Leseprobe Schlagzeilen auf Schottisch

Prolog

Mein Wecker schrillte. Automatisch schlug ich auf die Schlummertaste und hielt den Atem an. Hatte der Alarm auch Torin aus dem Schlummer gerissen? Vorsichtig drehte ich mich, um mich zu vergewissern, dass mein Mann noch schlief. Obwohl es Torin war, der am Morgen das Haus verlassen musste, und nicht ich, hasste er es, von meinem Wecker geweckt zu werden.

Noch immer die Luft anhaltend, rutschte ich aus dem Bett und huschte durch das dunkle Zimmer. Die schwarzen Blenden vor den riesigen Fenstern ließen kaum Licht durch, Torin konnte nicht schlafen, wenn es zu hell war. Oder zu laut. Oder zu warm, zu kalt, zu irgendwas. Er war sehr speziell. Leider auch unordentlich, weshalb ich stolperte und in voller Länge auf dem Boden aufschlug. Das Gegenstück zu dem Schuh, der mich zu Fall gebracht hatte, bohrte sich nun in meinen Bauch. Ich stöhnte leise, rieb mein Kinn, mit dem ich aufgeschlagen war, und betete stumm, dass ich Torin nicht geweckt hatte.

„Daingead, Weib!“, brüllte der aber auch schon und ließ mich zusammenzucken. Am frühen Morgen, da fing der Tag gleich prima an.

„Entschuldige“, flüsterte ich, wissend, dass es ohnehin nichts änderte. „Ich wollte nicht …“

„Ist es zu viel verlangt, dass du etwas Rücksicht nimmst!“

Ich rappelte mich auf, schob seine Schuhe zusammen und zu ihm hin. „Nein. Es tut mir leid, Torin, ich werde leiser sein.“

Er grollte etwas. Schritte näherten sich mir und ich wich schnell aus. Die Tür schlug zu. Einen Moment gönnte ich mir, in meiner Erleichterung zu baden, allerdings nur einen ganz kurzen, dann sprang ich auf und lief durch den engen Flur in den Wohnbereich. Die Edelstahloberflächen der offenen Küche begrüßten mich funkelnd. Es war eine Heidenarbeit, sie glänzend zu halten und es gab Tage, da hasste ich sie richtiggehend. Der Wassertank der Kaffeemaschine war leer und ich musste ihn auffüllen, was mich kostbare Sekunden kostete, außerdem zitterten meine Hände und mir fiel die Kapsel runter.

„Wo ist mein Frühstück?“, zischte Torin in meinem Rücken und schob mich zur Seite.

„Braucht noch einen Augenblick. Möchtest du dein Ei …?“ Sein Blick brachte mich zum Schweigen – und zum Zittern. Es fehlte nicht mehr viel, das sah man ihm an.

„Wo ist mein Kaffee?“

Mein Blick zuckte zur Maschine, die gurgelnd das geforderte Getränk bereitete. Das frische Aroma erfüllte bereits den Raum und machte die Frage unnötig.

„Noch nicht fertig?“, fragte er betont ruhig. Obwohl ich damit rechnete, traf mich sein Schlag, bevor ich ausweichen konnte. Er warf mich gegen die Kochinsel, an der ich mir die Hüfte prellte, sodass ich mir schnell auf die Lippe biss, um den Schmerzensschrei zu unterdrücken. „Es tut mir leid“, keuchte ich stattdessen. „Setz dich doch schon einmal, ich bringe dir den Kaffee und die Morgenzeitung.“ Die ich erst holen musste. Innerlich stöhnte ich. Ich befand mich auf verflucht dünnem Eis.

Torin trat auf mich zu, verstellte mir den Ausweg und zwang mich, zu ihm aufzusehen, indem er mein Kinn umfasste und es anhob. „Warum musst du so verflucht unzulänglich sein?“

Was mir auf der Zunge lag, schluckte ich schnell wieder herunter. Er hatte ja recht. Wie schwer konnte es sein, seinen Wünschen Folge zu leisten und ihn schlafen zu lassen, bis ich sein Frühstück gerichtet hatte, um ihn dann mit einer Tasse frischem Kaffees zu wecken und ihm derweil die Kleidung bereitzulegen? So manches Mal kam ich mir wie seine Leibeigene vor, dabei war ich die Tochter eines Dukes und er nur ein schottischer Baron. Vor hundert Jahren hätte man noch von einer Mesalliance gesprochen, so unvorteilhaft hatte ich mich verheiratet. Nun, meiner Mutter zufolge, war ein Baron besser als nichts, und unverheiratet zu bleiben wäre meine einzige Alternative gewesen.

Als er mich losließ, tat er es mit einer ruckartigen Bewegung, die mir eine Zerrung im Nacken zufügte.

„Du vernachlässigst einmal mehr deine Aufgaben. Ich frage mich, was du den ganzen Tag treibst, dass du es nicht schaffst, hier Ordnung zu halten.“ Er stieß den Früchtekorb um, während er um die Kochinsel herumging.

„Ich war … nachlässig, verzeih mir.“ Unauffällig reckte ich meine Schultern, aber die schmerzhafte Verspannung blieb. Torin setzte sich an den Tisch.

„Meinen Kaffee!“

Eilig kam ich seiner Forderung nach und stellte die Tasse vor ihm ab, um durch die Wohnung zu flitzen und die Zeitung zu holen. Dann machte ich mich augenblicklich daran, ihm seine Frühstückseier zu bereiten.

„Heute noch?“

„Natürlich!“ Fast wäre das Ei auf dem Boden gelandet, in meiner Hast es auf seinem gebutterten Toast abzulegen. Sein Blick glitt über mich und ich machte mich auf eine Beleidigung gefasst, weil seine Lippen sich geringschätzig verzogen.

„Du bist schlampig! Herrje, was hat mich nur geritten, dich zu heiraten?“

Eine zugegeben hervorragende Frage, die ich mir oft genug selbst stellte.

„Da fällt mir ein …“

Ich war bereits auf dem Rückzug und stoppte schnell.

„Daingead, was ist das für ein Fraß!“ Der Teller segelte mit Schwung zu Boden und zerbarst vor meinen Füßen. Splitter rissen meine Haut auf, aber ich wagte nicht, zurückzuweichen. Er käme ohnehin nach. Torin sprang auf und ragte über mir auf. Er war bullig und größer als ich. Nicht selten flößte er mir eine ungeheure Furcht ein. Sein Blick legte sich schneidend auf mich und seine Faust ballte sich. Bitte nicht. Aber es hatte selten einen Nutzen, eine Bitte an irgendwen zu richten. Das Unvermeidliche ließ sich nicht aufhalten. Seine Faust traf meine Schulter. Immerhin nicht mit voller Wucht, trotzdem torkelte ich rückwärts und stieß erneut gegen die Kochinsel, dieses Mal jedoch mit meinem Hinterteil.

Seine Faust hob sich wieder. Es gab nichts, was mich retten konnte, also schloss ich die Augen. Lange stellte ich mir die Frage schon nicht mehr, warum er mich schlug, oder warum ich es zuließ. In mir herrschte resignierte Stille, bis die Schmerzen mich durchzuckten.

Ein Klingeln rettete mich. Das Telefon. Ich spürte den Sockel der Kochinsel in meinem Rücken.

„Galloway?“, grunzte er in den Hörer. Er stand an der gläsernen Kommode neben dem offenen Durchgang zum Flur und starrte an die Wand. „Heute? – Wann? Wenn es sein muss.“

Vorsichtig rappelte ich mich auf und schob dabei die Scherben zusammen.

„Mach hier sauber!“, verlangte er harsch, nachdem er aufgelegt hatte. „Wenn ich wiederkomme …“

„Ja.“ Nur ein Wispern, aber er erwartete keine Antwort von mir, das tat er nie. Seine Erwartungen an mich waren, einfach und klar umrissen: nicht auffallen und ihm das Leben so angenehm wie nur möglich machen.

Ich kauerte am Boden, bis die Tür des Apartments hinter ihm zufiel, dann ließ ich die aufgeklaubten Reste seiner Mahlzeit fallen und kippte schlicht zur Seite. Noch in meinem Nachthemd auf den gewienerten, glänzendweißen Fliesen, Ei im Haar und Butter an der Wange, starrte ich vor mich hin. Das war also mein Leben. Ich war die Tochter eines Dukes, hatte ein nettes Vermögen mit in die Ehe gebracht und nur diesen einen Wunsch: Unsichtbar zu sein.

Das Gefühl blieb, selbst eine Dusche, kuschelige Kleidung und ein kleines Frühstück konnten nichts daran ändern. Immerhin schaffte ich es, das Chaos zu beseitigen und schrubbte gerade auf allen vieren den Boden, als es an der Tür klingelte.

Da ich nur selten Besuch bekam, machte es mich jedes Mal nervös, die Tür zu öffnen.

„Islay!“ Mein Cousin grinste mich an, was bereits bemerkenswert war. Dass er mich in den Arm nahm, zog mir fast den Boden unter den Füßen weg. Ich stöhnte auf, als sich seine starken Arme um mich schlossen.

„Catriona, ich musste es versuchen, bist du allein?“ Er ließ mich wieder los und strahlte mich an. Irritierend, denn glücklich wirkte Islay eigentlich nie. „Ich muss dir unbedingt Sina vorstellen.“ Er schob mich zurück und damit in den Flur hinein. Er streckte den Hals und sah hinter mich. „Du bist doch allein?“

Es war kein Geheimnis, dass Torin nicht wollte, dass ich Besuch bekam. Er verlangte, dass man sich vorher anmeldete und fand meist einen Grund, das Treffen abzusagen.

„Ja, Torin ist wie gewohnt früh raus.“ Ich räumte verdutzt den Weg und bemerkte nun, dass mein Cousin nicht allein gekommen war, weil er sich umdrehte und die Hand nach seiner Begleitung ausstreckte.

„Ich möchte dir Sina vorstellen, wenn wir schon mal in der Gegend sind.“ Er zog eine große Blondine näher und legte den Arm in ihren Rücken. „Sina, meine Cousine Catriona.“

Sie lächelte mich an. „Hallo.“

„Halò.“

Islay schob sie weiter und schloss dann die Tür. „Sie bevorzugt Kaffee.“

„So?“ Ich folgte ihm den Flur entlang bis in die Küche, wo er Sina den Stuhl hervorzog.

„Du übertreibst es wieder“, flüsterte sie und berührte ihn vertraut an der Wange. Ein leichtes Lächeln flackerte auf ihren Lippen, dass sich auf Islays widerspiegelte.

„Ich bin etwas überrascht …“ Gelinde gesagt, schließlich kam Islay sonst allein und warnte mich zumindest vor.

„Ich wollte die Chance nutzen.“ Er setzte sich an den Tisch. „Komm setz dich.“

Schön, Widerstand war zwecklos, also fügte ich mich und sank auf den Stuhl, den er mir bereitstellte, dann setzte er sich zu uns und ergriff Sinas Hand. „Du warst nicht auf der Hochzeit und wurdest vermisst“, offenbarte er angespannt. Nach einem Räuspern und einem Seitenblick fuhr er fort: „Du hast einiges verpasst.“

„Vielleicht nicht der beste Einstieg, Islay?“, mahnte Sina, wozu sie sich vorbeugte, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern.

Islay schoss Farbe ins Gesicht. „Ich stehe zu meinen Fehlern.“ Er begegnete meinem Blick. „Ich habe mich nicht mit Ruhm bekleckert und ich fürchte, Lachlan will mich erst einmal nicht mehr sehen.“

Ich stutzte, im ersten Moment verwirrt, denn niemand nannte  meinen älteren Bruder Kendrick bei seinem Taufnamen Lachlan.

„Tante Mairi …“ Er brach ab und konnte auch meinem Blick nicht mehr standhalten. Typisch Islay. Ich streckte die Hand aus und legte sie auf seine.

„Will dich auch nicht mehr sehen?“

Seine schweren Schultern hoben sich zu einem knappen Zucken. „Nein, aber damit können wir leben.“

Dieses Mal war ich es, die Sina einen Blick zuwarf. Meine Frage stand mir sicher auf der Stirn geschrieben: Was hatte sie damit zu tun?

„Sina hat die Hochzeit geplant und ich habe sie sabotiert.“

Dieses Eingeständnis hätte mich fast meine gute Erziehung vergessen lassen, allerdings war diese tief in mir verankert. Meine Mutter hatte da gute Arbeit geleistet und mich zu einer folgsamen, gewissenhaften, vornehmen Dame geformt, was Angesicht meiner ungestümen Art bemerkenswert war. Allerdings hatte ich, anders als meine älteren Geschwister, auch viel mehr Zeit zu Hause verbracht und war ihr damit voll und ganz ausgeliefert gewesen. Selbst nach meiner Volljährigkeit war ich ihr nicht entkommen und man konnte sagen, dass sich dieser Zustand noch immer nicht geändert hatte. Bei jedem falschen Schritt gellte mir ihre Stimme im Ohr. Bei jedem ketzerischen Gedanken stand sie mir vor Augen, und selbst wenn ich der Meinung war, alles getan zu haben, wie sie es wünschte, bekam ich die Furcht nicht in den Griff, sie könnte unzufrieden mit mir sein. Lustigerweise unterschied sich dies nicht von meinen Sorgen bezüglich meines Ehemanns.

„Es klingt sehr drastisch“, sprang Sina ein, als müsse sie Islay verteidigen. Sie rutschte auf ihrem Stuhl nach vorn, richtete sich dabei kerzengerade auf und hob das spitze Kinn, um an ihrer Nase entlang auf mich herabzusehen. „Es war nicht schwerwiegend und weder seine Idee gewesen, noch allein seine Schuld.“ Sie nahm sich zurück, wurde wieder weicher in ihrer Haltung und setzte ein Lächeln auf, das ich als entschuldigend wertete. „Ich möchte nicht impertinent wirken, Mrs Galloway, aber Islay nimmt es sich zu sehr zu Herzen und am Ende waren alle Bemühungen ihrer Gnaden ohnehin wirkungslos. Kein Omen der Welt könnte einen Keil zwischen Lachlan und Carolina treiben.“ Sie lachte auf, als wäre die Vorstellung absurd.

„Ich fürchte, ich kann nicht folgen“, gestand ich ein und zog die Hand zurück, um sie fein übereinanderzulegen. Haltung, Schein, Lüge: wie tief steckte es in mir drin, stets die feine Lady zu sein?

Islay räusperte sich, setzte an, etwas zu sagen und klappte den Mund dann wieder zu, um sich umzusehen. „Dein Personal ist ziemlich nachlässig, oder?“

Mein Zucken war offenbarend.

„Bei einer Tasse Kaffee ließe sich alles viel angenehmer besprechen.“

Sina verdrehte die Augen und schob ihren Stuhl zurück. „Mylord, was darf ich Ihnen kredenzen?“ Ihre Stimme troff vor Belustigung.

„Nein, nein!“ Islay kam so schnell auf die Füße, dass sein Stuhl ins Schlingern geriet. „Natürlich bin ich in der Lage, mir selbst … uns selbst …“

Sina winkte ab. „Mrs Galloway, Sie erlauben, dass ich mich in Ihrer Küche betätige?“

Ich war viel zu verblüfft von Islays Reaktion, als dass ich antworten konnte.

„Wir sind erwachsene Menschen, nicht wahr? Wir schaffen es doch, eine Maschine mit Wasser und Kaffeepulver zu befüllen und einen Knopf zu drücken?“ Ihr Lächeln war vermittelnd, auch wenn ihre Worte eher einem Affront gleichkamen. Bei meiner Mutter wäre sie … ah. Mein Nicken setzte sie in Bewegung, noch bevor ich selbst aufstehen konnte. Dadurch war sie um die Kücheninsel herum, bevor ich auch nur ein weiteres Wort von mir geben konnte und stolperte fast über meinen Eimer und die Bürste.

„Nanu!“

Isaly folgte ihr besorgt. „Nachlässig ist gar kein Ausdruck.“

Er bezog sich auf das nicht vorhandene Dienstmädchen und mir schoss heiße Röte ins Gesicht, weil mir auf die Schnelle keine Erklärung einfiel, warum der Eimer noch hier stand. Denn einzugestehen, dass ich meinen Haushalt selbst bestreiten musste, war indiskutabel!

„Oh, Islay, weißt du, was zauberhaft wäre?“ Mein Cousin war gleich Feuer und Flamme und eilte zu ihr. „Um die Ecke ist doch diese Confiserie …“

„Wundervolle Idee! Ich besorge uns eine kleine Auswahl!“ Er drückte ihr noch einen Schmatzer auf die Wange und eilte durch den Flur. Die Tür fiel zu, als Wasser in die Spüle plätscherte und mich wieder ablenkte.

Sina befüllte den Wassertank der Kaffeemaschine. „Ihm fehlt es leider an Feinfühligkeit.“

„Wie meinen?“

Sina sah mich kurz prüfend an. „Sie sind zwar akkurat gekleidet, aber man sieht Ihnen dennoch an, dass sie vor unserem Eintreffen nicht die Füße hochgelegt haben. Ich gehe also davon aus, dass es kein Personal gibt und die Familie es nicht wissen soll.“

Sie hatte mich überrascht, das gab ich gerne zu. Um es zu überspielen, beschäftigte ich mich schnell mit der Auswahl an Kaffee. „Milchkaffee? Mokka, oder lieber mild?“

„Jetzt haben Sie sich verraten. Um den Schein zu wahren, hätten Sie mich zurechtweisen sollen und mir eine Lüge auftischen müssen, à la das Mädchen ist mit einem dringenden Botengang beschäftigt.“ Sie lachte auf. „Verzeihen Sie, ich habe nicht vor, mich in Ihre Belange einzumischen. Islay war nur sehr mitteilungsbedürftig, als er darauf drängte, Sie zu besuchen.“

Innerlich stöhnte ich. Diese Frau war eine Gefahr.

„Er ist besorgt.“ Sie streckte die Hand nach dem Milchkaffee aus. „Islay bevorzugt den hier, welchen möchten Sie?“

„Ebenfalls den Milchkaffee.“ Die Tassen hingen neben der Maschine und sie bediente sich wie selbstverständlich. Irgendwie war ich beeindruckt von ihrem Selbstvertrauen. Ich könnte niemals jemanden besuchen und dermaßen unbekümmert die Aufgaben der Gastgeberin an mich reißen.

„Ich weiß, dass auch Ihr Bruder beunruhigt ist.“ Wieder dieser prüfende Blick, während sie weiter die Maschine bediente. „Und Carolina auch, deswegen hielt ich es für eine gute Idee, herzukommen.“

„Völlig unnötigerweise.“ Auch wenn mir der Mund trocken wurde, ließ ich mir mein Unbehagen nicht ansehen, dachte ich zumindest.

„Das glaube ich nicht.“

„Ma'am …“ Hatte Islay ihren Nachnamen erwähnt? Sina und weiter?

„Es geht mich nichts an, richtig, aber ich werde Islay nicht beruhigen können, wenn ich nicht selbst davon überzeugt bin, dass er sich unnötig Sorgen macht.“ Sie stellte die zweite Tasse beiseite und wechselte die Kapsel. „Und Sie sind nicht sonderlich überzeugend.“

„Wie meinen?“ Ich sollte verärgert sein, meine Mutter wäre es, aber ihre Impertinenz verschlug mir schlicht die Sprache.

„Ihr Makeup verdeckt den blauen Fleck an ihrer Wange und dem Kinn, aber nicht den kleinen Riss an ihrer Lippe. Ich habe kürzlich selbst Blessuren verstecken müssen, da ich durch einen Unfall recht malträtiert aussah.“ Sie lächelte bitter. „Ich arbeite mit engem Kundenkontakt und habe mich schlaumachen müssen, wie man Blessuren abdeckt. Als Hochzeitsplanerin muss man auf sein Äußeres achten.“

Meine Finger glitten verräterisch über den kleinen Huckel an meiner Lippe. Sollte ich behaupten, es sei Herpes? Oder ich hätte mich irgendwie, irgendwo gestoßen? „Ich …“ Die Türglocke riss mir die Lüge von den Lippen. Ich rannte förmlich weg. Natürlich musste ich Islay wieder hereinlassen, aber so eilig war es dann doch nicht.

Er grinste gutgelaunt und hielt mir die Platte unter die Nase. „Ich hoffe, ich habe auch für dich das richtige dabei. Wenn nicht, schick mich einfach noch mal los.“ Er war schon halb den Flur hinab, bevor ich mich von meiner Verblüffung erholt hatte. Das war sicher nicht mein Cousin, der Viscount of Kinross! Herrje, er war doch kein Botenjunge, den man … Und ich war weder ein Hausmädchen noch eine Leibeigene. Langsam folgte ich ihm und bekam das Lob Sinas mit.

„Wow, du hast an alles gedacht, ich bin beeindruckt.“ Islay strahlte regelrecht. Sina hatte den Kaffee bereitgestellt und wieder auf ihrem Stuhl Platz genommen. Ein schneller Blick zur Küchenzeile versicherte mir, dass sie allen Unrat fortgeräumt hatte und alles so aussah, als sei die Küche unbenutzt. Ich war gegen meinen Willen erneut von ihr angetan.

Ich holte die Teller und Gäbelchen aus dem Schrank, bevor ich mich zu ihnen setzte.

„Und ist für dich etwas dabei?“

Einen Moment blieb ich ratlos.

„Ich hole dir auch … Ich hätte vorher fragen sollen, entschuldige …“

„Nein!“ Schnell musterte ich die Platte, um eine Entscheidung zu fällen. Ginger Bites, Oatcakes, Karamelltorte mit Baiserhaube, Empire Biscuits, natürlich Shortbread, an dem kam ein Schotte nicht vorbei, aber auch Scones mit herrlicher Clotted Cream und Marmeladendeckel. Eine Schande, dass ich die Hälfte davon nicht essen durfte. „Es ist eine hervorragende Auswahl Islay und ich wäre mit jedem Teil zufrieden.“

„Dann bitte, wähle eines aus.“

Beide beobachteten mich, also hatte ich keine Wahl, obwohl ich mir schwertat mit schnellen Entscheidungen.

„Also, wo waren wir stehengeblieben?“, fragte Islay, als er sich an einem großen Stück Sahnetorte bediente. „Die Hochzeit, nicht wahr? Jemine, da hast du wirklich was verpasst!“

„Ja.“ Wieder spann mein Kopf Ausreden zusammen. Eine plötzliche Krankheit? Autopanne? Moment, wie war meine Erklärung an meinen Bruder gewesen, dass mein Mann und ich nicht hatten zur Hochzeit kommen können?

„Sie war ein Traum!“

Sina schnaubte verdrossen, was mich abstieß. Wie gewöhnlich. Moment? Hochzeitsplanerin, aktiv? Dann war sie nicht von Adel. Mutter musste entzückt sein!

„Sie war ein Albtraum, explodierende Toilettenhäuschen, Brände und Stromausfälle, ich wäre beinahe verzweifelt.“

„Oh nein, du hast alles mit einem Fingerschnippen geregelt. Ausfall der Busse? Schwupps standen Kutschen parat. Das Zelt steht in Flammen und der Ausgang ist blockiert? Sina schneidet einfach ein Loch in die Seitenplane und alle sind gerettet …“

Klang ganz danach, als hätte ich einiges verpasst. „O mo chreach! Das klingt tatsächlich schauderhaft.“

„Carolina bewertete die Feier als traumhaft“, stellte Sina trocken fest und brach in Gelächter aus, weil ich fassungslos dreinsah. Die Beschreibung klang alles andere als traumhaft.

„Vielleicht sollten wir von vorn beginnen, Islay, was meinst du? Also, aus meiner Sicht war es von vornherein …“

Ihre Erzählung fesselte mich und ich bereute, nicht dort gewesen zu sein. Aber tief in meinem Inneren wusste ich, dass es für mein Fernbleiben mehr als nur einen Grund gegeben hatte. Mir gegenüber konnte ich eingestehen, dass es nicht an Torin gelegen hatte, aber auch nicht an meiner Furcht. Farquhar. Ein Schauder lief über meinen Rücken und nicht, weil Sina soeben von der Feuersbrunst berichtete, die das McDermittzelt niedergebrannt hatte, in dem sich noch ein Haufen meiner Verwandtschaft befunden hatte.

„Catriona?“ Mein Cousin musterte mich irritiert. „Stimmt etwas nicht? Du zitterst ja.“

Tränen sprengten meine Augen und verwischten meine Sicht. Oh, Islay, wenn du wüsstest!

Was wäre, wenn ich es ihm erzählte? Alles anders. Aber konnte ich das? Wollte ich es?

Es war unmöglich, meine Situation zu ändern. Ich war verheiratet, eine Scheidung kam nicht infrage und es war auch albern. Es war meine Schuld, dass meine Ehe so schlecht lief. Ich war unzulänglich, war es immer schon gewesen, und hatte mit meiner Hochzeit den einen Kritiker nur durch den anderen ersetzt. Ich war gefangen und nichts und niemand konnte mir helfen.

Kapitel 1

Eine Reise in die Highlands

Das rötlich-goldene Licht der tief stehenden Sonne blendete mich, als ich die kurvigen Straßen von Inverness Richtung Farquhar befuhr. Vielleicht waren es auch meine Tränen, die mich schlecht sehen ließen. Mit Sicherheit konnte ich das nicht auseinanderhalten und ich wusste auch nicht, warum ich weinte. Denn eigentlich hatte ich keinen Grund. Ich ging. Freiwillig. Es war meine Entscheidung und doch flennte ich wie ein Schlosshund. Zehn Jahre waren wir ein Paar gewesen, Torin und ich, eine lange Zeit – eine Ewigkeit. Acht davon sogar verheiratet. Das war die eigentliche schlimme Zeit, denn vor der Ehe war er anders gewesen. Sicher nicht perfekt, überführsorglich oder aufmerksam, aber auch nicht ständig unzufrieden und gemein. Wollte ich dies wirklich fortwerfen? Ich blinzelte, wischte mir die Tränen von den Wangen und konnte von der sich vor mir schlängelnden Straße nicht viel erkennen. Rechts wie links wehte das Heidegras im seichten Wind. Mein Seitenfenster stand offen und ließ die klare, würzige Heideluft herein, blies den stickigen Muff des Tages hinaus und mit ihm mein altes Leben. Eine ungemütliche Hitzeglocke hing über weite Teile des Landes und ließ mich bereuen, nicht das Cabrio genommen zu haben. Eine taktische Überlegung hatte mich davon abgehalten: Torin liebte das Cabrio und er wäre nur doppelt getrieben, mich zu finden. Nichts mitnehmen, was Torin vermissen könnte, war der Rat Sinas gewesen, der ich mich in meiner Not dann doch noch anvertraut hatte. Ich hatte sonst niemanden, was mir zu diesem Zeitpunkt schmerzlich bewusst geworden war. Ich hatte niemanden, dem ich von den wahren Umständen meines Lebens beichten konnte. Es klang theatralisch und zu oft wurde ich wegen dieses Charakterzuges ermahnt – nicht nur von Torin. Meine Mutter Mairi nannte mich eine Possenspielerin, meine Schwester Ealasaid meinte, ich übertreibe es mit Torins Fehlern nur und meinen Brüdern wagte ich nicht, mich zu offenbaren. Ich fürchtete mich vor ihrer Reaktion, denn beide waren aufbrausend und impulsiv. Keinesfalls sollte die Situation eskalieren, ich wollte nur endlich meine Gedanken ordnen, und zwar ohne Einfluss anderer. Es war ja möglich, dass ich tatsächlich übertrieb und auch Sina und Islay eine falsche Auffassung von der Sachlage hatten?

Schön, Islay hatte gleich mit Vergeltung gedroht und war nur widerwillig weggefahren, nachdem ihm seine Freundin Sina eine Stunde gut zugeredet und ich geschworen hatte, heute noch zu gehen. Sie hatten es Flucht genannt und es fühlte sich nun, in diesem Backofen von Leihwagen, den ich mir von meinem Taschengeld finanzierte, auf der hintersten Straße des Königreiches auch so an.

Diese Entscheidung war spontan und nicht geplant, und obwohl sie sich zugleich richtig und falsch anfühlte, war ich mir über den Ausgang dieser Geschichte nicht sicher. Wollte ich Torin wirklich verlassen? Was war mit den Konsequenzen?

Ein Schauder ließ mich beben. War eine einsame Zukunft besser, als eine mit Torin? Mal abgesehen davon, dass ich mich darüber hinaus auch noch zu einer Bittstellerin machte. Wovon sollte ich leben? Ich wäre doch gezwungen, auf das Verständnis und die Zuwendungen meiner Familie zurückzugreifen. Peinlich. Erniedrigend.

Immerhin warf ich zehn Jahre Gemeinsamkeit fort und wofür? Weshalb?

Ich weinte, also bedeutete er mir doch was. Ich musste ihn noch lieben, wenn mir dieser Schritt so monströs vorkam. Oder?

Der Gedanke machte es nur noch schlimmer und aus der holprigen Straße wurde ein feuchter Vorhang. Eilig wischte ich mir über das Gesicht, denn man durfte sich eines auf den Straßen Schottlands nicht erlauben: Unaufmerksamkeit. Jederzeit konnte ein Hindernis auf der Straße auftauchen, damit musste man hier rechnen, denn es gab keine eingezäunten Weiden. Koppeln für die Pferde, ja, aber Kühe und Schafe grasten hier oben völlig frei, und soweit ich mich erinnerte, züchtete Kendrick, mein älterer Bruder, Schafe auf dem kleinen, idyllischen Familienlandsitz Farquhar, welches mein Ziel war.

Der Gedanke war ebenfalls nicht hilfreich, um meine Fassung wiederzuerlangen. Nicht umsonst hatte ich das Gut seit zwanzig Jahren nicht mehr betreten und einen riesen Aufstand gemacht, wenn die Familie dort nach dem Rechten sehen wollte. Meine Mutter lag richtig, mich als Dramaqueen zu bezeichnen. Fünfzehn Jahre harter Verweigerung – selbst der Hochzeit Kendriks war ich ferngeblieben – gut, da hatte Torin auch seinen Teil zu beigetragen, aber die Aussicht, gerade dieses Gut besuchen zu müssen, hatte es mir sehr einfach gemacht, seinem Befehl zu folgen.

Farquhar. Unwillkürlich stieg das Bild des düsteren Schlosses aus meinen Erinnerungen empor. Die Hellebarden, die die Wände zierten, die alten Ritterrüstungen und ebenso alten Wandteppiche, die einen gewissen Muff aussandten. Ich schüttelte mich. Ich hielt mich auch von anderen Anwesen fern, wenn es sich einrichten ließ, und das machte Torin mir auch einfach. Ich durfte nicht ohne ihn verreisen und er hatte wenig Ambitionen, meiner Familie hinterherzureisen. Seiner Meinung nach konnten sie uns in unserem Apartment in London besuchen, wenn sie denn mussten. Sein Gut in Schottland, oben in Fyfe, hatten wir in den letzten acht Jahren nicht einmal betreten. Ich mochte mir gar nicht vorstellen, wie es dort aussah, denn Torin beschäftigte keine Haushälterin oder einen Hausmeister, wie ich es von den Liegenschaften meiner Eltern gewohnt war. Nun, nach meiner Scheidung sollte dies nicht mehr mein Problem sein.

Erneut wischte ich mir über die Augen und klärte meine Sicht. Mein erschrockener Schrei gellte in meinen Ohren und ich stieg mit aller Macht auf die Bremse. Gleichzeitig riss ich das Steuer herum. Dumm, denn der Aufprall auf einen der am Wegesrand liegenden Findlingen war immer schwerwiegender, als der mit einem Tier – obwohl ich da bei einem Stier nicht so sicher war.

Nun, ich hatte Glück. Ich schleuderte zwar, bekam dabei einen netten Rundumblick von der blühenden, schottischen Heide und den beiden Straßenenden, nebst weiterer Verkehrsteilnehmer, und landete relativ unbeschadet im Graben. Der Krach, der folgte, fand seine Ursache nicht in meiner Aktion – zumindest nicht unmittelbar. Ein Ruck ging durch meinen Wagen und durch mich hindurch und schleuderte mich nach vorn. Ich schlug schmerzhaft gegen das Lenkrad und bekam das Auslösen meines Airbags mit. Es brannte schrecklich und der Aufprall nahm mir den Atem. Wie eine Puppe warf mich der Stoß wieder zurück.

Autsch.

Einen herrlichen Moment lang blieb ich in diesem Augenblick. Die untergehende Sonne wärmte meinen Hals und Teile meines abgewandten Gesichts. Ich hörte Vögel zwitschern und in der Ferne – so glaubte ich es zumindest – das Rauschen des Meeres. Etwas Warmes, Flüssiges rann über meine Schläfe und versackte in meinem Haar, oder tropfte es auf meine Schulter? Nach einem Blinzeln beließ ich die Augen geschlossen. Es war Blut und es lief mir den nackten Arm hinunter. Nach all den Jahren konnte ich noch immer kein Blut sehen, ohne dass mir übel, schwindlig und panisch zumute wurde. Die Erinnerungen stürmten auf mich ein, wie ich stundenlang in meinem eigenen Blut gelegen hatte und mit jedem Augenblick die Hoffnung auf Rettung schwand.

Ein Laut zerriss mein Trommelfell. „Ma'am? Verdammt noch mal!“ Wut, Zorn und Ärger, drei so ähnliche Empfindungen, die ich gelernt hatte, zu differenzieren und ihren Gehalt abzuwägen. Hier hielten sich alle drei die Waage. „Ma'am?“

Die Berührung war vorsichtig. Zwei Finger legten sich auf meinen Hals, suchten flink nach meinem Puls. „Gott sei Dank!“ Der Mann drehte mein Gesicht um und strich mir eine Strähne von der Wange. „Ma'am? Können Sie mich hören?“

Ich musste mich dem wohl stellen, also hob ich vorsichtig die Lider. Vor mir stand ein hellblonder, braungebrannter Mann in den Dreißigern, in legerer Jeans und einem buntbedruckten Shirt. Seine strahlenden Augen wurden von einem Meer an Wimpern umkränzt, die dunkler getönt waren, als sein Haar, aber mit dem Ansatz seines Bartes übereinstimmten.

„Ma'am?“

„Mir geht es gut.“ Trotzdem brach meine Stimme.

Sein Mund verzog sich. „Yeah, offensichtlich.“ Er zog die Hand zurück und öffnete die Autotür, um an mir herabzusehen. „Sind Sie eingeklemmt? Haben Sie schmerzen?“

„Mir geht es gut.“ Diesmal bekam ich die Worte sicherer hin.

„Dann sollten Sie aussteigen und sich einige Meter vom Unfallort entfernen. Ich werde die Warnbojen aufstellen und die Polizei verständigen.“ Er hielt mir die Hand hin, um mir beim Aussteigen behilflich zu sein. Ich starrte sie an. Ein Grund, warum Torin es nicht schätzte, wenn ich das Haus verließ, war der, dass ich mit anderen Menschen in Kontakt kam. Mit Männern. Er traute mir nicht zu, mich zu behaupten – oder zweifelte an meiner Treue.

„Es ist sicherer“, ermutigte mich der Fremde und beugte sich vor, um mich abzuschnallen. Er kroch dabei halb über mich in den Wagen und kam mir ungeheuer nah. Mein Keuchen quittierte er mit einem irritierten Blick. „Haben Sie Schmerzen?“

„Mir geht es gut.“ Also schön, das war unglaubwürdig. „Ein kleines Schwindelgefühl“, setzte ich dazu und brach den Blickkontakt, um mich eilig selbst abzuschnallen. Er zog sich zurück, und als ich mich umwandte, hielt er mir wieder die Hand hin. Vorsichtig legte ich meine hinein. Mein Herz stockte, weil es ein merkwürdiger Anblick war. Torins Hände waren eher Pranken, diese hier waren lang, sehnig, aber schlank. Die Finger schlossen sich um meine und ein sanfter Zug beförderte mich aus meinem Fahrersitz. Meine Knie zitterten und ich streckte schnell die Hand aus, um mich aufrecht zu halten.

Er war einen Kopf größer, nein, nicht einmal. Torin maß fast zwei Meter und überragte mich weit, denn mit meinen 1,65 m war ich eher kleingeraten.

„Wie geht es dem Schwindel?“

„Wie meinen?“ Ich sah zu ihm auf und wieder stockte mein Herzschlag. Torin war kein besonders schöner Mann, er hatte harte, strenge Gesichtszüge, die mit zunehmendem Alter immer deutlicher zur Geltung kamen. Mein Gegenüber dagegen hatte ein fast weiches Gesicht. Oval, mit einem ausdrucksstarken Kinn, hohen Wangenknochen und einer langen, geraden Nase. In gewisser Weise ähnelte er meinem Cousin Islay in jungen Jahren, bevor er begonnen hatte, seine Muskeln aufzubauen und damit meinen Brüdern nachzueifern, denn er war eher schmal, im Vergleich zu den Männern, mit denen ich sonst Umgang hatte. Meine Brüder waren ebenso wie Torin Hünen, überragten mich weit und waren so breit wie die Türrahmen in unserem Apartment. Selbst Islays Kreuz wurde immer breiter und so fühlte ich mich generell in männlicher Gesellschaft unterlegen.

„Ist Ihnen noch schwindelig?“ Er umfasste auch meinen zweiten Ellenbogen und zog mich näher an sich. „Vielleicht ist es besser, wenn ich Sie …“ Er drehte sich, um sich umzusehen. „Dort zu den Steinen trage.“

Die Antwort blieb ich ihm schuldig, denn die Aussicht, er könne mich tragen, ließ meine Knie weichwerden. Wenn man uns sah … Wenn Torin das erfuhr!

Er nahm mich auf.

Hitze und eisige Kälte schoss gleichzeitig durch meinen erstarrten Körper und lähmten mich nur noch mehr. Torin würde das niemals verstehen. Trotzdem klammerte ich mich an die Schultern des Fremden und hielt den Atem an, bis er mich wieder absetzte. Sich zu mir kniend, zog er sein Handy aus seiner Gesäßtasche.

„Wir brauchen die Ambulanz.“

Mein Hirn sprang an und Alarmsirenen schrillten augenblicklich in meinem Schädel. „Nein!“ Ich zog seine Hand runter, als er mit der anderen auf das Display seines Mobiltelefons tippen wollte. „Wir brauchen keinen Krankenwagen.“

„Ma'am …“ Er unterbrach das Tippen, seine Lippen wellten sich, bevor er sie in ein Lächeln bog, das einfach umwerfend war. „Verzeihung, vielleicht sollte ich mich vorstellen?“ Mein Schweigen nahm er als Zustimmung. „Rick.“ Er streckte die Hand aus, nahm meine auf und schüttelte sie. „Und Sie sind?“

Puh, mit den Lippen meinen Namen zu formen, war fast schwerer, als bei Besinnung zu bleiben. „Catriona.“ Den Nachnamen sparte ich mir, schließlich hatte er seinen auch nicht genannt und ich wollte nicht, dass es die Runde machte, dass ich hier war. Verflixt, ich hätte einen anderen Namen nennen sollen!

Fein, er war offenkundig kein Einheimischer, sein Akzent war unschottisch, eigentlich sogar unbritisch, aber wer wusste schon, wen er hier kannte? Mit wem er sprach, wem gegenüber er mich erwähnte? Spurlos untertauchen ging anders.

„Katrina, ein schöner Name.“

„Catri-o-na“, wiederholte ich, wobei ich den Umlaut deutlicher betonte als nötig, aber ich mochte den besonderen Klang meines Rufnamens und wollte ihn nicht banalisiert haben.

„Wie die Schauspielerin?“

„Ja.“

„Sie sind von hier?“

Nein, aber zu viele Informationen wollte ich ihm nicht geben. „Ja.“ Schnell sah ich mich um, erkannte aber nichts wieder. Mein Gefühl sagte mir, dass wir in der Nähe von Farquhar sein mussten, trotz des riesen Umweges, den ich absichtlich gefahren war. „Ich wohne die Straße runter.“ Ablenken. Besser er merkte nichts von meiner Unsicherheit, herrje, ich war die Tochter des Duke of Skye, hatte ein Eliteinternat – wenn auch nur wenige Jahre – besucht und einen guten Abschluss, wenn ich meine Ausbildung auch nie genutzt hatte. Nun, alles konnte sich ändern. Islay, der eigentlich seine Güter verwalten sollte und nichts weiter, spielte nun Geschäftsmann und war Mitinhaber einer Eventplanungsagentur. Damit hätte wohl niemand gerechnet.

„Dort werden wir Hilfe bekommen.“

„Catriona, wir sind beide verletzt und benötigen eine Untersuchung.“ Er drehte sich auf den Fußballen, um die Straße überblicken zu können. „Und den Abschleppdienst.“

„Beides werden wir auch bekommen. Hören Sie, Rick, hier draußen ist der Empfang miserabel. Ich gehe davon aus, dass wir schneller Hilfe erhalten, wenn wir zum Dùn gehen.“

Seine Augen ruhten auf mir und verengten sich. „Wohin?“

„Nun, Dùn ist nicht mehr die richtige Bezeichnung, eigentlich ist es eher ein kleines Schloss.“ Und klein war nicht unbedingt die Bezeichnung, die Farquhar verdiente. Unser Apartment in London passte gut hundert Mal hinein, aber der Landsitz war halt um einiges kleiner, als der Stammsitz meiner Eltern auf der Isle of Skye, der wahren Trutzburg, die unserem Geschlecht seit Jahrhunderten Schutz bot. „Es liegt dort hinten.“ Mein Arm beschrieb einen Bogen, schließlich konnte ich mich schlecht festlegen, wenn ich es gar nicht so genau wusste.

Sein Blick rutschte an mir herab. „Sie wohnen in einem Schloss?“

Dass ich nicht den Eindruck erweckte, nahm ich ihm nicht übel. Die Qualität meiner Kleidung zeigte sich nicht in ihrer Optik, ganz im Gegenteil. Sie war schlicht, schmucklos und bieder, genauso wie Torin es bevorzugte.

„Sie nicht?“

Sein Blick zuckte zurück zu meinen Augen. Überraschung leuchtete in ihnen. „Nein, tut mir leid, mit einem Schloss kann ich nicht dienen.“

„Nun“, räumte ich ein und streckte die Hand aus. Ich wollte seine Hand tätscheln, die auf seinem Knie lag, und zuckte erschrocken zurück, als es mir bewusst wurde. Wie peinlich! „Es ist auch nicht mein Schloss.“

Rick lachte auf. „Na, jetzt haben Sie mich aber gehabt!“

Ich verstand den Ausdruck nicht, überging es aber, fasziniert von dem lockeren Klang seines Lachens. Torin lachte anders, es klang rauer und irgendwie bedrohlich.

„Wir sollten trotzdem die Behörden verständigen, meinen Sie nicht? Immerhin hatten wir einen waschechten Unfall und zwei demolierte Wagen. Die Versicherungen werden auf eine Klärung der Schuldfrage bestehen und da ist ein offizieller Bericht vonnöten. Meinen Sie nicht?“

Offizieller Bericht. Mein Name, meine Adresse und meinen Aufenthaltsort müsste ich angeben und die Post ginge nach London. Selbst wenn nicht der Strafbescheid, so doch die Regulierungsbestätigung meiner Kfz-Versicherung und damit hätte Torin Anhaltspunkte, wo ich mich aufhielt. Nein, das Letzte, was mir in irgendeiner Weise dienlich wäre, war ein offizieller Bericht!

„Ich bin schuld, ich trage die Kosten.“ Auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie ich das Geld aufbringen sollte. „Ich bin ins Schleudern geraten, als ich einem Schaf auswich.“ Das im Nichts verschwunden war. Daingead, diese wilde Tierhaltung war absolut gemeingefährlich!

Wieder sah Rick zu seinem Wagen, schätzte wohl den Schaden ab. „Das wird teuer. Und soweit ich weiß, ist man Mitverschulder, wenn man auffährt, ganz gleich, warum gebremst wurde.“

Grandios. Wann immer Torin einen Schaden an seinem Wagen feststellte, wollte sich die Gegenpartei aus der Verantwortung ziehen, aber mir musste natürlich jenes Exemplar Unfallfahrer über den Weg laufen, das seine Mitschuld einräumte.

Meine Wangen protestierten schmerzhaft, als ich meine Lippen zu einem Lächeln bog. „Bitte, Sie wären mir nicht aufgefahren, wenn ich nicht so überreagiert hätte. Belassen wir es dabei.“

„Wenn Sie darauf bestehen.“ Wieder verengten sich seine Augen und seine Musterung bezeugte sein Rätselraten. Fast konnte ich seine Gedanken hören. Was verbirgt sie? Welche Abgründe gibt es hier zu entdecken? „Aber meinen Sie wirklich, Sie sollten in ihrem Zustand durch die Gegend spazieren? Es sieht schlimm aus, wissen Sie.“

Unter Garantie hatte ich schon schlimmer ausgesehen. „Oh, seien Sie da ganz beruhigt, mir geht es blendend.“ Mein Lächeln sollte ihn beruhigen und verfehlte seine Wirkung nicht.

„Also schön.“ Er sah auf sein Telefon. „Empfang habe ich hier ohnehin keinen, also versuchen wir es auf Ihrem Weg. Geben Sie mir einen Moment, um die Autos abzuschließen. Brauchen Sie noch etwas aus Ihrem Wagen?“ Er wartete mein Kopfschütteln ab, bevor er aufstand und sich auf den Weg machte. Mein Blick folgte ihm, als er eine Tasche aus seinem Kofferraum holte, etwas in seinem Handschuhfach verstaute und die Tür dann verschloss, bevor er zu meinem Wagen ging und es ebenfalls absperrte, nachdem er den Schlüssel aus dem Zündschloss gezogen hatte. Gut, dass ich nicht das Cabrio genommen hatte, das über den Fingerabdruck bedient wurde.

„Ich habe Wasser und Taschentücher dabei“, bot er an und hob seine Tasche. „Möchten Sie sich vielleicht das Blut abwischen?“

Für einen theatralischen Auftritt auf Farquhar sollte ich bleiben, wie ich war. Ein typischer Gedanke, schließlich hatte ich einen Ruf zu wahren. Rick kniete sich zu mir und friemelte an dem Reißverschluss seiner Tasche. „Sorry, ist ein störrisches Ding, keine Ahnung, warum ich es immer noch habe.“ Endlich klappte er den Deckel auf und holte eine Wasserflasche und Papiertaschentücher heraus, die er anfeuchtete und mir hinhielt. Bevor ich reagieren konnte, zog er die Hand wieder zurück. „Wie dumm von mir“, murmelte er sich vorbeugend. Seine freie Hand legte sich an meine Wange und er drehte mein Gesicht, um mit dem Tuch meine Stirn abzutupfen. „Hm. Hat ziemlich heftig geblutet, scheint aber nur ein kleiner Riss zu sein. Haben Sie Kopfschmerzen? Ich sollte auch ein Aspirin haben.“

„Wie zuvorkommend von Ihnen.“

Unsere Blicke vereinten sich. Jemine, er hatte Augen zum Dahinschmelzen. Schnell ließ ich die Lider sinken.

„Das mindeste, was ich tun kann, Catriona.“ Nach wenigen Minuten war er mit seiner Aufgabe zufrieden. „Sehr gut, jetzt traue ich mich auch, Sie nach Hause zu bringen.“ Er grinste, das bemerkte ich trotz meiner niedergeschlagenen Augenlider. „Und ich hoffe, dass es tatsächlich nicht weit ist, denn ich würde mich nur ungern in der Dämmerung in der Wildnis verirren.“ Er lachte auf. „Das wäre am Tag schon eine Katastrophe. Es soll hier selbst im Sommer des Nachts richtig kalt werden.“

„Ja, so ist es auch, aber wir werden uns nicht verirren und die Nacht liegt sicher noch zwei oder drei Stunden vor uns.“ Zumindest klang ich überzeugend, auch wenn ich selbst es nicht war. Aber wie weit konnte es noch bis Farquhar sein?

Selbstbetrug war schon so sehr Teil meines Ichs, dass ich mich seelenruhig auf den Weg ins Unbekannte machte und Ricks Stütze ablehnte.