Leseprobe Rache Royal

Kapitel 1

Montag, 8. April 1935

Kilhenny Castle, Irland.

Darcy ist fort. Ich weiß nicht, wie es nun weitergeht.

Ich hätte wissen müssen, dass es zu schön war, um wahr zu sein.

Ich hatte die beiden vergangenen Monate auf dem Stammsitz von Darcys Familie, Kilhenny Castle, verbracht. Ich hatte das schönste Weihnachtsfest, das ich jemals erlebt hatte, dort gefeiert, gemeinsam mit Darcy, seiner exzentrischen Familie und der polnischen Prinzessin Zou Zou Zamanska. Wir hatten hart dafür gekämpft, Lord Kilhennys Unschuld zu beweisen, nachdem er zu Unrecht eines Verbrechens angeklagt worden war, und es war uns gelungen, sein Schloss zurückzubekommen. Den folgenden Monat verbrachten wir damit, es wieder bewohnbar zu machen. Es war herrlich gewesen, beinahe wie ein Wunder, dass ich in der Nähe meines Liebsten sein konnte und wir tatsächlich unsere Hochzeit planten, die im Sommer stattfinden sollte. Darcy hatte außerdem seinem Vater dabei geholfen, dem Rennstall wieder zu alter Größe zu verhelfen, der nun der Prinzessin gehörte. Sie hatten es geschafft, den Gold Cup bei den Punchestown-Rennen zu gewinnen.

Aber irgendwann neigt sich auch die schönste Zeit dem Ende zu. Darcy war nicht dafür bekannt, allzu lang am selben Ort zu bleiben. Die Prinzessin ebenso wenig. Sie war in ihrem kleinen Flugzeug zwischen Irland und London hin und her gereist, so selbstverständlich, als würde sie zum Laden an der Ecke gehen, um Brot zu kaufen. Dann, an einem Tag im März, hatte sie verkündet, dass sie bei einem Wettflug um die Welt antreten und bald abreisen würde. Darcys Vater, der eigentlich nicht dafür bekannt war, seine Gefühle zu zeigen, verbrachte die ersten Tage nach ihrer Abreise damit, schlecht gelaunt auf und ab zu gehen. Sie fühlten sich zwar eindeutig zueinander hingezogen, aber soweit ich wusste, hatte er ihr seine Liebe noch nicht erklärt. Vielleicht glaubte er, stur und stolz wie er war, dass er ihr nicht genug zu bieten hatte, weder an gesellschaftlichem Ansehen noch an Vermögen. Nicht, dass ihr das etwas ausgemacht hätte. Zou Zou, wie sie von ihren Freunden genannt wurde, war einer der offensten und großzügigsten Menschen, die ich je getroffen hatte. Und ich war mir sicher, dass sie sich in den düsteren, gut aussehenden Lord Kilhenny verliebt hatte. Wer konnte es ihr verübeln? Er hatte die gleichen attraktiven, kantigen Gesichtszüge und das gleiche schelmische Funkeln in den Augen wie sein Sohn!

Kurz nachdem Zou Zou mit ihrem winzigen Flugzeug abgehoben war, eröffnete mir Darcy, dass er für eine Weile fortgehen müsse. Er hatte einen Auftrag erhalten, den er nicht ablehnen konnte. Obwohl wir verlobt waren und heiraten wollten, hatte er mir nie verraten, für wen er eigentlich arbeitete. Er hatte lediglich angedeutet, dass es sich um den britischen Geheimdienst handelte.

„Wie lange wirst du weg sein?“, fragte ich und gab mir Mühe, unbeschwert und fröhlich auszusehen.

„Ich habe keine Ahnung“, erwiderte er.

„Und du willst mir auch nicht verraten, wohin du gehst oder was du vorhast?“

Bei diesen Worten grinste er. „Du weißt ganz genau, dass ich das nicht darf. Außerdem weiß ich es selbst noch nicht.“

Als ich dastand und ihn ansah, kam mir in den Sinn, wie unglaublich gut er aussah mit seinen wilden, dunklen Locken und seinen strahlend blauen Augen. Ich ergriff seine Hände. „Darcy, wird unsere Ehe so aussehen?“, fragte ich und konnte ein leichtes Zittern meiner Stimme nicht unterdrücken. „Wirst du immer in die Ferne reisen, während ich mich zu Hause um dich sorge?“

„Um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen“, beruhigte er mich. „Ich bin ein großer Junge. Ich kann gut auf mich selbst aufpassen. Und was unsere Ehe angeht … wir werden sehen. Vielleicht ziehen wir hierher, in dieses Schloss, und unsere Kinder wachsen so auf, wie ich aufgewachsen bin. Aber ich möchte genug Geld verdienen, um dich gut versorgen zu können. Das weißt du.“

„Ja, ich weiß“, sagte ich und blinzelte krampfhaft eine peinliche Träne fort, „aber du wirst mir fehlen.“

„Du wirst mir auch fehlen, du albernes Mädchen.“ Er strich mir eine Locke aus dem Gesicht. „Zuerst reise ich nach London“, fügte er hinzu. „Ich mache einen Termin für ein Treffen mit dem Privatsekretär des Königs und finde heraus, wie der Stand der Dinge ist.“

Er sprach natürlich von unserer Hochzeit. Falls ihr es nicht wusstet, ich bin die Tochter des Dukes of Rannoch, Urenkelin von Königin Victoria und Cousine zweiten Grades des Königs. Als solche bin ich Teil der Thronfolge – gegenwärtig an fünfunddreißigster Stelle. Und das Gesetz verbietet es Mitgliedern der Königsfamilie, Katholiken zu heiraten. Darcy war katholisch, also konnte ich ihn nur heiraten, indem ich meinen Anspruch auf den Thron aufgab. Es war nur eine belanglose Formalität, da es sehr unwahrscheinlich war, dass ich eines Tages zur englischen Königin gekrönt werden würde (es sei denn, es gab eine Sintflut oder eine Seuche biblischen Ausmaßes). Aber der ganze Prozess musste die offiziellen Kanäle durchlaufen. Darcy hatte in meinem Namen ein Bittgesuch eingereicht, das vom Parlament abgesegnet werden musste. Das Gesuch war vorgetragen worden, aber wir hatten seitdem nichts gehört. Also hing unser Hochzeitstermin in der Schwebe, was zutiefst verunsichernd war. Ich wünschte mir, wir wären nach Gretna Green gefahren, wie Darcy es früher einmal geplant hatte, und hätten dort im Geheimen geheiratet.

Nun, allein in der irischen Provinz, kamen mir neue Zweifel. Was, wenn das Parlament mein Gesuch ablehnte? Konnten wir uns darüber hinwegsetzen und dennoch heiraten? Falls nötig, würden wir das Land verlassen und im Ausland leben, denn dass ich Darcy heiraten würde, stand außer Frage. Nichts würde mich davon abhalten. Aber es war keine leichte Zeit. Plötzlich waren nur noch Darcys Vater und ich auf Kilhenny Castle, und er war selbst unter den besten Umständen nicht der umgänglichste Mensch. Jetzt aber sorgte er sich offensichtlich um Zou Zou, lief mit einem permanenten mürrischen Gesichtsausdruck umher und verlor schon bei Kleinigkeiten die Nerven – ganz so wie bei meiner Ankunft im Dezember.

Ich hingegen machte mir Sorgen um Darcy, über die Zukunft unserer Ehe und seinen nächsten, womöglich gefährlichen Einsatzort. Doch am meisten nagte die Frage an mir, was ich als Nächstes tun sollte. Ich spürte, dass Lord Kilhenny meine Gesellschaft schätzte und meine Abreise seine Laune weiter verdüstern würde. Trotzdem fühlte ich mich einsam und ruhelos. In Irland kam ich mir fehl am Platz vor. Die Besuche bei Darcys exzentrischer Großtante und Großonkel, die in einem verwinkelten alten Haus in der Nähe wohnten, genoss ich sehr. Ebenso die Spaziergänge in der Natur, wo die Hecken entlang der Wege zu blühen begannen und die Luft nach Frühling duftete. Aber ich wollte fort.

Oft wanderten meine Gedanken zu meiner Freundin Belinda, die nach Italien geflüchtet war, um dort ein Kind zur Welt zu bringen, von dem niemand wissen durfte. War sie ebenso einsam wie ich? Bei unserer letzten Begegnung hatte sie mir vorgeschlagen, sie in Italien zu besuchen und bei ihr zu bleiben, aber seitdem hatte ich nichts mehr von ihr gehört und hatte keine italienische Adresse, an die ich ihr schreiben konnte. Ich hoffte, dass es ihr gut ging. Außerdem machte ich mir Sorgen um meinen Großvater in London. Ich hatte ihm mehrmals geschrieben, aber seit Weihnachten, als ich eine ziemlich schrille Karte und eine Schachtel Pralinen der Marke Quality Street erhalten hatte, nichts mehr von ihm gehört. Ich wusste, dass er kein großer Briefeschreiber war, aber seine Gesundheit beunruhigte mich. Er hatte eine schwache Brust und der Londoner Nebel konnte im Winter erbarmungslos sein. Ich wäre nach London gefahren, um ihn zu besuchen, aber ich hatte keine Bleibe. Es gab zwar Rannoch House, das Haus unserer Familie am Belgrave Square, aber es gehörte meinem Bruder, dem gegenwärtigen Duke. Er und meine schreckliche Schwägerin Fig waren für den Winter nach Südfrankreich verreist und Fig hatte mir in aller Deutlichkeit erklärt, dass ich das Haus während ihrer Abwesenheit nicht betreten durfte.

Zou Zou hatte mich eingeladen, jederzeit bei ihr zu wohnen, wenn ich in London war, aber sie war auf einer Weltumrundung, die Monate dauern konnte. Also blieb ich in Irland und eilte jeden Morgen zur Post, in der Hoffnung auf Nachrichten von irgendjemandem. Eines Morgens brach ich zu einem frühen Spaziergang auf. Es war ein traumhafter Frühlingstag. Überall auf dem Schlossgelände blühten Narzissen. Die Vögel zwitscherten aufgeregt in den Bäumen, die nun neue Knospen trugen. Die frische Luft war von Düften erfüllt. Es war der ideale Tag für einen langen Ausritt, aber es gab in Kilhenny nur noch die Pferde des Rennstalls und ich bezweifelte, dass Darcys Vater mir eines seiner wertvollen Pferde anvertrauen würde.

Auf halbem Weg den Pfad zum Eingangstor hinunter begegnete ich dem Postboten, der auf mich zu radelte.

„Einen wunderschönen guten Morgen, Mylady“, sagte er, als er neben mir bremste. „Herrlicher Tag, nicht wahr? Ich habe einen Brief für sie, aus London sogar.“

Er reichte ihn mir. Ein schwerer Umschlag, auf dem ich vergeblich nach Darcys schwarzer, ungeduldiger Handschrift suchte. Stattdessen erkannte ich die Schrift meines Bruders. Also waren sie wieder zurück in England.

„Wie ich sehe, ist auf der Rückseite des Umschlags ein Wappen“, sagte der Postbote und betrachtete es neugierig. „Also von einem Lord oder einer Lady, ja? Ich nehme an, es muss wichtig sein.“

Er blieb stehen und wartete darauf, dass ich den Umschlag öffnete. Obwohl ich darauf brannte, zu erfahren, was mein Bruder mir nach einer so langen Zeit des Schweigens zu sagen hatte, würde ich den Brief ganz gewiss nicht öffnen, während mir der Postbote über die Schulter spähte, begierig, die Neuigkeit mit dem restlichen Dorf zu teilen.

