Leseprobe Mord zur Cocktailparty

Kapitel 1

Die Spannung stieg höher als ein kunstvoll zubereitetes Soufflé.

Messer blitzten, Fleisch wurde zerlegt, Zutaten gehackt, Mischungen angerührt und Speisen zusammengestellt, und das alles mit einer Erfindungsgabe, die an Verzweiflung grenzte. Das Finale des Kochwettbewerbs war in vollem Gang.

Darina Lisle beobachtete eine der Teilnehmerinnen, die Petersilie hackte und dabei das schwere Messer mit raschem und sicherem Geschick führte, sodass die grünen, gekräuselten Blättchen in kürzester Zeit zerkleinert waren. Eine Knoblauchzehe wurde geschält, ebenfalls kleingehackt, und dann wurden die beiden Zutaten wie durch Zauberei mit einigen kreisenden Bewegungen der breiten Messerschneide vermischt. Sie war eine zierliche, junge Frau mit einem Schopf glatter, blonder Haare, die im Nacken kurzgeschnitten waren. Eine große, weiße Schürze bedeckte fast ihren ganzen Körper, die Bänder hatte sie sich um die schlanke Taille gewickelt und über ihrem flachen Bauch zu einer ordentlichen Schleife gebunden.

Der Wettbewerb wurde von einer namhaften Import- und Handelsfirma für Spezialspeiseöle gesponsert, die damit das Ansehen ihrer Produkte in der englischen Gastronomie fördern wollte. Die Teilnehmer hatten die Aufgabe, ein dreigängiges Menü zu kochen und dabei nicht weniger als vier verschiedene Sorten Speiseöl zu verwenden. Die Vorentscheidungen hatten aus der Zubereitung zweier Gerichte bestanden. Jetzt, in dem exquisiten, mit himmelblauem und cremefarbenem Porzellan dekorierten Lancaster Room des Savoy Hotels, arbeiteten die acht Kandidaten der Endrunde angestrengt an der Fertigstellung eines neuen Menüs, und ihre Kreativität wurde durch den Zeitdruck auf eine harte Probe gestellt.

Darina empfand tiefes Mitleid mit einem jungen Mann, der mit einer selbstgefertigten Pasta zu kämpfen hatte. Jedes Mal, wenn er den Teig durch die Edelstahlwalzen des Geräts passierte, klebte er zusammen oder zerfranste auf unerklärliche Art und Weise in kurze, dünne Schnüre. »Lassen Sie den Teig noch einmal ungefähr zwanzig Minuten stehen«, flüsterte sie ihm zu, aber er schien taub für ihren Rat zu sein. Krabbenravioli mit einer Soße aus Haselnussöl, die Pasta mit Olivenöl angerührt, besagte seine Menükarte, die auf einem elegant gedeckten Tisch stand. Sie ging und las die Liste seiner anderen Gänge: eine Fischmousseline mit Pistazienöl an Kartoffelrösti mit Olivenöl, als Beilage gemischter Salat mit einem Dressing aus Walnussöl, gefolgt von einem Dessert aus Profiterolen, die mit Erdnussöl statt Butter zubereitet waren. Sie sah auf ihre Armbanduhr, stellte fest, dass die Zeit für den Wettbewerb zur Hälfte abgelaufen war, ohne dass der Kandidat mit der Zubereitung des Backwerks oder der Fisch-Schaumbrote begonnen hätte, seufzte innerlich und machte eine Anmerkung unter der Rubrik »Arbeitsmethode«.

Sie ging an der Reihe der provisorischen Kochnischen entlang, die sich in dem reichverzierten Ballsaal wie kleine Turnierzelte ausnahmen und gelangte zu einem langen Tisch in der Mitte des Saales, an dem die anderen Mitglieder der Jury saßen, Mineralwasser tranken und ihre Bewertungen notierten.

»Da kann es ja wohl kaum einen Zweifel geben, wer die Gewinnerin sein wird«, sagte der Fernsehmoderator einer morgendlichen Talkshow. Mit einer Mischung aus einschüchterndem Charme und der Fähigkeit, noch die verschlafensten Prominenten angeregt plaudern zu lassen, animierte er derzeit Millionen von Zuschauern dazu, den Tag etwas weniger mürrisch als sonst zu beginnen. Ohne Anspruch zu erheben, Experte auf dem Gebiet der Kochkunst zu sein, bestand seine Rolle bei diesem Wettbewerb darin, den Geschmack der breiten Öffentlichkeit zu repräsentieren. Er führte seinen Bleistift mit schwungvoller Geste über den Bewertungsbogen, der in die Rubriken »Menüauswahl«, »Wahl der Zutaten«, »Arbeitsmethode«, »Präsentation« und »Geschmack der Speisen« unterteilt war.

Darina folgte seinem Blick zu der Stelle, wo eine der Teilnehmerinnen Hühnerleber und Schinkenspeck für ihren Salade tiède mit Haselnussöl vorbereitete.

»Sie scheint ihre Sache sehr gut zu machen«, stimmte ein weiteres Mitglied der Jury zu, ein Meisterkoch, der ebenso für seine persönliche Erscheinung wie für sein Essen berühmt war, »aber dieser Salat ist einfach banal.«

»Ich habe während der Vorausscheidungen die Erfahrung gemacht, dass man nur allzu oft meint, der Sieger stehe bereits fest, bis man dann tatsächlich die Gerichte probiert«, sagte der elegante junge Geschäftsführer der Speiseölfirma, die den Wettbewerb ausrichtete. »Und plötzlich muss man die eigenen Bewertungen völlig revidieren.«

»Zumindest hat sie ihre Tagliatelle richtig vorbereitet«, bemerkte der Fernsehmoderator, der sich in seinem Stuhl zurückgelehnt hatte und seinen Blick zuerst auf dem kleinen Haufen gekräuselter Pastastreifen auf einer Seite der Arbeitsfläche und dann auf dem üppigen Busen ruhen ließ, der sich unter dem tiefausgeschnittenen Strickkleid wölbte. Dunkle Locken umrahmten ein rundes Gesicht, das recht alltäglich wirkte, aber mit großen, braunen Augen und weichen, vollen Lippen gesegnet war. Er fing ihren Blick auf, zwinkerte ihr ermutigend zu und ließ seinen Blick dann zum Ende der Reihe wandern, wo der junge Mann inzwischen den Kampf mit seiner Pasta aufgegeben hatte und dabei war, Wasser und Öl für die gebackenen Profiterolen mit Schokoladensoße zu erhitzen. In seinen Augen lag Panik, und die Haare standen ihm buchstäblich zu Berge.

Die Teilnehmer der Endrunde waren eine gemischte Gruppe. Eine Frau mittleren Alters sah aus, als verbringe sie den größten Teil ihres Lebens damit, an einem Holzkohleherd zu stehen, frisch geerntetes Gartengemüse zuzubereiten und dazu eine Soße anzurühren, für die sie eine erstaunliche Menge ausgefallener Zutaten verwendete.

Ein älterer Geistlicher, vollkommen blind für das hektische Treiben um ihn herum, schälte langsam und vorsichtig die verbrannte Haut von seinen gebackenen Paprika. Ein junges Mädchen mit wildentschlossenem Auftreten träufelte Olivenöl über ihr Ratatouille. Und eine ältere Dame, die wie eine Bilderbuch-Großmutter aussah, rührte ein Dressing an, das Sesamöl und Sesamsamen enthielt.

Darina warf noch einen Blick auf die verschiedenen Menükarten, weil sie wissen wollte, wie die Teilnehmer das Problem gelöst hatten, auch für das Dessert ein Spezialöl verwenden zu müssen. Der Geistliche hatte es umgangen, indem er als Nachspeise einen Salat mit in Olivenöl mariniertem Ziegenkäse servierte, der mit Walnussöl angemacht war. Die meisten hatten sich zu einem Mousse entschlossen, das in einer mit Mandelöl bestrichenen Form serviert wurde. Nur eine ruhige Mittdreißigerin mit einem unscheinbaren Gesicht, einer wenig schmeichelhaften, viel zu schweren Schildpattbrille und streng nach hinten gekämmten Haaren hatte sich für ein Walnuss-Honig-Baklava entschieden. Es stand nun neben ihrem Ofen, und die mit Walnuss- und Erdnussöl statt mit Butter beträufelte, goldbraun glänzende Oberfläche ließ Darina das Wasser im Mund zusammenlaufen. Dann seufzte sie leise, als sie daran dachte, wie viele Kalorien sie mit dem Probieren dieser Nachspeise wohl zu sich nehmen würde. Sogar wenn sie nur einen kleinen Bissen von jeder der acht Vorspeisen, acht Hauptspeisen und acht Desserts kostete, ergab es eine erschreckende Gesamtsumme. Wenn man beruflich mit Essen zu tun hatte, bedeutete dies einen ständigen Kampf zwischen Versuchung und Übergewicht.

Die Bitte, bei diesem Wettbewerb als Schiedsrichterin zu fungieren, hatte Darina überrascht. Sie hatte nicht gewusst, dass sie in der Welt der Gastronomie bereits einen Namen hatte. Nach dem Erfolg ihres ersten Buches hatte ihr die Tageszeitung, in der bereits eine Reihe ihrer Artikel veröffentlicht worden waren, eine regelmäßige Kolumne angeboten. Dann war sie in den Verband der Gourmetkritiker aufgenommen worden, und nun landete in ihrem Briefkasten eine stetig anschwellende Flut von Einladungen zu Veranstaltungen aller Art, vom Wurstfrühstück auf der Themse bis zu einem Wochenendseminar über Lachsfischen in Schottland. Ganz zu schweigen von den zahllosen Einladungen in Restaurants, die anscheinend nicht imstande waren, ohne ihre Schirmherrschaft zu existieren.

