Vergleich mit seinem Freund betraf. Trotzdem hatte Sina Jochen nicht die geringste Chance gegeben. Das war eine schwere Prüfung gewesen – für Jochens Selbstbewusstsein und ihre Freundschaft.

Er sah, dass seine Bemerkung, alte Wunden aufgerissen hatte. Doch ihm war nicht danach, den Erfolg auszukosten. Die Sache war zu ernst.

„Darum geht es nicht, Jochen. Wichtig ist nur, dass wir sie finden – und zwar lebend. Deshalb fahre ich nach Stralsund und helfe den Kollegen bei der Suche. Du weißt, dass das richtig ist.“

„Du hasst die Ostsee, und von den Ossikollegen hast du bisher keine gute Meinung gehabt. Glaubst du, das ist die Basis für eine Zusammenarbeit?“

Jochen hatte sich nicht endgültig mit Alex’ Plänen abgefunden, sein Widerstand war jedoch erlahmt. Alex schaute ihn reglos an und sagte kein Wort.

„Lass uns jemand anderes schicken“, unternahm Jochen den letzten Versuch. „Schließlich kennen wir alle Sina gut. Sie hat jahrelang hier gearbeitet, jeder mag sie …“

Alex spürte, wie es in ihm kälter wurde. „Ich werde fahren, und ich werde sie finden, verdammt noch mal. Daran wirst du mich nicht hindern. Wenn es sein muss, kündige ich und suche auf eigene Faust nach ihr.“

„Du stehst kurz vor einer Beförderung. Und du hast dich für die Leitung der Abteilung Organisierte Kriminalität beworben. Du wolltest weg von der Mordkommission, und wir beide wissen, warum. Willst du tatsächlich alles aufs Spiel setzen?“

„Das Einzige von Bedeutung, das auf dem Spiel steht, ist Sinas Leben.“ Alex brüllte jetzt. Der Vulkan war explodiert. „Sie ist irgendwo da oben an dieser verdammten Ostsee und kämpft um ihr Leben. Glaubst du wirklich, ich bleibe an meinem Schreibtisch hocken und warte ab, ob die Ossikollegen sie rechtzeitig finden oder ob sie zu spät kommen und mir irgendwann ihre verweste Leiche vor die Füße legen? Was ist los mit dir? Es geht um Sina. Unsere Sina. Du liebst sie doch auch. Oder ging es dir immer nur um dich?“

Jochen Berg schüttelte den Kopf. „Also gut. Ich werde dich offiziell entsenden. Allerdings nur als Beobachter, hörst du? Du kannst die Kollegen unterstützen, aber sie haben den Hut auf. Du solltest sie entsprechend behandeln. Wenn sie dich nicht mehr haben wollen, bist du sofort raus aus der Sache. Und, Alex: keine Alleingänge.“

Alex sagte nichts, seine Schultern entspannten sich. Er hatte die erste Runde gewonnen. Die Reisetasche lag bereits im Kofferraum, in einer Viertelstunde konnte er auf der A 48 sein.

Bevor er sich umdrehen und Jochens Büro verlassen konnte, schaute der ihn eindringlich an. „Was sollte das eigentlich heißen: ‚Ging es dir immer nur um dich?‘ Sina ist die einzige Frau, die ich je geliebt habe. Das weißt du sehr gut, du Arschloch. Und im Gegensatz zu dir hätte ich sie glücklich machen können.“

Alex wandte ihm den Rücken zu und ging.

