Leseprobe So kalt die Asche

KAPITEL 1

Tag 1

Fünf Löschfahrzeuge, zwei Leiterfahrzeuge, ein Kleinlöschfahrzeug, der Einsatzleitwagen sowie gefühlt jeder Polizeiwagen in ganz Chouteau County waren bei diesem Brand zur Stelle. Todesermittlerin Angela Richman wusste, dass es bereits zu spät war – sie wurde nur bei Todesfällen gerufen. Heute Nacht war jemand in diesem lodernden Gebäude gestorben, vom Rauch überwältigt und von den Flammen verbrannt. Angela war für die Untersuchung der Leichen an Tatorten im Chouteau County oder bei Todesfällen ohne Anwesenheit anderer Personen zuständig. Die Todesermittlerin unterstand dem Gerichtsmediziner des Countys.

Um wen handelte es sich? Angela wusste es noch nicht. Der Anruf des Detectives hatte nicht viel preisgegeben: „Luther Ridley Delors Anwesen brennt. Eine Leiche bisher. Wird gerade rausgetragen. Mach dich auf die Socken.“

Der siebzigjährige Luther bezeichnete sich selbst als Bankier, um dem gewinnbringenden Gewerbe seiner Familie einen etwas glamouröseren Ruf zu verleihen: Sie besaßen eine landesweite Kette von Kleinkreditunternehmen. Alle Leute – besonders die, die verzweifelt Geld brauchten – kannten den Slogan „Sorge vor mit Delor“ nur zu gut. War der alte Mann gestorben? War seine junge Verlobte das Opfer? Oder war ein Freund oder jemand vom Personal in der Flammenhölle umgekommen?

Angela betete, dass es keine weiteren Opfer gab. Dieser Tod kam nicht unerwartet. Es war das dritte große Feuer im Bezirk innerhalb von zwei Wochen. Hinter der behaglichen Fassade von Chouteau Forest, Missouri, der größten Stadt des Countys, schwelte die Angst. Chouteau County war ein Fünfundzwanzig-Quadratkilometer-Gebiet etwa fünfzig Kilometer westlich von Saint Louis, in dem die Topverdiener des Landes und deren Bedienstete lebten.

Der Brand wütete in den Olympia Forest Estates, einer exklusiven Wohnanlage, die vor fünf Jahren erbaut worden war. Damit war sie als brandneu zu bezeichnen, im Vergleich zu den extravaganten Anwesen des alten Geldadels: romanische Raubritterburgen, englische Landsitze und bayrische Jagdschlösschen, erbaut um die Jahrhundertwende. Neben diesen architektonischen Kunstwerken wirkten die Ziegelsteinbauten der Olympia Estates geradezu dezent, aber dennoch luxuriös. Dank unermüdlicher Dauerwerbung waren die Kosten – drei bis fünf Millionen – und die Ausstattung allgemein bekannt.

Angela, die sich noch immer von sechs Schlaganfällen, einer Gehirnoperation und einem Koma im relativ jungen Alter von einundvierzig Jahren erholte, stützte sich hinter dem gelben Absperrband auf ihren Gehstock und versuchte, den besten Weg durch das flirrende, rauchverhüllte Chaos auszumachen. Sie hatte ihr Todesermittler-Kit – einen schwarzen Rollkoffer – über die klatschnasse Straße gezogen. Ihr schwarzer Hosenanzug spendete ausreichend Wärme in der kühlen Mainacht und ihre flachen, schwarzen Schnürschuhe sicherten ihren Gang über den tückischen Boden.

Spärlich bekleidete Schaulustige hatten sich in der Sackgasse vor dem brennenden Haus versammelt. Angela stand neben einem dürrbeinigen, glatzköpfigen Mann in blauen Boxershorts und Sandalen und vermied es, auf seine blasse, schlaffe Brust zu starren. Sie kannte ihn: Ollie Champlain. Ollie ernährte sich hauptsächlich von faden Snacks und Martinis im Forest-Country-Club.

„Puuuh!“, sagte Ollie. „Man kann das verkohlte Geld beinahe riechen. Das ist Luthers Haus.“

Angela überkam ein Gefühl der Angst. Luthers Namen zu hören, machte den Tod real. Der „Bankier“ des Forests hatte im Alter von siebzig Jahren einen Riesenskandal ausgelöst. Er hatte seine Frau nach vierzig Jahren Ehe für Kendra Graciela Salvato, eine einundzwanzigjährige Nagelpflegerin, verlassen. Luthers Ehefrau weigerte sich, in die Scheidung einzuwilligen, aber er hatte Kendra bereits einen Verlobungsring mit einem Diamanten so groß wie Delaware an den Finger gesteckt und ihr geschworen, sie zu heiraten, sobald die Sache erledigt war.

„Sei nicht so pietätlos“, sagte eine besorgt dreinblickende Frau, die ihren langen, ausgeleierten Bademantel im Karomuster zuhielt. „Der Gestank ist fürchterlich.“

Angela atmete den üblen, toxischen Geruch von geschmolzenem Plastik, gemischt mit verbranntem Fleisch und Haar ein. Die Flammen verzehrten den Körper des Opfers.

Ollie ließ sich nicht beirren. Er führte sich auf, als sei das tödliche Feuer zu seiner Unterhaltung inszeniert worden. „Seht nur, wie die Feuerwehrmänner das Erkerfenster mit ihren Äxten einschlagen. Ich kann hören, wie die Korken der Tausenden, in dem Zimmer gelagerten Weinflaschen knallen.“

„Pah“, sagte Karomantel. „So wie Luther säuft, hatte er bestimmt keine tausend Flaschen mehr da drinnen.“

„Heute Abend war er definitiv besoffen“, sagte Ollie. „Ich habe beobachtet, wie er mit seinem kleinen, mexikanischen Mäuschen nach Hause getorkelt kam. Kendra musste ihm durch die Tür helfen. In ihrem engen, weißen Kleid war sie ein ziemlich hübscher Anblick. Luther war viel zu voll, um es ins Haus zu schaffen, geschweige denn wieder heraus. O Mann, hoffentlich verkohlt nicht sie da drin. Wäre schade um so eine heiße Pu…“ Der vernichtende Blick von Karomantel brachte ihn zum Schweigen. „Um so eine hübsche, junge Frau“, änderte er seine vulgären Worte. „Der Kristall-Cowboy ist ein verschrumpelter, alter Kauz. Ich hoffe, sie ist noch am Leben.“

Die Einwohner des Forests machten sich hinter Luthers Rücken über seine auffallenden Outfits lustig. Der von Leberflecken übersäte Bankier kleidete sich stets wie ein Möchtegern-Cowboy, von seinem schwarzen Stetson mit dem diamantbesetzten Hutband bis hin zu den engen Westernjeans, die über seine handgefertigten Lucchese-Stiefel reichten. Er trug ausschließlich glitzernde, mit Strass verzierte Hemden. Eigentlich gefiel Angela sein Stil.

„Ich hoffe, beide schaffen es lebend da raus“, sagte Karomantel und schüttelte missbilligend den grau gelockten Kopf.

„Die Feuerwehr wird ihre liebe Not haben, Luthers Anwesen zu durchsuchen, um ihn und Kendra zu retten“, sagte Ollie. „Es hat immerhin vier oder fünf Schlafzimmer.“

„Wenigstens müssen sie keine Villa mit dreißig Zimmern durchkämmen“, erwiderte Karomantel. „Ein Haus in den Olympia Estates bedeutete eine Verkleinerung für Luther. Er hat das Delor-Anwesen verlassen, das seit etwa achtzehnhundertneunzig von seiner Familie bewohnt wurde, um mit dieser Frau zusammenzuziehen. Es wundert mich nicht, dass sie nie Gäste hier haben. Keine anständige Person würde die beiden je besuchen oder einladen. Sie wird sich in dem großen Haus vermutlich verlaufen haben. Ihr vorheriges Heim war nicht viel größer als eine Hütte.“

„Um wie viel Uhr haben Sie Luther und Kendra nach Hause kommen sehen?“, fragte Angela.

„Gegen neun Uhr heute Abend“, erwiderte Karomantel. „Ich bin Elvira Smythe. Um kurz nach Mitternacht habe ich die Sirenen gehört. Mein Mann ist davon nicht aufgewacht. Er schläft immer noch.“

Angela holte ihr iPad heraus. Beide Augenzeugen hatten Informationen, die ihr bei der Untersuchung der Leiche nützlich sein könnten.

„Ob er das Feuer wohl mit einer seiner Zigarren verursacht hat?“, fragte Mrs Smythe.

„Nein, das war der Brandstifter“, sagte Ollie. „Ohne Zweifel.“

„Wer auch immer es ist, er zerstört nur die besten Nachbarschaften“, sagte Mrs Smythe. „Bisher gab es noch keinen Brand in Toonerville. Dort kommt sie her.“

Mike Peters, ein blonder Polizist, der wie ein unschuldiger Junge vom Land wirkte, kam um das gelbe Absperrband herum. „Okay, Leute, genug mit dem Spektakel. Das Feuer ist unter Kontrolle. Sie können ruhig wieder in Ihre Häuser zurückkehren.“

„Ich gehe wohl besser wieder rein“, sagte Mrs Smythe und zog ihren Bademantel fester um sich. „Es ist ziemlich kühl, obwohl wir Mai haben.“

„Gute Idee“, sagte der Polizist.

„Da drüben stehen ein paar Freunde von mir.“ Der dürre Ollie sprintete buchstäblich zu einer Gruppe auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Der Polizist wandte sich Angela zu. „Hey, Angela, sind Sie im Dienst?“

„Leider ja. Ray Greiman hat mich angerufen. Ich habe nur gewartet, bis sich der Rauch etwas legt, damit ich mir einen Weg bahnen kann.“

„Ich begleite Sie.“ Er hob das gelbe Absperrband an und Angela ging gebeugt darunter hindurch.

„Seien Sie vorsichtig – der Boden ist rutschig und voller Glasscherben. Gut, dass Sie passend gekleidet sind. Wie geht es Ihnen? Sie hatten ja ganz schön zu kämpfen vor nicht allzu langer Zeit.“

„Letztes Jahr im März. Sechs Schlaganfälle, Gehirnoperation und Koma. Drei Monate im Krankenhaus, einschließlich Physiotherapie.“

„Sie haben sich wieder richtig gut erholt.“

„Es war ein langer Weg. Ich freue mich, wieder arbeiten zu können.“

„Und Sie sehen auch wieder toll aus.“ Er lächelte sie an. „Sie würden wohl nicht …“ Er hielt inne.

O weh, dachte sie. Die frisch verwitwete Angela trug noch immer ihren Ehering, um mögliche Interessenten abzuwehren … doch anscheinend wurden sogar verheiratete Frauen angebaggert.

Mike schien seinen Mut zusammenzunehmen und verhaspelte sich, als er den nächsten Satz hervorpresste: „Sie würden wohl nicht mit einem Polizisten ausgehen?“

„Würde ich schon, Mike, aber ich bin noch nicht bereit, mich wieder zu verabreden. Es ist noch zu früh.“

„Das verstehe ich. Aber wenn Sie dazu bereit sind, bin ich hier.“

„Danke.“ Mit einem Lächeln wechselte sie das Thema. „Wissen Sie, wer gestorben ist? Kendra oder Luther? Ist sonst noch jemand im Haus?“

„Weiß ich nicht. Ich bin gerade erst angekommen und wurde angewiesen, die Gaffer fernzuhalten. Die Feuerwehrleute haben im oberen Schlafzimmer eine Leiche gefunden. Hoffentlich ist es nicht Kendra. Sie ist so ein hübsches Ding. Man bringt den Leichnam gleich raus.“

KAPITEL 2

Tag 1

Kendra war am Leben und putzmunter. Mike führte Angela durch das Gewirr aus Schläuchen, Leitern und sonstiger Ausrüstung seitlich um Luthers Haus herum, wo drei stämmige Sanitäter sich abmühten, Luthers brüllende, wild dreinblickende Verlobte in einen der wartenden Krankenwagen zu bugsieren.

„Was ist denn nur los mit euch?“, kreischte Kendra die Sanitäter an. „Feiglinge! Wenn ihr ihn nicht retten wollt, tue ich es eben. Luther ist noch da drinnen!“ Ihre weit aufgerissenen Augen funkelten.

Angela war keine Expertin, aber es sah so aus, als hätte sich das Feuer größtenteils im zweiten Stock ausgebreitet. Das Dach hatte große Löcher und unter den kaputten Fenstern glitzerten Glasscherben. Unter einem Fenster ohne Scheibe und Rahmen an der Vorderseite des Hauses lehnte eine Ausziehleiter aus Aluminium. Aus der Eingangstür und den vorderen Fenstern quoll weiterhin Rauch. Das gesamte Grundstück war abgesperrt, und mehrere Polizeibeamte hielten die spärlich bekleideten Nachbarn zurück, die sich in der Hoffnung, einen Blick auf Kendras Aufstand zu erhaschen, näher herandrängten.

„Mistkerle! Lasst mich in Ruhe.“ Kendras verzweifelter Kampf glich einer Pornoszene: Ihr weißer, im Schritt offener Body aus Spitze entblößte ihre üppigen Brüste sowie ihren kurvigen Hintern und gewährte Angela ungewollte gynäkologische Einblicke in ihren Intimbereich.

Alle Anwesenden aus der Nachbarschaft gafften. Manche waren beinahe ebenso leicht bekleidet wie Kendra, jedoch weitaus weniger aufreizend. Selbst die lauernden Schadenssachverständigen – Geier in grauen Anzügen, die auf einen Anteil des Versicherungsanspruchs hofften – hielten inne, um Kendra anzustarren, manche gar mit offenem Mund. Am Rand des Grundstücks johlte ein Rudel Männer angesichts Kendras Gerangel. Angela entdeckte Ray Greiman, den Detective, mit dem sie zusammenarbeitete, unter ihnen. Sie war angewidert, aber nicht sonderlich überrascht.

„Wir müssen Sie ins Krankenhaus bringen, Miss“, sagte ein blonder Sanitäter mit kantigem Kinn zu Kendra und griff mit einer fleischigen Hand nach ihrem Arm. Sie entwand sich seinem Griff und trat ihm mit einem schmutzigen, nackten Fuß gegen das Knie.

Kantiges Kinn wich zurück, während eine ernsthafte Sanitäterin sich Kendra schnappen wollte, doch diese kratzte mit ihren roten Nägeln über den Hals der erfolglosen Ersthelferin. „Autsch! Verdammt, das tut weh!“, fluchte die Sanitäterin, der das Blut vom Hals auf die Uniform tropfte.

„Lasst den Scheiß und helft endlich Luther!“

„Es ist zu spät, Miss“, sagte ein dritter, muskelbepackter Sanitäter mit kurz geschorenen Haaren. „Tut mir leid.“ Er schien aufrichtig betrübt zu sein.

Kendra ignorierte sein Mitleid und brüllte: „Fick dich! Dann rette ich ihn eben selbst. Luther! Halte durch, Liebling.“ Igelschnitt versuchte sie aufzuhalten, aber sie stürzte bereits auf die rauchverhangene Eingangstür zu. Als er sie zu packen versuchte, trat sie ihm in den Schritt.

„Uff!“, stieß er aus und sackte zusammen.

„Voll in die Eier“, sagte Greiman zu dem Beamten neben ihm.

„Sie ist ein mexikanisches Raubkätzchen“, erwiderte dieser anzüglich.

„Ich würde sogar Geld für die Show hier bezahlen“, sagte einer der Feuerwehrmänner.

Angela war sich ziemlich sicher, dass er vom Chouteau County dafür bezahlt wurde, den Brand zu löschen.

„Als wir kurz vor Mitternacht hier ankamen, hat sie völlig wirres Zeug von sich gegeben“, fuhr der Mann fort. „Sie war hysterisch. Ich konnte kein Wort verstehen. Jetzt ist sie plötzlich Wonder Woman und will wieder hineinrennen, um ihn zu retten.“

„Der alte Luther hatte recht“, sagte Greiman. „Er sagte, sie habe den besten Hintern in ganz Chouteau County.“

„Auf jeden Fall hat sie den reichsten Hintern der Stadt“, sagte der Polizist. „Angeblich hat Luther ihr bei der Verlobung zwei Millionen gegeben, und bei der Hochzeit sollte sie nochmal zwei Millionen bekommen. Sie muss eine unglaubliche Kanone im Bett sein.“

„In Luthers Alter ist jede Aktion im Bett unglaublich“, sagte Greiman. „Seht sie euch an, wie sie direkt auf die Tür zurennt.“

„Der Rauch hält sie schon auf“, erwiderte der Feuerwehrmann. „Nicht mal ihre Lungen packen das.“

Er hatte recht. Der dichte Rauch ließ Kendra husten und würgen. Keuchend wich sie zurück und versuchte, wieder zu Atem zu kommen.

Im Licht der tragbaren Notfallbeleuchtung erhaschte Angela einen besseren Blick auf die verzweifelte Kendra. Ihr glänzendes, schwarzes Haar schien angesengt, zumindest um ihr Gesicht herum. Ihre hellbraune Haut und der weiße Body waren rußgeschwärzt, das knappe Spitzenoutfit hatte einen Riss an der Hüfte. Kendras lange, rote Nägel – das Aushängeschild einer Nagelpflegerin – waren abgebrochen, aber Angela wusste nicht, ob das bei dem Angriff auf die Sanitäterin oder während der Flucht aus dem Haus geschehen war. Sie hatte blutige Schnittwunden an den Händen und Füßen, doch wie schwerwiegend die Verletzungen waren, ließ sich nicht sagen.

„Helft ihm.“ Kendras Stimme klang rau und sie begann erneut zu husten. „Bitte.“ Als die Sanitäter sie dieses Mal umringten, wehrte sie sich nicht. Durch den heftigen Hustenanfall war sie zusammengekrümmt.

Angela sah drei Feuerwehrleute – nein, zwei Feuerwehrleute und vielleicht einen Mann – an dem rauchverhüllten Fenster im zweiten Stock, unter dem die Aluleiter lehnte.

Die beiden Feuerwehrmänner trugen Helme, Masken und Atemschutzgeräte auf dem Rücken. Einer von ihnen kletterte auf die oberste Stufe der Leiter, während der andere den Mann durch die Fensteröffnung zog. Es gab wohl keine Fensterbank mehr.

„Luther!“ Kendras Schrei wurde von einem erneuten Hustenanfall unterbrochen. „Du lebst!“

Angela war sich dessen nicht so sicher. Der Mann schien bewusstlos und schwer verbrannt zu sein. Seine Hände waren verkohlte Klauen, sein Gesicht eine schwarz-rote Masse. Sie konnte keine Haare an ihm sehen. Falls das Luther war und er noch lebte, erwarteten ihn qualvolle Schmerzen und geringe Überlebenschancen.

„Heilige Scheiße!“ Greiman übergab sich ins Gebüsch. „Lebt das Ding noch?“

„Um seinetwillen hoffe ich das nicht.“ Angela war übel und schwindelig, doch sie behielt ihr Abendessen bei sich. Glücklicherweise hatte sie ihren österreichischen Gehstock mit dem Korkgriff bei sich, der sie aufrecht hielt.

Der Feuerwehrmann am Fenster schob die Beine des Mannes sanft durch die Öffnung. Nun befand sich der stark verbrannte Körper in den Armen des zweiten Feuerwehrmannes, der ihn die Leiter hinuntertrug. Die Sanitäter ließen von Kendra ab und holten ein orangefarbenes Spineboard aus Plastik aus einem der Wagen. Kendra rannte zu den Feuerwehrleuten hinüber und schluchzte: „Luther, mein armer Luther. Sag doch etwas!“

Greiman stapfte in seinen schlammverkrusteten Abendschuhen über den nassen, matschigen Rasen auf Angela zu. „Der ist frittierter als ein Kentucky-Fried-Chicken-Menü. Die Sanitäter können ihm nicht einmal eine Atemmaske anlegen, weil seine Haut sich ablöst. Sie hat ihn umgebracht.“

„Wir wissen noch nicht, ob Luther tot ist“, erwiderte Angela. „Und wieso sollte Kendra ihn umgebracht haben? Stehen nicht noch weitere zwei Millionen bei der Hochzeit aus?“

„Sie hat die erste Hälfte schon bei der Verlobung erhalten. Für eine Bohnenfresserin wie sie ist das mehr als genug. Jetzt muss sie den klapprigen, alten Lustmolch nicht mehr vögeln. Und er wird sterben. Man muss kein Arzt sein, um das zu schnallen. Sie hat ihn angezündet und er war zu betrunken, um es noch rauszuschaffen.“

„Wie bist du denn darauf gekommen, Sherlock?“, fragte Angela.

„Hast du nicht gehört, was heute im Gringo Daze passiert ist?“

„Heute ist Schnäppchen-Abend … fünf Dollar Rabatt auf die Rechnung“, sagte Angela. „Daher war wohl der gesamte Forest dort. Niemand ist geiziger als der alte Geldadel. Du solltest sie mal beim Pfannkuchen-Dinner erleben.“

„Sie waren in der Tat alle da und haben mitbekommen, was los war. Luther hatte sein letztes Abendmahl, auch wenn er anscheinend nicht viel gegessen hat. Er war an der Bar, hat ein Dos Equis nach dem anderen gekippt und Kendras Hintern befummelt. Sturzbesoffen. Hat rumgeprahlt, wie großartig der Sex mit ihr sei, sich eine Viagra mit dem Bier eingeworfen und verkündet, er würde mit seinem ‚Greaser Gal‘ zum Vögeln nach Hause gehen, bis die Bude raucht. Leider hatte er damit nicht unrecht.“

„Arme Kendra. Das muss erniedrigend gewesen sein.“

„Wer weiß, was diese Leute denken? Sie hat versucht, ihn rauszuzerren, während er sie weiter begrapscht hat. Der Besitzer musste ihr letztendlich helfen, ihn ins Auto zu verfrachten. Also hatte sie auf jeden Fall ein Motiv. Siehst du den Brandermittler dort drüben, der diesen halb geschmolzenen Benzinkanister in eine Beweiskiste packt? Die Feuerwehrmänner haben das Ding in der Nähe von Luthers Tür gefunden. Da ist das Logo der Rasenpflegefirma ihres Vaters drauf. Ihr alter Mann arbeitet für die meisten hier in den Olympia Estates.“

„Und? Die Angestellten haben den Kanister vergessen.“

„In der Nacht, in der das Haus in Flammen aufgeht? Das kann kein Zufall sein. Sie hatte Mittel und Gelegenheit und zwei Millionen gute Gründe, um Luther zu töten.“