Und all das hatte sich zufällig ergeben. Man hatte sie gefragt, ob sie einen Kochbuchklassiker überarbeiten und aktualisieren wolle, den ihr Cousin vor etwa fünfundzwanzig Jahren verfasst hatte. Schon immer hatte sich das Buchrecht gut verkauft, doch nun versprachen sich seine Verleger durch das neuerwachte Interesse, das der Mord an dem Autor ausgelöst hatte, noch höhere Verkaufszahlen. Nachdem sie das Rätsel um seinen Tod gelöst hatte, schien Darina die Überarbeitung des Buches eine interessante Herausforderung zu sein, zumal ihr die Zeit günstig schien. Sie hatte einen erfolgreichen Catering-Service aufgegeben, um sich den Traum vom eigenen Hotel zu erfüllen. Doch ein weiterer Mordfall hatte ihre Pläne durchkreuzt, und schließlich war sie sich nicht mehr sicher, in welche Bahnen sie ihre Karriere nun lenken sollte. Das Buch hatte ihr in dieser Hinsicht einen nützlichen Anstoß gegeben, und sie hatte mit dem Schreiben ein neues und fesselndes Interesse entdeckt. Die Zeit zwischen dem Abschluss ihrer Arbeit und der Veröffentlichung hatte sie damit verbracht, Artikel zu schreiben, von denen eine überraschend große Anzahl angenommen wurde, und das war der erfolgreiche Start zu einer neuen Karriere gewesen.

Sie vervollständigte ihre Beurteilungen in einer weiteren Rubrik auf dem Bewertungsbogen. Jetzt gab es nichts weiter zu tun, als zu warten, bis die Kandidaten ihre Speisen servierten, und die hektischen Vorbereitungen für das Finale und das Publikum zu beobachten.

Hinter einer seidenen Kordel, die als Absperrung diente, standen einige Stative mit Fernsehkameras und Fotoapparaten, sowie eine Reihe von Journalisten und Gästen.

Die PR-Abteilung des Sponsors hatte offensichtlich gute Arbeit geleistet, denn die Vertreter der Medien waren in beachtlicher Zahl erschienen, und Darina entdeckte unter ihnen einige prominente Gesichter. Aber sie war mehr an den Gästen der Wettbewerbsteilnehmer interessiert. Gespannt wartende Verwandte und Freunde saßen an den runden Tischen, die zum Mittagessen gedeckt waren, tranken den ausgezeichneten Wein des Hauses oder gingen mit kleinen Kameras in den Händen herum, beugten sich über die Absperrung und versuchten, ihren Kandidaten abzulichten.

Ihr Blick blieb auf dem Gesicht eines Mannes haften, das durch eine eigentümliche Kombination aus Intelligenz und Humor bestach. Anfang dreißig, schätzte sie. Kohlrabenschwarze Augen glitzerten im Licht der Scheinwerfer, und das dunkle, drahtige Haar auf dem runden, kräftigen Schädel war kurzgeschnitten. Er machte eine Aufnahme von der jungen Frau in der großen, weißen Schürze. Als sie ihm einen raschen Blick zuwarf, grinste er und signalisierte ihr mit aufwärtsgerecktem Daumen, dass alles prima lief.

Der Starkoch war neben Darina getreten, winkte und rief: »Simon, schön, Sie zu sehen. Ich komme später zu Ihnen.«

Der junge Mann winkte ihm zu und kehrte dann zu seinem Platz an einem der Tische für die Gäste zurück. Zwei Frauen saßen auf der anderen Seite des Tisches, und es war offensichtlich, dass sie mehr von ihm trennte als nur die Stühle, die zwischen ihnen standen. Froh, dass sie nun wenigstens die Familie einer der Teilnehmerinnen identifizieren konnte, nahm Darina ihre Mitglieder etwas näher in Augenschein.

Die ältere der beiden Frauen trug eine schlammfarbene Bluse, die gut zu ihrem wettergegerbten Gesicht passte. Sie sah aus, als seien ihre Nerven zum Zerreißen gespannt. Ihr besorgtes Gesicht wurde von feinem, weißem Haar umrahmt. Während Darina sie betrachtete, beugte sich die jüngere Frau zu ihr hinüber und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Im Nebeneinander der beiden Gesichter zeigte sich eine auffallende Ähnlichkeit, die sich allerdings nicht in den Gesichtszügen der jungen Köchin wiederfand. Keine der beiden Frauen beachtete den jungen Mann an ihrem Tisch.

In diesem Moment ertönte die Durchsage, dass die Kandidaten noch zehn Minuten Zeit hätten, um ihre Gerichte fertigzustellen.

Der junge Mann mit den abstehenden Haaren unterbrach seine Versuche, die Ravioli zu füllen, nahm ein kümmerlich aussehendes Backwerk aus dem Ofen, knallte wütend das Blech auf die Arbeitsfläche, riss sich die Schürze herunter und marschierte auf die großen Flügeltüren zu, sich seinen Weg durch die Kameramänner und Journalisten bahnend und einen der Organisatoren des Wettbewerbs zur Seite stoßend. Im Hintergrund des Ballsaals löste sich ein anderer Mann aus der Gruppe der Gäste und eilte dem erfolglosen Koch hinterher.

Die übrigen Teilnehmer richteten mit unglaublicher Geschwindigkeit ihre Speisen an und gaben ihnen in verzweifelter Eile den letzten Schliff – die meisten Gesichter waren bleich vor Aufregung und Erschöpfung.

Darina verfolgte das alles mit Grausen und Mitleid. So sehr sie selbst daran gewöhnt war, unter Zeitdruck zu kochen, kam ihr doch der zusätzliche Erfolgszwang des Wettbewerbs unerträglich vor. Warum taten sie sich das an? Was war es, das all die Spannung und das Risiko öffentlicher Blamage wettmachte? Aber sie kannte die Antwort. Der Sieg bedeutete in den meisten Fällen den Anfang einer steilen Karriere. Es würde Angebote geben, Kochbücher oder Artikel zu schreiben und durch die Medien bekanntzuwerden. Für einen kreativen Koch, der darum kämpfte, sich einen Platz in der heiß umkämpften Welt der Gastronomie zu verschaffen, bot der Sieg in einem so renommierten Wettbewerb wie diesem eine unbezahlbare Chance. Aber wieviel Energie und Entschlusskraft waren nötig, um endlich das Siegerpodest zu erklimmen!

Eine Glocke zeigte an, dass die Zeit für das Anrichten der Menüs abgelaufen war. Darina und die anderen Mitglieder der Jury bewaffneten sich mit ihrem Sortiment an Bestecken und näherten sich mit Spannung den Kochnischen.

Nachdem sie von allen Gerichten ausgiebig gekostet hatten, zogen sie sich schließlich in einen Nebenraum zurück. Dort sammelte einer der Organisatoren ihre Bewertungsbögen ein, und dann wurde eine Flasche Champagner entkorkt.

»Es ist wirklich erstaunlich«, sagte der Fernsehmoderator nahm einen tiefen Schluck und hielt das Glas zum Nachschenken in die Höhe, »aber das Probieren hat meine Rangordnung tatsächlich völlig durcheinandergebracht.«

»Ich wusste gleich, wer gewinnen würde«, meinte der Starkoch, der seinen Champagner mit Kennermiene genoss. »Außergewöhnliche Zusammenstellung, hervorragender Geschmack, im Stil einfach, und doch eigenwillig und in der Technik perfekt.«

»Genau, keine Nouvelle Cuisine, wie sie uns allen schon zum Halse heraushängt, und dabei sah alles genauso köstlich aus, wie es auch schmeckte. Was meinen Sie?« Der junge Geschäftsführer der Speiseölfirma wandte sich an Darina.

Sie stimmte zu und sagte, dass sie besonders die erfindungsreiche Verwendung von Speiseölen an Stelle von Milchprodukten beeindruckt habe. Sie fragte den Geschäftsführer, ob er mit dem Ergebnis zufrieden sei.

»Absolut. Der Wettbewerb hat uns all das gebracht, worauf wir gehofft hatten. Dem Himmel sei Dank! Schließlich haben wir eine hübsche Summe investiert – das Doppelte unseres üblichen Werbebudgets! Aber was die Publicity angeht, hat sich der Wettbewerb bereits bezahlt gemacht, und das war bestimmt noch nicht alles. Ich bin sicher, dass wir damit eine Lanze für den Speiseöl-Konsum gebrochen haben. Und ich bin sehr zufrieden mit den Rezepten, die wir prämiert haben. Sie sind genau richtig für unsere neue Broschüre, interessant und originell, ohne abschreckend kompliziert zu sein.« Der erste Preis beinhaltete auch die Veröffentlichung des Menüs unter dem Namen des Siegers in einer Werbebroschüre für die Produkte der Firma.

»Ich würde an Ihrer Stelle vor der Veröffentlichung überprüfen, ob es sich tatsächlich um eigene Kreationen handelt«, warnte der Starkoch. »Ich bin sicher, dass ich diese Heringsfilets in Haselnusssoße von irgendwoher kenne.«

»Aber doch nicht genau die gleichen, hoffe ich? Das wäre äußerst unangenehm, wenn es Probleme mit dem Urheberrecht gäbe.«

Der Koch verzog skeptisch den Mund. »Es ist beinahe unmöglich, nachzuweisen, dass es sich um ein Plagiat handelt, sofern die Zutaten nicht absolut identisch und das Rezept nicht völlig gleichlautend sind. Trotzdem passiert es ständig. Einige Köche verbringen Tage mit der Ausarbeitung ihrer Ideen für ein erfolgreiches Gericht, und dann wird es von irgendjemandem kopiert und ohne ein Wort der Anerkennung unter neuem Namen veröffentlicht.«

Der Firmenvertreter versprach hastig, dass man das überprüfen werde und begann dann, liebevoll die verschiedenen Speiseöle zu beschreiben, die für die prämierten Gerichte verwendet worden waren.