„Herzlichen Dank“, sagte ich. „Dann gehe ich wohl besser hinein und lese ihn.“

Ich merkte, dass er mir enttäuscht nachsah, als ich den Pfad zum Schloss wieder hinaufging. Dort angekommen, ging ich in den Speisesaal und goss mir eine Tasse Kaffee ein. Darcys Vater war nirgends zu sehen. Er ging in aller Herrgottsfrühe zu den Ställen, und ich hatte mich daran gewöhnt, allein zu frühstücken. Ich hatte mich gerade hingesetzt, als die Haushälterin, Mrs McCarthy, mit einen Teller voll geräuchertem Schellfisch hereinkam.

Sie erschrak, als sie mich sah. „Oh, Ihre Ladyschaft, ich wusste nicht, dass Sie schon wach sind, daher habe ich noch kein Frühstück für Sie vorbereitet.“

„Machen Sie sich bitte keine Sorgen, Mrs McCarthy“, sagte ich. „Ich wollte einen Spaziergang machen, aber dann traf ich den Postboten, der einen Brief für mich brachte. Daher wollte ich ihn sofort lesen und kam zurück.“

„Oh, wie reizend. Ein Brief für Sie.“ Sie lächelte zufrieden. „Doch nicht etwa von Mr Darcy?“

„Leider nein“, antwortete ich.

„Du liebes bisschen, was für ein großes Wappen auf dem Umschlag“, sagte sie und blieb hinter mir stehen, den Schellfisch noch immer in den Händen.

„Er stammt von meinem Bruder, dem Duke of Rannoch“, sagte ich.

„Oh, Ihr Bruder. Wie nett das doch ist.“ Sie machte keine Anstalten, sich zu entfernen. Mir drängte sich der Gedanke auf, dass Neugier eine weitverbreitete Eigenschaft in dieser Gegend war. „Zweifellos hat er Neuigkeiten für Sie. Das sieht mir nach einem langen Brief aus.“

„Ach, er ist gerade aus Südfrankreich zurückgekehrt“, sagte ich. „Ich nehme an, er wird mir ausführlich von seiner Zeit dort berichten.“

„Oh, die Riviera. Wie wundervoll! Es war bestimmt herrlich dort, all die Jachten und dergleichen.“

Es war eindeutig, dass sie dort stehenbleiben würde.

„Sollten Sie dieses Schellfischgericht nicht auf die Wärmplatte stellen, bevor es kalt wird?“, fragte ich.

Sie stieß ein Kichern aus. „Na so was aber auch. Ich hatte ganz vergessen, dass ich das Ding in den Händen habe.“

Als sie zur Anrichte ging, wo mehrere Frühstücksgerichte standen, öffnete ich den Umschlag. Zwei weitere Umschläge fielen heraus, außerdem ein beschriftetes Blatt Papier mit dem Wappen der Rannochs darauf. Das las ich zuerst.

Meine liebe Georgiana,

Ich hoffe, du erfreust dich guter Gesundheit. Wir waren uns nicht sicher, wohin wir die beiliegenden Unterlagen schicken sollten, aber ich sende sie an die Adresse der O’Maras in Irland, in der Hoffnung, dass du vielleicht noch dort bist. Wir haben in den englischen Zeitungen über die erstaunliche Wendung der Ereignisse um Lord Kilhenny gelesen und es freut mich sehr für euch, dass er von jeglichem Verdacht freigesprochen wurde.

Nach unserer Rückkehr aus Nizza fanden wir die beiliegenden Briefe auf dem Tisch im Flur vor. Anscheinend wurden sie schon vor einiger Zeit verschickt, aber das Haus stand bis zur Rückkehr leer. Wie ich sehe, stammt einer der Briefe aus dem Buckingham Palace. Ich hoffe, es war nichts Dringendes. Ich habe mir die Freiheit genommen, dem Privatsekretär Ihrer Majestäten eine Nachricht zukommen zu lassen, um ihm mitzuteilen, dass wir alle außer Landes waren und ich den Brief an dich weiterleiten werde.

Wir hatten alle eine großartige Zeit in Foggy und Duckys Villa – nun, großartig ist ein bisschen übertrieben. Es war recht beengt. „Villa“ ist etwas großspurig ausgedrückt. Es ist ein gewöhnliches kleines Haus in einer Seitenstraße in Nizza, aber es liegt nur wenige Gehminuten vom Meer entfernt. Das Wasser war zu kalt zum Baden, aber wir machten ein paar schöne Spaziergänge. Podge war empört, dass der Strand nicht sandig war, aber er ist ein anständiger kleiner Junge und amüsierte sich gut.

Wir werden ein paar Wochen in London verbringen, bevor wir zurück nach Schottland fahren, und freuen uns darauf, von dir zu hören.

In Liebe,

Dein Bruder Binky

Ich sah auf. Mrs McCarthy hatte den Schellfisch nun auf einer Wärmplatte abgestellt und stand wieder hinter mir, wo sie verharrte.

„Ich nehme an, alles ist in Ordnung, Ihre Ladyschaft?“, fragte sie.

Ich faltete den Brief zusammen. „Danke, Mrs McCarthy. Es ist alles in bester Ordnung. Und ich glaube, die anderen Briefe hebe ich mir auf, bis ich Ihren leckeren geräucherten Schellfisch probiert habe.“

Ich meinte ein Seufzen zu hören, als sie sich ihre Niederlage eingestand und in die Küche zurückkehrte.

Als ich zu Ende gefrühstückt hatte, zog ich mich auf mein Schlafzimmer zurück und öffnete die anderen Briefe. Den königlichen natürlich zuerst. Er kam von der Königin und sie hatte ihn nicht etwa einem Sekretär diktiert, sondern ihn eigenhändig verfasst.

Meine liebe Georgiana,

ich hoffe, du erfreust dich guter Gesundheit. Der Sekretär des Königs teilte mir mit, dass ein gewisser junger Mann angedeutet hat, dass du ihn zu heiraten wünschst. Seines katholischen Glaubens wegen hättest du dich bereit erklärt, deinen Platz in der Thronfolge aufzugeben.

Das ist in der Tat ein großer Schritt, Georgiana, den man keinesfalls ohne eingehende Überlegung tun sollte. Ich würde erwarten, von dir persönlich zu erfahren, dass dies auch wirklich deiner Absicht entspricht und dass du dir über die Auswirkungen völlig im Klaren bist. Daher hoffe ich, dass du zum Palace kommen wirst, wo wir deine Situation beim Tee besprechen können. Lass meinen Sekretär bitte wissen, welcher Termin dir genehm ist.

Seine Majestät lässt herzlich grüßen und ich ebenfalls,

Mary R.

(Sie war selbst in einem zwanglosen Brief an eine Cousine noch Mary Regina. Eine Königin durch und durch.)

Ich starrte lange auf den Brief, während sich mein Magen verknotete. Bedeutete dies, dass sie die Heirat vielleicht nicht gutheißen und mir verweigern würden, meinen Anspruch auf den Thron aufzugeben? Es kam mir so sinnlos vor. Sie hatten vier gesunde Söhne und bereits zwei Enkelinnen mit der Aussicht auf viele weitere Enkelkinder. Ich musste sofort nach London fahren und ihr die Sache erklären. Sie sollte erfahren, dass ich Darcy zu heiraten gedachte, komme was wolle. Bei dieser Vorstellung spürte ich, wie der Knoten in meinem Magen enger wurde. Königin Mary war durchaus eine furchteinflößende Person. Noch nie hatte ich ihr widersprochen. Ich glaube nicht, dass es viele Menschen gab, die dies gewagt hätten. Die einzige Ausnahme war ihr Sohn und Erbe, der Prince of Wales. Sie hatte ihn unumwunden wissen lassen, dass sie seine Freundschaft mit der Amerikanerin Mrs Simpson nicht guthieß. Nicht nur, dass diese Lady gegenwärtig mit einem anderen verheiratet war, sie war auch schon einmal geschieden worden. Die Kirche von England, deren Oberhaupt der König war, befürwortete keine Scheidung. Ich glaubte nicht, dass die Königin ernsthaft in Betracht zog, dass ihr Sohn über eine Heirat mit einer solchen Person nachdenken würde. Sie vertraute darauf, dass er, wenn die Zeit gekommen war, seine Pflicht erfüllen und eine passende Verbindung eingehen würde. Das hatte auch sein jüngerer Bruder George getan, dessen Hochzeit mit der griechischen Prinzessin Marina ich vor Kurzem besucht hatte.

Ich legte diesen Brief auf meinen Frisiertisch, bevor ich den nächsten öffnete. Er war mit italienischen Marken frankiert und mir fiel das Datum des Poststempels ins Auge: 21. Januar 1935. Arme Belinda – sie hatte mir im Januar geschrieben und ich hatte nicht geantwortet.

Meine liebe Georgie,

tja, ich habe es geschafft! Wie versprochen bin ich nach Italien geflohen und habe ein reizendes kleines Cottage am Ufer des Lago Maggiore gemietet, ganz in der Nähe der Stadt Stresa. Die Aussicht ist atemberaubend. Auf der hinteren Terrasse wachsen Orangenbäume. Ich habe Francesca eingestellt, die für mich kocht und putzt. Sie hat sich in den Kopf gesetzt, mich zu mästen, und macht köstliche Pasta und Kuchen. Also läuft alles so reibungslos, wie man es sich unter den Umständen wünschen kann. Bis auf die Einsamkeit. Du kennst mich – ich liebe es, im Mittelpunkt zu stehen, auszugehen, zu tanzen, Spaß zu haben. Und nun bin ich hier, fernab von meinen Bekannten, und lese Bücher. An langen Abenden stricke ich sogar. Zugegeben, ich bin im Stricken nicht besonders gut und das arme Kind würde nackt bleiben, wenn Francesca und ihre Schwestern nicht in Windeseile kleine Kleider gestrickt hätten.

Wo wir von dem armen Kind sprechen – ich bin immer noch von Unschlüssigkeit geplagt. Ein Säugling wäre ein Klotz am Bein. Es ist unmöglich. Wenn das herauskommt, gelte ich mein Leben lang als beschädigte Ware, ohne Hoffnung auf eine vorteilhafte Heirat. Um ehrlich zu sein mache ich mir keine Hoffnungen auf den Sohn eines Dukes oder Earls, aber mir würde auch ein amerikanischer Millionär reichen! Aber was soll ich mit dem Kind anstellen? Zumindest habe ich mich nach einer Geburtsklinik erkundigt. Auf jeden Fall keine italienische. Keine Francescas, die um mich herumwuseln!

Zum Glück liegt der Lago Maggiore halb in Italien und halb in der Schweiz. Also muss ich nichts weiter tun, als mit dem Dampfer ans obere Ende des Sees zu fahren und mich rechtzeitig vor der Geburt in eine herrlich saubere, sterile und effiziente Schweizer Klinik zu begeben. Allmächtiger, wenn ich dieses Wort schon schreibe, bekomme ich Angst. Man hört solche Gruselgeschichten.

Ich sitze hier auf meiner Terrasse, schaue zu, wie die Schiffe auf dem See auf und ab fahren und denke an dich. Ich hoffe, dass du bei deinem lieben Darcy bist und sich doch noch alles zum Guten gewendet hat. In einer englischen Zeitung las ich, dass sein Vater für unschuldig erklärt wurde. Wie famos für dich und Darcy, ihr habt die Wahrheit ans Licht gebracht. Ich bin froh, dass wenigstens eine von uns ihr Glück gefunden hat. Gib mir auf jeden Fall Bescheid, wann die Hochzeit stattfinden wird, ja?

Oder besser noch, komm für eine Weile hierher, wenn Darcy dich entbehren kann. Mein hübsches kleines Haus würde dir gefallen. Wir würden Orangen pflücken und tratschen und lachen, genau wie damals in der Schule. Bitte sag ja, selbst wenn es nur für eine oder zwei Wochen ist. Ich bin nur zu bereit, deine Fahrkarte zu bezahlen. Um ganz ehrlich zu sein wünschte ich, du könntest bei mir sein, wenn die Geburt naht. Es ist ziemlich beängstigend zu wissen, dass ich ganz allein sein werde, ohne eine Verwandte, die meine Hand hält. Meiner Familie kann ich es natürlich unter keinen Umständen sagen. Kannst du dir vorstellen, wie sehr meine Stiefmutter frohlocken würde angesichts meiner Scham und meines Sündenfalls? Wenn sie Bescheid wüsste, würde sie wahrscheinlich zu verhindern versuchen, dass ich Großmamas Vermögen erbe.

Also, schreib bitte zurück, allerliebste Georgie. Ich warte sehnsüchtig auf einen Brief und noch sehnsüchtiger auf dein Lächeln in Person.

Deine einsame Freundin

Belinda

Ich legte diesen Brief neben den Brief der Königin auf meinen Frisiertisch und blickte aus dem Fenster. Weiße Wolken rasten über den Himmel. Die starke Frühlingsbrise trieb Möwen vor sich her. Ich stellte mir Belindas See vor, die Terrasse mit dem Orangenbaum und die arme Belinda, die ganz allein dasaß und sich um die Zukunft sorgte, während sie auf einen Brief oder einen Besuch von einer Freundin wartete.

Ich musste sie besuchen, beschloss ich. Wenn ich in dieser Lage wäre, würde ich wollen, dass meine Freundin mich besuchte. Da Darcy weg war, hielt mich nichts von einer Italienreise ab. Er hatte mir nicht sagen können, wie lange er fortbleiben würde. Vermutlich wusste er es selbst nicht. Er war bereits an so weit entfernte Orte wie Australien und Argentinien gereist. Diesmal mochte es China oder die Antarktis sein, wer konnte das schon sagen? Außerdem hatte Belinda angeboten, meine Fahrkarte zu bezahlen. Ich hatte nun ein kleines Sparbuch, hätte mir die Reise also leisten können, aber das Geld darauf war für meine Hochzeit bestimmt … sofern sie genehmigt wurde.

Ich ging zur Wand hinüber und zog an der Glocke neben dem Bett. Nun, da ich meine Entscheidung getroffen hatte, wollte ich mit dem nächsten Schiff abreisen, bevor mich der Mut verließ und ich mich nicht traute, allein das Festland zu überqueren.

Kapitel 2

Montag, 8. April

Kilhenny Castle

Endlich gibt es in meinem Leben wieder einen Plan und eine Mission. Kann es kaum erwarten, Belinda und ihre Orangenbäume zu sehen!

Beinahe sofort hörte ich leises Fußgetrappel auf dem Flur, das rasch näherkam. Meine Tür öffnete sich und ein kleines, sommersprossiges Gesicht unter dem leuchtendsten roten Haar, das man sich vorstellen konnte, lugte herein.

Ich lächelte das eifrige kleine Gesicht an und dachte daran, wie sehr sie sich von Queenie, meinem früheren Dienstmädchen, unterschied. Ich hätte mindestens dreimal klingeln müssen, bevor sie aufgetaucht wäre, und das ganze Zimmer wäre unter ihrem näherkommenden Stampfen erzittert. Aber Queenie war nun bei Darcys Großtante und Großonkel untergebracht, wo sie zufrieden als Kochgehilfin lebte. Entweder hatte sie Fortschritte gemacht oder es fiel ihnen schlicht nicht auf, wenn sie in der Küche Feuer legte, aber ich hatte keine Beschwerden über sie gehört. Ich vermutete, dass ihr Haus so exzentrisch und chaotisch war, dass sie es urkomisch fanden, wenn Queenies Puddinggerichte plötzlich an der Decke klebten.

„Sie haben geläutet, Mylady?“ Mein neues Dienstmädchen knickste.

„Ja, Kathleen“, sagte ich. Sie war ein Mädchen aus dem Dorf Kilhenny, die Tochter des Bäckers, und hatte sich als sehr lernwillig erwiesen. Sie war so dienstbeflissen, dass es fast peinlich war. Wie ein hingebungsvoller Spaniel, der keine Sekunde von meiner Seite wich. Natürlich war sie nicht fehlerfrei, denn sie hatte noch nie Seidenstrümpfe waschen, Samt bügeln oder andere empfindliche Stoffe handhaben müssen. Glücklicherweise besaß ich nicht viel von dem oben Genannten und der größte Teil meiner Garderobe war im Haus meines Bruders in London geblieben. Aber wie ich feststellte, lernte sie aus ihren Fehlern und wiederholte sie nie.

„Bitte geh nach oben in die Abstellkammer und bring meine Koffer herunter. Sie sind mit meinem Namensschild versehen. Und dann wickle alle meine Sachen in Seidenpapier, wie ich es dir gezeigt habe.“

Ihre Stirn legte sich in Falten und sie sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. „Sie gehen fort, Mylady? Sie verlassen uns?“

„Wir fahren nach London und dann vielleicht nach Italien.“

„Wir?“, fragte sie entsetzt.

„Du kommst natürlich auch mit.“

Ihre blauen Augen, die ohnehin schon groß waren, weiteten sich vor Schreck.

„Heilige Mutter Gottes!“ Sie bekreuzigte sich. „London? Und Italien? Ich? Oh nein, Mylady. Ich könnte niemals ins Ausland gehen.“

„Aber die Zofe einer Lady begleitet ihre Herrin stets auf Reisen“, sagte ich. „Wer sonst würde sich um das Gepäck kümmern und mir beim Ankleiden im Zug helfen?“

Sie war zurückgewichen, bis sie mit dem Rücken zur Tür stand. „Aber, Mylady, als ich diese Stelle als Ihr Dienstmädchen annahm, dachte ich, ich würde mich hier auf Kilhenny Castle um Sie kümmern – nicht in fremden Gefilden. Meine Mutter würde das nie erlauben. Überall lauern Heiden und böse Männer.“

Ich verkniff mir ein Lächeln. „Eigentlich sind sie keine Heiden, Kathleen. In Italien sind sie alle Katholiken, genau wie du.“ Mir kam der Gedanke, dass die Italiener die Angewohnheit hatten, Frauen in den Hintern zu kneifen, aber ich fügte hinzu: „Sogar dein Papst lebt in Italien.“

Ihre Miene hellte sich ein wenig auf. „Der Papst? Ach ja. Rom liegt in Italien, nicht wahr? Und der Papst lebt in Rom. Also wollen Sie ihn besuchen, Ihre Ladyschaft?“

„Das halte ich für sehr unwahrscheinlich“, sagte ich, auch wenn mir im selben Moment klar wurde, dass ich sie mit der Aussicht auf einen Besuch im Vatikan hätte ködern können. Allerdings wusste ich nicht, wie ich von einem italienischen See an der Schweizer Grenze aus einen Ausflug nach Rom bewerkstelligen sollte. „Mein Aufenthaltsort ist weit von Rom entfernt, fürchte ich“, ergänzte ich.

Ihre Miene verdüsterte sich wieder. „Ganz gleich“, sagte sie „meine Mutter würde es mir nicht erlauben, selbst wenn ich den Heiligen Vater höchstpersönlich treffen würde. Sie würde vor Sorge umkommen.“

„Es wäre höchstens für ein paar Wochen, Kathleen“, sagte ich. „Und was ist, wenn Mr Darcy und ich heiraten? Wir werden uns wahrscheinlich dafür entscheiden, die meiste Zeit des Jahres in England zu verbringen.“

„England?“, wiederholte sie und aus ihrem Mund klang es, als hätte ich gerade Zululand gesagt. Sie schüttelte heftig den Kopf. „Es tut mir leid, Mylady. Ich bin stolz und glücklich, Ihr Dienstmädchen zu sein, wenn Sie hier im Schloss sind, aber bitte verlangen Sie nicht von mir, in heidnische Gefilde zu reisen. Ich könnte meine Mutter nicht so im Stich lassen.“

Für Kathleen zählte selbst London anscheinend zu den heidnischen Gefilden. Ich fürchtete, dass ihr Entschluss feststand. Entweder musste ich ohne Dienstmädchen zurück nach England reisen oder aber Queenie zurückholen. Allmächtiger. Der Gedanke, Queenie zurück nach Rannoch House zu bringen, war beinahe unerträglich. Meine Schwägerin hasste sie so inbrünstig, dass ich mir ihre ständigen Tiraden würde anhören müssen. Und Queenie würde meine Schwägerin in ihrer Ansicht vermutlich noch bestärken, indem sie das stille Örtchen verstopfte, das Badezimmer flutete oder Brandflecken auf meinem besten Samtkleid hinterließ.

Ich schickte Kathleen nach oben, um meine Koffer zu holen. In der Zwischenzeit dachte ich darüber nach, wie ich dieses Dilemma vermeiden konnte. Ich konnte durchaus ohne Dienstmädchen reisen. Viele moderne Frauen taten das. Sogar Prinzessin Zou Zou war im ersten Monat ohne Dienstmädchen zwischen hier und London hin und her geflogen, bevor sie ihr Dienstmädchen vom Eaton Square hatte kommen lassen. Das Problem war nur, dass ein Dienstmädchen beim An- und Auskleiden unverzichtbar war. So viele Kleider und Blusen wurden am Rücken mit winzigen Knöpfen verschlossen. Unmöglich, sie alleine anzuziehen. Und ehrlich gesagt war mir schleierhaft, wie man die verschiedenen Kleidungsstücke meiner Garderobe richtig reinigte. Ich dachte daran zurück, wie furchtbar sich Queenie angestellt hatte. Möglicherweise waren ihre Katastrophen in meiner Erinnerung übertrieben? Die meiste Zeit war sie gar nicht so schlimm gewesen. Bei mehr als einer Gelegenheit hatte sie unglaublichen Mut bewiesen und mich aus schrecklichen Notlagen gerettet. Und sie liebte Auslandsreisen. War ich ihr also die Chance schuldig, mich nach Italien zu begleiten? Still und heimlich abzureisen wäre nicht angebracht, fand ich.

Ich wartete darauf, dass Kathleen mit meinen Taschen wieder auftauchte. Beim Gedanken daran, mich zu verlieren, war sie den Tränen nahe. Unten in der Küche traf ich Mrs McCarthy an.

„Sagen Sie Seiner Lordschaft bei seiner Rückkehr bitte, dass ich mir den Geländewagen für einen Augenblick ausgeliehen habe“, sagte ich. „Ich werde seine Tante besuchen.“

„Gewiss, Mylady“, erwiderte Mrs McCarthy. „Ich hoffe doch, dass diese vielen Briefe Ihnen gute Neuigkeiten berichtet haben?“

„In der Tat, danke“, gab ich zurück. „Wie es aussieht, muss ich unverzüglich nach London zurückkehren, um mich mit der Königin zu treffen.“

„Na so was.“ Ihr Gesicht nahm einen ehrfürchtigen Ausdruck an. „Nie hätte ich gedacht, diese Worte einmal in einem Haus zu hören, in dem ich arbeite. Aber ich hatte ganz vergessen, dass sie ja mit Seiner Majestät höchstpersönlich verwandt sind. Mr Darcy erzählte uns, dass Sie von edler Geburt und eng mit der Königsfamilie befreundet sind.“

„Sie geben Lord Kilhenny also Bescheid?“

„Dass Sie eine Verabredung mit der Königin von England haben?“

„Nein, dass ich den Geländewagen ausleihe. Ich bin gleich wieder zurück.“

Dann, bevor sie das Gespräch in die Länge ziehen konnte, eilte ich hinaus.

Als ich durch das Dorf fuhr, betrachtete ich es mit Wohlwollen. Zu wissen, dass ich bald zurückkehren würde, war tröstlich. Darcy und ich würden hier seinen Vater besuchen und die Feiertage gemeinsam verbringen. Endlich gab es einen Ort, an dem ich zu Hause war. Natürlich nur, wenn meine Heirat mit Darcy genehmigt wurde. Beim Gedanken an ein Treffen mit der Königin verknotete sich mein Magen erneut. Ich stellte mir ihre geschmeidige, herrschaftliche Stimme vor, die verkündete: „Nein, Georgiana, das steht völlig außer Frage. Es ist dir nicht gestattet, ihn zu heiraten, das ist mein letztes Wort.“

Ich redete mir ein, dass ich diesem Brief zu große Bedeutung zumaß. Vielleicht wollte die Königin nur aus meinem Mund hören, dass ich Darcy heiraten wollte. Vorsichtig lenkte ich den Wagen den steilen Abhang hinter dem Dorf hinunter und überquerte die kleine Brücke. Der Bach führte nach dem starken Regen mehr Wasser als gewöhnlich. Dann bog ich am Tor ab, das nach Mountjoy führte, dem Zuhause von Sir Dooley und Lady Whyte, Darcys Großonkel und Großtante. Trotz seines Namens Mountjoy, Freudenberg, machte es weder einen besonders fröhlichen Eindruck noch lag es auf einem Berg. Es handelte sich vielmehr um ein großes, reparaturbedürftiges Gebäude mit spitzen Dächern und einem Erkerturm auf einer Seite. Ein paar Schafe und eine Kuh spähten über den Zaun zu meiner Linken. Das nahende Motorengeräusch lockte ein Rudel Hunde an, die aus der Tür stürmten und mich wild bellend umringten. Als ich anhielt, kam die Besitzerin des Hauses heraus. Großtante Oona war eine massige Frau mit Doppelkinn. Sie trug stets bunt zusammengewürfelte Kleidung, heute war es ein lilafarbenes Teekleid mit einem Fransenschal, darüber eine geblümte Schürze. Gummistiefel vervollständigten dieses Ensemble.

„Was soll dieser Radau, in Gottes Namen?“, rief sie. Dann sah sie mich und ein Lächeln ging über ihr Gesicht.

„Das ist ja eine schöne Überraschung“, sagte sie. „Erst gestern Abend sagte ich zu Dooley, dass wir dich retten sollten. Jetzt, da Darcy ausgeflogen ist, ist es wahrscheinlich ziemlich grausig, ganz allein mit Thaddy. Ist er wieder so launisch wie eh und je?“

„Er ist manchmal ein bisschen mürrisch“, gab ich zu. „Er vermisst Zou Zou.“

„Tja, das wundert mich nicht. Und zweifellos sorgt er sich um sie. Meine Güte, ein Wettlauf um die Welt mit dem Flugzeug! Und dieses kleine Gefährt von ihr ist kaum mehr als Papier und Bindfaden. Dennoch, Thaddy ist selbst schuld. Ich habe ihm gesagt, dass er ihr seine Absichten mitteilen muss. Er soll sie sich schnappen, bevor es ein anderer Mann tut. Aber du weißt ja, wie er ist.“

Ich nickte. „Zu stolz. Er glaubt nicht, dass er ihr etwas bieten kann.“

„Daran liegt es. Tja, komm lieber ins Haus.“ Sie marschierte voraus, verscheuchte die Hunde mit einem „Aus dem Weg, ihr großen, räudigen Dummköpfe“ und rief nach Dooley. „Komm sofort nach unten, deine liebste junge Lady ist hier, um dich zu besuchen.“

Wir betraten den Salon, in dem wie üblich kein Plätzchen mehr frei war. Alle Oberflächen waren turmhoch bedeckt mit Papieren, Büchern, einer Violine, einem Eierkorb, einem Sommerhut und einer großen Hauskatze. Oona nahm die Eier von einem Sessel und bedeutete mir Platz zu nehmen.

„Du hast Glück“, sagte sie. „Dein Dienstmädchen hat heute Morgen Shortbread gebacken. Eine begnadete Bäckerin, das muss man ihr lassen. Sie ist wirklich ein Schatz. Und Treadwell gewöhnt sich an sie, auch wenn er es nie zugeben würde.“

Zu hören, dass Queenie als Schatz bezeichnet wurde, war ungewohnt. „Katastrophe“ und „unverbesserlich“ waren eher an der Tagesordnung. Es hatte wirklich den Anschein, dass sie zu guter Letzt ihr Talent entdeckt hatte.

„Also hat sie in letzter Zeit nichts Schlimmes angestellt?“, fragte ich. „Sie hat nicht schon wieder Dooleys Schlacht bei Waterloo zerstört?“ (Onkel Dooley stellte die Schlacht in einem der Räume im Obergeschoss mit Spielzeugsoldaten nach. Er nahm es sehr ernst.)

„Er ist mit Waterloo fertig, zu meinem Leidwesen“, sagte Oona.

„Fertig?“

„Wellington hat gewonnen. Napoleon wurde nach St. Helena geschickt. Alles vorbei.“ Sie klatschte in die Hände. „Und jetzt ist Dooley orientierungslos. Weiß nichts mit sich anzufangen. Ich meinte zu ihm, er solle die Soldaten neu bemalen und eine andere Schlacht beginnen, aber er ist nicht mehr mit dem Herzen dabei.“

Während sie erzählte, öffnete sich die Tür und Onkel Dooley kam herein. Er war ein winziger Mann, was in völligem Kontrast zum Leibesumfang seiner Gattin stand. Als er mich sah, blitzten seine Augen auf.

„Da bist du ja, Dooley. Das wird dich aufmuntern, deine liebste junge Lady.“

Dooley kam strahlend auf mich zu, um mir die Hand zu küssen. „Wie reizend, dich zu sehen, meine Liebe.“ Er wandte sich an Oona. „Sie sieht ganz prächtig aus, nicht wahr?“

„Sie sieht immer gut aus. Gesund und munter“, erwiderte Oona. „Darcy hat eindeutig die richtige Wahl getroffen.“

Bei dieser Unterhaltung über mich liefen meine Wangen rot an.

„Wo steckt der Junge?“, fragte Dooley. „Habe ihn seit einigen Tagen nicht mehr gesehen.“

„Er ist fort, Onkel Dooley. Ich weiß nicht genau wohin. Du weißt ja, wie er ist.“

„Würde mich nicht wundern, wenn er ein Waffenschieber oder Drogenschmuggler wäre“, sagte Dooley aufgeräumt.

„Das ist er selbstverständlich nicht“, sagte Oona. „Er ist ein Spion. Das weißt du doch. Deswegen kann er uns nicht verraten, was er tut.“

Darüber lachten beide, als sei das alles ein grandioser Witz. Dann fand Oona in dem Durcheinander die Glocke und läutete. Statt Treadwell, dem Butler, tauchte Queenie auf.

„Sie haben geläutet, Lady Whyte?“, fragte sie. Dann sah sie mich. „Hallöchen, Miss“, sagte sie.

Wieder einmal wunderte ich mich darüber, dass sie Oona korrekt ansprach, es aber noch nie geschafft hatte, mich „Mylady“ zu nennen.

„Wir trinken einen Kaffee und essen dazu das Shortbread, das du heute Morgen gebacken hast, Queenie“, sagte Oona.

„Hätten Sie nicht lieber etwas von dem Zwetschgenkuchen?“, fragte Queenie. Ihr zurückhaltender Gesichtsausdruck ließ auf ein weiteres Unglück schließen.

„Nein, das Shortbread, bitte. Du weißt ja, dass Sir Dooley eine besondere Vorliebe für Shortbread hat.“

Queenie knetete nervös ihre Schürze. „Es ist nur so, dass es nicht ganz so geworden ist wie erwartet.“

„Aber ich habe ein Stück probiert. Es war köstlich.“

„Das war, bevor ich den Rest versehentlich ins Spülwasser gekippt hab’“, sagte sie. „Ich hab’ versucht es zu trocknen, aber es schmeckt einfach nicht mehr wie vorher.“

„Also wirklich, Queenie“, sagte Oona mit einem überraschend verständnisvollen Lächeln. „Na gut. Dann eben Zwetschgenkuchen.“

Als Queenie hinausging, lächelte Oona entnervt. „Dabei hat sie sich schon so gebessert. Es vergehen zuweilen ganze Tage ohne einen Unfall, und sie ist im Backen wirklich begabt.“

„Ihr wollt also nicht, dass ich sie euch abnehme?“, fragte ich.

„Warum? Hattest du das vor?“

„Ich muss nach London fahren und dann wahrscheinlich weiter nach Italien.“

„Aber du hast ein neues Dienstmädchen. Du meintest, sie sei ein nettes junges Ding und so lernwillig.“

„Sie war einfach nicht bereit, ihre Mutter alleinzulassen und mich in, wie sie es nannte, heidnische Gefilde zu begleiten“, sagte ich mit einem reumütigen Lächeln.

„Ah, du willst Queenie also zurückholen. Ich wusste, dass es zu schön ist, um wahr zu sein“, sagte Oona.

Meine Gedanken kreisten. Queenie ging es hier gut. Sie lernte dazu. Machte nicht zu viele Fehler. Und Oona und Dooley brauchten sie.

„Dooley wird natürlich am Boden zerstört sein“, fuhr Oona fort und blickte zu ihrem Mann, der mit düsterer Miene schweigend dasaß. „Kann niemanden mehr in den Hintern kneifen. Es hält ihn jung, gelegentlich jemanden in den Hintern zu kneifen.“

Ich stand auf. „Ich werde mit Queenie sprechen“, sagte ich. „Ich überlasse ihr die Entscheidung.“

Ich fand sie in der Küche, wo sie Kaffeetassen auf ein Tablett stellte. Die Küche war überraschend sauber und aufgeräumt. Frisch gebackenes Brot kühlte auf einem Blech aus. Etwas Wohlriechendes köchelte auf dem Herd.

„Ich habe gehört, dass es dir hier wirklich gut geht“, sagte ich. „Sir Dooley und Lady Whyte sind zufrieden mit dir.“

Sie grinste schüchtern. „Sie sind so nett zu mir. Sie wissen zu schätzen, was ich für sie tue. Und sogar Mr Treadwell sagte, ich sei eine große Hilfe, und er ist normalerweise niemand, der leichtfertig Komplimente macht.“

„Also würdest du lieber hierbleiben, als mit mir zurück nach London zu kommen.“

Überrascht sah sie auf. „Sie reisen ab? Nach Hause?“

„Nur eine Zeit lang. Es gibt einige Dinge, die ich in London erledigen muss, dann reise ich vielleicht nach Italien zu Miss Belinda.“

„Italien …“ Ihr Gesicht nahm einen sehnsüchtigen Ausdruck an. „Ich hab’ gehört, dass Italien hinreißend ist. Jede Menge gutes Essen.“

„Also habe ich mir gedacht, dir die Entscheidung zu überlassen. Wenn du hierbleiben willst, komme ich auch ohne Dienstmädchen zurecht. Ich wollte nur sichergehen, dass du hier glücklich bist.“

„Oh ja, Miss. Mir gefällt es hier.“

„Selbst, wenn dir Sir Dooley in den Hintern kneift?“ Ich senkte die Stimme.

Sie kicherte. „Das macht mir nichts aus, Miss. Er mag nur von Zeit zu Zeit einen Nervenkitzel, aber er ist harmlos, was?“ Dann schüttelte sie sich vor Lachen. „Ich meine, sehen Sie ihn sich an. Er ist so klein und mager, dass ich ihn mit einem Schlag durch den ganzen Raum befördern könnte.“

Der Teekessel pfiff und sie goss das heiße Wasser über den gemahlenen Kaffee ohne etwas zu verschütten oder sich zu verbrühen. Ich traf eine Entscheidung.

„Also gut, Queenie. Ich lasse dich erst einmal hier. Ich bin rechtzeitig wieder zurück, um meine Hochzeit zu planen, und dann können wir über deine Zukunft sprechen.“

Sie grinste. „Klar wie Kloßbrühe, Miss“, sagte sie.