Leseprobe Patricia Peacock und die Sache mit dem Fluch

1. Erbe mit Hindernissen

Die Anwaltskanzlei wirkte wie ein Ort aus einer anderen Welt. An der Wand hing das Gemälde eines opulenten Obstbanketts in einem ausladend barocken Rahmen, die Tapete zeigte ein verspieltes Paisley Muster, das ein wenig aus der Mode geraten war, aber auf eine absurde Art stimmig wirkte neben dem schmucklosen Schreibtisch des Anwalts. An der Decke schwang ein monströser Deckenfächer gemächlich hin und her, von einem gelangweilten ägyptischen Jungen in Djaschallabija an einem Seil bedient. Dass dem Kind seine Tätigkeit keine Freude bereitete, war an seinem Gesichtsausdruck als auch an den ständigen Ermahnungen des Anwalts zu erkennen, bei seiner Tätigkeit nicht einzuschlafen. Himmel! Hätte Patricia gewusst, dass dieses Land der Vorhof zur Hölle war, wäre sie mit der Wahl ihrer Garderobe umsichtiger gewesen.

Sie bemühte sich, nicht auf dem unbequemen Stuhl herumzurutschen. Ohnehin argwöhnte Patricia, dass dieser nicht zufällig für Besucher bereitstand. Mister Plum wollte seine Provision kassieren und seine Mandanten möglichst schnell wieder loswerden.

„Miss Peacock …“, setzte er an, und Patricia zwang sich zu einem Lächeln, nach dem ihr nicht der Sinn stand. Gleich würde sie ohnmächtig werden … zumindest würden die Stäbe des Korsetts verhindern, dass sie vornüber mit der Stirn auf die Schreibtischplatte fiel. Da sollte noch jemand behaupten, dass das Korsett ein aus der Mode gekommenes Kleidungsstück war. Es bewahrte Frauen seit dem 16. Jahrhundert verlässlich davor, die Haltung zu verlieren. Und doch wünschte Patricia sich in diesem Moment nichts mehr, als frei atmen zu können. Was hatte ihren Vater nur so sehr an diesem Land fasziniert, dass er Frau und Kind für Ägypten hatte sitzen lassen? Die Schätze der Pharaonen, die Geheimnisse oder einfach die Tatsache, dass er weit weg von Frau und Kind war? Nun … letztendlich hatte seine Abenteuerlust ihn das Leben gekostet.

Sie griff nach dem lauwarmen Glas Wasser mit der ertrunkenen Fliege, das ihr ein Mädchen in bunten Gewändern serviert hatte, und nahm einen Schluck. Cheers Dad! Auf dein Erbe, das mich von Lady Blanford befreit! So hatte ihr Vater wenigstens etwas Gutes in seinem Leben getan. Denn als der Brief sie aus Ägypten erreichte, mit der Nachricht, dass ihr Vater ihr seinen gesamten Besitz hinterlassen hatte, wäre sie vor Erleichterung fast auf die Knie gefallen und hätte den blankpolierten Marmorboden der Empfangshalle in Lady Blanfords Londoner Anwesen geküsst. Patricia hatte sich gerade eben noch zurückhalten können, weil ihr rechtzeitig eingefallen war, dass Princess, Lady Blanfords Königspudel, erst am Morgen einen Haufen in der Halle hinterlassen hatte.

„Miss Peacock, es gibt da die eine oder andere Auflage, die ihr Vater im Testament festgesetzt hat, damit Sie sein Erbe in vollem Umfang antreten können.“ Anwalt Plum griff in eine Schale, die vor ihm auf dem Tisch stand, und schob sich genussvoll ein Stück weißen Nougat in den Mund. Patricia fand, dass er lieber ein wenig mehr sportliche Betätigung vertragen hätte als weißen Nougat. Mr. Plum war ziemlich dick, und das warme Klima dieses Landes ließ ihn sichtbar schwitzen. Ganz davon abgesehen, dass Patricia es unhöflich fand, dass er sich mit weißem Nougat vollstopfte, während ihr nur ein lauwarmes Glas Wasser inklusive toter Fliege serviert worden war. Nicht, dass sie etwas von dem Nougat gewollt hätte, aber zumindest anbieten hätte er es ihr können. Nun ja … Stil und Benehmen wurden dieser Tage nicht mehr so großgeschrieben, wie noch vor zehn Jahren. Es war die Zeit der Flapper-Mädchen, Frauen rauchten Zigaretten mit langer Spitze, tanzten diese furchtbaren, neumodischen Tänze, wie Charleston oder Black Bottom, und überhaupt war die Gesellschaft dabei, jeglichen Anstand zu verlieren.

Patricia beobachtete Mr. Plum dabei, wie er sich ein weiteres Stück Nougat in den Mund schob, und konzentrierte sich wieder auf ihre Unterhaltung. „Welche Art Auflagen hat mein Vater für das Erbe festgesetzt?“

Ihr Vater hatte einen seltsamen Humor gehabt – bei ihm hatte man nie wissen können, was in seinem Kopf vor sich ging. Bevor er sie und ihre Mutter verlassen hatte, um als Glücksritter in Ägypten nach morschen Mumien und Goldschätzen im Sand zu buddeln, war er nicht selten betrunken nach Hause gekommen, hatte sie aus dem Bett geholt, und verkündet, dass er im Haus einen Goldschatz versteckt hatte. Patricia fand das als Kind immer sehr spannend, ihre Mutter hingegen unangemessen. Der Goldschatz stellte sich meist als Süßigkeit heraus, manchmal als Spielzeug – ein mechanischer Vogel im Käfig, der ein Lied sang, oder ein Fächer aus exotischen, bunten Federn. Woher ihr Vater all diese Dinge hatte, wurde Patricia erst klar, als sie älter und er längst aus ihrem Leben verschwunden war. Die Spielzeuge und Süßigkeiten brachte er von seinen Besuchen im kostspieligsten Bordell Londons mit. Mit der prüden, viktorianischen Erziehung seiner Frau konnte er nicht viel anfangen, bei den Damen der Nacht aber fühlte er sich wohl. Als sie noch klein war, hatte Patricia sich keine Gedanken darüber gemacht – ihr Vater war in ihrer kindlichen Vorstellung ein Held und Abenteurer gewesen. Immer wieder hatte er ihr spannende Geschichten erzählt, über Ägypten und die Pharaonenzeit. Patricia war dieses Land wie ein riesiger Abenteuerspielplatz vorgekommen, und sie hatte angefangen, sich für das antike Ägypten zu interessieren. Irgendwann war allerdings nicht nur ihr Vater aus ihrem Leben verschwunden, sondern auch der Glaube an Abenteuer und im Sand verborgene Geheimnisse. Zusammen mit ihrem Vater hatte sie auch der sorglose Wohlstand verlassen, in dem sie bis dahin gelebt hatte; Lord Peacock hatte das gesamte Geld der Familie für seine Amüsements und für die Damen ausgegeben. Das, was übrig war, war schlicht und ergreifend mit ihm nach Ägypten verschwunden. An diesem Tag hatte Patricia aufgehört zu träumen, und angefangen, sich einen pragmatischen Realismus zu eigen zu machen, der von nun an für sie überlebensnotwendig war.

Ihre Mutter hatte nicht geweint, sondern das Einzige getan, was ihr als angemessen erschien. Patricia war in ein Internat geschickt worden, wo sie als nunmehr mittellose Adelige eine ordentliche Erziehung erhielt, sodass sie später eine Stelle als Gesellschafterin antreten konnte. So war sie schließlich bei Lady Blanford gelandet und stand nunmehr seit fast zehn Jahren in ihren Diensten. Der Brief des Anwalts, der das Erbe eines größeren Vermögens in Aussicht stellte, war für Patricia mehr als überraschend gekommen. Sie war nicht davon ausgegangen, dass ihr Vater vermögend gewesen war, nachdem er England verlassen hatte.

„Also, es sind ein paar Kleinigkeiten an den Antritt Ihres Erbes geknüpft …“, setzte Mr. Plum nach einem weiteren Stück Nougat an, und seine Zurückhaltung ließ sie ahnen, dass es weitaus mehr als ein paar Kleinigkeiten waren. Aber um Lady Blanford loszuwerden, würde sie sogar nackt und ohne Korsett durch die ägyptische Wüste laufen, wenn es sein musste!

„Also schön, lassen Sie hören.“

Der Anwalt zwirbelte seinen Schnauzer zwischen den Fingern, um ihn in Form zu bringen. Wie konnte ein Mann bei dieser Hitze nur so viel Pomade in sein Haar schmieren? Patricias Blick folgte dem Rinnsal aus geschmolzenem Fett, das gemächlich an Mr. Plums Schläfen hinunterlief. Ob er verheiratet war? Sie stellte es sich grauenvoll vor, verheiratet und von einem Mann bevormundet zu werden, und dann noch von einem, der jede Nacht Flecken von Pomade auf dem Kopfkissen hinterließ. Oder schlimmer noch – abhängig und ausgeliefert, wie ihre arme Mutter, die fast mittellos zurückgeblieben war und von ihrem schönen großen Haus in eine kleine Stadtwohnung hatte ziehen müssen, wo sie mit Näharbeiten ihren Lebensunterhalt verdiente. Der Krieg hatte sie ihre Gesundheit gekostet, während Patricia ihn dank ihrer Anstellung bei Lady Blanford nahezu schadlos überstanden hatte. Patricia für ihren Teil hatte nicht vor, jemals zu heiraten … nicht einmal, wenn ein so reicher Mann wie Lord Carnarvon, der als Finanzier von Howard Carter zum Fund des Goldschatzes dieses Kindkönigs Tut-Anch-Amun beigetragen hatte, um ihre Hand angehalten hätte – ganz davon abgesehen, dass Lord Carnarvon ohnehin vor einigen Wochen ganz plötzlich verstorben war. Seitdem ging das Gerücht um einen Fluch um, der ihn heimgesucht hatte. Natürlich schenkte Patricia solchem Gerede keinen Glauben. Ihre Erziehung hatte sie zu einer disziplinierten Frau mit Verstand werden lassen, die mit ihrem dreißigsten Geburtstag ohnehin längst das Heiratsalter überschritten hatte. Nun brauchte sie glücklicherweise nicht mehr auf einen Ehemann warten, denn das Erbe würde ihr die langersehnte Unabhängigkeit sichern.

Noch einmal griff sie zum Glas, um den Rest des lauwarmen Wassers ohne die im Glas dümpelnde Fliege zu trinken.

„Nun, die erste Auflage wäre, dass Sie den Haushalt Ihres Vaters auflösen und sich um die Dienstboten kümmern. Es sind nicht allzu viele. Sie müssen mit einem von Ihrem Vater festgesetzten Anteil des Erbes ausgezahlt werden.“

Patricia entspannte sich. Das war eine Auflage, die sie problemlos erfüllen konnte. Da sie selbst über zehn Jahre in Diensten gestanden hatte, wusste sie die Arbeit von Hausangestellten zu würdigen – anders als Damen des Hochadels wie Lady Blanford, die glaubten, Bedienstete würden auf Bäumen wachsen, einzig und allein zu dem Zweck, bei angemessenem Reifegrad herunterzuplumpsen und ihren Dienst bei einer betagten reichen Witwe anzutreten.

„Die zweite Auflage betrifft die Grabungstätigkeiten Ihres Vaters.“ Mr. Plum runzelte die Stirn, und ihr wurde klar, dass es nun komplizierter werden würde.

„Das Erbe beinhaltet auch seine Grabungslizenz im Tal der Könige. Ihrem Vater wurde vor seinem Tod wohl ein Fund aus seiner letzten Grabung entwendet. Es obliegt Ihnen als Erbin, das Stück wiederzubeschaffen. Bis dahin wird Ihnen nur ein Viertel des gesamten Vermögens für notwendige Auslagen zur Verfügung gestellt, und sollte es Ihnen nicht gelingen, das entwendete Stück wiederzubeschaffen, fällt der Rest des Erbes an das Ägyptische Museum in Kairo.“

„Aber ich bin doch kein Privatdetektiv!“ Patricia versuchte erst gar nicht, ihre Empörung zu verbergen. Das war typisch für ihren Vater. Natürlich hatte er ihr nicht einfach etwas hinterlassen können. Schlimm genug, dass ihre arme Mutter nichts mehr von seinem unvermuteten Erbe hatte. Sie war vor zwei Jahren gestorben.

Patricia atmete tief durch, soweit das zwischen den Walknochen des Korsetts möglich war, und erinnerte sich daran, was sie sich geschworen hatte. Sie würde dieses Erbe antreten, koste es was es wolle! Nach allem, was ihr Vater ihr angetan hatte, war das nur gerecht! „Nun gut. Um was für ein Stück handelt es sich?“

„Um einen Papyrus.“

„Was? Um ein Stück Papier?!“

„Nun, es handelt es sich genau genommen nicht um Papier, sondern um eine Schreibunterlage aus Pflanzenfasern.“

„Mir ist klar, dass es kein richtiges Papier ist!“ Patricia konnte es nicht fassen. Das Schlimmste an Männern war, dass sie Frauen grundsätzlich für einfältig hielten. Aber was sie anging – sie war belesen und hatte sich mehr als von ihr gefordert, für vielerlei Themen interessiert. Als Gesellschafterin musste sie nicht nur unterhaltsam sein, sondern auch informiert. Gut … vielleicht war sie etwas überinformiert für eine Frau, aber Himmel … das Leben an Lady Blanfords Seite war, wenn nicht gerade anstrengend, furchtbar langweilig. Die geschwätzigen Freunde, die oberflächlichen Empfänge. Zum Glück hatte Lord Blanford seiner Frau neben einem erheblichen Vermögen eine der bestsortierten Privatbibliotheken Londons hinterlassen, als er vor vier Jahren gestorben war. Patricia konnte nicht zählen, wie viele Abende sie dort mit dem einen oder anderen Glas Scotch verbracht hatte. Also, ja … sie war belesen und kannte sich mit Ägypten aus – zumindest mit dem antiken Ägypten. Aber was um alles in der Welt so wichtig an Gekritzel auf einer Pflanzenfaserunterlage sein sollte, entzog sich ihrem Wissensstand.

Mr. Plum zuckte die speckigen Schultern. „Ich bin nur der Verwalter des Erbes. Sie können natürlich ablehnen, dann geht das Erbe, bis auf Ihren Pflichtteil, direkt ans Ägyptische Museum.“

Das wäre ja noch schöner! Patricia schluckte ihren Ärger herunter. „Na schön … was noch?“

Ein weiteres Stück Nougat landete im Mund des Anwalts. Die Schale war fast leer. „Die letzte Sache ist wirklich eine Kleinigkeit. Ihr Vater hatte ein Haustier, das Sie übernehmen müssen.“

„Ein Haustier?!“

„Es handelt sich um einen Hund.“

Widerwillig dachte Patricia an Princess, den Königspudel von Lady Blanford – ein selten dummes Tier, dessen einziger Lebenssinn es zu sein schien, von Lady Blanfords Hundefrisörin mit immer neuen, noch dümmeren Frisuren ausgestattet zu werden. Womit hatte sie das verdient? Sie mochte keine Hunde. Das ständige Gehechel und Gebelle waren ihr ein Gräuel. Aber dieses Problem wäre einfach zu lösen. Sie würde das Tier übernehmen und ihm einen guten neuen Besitzer suchen. Das wäre keine Schwierigkeit.

„Also gut. Ich akzeptiere das Erbe.“

Der Anwalt zuckte mit den Schultern. „Sehr gut … dann wäre es das fürs Erste.“ Er bedachte die leere Schale mit bedauerndem Blick, und Patricia kam es vor, als hätte er es plötzlich eilig. „Bevor Sie gehen, darf ich Ihnen noch einen persönlichen Brief ihres Vaters aushändigen, sowie den Schlüssel zu einem Bankschließfach, in dem sich fünfhundert englische Pfund zu Ihrer sofortigen Verfügung befinden.“

Der Anwalt schob Patricia zwei Umschläge hin – einer enthielt den angekündigten Brief, der andere den Schlüssel für das Bankschließfach.

„Wurden die Briefe geöffnet?“, fragte Patricia irritiert. Mr. Plum zog seine Taschenuhr aus der Anzugtasche und warf einen unmissverständlichen Blick auf das Ziffernblatt. „Das Gericht hat sie geöffnet, das passiert manchmal. Wir sind in Ägypten, Miss Peacock, nicht in England, vergessen Sie das nicht.“

Er stand von seinem Stuhl auf. „Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt in Kairo, Miss Peacock.“

Patricia stand ebenfalls auf, wobei sie leichten Schwindel aufgrund des eng geschnürten Korsetts verspürte. Ein Korsett war für dieses Klima wirklich nicht geeignet. Allerdings hätte Lady Blanford keiner ihrer Angestellten erlaubt, darauf zu verzichten. Einen Augenblick erlaubte Patricia sich den Gedanken, dass Lady Blanford ja nicht hier war, sondern in London; und sie wünschte sich das erste Mal in ihrem Leben, mit den Konventionen zu brechen … frei und hemmungslos zu atmen!

„Ich danke Ihnen …“, sagte sie stattdessen und streckte dem Anwalt ihre Hand hin, die er fast ein wenig widerwillig schüttelte. Ganz klar – Mr. Plum wollte sie loswerden, um seine Nougatvorräte aufzufüllen. Patricia tat ihm den Gefallen, es war ohnehin viel zu stickig in seinem Büro.

Mit dem Brief ihres Vaters in der einen und dem Schlüssel zum Bankschließfach in der anderen Hand verließ Patricia die Anwaltskanzlei, wobei sie dem gelangweilten Jungen am Fächer einen mitleidigen Blick zuwarf. Ihr Martyrium würde sie noch heute offiziell beenden und Lady Blanford die vorbereitete Kündigung nach London telegrafieren.

 

In einem Caféhaus nicht weit von dem Büro des Anwalts entfernt bestellte Patricia eine Erfrischung und öffnete den Brief ihres Vaters. Tatsächlich erkannte sie seine Handschrift.

Liebste Patricia …,

las sie die ersten Worte und hielt inne.

Liebste Patricia? Seit über zwanzig Jahren kein einziges Wort, keine Postkarte, kein Telegramm zu ihrem Geburtstag. Kein Lebenszeichen. Und dann begann er diesen Brief allen Ernstes mit Liebste Patricia!?

Es war früher Mittag, aber sie orderte bei dem orientalisch gekleideten Bediensteten mit dem topfartigen Hut … ein Fes …, wie Patricia sich erinnerte, neben ihrer Erfrischung noch einen Scotch und erntete dafür missbilligende Blicke der feinen Damen und Herren um sie herum. Patricia ignorierte sie so gut es ging. Sie war nicht in London, und dieser Brief brachte sie aus der Fassung. Da war ein Scotch am Vormittag durchaus angebracht. Außergewöhnlichen Situationen begegnete man am besten mit außergewöhnlichen Handlungen – das war schon immer ihr Credo gewesen.

„Bringen Sie mir bitte gleich zwei… “, fügte sie deshalb der Bestellung hinzu. Da Lady Blanford seit dem Tod ihres Mannes gerne und oft tief ins Glas schaute, forderte sie von ihrer Gesellschafterin ebenfalls eine gewisse Trinkfestigkeit.

Nachdem der verstört wirkende Bedienstete ihr zwei Gläser Scotch an den Tisch gebracht hatte, fühlte Patricia sich stark genug, sich dem Brief zu widmen.

Liebste Patricia,

Ich bin offensichtlich tot, denn sonst würdest du diesen Brief nicht lesen. Tja … eine ärgerliche Entwicklung, aber nicht zu ändern. Wenn du also diesen Brief in deinen Händen hältst, bist du die Erbin all meiner Hinterlassenschaften. Zwar bin ich kein reicher Mann, aber ich hatte Glück bei Ausgrabungen in den letzten Jahren, und konnte mir einen bescheidenen Wohlstand erarbeiten. Es ist mehr als genug, um dich von dieser verstaubten alten Schachtel freizukaufen, in deren Diensten du stehst.

Patricia runzelte die Stirn und sah auf. Woher wusste ihr Vater von Lady Blanford? Sie las weiter.

Ich kann fast sehen, wie du die Stirn runzelst … na ja, eigentlich nicht, weil ich ja tot bin, aber ich weiß, dass du über den Umstand verwundert bist, dass ich über dich und dein Leben Bescheid weiß. Liebste Patricia, ich wusste immer alles über dich, aber leider hat deine Mutter – der bösartige Drachen – meine Postkarten und Telegramme abgefangen. Davon habe ich aber erst erfahren, nachdem deine Mutter ihren wohlverdienten Platz neben allen Dämonen in der Hölle eingenommen hat. Gott, ich hoffe wirklich, dass ich ihr dort nicht begegne! Ich kann wohl nicht erwarten, ins obere Stockwerk berufen zu werden, und ich rühme mich auch nicht, ein guter Vater und Ehemann gewesen zu sein. Aber deine Mutter – dieses giftige Reptil – habe ich in keinem einzigen Augenblick meines Lebens vermisst! Vielleicht entdeckst du jetzt endlich auch die Vorzüge eines freien Lebens. Ich wünsche es mir für dich, Patricia.

Sie nahm das Glas, trank einen großen Schluck von dem Scotch und danach noch einen. Hatte ihre Mutter wirklich Briefe von ihrem Vater vor ihr versteckt oder gar abgefangen? Sie konnte es kaum glauben, aber genauso wenig, wie ihr Vater ein gutes Haar an ihrer Mutter ließ, hatte ihre Mutter eines an ihrem Vater gelassen. Verlotterter Schürzenjäger war allerdings die einzige Bezeichnung gewesen, die ihre viktorianische Erziehung zugelassen hatte. Nun … aber das änderte nichts daran, dass ihr Vater sich einfach aus dem Staub gemacht hatte, oder?

Nach einem weiteren großzügigen Schluck Scotch hatte Patricia sich genug gesammelt, um weiterzulesen.

Nichtsdestotrotz gibt es ein paar Sachen, die du für mich tun musst, bevor du mein Erbe antreten kannst.

Da wären erst einmal meine Hausangestellten, wie dir Mr. Plum sicherlich mitgeteilt hat. Fatima und ihre Tochter Salima sowie mein Hausdiener Abdul. An ihn kannst du dich in allen Fragen wenden, denn er war mir nicht nur ein Diener, sondern ein guter Freund.

Ich würde mir natürlich wünschen, dass du sie weiter beschäftigst und meinen gesamten Hausstand übernimmst, aber wenn du dich entscheidest, mein Haus zu verkaufen, dann sorge dafür, dass sie anständig aus meinen Diensten entlassen werden.

Die zweite Sache sollte mein Anwalt ebenfalls bereits angedeutet haben. Es gibt Etwas, das mir gestohlen wurde. Einen Papyrus von meiner Ausgrabungsstelle. Bei allem, was ich jemals gefunden habe, war er der mit Abstand kostbarste Fund meines Lebens. Du musst ihn finden, Patricia! Entschuldige bitte, dass ich nicht genauer darauf eingehe, das hat seine Gründe. Ich bin sicher, du wirst das Richtige tun. Aber du musst selbst herausfinden, was es damit auf sich hat.

Zum Schluss möchte ich dich darum bitten, meinen Hund Sir Tiny in deine Obhut zu nehmen. Ich kann ihn niemand anderem anvertrauen als dir, da er mir ein treuer Gefährte war. Ich bin überzeugt, ihr werdet euch gut verstehen.

Liebste Patricia, was bleibt mir noch zu sagen? Dass es mir leidtut, nicht hartnäckiger versucht zu haben, zu dir Kontakt zu halten. Deine Mutter, die garstige Harpyie, hat es verhindert, und ich war zu beschäftigt mit meinen Ausgrabungen und mit mir selbst. Ich kann es nicht mehr ändern. Alles, was ich tun kann, ist, dir zu hinterlassen, was mir gehört.

Ich hoffe, du machst deinen Frieden mit mir, Patricia. Und eines noch … wenn du diesen Brief erhältst, bin ich keines natürlichen Todes gestorben, auch wenn es vielleicht den Anschein hat oder mein Tod als Unfall dargestellt wird. Warum sonst hätte ich diesen Brief vorbereiten sollen, wenn ich nicht eine Ahnung gehabt hätte, dass es so kommen würde? Ich wurde in den letzten Monaten überfallen und verfolgt. Alles wegen des Papyrus! Was immer man dir erzählen wird – glaube es bitte nicht! Finde die Wahrheit heraus! Der Papyrus wird dich zur Wahrheit führen und zu meinem Mörder, also sei vorsichtig! Das ist alles, was ich dir mit auf den Weg geben kann.

In Liebe

Dein Dad

Patricia legte den Brief zur Seite. Ihre Hände zitterten. Mit allem hätte sie gerechnet. Aber nicht damit, dass der Tod ihres Vaters kein natürlicher gewesen war – zumindest, wenn man Trunksucht und einen ungesunden Lebensstil als natürliche Todesursachen miteinschloss.

Im Briefumschlag fand Patricia noch einen Zettel mit der Adresse ihres Vaters. Eigentlich hatte sie vorgehabt, sich einen Teil vom Erbe zu gönnen und im Mena Hotel abzusteigen. Ihr Gepäck war bereits dort. Aber nun empfand sie eine größere Neugierde, als sie geglaubt hatte, auf den Ort, an dem ihr Vater gelebt hatte. Außerdem hatte der Brief die Dinge grundlegend verändert. Ihr Pflichtbewusstsein als Tochter verbot es ihr, diese Sache einfach auf sich beruhen zu lassen. Was, wenn es stimmte? Was, wenn ihr Vater wirklich umgebracht worden war? Man hatte ihr gesagt, er hätte einen Herzanfall an der Ausgrabungstelle gehabt. Er war allein gewesen und erst Stunden später gefunden worden. Da war er bereits tot. Natürlich deutete alles auf einen Unfall hin … aber was, wenn nicht? Sie musste die Wahrheit herausfinden, das zumindest war sie ihrem Vater schuldig. Wie sie das anstellen sollte, konnte Patricia nicht sagen. Zunächst einmal würde sie sich um die Dinge kümmern, die leicht zu regeln waren – sie würde die Bediensteten gemäß dem Wunsch ihres Vaters aus ihren Dienstverhältnissen entlassen. Und dann musste sie sich noch um den Hund kümmern – Sir Tiny. Es würde nicht sonderlich schwer sein, für einen kleinen Hund einen neuen Besitzer zu finden. Im Mena Hotel gab es genug reiche Damen, die entzückt über ein Schoßhündchen wären. Tut mir leid, Dad … aber ich habe eine Tierhaarallergie …, dachte sie entschlossen, bezahlte die Rechnung inklusive einem großzügigen Trinkgeld und machte sich auf den Weg.

2. Une petit surprise

Das Haus ihres Vaters lag nicht in Kairo, sondern außerhalb der Stadt. Patricia überlegte, eine Motordroschke zu nehmen, entschied sich dann aber doch, zu Fuß zu gehen, nachdem ihr der Bedienstete das Cafés noch versichert hatte, dass es nicht weit wäre. Zum Glück hatte sie immer ihren Sonnenschirm dabei. Patricia musste einmal mehr feststellen, dass ein Land wie Ägypten nicht für lange Spaziergänge geeignet war … daran änderte auch ein Sonnenschirm nichts. Neben den missbilligenden Blicken der Damen, die es bevorzugten, sich in Automobilen durch Kairo fahren zu lassen, musste sie sich aufdringliche Händler vom Hals halten, die ihr jede Menge seltsame Dinge verkaufen wollten.

Nach etwa einer Stunde, und nachdem es Patricia gelungen war, den Kauf eines Teppichs, einer Öllampe mit skandalösen Bemalungen sowie eines Huhns abzuwehren, stand sie endlich vor dem Haus. Was sie erwartet hatte, wusste sie nicht, aber kaum ein so hübsches Fleckchen Erde. Das Haus ihres Vaters stand auf einem Hügel gesäumt von Palmen, die Schatten spendeten. Es war hier angenehmer und kühler als in der Stadt. Das Grundstück war von einer etwa zwei Meter hohen Mauer umgeben, wie die meisten im ägyptischen Stil gebauten Häuser, und stellte eine Mischung aus lokalen Elementen, wie den Garten mit der Mauer, sowie englischem Komfort dar – zumindest was Patricia von außen erkennen konnte. Die Tür zum Garten stand offen, sodass sie hineinsehen konnte. Auch der Garten war ansprechend gestaltet worden – es gab im Zentrum einen Teich in rechteckiger Form, auf dem blauer und weißer Lotus schwammen, und das Haus selbst war rund um den Garten angelegt worden. Es erinnerte Patricia an die Darstellungen auf antiken Papyri. Ihr Vater hatte immer ein Faible für orientalischen und vor allem pharaonischen Flair gehabt; tatsächlich wirkte es in Natur noch weitaus schöner als auf den zweidimensionalen Abbildungen der antiken Ägypter, die ihr Vater ihr oft in Büchern gezeigt hatte. Patricia konnte sich beinahe bildlich vorstellen, wie um einen ähnlichen Teich wie diesen vor tausenden von Jahren Prinzessinnen gesessen und die Nachmittage vertändelt hatten. Nun, sie für ihren Teil hatte keine Zeit zu vertändeln.

„Guten Tag …“, rief sie deshalb in angemessener Lautstärke in den Garten hinein, doch offensichtlich war niemand in der Nähe.

Patricia sah sich ratlos um, dann erinnerte sie sich, dass dieses Haus im Grunde genommen ihr gehörte und sie jedes Recht hatte, es ohne Einladung zu betreten.

Von einer gewissen Neugierde angetrieben, betrat sie den Garten. Ihr Blick ruhte wohlwollend auf blühenden Passionsblumen und einer kleinen Laube, die von Rosen berankt war. Dies war eindeutig englischer Einfluss, aber er zerstörte den Gesamteindruck nicht. Ihr Vater hatte Geschmack bewiesen, als er dieses Haus gebaut hatte, das musste sie ihm lassen.

„Hallo … ist jemand hier?“, rief sie erneut, und wagte sich weiter vor. In den Teichen schwammen Fische, und neben den Palmen gab es blühende Hibiskussträucher in vielen Farben. Dieser Garten war eine Oase, in der man sich sofort wohlfühlte.

Gerade, als sich ein Lächeln auf ihr Gesicht legen wollte, nahm sie eine Bewegung wahr. Scheinbar war doch jemand in der Nähe. Sie wandte sich um, doch noch ehe Patricia sich erklären konnte, wurde sie zu Boden gerissen und landete wie ein Käfer auf dem Rücken. Der Sonnenschirm flog ihr in hohem Bogen aus der Hand, mitten in den Teich, was die Fische fluchtartig auseinanderstieben ließ. Patricia wagte sich nicht zu rühren – über ihr stand ein riesiger schwarzer Hund, sah sie an und hechelte.

„Du meine Güte!“, war das Einzige, was sie herausbrachte. Der Hund sah ihre Worte als Einladung, ihr mit seiner nassen Zunge über das Gesicht zu lecken.

„Lass das! Geh runter!“, forderte Patricia ihn auf, denn in Ohnmacht zu fallen oder zu schreien, war für sie noch nie eine Option gewesen. In der Regel war in den fragwürdigsten Stunden des Lebens ohnehin niemand da, der einen rettete. Auch jetzt bewahrheitete sich ihre Philosophie. Niemand kam, um sie vor der Bestie zu retten. Es war also angebracht, bei Bewusstsein zu bleiben.

„Geh von mir runter! Sofort!“, forderte sie noch einmal, doch anstatt ihrer Forderung nachzukommen, wedelte der Riesenhund mit dem Schwanz und bellte in einem tiefen Bariton, als wolle er sich ihr vorstellen.

„Sir Tiny! Bei Kalis totbringendem Blick. Lässt du wohl die Memsahib in Ruhe! Böser Hund! Wie bist du überhaupt aus dem Haus gekommen?“

Ein Mann mit dunkler Haut und Turban kam auf sie zugestürmt. Das Weiß in seinen Augen leuchtete, was auch an dem Entsetzen in seinem Blick liegen mochte, als er Patricia unter dem Hund entdeckte.

Nur unwillig ließ Sir Tiny sich an seinem Lederhalsband fortziehen – viel lieber hätte er Patricia noch eine Weile beschnüffelt. Aber der Mann mit Turban kannte keine Gnade. Patricia konnte erkennen, dass auf dem abgenutzten Lederhalsband des Hundes etwas eingebrannt worden war. Une petite surprise … Eine kleine Überraschung? Da hatte jemand einen durchaus seltsamen Sinn für Humor! Sie konnte sich gut vorstellen, wie sich ihr Vater beim Schreiben des Briefes amüsierte, weil er gewusst hatte, dass sie vom Namen auf die Größe des Hundes schließen würde.

„Memsahib, es tut mir leid. Sir Tiny ist so unglücklich gewesen, seit Lord Peacock nicht mehr da ist. Bestimmt hat er geglaubt, Sie wären er. Natürlich sehen Sie nicht aus wie Lord Peacock …“, fügte der dunkelhäutige Mann schnell hinzu und sah sie dann aufmerksam an. „Aber sie sehen ihm ähnlich, Memsahib.“

„Ich bin seine Tochter … Miss Patricia Peacock …“, antwortete sie, während sie aufstand und dabei Sir Tiny nicht aus den Augen ließ.

„Oh …“, antwortete der eifrige Fremde, und auf seinem Gesicht erschien ein breites Lächeln, das seine strahlend weißen Zähne offenbarte. „Wir haben Sie erst morgen erwartet, Memsahib.“

„Tja, nun … hier bin ich …“, stellte sie klar und klopfte sich den Staub aus dem Kleid, während ihr Blick zu ihrem Sonnenschirm wanderte, der gerade im Begriff war, im Teich zu versinken.“

„Ich bin Abdul, der Hausdiener Ihres Vaters“, stellte der Mann sich vor, und rief auf Arabisch Richtung Haus.

Keine zehn Sekunden später erschien eine kleine rundliche Frau in bunter Nomadenkleidung, die in arabischer Sprache zurückkeifte. Abdul wies auf den Teich, und die Frau hob protestierend die Hände, während er weiter auf sie einredete. Schließlich wies Abdul auf Patricia, und die rundliche Frau stieg murrend mitsamt ihren bunten Gewändern in den Teich, um Patricias Sonnenschirm zu retten.

„Fatima ist etwas stur, aber eine gute Seele …“, entschuldigte sich Abdul, während Patricia dabei zusah, wie die Frau durch den Teich watete und sich den tropfnassen Schirm schnappte, als wolle sie ihn eigenhändig erwürgen, weil sie ihn aus dem Teich holen musste.

Kurze Zeit später streckte sie Patricia den tropfnassen Schirm entgegen und bedachte sie mit hochgezogenen Brauen, als hätte sie noch nie eine Erscheinung wie Patricia gesehen.

Abdul grinste noch immer wie ein Honigkuchenpferd, während Sir Tiny an seinem Halsband zerrte, weil er unbedingt zu Patricia wollte. „Memsahib … bitte kommen Sie ins Haus. Es ist viel zu heiß draußen. Fatima wird ein Essen vorbereiten, und Salima ein Zimmer für Sie herrichten.“

„Oh, das wird nicht nötig sein. Ich habe mich im Mena Hotel eingerichtet.“

Das Lächeln auf Abduls Gesicht verschwand innerhalb von Sekunden, und sogar Fatimas Augen bekamen einen unglücklichen Zug – ein Zeichen für Patricia, dass die Frau die englische Sprache verstand.

„Aber, Memsahib … Sie sind die Tochter von Lord Peacock. Was werden die Leute sagen, wenn Sie nicht im Haus Ihres Vaters wohnen? Dass wir schlechte Diener sind, dass Sie unzufrieden mit uns sind … Fatima eine schlechte Köchin! Oh, bitte, Memsahib … wir sind gute Diener!“

Ehe Patricia ihm erklären konnte, dass ihre Entscheidung nichts mit der Arbeit der Dienerschaft zu tun hatte, setzte auch Fatima zu einem lauten Klagen an, fiel auf die Knie und warf sich Sand auf den Kopf.

Sir Tiny wiederum schienen Abduls und Fatimas Klagen derart zu verstören, dass er zu jaulen begann.

„Also gut!“, rief Patricia überfordert. „Ich bleibe über Nacht! Ich muss ohnehin einige Dinge erledigen und benötige dabei Ihre Hilfe, Abdul.“

Innerhalb von Sekunden verstummten sowohl Abdul wie auch Fatima. Patricia argwöhnte, dass sie dieses Spektakel nur veranstaltet hatten, um sie zum Bleiben zu bewegen. Aber nun gut. Eine Nacht in diesem Haus würde sie nicht umbringen.

„Ich brauche ein paar Sachen aus dem Hotel. Meine kleine Reisetasche mit dem Nötigsten.“

„Salima wird sie holen …“, schlug Abdul vor, und Fatima lief mit watschelnden Schritten zurück ins Haus, um kurze Zeit später mit einem hübschen, jungen Mädchen zurückzukehren, das ähnlich wie seine Mutter gekleidet war.

Überraschenderweise sprach das Mädchen akzentfrei Englisch.

„Guten Tag, Miss Peacock. Ich bin Salima.“

„Schön, Salima …“, antworte Patricia erleichtert. Wenigstens eine Person, die sich in diesem Haus normal verhielt. „Ich brauche Sachen für eine Nacht. Die kleine Reisetasche aus meinem Zimmer im Mena Hotel.“

Salima deutete eine Verbeugung an und entfernte sich mit wiegenden Hüften.

Fatima rief ihr etwas auf Arabisch hinterher, und obwohl Patricia die Worte nicht verstand, konnte sie sich ihren eigenen Reim darauf bilden, dass Fatima die kokette Art ihrer Tochter missfiel.

„Schlechte Tochter …“, sagte sie plötzlich in verständlichem Englisch zu Patricia. „Hat nur Unsinn im Kopf.“ Sie verdrehte die Augen und spitzte die Lippen, wie ein verliebtes junges Mädchen, das Küsse verteilte. „Ich hätte sie öfter schlagen sollen.“

Dann watschelte Fatima vor sich hin brummelnd zurück ins Haus.

Sir Tiny hatte zwar aufgehört zu jaulen, zerrte aber weiter an seinem Halsband, und schaffte es endlich, sich von Abdul loszureißen.

Im nächsten Augenblick lagen seine riesigen Pfoten auf Patricias Schultern und seine Zunge bedeckte einmal mehr ihr Gesicht.

„Sir Tiny!“, rief Abdul erneut, doch er ließ sich nicht beirren.

„Aus!“, rief Patricia streng, und tatsächlich ließ Sir Tiny, beeindruckt von ihren strengen Worten, von ihr ab und machte artig vor ihr Platz.

„Sehen Sie!“, rief Abdul erfreut. „Sir Tiny mag Sie!“

„Warum trägt er dieses Halsband? Eine winzige Überraschung passt wohl kaum zu einer ausgewachsenen Deutschen Dogge.“

„Sir Tiny war ein Geschenk der Damen aus dem Lotusgarten für Ihren Vater, Memsahib. Da war er noch ein Welpe.“

„Lotusgarten?“, fragte Patricia irritiert, und dieses Mal war es Abdul, der Küsse andeutete und die Augen verdrehte. „Im Lotusgarten gibt es die hübschesten Damen, und Ihr Vater war dort oft zu Gast.“

„Warum wundert mich das nicht?“, seufzte Patricia, während sie Abdul ins Haus folgte. Sir Tiny trabte neben ihr her und ließ sich, im Haus angekommen, auf einer Decke im Salon nieder.

Abdul gab Patricia eine kurze Führung durch das Haus. Es war nicht groß, aber geschmackvoll eingerichtet. Ihr Vater hatte bei der Inneneinrichtung offensichtlich den orientalischen Stil bevorzugt, denn es gab viele kleine Tische mit Kissen, Wandteppiche und sogar eine Wasserpfeife. Zu ihrer Überraschung war es drinnen angenehm kühl, und der Gedanke, hier zu übernachten, störte Patricia immer weniger.

„Salima wird Ihnen das Gästezimmer herrichten, wenn sie zurück ist, Memsahib. Fatima bereitet in der Zeit das Essen vor. Sie ist eine sehr gute Köchin.“

Sie wurde das Gefühl nicht los, dass Abdul bemüht war, sich und die anderen Diener in bester Manier anzupreisen. Deshalb brachte sie es nicht übers Herz, ihm zu sagen, dass sie vorhatte, ihn, Fatima und Salima zu entlassen und das Haus zu verkaufen. Aber dafür wäre auch morgen noch Zeit. Im Augenblick interessierte Patricia vor allem der Brief ihres Vaters. „Abdul, mein Vater hat mir einen Brief hinterlassen, in dem er behauptet, keines natürlichen Todes gestorben zu sein. Soweit ich informiert wurde, starb Lord Peacock doch auf seiner Ausgrabungsstelle an plötzlichem Herzversagen?“

Plötzlich erkannte Patricia einen Anflug von Panik in Abduls Gesicht. „Die Behörden sagten, dass es ein Unfall war, Memsahib – ein Herzanfall meinte der Arzt. Ihr Vater war allein in der Grabkammer, und niemand wusste, dass er Hilfe brauchte.“ Er kniff die Augen zusammen. „Aber das ist nicht wahr. Ihr Vater starb am Fluch, Memsahib.“

„Am Fluch? Was meinen Sie damit?“

„Den Fluch des goldenen Pharaos, dessen Grab sie im Tal der Könige gefunden haben. Es sind Arbeiter gestorben, und ich habe Ihren Vater gewarnt. Wie oft habe ich ihm gesagt … Sahib, bitte gehen Sie nicht mehr zur Ausgrabungsstelle. Sie müssen wissen, dass die Ausgrabungsstelle Ihres Vaters nicht weit von der des goldenen Königs entfernt liegt. Aber Ihr Vater war überzeugt, etwas Besonderem auf der Spur zu sein. Er behauptete, er hätte etwas gefunden, das viel größer und wichtiger wäre als das Grab dieses Königs, um das alle so ein Aufheben machen.“

Patricia schüttelte den Kopf. „Also erstens glaube ich nicht an Flüche! Wir leben im zwanzigsten Jahrhundert. Wenn meinem Vater etwas passiert ist, dann aufgrund dessen, was er im Tal der Könige entdeckt hat. Was auch immer das gewesen sein mag. Er sagte, dass ihm ein Papyrus gestohlen wurde. Was wissen Sie darüber, Abdul?“

Er zuckte die Schultern. „Ich habe nie einen Papyrus gesehen, aber ihr Vater hat wichtige Dinge im Tresor in seinem Arbeitszimmer aufbewahrt.“

Die Sache wurde immer mysteriöser, wie Patricia zugeben musste. „Und wer außer meinem Vater hatte die Kombination zum Safe?“

„Niemand, Memsahib … ich sage Ihnen, es war der Fluch des toten Pharaos!“

Patricia hob die Brauen. „Unsinn, Abdul. Jemand war hinter diesem Papyrus her, und mein Vater war ihm offenbar dabei im Weg. Ich werde herausfinden, wer es war.“

„Aber Memsahib … Sie sind eine Frau!“ Abdul schien nun wirklich beunruhigt.

„Und warum sollte mich dieser Umstand abhalten?“

„Ich weiß nicht, Memsahib … weil sie schwach sind und Ihren Körper in einen Käfig aus Fischknochen zwängen?“

„Ich muss doch sehr bitten! Weder das Eine noch das Andere stellt ein Hindernis dar!“

Abdul sah sie zweifelnd, sich offenbar keiner Schuld bewusst an. „Sie sind genauso stur wie Ihr Vater, Memsahib.“

„Ich bin keineswegs wie mein Vater!“ Patricia war empört. Wenn sie sich in ihrem Leben einer Sache sicher war, dann der, kein bisschen wie ihr Vater zu sein.

„Ich komme ganz nach meiner Mutter.“

Erneut weiteten sich Abduls Augen in blankem Entsetzen. „Nach dem Drachen mit den sieben Köpfen, von denen jeder ein anderes Gift speit?“

Patricia schüttelte den Kopf. „Pflichtbewusst und von gutem Benehmen. Alles Eigenschaften, die man meinem Vater nicht zuschreiben konnte.“ Sie bedachte Abdul mit einem schrägen Blick. „Sie haben nicht wirklich geglaubt, meine Mutter wäre ein Drache mit sieben Köpfen? Offensichtlich hat mein Vater sich einen Spaß daraus gemacht, meine Mutter zu verunglimpfen.“

„Oh …“, bekannte Abdul erleichtert. „Lady Peacock muss wohl eine furchtbare Ehefrau gewesen sein.“

Patricia zwang sich dazu, kräftig durchzuatmen. Wie sollte sie Abdul die komplexen Familienverhältnisse erklären? Sie entschied sich, es gar nicht erst zu versuchen, und es einfach dabei zu belassen.

„Ich möchte mir das Arbeitszimmer meines Vaters ansehen, um mir ein Bild über seine Belange zu machen.“

Abdul nickte. „Natürlich, Memsahib. Es ist alles so, wie es war, als Ihr Vater es das letzte Mal verließ, um seine Ausgrabungsstelle zu besuchen. Sie können die Sachen Ihres Vaters durchschauen und Fatima kocht in der Zeit ein hervorragendes Essen für Sie. Das Haus war so leer, endlich können wir wieder gute Bedienstete sein.“ Auf Abduls Gesicht zeigte sich ein breites Lächeln.

Patricia ließ sich von ihm das Arbeitszimmer zeigen und seufzte erleichtert, als sie endlich allein war. Sie hatte geglaubt, mit der einfachsten Sache beginnen zu können, und den Hausstand aufzulösen. Aber mittlerweile war sie sich nicht mehr sicher, ob sie sich wirklich die einfachste Aufgabe ausgesucht hatte. Vielleicht sollte sie sich erst einmal um die Belange ihres Vaters kümmern … und natürlich um das unzumutbar riesige Tier von einem Hund, das im Salon lag.

Nachdem Patricia die Unterlagen im Arbeitszimmer durchgesehen hatte, war sie nicht viel schlauer als vorher. Die Kombination für den Safe fand sie schließlich unter einer Teppichecke, weil sie sich daran erinnerte, dass ihr Vater schon in England die Kombination zum Haussafe winzig klein geschrieben unter der Teppichecke seines Arbeitszimmers aufbewahrt hatte. Leider enthielt auch der Tresor nichts, was ihr irgendeinen Hinweis gegeben hätte. Patricia wusste nur, dass ihr Vater ganz in der Nähe der Ausgrabungsstelle von Lord Carnarvon und Howard Carter seine eigene Ausgrabung betrieben hatte. Die Grabungslizenz dafür fand sie im Tresor. Es handelte sich um das Grab eines Priesters mit dem Namen Ra-Hotep aus der 18. Dynastie, aber etwas Wertvolles schien er dort nicht gefunden zu haben – nur Tonscherben und Sand. Nichts in den Unterlagen wies auf einen Papyrus hin, und auch den Behörden hatte er keine nennenswerten Funde gemeldet. Wenn ihr Vater auf seiner Ausgrabungsstelle etwas Wichtiges gefunden hatte, so hatte er diese Entdeckung unterschlagen, was, soweit Patricia wusste, strafbar war.

Aber irgendjemand hatte von dem Papyrusfund in Ra-Hoteps Grab gewusst, denn sonst wäre ihr Vater wahrscheinlich noch am Leben; und dieser jemand hatte ihm den Papyrus gestohlen und war, um nicht entdeckt zu werden, noch einen Schritt weiter gegangen. Auf jeden Fall schien das die naheliegendste Vermutung zu sein.

Patricia stützte den Kopf in die Hände. Wo sollte sie anfangen zu suchen? Sie hatte nicht einmal einen Anhaltspunkt, und ihr dämmerte langsam – allein würde sie dieses Rätsel nicht lösen können. Sie brauchte Hilfe, und zwar mehr als die des abergläubischen indischen Hausdieners, der den Tod ihres Vaters für den Fluch der Pharaonen hielt.

Auf dem Schreibtisch lag eine Zeitung. Sie war über einen Monat alt und zeigte auf der Titelseite ein Bild von Lord Carnarvon und Howard Carter, der glücklichen Entdecker des Grabschatzes von Tut-Anch-Amun. Wobei der Artikel deren Glück eindeutig infrage stellte, weil er von Lord Carnarvons plötzlichem Tod berichtete. Die Überschrift lautete: Der Fluch des Pharao holt sein nächstes Opfer!

Patricia schnaubte unwillig und schlug die Zeitung auf. Gab es denn nur abergläubische Menschen in diesem Land? Sie fand einen Artikel über das Mena Hotel und über die Persönlichkeiten, die in diesem Jahr dort erwartet wurden. Die Kriegsnachwehen machten auch vor Ägypten nicht Halt. Die Menschen sehnten sich nach Vergnügen und Zerstreuung – zumindest diejenigen, die das Glück hatten, es sich leisten zu können. Obwohl Patricia großen Pomp nicht schätzte, freute sie sich auf ihre Suite mit Blick auf die Pyramiden im Mena Hotel. Einmal im Leben wollte sie sich auch etwas gönnen, und nicht nur das Zimmer mit Blick auf den Hof bewohnen, wie bei Lady Blanford; und sie würde gleich morgen damit anfangen!

Wenig interessiert blätterte Patricia weiter. Die Zeitung enthielt vor allem Tratsch, den Lady Blanford weitaus mehr interessiert hätte als sie. Ganz bestimmt würde sie mit Begeisterung und schaudernder Faszination vor dem Fluch der Pharaonen erzittern, wenn sie hier in Ägypten wäre. Gottseidank war sie es nicht, und Patricia erinnerte sich daran, dass sie ihr noch das Telegramm mit der Kündigung ihrer Stelle schicken musste. Gleich morgen würde sie Abdul zum Telegrafenamt schicken.

Auf der Anzeigenseite der Zeitung blieb Patricias Blick an einem geschwungenen Schriftzug hängen. John Maddock, Privatdetektiv. Dazu eine Adresse in Kairo und das Versprechen einer hundertprozentigen Erfolgsquote. Das war doch genau das, was sie brauchte!

Patricia nahm die Schere vom Schreibset und schnitt die Anzeige aus. Da sie morgen ohnehin zum Bankschließfach ihres Vaters gehen wollte, würde sie auch gleich diesem Privatdetektiv einen Besuch abstatten.

Schließlich beendete Patricia ihre Recherchen für den heutigen Tag, da Abdul an die Tür klopfte und ihr mitteilte, dass Fatima das Essen fertig hatte. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie fast drei Stunden im Arbeitszimmer verbracht hatte. Außerdem knurrte ihr Magen.

 

Fatimas Essen schmeckte unbestreitbar hervorragend, und Abdul wurde es nicht müde, bei jedem neuen Gang zu erwähnen, wie sehr Lord Peacock Fatimas Essen geschätzt hatte. Es gab Gerichte, die Patricia noch nie gesehen hatte. Besonders die Bällchen aus Kichererbsen mit dem sonderbaren Namen Falafel waren köstlich. Nach dem dritten Gang hatte Patricia allerdings das Gefühl, keinen Bissen mehr herunterzubekommen. Als Abdul den vierten Gang auftrug, Entenbrust auf einem Gemüsebett, hob sie abwehrend die Hände. „Es ist genug, Abdul.“

Er sah sie überrascht an. „Aber Sie haben ja kaum etwas gegessen. Kein Wunder. Ihr Fischknochenkäfig lässt ja kaum Platz dafür. Sie sind viel zu dünn, Memsahib.“

„Es ist sehr unhöflich, über die Figur einer Frau zu reden, wenn sie anwesend ist, Abdul.“

Er zuckte die Schultern, sich einmal mehr keiner Schuld bewusst. Sir Tiny, der neben der Tür gelegen hatte und nun offensichtlich mitbekam, dass Patricia nicht vorhatte, die Entenbrust zu essen, sah seine Chance und robbte an den Tisch heran, bis sein großer Kopf auf der Tischplatte lag. Von dort sah er Patricia mit dem traurigsten Hundeblick an, den sie jemals gesehen hatte.

„Sehen Sie nur, Memsahib. Sir Tiny ist auch ganz traurig, dass Sie nicht genug essen.“

„Er macht sich weniger Sorgen um mich als um die Ente“, gab Patricia zu bedenken, nahm ein Stück Fleisch und hielt es Sir Tiny hin. Er schnappte es sich, nur um sie danach erneut unglücklich anzusehen.

Nachdem die gesamte Ente in Sir Tinys scheinbar unersättlichem Magen verschwunden war, stand Patricia auf und ließ sich von Salima, die mittlerweile vom Mena Hotel zurück war, das Gästezimmer zeigen. Sprachlos betrachtete sie die beiden Schrankkoffer.

„Salima, ich wollte nur meine Reisetasche …“

„Oh, es tut mir leid. Ich dachte, ich sollte das gesamte Gepäck bringen lassen.“

„Ich bin ziemlich sicher, dass ich nur nach der Reisetasche verlangt habe.“

Salima sah sie mit unschuldigem Blick an, den Patricia ihr nicht abnahm. Dieses Mädchen hatte es faustdick hinter den hübschen Ohren.

„Kümmere dich darum, dass die Sachen morgen zurück ins Mena Hotel gebracht werden.“

„Ach je, Miss Peacock. Ich dachte, Sie hätten mir aufgetragen, Ihre Suite im Hotel zu kündigen. Ich bin so furchtbar dumm! Bitte verzeihen Sie mir.“

Das war doch nicht zu fassen! Dieses Hauspersonal war die hintertriebenste Dienerschaft, die ihr jemals untergekommen war.

„Dann wirst du morgen früh eben im Mena Hotel Bescheid geben, dass die Kündigung ein Irrtum war und ich meine Suite durchaus benötige.“

Wieder setzte Salima einen bedauernden Blick auf. „Es ist nur so, dass gerade Hauptsaison ist und Zimmer im Mena Hotel sehr gefragt; auch wegen des Fundes im Tal der Könige. Ich fürchte, Ihre Suite wird morgen längst neu vermietet sein.“ Salima lächelte versöhnlich. „Was für ein Glück, dass Ihr Vater Ihnen dieses Haus hinterlassen hat, sonst wären Sie jetzt obdachlos.“

Patricia kniff die Augen zusammen, und Salima fiel plötzlich ein, dass sie noch ihrer Mutter in der Küche helfen musste.

„Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht, Miss Peacock …“, rief sie und war verschwunden.

Patricia war zu müde und zu satt, um sich aufzuregen. Auch dafür wäre morgen noch Zeit.

In einer Ecke stand ihr Sonnenschirm, dessen Seide nun Wasserflecken aufwies. Er war ruiniert, und sie erleichtert, dass sie noch einen Zweiten im Gepäck hatte.

Sie schlüpfte aus dem Kleid, öffnete die Schließen des Korsetts und genoss das Gefühl, frei atmen zu können. Manchmal wünschte Patricia sich, ihr Leben im Bett verbringen zu können – mit nichts am Körper außer einem Hauch von Seide. In ihrer Reisetasche fand sie das hellblaue Nachthemd, schlüpfte hinein und fiel dann müde ins Bett. Sie löschte die elektrische Lampe auf dem Nachttisch und stellte fest, dass ihr Vater in seinem Brief untertrieben haben musste, was sein Vermögen anging. Elektrisches Licht konnte sich nicht jeder leisten, und soweit sie es hatte sehen können, war das gesamte Haus mit elektrischem Licht ausgestattet. Nun – was immer ihr Vater hier getan hatte, wie er gelebt hatte … sie würde es herausfinden … bis auf das letzte Geheimnis! Das war er ihr schuldig, nachdem er einfach aus ihrem Leben verschwunden war. Der Brief ihres Vaters hatte bei ihr mehr Fragen aufgeworfen, als Antworten gegeben.

Patricia schloss die Augen und wäre schnell eingeschlafen, wenn nicht ein Winseln vor der Tür sie aufgeschreckt hätte.

„Oh nein! Verschwinde auf deine Decke im Salon!“, rief sie laut Richtung Tür. Das Winseln verstummte kurz, setzte dann aber erneut an.

Entschlossen warf Patricia die Bettdecke zurück, stand auf und ging zur Tür, um sie einen Spalt weit zu öffnen.

Sir Tinys Hundegesicht sah sie mit erwartungsvollem Blick an.

„Husch! Geh auf deine Decke!“, wies sie ihn an und schloss erneut die Tür.

Kaum lag sie im Bett, begann Sir Tiny mit den Pfoten an der Tür zu kratzen.

Patricia zwang sich dazu, ihn zu ignorieren. Auf keinen Fall würde dieser Hund in ihrem Zimmer schlafen! Wo käme sie denn da hin? Sie war nicht Lady Blanford, die Princess einen weißlackierten Hundekorb mit goldenem Namensschild ins Schlafzimmer stellte.

Patricia hielt zehn Minuten durch, in der sinnlosen Hoffnung, dass Sir Tiny aufgeben würde, dann stand sie auf, ging zur Tür und ließ ihn ins Schlafzimmer. „Aber du bleibst in deiner Ecke!“

Schwanzwedelnd trabte Sir Tiny ins Zimmer und ließ sich von ihr in die Ecke dirigieren, die am weitesten vom Bett entfernt war. Dort rollte er sich zusammen und legte zufrieden den Kopf auf die Pfoten.

Patricia ging zurück ins Bett und zog die Decke bis zum Hals. Als Fazit dieses Tages musste sie sich eingestehen, dass sie so weit davon entfernt war, den Hausstand ihres Vaters aufzulösen, wie man nur sein konnte.