7

Die Atmosphäre war angespannt, und das lag vor allem an Kriminaloberrat Thorwald Johannsson, Katies Chef. Der Leiter des Kriminalkommissariats Stralsund polterte zwar gern durch die Büros seines Herrschaftsbereichs, doch wenn es um die Aufklärung eines Falls ging, war er die Ruhe selbst. Vor allem, wenn „seine“ Mordkommission beteiligt war. Die hätten sparsame Politiker nämlich am liebsten längst ins benachbarte Revier nach Anklam verlegt. Johannsson war entschieden dagegen. Und an ihm kam so leicht niemand vorbei. Als die Position des Leiters der Mordkommission Stralsund frei geworden war und nicht wieder besetzt werden sollte, hatte er allen, die sich endlich am Ziel ihrer Fusionspläne wähnten, einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Er hatte darauf bestanden, diesen Job neben seinen sonstigen Aufgaben als Kripoleiter mitzuerledigen – ohne zusätzliche Vergütung. Außerdem hatte er auf das stattliche Büro verzichtet, das ihm seinem höheren Rang entsprechend zustand, und residierte stattdessen von der Abstellkammer aus, die üblicherweise dem Leiter der Mordkommission als Rückzugsort diente. Bislang hatte er die Doppelfunktion souverän und mit eiserner Disziplin gemeistert. Nun jedoch hatte er regelrecht die Fassung verloren.

„Also gut, ich fasse zusammen: Der Tote auf Rügen wurde eindeutig ermordet. Der Mann war mit seiner Frau und zwei Hunden unterwegs, die allesamt verschwunden sind. Und wir müssen davon ausgehen, dass wir es mit einem Serientäter zu tun haben, weil in den letzten Monaten in unserer Region weitere Paare verschwunden sind?“ Er blitzte Katie Hansen und ihren Kollegen Hendrik van Loh so drohend an, als wären sie höchstpersönlich für das Verschwinden all dieser Menschen verantwortlich.

Hendrik trat nervös von einem Bein aufs andere. Er war erst seit einem Dreivierteljahr hier oben im Norden, das war seine erste Mordermittlung unter Johannsson. Katie stieß ihm unauffällig in die Rippen und blieb vollkommen ruhig.

„Drei Paare, um genau zu sein“, sagte sie. „Allerdings haben wir bislang nur die Vermisstenfälle in Meck-Pomm ausgewertet. Und das auch nur für die letzten zwölf Monate.“

Johannsson sah aus, als würde er platzen. „Wollen Sie damit andeuten, dass die Sache größer werden könnte? Und dass wir womöglich monatelang einen Serienmörder übersehen haben?“ Er brüllte jetzt.

Hendrik wurde blass.

„Genau, Chef. Ich halte das sogar für wahrscheinlich. In den drei bekannten Fällen sind die Leute spurlos verschwunden. Samt Autos und Gepäck. Den einzigen Anhaltspunkt, was geschehen sein könnte, liefert uns die Leiche von Jan Lehmann.“

Johannsson schaute Katie nachdenklich an. „Raubmord?“ Es schwang nur eine geringe Hoffnung in der Frage.

„Halte ich für unwahrscheinlich. Vom Inhalt des Gürtelverstecks mal abgesehen, haben wir kaum etwas gefunden, das auf die Identität des Toten hindeutet. Eindeutig war sein Rucksack jedoch voller Zeug, das man drüben in Polen gut verticken könnte. Dort sind vermutlich Fahrzeuge und Gepäck gelandet. Die wichtigste Frage lautet meiner Meinung nach im Moment: Was ist mit Sina Lehmann geschehen? Lebt sie noch, oder wurde sie mit ihrem Mann erschossen und nur woanders entsorgt?“

Katie glaubte eher an die erste Alternative. Es war zwar vorstellbar, dass jemand sich die Mühe gemacht hatte, die Leichen des Paars an verschiedenen Stellen in die Ostsee zu werfen, damit kein Zusammenhang zwischen den Toten hergestellt werden konnte, falls sie wider Erwarten doch gefunden werden würden. Warum sollte man allerdings zwei Menschen töten, wollte man sie nicht berauben? Um die Hunde ging es den Mördern wohl kaum. Eher vermutete sie, dass man es auf die Frau abgesehen und ihren Mann kurzerhand aus dem Weg geräumt hatte.

Es überraschte Katie kaum, dass Johannsson ihren Gedanken gefolgt war. „Haben sie die Frau nicht umgebracht, halten sie sie vermutlich eine Zeit lang gefangen, um …“ Er zögerte. „Nun, um mit ihr was auch immer anzustellen. Schließlich ist die Beschaffung eines Opfers mit hohen Risiken verbunden. Da wollen die Kerle die Sache vermutlich so lange wie möglich auskosten.“

Hendrik schaute seinen Chef verblüfft an. „Sie? Wieso denken Sie, dass es mehrere sind? Und wenn, könnte ja auch eine Frau dabei sein …“

Johannsson machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ja, van Loh, könnte es. Ist aber unwahrscheinlich, oder? Und was die Anzahl der Täter angeht, glaube ich nicht, dass einer allein problemlos zwei Menschen und zwei Hunde überwältigen kann. Die Lehmanns hatten zwei Hunde dabei, oder, Hansen?“ Er wandte sich wieder Katie zu.

„Ja, hatten sie. Ziemlich große sogar. Einen braunen Labradorrüden und eine weiße Mischlingshündin.“ Sie hatte keine Ahnung, ob Johannsson wusste, wie groß ein Labradorrüde üblicherweise war. Er besaß keine Haustiere.

Ihr Chef ging nicht weiter auf die Fragwürdigkeit der Information ein. „Zwei große Hunde also. Nun ja, der Mann wurde aus größerer Entfernung mit einem Gewehr erschossen, richtig? Was meinen Sie? Der Erste, der umfällt, versetzt die anderen in eine Art Schockzustand. Spätestens beim Zweiten wissen sie, was los ist, und versuchen abzuhauen. Und wenn der Schütze sich in einiger Entfernung versteckt hatte, musste er ja erst einmal die Distanz überwinden, um sich die Frau zu greifen. Es müssen mindestens zwei Täter sein. Einer allein hätte kaum die Frau in ein Versteck bringen und gleichzeitig den Mann samt Fahrzeug entsorgen können.“

Katie nickte stumm. Hendrik war ebenfalls so klug, keine Einwände mehr zu erheben.

„Was wissen wir über die Lehmanns? Und was über die anderen Paare?“ Johannsson hatte seine Fassung zurückgewonnen.

Hendrik straffte die Schultern. „Von den anderen Paaren kennen wir bislang nur die Namen, die Kollegen tragen gerade alles zusammen. Über die Lehmanns hat Katie bereits einiges herausgefunden.“

Johannssons Blick signalisierte, dass er den Rest aus erster Hand hören wollte. Irgendwie konnte Katie verstehen, dass Hendrik den Eindruck hatte, der Chef würde ihn nicht sonderlich mögen. Sie wusste aus eigener Erfahrung, dass es dem alten Haudegen schwerfiel, sich an einen neuen Mitarbeiter zu gewöhnen – und ihm etwas zuzutrauen.

„Jan Lehmann hat eine kleine, aber erfolgreiche Computerfirma in Neuwied. Das liegt am Rhein zwischen Bonn und Koblenz.“ Johannsson zog die Brauen über den eisblauen Augen kaum merklich in die Höhe. „Sabrina Lehmann wird von allen nur ‚Sina‘ genannt und ist Heilpraktikerin. Sie betreibt gemeinsam mit ihrer Freundin eine Praxis. Auch in Neuwied. Jan und Sina Lehmann haben Urlaub an der Mecklenburgischen Seenplatte gemacht und ein Ferienhaus am Sternberger See gemietet. Dort sind sie laut Verwalter der Anlage auf mysteriöse Art und Weise abgereist.“

Johannssons Blick durchbohrte sie. „Was soll das heißen, auf mysteriöse Weise abgereist? Wie soll das denn vonstattengehen?“

Katie blieb gelassen. „So hat es der Verwalter, Björn Krajewski, ausgedrückt. Merkwürdig war die Sache schon. Anscheinend hat niemand beobachtet, wie die beiden ihr Auto gepackt haben und losgefahren sind. Waren am verabredeten Morgen verschwunden. Samt Hunden und Gepäck. Jan und Sina Lehmann haben sich nicht ordnungsgemäß bei ihm abgemeldet, allerdings war das Haus geputzt und aufgeräumt, sagt Krajewski. Die Kollegen aus Schwerin sind unterwegs, um sich vor Ort umzusehen.“

„Okay, was wissen wir sonst?“

„Ich habe mit Sina Lehmanns Freundin telefoniert. Die, mit der sie sich die Praxis teilt. Sie war bereits in heller Aufregung, weil die Lehmanns nicht am vereinbarten Tag nach Hause gekommen sind. Das sei überhaupt nicht ihre Art, hat sie mir versichert. Auch dass die beiden einfach so aus dem Ferienhaus abgehauen sind.“

„Was soll das wieder heißen?“, fragte Johannsson. „Glauben Sie etwa, dass unsere Täter ins Ferienhaus spaziert sind und dort aufgeräumt haben, damit niemand etwas vom Verschwinden der Lehmanns bemerkt? Ist ein bisschen weit her geholt, oder nicht?“ Er überlegte eine Weile.

Katie schwieg. Es war besser, er kam selbst darauf. Johannsson kniff die Augen zusammen, und sie spürte, wie Hendrik neben ihr noch ein paar Zentimeter kleiner wurde.

„Falls dem so wäre, sind die zwei keine zufälligen Opfer gewesen. Dann wussten die Täter, wo sie während ihrer Ferien wohnten, und haben alles von langer Hand geplant. Das ist völlig verrückt, verdammt.“ Johannsson trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischplatte. Kein gutes Zeichen. „Nun gut. Es lässt sich vermutlich nicht ausschließen, dass es so war, richtig? Ich halte es für besser, wir holen uns Unterstützung von unserem Psychoguru. Kümmern Sie sich darum, Hansen.“

„Habe ich schon getan, Chef. Professor Ahrens ist übers Wochenende in seinem Ferienhaus, irgendwo mitten im Wald bei Bützow. Kein Telefon, kein Handyempfang. Seine Sekretärin hat angeboten, Andriesen dorthin zu schicken, um ihn zu informieren.“

Prof. Dr. Dr. Hans-Joachim „Hajo“ Ahrens war ein international anerkannter Experte, wenn es um Entführer und ihre traumatisierten Opfer ging. Jahrelang hatte er die Berliner Kriminalpolizei beraten, doch vor fünf Jahren war er für die Fachwelt überraschend von der Universität der Hauptstadt an die kaum bekannte Hochschule im beschaulichen Greifswald gewechselt. Seitdem arbeitete er mit den Polizeibehörden in Mecklenburg-Vorpommern zusammen. Obwohl es dort natürlich wesentlich weniger Möglichkeiten gab, sein Talent einzusetzen als im internationalen Kriminalitätsdrehkreuz Berlin.

Die meisten seiner Kollegen hatten nie verstanden, warum der eitle Ahrens eine glänzende Karriere an der Charité aufgegeben hatte, um sich in der Provinz zu vergraben. Mancher hielt es durchaus für möglich, dass er die Hauptstadt verlassen hatte, weil er sich mit seiner Arroganz zu viele Feinde gemacht hatte.

Katie konnte sich nicht vorstellen, dass Ahrens in einer Stadt wie Berlin besonders aus dem Rahmen gefallen war. Ihrer Erfahrung nach waren die meisten Hauptstädter mehr oder weniger eingebildet. Deshalb hatte sie immer angenommen, dass es bei dem unerklärlichen Wechsel vor allem um seinen Sohn ging, den sie durch Piet flüchtig kannte. Sebastian Ahrens hatte ein ernsthaftes Drogenproblem gehabt, und sein Vater hielt es wohl für angebracht, ihn aus Berlin zu entfernen und ihn im Auge zu behalten. Soweit Katie wusste, war die Rechnung aufgegangen. Zumindest war Sebastian in seinem neuen Leben bisher nie polizeilich in Erscheinung getreten.

Allerdings hatte er das vermutlich mehr dem Assistenten seines Vaters als diesem zu verdanken, denn die wenigen Male, die Katie ihnen begegnet war, hatte sie den Eindruck gehabt, dass es vor allem Bengt Andriesen war, der Sebastian Ahrens Halt gab. Irgendwie schien Andriesen so etwas wie ein großer Bruder für den jungen Mann zu sein. Nun, sie kannten sich ja schon lange. Andriesen war bereits in Berlin Prof. Ahrens’ engster Mitarbeiter gewesen und seinem Mentor in die Provinz gefolgt, statt in der Hauptstadt dessen Posten einzunehmen, was ohne Zweifel möglich gewesen wäre.

Trotz dieser offensichtlichen Treue war der gebürtige Schwede in gewisser Weise das genaue Gegenteil seines Chefs. Während Ahrens vor allem wegen seiner Überheblichkeit in Erinnerung blieb, war Andriesen der Inbegriff von Charme und Höflichkeit. Außerdem sah er blendend aus. Vor allem die strahlend blauen Augen und seine fein gemeißelten Gesichtszüge sorgten dafür, dass jede Frau zwischen fünfzehn und sechzig dahinschmolz, wenn sie ihm begegnete. Nicht nur zu Katies Bedauern nutzte er die Vorteile nicht aus, die die Natur ihm mit auf den Weg gegeben hatte. Zumindest hatte sie ihn nie in weiblicher Begleitung gesehen oder von einer Beziehung gehört. Und im Kreis der weiblichen Kollegen sprach man viel über den Assistenten des Psychogurus. Johannssons Räuspern riss sie aus ihren Gedanken.

„Ich habe Andriesen gesagt, es hat Zeit bis Montag. Bis dahin haben wir hoffentlich ein paar mehr Fakten zusammengetragen.“ Heute war Freitag. Katie hoffte, dass Johannsson ihrer Meinung war. Sonst würde es ein Donnerwetter geben.

„Gut gemacht, Hansen.“ Ihr Chef entspannte sich langsam.

Katie atmete unmerklich auf. Doch die letzte Neuigkeit konnte sie ihrem Vorgesetzten nicht ersparen, obwohl sie fürchtete, dass sie seinen mühsam zurückgewonnenen Seelenfrieden wieder zerstören würde.

„Da ist noch was, Chef.“

„Ich glaube nicht, dass ich ‚noch was‘ hören will.“

„Glaube ich auch nicht. Aber Sie wissen ja: Tatsachen …“

„Ja, schon gut, Hansen. Tatsachen verändert man nicht dadurch, dass man sie ignoriert. Verschonen Sie mich mit Huxleys Schlaumeiersprüchen und spucken Sie’s aus.“

Trotz der wenig amüsanten Lage musste Katie innerlich grinsen. Das Zitat von Aldous Huxley war eine der Lieblingsfloskeln ihres Chefs, die nicht nur in großen Lettern an der Wand hinter seinem Schreibtisch hing, sondern die er gewöhnlich bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit hervorkramte, um sie seinen Mitarbeitern um die Ohren zu hauen.

„Nun ja, Chef, Sina Lehmann ist nicht immer Heilpraktikerin gewesen. Sie hat die Ausbildung gemacht, nachdem sie aus ihrem alten Job ausgestiegen ist. Ganz von vorn angefangen und so.“

„Ja und?“, brummte Johannsson. „Raus damit, Hansen. Was hat Frau Lehmann früher getrieben? Hat sie angeschafft? In einem Wohnmobil am Rhein vielleicht. Das soll da unten absolut angesagt sein. Statt die Welt mit ihnen zu erkunden, nutzen diese blödsinnigen Wessis rollende Campingwagen, um sich einen blasen zu lassen.“

Hendrik, der sich die Szene offenkundig bildlich vorstellte, wurde rot bis zu den Haarspitzen.

Katie schüttelte bedauernd den Kopf. „Nein, so einfach ist es nicht, Chef. Leider. Frau Lehmann war früher bei der Kripo in Koblenz. Genauer gesagt, hat sie für die Mordkommission gearbeitet. Als psychologische Beraterin. Sie war bei ihren Kollegen beliebt. Ich habe mit ihrem direkten Vorgesetzten gesprochen, dem Ersten Kriminalhauptkommissar Jochen Berg. Er kennt Sina Lehmann bereits aus ihrer gemeinsamen Jugend. Sie kommen beide aus dem … warten Sie mal“, Katie warf einen Blick auf ihren Notizblock, „Westerwald. Ist ein rechtsrheinisches Mittelgebirge. Zieht sich vom Rheingraben …“

„Schon gut, Hansen, keinen Geografieunterricht. Sina Lehmann ist also eine Kollegin, eine sehr beliebte dazu. Gut. Das heißt, die Kollegen vom Rhein werden unsere Ermittlungen mit Argusaugen beobachten, weil sie ein persönliches Interesse am Schicksal der Frau haben. Ist nachvollziehbar, oder? Und wir haben nichts zu verbergen. Außerdem ist Koblenz ziemlich weit weg. Ach, Hansen, wussten Sie eigentlich, dass am Deutschen Eck in Koblenz Rhein und Mosel zusammenfließen?“ Jetzt grinste Johannsson.

„Ehrlich gesagt, Chef, wusste ich bis gerade nicht mal, dass es die Mosel gibt. Doch ich fürchte, Koblenz ist gar nicht so weit weg, wie Sie es sich wünschen. Denn Berg schickt uns einen Kollegen hoch. Kriminalhauptkommissar Alexander Bierbrauer. Er soll Sina Lehmann am besten kennen, und Berg meinte, er könnte uns vielleicht nützlich sein. Ist offenbar schon losgefahren und müsste spätestens morgen früh hier auftauchen.“

Johannsson sprang von seinem Schreibtischsessel auf und baute sich in seiner ganzen Größe vor seinen Mitarbeitern auf. „Was soll das heißen, er ist schon losgefahren? Dass die Kollegen uns Hilfe anbieten, ist ja ehrenwert. Aber ich würde gern gefragt werden, ob ich diese Unterstützung haben möchte. Und was will dieser Berg damit andeuten, dass sein Kollege Braumeister …?“

„Bierbrauer“, verbesserte Katie und fing sich einen verärgerten Blick ein.

„Dass Kollege Bierbrauer Sina Lehmann besonders gut kennt? Ist da was zwischen denen gelaufen, oder was? Ein wild gewordener Liebhaber ist das Letzte, was wir in einer Mordermittlung gebrauchen können.“

„Das habe ich Berg auch gesagt“, erklärte Katie in aller Ruhe. „Er hat mich freundlich darauf aufmerksam gemacht, dass er meine Bedenken zwar grundsätzlich teilt, persönlich allerdings nicht glaubt, dass wir Bierbrauer davon abhalten können, Sina Lehmann zu suchen. Es sei denn, wir erschießen ihn.“

„Hat er das genauso gesagt?“, wollte Johannsson wissen.

„Wortwörtlich, Chef.“

Der Leiter der Kripo Stralsund ließ sich in seinen Sessel zurückfallen. „Na dann, Kollegen, machen Sie sich auf was gefasst. Und vergewissern Sie sich, dass Ihre Dienstwaffen immer geladen sind. Falls es nötig wird, diesen Braumeister einzubremsen.“