Leseprobe Miss Catherine und die Liebe

1. Kapitel

Derbyshire, England. 1833

Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass, wenn zwei junge Menschen sich treffen, verlieben und schließlich verloben, es nur noch eine Frage der Zeit bedeutet, bis die Hochzeit stattfindet. Wenn keine Einwände erhoben werden und keine finanziellen Schwierigkeiten bestehen, kann die Vermählung recht schnell vollzogen werden.

Traurigerweise gab es im Fall von Miss Cassandra Bennet und Dr. Richard Courtney zwei Faktoren, welche das Stattfinden ihrer lang herbeigesehnten Hochzeitszeremonie verzögerten. Cassandra, verwandt mit den Darcys von Pemberley, war außer sich vor Freude gewesen, nachdem ihre Tante Elizabeth verkündet hatte, dass sie sich aller Vorbereitungen annähme.

„Da deine eigene Mutter so weit weg in Newcastle lebt, wäre es höchst unpraktisch, Cassandra, müsste man sie unmittelbar an allen Entscheidungen beteiligen. Obwohl ich natürlich weiß, dass sie sich danach verzehrt, ihren Teil beizutragen“, hatte Mrs Darcy taktvoll festgestellt, da sie es nicht zu offensichtlich scheinen lassen wollte, dass Lydia sich weigerte, auch nur einen Penny für das Brautkleid oder das Brautfrühstück zu zahlen. Diesen Weg hatte sie in dem Moment eingeschlagen, als sie nicht darauf bestand, dass ihre Tochter nach Hause zurückkehrte, um dort verheiratet zu werden.

Seitdem die Neuigkeiten an die Öffentlichkeit gelangt waren, dass ihre eigene Ehe mit George Wickham nicht rechtskräftig gewesen und Cassandra demzufolge illegitim war, hatte Lydia sich aus der Rolle der Brautmutter zurückgezogen und auf all die Ehren, die dieser Titel mit sich bringt, verzichtet. Widerwillig hatte sie zugestimmt, der Hochzeit beizuwohnen, aber ihr Mann, Colonel Allerton, war – zum Glück für Cassandra und die Darcys – mit seinem Regiment nach Frankreich beordert worden. Seine düstere Anwesenheit vermisste niemand.

Cassandra, immer noch in freudiger Glückseligkeit einer frisch Verlobten, hatte dem Ganzen fast geistesabwesend zugestimmt. Sie wollte nur ihren lieben Richard heiraten und es interessierte sie nicht, wer ihren Tag plante und was an diesem außerdem passierte. Aber dann betrat das Schicksal die Bühne – zweimal. Die Darcys hatten bereits einen Ball geplant, um ihre Zwillingstöchter in die Gesellschaft einzuführen, sobald diese achtzehn Jahre alt waren. Die prächtige Angelegenheit sollte in Matlock House, ihrem Haus in London, zu Weihnachten stattfinden. Es war schlicht nicht möglich, neben einem derart prunkvollen Anlass noch eine Hochzeit vorzubereiten, sodass man sich darauf einigte, dass Mitte Januar der nächstpassende Moment käme.

Dann, ganz plötzlich, am 10. Januar 1833 schlug das Schicksal erneut zu, aber diesmal auf ganz unerfreuliche Art und Weise: Sir Edgar Courtney, Richards Vater, der bereits einige Zeit schwer krank war, verstarb und die Hochzeit musste verschoben werden. Richard und seine Schwester Susannah, welche den Haushalt für ihn führte, waren in den Norden in die Grafschaft Northumberland bestellt worden, um ihren Brüdern bei den traurigen Vorbereitungen für das Begräbnis zu helfen. Dementsprechend fühlte es sich nur richtig an, dass die verschobene Hochzeit nun Ende März stattfände.

Pemberley bot zu jeder Jahreszeit einen wunderbaren Anblick, aber viele meinten, im zeitigen Frühjahr präsentierte es sich am allerschönsten – Lämmer auf den Hügeln, die ersten grünen Blätter, Narzissen und späte Krokusse überzogen die Gärten in Lila, Weiß und golden.

Man putzte das große Haus vom Keller bis zu den Dachböden, seine vielen hohen Fenster wurden poliert, bis sie glänzten – es stand somit bereit für die Anreise der Besucher aus dem ganzen Land. Die Hochzeitszeremonie fand natürlich in der Dorfkirche statt, aber das prächtige Mittagessen und der Tanz am Abend würden auf Pemberley abgehalten.

Die Haushälterin, Miss Reynolds, eine Verwandte der alten Dame, die vor so vielen Jahren eine gewisse Miss Elizabeth Bennet und deren Onkel und Tante bei ihrem denkwürdigen Besuch auf Pemberley begrüßt hatte, war so beschäftigt, dass sie sich wünschte, sie hätte das Wort ‚Hochzeit‘ niemals auch nur gehört. Die ganzen Verwandten, welche zu der Vermählung anreisten, unterzubringen, war einfach, da es Pemberley nicht an Schlafzimmern mangelte. Jedoch sicherzustellen, dass Richard Courtneys ältliche Tante, Mrs Darcys Mutter, Mrs Bennet, und ihre Schwester, Mrs Collins, Zimmer von gleichem Luxus und Standard erhielten, stellte sie vor ganz neue Herausforderungen.

Besonders Mrs Collins erwies sich als sehr kritisch, was ihr Schlafgemach – das erste war ‚zu sonnig‘, das zweite ‚zu weit oben‘ – und ihren Platz am Esstisch betraf. Man hatte sie nicht nah genug zu Elizabeth gesetzt. Mrs Bennet wiederum beschwerte sich darüber, dass die Blumenarrangements in ihrem Zimmer nicht so exquisit wirkten, wie andere, die sie im Haus gesehen hatte.

Die restliche Dienerschaft litt an Putzwahnsinn und Grace, eines der Zimmermädchen, bemerkte scharfzüngig, als sie versuchte, in den Räumen der Bediensteten ihre Beine auszuruhen: „Das hier ist ja lediglich die Hochzeit einer Cousine von Pemberley; Gott steh uns bei, wenn einmal eine der Darcy-Töchter heiratet!“

Von all dem bekamen Cassandra und Richard glücklicherweise nichts mit und wenn sie am Abend vor der Zeremonie wach lagen, war das nicht der exzessiv harten Arbeit geschuldet.

Gerade als die Sonne am Tag der Hochzeit über die Hügel kletterte, schlich sich eine kleine, junge, schlanke, braunäugige Frau mit offenem Haar, das über ihre Schultern fiel, und einem zerschlissenen, alten Mantel über ihrem einfachen Kleid, durch eine Seitentür auf das Anwesen. Sie lief den Weg zwischen den Frühjahrsblühern entlang, die Stufen hinunter, die durch den Rosengarten führten, in welchem die Büsche immer noch schliefen, und weiter in die Blumengärten.

Catherine Collins war am Nachmittag zuvor mit ihrer Stiefmutter Kitty, ihrer Halbschwester Harriet und Mrs Bennet angekommen. Inmitten all der Aufregung des Auspackens, des Teetrinkens, beim Begrüßen von Tanten, Cousinen und Cousins, dem Herumzeigen von Harriet und schließlich der Vergewisserung, dass das Kind Brot und Milch bekam, bevor es ins Bett ging, blieb Catherine keine Zeit, das Anwesen zu erkunden.

Sie sah sich gezwungen, lange neben Harriets Bett zu sitzen – das kleine Mädchen war zu aufgeregt gewesen, um einzuschlafen –, sodass Catherine die Erforschung des wundervollen Hauses verschieben musste. Aber an diesem Morgen hatte Harriet noch tief und fest geschlummert und Grace, eines der Zimmermädchen auf Pemberley, übernahm widerwillig die Aufgabe, auf das schlafende Kind aufzupassen. Sie teilte Catherine fast schon aufsässig mit, dass sie eine Zofe sei, und machte durch ihr Verhalten allzu deutlich, wie sehr sie die Tatsache verärgerte, für eine kleine Weile über Harriet wachen zu müssen. Jedoch bestand Miss Reynolds, die Haushälterin, darauf.

Mrs Bennet und Kitty Collins befanden sich noch in ihren Gemächern und so hatte Catherine die Möglichkeit genutzt und das Gelände erkundet, wo niemand sie finden konnte.

Allein zu sein und genau das tun zu können, was sie wollte, stellte ein so seltenes Vorkommnis dar, dass es ihr zu Kopf stieg wie starker Wein. Ihr gesamtes Leben bestimmten Rufe wie ‚Catherine! Wo bist du? Catherine, bring mir dieses, tu jenes …‘ Zeit, um einfach innezuhalten, nachzudenken und sie selbst zu sein, gab es nicht. Nun sog sie die klare, reine Derbyshire-Luft gierig in ihre Lungen und fragte sich, warum sie so anders schmeckte als die in Hertfordshire.

Die prachtvollen Wälder befanden sich zu weit entfernt, um sie am heutigen Morgen zu erreichen, denn Catherine wusste, dass sie ihren Aufgaben und ihrer Schwester nicht zu lange fernbleiben durfte. Deswegen flanierte sie durch die Gärten, genoss den Anblick von Obsthainen und Statuen, die Frühjahrsblüher und die neuen Blätter, die an den Bäumen sprossen, während sie in der Ferne das Blöken von Schafen und Lämmern auf den Hügeln hörte.

„Ich wünschte, Papa könnte diese Gärten sehen“, flüsterte sie zu sich selbst. Jedoch wusste sie, dass Mr Collins kein vernünftiger Mann war und es auch nie sein würde. Er war aufgeblasen und einige der Dinge, die er in der Öffentlichkeit oder sogar von der Kanzel seiner Kirche sprach, ließen Catherine zusammenfahren, sodass sie sich vor Scham auf die Zunge beißen musste. Dass die Darcys keine Zeit für ihn erübrigen mochten, war aus den verschiedenen Kommentaren, die sie mitgehört hatte, nur zu deutlich hervorgegangen. Unter anderem gab es da auch eine Bemerkung ihrer Stiefmutter, welche ihrer älteren Schwester bei ihrer Ankunft mitteilte, wie wundervoll es war, für eine kurze Weile von William getrennt zu sein.

Trotz all seiner Fehler liebte Catherine ihn; sie teilten ein Interesse an der Natur und den dort wachsenden Dingen. Während die Schönheit von Blumen und Bäumen in Catherine Wohlbefinden auslöste, bevorzugte ihr Papa den Anbau von Kohl und Salaten. Catherine wusste, dass er diese wunderschönen Gärten gemocht hätte, und war betrübt darüber, dass seine Aufgaben in der Kirche von Meryton ihn davon abhielten, mit dem Rest der Familie in den Norden zu reisen.

„Oh, wie schön!“ Sie war gerade um eine Kurve gebogen und sah, dass der weitere Weg zu einer kleinen Lichtung führte, wo schließlich der Wald begann. In der Mitte der Bäume befand sich ein Fischteich, in dem ein steinerner Springbrunnen plätscherte und das Wasser tanzte. Er wurde von einem Bach gespeist, der sich von den Hügeln aus seinen Weg durch die Ländereien bahnte, um schließlich in einen der vielen Pemberley-Seen zu fließen.

Um das Steinbecken verlief saftiger grüner Rasen und so zog Catherine, ohne noch ein weiteres Mal darüber nachzudenken, ihre Schuhe aus und spürte das weiche, feuchte Gras unter ihren Füßen. Es vermittelte ein herrliches Gefühl von Freiheit, als die leichte Brise die Äste und ihr Haar rascheln ließ – ihr Haar, das heute einfach locker über ihren Rücken fiel, wobei die rostbraunen und bronzenen Strähnen schimmerten, die man sonst in den dichten Flechtfrisuren nie erkennen konnte. Catherine wiegte sich sanft zu einer Melodie in ihrem Kopf, summte, tanzte einige Schritte zum Takt das Wasserplätscherns.

Sie fragte sich, wie es wohl wäre, jeden Tag mit all dieser Schönheit um sich herum zu leben. Ihr Zuhause in Longbourn war mit einem Garten, einem Obsthain und schmucker Wildnis zu beiden Seiten der Auffahrt sehr hübsch, aber nichts im Vergleich zu den Ländereien von Pemberley. Während sie einige Tanzschritte im Sonnenlicht vollführte, welches nun durch die Blätter über ihrem Kopf fiel, tadelte sie sich selbst. Sie konnte sich glücklich schätzen, überhaupt Teil der Hochzeitsgesellschaft sein zu dürfen. Bei Cassandra handelte es sich nur um eine entfernte Cousine; tatsächlich stellte Mrs Darcy, Catherines Patentante, eine nähere Verwandte dar. Es war demnach in der Tat sehr freundlich von ihnen, auch sie einzuladen.

Es fiel ihr schwer, sich nicht dessen bewusst zu sein, wo sie in dieser großen Familie mit ihrem verzweigten Stammbaum stand; es war nicht leicht, auszublenden, dass sie lediglich einen sehr kleinen, unbedeutenden Zweig an einem seiner Äste darstellte. Catherine hegte nicht viele Erwartungen an die vor ihr liegenden Jahre. Sollte sie tatsächlich heiraten – und vernünftig, wie sie war, würde sie das sicherlich tun –, handelte es sich bei dem fraglichen Mann zweifelsohne um einen der jungen Kirchenmänner ihres Vaters, der eine Frau und Gefährtin in seinem Leben benötigte.

Leider verhielt es sich so, dass junge Männer, die gerade erst ihren Dienst in der Kirche antraten, oftmals in den ärmsten Teilen von Dörfern und Städten arbeiteten und nicht auf dem wunderschönen Land. Eine Ausnahme mochten Söhne reicher Familien darstellen. Catherine hätte diesen Umstand durchaus akzeptiert, hätte in vornehmer Armut gelebt, wenn sie je einem Gentleman begegnet wäre, der ihr als Ehemann geeignet erschien. Leider vermochte es keiner der jungen Kirchenmänner, die sie bisher traf, sie davon zu überzeugen, ihren Status als unverheiratete Frau aufzugeben.

Sie wünschte sich, dass ihre Großeltern, Sir William Lucas und seine Frau, noch am Leben wären. Diese hatten, wie Mama Collins sagte, oft prächtige Feiern veranstaltet, auf denen Catherine zwischen zahlreichen Partnern hätte wählen können. Beide waren jedoch bereits verstorben und ihre Tante Maria heiratete einen Landwirt und zog ins weitentfernte Cornwall.