»Haselnuss für den Fisch, natürlich Sesam für das marinierte Fleisch, und war dieses Öl aus Zitrone und frischem Ingwer nicht phantastisch? Aber was wurde für diese kleinen Scheiben aus gebackenem Pastinak mit Pistazien verwendet?«

»Eine Mischung aus Kürbiskern und Erdnuss«, sagte Darina nach einem Blick in ihre Notizen. »Ungewöhnlich, aber sehr wirkungsvoll. Und besonders köstlich fand ich die Nachspeise.« Die Pfirsichhälften waren in Mandelöl und braunem Zucker karamellisiert und mit einem Pfirsichsorbet serviert worden, dessen kühle Frische das vollmundige Aroma der Früchte wunderbar kontrastiert hatte.

Es entstand eine kurze Stille, während die Jurymitglieder sich genießerisch an die bestplatzierten Speisen erinnerten.

Der Mann vom Organisationskomitee strahlte. »Also eine ganz eindeutige Entscheidung. Ich mag es nämlich nicht, wenn nur ein Viertelpunkt zwischen dem ersten und dem zweiten Platz liegt, aber damit haben wir hier ja kein Problem. Schade, dass Nummer Acht schon vorher aufgegeben hat.«

»Der hat sich doch hoffnungslos überschätzt«, meinte der Koch. »Dabei hat er vorher sicher noch nicht einmal das Timing geübt, und sein Menü war entsetzlich unausgewogen.«

Wenig später kehrten sie in den Ballsaal zurück, wo Profis und Amateure noch immer damit beschäftigt waren, die Gerichte abzulichten, die, obwohl durch das Probieren bereits ein wenig geplündert, immer noch ungemein appetitlich aussahen.

Darina blieb neben den anderen Jurymitgliedern stehen. Über einen Meter achtzig groß auf ihren hohen Absätzen, überragte sie alle, bis auf den Speiseölhändler. Endlich hatte sie sich mit ihrer Größe abgefunden und aufgehört, sie mit möglichst unauffälliger Kleidung kaschieren zu wollen. An diesem Tag trug sie ein hellgrünes Leinenkostüm mit einem weißen, ärmellosen Oberteil, und ihr langes, blondes Haar wurde von zwei grünen Spangen aus dem Gesicht gehalten.

Der Geschäftsführer übernahm das Mikrofon, dankte allen Teilnehmern und Organisatoren und verlas die Preise: eine Kiste mit verschiedenen Spezialspeiseölen seiner Firma für alle Teilnehmer, dritter Preis ein Abendessen für Zwei in einem der besten Restaurants der Stadt, zweiter Preis ein zweitägiger Kochkursus in einem Drei-Sterne-Restaurant, und der erste Preis war ein einwöchiger Kursus sowie eine Reise für zwei Personen zu einem der bekanntesten Ölhersteller in der Toskana, und schließlich die Präsentation der Rezepte in der nächsten Werbebroschüre.

Die hoffnungsvollen Kandidaten standen neben ihren Kochnischen, ein starres Lächeln auf den Gesichtern, die Hände spielten verräterisch mit einem Messer oder einem Löffel oder waren tief in den Taschen vergraben. Die Frau mit der Schildpattbrille zwinkerte nervös mit den Augen. Das Mädchen mit den dunklen Locken und der sensationellen Oberweite strich sich mit der Zunge rasch über die vollen Lippen, und die junge, blonde Frau in der großen, weißen Schürze hatte den Blick unverwandt auf den Fußboden geheftet und schien in einen Zustand verfallen zu sein, der an Lähmung grenzte. Nur der junge Mann, der fluchtartig die Arena verlassen hatte und nun wieder aufgetaucht war, wirkte ganz entspannt. Er lehnte lässig an seinem Herd, hatte ein Whiskyglas in der Hand und blickte gleichgültig in die Runde.

Der dritte Platz ging an die Bilderbuch-Großmutter. Ihr Gesicht zeigte völlige Überraschung und unbändige Freude, und sie erhielt herzlichen Applaus, als sie ihren Preis entgegennahm. Den zweiten Preis erhielt die junge Frau mit der Brille, die ähnlich überrascht reagierte.

Es blieben noch fünf Köche übrig. Das Mädchen, das vorher so entschlossen gewirkt hatte, schien nun in einem Zustand zwischen Besorgnis und Verzückung zu sein, ebenso wie das Mädchen mit den dunklen Locken. Die Dame mittleren Alters wirkte resigniert, der ältere Geistliche schien im Stillen zu beten, und das Gesicht der jungen Frau war nun ebenso weiß wie ihre Schürze.

Der Vertreter der Sponsorenfirma zögerte einen Moment, um die Spannung noch aufzubauen, bis Darina es selbst kaum noch aushielt.

»Und die Siegerin, die einige der phantasievollsten und köstlichsten Gerichte gekocht hat, die die Mitglieder der Jury je gekostet haben, ist ...« Noch eine Pause, dann endlich: »Verity Fry.«

Einen Moment lang passierte gar nichts, dann schüttelte die junge Frau in der weißen Schürze verwirrt den Blondschopf, ihr Gesicht verzog sich zu einem breiten Lächeln und sie verschränkte die Hände über dem Kopf wie ein triumphierender Boxer. Als sie vortrat, drängten die Kameramänner mit Ellbogenstößen auf sie zu.

Darina warf einen Blick auf die Verlierer, die unbeachtet in ihren Kochnischen zurückblieben. Das entschlossene Mädchen stand regungslos da, als könne sie nicht glauben, dass sie mit leeren Händen ausgegangen war, abgesehen von der Kiste Spezialspeiseöl. Dann verschwand sie aus Darinas Blickfeld, als sich ihre Familie tröstend um sie scharte. Der Geistliche seufzte tief und wurde von seiner Frau in eine innige Umarmung gehüllt. Die Frau mittleren Alters zuckte mit den Schultern, zog ein paar Kisten unter ihrer Arbeitsfläche hervor und begann, ihre Küchengeräte einzupacken. Das Mädchen mit den dunklen Locken kämpfte mit den Tränen und räumte ihre Sachen mit zitternden Händen zusammen. Die Anwesenheit des bekannten Fernsehmoderators, der zu ihr getreten war, um sie zu trösten, ignorierte sie vollkommen.

Der Starkoch schüttelte die Hand des dunkelhaarigen, jungen Mannes, der die Siegerin fotografiert hatte.

»Simon, mein Junge, wie schön, Sie wiederzusehen. Wie läuft’s denn so im finsteren Somerset? Lamington, nicht wahr? Ich habe begeisterte Kommentare über Ihr Restaurant gehört.«

»Es ist ein mühsamer Kampf, Meister, aber es könnte sein, dass ich ihn gewinne. Zumindest scheinen die Gourmetkritiker auf meiner Seite zu sein. Sagen Sie, war das eine schwere Entscheidung heute?«

»Überhaupt nicht, die Siegerin stand eindeutig fest. Sind Sie mit ihr befreundet?«

Der junge Mann lächelte einnehmend. »Sie hat mal für mich gearbeitet. Nicht als Köchin, sondern als Empfangsdame, aber sie hat auch hinter den Kulissen mitgeholfen. Großartiges Mädchen.« Er warf einen Blick zu Verity Fry, die inzwischen von Journalisten und Kameraleuten umringt war, die sie aufforderten, zu posieren, sich neben ihre Gerichte zu setzen, einen Bissen zu essen, ein Interview zu geben und noch ein weiteres Mal ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Sie schaffte das alles mit spielender Leichtigkeit und schien sogar einen Riesenspaß daran zu haben.

Der Koch wandte sich an Darina. »Darf ich Ihnen Simon Chapman vorstellen? Er hat seine Ausbildung bei mir gemacht und gehört heute zu den vielversprechendsten jungen Köchen. Simon, das ist Darina Lisle. Sie ist Mitglied der Jury und eines unserer aufstrebenden, neuen Kritikertalente.«

Darina schüttelte Simon Chapmans ausgestreckte Hand. »Ich bin oft in Somerset, und ich habe auch schon in Ihrem Restaurant gegessen. Es war phantastisch.« Sofort wollte er von ihr wissen, wann sie dort gewesen sei und was sie gegessen habe, und dann fachsimpelten die drei eine Weile.

»Habe ich recht gehört«, fragte der Meisterkoch, »dass Sie ein Buch schreiben, Simon?«

»Tja, ich fürchte, ich trage damit meine Schulden ab. Ich habe mich von einem Verleger breitschlagen lassen, nachdem ich Ende letzten Jahres den Preis für das beste Restaurant des Jahres bekommen habe. Und außerdem war ich noch verrückt genug, mir einen Vorschuss geben zu lassen, also nehme ich an, dass ich nun auch die Ware liefern muss. Ich stelle fest, dass es um ein Vielfaches schwieriger ist, Rezepte niederzuschreiben, als sie zu kreieren.«

»Was Sie brauchen, ist die Hilfe eines Experten, das habe ich beim Schreiben meines ersten Buches festgestellt. Ich hatte auch diese Probleme mit der korrekten Auflistung der Zutaten und dem Erklären der Arbeitsmethode, ganz zu schweigen von den Texten über die Rezepte selbst. Warum fragen Sie nicht Darina hier um Rat?« Der Koch ließ diese Bemerkung im Raum stehen, als er sich umdrehte und verschwand, um mit einem anderen Kollegen zu plaudern.

Simon Chapman musterte Darina nachdenklich. »Das klingt wie eine gute Empfehlung. Wie wär’s? Ich biete Ihnen freie Mahlzeiten an. Aber ich will Sie keinesfalls überrumpeln.« Sein Lächeln war schelmisch.

»Ein Essen bei Ihnen ist ein Angebot, dem man kaum widerstehen kann. Aber ich schreibe im Moment selbst an einem Buch, und ich weiß nicht, wieviel Zeit ich die nächsten Monate in Somerset verbringen werde.«

»Dann lade ich Sie aber auf jeden Fall zu einem Essen auf Kosten des Hauses ein«, drängte er. »Und vielleicht geben Sie mir dabei die Chance, Sie umzustimmen.«

Darina lachte und versprach, zu kommen, wenn sie das nächste Mal in Somerset war, und das meinte sie ganz aufrichtig.

»Simon, Liebling! Wir haben gewonnen!« Verity schlang ihre Arme um seinen Hals, zog seinen Kopf zu sich herunter und gab ihm einen schmatzenden Kuss. »Oh, es ist so wunderbar, ich kann’s gar nicht glauben, und ohne dich hätte ich das nie geschafft.« Sie löste sich aus seiner Umarmung und wandte sich an Darina. »Vielen, vielen Dank, ich bin immer noch so aufgeregt und weiß gar nicht, was ich sagen soll.«

Ihr schmales Gesicht strahlte vor Freude. Sie hatte ihre weiße Schürze abgelegt, und darunter kam ein geschmeidiger Körper in einem bunten T-Shirt und Caprihosen zum Vorschein. Dass ihre Nase im Vergleich zum Gesicht ein wenig zu groß war, sah man erst auf den zweiten Blick. Vielleicht war es ihre Lebhaftigkeit, das Leuchten ihrer blauen Augen, oder ihre Haare, so voll und hell, die ihr, ungemein raffiniert geschnitten, schräg in die breite Stirn fielen; jedenfalls machte sie den Eindruck einer Schönheit, den sogar die Nase, wenn man sie überhaupt bemerkte, nicht auslöschen konnte.

»Darina verbringt viel Zeit in Somerset, sie wird mir bei meinem Buch helfen.« Simon lächelte das Mädchen an.

»Das wollen Sie tun? Großartig! Kommen Sie, ich stelle Sie meiner Mutter und meiner Schwester vor.«

Verity Fry nahm Darina bei der Hand und zog sie durch das Gedränge von Leuten, die ihr gratulieren wollten, zu ihrer Kochnische, wo die beiden Frauen, die Darina bereits vorher aufgefallen waren, die Küchenutensilien zusammenpackten.

»Mutter, Pru, ich möchte euch Darina Lisle vorstellen. Ihr habt doch sicher schon ihre Kochkolumne im Recorder gelesen, sie ist fabelhaft.«

Die ältere Frau legte ein Sortiment Kochlöffel auf den Boden eines viereckigen Weidenkorbs und wischte sich automatisch die Hand am Rock ab, bevor sie sie Darina hinhielt und sich als Constance Fry vorstellte. Vor der Bekanntgabe der Siegerin hatte ihr markantes Gesicht vor mühsam unterdrückter Spannung so streng wie das einer römischen Statue ausgesehen, aber jetzt glühte es vor Stolz. Sie streckte die Hand aus und strich ihrer Tochter über den Blondschopf. »Ich gratuliere dir, mein Mädchen, du warst großartig.« Ihre Stimme hatte einen warmen, gutturalen Somerset-Klang.

»Und das ist meine Schwester Pru.« Verity wies auf die junge Frau, die schweigend einige Schalen in den Korb packte.

Prus Gesichtszüge waren so markant wie die ihrer Mutter. Mit ihrer olivbraunen Haut und den kurzen, dunklen Haaren wirkte sie ein wenig südländisch. Als sie Darina knapp und ohne Herzlichkeit begrüßte, hörte man auch ihren Vokalen an, dass sie aus Somerset kam, während der Akzent ihrer Schwester eher nach London als nach einer ländlichen Herkunft klang.

Veritys Aufmerksamkeit wurde nun von einem Journalisten in Anspruch genommen, und Darina fand sich allein mit den beiden Frauen. Sie plauderte munter über Veritys Menü, die Rezepte und die hervorragende Qualität der Zutaten. Als sie das Fleisch erwähnte, schaltete sich Pru in das Gespräch ein.

»Verity hat darauf bestanden, dass das Tier exakt einen Monat vor dem Wettbewerb geschlachtet wurde, sodass das Fleisch für heute genau richtig abgehangen war.«

»Sind Sie Viehzüchter?«

»Ja, Lamm, Schweinefleisch und auch Geflügel. Alles aus natürlicher Aufzucht. Frys Farm, etwas außerhalb von Lamington.«

»Warum habe ich denn noch nie etwas von Ihnen gehört? Lamington ist nicht weit von dem Ort entfernt, wo ich gewohnt habe. Ich hätte wissen müssen, dass es in der Nähe Fleisch vom Biobauern gibt.«

»Wir können uns keine Werbung leisten, und außerdem läuft das Geschäft auch so sehr gut. Sie sollten uns mal besuchen kommen.« Pru sah Darina zum ersten Mal direkt an. »Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen gerne die Farm. Sie müssen ja nicht gleich einen Werbeartikel über uns schreiben, aber ein wenig Publicity können wir natürlich immer gebrauchen.«

»Wir werden eine Party geben, um Veritys Erfolg zu feiern«, sagte Constance Fry. »Sie müssen auch kommen. Ich schicke Ihnen eine Einladung.«

Gerührt über so viel Herzlichkeit, reichte ihr Darina eine ihrer Visitenkarten, nachdem sie neben ihrer Somerset-Adresse die in Chelsea notiert hatte. »Schicken Sie sie mir nach London«, bat sie. »Ich bin im Moment meistens hier, aber wenn es sich einrichten lässt, komme ich sehr gerne.«

»Wie schön!« Verity hatte sich wieder zu ihnen gesellt. »Ist das alles nicht schrecklich aufregend? Warum ist Oliver denn noch nicht hier? Er hat versprochen, rechtzeitig zur Preisvergabe da zu sein.« Die vollen Lippen verzogen sich zu einem kleinen Schmollmund, und dann hellte sich ihr Gesicht plötzlich mit der Energie eines ganzen Kraftwerks auf, als ein hochgewachsener Mann auf die Gruppe zukam. »Liebling, ich habe gewonnen, gewonnen, gewonnen!«

Darina sah zu, wie der Mann sie in die Arme nahm, zärtlich küsste und dann vor ihr stehenblieb und mit dem gleichen, ruhigen Stolz wie vorher ihre Mutter ihr gerötetes Gesicht betrachtete.

»Endlich lernen wir mal den großen Oliver Knatchbull kennen. Sie nennt ihn ihren Verlobten«, meinte Pru, während sie die Kräuter und Gewürze von der Arbeitsfläche nahm und in dem prall gefüllten Korb verstaute, durch dessen knarrendes Weidengeflecht sie dann einen Lederriemen zog und über dem Deckel festzurrte. »Sie behauptet, sie wären verlobt, aber ich habe noch nichts von irgendwelchen Heiratsplänen gehört. Anscheinend gibt er sich schon damit zufrieden, dass sie in seinem Penthouse wohnt.«

»Ich bin sicher, dass sie es bald offiziell machen«, warf ihre Mutter ein. »Besonders jetzt, nach diesem Wettbewerb.«

»Naja, ich frage mich nur, wie es unserem Finanzgenie gefallen wird, eine so ehrgeizige Frau zu haben.« In Prus Stimme lag Zynismus und sogar eine Spur von Bitterkeit.

Er war um etliche Jahre älter als Verity und musste mindestens vierzig sein, schätzte Darina, während die Siegerin wie Anfang zwanzig wirkte. Er war die Verkörperung des erfolgreichen Geschäftsmannes, und seine leicht fleischige Kinnpartie sprach vom regelmäßigen Genuss guten Essens, obwohl er das Gewicht seines wohlgeformten Körpers bestens unter Kontrolle zu haben schien. Alles an ihm war von vornehmer Zurückhaltung: seine Kleidung, seine Manschettenknöpfe, sein Haarschnitt und sein Auftreten. Aber sein Lächeln war alles andere als zurückhaltend, als ihm seine Verlobte in allen Einzelheiten von dem Wettbewerb und ihrem Sieg berichtete.

»Und ich glaube, sie bringen über mich heute Abend sogar einen Bericht im Fernsehen!«

»Den ganzen Abend, oder haben wir noch Zeit für unsere Siegesfeier? Ich habe einen Tisch bei Tante Claire reserviert.«

»O Liebling, wie wunderbar. Aber du konntest doch gar nicht wissen, dass ich gewinne. Ich meine, ich war sicher, dass ich es nicht schaffe, alle anderen wirkten viel selbstsicherer und kompetenter.«

Er zerzauste ihr liebevoll das Haar. »Naja, wenn du nicht gewonnen hättest, wäre es ein Trostessen geworden. Aber ich war sicher, dass du es schaffst. Und jetzt müssen wir den nächsten Schritt für deine Karriere planen.«

Im Gegensatz zu dem, was Pru mit ihrer spitzen Bemerkung angedeutet hatte, schien er den Erfolg seiner Verlobten durchaus zu begrüßen, und Darina verspürte einen scharfen Stich vor Neid. Dann aber fragte sie sich, ob ihm wirklich klar war, was der Sieg in diesem Wettbewerb für seine Verlobte bedeuten konnte.

Simon Chapman hatte sich leicht abseits von der Gruppe gehalten. Als er nun auf Darina zukam, hatte er wieder sein breites Grinsen auf den Lippen. »Ich mache mich auf den Heimweg in die Provinz«, sagte er. »Zurück zu den Töpfen, ich habe mir nur einige Stunden freigenommen, um Verity moralische Unterstützung zu geben. Kann ich Sie zufällig nach Somerset mitnehmen?«

Darina lehnte dankend ab und erklärte, dass Somerset nicht auf ihrem derzeitigen Programm stünde. Sie betonte, dass Sie nur versprochen haben, zum Mittagessen zu bleiben. »Aber ich nehme Sie beim Wort und komme demnächst auf Ihre Einladung zum Essen zurück«, fügte sie hinzu, als sie den enttäuschten Ausdruck auf seinem Gesicht bemerkte.

Er zeigte ein rasches Lächeln und verließ den Ballsaal, nachdem er sich an der Tür noch einmal umgedreht hatte, um einen letzten Blick auf Verity zu werfen, die bei ihrer Familie und ihrem Verlobten stand. Oliver Knatchbulls Arm hielt sie dicht an sich gepresst, und er wirkte sehr viel jünger, während er über eine Bemerkung von ihr lachte. Das unbekümmerte Lächeln war plötzlich aus Simons Gesicht verschwunden, und es verdüsterte sich wie eine Landschaft, in der das helle Sonnenlicht von dunklen, bedrohlichen Wolken verdrängt wird. Im nächsten Moment war er gegangen. 

Kapitel 2

Die Einladung zu Verity Frys Feier kam ein paar Tage später, als Darina den Wettbewerb und seine Siegerin schon fast wieder vergessen hatte. Und sie hatte auch nicht mehr an den Besuch in Chapmans Restaurant gedacht.

Sie verbrachte die meiste Zeit damit, einen neuen Innenanstrich für ihr Londoner Haus in Chelsea zu organisieren, dessen Wände von den kurzfristigen Bewohnern arg mitgenommen waren. Die Kinder der amerikanischen Familie besaßen anscheinend die Gabe, die Zerstörungskraft einer kleinen Armee mit den genialen Ausdrucksformen eines Picasso zu kombinieren. Und neben all ihren Einkäufen in Tapeten- und Textilgeschäften und Terminen mit dem Innenarchitekten musste sie noch Artikel für die Kochkolumne schreiben, ihre Korrespondenz erledigen und zahlreiche Telefongespräche führen.

Sie stand im Flur, während die Anstreicher Leitern und Abdeckplanen hereinschleppten, sah ihre Post durch und betrachtete die weiße Einladungskarte. Die Party sollte in zehn Tagen stattfinden, an einem Sonntagmittag. Mit der Karte war ein Prospekt für Frys Fleisch aus biologisch-organischer Viehzucht gekommen, der auf der Vorderseite die Zeichnung eines für Somerset typischen Bauernhauses trug, mit Rindern und Schafen, die unter Obstbäumen grasten. Darina überflog die schwärmerische Beschreibung und blickte sich um.

Das helle Licht des strahlenden Sommertages war den Anstreichern durch die offene Haustür gefolgt und lag nun als goldenes Rechteck auf dem schmutzigen Parkettboden. Staub tanzte in den Sonnenstrahlen, und von der King’s Road drang das gedämpfte Dröhnen des Verkehrs herein. Eine schier endlose Zahl von Farbeimern wurde hereingetragen und in der Halle aufgereiht Die Zimmer dahinter waren für die Renovierung bereits leergeräumt worden.

Darina traf eine rasche Entscheidung, ging in ihr Arbeitszimmer und begann, Papier, einige Nachschlagewerke und den ersten Entwurf für ihr neues Buch einzupacken. Ein paar Stunden später waren diese Utensilien, ein Computer, einige Kleidungsstücke und sie selbst im Auto verstaut, und sie lieferte ihr Haus auf Gedeih und Verderb den Anstreichern aus. Schließlich konnte es von diesen kaum mehr Schaden erleiden als von den Mietern. Sie verdrängte den Gedanken daran, dass sie – im Gegensatz zu den Mietern – die Anstreicher dafür bezahlte.

Sie hatte Stonehenge passiert, die Stelle, an der sie immer spürte, dass nun Südwestengland begann. Was sie jetzt nicht mehr verdrängen konnte, war das Bewusstsein, dass sie ihren Zielort nicht mehr ihr Zuhause nennen konnte, obwohl er es fast achtzehn Monate lang für sie gewesen war. Vor kurzem hatte sie diesen Ort, dieses Haus und diesen Liebhaber verlassen – mit der Absicht, nie wieder zurückzukehren.

Aber William Pigram hatte kurz darauf vor ihrer Tür in Chelsea gestanden und ihr den Schlüssel zugeworfen.

»Halt ihn warm für mich«, hatte er gesagt. »Es würde mir gefallen, dich im Haus zu wissen.« Und daraufhin hatte er sich, ohne die Antwort abzuwarten, auf den Weg zum Flughafen gemacht.

Plötzlich hatte sie das Gefühl, nicht mehr weiterfahren zu können. Sie bog von der Landstraße ab und fuhr bis zum nächsten Dorf, wo sie vor einem Pub haltmachte. Sie bestellte eine Weißweinschorle und ging damit nach draußen in den kleinen Biergarten.

Die Szene hatte begonnen, nachdem William ihr erzählt hatte, dass er nach New York müsse. Der Kreditkartenfall, an dem er arbeitete, hatte sich als Teil einer weit größeren, amerikanischen Operation entpuppt. Die New Yorker Polizei hatte ihn gebeten, mit ihnen zusammenzuarbeiten, um einen Betrügerring zu zerschlagen. Die Bande war für den Verlust einer solchen Geldmenge verantwortlich, dass das Kreditkartenunternehmen die Kosten für Williams Aufenthalt übernahm. Die Polizei von Avon und Somerset, wo er als Detective Sergeant tätig war, konnte es sich zwar nicht leisten, ihn auf eigene Kosten zu schicken, aber sie stellten ihn für die Ermittlungsarbeiten frei, die von ein paar Wochen bis zu mehreren Monaten dauern konnten. »Komm mit mir«, hatte er gedrängt, »du kannst dein Buch doch überall schreiben. Warum hörst du nicht endlich mit diesen Spielereien auf und heiratest mich?«

»Spielereien?« Sie hatte ihn fassungslos angestarrt. Er stand in der Küche des kleinen Landhauses, spielte mit einem Stück Faden, mit dem sie ein ausgebeintes Hühnchen zusammengenäht hatte, und seine Größe wirkte plötzlich erdrückend in dem kleinen Raum. In seinen Augen lag eine Anziehungskraft, die sich nicht in seiner Stimme ausdrückte. Darina ignorierte sie.

»Spielereien?«, wiederholte sie, und dann noch einmal: »Spielereien?« Und diese unglückliche Formulierung hatte einen Krach ausgelöst, der sich bereits seit einer Weile zusammengebraut hatte.

Er schien weder fähig zu sein, das Ausmaß ihrer Frustration zu begreifen, noch die Ernsthaftigkeit ihrer Ziele anzuerkennen.

Sie hatte darauf bestanden, dass ein Leben als Ehefrau, und damit auch als seine Ehefrau, nicht Teil ihrer Pläne war. Er hatte gemeint, dass das keinen Unterschied machen müsse, und dass sie ihre Karriere doch auch nach ihrer Heirat fortsetzen könne.

»Du meinst, neben meiner Aufgabe, für dich zu sorgen, könnte ich nebenbei leicht ein paar kleine Artikelchen schreiben und mir ein paar nette Rezepte ausdenken. Aber du meinst doch sicher nicht, ich könnte auch Bücher schreiben, die all meine Energie kosten, oder mal eben nach London zu einem Treffen verschwinden, oder im Land herumreisen, um Kochvorführungen zu geben. Du bist ein Erfolgsmensch, in deiner Welt brauchen die Männer immer saubere Hemden im Schrank und ein tadellos aufgeräumtes Haus, und keine Frau, die selbst ein bisschen erfolgreich sein will, wenn man sie lässt.«

Er hatte protestiert, dass er ihr das durchaus zugestehe, aber sie wusste, dass er keine Vorstellung von der Art Gleichberechtigung hatte, die sie in einer Ehe forderte.

»Ich will nicht egoistisch sein«, hatte sie schließlich gesagt, »aber du scheinst nicht zu begreifen, wie wichtig es für mich ist, ich selbst zu bleiben. Ich brauche Raum, um meine eigenen Interessen zu entwickeln, und ich kann dir nicht bloß einfach überallhin folgen.«

Er hatte daraufhin gefragt, ob sie nicht lernen könne, ein bisschen kompromissfähiger zu sein.

»Und was ist mit dir«, war sie aufgebraust. »Wie wär’s, wenn du ein bisschen Kompromissbereitschaft zeigen würdest?«

Aber das tue er doch, hatte er matt erwidert und sich in der unaufgeräumten Küche umgeschaut.

Die unausgesprochene Kritik an ihrer Haushaltsführung war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Tatsächlich mochte sie Unordnung ebenso wenig wie er. Solange sie ihren Catering-Service betrieben hatte, war es ihr zumindest gelungen, die Küche in ihrer Wohnung einwandfrei sauber zu halten, aber die derzeitige Häufung verschiedener Termine und Aufträge hatte die verheerende Wirkung, solche Kleinigkeiten wie Putzen und Abstauben an das hinterste Ende ihrer Prioritätenliste zu verweisen. Darina war klar, dass das alles über kurz oder lang in einer Katastrophe enden musste. Ebenso, wie sie wusste, dass man beim Kochen bestimmte Zutaten nie miteinander kombinieren durfte, wusste sie, dass die Art von Ehe, die sich William vorstellte, für sie niemals funktionieren würde.

Dann hatte er – mit Bitterkeit in der Stimme – gesagt, dass sie ihn wohl doch nicht liebte.

»Liebe! Für dich läuft es immer nur darauf hinaus, stimmt’s? Aber was ist mit gegenseitigem Respekt, Verständnis und der Bereitschaft, die Position des anderen zu akzeptieren?«

»Aber das ist doch genau das, was du mir verweigerst!« Er hatte sich von ihr abgewandt und aus dem Fenster in den Garten geblickt. Er sieht aus, war es ihr durch den Kopf gegangen, wie ein kleiner Junge, der versucht, die ungeheuerliche Nachricht zu begreifen, dass sein geliebter Hund gestorben ist. Beinahe wäre sie schwach geworden.

»Kannst du nicht ein wenig über meine Position nachdenken, während du weg bist?«, hatte sie nach ein paar Minuten gefragt. »Und wenn du dann wiederkommst ...«

»Nein!«, hatte er heftig erwidert. Als er sich wieder zu ihr umwandte, hatte sein Gesicht plötzlich sehr harte Züge angenommen. »Lass es uns hier und jetzt beenden. Es gibt keine Zukunft mehr für uns, das hast du mir jedenfalls klargemacht. Ich ziehe es vor, ohne irgendwelche Fesseln fortzugehen, und ich denke, das wird auch für dich das Beste sein.«

Typisch, hatte sie später gedacht, wie er es schaffte, eine dermaßen egoistische Aussage mit einem Hauch von Rücksichtnahme auf sie zu dekorieren – so wie man einem trockenen Martini ein wenig Zitronenschale zugibt, die den Drink aromatischer macht, ohne jedoch seine Substanz zu verändern.

Sie war noch am gleichen Tag ausgezogen, dankbar, dass die Mieter ihr Haus in Chelsea gerade geräumt hatten.

Und dann war sein kurzer Abstecher auf dem Weg zum Flughafen und das Angebot gekommen, den Schlüssel zu behalten. Sie wusste, dass er sie damit – fast, wenn auch nicht ganz – gebeten hatte, auf ihn zu warten. Und fast hätte sie gesagt, sie würde da sein, wenn er zurückkommt. Aber nicht ganz. Das war vor einigen Wochen gewesen, und seither hatte sie nichts mehr von ihm gehört.

Jetzt hatte sie die Wahl, in seinem Haus zu wohnen, oder bei ihrer Mutter, die nicht weit von dort entfernt lebte. Aber nachdem sie bereits einmal Ann Lisles endlose Klagen und Vorwürfe wegen der gescheiterten Beziehung zu William über sich hatte ergehen lassen müssen, fiel ihr die Entscheidung nicht schwer.

Darina trank ihre Weinschorle aus, kehrte zum Wagen zurück und setzte die Fahrt fort.

Williams Brief kam ein paar Tage später aus London, nachgeschickt von einer Freundin, die sich bereit erklärt hatte, sich um ihre Post zu kümmern und zu sehen, wie die Anstreicher vorankamen.

Darina lehnte den ungeöffneten Briefumschlag gegen eine Vase mit Flieder, die auf dem mit Papieren bedeckten Küchentisch stand. Während sie ihr Mittagessen aus Schweinekoteletts mit Senfsoße zu sich nahm, ein Proberezept für ihr neues Buch über das Kochen für Zwei, betrachtete sie ihn nachdenklich. Ihre Geschmacksnerven waren auf Autopilot geschaltet, während ihre Gedanken mit dem dünnen Briefumschlag vor ihr beschäftigt waren. Sie hatte dem spontanen Impuls widerstanden, den Brief sofort zu öffnen. Hier war eine eher vorsichtige Herangehensweise angebracht. Warum schrieb er ihr? War es, um ihr zu sagen, dass er sie immer noch liebte, sie vermisste, eine Antwort von ihr wollte?

Und wenn ja, was sollte sie tun?

Er hatte ihr gefehlt. O Gott, wie sehr er ihr gefehlt hatte. Als sie das aufgeräumte Haus betreten und bemerkt hatte, was für eine Putzorgie er veranstaltet haben musste – sie hatte ganz vergessen, dass der Küchenboden diese Farbe hatte –, hatte sie sich gewünscht, er wäre da, sogar um ihn schimpfen zu hören, er habe keine sauberen Socken mehr.

In der Nacht hatte sie allein in dem großen Doppelbett gelegen, das sie miteinander geteilt hatten, und Schmerz, körperlichen Schmerz empfunden vor Sehnsucht nach seiner Berührung. Am Morgen hatte sie sein unmelodisches Summen vermisst, während er sich rasierte und sie sich noch fünf Minuten im Bett gönnte. Am Abend ertappte sie sich dabei, dass sie auf seine Heimkehr wartete, auf den Kuss, den er ihr immer gab, bevor er beiden einen Drink einschenkte und ein paar Anekdoten von seiner Arbeit erzählte, um sich langsam zu entspannen. Sie vermisste seinen Sinn für Humor, seine intelligenten Bemerkungen über das, was in der Welt um sie herum vor sich ging, und sie vermisste ihn.

Auf der anderen Seite – tja, es gab schließlich immer eine andere Seite – hatte sie in Ruhe an ihrem Buch und dem nächsten monatlichen Artikel arbeiten können, ohne sich darüber Gedanken machen zu müssen, was sie William am Abend kochen sollte. Sie konnte einfach essen, wann und was sie wollte. Es gab keine Hemden zu bügeln, und sie konnte den Staub souverän ignorieren. Aber wenn sie ehrlich war, dann musste sie zugeben, dass nichts von all dem die Leere im Haus und in ihrem Leben aufwiegen konnte.

Jetzt griff sie nach dem Brief, schlitzte ihn auf und zog vorsichtig eine gefaltete Seite heraus.

Einige Minuten später faltete sie das Blatt wieder zusammen, steckte es mit der gleichen Sorgfalt in den Umschlag zurück und stand auf, um sich eine Tasse Kaffee zu kochen.

Es war wohl, dachte sie bei sich, die Tat eines Gentlemans, sie wissen zu lassen, dass er jemand anderen gefunden hatte. Oder glaubte, gefunden zu haben.

Wir fühlen uns sehr wohl miteinander, hatte er geschrieben. Sie hat einen lebhaften Verstand und zeigt mir ein New York, das anders ist als das, was ich durch das Polizeirevier entdeckt habe. Und sie hat mich ihrer Familie in Pennsylvania vorgestellt. Komischerweise hat ihr Vater geschäftlich mit meinem Onkel zu tun gehabt, und ich komme mir bei ihnen vor wie unter Freunden der Familie. Was einem gut tut, wenn man so weit weg von zu Hause ist. Elaine ist Rechtsanwältin, arbeitet sogar manchmal an Kriminalfällen, und so haben wir vieles gemeinsam. Und ich glaube, sie würde dir gefallen. Sie hat mich gefragt, ob ich in England jemanden hätte und wollte meine Bemerkung, dass ich ›ohne Bindung‹ sei, nicht akzeptieren. Wie spitzfindig manche Amerikaner sein können! Also habe ich ihr von dir erzählt, und sie hat vorgeschlagen, dass ich dir schreibe und dich wissen lasse, dass wir uns nähergekommen sind.

»Vielen Dank auch, Elaine«, rief Darina grimmig. »Und wie kommst du, mein lieber William, auf den Gedanken, dass sie mir gefallen würde? Weil du immer gesagt hast, wie sehr du meinen lebhaften Verstand bewunderst? Und auch vielen Dank für deine Hoffnung; dass ich ebenfalls mein Glück finde. Obwohl du das offensichtlich für unwahrscheinlich hältst, so wie ich nun einmal bin, unfähig, meine eigenen Bedürfnisse denen eines anderen Menschen unterzuordnen.«

Sie sprang auf und ging mit ihrer Kaffeetasse in den Garten. Vor der Küchentür lag eine kleine Terrasse, auf der ein Holztisch, eine Bank und einige Stühle standen. Geschützt vor dem beständigen Wind, war dies, solange die Sonne schien, vom Frühjahr bis in den späten Herbst ein warmer Platz.

Darina setzte sich. Und neben ihr saß das Gespenst vergangener Zeiten. Zeiten, in denen sie und William dort allein oder mit Freunden gesessen und gegessen, gelacht, über Gott und die Welt diskutiert und ihre Sorgen vertrieben hatten.

Wie konnte er all das so schnell vergessen? Wie konnte er sich in den kurzen Wochen, die er fort war, in jemand anderen verlieben?

Kurze Wochen? Waren sie ihr nicht vorgekommen wie die längsten ihres Lebens, während sie versucht hatte, die Leere zu füllen, die durch seine Abwesenheit entstanden war?

Also hatte er vielleicht das Gleiche empfunden. Vielleicht hatte er sich deshalb so beeilt, seinem Leben wieder eine neue Bedeutung zu geben.

Langsam zog Darina Williams Brief aus der Küchenschürze und las ihn noch einmal. Und plötzlich sah sie wieder vor sich, wie Oliver Knatchbull seinen Arm um Verity Fry gelegt hatte.

Dann zerknüllte Darina mit einer raschen Bewegung das dünne Luftpostpapier, stopfte es in ihre leere Kaffeetasse und ging zurück in die Küche.

Sie nahm das Telefonbuch und fand die Nummer, die sie suchte.

Simon Chapman selbst meldete sich.

»Ich dachte schon, Sie hätten mich vergessen«, sagte er. »Ich wollte gerade Detektiv spielen und sie aufspüren. Wenn Sie nichts anderes vorhaben, kommen Sie doch heute Abend vorbei. Es sieht nicht so aus, als hätten wir schrecklich viel zu tun, und dann können wir uns nach dem Essen ausgiebig unterhalten.« 

Darina setzte mit einem zufriedenen Seufzer das Rotweinglas ab. Chapmans Angebot war von außerordentlicher Qualität. Und wenn der Koch ihr noch sein Geheimnis preisgeben würde, wie er dem Ochsenschwanzragout ein so intensives Aroma gab, wäre ihr die Arbeit an seinem Buch als Preis dafür nicht zu hoch. Sie nahm die Dessertkarte zur Hand und hatte gerade beschlossen, keinen Aspekt dieses kulinarischen Erlebnisses auszulassen, als sie ihr aus der Hand genommen wurde.

»Ich erlaube Ihnen heute Abend nur eine einzige Wahl, nämlich meine Apfel-Armagnac-Torte.« Mit diesen Worten stellte Simon Chapman einen Teller mit einem Kuchenstück vor sie auf den Tisch, zog den zweiten Stuhl hervor und fragte: »Darf ich Ihnen dabei Gesellschaft leisten?«

Darina begrüßte ihn erfreut. Der Küchenchef trug noch seine weiße Jacke, auf deren Brusttasche in hübsch gestickten Buchstaben sein Namenszug prangte, und er verströmte eine Energie, die sich keineswegs in der Arbeit verbraucht zu haben schien. Als Darina ihm zu seinem Menü gratulierte und fragte, ob er nicht erschöpft sei, lachte er.

»Sie haben doch gesehen, wie viele Gäste wir hatten, sieben, einschließlich Ihnen, was man wohl kaum anstrengend nennen kann. Freitag und Samstag sind unsere besten Abende. Ach, würden Sie mich bitte einen Moment entschuldigen? Die Bradleys wollen gehen.«

Er eilte zu einem Paar, das sich gerade vom Tisch erhoben hatte. Während er ihnen herzlich die Hand schüttelte, lachten sie über irgendeine geistreiche Bemerkung von ihm.

In dem Restaurant standen zehn Tische unterschiedlicher Größe. Darina schätzte, dass maximal vierzig Gäste Platz an ihnen hatten. Die mittelalterlichen Deckenbalken und eine Kaminecke, die nun von einem Arrangement aus getrockneten Pflanzen eingenommen wurde, gaben dem Raum einen altmodischen Charme, der von der strengen Schlichtheit der weißen Tischtücher und den gerahmten Illustrationen aus alten Kochbüchern reizvoll ergänzt wurde. Auf jedem Tisch stand eine kleine Vase mit frischen Frühlingsblumen.

»Seit wann gibt es dieses Restaurant?«, fragte sie, als Simon zurückkehrte.

»Seit ungefähr dreieinhalb Jahren.« »So lange! Und ich habe erst Anfang des Jahres zum ersten Mal von Ihnen gehört. Da sind wir auf Empfehlung einer Freundin hier gewesen.« O verflixt, dieses verräterische »wir«.

Simon erklärte: »Ich wollte keine große Werbekampagne – zum einen hatte ich nicht das Geld dafür – und dann dachte ich auch, es sei besser, wenn ich mich sozusagen erst mal einspiele und mir allmählich einen Namen mache. Mein Partner war damit einverstanden.«

»Wer ist denn Ihr Partner?«

»Ein hiesiger Geschäftsmann, na ja, eigentlich kommt er aus Bristol. Er war Stammgast in einem Hotel, in dem ich als Küchenchef gearbeitet habe. Irgendwann hat er mir versprochen, mich zu unterstürzten, falls ich mich einmal selbständig machen wollte. Und da habe ich ihn eines Tages beim Wort genommen.«

»Ist er aktiver oder stiller Teilhaber?«

»Anfangs war er äußerst aktiv. Zu aktiv sogar, ständig wollte er mir ins Essen reinreden und das Dekor aufmotzen. Schließlich musste ich ihm klarmachen, dass die Finanzen seine Sache sind und die Führung des Restaurants meine. Fast wären wir an diesem Punkt auseinandergegangen, aber schließlich hat er nachgegeben. Jetzt kommt er nur noch ab und zu vorbei. Eigentlich ...« Er zögerte, und Darina wartete, aber Simon sagte nichts mehr.

Schließlich half sie ihm nach: »Und ist er zufrieden mit der finanziellen Seite?«

Der Koch verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. »Wir machen an den Wochenenden ein phantastisches Geschäft und müssen während der Woche hart kämpfen. Die Auszeichnung als Restaurant des Jahres hat uns sehr geholfen; wir haben einige neue Gäste gewonnen. Aber die Leute aus der Gegend dazu zu bringen, dass sie mehr oder weniger regelmäßig ein solches Restaurant besuchen, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit.« Simon drehte sein Glas mit gekühltem Barsacwein, den er Darina und sich eingeschenkt hatte, in der Hand und warf ihr ein schiefes Lächeln zu. »Das Essen ist zu ausgefallen, die Preise sind zu hoch.«

Sie wand ein: »Aber Sie bieten doch ein hervorragendes Essen an, das vielleicht ausgefallen, aber wirklich phantastisch gewürzt ist, und nicht solche überkandidelten Kompositionen, die dreimal besser aussehen, als sie schmecken. Und was Ihre Preise betrifft, so finde ich sie unglaublich günstig.«

»Kann ich Sie als meine PR-Frau engagieren? Aber im Ernst, Sie haben keine Ahnung, wie konservativ die Leute hier sind. Und im Vergleich zum allgemeinen Niveau in Somerset sind sie ja noch geradezu weltoffen. Wenn wir nicht auch die üblichen Steaks und Koteletts auf der Karte hätten, würden wir hier kaum einen Einheimischen sehen, und wenn die Touristen nicht wären, könnte ich gleich zusperren. Nehmen Sie sich selbst, zum Beispiel. Sie waren Anfang des Jahres bei uns, das war vor fünf Monaten! Und wie oft haben Sie seither hier gegessen?«

Darina hatte ein schlechtes Gewissen. »Ich wollte ja, aber dann wurde mein Freund mit einer sehr zeitaufwendigen Untersuchung beauftragt. Er war nämlich Polizist.«

»Er war? Sprechen Sie in der Vergangenheit, weil er die Polizei verlassen hat, oder weil Sie ihn verlassen haben?«

Darina zögerte. »Er ist zurzeit in den Vereinigten Staaten, aber unsere Beziehung ist ohnehin zu Ende.«

Simon Chapman grinste sie wieder an. »Er muss der größte Idiot aller Zeiten sein, dass er Sie nicht mit Handschellen an ein stabiles Möbelstück gefesselt hat, bevor er wegging. Ich glaube, ich werde seine Dummheit ausnutzen.« Er lachte und fuhr dann fort: »Also, glauben Sie, Sie haben Zeit, um mir ein bisschen mit diesem blöden Buch zu helfen?«

»Brauchen Sie wirklich meine Hilfe zum Schreiben?«

»Braucht man Eier für eine Mayonnaise?« Er griff in eine Tasche seiner weißen Jacke und zog einen Stapel Notizblätter hervor. »Wenn Sie sich Ihr Essen wirklich verdienen wollen, dann sehen Sie sich das hier doch einmal an.«

Darina musste die Augen zusammenkneifen, um in dem gedämpften Licht eine Handschrift entziffern zu können, die wie die Laufspur einer betrunkenen Spinne aussah, die in etwas Unappetitliches getreten war.

Schließlich fragte sie entmutigt: »Haben Sie eigentlich jemals ein Kochbuch gelesen?«

Simon Chapman wirkte nicht im Geringsten gekränkt: »Natürlich! Obwohl ich zugeben muss, dass es nicht viele waren. Meistens die anderer Köche, aber auch eines von Elizabeth David, als ich meine Ausbildung begann, ein paar von Jane Grigson, als ich anfing, mich für die traditionell englische Küche zu interessieren, und Natalie Duke hat mir die Küche aus dem Mittelmeerraum nähergebracht. Besonders ihre griechischen Rezepte haben mich zu einer Reise inspiriert, um das Essen aus erster Hand zu erleben.«

Darina stimmte zu, dass Miss Duke tatsächlich eine brillante Autorin war und fragte ihn dann, ob er bei seiner Lektüre denn nicht solche Kleinigkeiten bemerkt hätte, wie das Auflisten der Zutaten in der Reihenfolge ihrer Verwendung und eine ausführliche Beschreibung der Arbeitsmethode, statt seiner Aneinanderreihung von Begriffen, die nur ein ausgebildeter Koch verstehen konnte.

Simon begann, unruhig auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen, fing den Blick der Serviererin auf, die die leeren Tische neu deckte, und bat sie, ihnen Kaffee zu bringen.

»So schlimm, ja?«, fragte er schließlich kleinlaut.

Darina hatte das Gefühl, dass sie nicht gerade sehr taktvoll gewesen war. »Schauen Sie, die Rezepte selbst klingen wunderbar, ich kann gar nicht erwarten, sie auszuprobieren. Wenn ich allerdings eine Frau wäre, die kochen gelernt hat, indem sie ihrer Mutter dabei zusah, oder mit Hilfe einiger Kochbücher, dann hätte ich einfach keine Ahnung, wo ich beginnen soll. Aber keine Panik, das lässt sich leicht korrigieren.«

Simon stöhnte auf. »Das ist es ja, was ich so langweilig finde. Es kostet schrecklich viel Zeit, alles richtig zu Papier zu bringen. Und dabei kommt es doch schließlich nur auf das Resultat an.«

»Ja, aber wenn Ihre Leser nicht wissen, wie sie dieses Resultat erzielen sollen, dann war all Ihre Mühe umsonst, und Sie könnten es ebenso gut gleich bleibenlassen und sich ganz auf Ihr Restaurant konzentrieren. Was allerdings schade wäre, denn diese Ideen«, sie klopfte mit dem Finger auf das Papier vor sich, »könnten der Anfang zu einem sehr erfolgreichen Kochbuch sein.«

Simon Chapman sah skeptisch drein. »Glauben Sie wirklich? Ich dachte, die meisten Leute wollen Kochbücher, die für Amateure geschrieben wurden, und in denen die Gerichte nicht so kompliziert, und die Zutaten nicht so schwierig aufzutreiben sind.«

»Nicht unbedingt. Viele schätzen auch die Herausforderung. Sie wollen ihren kulinarischen Horizont erweitern, etwas von einem erstklassigen, gutausgebildeten und kreativen Talent lernen und suchen Kochbücher, die anders sind. Exklusivität ist das, was sie in solchen Büchern finden. Jedenfalls sehe ich in diesen Rezepten nicht viele Zutaten, die schwer zu bekommen wären.« Darina nahm die Seiten wieder auf.

Simon nahm sie ihr aus der Hand und legte sie auf dem Tisch aus. »Ja schon, man kann alle Zutaten problemlos bekommen, aber dann darf man keine allzu hohen Ansprüche an ihre Qualität stellen. Und die Gerichte werden dann auch nicht im Entferntesten so schmecken wie die, die meine Gäste hier bekommen. Nehmen Sie zum Beispiel das Ochsenschwanzragout, das Sie eben gegessen haben.« Darina beugte sich gespannt vor. »Das Fleisch stammt aus einer organisch-biologischen Landwirtschaft, und die lange Garzeit macht es, abgesehen von dem hervorragenden Geschmack selbst, nur noch besser. Außerdem wurde ein ganzer Ochsenschwanz sowohl für die Brühe, als auch für das Gericht verwendet, und ohne das ist es nicht einmal die Hälfte wert. Versuchen Sie, das mit dem Zeug hinzukriegen, das neunzig Prozent der Leute im Supermarkt kaufen, und es wäre absolut kein Vergleich zu dem, was Sie heute Abend gegessen haben.«

»Bekommen Sie ihr Fleisch von den Frys?«

»Genau! Was Constance und Pru da aufgebaut haben, ist fabelhaft. Aber Sie müssen doch selbst schon Fleisch bei ihnen gekauft haben, sie haben einen ausgezeichneten Ruf.«

Darina schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich fürchte, das ist eine weitere Lokalnachricht, die mich erst verspätet erreicht hat. Ich habe neulich im Savoy zum ersten Mal von ihnen gehört.«

Simon strahlte. »Was für ein phantastischer Tag das war! Überglücklich, alle, wie sie da waren, sogar Constance hatte ein Lächeln auf den Lippen.«

»Sagten Sie nicht, Verity hätte mal bei Ihnen gearbeitet?«

»Ja, sie hat als Empfangsdame gearbeitet. Sie war wunderbar, alle mochten sie, und wir hatten nie so viele Gäste während der Woche, wie zu der Zeit, als Verity da war.«

In diesem Augenblick kam die Serviererin mit dem Kaffee. Sie drückte den Tauchkolben der Cafetiere herunter, goss zwei Tassen voll und stellte sie mit einem kleinen Teller Petits Fours auf den Tisch. Als sie sich zum Gehen wandte, sagte Simon, sie brauche nicht zu warten – er würde den Tisch selbst abräumen.

»Wo hat Verity das Kochen gelernt?«

»Auf irgendeiner Schule in London, und dann war sie hier auch ständig in der Küche und wollte wissen, wie ich das oder jenes gemacht habe. Sie hat behauptet, das würde ihr helfen, den Gästen die Gerichte zu erklären, aber das war natürlich nur ein Vorwand.« Simon grinste. »Sie hat häufig Vorschläge für neue Gerichte gemacht, und manchmal habe ich sogar etwas davon übernommen. Dann hat sie darauf bestanden, dass ich sie abschmecken lasse, und ich sagte, sie wolle wohl bloß eine kostenlose Mahlzeit.«

Der Koch hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt, seine Hand spielte lässig mit dem Weinglas, das er während ihrer Unterhaltung bereits zweimal nachgefüllt hatte. Darina konnte sich vorstellen, dass das hübsche, lebhafte Mädchen und der dynamische, attraktive Mann gut zusammengearbeitet hatten. Wie eng war ihre Beziehung wohl gewesen, und warum war Verity fortgegangen?

»Und wann hat sie dann selbst mit dem Kochen begonnen?«

Simon beugte sich über sein Glas, als studiere er das Licht, das sich in dem goldfarbenen Inhalt brach. »Vor etwas mehr als zwei Jahren. Sie ging nach London und begann mit einem Catering-Service für Firmenkonferenzen. Auf einer dieser Veranstaltungen hat sie auch Oliver kennengelernt.«

»Er scheint lebhaften Anteil an ihrer Karriere zu nehmen.«

»Ja, er hat ihr geraten, an dem Kochwettbewerb teilzunehmen. Hinter ihrer liebreizenden Fassade ist sie nämlich ganz schön ehrgeizig.«

Hatte sich da eine Spur von Bitterkeit in seine Bemerkung geschlichen?

»Und das stört ihn nicht?«

»Im Gegenteil, er bestärkt sie. Wahrscheinlich hat er auch keine andere Wahl, denn anders könnte er sie gar nicht halten.«

Scharfsichtiger Simon, und kluger Oliver.

»Aber Sie haben ihr doch geholfen, die Rezepte zu entwickeln?«

»Die meisten Ideen waren ihre eigenen, aber es stimmt, wir haben sie zusammen ausgearbeitet.«

»Kein Wunder, dass Sie sich so über ihren Sieg gefreut haben.«

Simon lächelte Darina wieder gewinnend an. »Haben Sie sich nicht auch darüber gefreut?«

Darina gab zu, dass auch sie Verity Fry für die sympathischste aller Teilnehmerinnen gehalten und dass sie sich über ihren deutlichen Sieg sehr gefreut habe.

»Meinen Sie, sie würde gern ein eigenes Restaurant eröffnen?«

Simon schüttelte den Kopf. »Himmel, nein. Sie hat hier genug gesehen, um von jeder Ambition in dieser Richtung geheilt zu sein.«

»Was meinen Sie damit?«

»Für die lange Arbeitszeit und all die Schufterei bringt es viel zu wenig ein.«

»Das glauben Sie doch nicht wirklich?«

Simon seufzt und in diesem Moment war alle Unbeschwertheit verschwunden, die ihn so attraktiv machte. Wie im Savoy, als er das Familienbild mit Oliver Knatchbull betrachtet hatte. In seine schwarzen Augen trat ein beunruhigender Ausdruck. »Es gibt Zeiten, da kommt es mir so vor, als wäre ein Restaurant die verrückteste Art, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, die jemals erfunden wurde. Aber im Grunde haben Sie recht. Es gibt nichts, was ich lieber machen würde.« Seine Stimmung blieb jedoch gedrückt.

Nach einer Pause sagte Darina: »Da gibt es doch irgendein Problem, nicht wahr? Wollen Sie es mir erzählen?«

Er warf ihr einen undurchdringlichen Blick zu. »Ich habe geschworen, es keiner Menschenseele zu sagen, aber Sie verstehen es, einen zum Reden zu bringen.« Er stieß ein kurzes Lachen aus. »Also, es ist so, dass ich vielleicht bald kein Restaurant mehr haben werde.«

»Geht das Geschäft so schlecht?«

»Ja, aber nicht das Restaurant, sondern das Geschäft meines Partners. Seine Firma handelt mit irgendwelchen Import- und Exportgütern, um die Einzelheiten habe ich mich nie gekümmert, aber die Rezession hat ihn ziemlich getroffen. Er meint, die Bankzinsen würden ihn allmählich in den Ruin treiben, und deshalb braucht er jetzt das Geld, das er in das Restaurant gesteckt hat. Ich kann es mir nicht leisten, ihn auszuzahlen, die Bank gibt mir keinen Kredit mehr und wenn ich das Geld nicht anderswo auftreiben kann, werde ich das Restaurant verkaufen müssen.«

Wieder entstand eine Pause.

»Nun ja«, versuchte Darina zu trösten, »ich bin sicher, es gibt eine ganze Reihe erstklassiger Restaurants, die Sie mit Kusshand als Küchenchef einstellen würden.«

Dann zuckte sie erschrocken zusammen, als Simons Faust auf den Tisch krachte. »Ich will aber nicht in irgendeinem erstklassigen Restaurant arbeiten, sondern nur in meinem eigenen. Meine ganze Seele gehört diesem Unternehmen. Ich habe alles dafür geopfert – alles«, wiederholte er heftig. »Und ich würde weiß Gott noch einmal alles dafür tun, um es behalten zu können.« Er warf sich in seinem Stuhl zurück und wirkte nun düster und niedergeschlagen. Sein lebhafter Charme war so vollständig verschwunden, als habe er nie existiert.

»Dann werden Sie eben die notwendigen Finanzmittel auftreiben müssen«, bemerkte Darina ruhig. »Es muss doch irgendwo jemanden geben, der Ihnen helfen kann. Dieses Restaurant ist viel zu gut, um es einfach so aufzugeben.«

Simon trank seinen Wein in einem großen Schluck aus. Als er das leere Glas wieder auf den Tisch stellte, lächelte er Darina mit einer Liebenswürdigkeit an, die sich ganz von seiner sonstigen, eher spöttischen Art unterschied.

»Wissen Sie, dass ich Ihnen das beinahe glaube? So, und würden Sie jetzt einen Brandy mit mir trinken?« Darina schüttelte den Kopf, und er füllte ihre Kaffeetasse nach.

»Bitte sagen Sie, dass Sie mir mit diesem Buch helfen. Ich kann den Vorschuss nicht mehr zurückzahlen, und außerdem würde das Restaurant von der Veröffentlichung profitieren.«

Sie sprachen noch eine Weile über das Essen im Allgemeinen und seine Rezepte im Besonderen, und es war bereits nach Mitternacht, als sich Darina widerstrebend losriss. Sie versprach Simon zum Abschied, bald wiederzukommen und mit ihm seine Rezepte durchzugehen.

Obwohl sie nur wenig Alkohol getrunken hatte, fühlte sich Darina, als habe sie eine ganze Flasche Champagner geleert. Das Leben kam ihr auf einmal sehr viel verheißungsvoller vor als noch am Nachmittag, und sie beschloss, William gleich morgen zu schreiben, um ihm zu sagen, dass sie sich freue, wie gut sich die Dinge für ihn entwickelten, und vielleicht würde sie sogar Simon Chapman erwähnen und ihn wissen lassen, dass auch sie kein Kind von Traurigkeit war.