Leseprobe Rum Nights

Damals

Kälte.

Hunger.

Dunkelheit.

Sie hüllen mich ein, verschlingen mich, und falls sie jemals entscheiden, mich auszuspucken, wird meine Seele nicht mehr die gleiche sein. Gebrochen. Verängstigt. Von der Person, der ich am meisten vertraut habe. Noch immer vertraue. Das darf nicht wahr sein. Ist ein Irrtum. Oder meine Schuld? Was habe ich getan? Nichts, oder? Nichts. Aber mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen, braucht Wasser, braucht Essen. Und ich eine Decke, damit meine Knie nicht mehr gegeneinander schlottern.

Scheiße, ich will, dass es aufhört.

Die Minuten und Stunden ziehen sich, während mein Gaumen austrocknet und meine Lippen aufplatzen. Selbst meine eingerosteten Gelenke und Muskeln gehorchen mir nicht mehr.

»Schatz. Hast du nachgedacht?«, dröhnt es zwischen meinen Ohren. Zu laut, aber es reicht nicht aus, um die Einsamkeit zu vertreiben. Das Klopfen gegen das Holz neben meinem Kopf hämmert direkt in meinem Schädel weiter. »Lavender, du musst nur sagen, ob du gelernt hast. Hast du?«

Ich öffne den Mund, aber kein Laut will sich formen. Die Worte kleben auf meiner Zunge.

Einen Spaltbreit öffnet sich die Tür und ich falle beinahe zur Seite.

»Sag es«, verlangt die Stimme zischend.

Stockend bringe ich eine Antwort hervor. »Ich habe es verstanden.« Jede Silbe schmerzt, fühlt sich wie meine letzte an.

»Und was hast du gelernt?«

»Dass …« Nichts habe ich gelernt. Nichts. Aber welche Wahl habe ich? »Dass ich niemals erfolgreich sein werde …« Ich schlucke schwer, mein Speichel ist vor Ewigkeiten vertrocknet. »… wenn ich nicht lerne, Begierde zu begreifen, um damit meinen Willen zu bekommen.«

1

Sulli

Wie jeden Samstag ist die Bar brechend voll.

Mit Stammgästen, die hier so oft sitzen, als würden sie für den Suff bezahlt werden. Mit unregelmäßigen Besuchern und einigen, die sich hierher verlaufen haben und bloß wissen wollten, was sich hinter dem Treibholz-Logo des Rum Nights verbirgt. Das kann ich dem neureichen Trüppchen, das schrill lacht, sagen: Freiheit. Von unserer verrotzten modernen Welt. Während die drei schick gekleideten Frauen und ihre ebenso akkurat gekleidete männliche Begleitung ihren Status in Form von dicken Uhren und glänzenden Handtaschen zur Schau stellen, kann ich beim Anblick dieser Kapitalismusfalle nur mit dem Kopf schütteln. Ich sollte sie rausschmeißen, statt zuzulassen, dass sie sich von einem Tisch in der Ecke aus pikiert umsehen und ihre Besitztümer umklammern.

Hier im Rum Nights geht es nicht um materielle Dinge und unser Ambiente spiegelt das wieder. Die Sitzgarnitur wirkt alt, wie aus Treibholz gezimmert, und ist bis zu einem gewissen Alkoholpegel unkomfortabel am Arsch. Layne Staleys gequälte Stimme dringt durch den Lautsprecher und jammert vom letzten Drogenrausch. Vermutlich weiß diese albern kichernde Gruppe nicht einmal, dass er bis zu seinem Tod Frontsänger der Band Alice in Chains gewesen ist. Wie er mit seiner Stimme unter Mark und Bein gegangen und an seinen Dämonen gestorben ist. Manchmal wünschte ich, zwanzig Jahre älter zu sein. Dann hätte ich ihn live hören können. Oder sagen wir dreißig Jahre. Kurt Cobain nehme ich direkt mit.

Ich bin zur falschen Zeit am richtigen Ort: Seattle. Kein Schwein erinnert sich noch an die legendäre Grunge-Ära, obwohl sie hier geboren worden ist. Meine Bar bringt die schmerzende Nostalgie zurück.

Eine der Frauen wirft ihr langes Haar hinter die Schulter und erhebt sich, tritt vor mich an den Bartresen. »Alter, nimm ihre Bestellung an«, brummt Rob, mein Barmitarbeiter, und nickt zu der Neureichen, während ich sie immer noch anstarre. Bevor er angefangen hat, für mich zu arbeiten, hat er in der Motorradwerkstatt meines Vaters geschraubt. Das Altrocker-Outfit hat er anbehalten. Rob ist zuverlässig, aber weigert sich partout, Cocktails zu mixen. Und die verwöhnte Tussi, die mit ihren langen, manikürten Fingernägeln gegen die nasse Theke trommelt, will einen. Ich weiß es jetzt schon. Irgendwas Ekliges, wofür ich meine teuren Spirituosen nicht verschwenden werde.

»Mach du«, entgegne ich, bleibe mit verschränkten Armen vor unserem gläsernen Flaschenregal stehen. Wenn ich mich minimal stärker dagegen lehne, fliegen mir tausende Dollars um die Ohren. Aber ich könnte mich im Dunkeln in diesem rauchigen Schuppen zurechtfinden. Blind alles mixen, was man sich nur vorstellen kann. Vorsichtig schiele ich zu meiner Barkeeperin Hera, die Biere für eine Gruppe Mittdreißiger mischt und flüchtig zu uns herübergrinst. Sie weiß, was uns durch den Kopf geht und hebt den Blick zu dem Steuerrad, mit dem wir gedanklich jede Nacht jemandem eins überbraten.

»Bezahl mir mehr und …«

»Hey, ihr seht mich doch! Ich möchte bestellen«, unterbricht die Frau Rob und wedelt mit ihrer schwarz glänzenden Geldbörse. Das Ding schreit nach Kohle. Und nach Arroganz, die damit einhergeht. Aber wer weiß, vielleicht täusche ich mich.

Wenig überzeugt richte ich mich auf. Rob tippt mich von der Seite an, hält mir mein Shotglas hin, das ich zu häufig aufgefüllt habe, um noch mitzuzählen. Wir prosten uns zu und ich kippe das flüssige Gold in einem Zug weg, genieße das sanfte Brennen in der Kehle und wünschte, es würde länger anhalten.

Ja, ja, macht man nicht. Betrunken auf der Arbeit sein, ist tabu. Aber ich liebe es. Mit unterhaltsamen Gästen trinke ich mit. Während wir aufbauen oder die frischen Zutaten vorbereiten, gehören immer mal zwischendurch Shots dazu. Und bei anstrengenden Gästen auch. Das ist nicht der gesündeste Lebensstil, aber so was passiert, wenn man sich drogenabhängige Musiker, die zu jung verstorben sind, als Vorbilder nimmt.

Rob widmet sich ein paar Stammgästen, die meinen eigenen Rum trinken. Ähm … unseren.

Sagte ich eben meine Bar?

Mein Baby?

Mein Schweiß, mein Blut und meine Leidenschaft fließen über diesen Tresen, aber technisch gesehen gehört meinen Männern, Emerson und Rush, jeweils ein Drittel dieser Bar und ebenso unseres Rum-Labels Liquor Lovers. Wir sind drei Idioten, die nicht wissen, was sie machen und genau das lieben. Obwohl … Rush hat eigentlich immer einen Plan. Er teilt ihn nur mit niemandem.

Der Blick der wartenden Frau verhärtet sich, als ich mir ein Geschirrtuch über die Schulter schmeiße und mich über die Theke beuge, um sie besser zu hören.

Von Nahem stechen mir Details ins Auge, die ich hoffentlich gleich wieder vergessen werde. Allen voran, dass sie unter ihrer teuren Fassade heiß ist. Mein Schwanz zuckt, hat keine Ahnung davon, dass ich die Finger von verwöhnten Gören lasse. Er sieht nur die vollen Brüste, die sie sich unter das Kinn quetscht, riecht das Parfum, das sie in eine Wolke aus Blumen und grüner Natur und irgendwie auch Verruchtheit hüllt. Bestimmt so ein Moschusscheiß. Er registriert die vollen Lippen, die sie um ihn wickeln kann, und die langen, fast schon wirren Haare, an denen ich sie derweil festhalte.

Das Kopfkino endet abrupt, als sie den hübschen Mund aufmacht.

»Vier Piña Coladas, bitte.« O fuck. »Und geht das mit dem Rum dort oben?« Noch schlimmer. Sie hebt einen Finger, zeigt auf etwas hinter mich. Ein Plakat, das Rush, Emerson und mich mit unserem Rum abbildet. Der Name zieht sich in einer Westernschrift darüber, das Ganze ist in Orangetönen gefärbt. Wie verblichenes Papier oder eine Schatzkarte.

Das Ding ist: Ich weiß, wer sie ist, sobald sie dieses Gesöff bestellt. Jeder Psychologe würde mit dem Kopf schütteln, aber Getränke sagen viel über einen Menschen aus. Jede Bestellung öffnet mir das Tor in eine fremde Seele, die mich nicht interessiert. Ich kann sagen, ob mein Gegenüber sich in Gesellschaft zu einem Getränk zwingen lässt, sich tröstet oder einfach vergessen will. Ob er einen guten oder schlechten Tag hatte, ob er anderen einen Drink spendieren würde oder das Geld nicht hat oder haben will. Oder ob jemand eine reiche Göre ist, die gleich ihre vom Vater gesponserte Amex oder irgendeine andere Kreditkarte über die Theke reicht und mit der man keine zwei Worte wechseln möchte. Kurz gefasst: Mein Schwanz würde sie ficken, aber ihre Gedanken widern mich an.

»Klar, bereite ich dir sofort zu.«

Routiniert greife ich nach dem Mixer und gebe die Zutaten hinzu. Zerstoßenes Eis, Kokoscreme, die ich zum Dosieren in eine Flasche abgefüllt habe, Ananassaft und -stücke und irgendeinen anderen Rum, in den nicht meine Lebensenergie geflossen ist. Unser Rum schmeckt nach Anarchie und hebt den Mittelfinger gegen unsere heuchlerische Welt – und damit passt er nicht zu ihr. Der Lärm des Mixers geht in der rockigen Musik und dem Gegröle der Anwesenden unter, doch leider nicht meine Scham, die mit Kreieren dieses Getränks einhergeht. Am liebsten würde ich mich weigern. Eine Piña Colada ist mehr ein Slushie als ein Drink. Den Rum kann man nicht ausmachen, die Geschmackspalette ist einfältig, entwickelt sich nicht. Die Pampe schmeckt einfach nach Sonnenschutz, übertrieben süß, wie eingeölte, gebräunte Haut.

Der Cocktail ruiniert meinen Lieblingsalkohol.

Whiskey ist protzig und anmaßend, Bier für Leute, die sich aus Routine betäuben, und für Tequila muss man verrückt sein. Doch Rum, vor allem der aus unserer eigenen Destillerie? Ist sexy. Lässt dich wie ein Seeräuber fühlen, ein Freigeist, der du nicht sein darfst, lässt dich die Welt hassen und es jeden wissen.

Zufrieden beobachtet sie mich dabei, wie ich Cocktailkirschen auf der Pampe verteile, je ein Ananasstück an die Glasränder hefte und – weil ich meine Bar nicht halbherzig führe – dämliche Schirmchen obenauf stecke. Während ich ihr die Getränke über den Tresen schiebe, ahne ich, dass sie gleich an der Ananas nuckeln wird, als würde dies sie verjüngen. Und siehe da. Sie schlürft bereits den ersten Tropfen, bevor ich ihr den Preis der Bestellung genannt habe. Als wäre die Qualität zerbrechlich und der Geschmack in einer Minute nicht mehr der gleiche.

Ich hasse Piña Coladas.

Ava

 

Ich liebe Piña Coladas.

Sie schmecken nach Urlaub und Sonne und sind genau das, was ich in dieser verregneten Stadt brauche. Seattles ständiger Nieselregen lässt mich den Februar in Arizona vermissen, obwohl ich froh bin, meinem stillstehenden Leben dort für ein paar Tage entflohen zu sein.

Ich werfe einen Blick auf Candice, die ich aus meinem zweiten Studium kenne. Es war ein Aufeinanderprallen zweier verrückter Frauen, die zusammengehören. Bis ich von der Uni geflogen bin, hat uns nichts getrennt. Abigail und ihren Freund Roman kenne ich erst seit dieser Woche. Sie teilen sich eine Wohnung mit Candice im Stadtteil Belltown und haben vorgeschlagen, zum Abschluss von Candice’ Geburtstagswoche in diesen schrägen Schuppen zu gehen. Meine Kleidung fühlt sich seit Betreten der Bar klebrig an, obwohl mir noch niemand sein Bier über den Rock geschüttet hat. Eventuell bleibe ich auch am Boden haften, so schmierig wie der sich anfühlt. Wird hier gewischt? Oder merkt der unfreundliche Barheini diesen Zustand schon gar nicht mehr?

Er mustert mich aus seinen whiskeyfarbenen Augen und klatscht die Rechnung auf den Tisch. Viel zu teuer dafür, dass er mir nicht den Rum eingeschüttet hat, nach dem ich gefragt habe. Bildet er sich etwas auf das Getränk ein? Oder auf diese Zeichnung von ihm, die neben dem Eingang hängt und auf Flyern überall ausliegt? Mit dem gleichen skeptischen Blick, buschig zusammengeschobenen Brauen und dem etwas längeren, wild nach hinten geschobenen Haar, das einen rätseln lässt, ob seine Dusche funktioniert. Wer auch immer ihn gezeichnet hat, hat aus ihm einen Piraten gemacht. Die Rumflasche hat er in die Luft gestemmt, ein Bein auf dem Bug eines alten Schiffs mit schwarzer Totenkopfflagge platziert. Die Kleidung ist zerfleddert und das Wasser schimmert in der gleichen Farbe wie sein ach so exklusiver Rum. Muss cool sein, seine eigene Marke zu haben, aber wer sagt mir, dass er sich mit der Herstellung auskennt und das Logo nicht einfach auf einen x-beliebigen Rum geklatscht hat?

Weil ich ihm nicht traue, habe ich bereits von meinem Getränk gekostet. Doch so unfreundlich wie er ist, so gut kann er mixen. Dies dürfte eine der besten Piña Coladas sein, die ich je getrunken habe. Solange ich zusehen kann und weiß, dass er nicht reinspuckt, bestelle ich sicherlich noch mehr.

Ich halte ihm meine Kreditkarte entgegen und wedle ungeduldig damit, weil er damit beschäftigt ist, mich zu taxieren. Bitte, wenn er es so dringend nötig hat. Diese Woche kann mir niemand ruinieren. Ich fühle mich endlich wieder wie ein Mensch und weiß nicht, wann ich erneut die Chance dazu haben werde. Morgen Mittag geht mein Flug zurück nach Gilbert. Meiner Hölle nahe Phoenix in Arizona. Der Name klingt so schön, aber ich warte immer noch darauf, aus der Asche neu geboren und nicht immer wieder mit dem Gesicht hineingedrückt zu werden. Ich tue alles, damit niemand sieht, dass meine Seele mit glühender Asche bedeckt ist. Verrußt ist und in Schlieren hängt. Schwärzer als schwarz ist.

»Hey, deine Karte funktioniert nicht«, raunzt der Bar-Typ, als wiederhole er sich nicht zum ersten Mal.

»Versuch es noch mal. Hab sie heute Morgen noch benutzt«, entgegne ich, ohne zu zögern, und nehme einen weiteren Schluck meines Cocktails. Es gibt nicht vieles, worauf ich mich verlassen kann, aber dass genug Geld auf meinen Kreditkarten ist, gehört zu diesen wenigen Dingen. Monatelang habe ich die Kohle meiner unnötig knausrigen Eltern gespart. Sie könnten es sich leisten, hinter ihren monatlichen Unterhalszahlungen eine Null zu hängen, aber das würde mir zu viel Freiheit einräumen.

Erneut zieht der Typ die Karte durch das Lesegerät und wartet. Schüttelt den Kopf.

Genervt rolle ich mit den Augen und fische eine andere aus meinem Portemonnaie. »Vielleicht funktioniert deine Maschine einfach nicht.« Schafft er es wirklich gerade, meine Laune zu ruinieren? Dabei singt mir Kurt Cobain sein Leid, was meinen Körper bis in die letzte Zelle vibrieren lässt.

»Nope, die tut’s auch nicht.«

Wieso nicht?

»Und bei allen anderen Gästen funktioniert dein Gerät?«

Er hebt den Blick, fixiert mich, sodass ich beinahe zurückweiche, aber ich halte mich an der versifften Theke fest, bleibe standhaft. Vereinzelte Sommersprossen fallen mir auf seinen Lippen auf. Seine Augen sind hellbraun und ein trügerisches Fenster zu so viel Perversion. »Ja. Einwandfrei. Hast du noch eine andere? Oder Bargeld?«

Nacheinander reiche ich ihm meine Karten, luge sicherheitshalber in das Bargeldfach. Eine Vorahnung beschleicht mich. Aber das ergibt keinen Sinn. Sein Kartenlesegerät muss kaputt sein. Auch wenn Flug, Hotel und all unsere Unternehmungen ein wenig teurer als geplant ausgefallen sind, müsste mein Puffer ausreichen.

Candice kann ich nicht fragen, denn es ist ihr Geburtstag. So viele Witze wie wir vorhin über Leute gerissen haben, die den zweitgünstigen Wein auf der Karte nehmen, um nicht billig zu wirken, würde sie über diesen Engpass eh die Nase rümpfen.

Meine Wangen beginnen zu glühen. In einer Situation wie dieser bin ich noch nie gewesen. Ich spiele mit dem Gedanken, die Getränke zurückzugeben. Aber Abigail und Roman würden mir das nicht durchgehen lassen. Außerdem ist mein Cocktail bereits halb leer.

Die rauchige Luft erschwert mir das Atmen.

»Kann ich kurz zu einem ATM und Bargeld abheben?«, frage ich und versuche, meine Stimme fest klingen zu lassen.

Der Typ hinter der Bar zieht nachdenklich die volle Unterlippe ein, was nicht so verdammt sexy aussehen sollte.

»Gib mir deinen Führerschein, damit ich weiß, dass du zurückkommst«, willigt er ein.

Meine Finger zittern leicht, als ich ihm stattdessen einen Studentenausweis reiche. Als ob ich ihm einfach so all meine Daten hinterlasse.

»Habe ich leider nicht dabei. Aber hier steht ja auch mein Name drauf.«

Er verdreht die Augen. »Du hast zehn Minuten. Dann rufe ich die Polizei.«

Die Drohung wäre nicht nötig gewesen, aber passt zu jemandem wie ihm. Ist doch offensichtlich, dass ich mich in einer Ausnahmesituation befinde. Ich weiche seinem Blick aus und schnappe mir die drei Cocktails meiner Freunde. Meinen fast leeren lasse ich stehen. Von wegen Urlaub. Wenn ich gleich nicht zahlen kann, schmecken Piña Coladas auf ewig nach Geldnot.

Bemüht, dass niemand der Angetrunkenen mich anrempelt, schlängele ich mich an den vollen Tischen vorbei und stelle die Getränke mit einem Lächeln vor meinen Freunden ab. Der Tisch hat etwas Klebriges, obwohl Candice ihn bei unserer Ankunft mit einem Desinfektionstuch abgewischt hat.

»Ava, was brauchst du so lange?«, fragt Candice und wirft sich das blonde Haar hinter die Schulter.

»Sah beinahe so aus, als würdest du Ausreden suchen, um bei ihm zu bleiben«, ergänzt Ramon.

Ihre Köpfe wenden sich gleichzeitig zur Theke, während sich von dort Blicke in mich bohren. »Dabei sieht er aus wie ein Penner.«

»Du wolltest hierhin«, gebe ich gespielt locker zurück.

»Wir mussten dir ja ein bisschen Kultur bieten. Hier wird angeblich Grunge-Musik gespielt, die in Seattle vor zehn Jahren richtig populär gewesen ist.« Ich korrigiere ihn weder, dass hier definitiv Grunge gespielt wird, noch, dass Grunge schon länger tot ist und nur wenige moderne Bands einem ein vergleichbar emphatisches Verständnis für Teenage Angst vermitteln.

Nervös räuspere ich mich. »Ich muss kurz raus. Telefonieren. Meine Mutter tritt hier sonst die Bude ein, wenn ich mich nicht melde.« Was Besseres fällt mir spontan nicht ein.

»Deine Mutter immer! Du bist einundzwanzig Jahre alt. Wird Zeit, dass sie das einsieht.« Candice lacht, scheucht mich mit der Hand wedelnd davon. Sie schöpft keinen Verdacht.

Draußen vor dem Rum Nights raubt der Fisselregen mir den letzten Nerv. Mein Handy findet einen Automaten ganz in der Nähe, der mich in der Dunkelheit leuchtend von Weitem auslacht. Einige Rauchende stehen die Straße entlang herum und ich fühle mich beobachtet, obwohl niemand mir Beachtung schenkt.

Ich stecke eine Kreditkarte in den Automaten, wobei ich bewusst darauf achte, die Armaturen nur mit den Fingerknöcheln zu berühren. Das Display blinkt. Allerdings nicht so, wie ich es gern hätte.

Wir bitten um Verzeihung, diese Karte ist nicht valide.

Bitte was?

Geschockt will ich meine Karte herausziehen. Aber sie ist weg. Der Scheißspalt ist leer. Leer! Das Ding hat meine Karte gefressen. Ich bin versucht, mit dem Fuß gegen den ATM zu treten, aber das würde mir höchstens einen verstauchten Zeh bescheren.

Langsam ein- und ausatmend greife ich nach einer zweiten Karte. Davon habe ich zum Glück ja genug. Sollte ich zu einem anderen Automaten gehen oder spielt mein Kopf inzwischen verrückt?

Ich stecke die zweite Karte in die Maschine und beobachte ungläubig, wie sich das Spiel wiederholt. Meine Karte ist ungültig und wird geschluckt. Was soll das? Wie soll ich so die Drinks bezahlen? Oder irgendetwas bis zu meinem Flug morgen?

Verdammte Scheiße!

Ich zücke mein Handy und öffne meine letzten Anrufe. Eben ist das Gespräch mit meiner Mutter noch eine Ausrede gewesen und jetzt rufe ich sie tatsächlich an. Nicht einmal eine Woche schaffe ich es, mich unabhängig zu fühlen.

Nach nur einem Piepen nimmt sie ab.

»Lavender, was rufst du so spät noch an?« Darauf habe ich nicht geachtet. Zu dieser Uhrzeit liegt Mom mit goldenen Patches unter den Augen auf ihrem Seidenkissen und schaut eine Serie.

»Sorry, ich stecke ein wenig in der Klemme.«

Mom gibt einen überraschten Laut von sich. Ich kann förmlich sehen, wie sie sich aufrichtet und ihren Morgenmantel zurechtrückt. »Was ist passiert?« Ein Hauch Sorge, gerade genug, dass ich mir ihrer Aufmerksamkeit sicher bin, aber nicht so viel, um mir Zuversicht zu schenken, hängt in ihrer Stimme.

»Ein Bankautomat hat zwei meiner Karten gefressen. Und keine der anderen Karten hat funktioniert, als ich damit bezahlen wollte.«

»Hast du dein Geld aufgebraucht? Damit bist du doch sonst so zuverlässig.« Im Hintergrund raschelt es. Vermutlich schlüpft sie in ihre Hausschuhe und flitzt durch das Schlafzimmer.

»Nein, habe genau kalkuliert.«

»Warte kurz, ich rufe deinen Vater mit meinem zweiten Telefon an.« Sie knallt ihr Handy auf eine Oberfläche. Hoffentlich beeilt sie sich. Viel Zeit habe ich nicht, bevor dieser Barheini die Polizei auf mich hetzt. Langsam gehe ich zurück und gerade als ich quer über die Straße den belebten Bürgersteig betrete, höre ich meine Mutter erneut. Sie ist außer Atem.

»Lavender, es tut mir so leid. Dein Vater hat all deine Kreditkarten gekündigt. Alle. Als Erziehungsmaßnahme, weil auch dein drittes Studium gescheitert ist. Er will, dass du erwachsen wirst und … Ich werde ihn überzeugen, dass er dir wieder Karten ausstellt. Aber das kann dauern.«

Bitte was?

Letzten Monat hat er kaum darauf reagiert. Er hat sich geradezu abgeklärt gegeben, als hätte er nichts anderes erwartet.

Schweiß bildet sich an meiner Schläfe und fühlt sich noch ekliger an als der Dauerregen, der meine Frisur bereits vor Minuten ruiniert hat. Dad ist beruflich in Hongkong und kann sich Moms Griff leicht entziehen. Ihr als glückliche Trophäenfrau sind die Hände gebunden, weil alles Finanzielle über ihn läuft.

»Das kann er doch nicht einfach so machen?«

Doch. Kann er offensichtlich schon. Seit Wochen warte ich auf Dads Donnerwetter nach meiner dritten Exmatrikulation. Ich habe beinahe vergessen, dass Bildung für ihn alles ist.

»Und was soll ich jetzt machen? Ich habe eine offene Rechnung und meine Freunde erwarten, dass ich morgen früh mit zum Brunchen komme.«

»Ich weiß. Ich verstehe das. Wie unangenehm. Nicht, dass deine Freunde morgen euer Brunch noch für dich bezahlen müssen. Aber du hast doch das Konto, das du beim ersten Studienbeginn eröffnet hast. Mit dem tollen Startkapital und Zinssatz. Das kannst du vorübergehend nutzen. Das reicht bis morgen Abend. Ich kümmere mich um deinen Vater, damit das in Ordnung ist, wenn du zurückkommst. Schlaf gut, Lavender. Wir sehen uns morgen Nachmittag.«

Und damit hängt sie auf. Bevor ich erwäge, ihr zu gestehen, dass ich das Konto vor Ewigkeiten geplündert und bis ans Limit überzogen habe.

***

»Wir haben die anderen Drinks gezahlt und es ist mein Geburtstag«, mault Candice, als ich von meinen gesperrten Karten berichte.

»Vielleicht bist du jetzt grundsätzlich pleite. Wer weiß, was dein Vater angestellt hat«, grübelt Roman und zieht eine Grimasse. Am liebsten würde ich ihm den Rest seiner Piña Colada, die er nicht mal mag, ins Gesicht schütten. Möge die Ananas Pickel auf seiner Haut verursachen.

»Nein, ganz sicher nicht«, behaupte ich. »Helft ihr mir aus? Dieses eine Mal?«

Candice presst die Lippen aufeinander, während ihre Mitbewohner sie eindringlich ansehen. Habe ich etwas verpasst? Sie räuspert sich, schaut mich nicht an, sondern fixiert den Stiel der gegessenen Cocktailkirsche. »Um ehrlich zu sein, ist es uns unangenehm. Die Nachbartische schauen bereits. Du bist ohnehin diejenige von uns mit dem kleinsten Geldbeutel und … Wir zahlen dich nicht aus. Entweder bist du unsere Freundin und kannst mitmachen oder eben nicht. Dass deine Eltern dir das Geld entziehen könnten, war mir nicht klar.«

»Candice!«, entfährt es mir, worauf mich alle drei schockiert ansehen. Als würde ich hier eine peinliche Show abziehen. Dabei sind sie es, die mich wegen ein paar Dollars stehen lassen. »Das kann nicht euer Ernst sein!«

Abigail betrachtet mich missbilligend, als wäre ich Dreck unter ihrem Schuh. »Wir sind zum Spaß in dieser Bar, du passt hier offensichtlich perfekt rein. Zu all diesen komischen Leuten.«

Sie erheben sich. Ihr ignorantes Verhalten, das ich vermutlich selbst an den Tag gelegt hätte, steckte jemand der drei in meiner Situation, versetzt mir einen Stich. Entgegen allen Vermutungen landet das Geld nicht ohne mein Zutun auf einem der vielen Konten. Ich arbeite dafür – nur nicht im klassischen Sinne. Auch wenn ich generös damit um mich werfe, achte ich darauf, es lediglich für mich zu tun, niemals für andere. Genau das ist der Vorteil an Freunden, die reicher sind als ich. Dass das unsere einzige Verbindung gewesen ist, wird mir jetzt klar. Vor allem die Freundschaft mit Candice basiert rein auf Shoppingtrips, die wir gemeinsam unternommen haben. Tiefgehende Gespräche haben wir nie geführt, weil ich es nicht gewollt habe. Jetzt merke ich: Candice wäre ohnehin nicht dafür bereit gewesen.

Meine doch-nicht-Freunde drücken sich an mir vorbei und lassen ihre angenuckelten Getränke stehen. All das Drama dafür, dass niemand seine Piña Colada austrinkt. Ganz toll.

Ermattet stehe ich minutenlang am Tisch, starre ins Nichts, dann zur Bar. Von dort aus werde ich bereits vom Barheini und noch jemand anderem beobachtet, der mich mit dem Finger heranwinkt und schelmisch grinst. Während sie nutzlos dastehen, hechten ihre Mitarbeiter durch die Bar, bereiten Getränke zu und räumen ab. Zu zweit kommen sie kaum hinterher.

Ich schlurfe zum Tresen und bin mir unsicher, ob ich den ersten Typen nicht lieber allein sprechen möchte. Der zweite hat etwas Verrücktes an sich, Tattoos, die in ihrem Stil und ihrer Anordnung nicht zusammenpassen, und ein Lächeln, das zu breit für sein Gesicht ist und Unheil verspricht. Sein dunkles Haar, das an den Seiten kurz rasiert ist, fällt ihm strähnig über die Augen. Er mustert mich noch unverhohlener als sein Kumpel und zieht eine Braue hoch.

Sie warten, dass ich spreche. Wissen längst, was kommt.

»Ich kann die offene Rechnung nicht bezahlen.«

Ob ich mir Geld leihen könnte, fragen sie nicht mehr. Die Demütigung, die mir ins Gesicht geschrieben steht, ist Antwort genug.

»Wann könntest du das Geld aufbringen?«, fragt der Erste.

Ratlos zucke ich mit den Schultern. Jemand rempelt gegen mich und ich taumele zur Seite. Genauso instabil fühlt sich mein Leben an. »Keine Ahnung. Könnte morgen sein oder …«

»… später. Heißt, dass du deine Schulden abarbeiten musst.«

»Gläser abräumen und so?« Ich drehe mich herum, betrachte die vollen Tische, die Wasserflecken auf dem Billardtisch und die halb gefüllte Spüle.

Die Männer lachen in sich hinein.

»Nein. Ich lasse dich ganz sicher kein Glas zerbrechen. Vielleicht stellst du dich ja extra dämlich an und lässt alles fallen.« Ich hasse ihn. Seine arrogante Art. Sein Vorurteil, dass ich nicht arbeiten kann und eine verwöhnte Ziege bin. In gewisser Weise hat er recht damit. Und gleichzeitig kein bisschen.

»Was dann?«

Seine Augen leuchten, drohen mir, obwohl sich seine Mimik kaum regt. Sein zappeliger Freund hingegen schaut, die Arme auf die Theke gestützt, neugierig zu ihm auf. Seine tätowierten Finger trommeln auf das Holz, während er den Kopf zur Musik wippt.

»Du kommst morgen Mittag zurück und ich gebe dir ein paar Aufgaben. An unsere Gäste lasse ich dich nicht. Wenn die sehen, dass hier Stümper arbeiten …«

»Kann ich nicht nachher mit aufräumen?«, unterbreche ich ihn. Muss er es derart auskosten, dass er am längeren Hebel sitzt? Mir ist klar, dass ich das Geld aufbringen muss. Ich bin keine Diebin, die geplant hat, nicht zu zahlen. Wütend funkle ich ihn an, doch es zuckt nur ein diabolisches Lächeln an seinen Lippen.

»Ich habe all meine Mitarbeiter hier, die mir helfen. Wird keine Stunde dauern. Morgen, dreizehn Uhr.«

Zischend ziehe ich die Luft ein. »Das geht nicht.« Der Typ hat bereits ein Klemmbrett mit Zettel aus einer Schublade gezogen und hält nun in der Bewegung inne. »Mein Rückflug geht morgen Nachmittag. Um fünfzehn Uhr. Wenn ich hier arbeite, verpasse ich ihn.« Und ohne Kohle kann ich kein Zimmer für eine weitere Nacht reservieren, kann kein neues Flugticket buchen und hänge hier obdachlos fest.

Unbeeindruckt klatscht er die Kladde auf den Tisch, legt meinen Studentenausweis darüber und kopiert meinen Namen.

»Liebste Lavender, das ist hier kein Wunschkonzert. Wir sind hier nicht mehr an der Uni, sondern im echten Leben. Dir fehlen zweiundsechzig Dollar und ich biete dir an, sie abzuarbeiten. Unter meinen Bedingungen oder mit Hilfe der Polizei. Deine Wahl.« Scham kriecht meine Wangen empor und überhitzt meinen ganzen Körper. So eine kleine Rechnung zahle ich normalerweise, ohne mit der Wimper zu zucken.

»Ich studiere nicht mehr und … Ava, bitte«, flüstere ich. Vielleicht sollte ich froh über seinen Vorschlag sein. Es klingt nahezu fair. Aber andere würden auch einfach einen Vertrauensvorschuss leisten, mich nach Hause fliegen und den Scheiß regeln lassen. Die paar Drinks machen doch keinen Unterschied in seiner Kasse. Oder ihrer Kasse. Sein Kumpel, der das Glas mit den Cocktailkirschen entdeckt hat und auf zweien gleichzeitig kaut, scheint ernsthaft ebenfalls zum Rum Nights zu gehören. Anders kann ich mir nicht erklären, dass man ihn mit einem riesigen Schlüsselbund, der vermutlich zur Bar gehört, spielen lässt. Es würde mehr Gewinn bringen, wenn ich für ein Stündchen seinen Babysitter spiele.

»Okay, Ava.« Aus seinem Mund klingt mein selbstgewählter Name so speziell, dabei ist er einer der meistgewählten Vornamen für Neugeborene. Genauso durchschnittlich, wie ich mich fühle. »Ich bin Levi Sullivan, für dich Sulli. Gib mir deine Daten und dann erwarte ich dich morgen um dreizehn Uhr.«

Er greift nach einer Flasche Liquor Lovers und schüttet zwei Shots ein, während ich tausend Details angebe, die ich ihn nicht wissen lassen möchte. Angefangen bei meiner Adresse, weswegen ich ihm die des Hotels gebe. Dann Allergien. Meine Social-Security-Nummer. Will der meine Arbeit versteuern oder mich scammen? Würde ich ihm zutrauen.

Er hält mir eines der Gläser hin und ich lasse den Kugelschreiber sinken. Unsere Finger berühren einander, als ich ihm das kleine Glas abnehme. Seine sind warm, rau und zucken vor der Berührung zurück. Als ob Körperkontakt mit mir ihn ebenfalls in eine verwöhnte Göre verwandeln könnte. Ich habe falsch gelegen. Seine Augen haben nicht die Farbe von Whiskey. Sondern von Rum. Seinem Rum. Beinahe golden schimmernd, einen insgeheim von innen verätzend. Wie er.

»Geht aufs Haus.« Er stößt mit mir an und legt den Kopf in den Nacken.

Ich tue es ihm gleich.

Unsicherheit krabbelt in mir hoch. Und noch ein ganz anderes, unerwartetes Gefühl.

Wie kann es sein, dass ich mich, abgeschnitten vom Geld meiner Eltern, mit einem Hotelzimmer, das mir nur noch eine Nacht zur Verfügung steht, und nach den bemitleidenswerten Blicken meiner Freunde, so sicher fühle wie noch nie?

2

Ava

Zu behaupten, diese Nacht wäre die längste meines Lebens gewesen, wäre gelogen. Es hat schon so viele längere gegeben. Aber stundenlang mit Nachrichten bombardiert zu werden, während ich in Seattle feststecke, ist anstrengend gewesen. Mein Vater verweigert jedes Gespräch und ich muss mit Moms Wut sympathisieren. Ich bin so k.o., so frei und so hilflos. Jede Faser meines Körpers verlangt nach den toxischen Pillen, mit denen ich zu Hause meine Nerven beruhigt habe, aber ich spüle sie die Toilette runter. Das zittrige Gefühl wird vergehen und ist immer noch besser als die neblige Wolke, die mich sonst einhüllt.

Obwohl ich gern länger in dem bequemen Bett geblieben wäre, schmeißt mich das Hotel um elf Uhr raus. Stellt mich mit einem riesigen Koffer, zwei Jacken, die nicht hineinpassen, und meiner Handtasche im Foyer ab und erwartet, dass ich gehe.

Aus Mangel an Alternativen straffe ich die Schultern und schleppe meine Habseligkeiten und mich zum Rum Nights. Bei Tageslicht sieht die Außenfassade der Bar noch abgeranzter aus als bei Nacht. Als hätte sich seit den Achtzigern niemand die Mühe gemacht, etwas zu reparieren. Vielleicht soll es so aussehen. Ein bisschen ranzig.

Passend zu meinem Arbeitstag habe ich mein ausgeleiertes Nirvana-Shirt hervorgeholt, das ich zum Schlafen trage, dazu High-Waist-Hotpants und Stiefeletten. Mein Haar steckt in einem unordentlichen Zopf. Vermutlich wird Sulli mich so umherscheuchen, dass jede weitere Mühe verschwendet wäre.

Versuchshalber rüttle ich an der Eingangstür, die sich sogar öffnen lässt. Der Gedanke, dass niemand abgeschlossen hat oder das Schloss kaputt ist, verfliegt, als ich Stimmen dahinter höre. Ächzend kämpfe ich mich mit meinem Koffer durch die schwere Sicherheitstür, die mehrmals gegen meinen Po stößt, weil sie automatisch dichtfallen will.

Ohne Gäste und bei Tageslicht wirkt die Bar tatsächlich recht ordentlich. So sauber, wie ein Ort, an dem Schweiß, Alkohol und vermutlich andere Flüssigkeiten auf alle Oberflächen tropfen, eben sein kann. Die vertraute Melodie von Puddle of Mudds Song Blurry empfängt mich und macht diesen Ort wenigstens ein klein wenig erträglich. Weil er mich und meinen Schmerz akzeptiert.

»Willst du hier einziehen?«, fragt jemand. Es ist dieser Hampelmann mit einem Joint in der Hand. Ich rümpfe die Nase bei dem süßlichen Geruch. Das Haar steht von seinem Kopf ab, als hätte er seit letzter Nacht noch nicht in den Spiegel gesehen. »Egal. Ich bin Emerson und einer deiner drei Bosse heute. Räum dein Zeug hinten in die Küche und komm dann zurück.«

»Drei?« Hätte einer nicht gereicht?

»Ja, drei. Unseren Sonnenschein Rush lernst du nachher noch kennen.«

Will ich gar nicht.

Emerson kichert, als hätte ich meine Gedanken laut ausgesprochen. Während ich in den hinteren Teil der Bar ziehe, spüre ich seinen Blick auf meinem Arsch, der zugegeben ganz knapp aus der Jeans ragt. Falls ich doch Gäste bedienen soll, wird mir dieser entscheidende Zentimeter Haut ein höheres Trinkgeld einbringen – das ich dringend gebrauchen kann.

Die Mitarbeiterküche ist klein, aber aufgeräumt. Über dem Kühlschrank hängt ein Zeitplan. Zwei Angestellte, Rob und Hera, arbeiten hier Vollzeit. Levi oder Sulli, wie ich ihn nennen werde, solange er im Gegenzug meinen Namen respektiert, ist ebenfalls für fünf Tage die Woche eingetragen. Emerson bloß für die am stärksten besuchten Abende, Donnerstag bis Samstag, und an anderen Tagen unregelmäßig. Rush fehlt im Plan. Außer an einem Tag im Monat, der rot umkringelt ist. So wie Emerson und Sulli ebenfalls einen rot markierten Tag im Monat haben. Was ist das? Ein Event? Bierwetttrinken, oder was veranstaltet man in einer Bar, die nicht einmal eine Happy Hour hat? Emersons roter Tag findet in einer Woche statt und ich bin froh, dass ich bis dahin längst zurück in Gilbert sein werde.

Eine Kaffeemaschine rumort im Hauptbereich und lockt mich dorthin zurück. Sulli steht davor, eine Kippe im Mund, die den permanenten Zigarettengeruch hier erklärt: Außerhalb der Öffnungszeiten macht hier jeder, was er will. Als er mich entdeckt, schiebt er missbilligend die Brauen zusammen. Sein dunkelbraunes Haar ist feucht und nach hinten geschoben. Einzelne Wassertropfen rinnen in seinen Nacken, benetzen sein schwarzes T-Shirt, was ihn nicht im Geringsten stört.

»Was hältst du von: Du bekommst einen Kaffee, sobald du deine erste Aufgabe erledigt hast?«

Ich zucke mit den Schultern, will diesen Scheiß einfach hinter mich bringen.

Sulli bemerkt meine Gleichgültigkeit und richtet sich mit der Kaffeetasse in der Hand zu voller Größe auf. Er nimmt einen Schluck und blickt auf mich hinab. Als würde ich mich nicht längst klein und wertlos fühlen. Trotz seines ungesunden Lebensstils ist er gut gebaut, wenn auch nicht übermäßig muskulös. Breite Schultern, schmale Hüften, die den Blick zum Schritt hinablenken. Er riecht nach Duschgel, was mit der Zigarette etwas geradezu Lockendes hat. Mein Weg ins Verderben. Seine Gesichtszüge sind harsch und zart zugleich. An den meisten Menschen sehen Sommersprossen süß aus, an ihm wie eine dunkel hervorbrechende Seele. Sulli hat eine gewisse Scheißegal-Mentalität an sich, die ihn unberechenbar macht. Wird er versuchen, mich zu brechen? Zu zerstören?

Aber weißt du was, Sulli? Man kann niemanden brechen, der bereits gebrochen ist. Den Teufel habe ich bereits kennengelernt. Du kannst mir nichts anhaben.

»Genug geglotzt? Ich bin nicht dein nächster Fick, sondern dein Boss.« Er schmettert die Kaffeetasse, die sehnsüchtig nach mir ruft, auf die Metalloberfläche, tritt zwei Schritte zurück und holt einen Eimer aus einem Schrank. Nicht gerade sanft drückt er ihn in meinen Bauch und ich rudere zurück. »Und das hier ist dein Werkzeug.«

»Ein Spachtel?«, frage ich. »Was soll ich machen?«

Ein süffisantes Grinsen legt sich auf sein höllisch hübsches Gesicht. »Kaugummi unter den Tischplatten wegkratzen.«

»Wie bitte? Du spinnst!« Ich strecke den Eimer nach ihm aus. Denkt er, ich bin seine Sklavin, die sich ausnutzen lässt?

»Ich werde dich nicht fürs Kaffeetrinken bezahlen. Entweder du erledigst die Aufgaben, die ich dir auftrage, oder wir regeln das über die Polizei.«

Ich bin seine Drohungen jetzt schon leid. Aber zur Polizei kann ich nicht. Dort ist noch nie etwas Gutes passiert. Ich spare mir jeden weiteren Kommentar und verlasse den Thekenbereich.

»Ava!«, flüstert Emerson viel zu laut. Er winkt mich herbei, zieht erneut an seinem Joint und stößt, genüsslich die Augen schließend, blauen Rauch aus. »Weed macht mich geil. Falls du mich auch so scharf ansehen willst.«

Das Augenzwinkern setzt seinem Kommentar die Krone auf. Angewidert verziehe ich das Gesicht. Das wollte ich definitiv nicht wissen. Obwohl Gras sowohl in Washington als auch in Arizona größtenteils legal ist, habe ich es noch nie geraucht. Es fühlt sich immer noch verboten an. Und es scheint mir, als würde Emerson mehr konsumieren als ein paar Joints.

»Danke, nein.« Ich nehme Abstand von ihm und widme mich einem anderen Tisch. Gehe auf die Knie, wo ich hingehöre, und luge unter die Tischplatte.

Wi-der-lich.

Haben Menschen überhaupt kein Benehmen?

»Siehst du! Sobald dort ein Kaugummi klebt, fühlen sich andere Menschen ebenfalls animiert, ihres danebenzukleben. Die Anzahl nimmt exponentiell zu«, ruft Sulli.

Ich ignoriere ihn, streife Handschuhe über und setze den Spachtel am ersten bunten Kaugummi an. Sogar den Fingerabdruck, der ihn in die Holzmaserung gedrückt hat, kann ich erkennen. Menschen sind erbärmlich. Ich kaue nicht einmal Kaugummi, weil ich immer das Gefühl habe, dass mein Mund verklebt, und jetzt sitze ausgerechnet ich hier? Die Genugtuung, dass ich mich ekle, gönne ich Sulli nicht.

Das Ding klebt fest. Mit aller Kraft stemme ich den Spachtel zwischen Holz und vertrockneter Klebemasse, wieder und wieder, und bin kurz davor, mich zu übergeben, als der Kaugummi plötzlich abspringt. Fast auf mich. Direkt vor mein Knie. Mit zwei Spachteln befördere ich das Teil in den mit einem Plastiksack ausgelegten Mülleimer. Der erste geschafft. Und das Ganze jetzt noch … hundert Mal. Verächtlich schaue ich zu Sulli und fange seinen Blick auf. Er hat die Unterarme auf der Theke abgestützt, beobachtet mich nachdenklich.

»Hast du nichts zu tun?«

Er zuckt mit den Schultern. »Außer meine neue Mitarbeiterin beobachten, ob sie ihren Job hinbekommt? Du musst dich übrigens beeilen. Ich habe noch mehr für dich und sobald die ersten Gäste kommen, kannst du nicht mehr unter den Tischen herumkrabbeln.«

»Lieber vor deinem Schritt dann, oder was?«, fauche ich.

Für einen Moment erhellt sich sein Gesicht, als würde ihm der Gedanke gefallen. Das lässt mein Herz sofort weglaufen. Es macht sich hinter den Rippen klein und hofft, Zuflucht hinter meinem Magen zu finden, dessen Inhalt sich beim nächsten Kaugummi auf dem Boden verteilen könnte.

Manchmal weht mir sogar eine Erdbeer- oder Minzwolke entgegen. Die Arbeit bleibt die gleiche, aber ich ekle mich nach jedem Spachtelschub ein bisschen mehr. Und das Schlimmste: Ich schaffe nicht einmal alle Tische, nur ein Drittel. Hätte es mir also ganz sparen können.

Ächzend erhebe ich mich aus der starren Haltung, als Sulli mich zu sich winkt. Eine Gruppe Frauen, von denen einige eine Yogamatte unter den Arm geklemmt haben, hat sich an einen kaugummifreien Tisch gesetzt und lässt Emerson überraschend schnell herbeifegen.

»Trink einen Kaffee, nimm dir ein Sandwich. Dann geht’s an die Toiletten. Wir putzen täglich, trotzdem verfärbt sich alles ein wenig. Du kannst mit diesen Mitteln versuchen, Flecken zu beseitigen.«

Obwohl mein Magen sich leer anfühlt, zieht sich beim Gedanken an die Toiletten alles in mir zusammen. Ich habe sie gestern bereits gesehen und keine Lust, mich dort wieder aufzuhalten.

Aber ich habe keine Wahl.

Je weniger ich murre, desto besser.

Ich würge eines der Sandwiches herunter, die Hera nach ihrer Arbeit im Lager geholt hat, und gehe, mit einem neuen Eimer voller Werkzeug und Putzmittel bewaffnet, zu den Frauentoiletten. Es riecht nach WC-Reiniger und Feuchtigkeit. Das kleine Fenster lässt kaum Sonnenlicht rein, von dem es hier sowieso schon so wenig gibt, und die Glühbirne droht, mich gleich im Stich zu lassen. Ich beäuge die Flaschen und sprühe wahllos von allem etwas auf die Klobrille der mittleren Kabine. Manche Massen schäumen, andere machen gar nichts. Alles in mir sträubt sich, mich davorzuhocken. Erst recht, als die Tür aufknallt und jemand schmatzende und erstickte Geräusche von sich gebend eintritt. Die Tür schlägt zu und wer auch immer eingetreten ist, befindet sich in der Kabine neben mir. Ein Reißverschluss wird aufgezogen und Emerson stöhnt.

»Oh, du bist ja schon hart für mich«, gurrt seine Begleitung und ich reiße die Augen auf.

»Schon? Immer. Auf die Knie mit dir«, antwortet er und keine Sekunde später sehe ich unter der Kabinenwand Beine, die in Yogapants stecken.

Nope. Das höre ich mir nicht an. Seine sportliche Begleitung gibt noch mehr Töne von sich als er, obwohl gezwungenermaßen etwas in ihrem Mund steckt. Wer hätte gedacht, dass die Kaugummis noch zu toppen sind?

Rückwärts stolpere ich aus den Toiletten und stürme auf Sulli zu, der über Dokumenten hängt.

»Mache ich nicht. Gib mir was anderes. Etwas, wo Emerson nicht gleich jemanden gegen die Toilettentür hämmert.«

Sulli gluckst, ohne von seinen Papieren – vielleicht Bestellungen? – aufzusehen und deutet zur Küche. »Räum unseren Kühlschrank auf und wische durch. Danach kannst du das Obst schneiden.«

Das klingt doch machbar.

Denke ich, bis ich vor dem kleinen Mitarbeiterkühlschrank hocke. Die Oberflächen sind klebrig, Joghurt ist ausgelaufen. Tomaten schimmeln im Gemüsefach, während ein vertrocknetes Pizzastück von einem Senfglas zerdrückt wird. Mit spitzen Fingern begutachte ich alles, schnuppere an säuerlich riechenden Pampen in Glasflaschen und schmeiße großzügig weg. Nach dem Putzen dürfen nur ein Block Käse, ein Karton Milch, das Glas Senf und drei schrumpelnde Äpfel zurück in den Kühlschrank. Besser als die vorherigen Arbeiten ist es trotzdem gewesen und weil diese Sauerei so lange gedauert hat, ist über die Hälfte meines unfreiwilligen Arbeitstages auch schon rum.

Fast schon hoffnungsvoll kehre ich in den Gastraum zurück. Sulli deutet augenblicklich nach rechts, wo die Flaschen entlang der Rückseite der Bar auf gläsernen Regalen aufgebaut stehen. Von den meisten Alkoholsorten habe ich noch nie gehört, aber ihre leuchtenden Farben locken mich. Was für Cocktails man damit wohl zubereiten kann? Ich habe in unserer Home-Bar ein bisschen geübt und für Mom und mich Rezepte aus dem Internet rausgesucht, aber das hier ist natürlich ein ganz anderes Kaliber.

»Das Schneidebrett ist in der obersten Schublade, Limetten direkt vor deiner Nase, Messer zwei Schubladen weiter.«

Wie befohlen ziehe ich die Schublade auf und wühle unter Plastiktüten nach einem Brett.

»Wo ist meine Sojamilch?«, donnert es und ich schrecke hoch, wirble herum. Mein Kopf rammt gegen etwas Hartes und ich reiße instinktiv eine Hand an die pochende Stelle, stoße mit dem Ellbogen gegen einen zweiten Gegenstand. Ich höre die Kettenreaktion, bevor ich den Blick hebe. Fuck! Die Flaschen! Wie Dominosteine kippen sie ineinander und stürzen vom Glasregal. Dabei drehen sie sich so, dass sie in die untere Etage krachen und dort noch mehr Verwüstung anrichten. Der Aufprall trifft auch die Regalbretter, von denen einige zerbrechen. Es klirrt, es scheppert und dröhnt so laut in meinen Ohren, dass ich sie mir zuhalte und mich keinen Zentimeter bewege. Vor meinen Füßen zerschellen Flaschen, ihr Inhalt spritzt gegen die Schranktüren und bildet einen See. Es hört erst auf, als die unteren zwei Regale gebrochen und leer sind. Scherben sammeln sich zwischen den Limetten und in der Spüle, in der Hunderte Dollars verrinnen.

Hinter mir donnern Hände flach auf die Holzoberfläche über dem metallenen Arbeitstresen.

»Wer bist du und wer hat dir erlaubt, diese Bar auseinanderzunehmen?«

Zaghaft drehe ich mich herum, halte mir noch immer die wachsende Beule am Kopf. »Bitte?«

»Du hast hier Tausende Dollars zerschellt und meine Sojamilch in den Abfluss gegossen, oder?« Die übelriechende Pampe in den Glasflaschen ist Sojamilch gewesen?

Die Körperhaltung des Typen verwirrt mich. Sein Blick ist düster, die Augen so dunkel, beinahe schwarz, aber seine Muskeln entspannt. Als wäre ich eine lästige Fliege in seinem Leben, der Schaden, den ich angerichtet habe, nicht mehr als ärgerlich.

»Die roch nicht gut«, erkläre ich mit piepsiger Stimme, statt meine Unkenntnis über selbstgemachte Sojamilch zuzugeben. »Aber ich habe eine frische Milchpackung aus dem Lager in den Kühlschrank gestellt.«

Das Augenrollen bleibt aus, obwohl es angemessen wäre. »Ja, Kuhmilch. Bin ich der erste ostasiatisch aussehende Mensch, der dir begegnet, oder warum hast du noch nie von Laktoseintoleranz gehört?«

Nicht, dass mir das bisher in meiner Panik aufgefallen ist. Eher das geschorene Haar. Das feingliedrige, goldene Gestell seiner Brille und der Bartschatten über seinen Lippen. Oder das Nacken-Tattoo, das unter dem dunklen, hochgeknöpften Hemd hervorkommt und bis zu den Ohren reicht. Ist er der Boss hier? Ist er Rush?

Jemand nähert sich mit fauchender Stimme. »Was stimmt mit dir nicht?« Sulli stemmt links und rechts die Arme auf die Metalloberflächen und starrt auf das Chaos hinab. »Weißt du, was uns das kostet? Welche Getränke wir heute Abend nicht anbieten können? Du bist zu dumm, oder? Oder ist es Absicht? Denkst du, wenn du dich doof genug anstellst, lasse ich dich einfach so gehen?« Er brüllt und die bereits anwesenden Gäste, die mein Malheur mitbekommen haben und kurz verstummt sind, tuscheln miteinander. Mitleidig betrachten sie mich, obwohl man es eher mit ihnen als Daydrinkers machen müsste.

Emerson springt ins Geschehen, nimmt auf einem Barhocker neben Rush Platz und wirkt unterhalten wie im Kino. Sullis Worte rauschen an mir vorbei. Ich blende sie aus, obwohl ich sein wutverzerrtes Gesicht sehe, als hätte ich etwas Wertvolles zerbrochen. Nicht ersetzbaren Alkohol. Tränen drücken gegen meine Augen, lassen sich kaum noch zurückhalten. Es ist nicht per se sein Wutanfall, sondern Hoffnungslosigkeit. Müdigkeit und Angst, wann ich wieder nach Hause kann. Das Trio der Emotionen prescht auf mich ein und lässt mich mental wegsacken.

»Lavender!«, zischt Sulli. Levi. »Klettre über die Theke zu Em und wasch deine Beine. So versifft kannst du selbst hier nicht arbeiten.«

Schweigsam gehorche ich und ertrage Emersons helfende Arme, die ich eigentlich nicht an mir haben möchte. »Das hätte Sulli an einem wütenden Tag auch passieren können«, murmelt er und duckt sich dann, als befürchte er, sein Kumpel hätte es gehört. Tränen erschweren mir die Sicht und ich zwinge sie zurück. Atme tief ein und aus, bevor ich Sulli ansehe.

»Ich berechne, was du hier angestellt hast, und dann darfst du direkt weiterarbeiten, nachdem du das hier saubergemacht hast. Morgen auch. Und übermorgen ebenfalls. Und wenn du noch mal so viel zerdepperst, wirst du hier sitzen, bis dir andere Wege einfallen, um an Geld zu kommen. Für den Rest des Abends darfst du Gläser einsammeln und spülen. Und jedes einzelne, das du dabei zerstörst, stellen wir dir dann auch noch in Rechnung.«

O nein. Bitte nicht. Wie lange muss ich jetzt hierbleiben? Tage? Wochen? So hasserfüllt, wie Sulli mich ansieht, zerbreche ich garantiert noch etwas anderes! Wenn die mich alle in Ruhe lassen würden, hätte ich die paar Cocktails längst abgearbeitet. Und nicht meine Schulden verzehn- oder verhundertfacht.

»Aber zuerst holst du neue Sojamilch aus dem Lager und übst dich an Milchschaum«, ergänzt Rush, für den Fall, dass ich sein Problem vergessen haben sollte.

Ernsthaft? So eine Anfuhr dafür, dass eigentlich gar nichts passiert ist? Dass er einfach in einen anderen Raum der Bar hätte gehen müssen? Geschockt blicke ich in die Gesichter der drei, die mich geradezu belustigt ansehen. Sie wissen, was sie mit mir anstellen. Sie genießen die Show, die meine Emotionen ihnen liefern. Ich bin eine Marionette, deren Fäden sie bewegen. Es geht hier kaum um die zerstörten Flaschen oder die Piña Coladas. Es geht um Macht. Weil diese Wichser sonst nichts in ihrem Leben erreichen. Sie brauchen mich für ihre mickrigen Egos.

Aber wisst ihr was? Ihr werdet es versuchen und daran scheitern, eure winzigen Penisse mit diesen Spielchen zu kompensieren.