Ja, Catherine war sich nur zu bewusst, dass ihre Zukunft entweder daraus bestand, dass sie eine Vernunftehe einging, oder als unbezahlte Zofe zuhause bei ihrer kleinen Halbschwester blieb. Mit einer Stiefmutter zu leben, welche den Großteil ihrer Zeit damit verbrachte, sich über ihr Dasein zu beschweren, hatte Catherine in der Absicht gefestigt, dass ihre eigene Existenz nie nur aus Ächzen und Nörgeln bestehen sollte. Das führte zu nichts und ging lediglich allen auf die Nerven, die zuhören mussten!

Schon vor langer Zeit hatte sie außerdem beschlossen, diese Probleme immer zuversichtlich und entschlossen anzugehen. Unter dem schweren Deckmantel von Vernunft und Ernsthaftigkeit befand sich eine junge Frau, deren eigentlicher Charakter vollkommen im Gegensatz zu ihrem öffentlichen Benehmen stand. Es war diese Lebensfreude, diese Liebe für Vergnügungen und Lachen, die sich an diesem herrlichen Frühlingstag ihren Weg an die Oberfläche bahnten.

***

Sir Robert Courtney war kein glücklicher Mann. Schon vor dem Morgengrauen war er aufgestanden, hatte Pemberley verlassen und wanderte seitdem durch die Felder und Wälder. Er hatte nicht gut geschlafen, sich hin und her gewälzt; sein Kopf platzte fast angesichts seiner neuen Verantwortung als Herr von Courtney Castle und der umgebenden Ländereien in Northumberland. Voller Ungeduld wartete er darauf, dass die Hochzeit seines jüngeren Bruders vorüberging. Er mochte Richard gern und auch das Mädchen, wünschte ihnen beiden nur das Beste, aber von Zuhause fort zu sein, stellte für ihn jedes Mal ein Problem dar.

Sein Vater war seit vielen Jahren krank gewesen und da er sich weigerte, den Rat seines Sohnes zu befolgen, verfiel das Anwesen immer weiter. Sir Robert wusste, dass es harter Arbeit und einer großen Summe Geldes bedurfte, damit Haus und Ländereien in altem Glanz erstrahlten. Harte Arbeit stellte keine Hürde dar, Geld hingegen schon. Er brauchte eine reiche Frau, aber …

Wie so oft versuchte er, Lucinda – seine Frau, die auf so tragische Weise gestorben war – aus seinen Gedanken zu verbannen, aber es fiel ihm schwer. Er wusste, dass seine Familie von ihm erwartete, dass er erneut heiratete und einen männlichen Nachkommen zeugte, denn das Courtney Anwesen wurde entlang der männlichen Linie vererbt.

Das bedeutete besonders für seinen Bruder Martin Angst und Schrecken, da dieser als Nächster in der Erbfolge stand – eine Tatsache, die den jungen Mann in Panik versetzte. Dass er sein träges Leben vornehmlich in den Spielhäusern Londons und an diversen Rennstrecken des Landes verbrachte, passte schlichtweg nicht zu der Verantwortung, die ein Lebenswandel als Grundbesitzer mit sich brächte. Robert war sich sicher, dass sein Bruder binnen eines Jahres das gesamte Geld, welches das Anwesen erwirtschaftete, ausgegeben und die Courtneys in fürchterliche Schulden gestürzt hätte.

Aber die Vorstellung, erneut zu heiraten, trieb Robert zur Verzweiflung. Er hatte Lucinda sehr gemocht und war zutiefst getroffen, als sie vor zwei Jahren bei einem Kutschunfall ums Leben kam. Sie war so wunderschön gewesen – mit blondem Haar, groß und schlank, eine talentierte Malerin und Musikerin mit einer merkwürdigen Unnahbarkeit, die er aufregend gefunden hatte. Er kannte sie seit ihrer gemeinsamen Kinderzeit und war mit der Vorstellung aufgewachsen, dass sie irgendwann heiraten würden. Wie könnte er sie je in seinem Leben ersetzen? Jede andere wäre ein bloßer Schatten von Lucinda. Nur – und da lag der springende der Punkt, an dem er jedes Mal in seinen Gedankenspielen hängen blieb – gab es da noch Matilda zu berücksichtigen.

Seine Tochter war jetzt sechs Jahre alt und mit der gleichen Anmut gesegnet wie ihre Mutter. Matilda hatte mit ihrer Mama in dem Wagen gesessen, als dieser an einem steilen Hang außerhalb Whitbys umkippte. Irgendwie kam sie unverletzt davon; jedoch hatte sie von diesem Tag an kein Wort mehr gesprochen. Das Mädchen war intelligent, das wusste er, und er gab sich selbst die Schuld daran, nicht mehr Zeit und Aufmerksamkeit darauf zu verwenden, ihren Zustand zu kurieren. Er war nachlässig gewesen und hatte Matilda in den letzten zwei Jahren viel zu oft den Händen ihres Kindermädchens überlassen. Jedoch verhielt es sich so, dass er jedes Mal, wenn er sie ansah, Lucinda erkannte und der Schmerz angesichts ihres Todes sich sofort wieder gegenwärtig anfühlte.

Bei dem einzigen anderen Familienmitglied, das auf Courtney Castle lebte, handelte es sich um seine sehr alte Tante Honoria, welche wohl gerade in diesem Moment die anderen Gäste auf Pemberley das Fürchten lehrte. Sie war eine strenge Lehrerin und er sorgte sich, dass Matilda sich vor ihr ängstigte. Nein, seine Tochter brauchte eine Gouvernante oder zumindest eine vernünftige, intelligente Gefährtin, die ihr helfen konnte zu lernen, in dem Leben, das vor ihr lag, eine relevante Rolle zu spielen.

Nun, damit hatte er wenigstens eine Entscheidung getroffen. Er beschloss, so schnell wie möglich eine geeignete junge Frau zu finden und diesbezüglich Elizabeth Darcy um ihre Hilfe zu bitten. Sie pflegte eine Vielzahl von Bekanntschaften; sicherlich würde sich darunter eine Person finden lassen, die seinen Ansprüchen genügte.

Dieser Ausflug von Zuhause hatte unter anderem seine Gedanken eine erneute Ehe betreffend geordnet. Er hatte die Liebe kennenlernen dürfen und erkannte an Richards Verhalten gegenüber Cassandra, dass es sich dabei um einen beneidenswerten Zustand handelte; dieses Mal jedoch würde er aus Pflichtgefühl heiraten. Er gedachte zu verhindern, dass sein Herz sich einmischte.

„Abigail Richmond wird meinen Antrag annehmen“, murmelte er, als er sich auf den schmalen Waldweg zurück nach Pemberley begab. „Sie liebt mich nicht und ich liebe sie ebenso wenig, aber es ist eine vernünftige Verbindung für jeden von uns. Wir kennen uns bereits seit unserer Kindheit, sie war eine enge Freundin von Lucinda, sie sieht gut aus, kommt aus einer angesehenen Familie, ist reich und wenn sie mir einen Erben schenkt, dann ist alles gut und schön.“

Nachdem er auch noch diese Entscheidung traf, hielt er an, um einmal tief durchzuatmen, und runzelte dann die Stirn. Er hätte schwören können, dass er jemanden singen hörte. Er folgte dem Klang und aus dem Schutz der Büsche heraus blickte er auf eine kleine Lichtung, die in den Wald geschlagen worden war und auf der ein hübscher Springbrunnen in einem Becken plätscherte. Und er lächelte. Dort tanzte eine junge Frau durch das Gras – ihrem Kleid und ihrem Aussehen nach zu urteilen zweifellos eines der Hausmädchen von Pemberley. Ihre Füße waren nackt und vom spritzenden Wasser des Springbrunnens ganz nass. Ihr wunderschönes, langes braunes Haar schwang offen zu ihren Bewegungen und mit ausgestreckten Armen sang sie leise für sich selbst, versunken in einer glücklichen Welt aus Gefühl und Musik.

Für einen Moment schien es ihm, als verzögen sich die dunklen Wolken, die ihn jeden Tag umgaben, und er erinnerte sich daran, wie es sich anfühlte, glücklich zu sein. Ihm war nur allzu klar, dass das Wissen darum, eines Tages Courtney Castle zu erben, schon in jungen Jahren eine große Verantwortung auf seine Schultern geladen hatte. Während er heranwuchs, waren die Momente, in denen er sich entspannen und Spaß haben konnte, immer weniger geworden und schließlich mit Lucindas Tod gänzlich verschwunden.

Gerade wollte er sich zurückziehen und dem Mädchen seine Einsamkeit lassen, als jemand klatschte. Dort auf der anderen Seite der Lichtung stand sein Bruder Martin und lachte auf das Mädchen hinab, welches erschrak und seinen Mantel eng um die Schultern schlang.

„Sir! Sie haben mich erschreckt!“ Catherine war beschämt, dass jemand ihr dabei zugesehen hatte, wie sie herumalberte. Der junge Mann sah sehr gut aus – groß und schlank, elegant gekleidet, er besaß funkelnde grüne Augen und ein schelmisches Grinsen auf den Lippen.

Er nahm seinen Hut mit einer ausladenden Geste ab, wobei eine Strähne hellblonden Haares in seine Stirn fiel. „Bitte entschuldige vieltausendmal, kleines Feenmädchen. Aber fahre doch mit deinem Tanz fort oder wirst du dich nun in Luft auflösen, da ich dich entdeckt habe?“

Catherine spürte, wie ihre Wangen erröteten. „Sir, Sie müssen erlauben, dass ich zum Haus zurückkehre.“

Martin Courtney ging mit großen Schritten auf sie zu und hielt Catherine auf, als sie zurückwich. Das war spaßiger als alles, was er bisher erlebt hatte, seit seiner Ankunft für Richards Hochzeit auf Pemberley.

Er war nur zu glücklich gewesen, London hinter sich lassen zu können – zusammen mit all den Schulden, die er in einer so kurzen Zeit angehäuft hatte. Er wusste, dass er deswegen eine dieser langweiligen Unterhaltungen mit seinem älteren Bruder führen musste, bevor er wieder abreiste. Er brauchte Geld und Robert würde ihn ermahnen und ermahnen – Gott, wie streng und altmodisch er sich gab, seit seine Frau gestorben ist! Martin konnte sich noch an den Bruder erinnern, der für jedes Abenteuer bereit war. Sicher hatte er immer gewusst, dass er einmal Courtney erbte, und es seit jeher genossen, das Familienvermögen zu vergrößern, aber er besaß früher auch eine unbeschwerte Seite.

Er hatte sich darauf gefreut, Cassandra kennenzulernen, welche in der Tat schön, aber zu verliebt in seinen jüngeren Bruder war, um auch nur in seine Richtung zu schauen. Die zwei älteren Darcy-Mädchen besaßen zu viel Anstand, um mit ihm zu flirten.

Natürlich gab es da noch die jüngste Darcy-Tochter Bennetta, deren dunkle Locken ihn in ihrem Bann zogen. Jedoch war sie noch nicht einmal siebzehn Jahre alt, damit zwar schon alt genug, um zu heiraten, aber in vielerlei Hinsicht noch ein Kind. Er musste zugeben, dass es eine Gefahr darstellte, mit ihr zu flirten – als spielte er mit dem Feuer –, obwohl ihre dunklen Augen in seine Richtung gefunkelt hatten. Keinesfalls aber wollte er den Zorn von Mr Fitzwilliam Darcy auf sich ziehen, indem er mit dessen jüngster Tochter anbandelte. Zumindest nicht in den nächsten Jahren. Dieses Hausmädchen hier, welches zu einer Melodie tanzte, die es allein hören konnte, war die einzige andere Frau, die bislang sein Interesse geweckt hatte.

„Oh, befindest du dich in Eile, deine täglichen Aufgaben zu beginnen? Ich bin ein Gast der Darcys. Gehört es deswegen nicht auch zu deinen Aufgaben, mir zu Diensten zu sein?“

Catherine zog sich die Kapuze ihres Mantels über die Haare. Sie hielt inne; der Mann nahm offenbar fälschlicherweise an, dass sie eine Bedienstete war. Wie dem auch sei, er hätte niemals mit ihr auf solch eine intime Weise sprechen sollen. Sie wusste, dass sie ihm einfach sagen sollte, wer sie war, und ihn darum bitten, sie zurück zum Haus zu geleiten, aber ein plötzlicher und unerwarteter Anflug von Zorn gegenüber seinem Verhalten ließ sie schweigen. Sollte er doch peinlich berührt reagieren, wenn sie sich heute auf der Hochzeit wieder trafen. Sie hatte nichts getan, dessen sie sich schämen musste. Sie wandte sich zum Gehen, doch der Mann griff mit einem Lachen nach ihr und hielt sie am Arm fest.

„Lass sie los!“

Beide wirbelten herum, als ein großer dunkelhaariger Mann mit breiten Schultern einige herunterhängende Äste zur Seite schob und auf die Lichtung trat.

„Du bist zeitig unterwegs.“ Der jüngere Mann wandte sich dem Neuankömmling zu, als dieser sprach, und lockerte mit einem Lächeln seinen Griff.

Der Mann sah ihn und Catherine finster an. „Ich denke, es wird das Beste sein, wenn Sie nun Ihren Aufgaben im Haus nachgehen, Miss“, sagte er in gereiztem Tonfall und sie konnte kalte Verachtung in seinen tiefblauen Augen erkennen. „Leichtsinnig ist das, durch die Wälder zu trödeln, und für eine junge Frau keinesfalls vernünftig.“ Er funkelte den jüngeren Mann an. „Und Gott allein weiß, warum du Darcy dadurch verärgern willst, weil du seinen Bediensteten etwas zu viel Aufmerksamkeit zukommen lässt.“

Catherine wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Trödeln! Wann tat sie dergleichen jemals? Sie wusste nicht einmal, wie man trödelte.

Der blonde Mann hatte ihren Arm losgelassen und lächelte sie nun an. „Ich nehme an, du hast recht. Ja, hübsches Mädchen, so verführerisch du auch sein magst, zurück ins Haus mit dir.“

Mit einem flüchtigen Knicks drehte sich Catherine um und eilte davon.

„Halt!“

Sie drehte sich nervös um, nur um den dunkelhaarigen Mann direkt vor sich vorzufinden. Ohne ein Wort drückte er ihr ihre Schuhe in die Hand und sie wusste, dass er ihr immer noch nachsah, als sie die Schuhe nahm und barfuß zurück zum Haus flüchtete.

***

Elizabeth Darcy stand an einem der Fenster von Pemberley und sah hinaus über die Wiesen, bis dahin, wo die Wälder endeten und die Hügel Derbyshires sich anschlossen. Sie wurde diesen Ausblick niemals leid, der ihre Nerven beruhigte und ihr Freude bereitete. Sie fühlte sich erschöpft; die Hochzeit hatte am vorherigen Tag stattgefunden und alles war gutgegangen. Das glückliche Paar befand sich auf dem Weg in ein kleines Herrenhaus, welches Mr Darcy außerhalb von Stratford upon Avon besaß, und wo es eine Woche verbringen würde.

„Du bist müde, Elizabeth. Wie immer hast du zu viel gearbeitet. Warum lernst du nicht, einige Dinge an die Dienerschaft abzugeben? Miss Reynolds ist durchaus in der Lage, den Überblick über alle Vereinbarungen zu behalten.“ Eine warme Hand auf ihrer Schulter und die Stimme ihres Liebsten im Ohr, das war alles, was Elizabeth brauchte, um sich zurückzulehnen und zu spüren, wie seine Stärke sie stützte, sodass alle ihre Sorgen verflogen.

„So müde bin ich gar nicht. Nur müde genug. Es sind auch nie die Haushaltsangelegenheiten, die mich erschöpfen. Viel mehr sind es die verschiedenen Mitglieder unserer Familie und ihre jeweiligen Bedürfnisse.“ Sie drehte sich in seinen Armen um und als sie feststellte, dass er seine Reitkleidung trug, lächelte sie und sagte: „Wie ich sehe, entfliehst du den rituellen ‚Nachbesprechungen der Hochzeitsfeier‘, mein Liebster. Wie überaus schlau.“

Mr Darcy erschauderte. „Ich rette Charles aus der Hölle auf Erden, in welcher zu entscheiden steht, wer am schicksten aussah, wer mit wem mehr als einmal getanzt hat und wer als Nächster vor den Altar treten wird. Sir Robert und die restliche Courtney-Verwandtschaft haben bereits ihren Dank ausgesprochen und sich auf den Heimweg begeben; sie wollten vor dem Morgengrauen unterwegs sein, wie du ja weißt. Also werden Charles und ich zu den Hügeln reiten, den Pferden etwas Auslauf gönnen und die gute Zeit genießen.“ Er beugte sich nach unten und küsste ihre Finger. „Ich sehe dich beim Abendessen, aber bitte setz mich nicht neben Lydia oder Kitty, wenn du meine Zurechnungsfähigkeit schätzt.“

Elizabeth lächelte immer noch aufgrund der Angst in seiner Stimme, als sie sich in den gelben Salon begab. Sie hielt im Türrahmen inne und besah sich die Anwesenden, die auf den Sofas saßen, heiße Schokolade tranken und kleine Mandelplätzchen aßen.

Das hier war das erste Mal seit vielen, vielen Jahren, dass sich die vier Schwestern unter sich befanden. Mary fehlte als Einzige. Sie war mit Reverend Matthew Malliot verheiratet, einem ältlichen Missionar. Sie führte ein gänzlich anderes Leben als ihre Schwestern, da sie zu den Menschen in Afrika predigte. Elizabeth taten diese armen Leute jedes Mal leid. Marys Schmähreden zuhören zu müssen, strengte sicherlich unglaublich an.

„Ach, Lizzie, komm doch her und setz dich. Die Schokolade wird ja ganz kalt.“ Lydia hatte ihre Füße auf das Sofa gelegt und Elizabeth sah sowohl sehr viel von ihren grünen Strümpfen als auch den Schmutz, den ihre Schuhe auf dem Seidenüberwurf hinterließen.

„Ja, ich nehme doch an, dass du genug Diener hast, die dafür sorgen, dass in diesem riesigen Palast alles reibungslos läuft, ohne dass du dich ständig einmischen musst.“ Kitty klang unzufrieden. Seit sie William Collins nach dem Tod seiner Frau Charlotte geheiratet hatte, war ihr bewusst geworden, dass sie niemals ein so privilegiertes Leben führen würde, wie ihre zwei älteren Schwestern. Sie aß ein weiteres Plätzchen: Kitty hatte festgestellt, dass Essen eine ganz wunderbare Annehmlichkeit darstellte, wenn der eigene Mann sich wie ein aufgeblasener Narr aufführte. Ihr täglich wachsender Körperumfang illustrierte das nur zu gut.

„Lizzie, du siehst müde aus. Und ich bin mir sicher, dass du dich auch so fühlst – gestern war wundervoll. Cassandra sah traumhaft aus. Du musst stolz auf sie sein, Lydia.“

Elizabeth setzte sich neben Jane Bingley und warf ihr einen besorgten Blick zu. Sie war sehr blass, was die Schönheit ihres Gesichts nur noch unterstrich. Vor einigen Monaten hatte sie ihr viertes Kind zur Welt gebracht, ein kleines Mädchen mit Namen Alethea. Diese sehr späte und unerwartete Schwangerschaft schien sie gesundheitlich und körperlich ausgelaugt zu haben.

„Oh Gott, ja, ich bin stolz. Natürlich bin ich das. Ich muss zugeben, dass sie so hübsch aussah, als sie dieses Kleid und die wunderschöne Smaragdkette trug, wie es jedes andere Mädchen auch getan hätte. Dein Schmuck, nehme ich an, Lizzie?“

Lydia hatte mit gemischten Gefühlen auf die Hochzeit ihrer Tochter geblickt. Die Zeremonie hatte Erinnerungen an ihre eigene Ehe mit George Wickham zutage gefördert; eine Ehe, bei der es sich, wie sie nun wusste, um eine einzige Farce gehandelt hatte. Sie erinnerte sich an die große, kalte, leere Kirche in London, die grimmigen Gesichter ihrer Tante, ihres Onkels und Mr Darcys. Und ganz sicher hatte es für sie keine Smaragdkette an diesem besonderen Tag gegeben. Aber sie beruhigte sich mit dem Gedanken, dass beide Bräutigame bei ihren Hochzeiten – erst Wickham und dann der gute Major Allerton – in ihren Uniformen wesentlich eleganter und ansehnlicher aussahen als der dünne, dunkelhaarige Arzt, den Cassandra geheiratet hatte.

Elizabeth nickte und goss sich eine Tasse Schokolade ein. „Die Kette? In der Tat. Hochzeiten machen so viel Freude und ich weiß nicht, wann ich das nächste Mal Gelegenheit bekomme, eine Braut einzukleiden. Die Zwillinge haben im Moment keine Verehrer und Bennetta würde sich wohl für einen Piraten oder einen Wegelagerer entscheiden.“

Jane lächelte. „Meine Beth wird bald achtzehn und ich nehme an, dass ich langsam darüber nachdenken sollte, was für einen jungen Mann sie wohl mit in die Familie bringt.“

„Im Moment haben sich all unsere Töchter im Zimmer der Zwillinge verschanzt, um dort ihre Hauben für die Kirche am Sonntag zu verschönern und – genau wie wir – über Cassandras Hochzeit zu plaudern.“ Sie blickte sich im Zimmer um. „Aber noch ist es kein Familientreffen. Wo ist Mama und warum befindet sich Catherine nicht bei den anderen Mädchen?“

Kitty steckte sich einen weiteren Keks in den Mund. „Mama hat sich hingelegt, da sie an einem Anfall nervöser Erschöpfung aufgrund der Hochzeit leidet. Catherine kümmert sich natürlich um Harriet.“

„Aber Kitty! Ich habe dir ein Kindermädchen für die Kleine zur Verfügung gestellt, als du hier ankamst. Sicherlich ist es nicht an Catherine, ständig auf ihre kleine Schwester aufzupassen. Sie sollte sich mit ihren Cousinen ausruhen.“

„Oh, sie mag das. Sie liebt Harriet.“

„Aber …“

„Oh, mach dir keine Umstände deswegen, Lizzy. Komm einmal zur Ruhe und sag uns, wer die sehr alte Dame mit dem lächerlichen lilafarbenen Hut war, die ganz vorn in der Kirche saß. Eine von Richards Verwandten, nehme ich an. Ich gebe zu, dass ich vor Lachen kaum der Zeremonie folgen konnte.“

Lydia und Jane gaben ebenfalls ihre Kommentare ab und Elizabeth ließ sich gegen die Lehne ihres Stuhls fallen, wobei sie sich merkwürdig unzufrieden fühlte. Catherine Collins war kein Kindermädchen, was auch immer ihre Stiefmutter denken mochte.

 

Am folgenden Tag standen Mr und Mrs Darcy auf den Eingangsstufen von Pemberley und winkten zwei Kutschen hinterher, welche die Auffahrt hinunter rollten. „Nun, meine Liebe, da ziehen die Bingleys mit all ihren Kindern dahin und zu meiner anhaltenden Freude haben sie deine Mutter und Lydia mitgenommen. Wann wurde das arrangiert?“

„Gestern Abend. Jane, von der ich meine, dass sie eine Heilige in Menschengestalt sein muss, sagte Mama, sie benötigte ihren Rat bezüglich der Erneuerungen, die sie für das Haus plante. Daraufhin beschloss Lydia, bei den Bingleys zu wohnen, bis sie selbst zurück in den Norden fährt. Ich denke, sie wird versuchen, Charles zu überzeugen, ihr Geld zu geben – und ich nehme an, sie wird damit erfolgreich sein. Charles ist eine gute Seele, Lydias Betteln gegenüber schutzlos ausgeliefert, und Jane ist ebenso gutherzig.“

„War es merkwürdig, deine Schwestern alle unter einem Dach zu erleben?“

„Tatsächlich war es das, ja. Gestern saßen wir zusammen, haben geredet, uns gezankt und abgesehen davon, dass Mary nicht da war, um ihre beißenden Kommentare abzugeben, fühlte es sich nicht so an, als seien zwanzig Jahre vergangen.“

„Komm und setz dich. Ich läute nach Kaffee.“

Elizabeth lächelte, als sie gemeinsam die Haupttreppe hinauf gingen, anschließend den schwarz-weiß-gefliesten Korridor durchquerten, um zur Treppe, die ins nächste Stockwerk führte, zu gelangen. Dort befand sich der gelbe Salon, einer ihrer Lieblingsorte zum Ausruhen.

„Du vergisst, dass wir immer noch ein Haus voller Gäste zu unterhalten haben.“

Ein plötzliches Kreischen ertönte und Mr Darcy zuckte zusammen. „Und das ist der lauteste Gast, möchte ich meinen.“

Ein weiteres Kreischen war zu hören und ein kleines Mädchen von vielleicht vier Jahren rannte einen Flur entlang, der zur Bedienstetenseite des Hauses führte. Dabei hatte die Kleine ein Stück Brot mit Marmelade fest umklammert. Vor den Darcys kam sie zum Stehen und sah durch ihre wirren Locken zu ihnen auf, bevor sie sich das Brotstück in einen Mund stopfte, der bereits viel zu voll war. Jedoch schien für sie klar zu sein, dass niemand ihr ihre Beute stehlen würde.

„Harriet Collins – was tust du hier unten?“, fragte Mrs Darcy verärgert.

Gerade in diesem Moment ertönten Schritte und eine kleine, schlanke junge Frau in einem einfachen braunen Kleid, die Haare zu einem Kranz um ihren Kopf geflochten, kam in den Korridor geeilt. „Oh, Harriet – da bist du! Ungezogenes Mädchen! Ich habe dich überall gesucht. Was isst du denn da – oh, du hast überall auf deinem schönen, sauberen Kleid Marmelade verteilt.“

„Catherine, meine Liebe.“

„Mrs Darcy, Mr Darcy!“ Die junge Frau knickste vor ihnen und beugte sich dann nach unten, um den Versuch zu unternehmen, dem zappelnden und sich windenden Kind die Marmelade mit ihrem Taschentuch vom Gesicht zu wischen.

„Catherine, wir haben bereits darüber gesprochen. Es besteht keine Notwendigkeit, sich derart formell zu verhalten. Bitte, nenn mich Cousine Elizabeth. Ich bin deine Patentante und deine Cousine zweiten Grades.“

Das Gesicht das Mädchens errötete. „Ja, ich habe es lediglich vergessen. Ich bin nur so erleichtert, Harriet gefunden zu haben. Mama Collins hat die gesamte letzte Stunde nach ihr gefragt und sie war nirgendwo zu sehen.“

Mr Darcy wandte sich von ihnen mit einer knappen Verbeugung ab. „Meine Liebe, ich überlasse dir diese häuslichen Belange und sehe dich dann beim Abendessen.“

Elizabeth blickte ihm hinterher und wandte sich mit gerunzelter Stirn wieder Catherine zu, welche Probleme hatte, das kleine Mädchen davon abzuhalten, einfach wieder wegzurennen. „Ich verstehe nicht ganz, warum du dich wieder um deine Schwester kümmerst. Wo ist ihr Kindermädchen? Ich bin mir sicher, dass ihr eins zur Seite gestellt wurde, als ihr alle für die Hochzeit nach Pemberley kamt, da Kitty nicht selbst in der Lage war, eines mitzubringen.“

„Harriet – steh still und denk an dein gutes Benehmen. Deine Tante spricht. Es tut mir leid, Cousine Elizabeth. Mama Collins hat es lieber, wenn ich auf sie aufpasse. So machen wir es zu Hause, wie du wissen musst, und Mama Collins meint, dass Harriets kleine Welt durch Veränderungen nicht zu sehr durcheinandergebracht werden darf. Sie ist ein sehr sensibles Kind.“

Elizabeth sah Harriet mit einem gewissen Ekel an, als diese nun finster zu Boden starrte und noch auf dem letzten Rest Brot mit Marmelade kaute. Sie war so hoch wie breit und obwohl Elizabeth die Meinung vertrat, dass alle Kinder auf ihre eigene Art und Weise Attraktivität besaßen, ließ sie das Kind von Kitty und Mr Collins manchmal an dieser Annahme zweifeln. Und sollte dieses Mädchen tatsächlich sensibel sein, dann bestünde der Mond aus Käse.

„Zweifellos kennt Kitty ihre Tochter am besten, aber du siehst müde aus, meine Liebe.“ Kurzerhand läutete Elizabeth eine kleine Handklingel auf einem der Beistelltische und als ein Diener auftauchte, trug sie ihm auf, Miss Harriet sofort zu ihrer Mutter zu bringen, und sollte Mrs Collins dies infrage stellen, möge er ausrichten, dass er auf Geheiß von Mrs Darcy handelte.

Nach Harriets Verschwinden hakte sie ihren Arm bei Catherine unter und führte sie nach oben in den Salon. „Ich wollte gerade nach Kaffee läuten. Wirst du mir Gesellschaft leisten? Wir hatten kaum Zeit, uns zu unterhalten, seit du angekommen bist.“

Catherine setzte sich und schaute sich in dem luxuriösen Zimmer mit seinen dunkelgelben Vorhängen und dem gleichfarbigen Mobiliar um. Sie fühlte sich angespannt: Es war schön und gut, wenn Cousine Elizabeth ihrer Schwester Vorschriften machte, aber Catherine wusste, dass Mama Collins sehr zornig reagieren würde, wenn sie erfuhr, dass Harriet irgendwie davongelaufen war und ihr Mittagessen mit Brot und Marmelade ruiniert hatte.

„Hast du die Hochzeit genossen?“

„Oh, das, was ich davon gesehen habe, fand ich wunderbar“, antwortete Catherine schnell. „Cassandra sah entzückend und so glücklich aus und Dr. Courtney ist ein sehr ansehnlicher Mann, aber leider begann Harriet zu weinen – sie wollte mit den Blumen am Ende der Kirchenbank spielen –, also musste ich sie nach draußen bringen und so habe ich einige Teile der Zeremonie verpasst.“

Elizabeth biss sich auf die Lippe. Sie hatte in der Tat irgendwann zwischendurch ein schreiendes Kind vernommen, aber es hörte schnell wieder auf und deswegen hatte sie nicht weiter darüber nachgedacht. In diesem Moment fiel ihr noch etwas anderes ein. „Und die Feierlichkeiten am Abend? Ich glaube, ich habe dich gar nicht tanzen sehen, aber bei der Menge an Leuten, habe ich es vielleicht auch einfach nicht bemerkt.“

Catherine faltete ihre Hände im Schoß. Das hier fiel ihr schwer; es klang, als wäre sie undankbar angesichts der Tatsache, zur Hochzeit von Cassandra eingeladen worden zu sein. „Harriet ist nicht zur Ruhe gekommen. Leider hatte sie den Weg in die Küche gefunden und die Diener gaben ihr Kuchen und Süßigkeiten. Deswegen war ihr recht übel und Mama Collins hielt es für das Beste, wenn ich bei ihr bliebe.“

In diesem Moment brachte ein Diener eine Kanne Kaffee auf einem Silbertablett. Elizabeth entließ ihn und schenkten ihnen selbst ein. Sie sah Catherine zu, wie diese an ihrer Tasse nippte. Eine solch ruhige junge Frau, gelassen und ganz offenbar mit der gleichen bodenständigen Vernunft gesegnet, die auch ihre Mutter Charlotte ausgezeichnet hatte und die diese vor so vielen Jahren bewog, William Collins zu heiraten. Aber in ihrem Blick lag auch eine Sehnsucht, die Elizabeth Sorgen bereitete.

„Vermisst du deine Mama?“, fragte sie schließlich.

Catherine errötete. „Natürlich tue ich das. Sie war so liebevoll und sanft, und sie tat alles, um den Menschen zu helfen. Ich versuche, wie sie zu sein, aber ich fürchte, das wird mir niemals gelingen.“

„Du bist nun über zwanzig. Denkst du bereits ans Heiraten? Hast du einen Verehrer zu Hause?“

Catherine schüttelte den Kopf. „Mama Collins beschwert sich oft über den Mangel an geeigneten jungen Männern in der Gegend, besonders, nachdem das Militär abgezogen ist. Aber sie sagt auch, dass sie im Moment nicht ohne mich auskäme, was die Erziehung von Harriet betrifft. Mama Collins ist sich jedoch sicher, dass ich in einigen Jahren, wenn Harriet älter ist, einen jungen Kirchenmann aus Papas Bekanntenkreis heiraten werde.“

Ihre Stimme verlor sich, als sie selbst feststellte, wie schwierig sie es fand, angesichts dieser Zukunftsaussichten begeistert zu klingen.

„Und lässt dich das zufrieden sein, meine Liebe? Dich um deine kleine Schwester zu kümmern? Ich habe deine Mama sehr gemocht, wie du weißt. Wir waren viele Jahre lang gute Freunde. Ich bin mir sicher, dass sie für dich nicht das Leben eines Kindermädchens plante.“

„Oh, ich mag Harriet. Wirklich, das tue ich, aber manchmal sehne ich mich danach, mehr von der Welt zu sehen.“

Für eine Sekunde verschwand die vernünftige Catherine und zu Elizabeths Überraschung kam ein ganz anderes Mädchen zum Vorschein. „Das hier ist meine erste Reise weg von Hertfordshire, seit wir aus Kent dorthin gezogen sind. Ich würde mich freuen zu reisen, andere schöne Orte zu entdecken. Ich möchte gern das Meer sehen und wie die Wellen am Strand brechen. In Büchern wird es immer so wunderschön beschrieben. Und weißt du, ich war noch nie in London.“

„Nun, das ist wirklich schade. Aber obwohl wir ein Haus in London besitzen, muss ich gestehen, dass ich das Dasein auf dem Land bevorzuge. Jedoch kann man nie wissen, was das Leben für dich bereithält.“ Sie lächelte ihr Patenkind an. „Wenn ich mich richtig erinnere, ist deine Schulbildung der meinen und der meiner Schwester weit überlegen.“

Catherine hielt inne; sie fühlte sich, als gäbe sie an, wenn sie über ihre Fähigkeiten sprach.

„Lady Catherine de Bourgh, die Tante von Mr Darcy, nach welcher ich natürlich benannt bin, interessierte sich sehr für mich, als ich noch ein kleines Kind war und wir in der Nähe des prächtigen Hauses in Rosings lebten. Obwohl sie nicht meine Patentante war, bestand sie darauf, dass ich in Französisch und anderen nützlichen Fächern unterrichtet wurde. Sie erlaubte mir, die Bibliothek von Rosings zu nutzen, und empfahl mir sogar freundlicherweise Bücher, die ich lesen sollte, damit ich meinen Verstand unterhielt. Ihre Tochter, Miss Anne, lehrte mich ein wenig das Klavierspielen und ich mag es, zu malen und zu zeichnen, wenn ich die Möglichkeit dazu habe. Aber das kommt nicht oft vor. Ich liebe Pflanzen und Blumen wie mein Papa. Wir genießen unseren Garten gemeinsam.“
Elizabeth hob eine Augenbraue. Es war so merkwürdig, sich vorzustellen, dass Mr Darcys Tante etwas Nettes für ein Kind tat, welches ihr eigentlich nichts zu bedeuten hatte. „Das war sehr freundlich von Lady Catherine.“

Ihre Namensvetterin lächelte herzlich. „Ja, das war es. Ich mochte sie. Ich weiß, dass sie vielen Menschen immer harsch und intolerant vorkam, aber für mich hatte sie stets ein nettes Wort übrig und ich habe sie niemals als ungerecht empfunden.“

Elizabeth bemerkte, wie ihre Lippen zuckten. Ihre eigene jüngste Tochter, Bennetta, hatte als kleines Kind Lady Catherine derart vor den Kopf gestoßen, dass diese Pemberley über ein Jahr nicht besuchte. Was hatte es also mit dieser kleinen, schmalen Person auf sich, dass sie das Herz eines Drachens erwärmen konnte? Was hatte die alte Lady gesehen, das anderen entging?

„Ich freue mich sehr, das zu hören. Nun, wenn du deinen Kaffee ausgetrunken hast, schlage ich vor, dass du eine meiner Töchter findest, damit ihr zusammen einen Spaziergang durch die Gärten unternehmen könnt und deine Wangen wieder Farbe bekommen.“

Nachdem Catherine das Zimmer verlassen hatte, saß Elizabeth da und dachte nach. Sie erinnerte sich an eine Unterhaltung, die sie erst kürzlich mit Sir Robert Courtney führte. Er befand sich auf der Suche nach einer freundlichen, vernünftigen, intelligenten jungen Frau, die eine vertrauenswürdige und fügsame Gefährtin für seine junge Tochter auf ihrer Burg an der Küste Northumberlands abgab. Elizabeth Darcy nahm an, dass sie genau die richtige Person dafür gefunden hatte – jemanden, der sich – in der Tat – danach sehnte, das Meer zu sehen.

2. Kapitel

Catherine hockte auf der äußersten Kante ihres Sitzes in dem offenen Pferdewagen und drückte ein großes, in braunes Papier gewickeltes und mit Band verschnürtes Paket an sich. Hölzerne Käfige beherbergten zwei gackernde Hühner und etwa ein Dutzend gelbe, weiche Küken befanden sich neben ihr auf dem Boden. Ein riesiger Kartoffelsack presste sie gegen die Seitenwand des Wagens. Sie zitterte, da sie sehr fror, obwohl sie ihren schweren dunkelblauen Rock, eine Jacke und einen warmen Mantel trug. Der Wind, der von der Nordsee her wehte, blies unerbittlich trotz der strahlenden Sonne am hellblauen Himmel.

Sie schnappte nach Luft und wurde nach vorn gerissen, als der kleine Wagen, welcher von einem zerzausten Pony gezogen wurde, über eine Unebenheit auf dem holprigen Weg fuhr. Der Junge, der die Kutsche lenkte, drehte sich um und lachte, riet ihr dann in einem Dialekt, den sie kaum verstand, dass sie sich ja festhalten sollte.

Nickend wünschte sie sich, dass ihr ganzer Körper nicht derart schmerzte, und dass die Reise endlich vorbei wäre. Sie hoffte, dass an deren Ende ein Bett stand, in das sie einfach fallen und worin sie einschlafen konnte. Aber so müde sie auch war, wusste sie, dass sie sich zu aufgeregt fühlte, um zur Ruhe zu kommen. Die letzten Tage waren wie ein Wirbelsturm durch ihr Leben gefegt, sodass sie keine Zeit fand, ihre Gedanken zu ordnen und ruhig über alles nachzusinnen.

Ihr gesamtes Leben war innerhalb von Stunden auf den Kopf gestellt worden: Etwa eine Woche nach der Hochzeit fiel ihr auf, dass Cousine Elizabeth und Mama Collins bereits seit Stunden in einem Zimmer allein miteinander sprachen. Jedoch war sie zu sehr mit Harriet beschäftigt, um sich zu fragen, worüber die beiden wohl hinter der geschlossenen Salontür redeten. Zu ihrer Überraschung rief man sie danach ins Schlafzimmer von Mama Collins, wo sie ihre Stiefmutter vorfand, wie sie ein Hausmädchen beim Packen ihres Reisekoffers beaufsichtigte.

„Reisen wir so kurzfristig ab? Ich dachte, wir bleiben bis zum Ende der Woche.“

Mama Collins hatte sie angeblickt und ihr mitgeteilt – fast so, als wäre es nicht von Belang: „Mama, Harriet und ich reisen morgen ab.“

„Und ich bleibe? Wie wirst du mit Harriet auf der Reise klarkommen?“

„Wirklich, Catherine! Du lässt es klingen, als wärst du unersetzlich. Kein besonders schöner Charakterzug. Nein, natürlich bleibst du nicht auf Pemberley. Wem solltest du hier nutzen? Offenbar hat Sir Robert Courtney Lizzie nach einer Gefährtin für seine junge Tochter gefragt – nur für ein paar Monate, bis er selbst wieder heiratet. Sie schrieb ihm diesbezüglich einen Brief, erwähnte dich darin und erhielt darauf eine positive Antwort. Sie scheinen der Meinung zu sein, dass du dich dafür eignest – Gott allein weiß, warum –, und deswegen wirst du mit Lydia bis nach Newcastle in den Norden reisen und von dort aus fährst du allein weiter nach Alnwick, wo du von einem der Courtney-Diener abgeholt und weiter die Küste entlang mit nach Courtney Castle genommen wirst.“

„Aber …“

„Bitte diskutiere nicht mit mir, Catherine! Ich habe schlimme Kopfschmerzen. Ich bin so müde. Dies bedeutet eine gute Möglichkeit für dich, von Nutzen zu sein, anstatt nur faul zu Hause herumzulungern. Du hast Sir Robert auf der Hochzeit kennengelernt, oder nicht?“

Catherine entsann sich an den Tag. Sie war sich sicher, dass man ihr den ältesten Bruder von Richard Courtney nie vorgestellt hatte; daran würde sie sich erinnern.

„Wie dem auch sei; alles ist bereits in die Wege geleitet. Lizzie bekommt, was dergleichen angeht, stets, was sie will, aber immerhin besaß sie den Anstand, zu bemerken, dass ich auf Longbourn mit deinem Vater und meiner Mutter zu kämpfen habe, ganz zu schweigen von Harriet. Deswegen schickt sie uns ein Kindermädchen und ein Hausmädchen, um unsere Dienerschaft aufzustocken.“

Kitty Collins war sehr zufrieden. Zwei zusätzliche Diener – das ließ ihr Ansehen in der Gegend steigen und, was noch viel wichtiger war, die Darcys zahlten deren jährlichen Lohn weiterhin, was eine ausgesprochene Annehmlichkeit darstellte.

Catherine erhielt keine weiteren Informationen von ihrer Stiefmutter und hatte sich vorgenommen, sobald wie möglich mit Cousine Elizabeth darüber zu sprechen. Sie hegte keineswegs den Wunsch, in den Norden zu gehen und auf ein weiteres kleines Mädchen aufzupassen.

Doch am nächsten Tag erhielten sie die Nachricht, dass Jane Bingley erkrankt war, und das durchkreuzte Catherines Pläne. Mrs Bingley hatte sich nie vollständig von der späten Geburt des Babys vor einem Jahr erholt, weswegen Mrs Darcy Pemberley sofort verließ, um an die Seite ihrer Schwester zu eilen. Tante Lydia Allerton war von den Bingleys, wo sie gewohnt hatte, zurück nach Pemberley gekommen und verkündete Catherine, sie solle packen, damit sie beide am darauffolgenden Tag abreisen konnten. Und so ergab sich keine Möglichkeit, irgendetwas mit ihrer Cousine zu bereden und vor Mr Darcy besaß sie zu viel Respekt, als dass sie ihn auf etwas angesprochen hätte, was er ganz sicher für eine unbedeutende Angelegenheit hielt.

Sie packte also die wenigen Kleidungsstücke ein, die sie für die Hochzeit mitgebracht hatte, und fragte sich, wie sie im Norden mit so einer kleinen Auswahl zurechtkommen sollte. