Leseprobe Sommer im Gutshof zum Glück

1.

Der Koffer lag offen und bereits gut gefüllt auf dem Bett. Sarah Kunzmann stand an diesem sonnigen Junimorgen in ihrem WG-Zimmer vor dem Kleiderschrank und blickte unschlüssig auf die Reste ihrer überschaubaren Sommergarderobe. Sie zog ein buntes Shirt-Kleid aus dem Fach, was sie seit einer gefühlten Ewigkeit besaß. Mit dem Fuß gab sie der offenstehenden Zimmertür einen Schubs, sodass diese zufiel. Quadratische Spiegelkacheln kamen auf der Rückfront zum Vorschein. Mit skeptischer Miene ließ Sarah das Kleid vor der Brust nach unten fallen. Na ja, für den Strand würde es noch gehen. Ihr Blick wanderte zu den bereits eingepackten Sachen. Obenauf lag der neue Bikini. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie legte das Kleid zur Seite und holte ihn wieder hervor. Herrje, wenn sie so weitermachte, würde sie nie mit dem Packen fertig werden. Ihre Finger fühlten das seidige Gewebe und sie dachte daran, wie angenehm es sich auf ihrer Haut angefühlt hatte. An den Preis mochte sie allerdings nicht mehr denken. Für ihre Verhältnisse war der Bikini sündhaft teuer gewesen. Fünfundneunzig Euro für so ein bisschen Stoff. Doch bei dem frechen Karo in Pink und Marine hatte sie einfach nicht widerstehen können. Ein Teil des angesparten Taschengeldes für den Urlaub war damit verbraucht. Aber schließlich hatte sie den Bikini auch nur wegen der Reise gekauft. Bis heute war es ihr ein Rätsel, wie sie in das noble Wäschegeschäft geraten war. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit war sie an diesem Tag einen anderen Weg nach Hause gegangen. Warum, wusste sie schon gar nicht mehr. Nur, dass sie das Glück in jeder einzelnen Pore gespürt hatte, daran erinnerte sie sich noch gut. Es war am Tag nach der Bekanntgabe der Prüfungsergebnisse gewesen. Ab diesem Moment konnte sie sicher sein, bestanden zu haben. Da durfte man doch auch mal unvernünftig sein, oder? Und dann stand sie vor der Auslage. Bei schöner Wäsche wurde sie immer schwach. Egal, in welchem Laden. Also war klar, nur mal kurz am Schaufenster die Nase plattdrücken. Doch zweifellos war dies kein Geschäft für junge Studentinnen. Eher wohl für Professorengattinnen. Und trotzdem konnte sie nicht weitergehen. Nach dem Preis fragen wird schließlich erlaubt sein, dachte sie. Sogar erwünscht, wie die nette Verkäuferin meinte, die so ganz anders war als das Personal in den Läden, wo sie sonst einkaufen ging. Die sehr attraktive Dame um die fünfzig bat sie herein und fand es überhaupt nicht merkwürdig, dass Sarah sich nur mal umsehen wollte. Nachdem die Verkäuferin, vielleicht war es auch die Inhaberin des Ladens, wusste, was die junge Kundin interessierte, legte sie eine Auswahl von Bademoden vor. Doch kein Bikini gefiel ihr so gut wie der im Stil der 50er Jahre aus dem Schaufenster, bei dem sie am Ende doch geblieben war. Die nette Dame ermunterte sie, ihn anzuprobieren. Vielleicht würde er dann gar nicht mehr so gut aussehen, hoffte Sarah insgeheim, nachdem sie das Preisetikett entdeckt hatte. Leider stellte sich das Gegenteil heraus. Bei dieser Figur und mit etwas Bräune würde sie Personenschutz beantragen müssen, hatte die Verkäuferin gemeint. Sarah hatte die Aussage schmunzelnd hingenommen. Schließlich war bekannt, dass in Verkaufsgesprächen gern übertrieben wurde, insbesondere bei dem Preisniveau. Viel mehr interessierte sie Daniels Reaktion. Dabei erwartete sie keine großen Komplimente, so ein Typ war er nun mal nicht. Trotzdem freute sie sich darauf, endlich wieder ein bisschen mehr Spaß in ihr Leben zu lassen. Die letzten Wochen waren von Prüfungsvorbereitungen und dem Job im Bistro beherrscht worden. Endlich lag jetzt alles hinter ihr. Noch immer konnte sie es nicht glauben, träumte nachts von überfüllten Hörsälen und verpatzten Diplomarbeiten. Doch mittlerweile lag die Examensurkunde in einem neuen, extra dafür angeschafften Ordner im Sekretär. Und niemand konnte ihr diesen Erfolg nehmen. Jetzt musste nur noch eine der Schulen, an denen sie sich beworben hatte, eine Zusage schicken und alles, na ja fast alles, wäre perfekt. Sie betrachtete sich im Spiegel. Definitiv war jetzt erst mal Spaß angesagt. Sie wollte nicht schon wieder an Pflichten denken. Ob Daniel die gleichen Sehnsüchte hatte? Er redete nicht viel, schon gar nicht über Gefühle, doch wenn man ihn brauchte, war er da. Das schätzte Sarah sehr an ihm. Es war so lange her, dass sie richtig Zeit füreinander gehabt hatten. Das könnte doch reizvoll sein, ein bisschen so, als würden sie sich neu entdecken. Sie strich sich ihr volles, weizenblondes Haar zurück und band sich einen Zopf. Wenn sie nicht bald aufhörte zu träumen, würde sie morgen noch hier stehen. Das Klingeln des Telefons unterbrach ihre Gedanken.

„Daniel, hi, was ist los? Um die Uhrzeit hast du ja noch nie angerufen. Geht’s dir gut?“

„Ja, ja, ich bin okay, aber ich muss dringend mit dir reden.“

Er machte eine bedeutungsvolle Pause und atmete tief aus, bevor er weitersprach.

„Sarah, ich hab ein Angebot von meinem Chef bekommen. Das kann ich unmöglich ausschlagen. Ich klettere die Karriereleiter gleich drei Stufen nach oben, wenn ich sofort für zwei Jahre in die USA gehe.“

„Oh, heißt das, wir fahren nicht nach Spanien?“

Sarah setzte sich aufs Bett. Ein leichter Druck kam aus der Magengegend. Enttäuscht sah sie auf den offenen Koffer neben sich. Seit Jahren hatte sie keinen richtigen Sommerurlaub mehr gemacht.

„Ja, leider. Ich muss nächste Woche schon hin. Es ist jemand ausgefallen. Herzinfarkt. Tut mir leid, ich habe auch erst gestern Abend davon erfahren." Daniel hielt kurz inne und sprach dann schnell und eindringlich weiter. „Schatz, ich möchte, dass du mitkommst. Es ist an der Ostküste, nicht in den Südstaaten. Es wird dir gefallen, ich habe schon Bilder gesehen, es ist wunderschön dort, nicht weit bis zum Atlantik. Du müsstest also nicht auf den Urlaub verzichten.“

Sarah schluckte, sollte sie ihm jetzt etwa dafür dankbar sein, dass er sich an ihre Abneigung gegen Schlangen und Skorpione erinnerte?

„Und was ist mit dir? Du musst doch arbeiten, oder?“

„Ja leider, ähm, es geht nicht anders. Deswegen bekomme ich ja diese Chance, verstehst du? So eine Möglichkeit kommt so schnell nicht wieder.“

Natürlich konnte sie ihn einerseits verstehen, aber andererseits, würde das jemals aufhören? Seit sie Daniel kannte, bestimmte der Job sein Leben. Sicher wäre es reizvoll, für ein paar Wochen die Ostküste der USA zu bereisen. Aber nicht so. Sie schüttelte den Kopf. Nein, ihr Traumurlaub mit Daniel sah anders aus.

„Wie stellst du dir das vor? Soll ich etwa allein in einer fremden Wohnung im Ausland Urlaub machen, während du den ganzen Tag arbeitest und dann spät abends erschöpft aus dem Büro kommst? Tolle Vorstellung. Und wie lange soll das gehen? Du weißt doch, wie wichtig mir das ist, dass ich Ende August in einer Schule mein Lehramt antreten kann und damit endlich auf eigenen Füßen stehe.“

„Ja, aber manchmal ändern sich die Dinge auch. Du kannst dich doch auf mich verlassen.“

„Ja, aber … hör doch mal zu …“

„Nein, kein aber! Ich finde, jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um zu heiraten, damit du siehst, wie ernst mir das ist“, unterbrach er sie.

Sarah stöhnte innerlich auf. Besonders romantisch war Daniel nie gewesen, aber dass er ihr einen Heiratsantrag am Telefon machen würde, hätte sie ihm dann doch nicht zugetraut.

„Daniel, was ist mit dir los? Spinnst du? Wir müssen doch erst mal zusammenziehen, um zu testen, ob das mit uns überhaupt funktioniert.“

„Ich war noch nie so klar. Das passt, das weiß ich auch so. Sarah, du bist 28 Jahre, im besten Alter für Kinder. Dein Beruf läuft dir nicht weg, du kannst doch später wieder einsteigen.“

Sarah lachte schrill.

„Wie bitte? Darüber hast du noch nie mit mir gesprochen. Vielleicht kannst du dir mal kurz ins Gedächtnis rufen, dass man, um Kinder zu kriegen, Sex haben muss. Ich kann mich an das letzte Mal kaum erinnern.“

„Äh, da mach dir mal keine Sorgen, das ändert sich, das verspreche ich dir.“

Sarah wurde es zu bunt. Energisch schnitt sie ihm das Wort ab.

„Hör bitte auf, du machst dir was vor! Dein Job ist dein Leben. Das ist okay, aber ich habe auch nicht nur zum Spaß studiert. Tut mir leid, aber ich glaube nicht, dass sich an deinem Leben was ändern wird. Mir wird gerade klar, dass du nie viel Zeit für mich haben wirst. Bisher hat das für mich gestimmt, aber jetzt nicht mehr. Ich kann nicht all meine Zukunftspläne komplett über den Haufen schmeißen und sie so einfach gegen neue ersetzen. Das musst du verstehen. Das würdest du umgekehrt auch nicht tun.“

„Und, wie soll es dann weitergehen?“

„Fahr doch erst mal hin und schau, wie es für dich ist, dann werden wir sehen.“

„Tja“, Daniel räusperte sich, „was soll ich sagen, ich hab die Tickets und das Hotelzimmer schon gebucht.“

„Wiiie?" Sarah holte tief Luft, um die Übelkeit zu unterdrücken, die in ihr hochkam. „Ohne mich vorher zu fragen?“

„Ich bin davon ausgegangen, dass du dich darüber freust.“

Sarah stand auf und ging im Zimmer auf und ab. Sie öffnete das Fenster und die Tür zum Flur. Sie kam sich vor, als hätte sie Fieber. Wie ein Flächenbrand breitete sich Wut in ihr aus. Wieder atmete sie tief ein und aus und spürte, wie die Entrüstung einer tiefen Traurigkeit wich.

„Bist du noch da?", rief Daniel in den Hörer.

„Natürlich! Wo soll ich denn schon sein?", fuhr sie ihn gereizt an. Noch einmal holte sie tief Luft. Sich gegenseitig anzuschreien brachte einfach nichts. Sie zwang sich zu einem ruhigeren Ton. „Daniel, ich mag keine Entscheidungen, die über meinen Kopf hinweg gefällt werden. Ich dachte, das wüsstest du. Wann haben wir das letzte Mal über uns gesprochen? Ich fühle mich total übergangen von dir.“

„Willst du es beenden?“

„Ich wollte eigentlich mit dir in den Urlaub fahren und unsere Beziehung auffrischen. Oder findest du das, was wir in den letzten Monaten hatten, normal?“

„Na ja, es war nicht unbedingt optimal, das gebe ich zu, aber für mich gibt es nur dich. Nur, damit du nicht auf falsche Gedanken kommst.“

„Daran hab ich keine Zweifel, aber besser wird die Situation deswegen trotzdem nicht. Du siehst das Problem zu einfach. In den letzten zwei Tagen hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob ich einen Mann will, der seine ganze Erfüllung in der Arbeit sieht. Ich hatte gehofft, dir in unserem Urlaub wieder etwas näherzukommen, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass du mich überhaupt nicht brauchst.“

„So einen Quatsch hab ich lange nicht gehört“, rief er dazwischen.

„Doch“, ließ sich Sarah nicht beirren. „Du willst doch nur deshalb eine Beziehung, weil es zu deinem Lebensplan gehört, eine zu haben. Daniel … darüber haben wir gesprochen. Nur zum Vorzeigen tauge ich nicht, wie oft denn noch. Verdammt! Und ich hab wirklich geglaubt, du bist anders.“

„Ich habe dich nie so behandelt wie dein Ex“, rief er entrüstet in den Hörer.

„Ja, gut, das stimmt, du hast mich nicht so vorgeführt“, räumte sie ein. „Aber trotzdem. Du vermisst mich nicht mal, wenn wir uns nicht sehen können.“

„Woher willst du das wissen?“, rief Daniel empört. „Du tust gerade so, als ob du meine Gedanken lesen könntest. Ich hab dir gesagt, es wird sich ändern, und dann ist das auch so, glaub mir.“

„Woher ich das weiß?“ Sarahs Stimme überschlug sich. „Möchtest du wirklich, dass ich dir jetzt die ganzen Wochenenden aufzähle, an denen du wegen deiner Termine und Geschäftsreisen keine Zeit für mich hattest? Oder die Abende, an denen du frühzeitig gegangen bist, weil dir dein Schlaf wichtiger war als neben mir aufzuwachen? Für manche Antworten braucht man keine Beweise. Das fühlt man einfach. Füüühlen, Daniel. Und versuch jetzt nicht, mir was zu versprechen, was du sowieso nicht halten kannst. Wenn du dir nur mal kurz die Zeit nimmst, darüber nachzudenken, wirst du sicher zum gleichen Schluss kommen.“

Sarah krächzte. Ihre Stimme verlor an Lautstärke. Für einen Moment herrschte Schweigen. Das Gesagte stand wie eine unüberwindbare Mauer zwischen ihnen.

„Ich kann dich nicht umstimmen, oder?“

„Nein. Tut mir leid, das geht nicht. Ich brauche Zeit.“

Bevor er noch etwas sagen konnte, hatte sie den roten Knopf gedrückt. Erschöpft legte sie sich aufs Bett und schloss die Augen. Das Gefühl einer großen Leere durchflutete sie. Wieso fühlte sie keinen Schmerz und warum kamen keine Tränen? War sie etwa gefühlskalt?

Das Telefon klingelte erneut. Daniels Nummer blinkte im Display. Sarah ließ es klingeln. Es war alles gesagt.

Der Schlüssel drehte sich im Türschloss. Rike, ihre Freundin und Mitbewohnerin, kam nach Hause. Sie teilten sich die kleine Zweizimmerwohnung und kamen bestens miteinander aus. Auch Rike studierte Lehramt, hatte aber noch zwei Jahre vor sich, bevor sie das Referendariat machen konnte. Seit Kurzem schwebte sie im siebten Himmel, weil sie in einen jungen Polizisten namens Sebastian verliebt war.

„Hi, bin wieder da“, rief sie. Mit wenigen Schritten stand sie in der offenen Tür von Sarahs Zimmer und grinste über das ganze Gesicht. Sarah setzte sich auf und blickte suchend an ihrer Freundin vorbei.

„Bist du allein?“

Seit Tagen machte Rike keinen Schritt ohne Sebastian.

„Ja, Basti muss in die Spätschicht und ich brauche unbedingt eine große Portion Schlaf.“ Sie deutete auf das Telefon, das blinkend und nach wie vor klingelnd auf dem Nachttisch lag. „Willst du nicht rangehen?“

„Nee, lass es bimmeln! Das ist Daniel, wir haben eben genug geredet.“

Rike runzelte die Stirn und kam näher, ihr Gesicht wurde ernst. Das Telefon schwieg.

„Ihr habt gestritten?“ Rike wirkte ehrlich überrascht. „Wahnsinn! Das habe ich ja noch nie erlebt.“

Stimmt, dachte Sarah ironisch, wie auch, wenn man sich so fremd war.

„Streiten kann man das nicht nennen. Ich würde eher sagen, es ist aus.“

Sarah berichtete ihrer Freundin von dem Gespräch mit Daniel. Sie gingen in die Küche, um sich einen Kaffee zu brühen.

„Was hast du jetzt vor? Fährst du trotzdem nach Spanien?“

Sarah holte die Milch aus dem Kühlschrank.

„Nee, auf gar keinen Fall. Erstens hat Daniel alles gebucht und außerdem kann ich mir das allein nicht leisten.“ Sie stutzte.

„Mist, jetzt hab ich das Bistro schon gekündigt. Aber, ach, da will ich auch nicht mehr hin.“

Rike nickte verständnisvoll. Sarah setzte sich ihr gegenüber an den kleinen Tisch.

„Wegen Martin? Hat er immer noch nicht kapiert, dass er nicht bei dir landen kann?“

Martin Küllmer, Mitte dreißig und geschieden, war der Chef des Bistros, in dem Sarah mehr als drei Jahre gejobbt hatte. Von Anfang an war er hinter ihr her gewesen. Selbst die Tatsache, dass sie mit Daniel zusammen war, konnte ihn nicht davon abhalten, sie anzubaggern.

„Das kapiert der nie. Egal, dann muss eben was anderes gehen. Wenn ich mir vorstelle, dass ich mehr als sechs Wochen Zeit habe, um mir einen Kopf wegen meines verkorksten Lebens zu machen, werde ich verrückt. Ich muss was tun, was mich auf andere Gedanken bringt.“

„Sechs Wochen!“ Rike riss die Augen auf und hielt für einen Moment die Luft an, bevor sie japsend weitersprach. „Das ist mein Stichwort! Warte mal, da fällt mir was ein. Mensch Sarah, das gibt’s nicht. Du bist meine Rettung. Supii“, rief sie und riss die Arme in die Luft, so als hätte sie gerade den Weltrekord im Hochgeschwindigkeitsdenken gebrochen. Sarah konnte ihre Mitbewohnerin nur erstaunt ansehen. Doch dann dämmerte es ihr. Rikes begeisterte Berichte über das Waldecker Hofgut fielen ihr wieder ein. Seit der Teenagerzeit half sie jedes Jahr während der Ferienzeit auf einem Reiterhof im Waldecker Land aus. Sozusagen als Mädchen für alles, aber im Besonderen sorgte sie für die Verpflegung der kleinen Gäste. Als Arbeit konnte man die Betreuung von Kindern und Jugendlichen kaum bezeichnen. Die Beschäftigung als Küchenhilfe und Zimmermädchen war überschaubar und wurde gut bezahlt. Rikes Familie kam aus dem kleinen Ort in der Nähe des Edersees. Schon ihre Mutter hatte hin und wieder auf dem Gut ausgeholfen. Es war also nicht ganz einfach für sie, diesen Einsatz so kurzfristig und kommentarlos zu streichen. Doch Rike wollte um jeden Preis die Ferien mit Sebastian verbringen. Sie glaubte, ihrer großen Liebe begegnet zu sein. Sebastians Jahresurlaub stand nun dummerweise genau zum selben Zeitpunkt an wie der Aushilfsjob. Noch dazu bekam er die Möglichkeit, kostengünstig die Ferienwohnung seiner Eltern auf Sylt zu beziehen. Aber nur genau während dieser Zeit. Sonnenklar, dass Rike den Liebesurlaub der Betreuung fremder Kinder vorzog.

Rike sprang auf und lief in die Diele, wo ihre Tasche stand, kam mit dem Handy zurück und umarmte ihre Freundin.

„Es gibt doch für alles eine Lösung. Was bin ich froh. Seit Tagen wähle ich mir die Finger wund. Doch keine von denen, die das schon mal gemacht haben, konnte einspringen. Ich könnte die ganze Welt umarmen.“

Erschrocken hielt Rike inne.

„Entschuldige! Ich bin taktlos, schließlich hast du gerade eine Trennung hinter dir und ich denke nur an mich.“

Rike machte ein zerknirschtes Gesicht, doch Sarah winkte verständnisvoll ab.

„Halb so wild, ich wundere mich selber, wie cool ich bin, aber dich hat’s ja ganz schön erwischt.“

„War das am Anfang mit Daniel und dir nicht auch so?“

Rike sah ihre Freundin verwundert an. Die Wohngemeinschaft der beiden Frauen war erst vor anderthalb Jahren entstanden. Da waren Sarah und Daniel bereits ein Paar gewesen. Sarah blickte zur Decke und dachte nach.

„Du meinst, ob wir tagelang nicht aus dem Bett gekommen sind und so?“

„Zum Beispiel.“

„Nein, nicht wirklich.“ Sarah runzelte die Stirn und sah Rike wieder an. „Daniel ist nicht so triebhaft. Es war natürlich mehr als in den letzten Monaten, aber so wie bei euch war es nicht.“ Sie hob hilflos die Schultern.

„Und du hast nichts vermisst?“ Rike schüttelte ungläubig den Kopf. „Dann ist es wirklich gut, dass er nach Amerika muss. So nüchtern, wie du über Sex mit Daniel redest, könnte man meinen, ihr hättet eine wissenschaftliche Studie darüber verfasst. Was du brauchst, ist ein anständiger Kerl, ein guter Lover. Verstehst du?" Rike sah sie beschwörend an. „Damit du weißt, wovon ich rede. Du hast ja keine Ahnung, was du verpasst.“

Sarah zog die Brauen hoch. Was sollte sie dazu sagen? Ihrer Meinung nach war ihr nichts entgangen. Sie dachte an die beiden Beziehungen vor Daniel. Manuel – mit ihm hatte sie das erste Mal erlebt und sich gefragt, warum alle so ein Trara darum machten. Mit der Zeit fand sie etwas mehr Gefallen daran. Dann kam Lukas, der mehr Erfahrung hatte. Doch einfühlsam konnte er nur sein, solange er noch nicht am Ziel war. Anfangs beeindruckte sie sein draufgängerisches Verhalten noch, sie hielt es für Liebe, aber nach einer Weile fühlte sie sich von ihm nur noch benutzt. Weitere Erinnerungen gab es nicht. Besonders spektakulär konnte der Sex also nicht gewesen sein, gestand sie sich ein. Oder hatte sie die Erinnerung daran nur verdrängt? Daniel war von Anfang an liebevoller und zärtlicher mit ihr gewesen. Er respektierte ihre Gefühle und ließ ihr Zeit. Sie fühlte sich verstanden, aber nach Rikes Schilderungen waren sie wohl über die Mittelmäßigkeit nicht hinausgekommen. Bestimmt war Rike einfach nur ein viel heißblütigerer Typ. Sarah starrte in ihre Kaffeetasse. Woran erkannte man, ob jemand leidenschaftlich war? Tatsächlich zeigte Rike, wenn es um Sebastian ging, ganz neue Seiten, denn ansonsten war sie eine eher bodenständige und realistische Person. Im letzten Sommer, konnte sich Sarah erinnern, war ein Tobias der erklärte Favorit ihrer Freundin gewesen, was den Job auf dem Reiterhof aber nicht infrage gestellt hatte. Ein Danach gab es nicht mehr, weil Tobias keine kalten Betten mochte. Rike hatte das mit Fassung aufgenommen. Seltsam. Bei Sebastian schien jetzt alles anders zu sein. Sarah betrachtete Rike eindringlich und schüttelte dann über die eigenen Gedanken den Kopf. Schluss damit, es gab Wichtigeres, als über Beziehungen und Sex nachzudenken. Rike tippte gerade eine Nummer in die Tastatur ihres Mobiltelefons. Kurz darauf begrüßte sie erfreut eine Maritta. Mit wenigen Worten erklärte sie die Situation und schilderte Sarahs Küchenfertigkeiten sowie ihren Werdegang. Im Nu war alles geklärt. Maritta war anscheinend einverstanden.

„Samstag um 10 musst du da sein.“

2.

Hendrik von Freyenhof bog mit dem Jeep auf den Zufahrtsweg zum Gut ein, als sein Handy am Armaturenbrett in der Freisprechhalterung klingelte. Bounty, die Bordercolliehündin seines Vaters, bellte. Für die Zeit seines Reha-Aufenthaltes kümmerte sich Hendrik um das Tier. Die Hündin hatte einen Narren an ihm gefressen und außerdem konnte er sie bei seinen täglichen Erledigungen meistens mitnehmen. Aufgeregt sprang sie auf und sah aus der Heckscheibe. Mit ihren knapp zwei Jahren hatte sie sich noch immer nicht an das Geräusch gewöhnt. Egal, welchen Ton er auch auswählte.

„Ruhig jetzt, Bounty. Aus.“

Auf dem Display erschien Hannelore, seine Mutter. Hendrik verzog ärgerlich das Gesicht. Schon wieder! Seit sein Vater vor drei Tagen mit Verdacht auf Herzinfarkt ins Krankenhaus gekommen war, ging das schon so. Er wappnete sich innerlich und tippte aufs Smartphone.

„Mama, was gibt’s? Ich bin gleich da, stehe sozusagen schon vor der Tür.“

„Gut, ich wollte nur sichergehen, dass du unsere Besprechung nicht vergisst.“

„Nein, natürlich nicht. Wie auch? Es ist heute das dritte Mal, dass du mich daran erinnerst.“

„Entschuldige, aber ich weiß doch, an was du alles denken musst“, versuchte sie, sich zu rechtfertigen.

„Es gab im Sägewerk noch Probleme mit der Hebebühne, deshalb bin ich etwas später.“

„Gut. Wir sind im Arbeitszimmer. Bis gleich.“

Hendrik war inzwischen auf dem Hof angekommen. Er parkte und ließ Bounty aus dem Jeep springen, bevor er die wenigen Treppenstufen des Haupthauses hinaufeilte. Eine Besprechung. Bisher waren Familienangelegenheiten beim gemeinsamen Essen, was an den meisten Tagen abends eingenommen wurde, beredet worden. Als wenn dafür jetzt Zeit wäre. Hendriks Blick streifte flüchtig das u-förmig angelegte, weitflächige Anwesen mit seinen altehrwürdigen Fachwerkgebäuden, deren Mauern teilweise bis in das 17. Jahrhundert zurückreichten. Gut Freyenhof zählte zu den größten in der ganzen Region. Einst galt es, insgesamt 750 Hektar Wald- und Freiflächen zu bewirtschaften. Mittlerweile waren Teile der Ländereien verpachtet oder auch verkauft. Die Forstwirtschaft stellte die größte Einnahmequelle dar. Doch das reichte nicht, um das Familienerbe zu bewahren. Schon in den 1980er Jahren hatte sein Vater Hans-Hermann, mit Zustimmung seines Großvaters Wilhelm-Konrad, die unrentable Landwirtschaft in weiten Teilen aufgegeben und den Betrieb umstrukturiert. Die alten Gemäuer wurden modernisiert und zu einem Reiter- und Ferienhof aus- und umgebaut. Der herkömmlichen Pferdezucht stand das nicht im Weg. Ein weiteres, stattliches Haus, das etwas außerhalb des Hofgebäudes stand und früher als Gesindehaus diente, wurde bereits in den 1950er Jahren zu einem Hotel mit Restaurant umfunktioniert. Seit dem Abschluss seines Studiums vor einem Jahr stand Hendrik nun seinem Vater im Betrieb voll zur Seite, wobei sein Hauptaugenmerk auf der Bewirtschaftung des Waldes mit dem dazugehörigen Sägewerk lag, denn das hatte er studiert.

Er betrat das nach westfälischer Art erbaute Herrenhaus. Das Gebäude beeindruckte allein schon wegen seiner Größe. Rechteckig, geradlinig, schnörkellos und trotzdem imposant. Eilig durchquerte er die großzügige Diele und betrat das Büro seines Vaters. Bounty immer vorweg. Sie kannte den Weg. In dem mit Eichenholz ausgestatteten Raum fühlte man sich zurückversetzt in eine längst vergangene Zeit. Der schwere Schreibtisch aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts beherrschte den Raum ebenso wie die mit Büchern und Akten gefüllten Regale an den Wänden. Das einzige Zugeständnis an die Neuzeit war der Computer, gefolgt vom Faxgerät, Kopierer und Drucker. Dem gegenüber stand ein Ledercouchensemble im englischen Stil mit passendem Tisch. Durch das Fenster konnte man die Pferdeweiden sehen. Bounty lief schwanzwedelnd auf Eike zu, der mit Dorit auf der bequemen Couch saß, um sich ihre Streicheleinheiten abzuholen. Vor Dorits Füßen rollte sie sich schließlich zufrieden zusammen und verfolgte das Geschehen um sie herum mit wachsamen Blicken. Über der Sitzgruppe hingen Urkunden, Auszeichnungen und Ölgemälde, auf denen vor allem Pferde zu sehen waren. Einmal mehr eine Veranschaulichung der langen Tradition des Gestüts. Hannelore legte den Telefonhörer aus der Hand und kam auf Hendrik zu.

„Setz dich, ich will euch von eurem Vater berichten. Ich war heute Morgen im Krankenhaus und habe eben nochmal mit der Stationsschwester telefoniert.“

Wortlos setzte er sich zu seinem Bruder und dessen Frau, während Hannelore auf und ab ging, bis sie abrupt stehenblieb.

„Gott sei Dank.“ Sie presste eine Hand auf ihr Dekolleté und holte tief Luft. „Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, dass ich euch das jetzt so weitergeben kann. Eurem Vater geht es schon viel besser. Es war nicht, wie anfangs vermutet wurde, ein Herzinfarkt, sondern Angina Pectoris, was eine Art Verkrampfung des Herzens ist.“

Dorit stand auf und umarmte ihre Schwiegermutter. „Ich kann mir vorstellen, wie erleichtert du bist. Wir freuen uns auch. Aber wie geht’s jetzt weiter?“

Auch die Brüder waren aufgestanden und drückten ihre Mutter liebevoll.

„Danke Kinder, ich weiß, dass ihr euch genauso viele Sorgen gemacht habt wie ich. Euer Vater geht morgen für mindestens drei Wochen nach Rotenburg zur Reha. Wie ihr euch vorstellen könnt, kommt sein Zustand nicht von ungefähr. Die vielen Verpflichtungen und Termine. Ja, und ich weiß auch, was ihr dazu sagen wollt, er hat sich nicht davon abbringen lassen. Gut, das ist jetzt nicht mehr zu ändern. Die Ärzte haben ihm gehörig den Marsch geblasen. Doch nun müssen wir mit den Aufgaben, die anstehen, fertig werden.“

Hendrik, Eike und Dorit setzten sich wieder und Hannelore nahm ihnen gegenüber Platz. Sie holte tief Luft und jeder wusste, woran sie dachte. Wie jedes Jahr um diese Zeit stand das Springturnier mit Auktion in gut zwei Wochen an. Außerdem musste die erste Welle von Ferienkindern bewältigt werden, die am Sonntag anreisen würden.

Hans-Hermann von Freyenhof war ein leidenschaftlicher Reiter und Pferdezüchter. Als junger Mann war er so erfolgreich gewesen, dass er es bis in die Reihen der Olympioniken geschafft hatte. Besonders stolz war er auf das über die Grenzen des Landes hinaus bekannte, internationale Springturnier, das jährlich auf dem Gut stattfand.

„Die Unterbringung und Bewirtung ist bereits in trockenen Tüchern. Das zusätzliche Personal ist schon angeheuert. Also für meinen Teil kann ich sagen, wir sind gerüstet“, meldete sich Eike zu Wort und Dorit nickte zustimmend.

Hendrik betrachtete die beiden neben sich, die so zufrieden wirkten. Eike, mit seinen dreiunddreißig Jahren vier Jahre älter als er, wusste seit seiner Jugend, dass er Sternekoch werden wollte. Nach der Ausbildung in einem Spitzenrestaurant in Kassel absolvierte er weitere Schulungen fürs Hotelmanagement, wo er dann die Konditorin Dorit kennen- und lieben lernte. Die beiden waren seit vier Jahren ein Paar und hatten im vergangenen September geheiratet. Von Anfang an stand für seine Eltern fest, dass damit die Zuständigkeiten auf dem Gut klar geregelt waren. Hendrik dagegen sprang überall mal ein, selbst im Hotel half er hin und wieder aus, wenn Not am Mann war.

Er zog leicht verärgert die Augenbrauen hoch und räusperte sich. „Ja, leider kann ich das von mir noch nicht sagen. Mir war klar, dass das jetzt alles auf mich zukommt. Aber es ist schließlich das erste Mal, dass ich mich um die Organisation kümmern muss. Bisher habe ich Vater nur dabei geholfen, wenn es zeitlich mit meinem Studium passte.“ Er räusperte sich wieder. „Mit Uwe Ritter habe ich schon gesprochen. Er wird das Sägewerk für die nächsten drei Wochen weitgehend ohne mich leiten. Die Waldarbeiter wissen auch Bescheid. Wenn es Probleme gibt, können sie sich an ihn wenden. Auf Uwe ist Verlass.“

„So war das doch nicht gemeint. Ich wollte damit nur sagen, dass ich für das, was in meiner Verantwortung liegt, vorbereitet bin“, Eike hob beschwichtigend die Hand. „Ich habe keine Ahnung, welche Vorbereitungen für das Turnier getroffen werden müssen und wüsste gar nicht, wie ich dir dabei helfen könnte.“

Hannelore sah die Brüder eindringlich an und Eike schwieg.

„Bitte, keine Diskussionen, das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können, ist Streit.“ Sie wandte sich Hendrik zu. „Ich habe mir darüber auch meine Gedanken gemacht. Wir müssen uns nichts vormachen. Selbst wenn euer Vater jetzt zurückkäme, könnte er nicht da weitermachen, wo er aufgehört hat. Das wird wahrscheinlich in dieser Form gar nicht mehr möglich sein. Und ich werde es nicht zulassen, dass er seine Gesundheit noch einmal so gefährdet. Hendrik, es verlangt niemand von dir, dass du alle Aufgaben deines Vaters eins zu eins übernehmen sollst. Das ist unmöglich.“ Hannelores Lippen umspielte ein Lächeln. „Tja, und weil das so ist, habe ich Gesine angerufen und sie um Hilfe gebeten." Sie machte ein zufriedenes Gesicht, als sie weitersprach. „Gesine ist wirklich ein sehr nettes Mädchen, pardon, eine junge Frau, und sie war sofort einverstanden. Sie hat mir versprochen, überall einzuspringen, wo Not am Mann ist. So, das ist meine Überraschung. Nun müssen wir alle Aufgaben nur noch neu verteilen.“

Die Brüder sahen sich entgeistert an. Dorit, die das beobachtete, hob fragend die Augenbrauen. Mit aufeinandergepressten Lippen, bewegte Hendrik unruhig seine Beine und studierte die Maserung des in die Jahre gekommenen Orientteppichs. Eike und Dorit sahen sich vielsagend an. Er schüttelte unauffällig den Kopf, als sie zu einer Frage ansetzen wollte. Beide sahen erschrocken auf, als Hendrik ruckartig aufstand und begann, durch den Raum zu laufen. Er konnte einfach nicht länger sitzen bleiben. Als Bounty ihm folgte, streichelte er die Hündin liebevoll und deutete ihr mit dem ausgestreckten Zeigefinger an, dass sie sich wieder hinlegen sollte.

„Hältst du das wirklich für nötig?“ Er blieb schließlich vor seiner Mutter stehen. Seine Stimme klang ruhig, obwohl er sich sehr beherrschen musste. „Sie hat doch mit ihrem Job genug zu tun! Soviel ich weiß, greift sie ihrem Vater bei der Büroarbeit unter die Arme. Da kann man ihr doch nicht noch mehr zumuten. Ich bin sicher, wir kriegen das auch ohne sie hin.“

Entschlossen sah Hannelore zu ihrem Jüngsten auf, der jetzt vor ihr stand. Hendrik bemerkte die Falte, die sich über ihrer Nasenwurzel bildete. Ein sicheres Zeichen, dass sie keinen seiner Einwände gelten lassen würde. Sie hatte bereits entschieden. Resigniert wandte er sich ab. Sein Blick suchte die Hündin.

Eike und Dorit, die die Szene schweigend beobachtet hatten, erhoben sich und gingen zur Tür. Eike hob die Hand. „Die Arbeit wartet, oder war noch was Wichtiges?“

„Nein.“ Hannelore machte einen Schritt nach vorn, „das war’s fürs Erste. Wir sehen uns später." Hendrik, der bereits die Klinke der noch offenen Tür in der Hand hielt und hinterhergehen wollte, wurde von seiner Mutter gestoppt. Sie ignorierte die Hündin, die ungeduldig hechelnd neben ihrem Herrchen mit dem Schwanz wedelte.

„Warte. Mach noch mal zu. Ich merke doch was los ist. Wo ist dein Problem mit Gesine?“

Einen Seufzer unterdrückend schloss er die Tür und musterte seine Mutter kühl. „Ich hab gar kein Problem mit ihr, dafür ist sie mir nicht wichtig genug. Ich bin nur der Meinung, dass Fremde keinen Einblick in unsere Interna haben sollten, das ist alles.“

„Aber sie ist doch keine Fremde. Unsere Familien sind seit Ewigkeiten miteinander befreundet. Das weißt du doch. Es sind Menschen, die sich bestens auskennen, weil sie die gleichen Voraussetzungen haben. Warum bist du so misstrauisch?“

„Ich sehe das anders und ich bin mir sicher, dass wir ihre Hilfe nicht brauchen werden. Als Onkel Friedrich vor zwei Jahren so schwer erkrankt war, wurde da einer von uns um Hilfe gebeten? Oder, viel wichtiger, hast du schon Einsicht in ihre Bücher bekommen? Nein. Sie haben das ohne externe Hilfe geregelt. Das ist alles, was ich damit sagen will.“

„Gut, ich verstehe deine Bedenken. Ich werde darüber nachdenken, aber sie ist bereits auf dem Weg hierher, und wenn sie sich nützlich machen will, freue ich mich und das solltest du auch. Ich versichere dir, sie wird nur den Einblick bekommen, den ich ihr gewähre.“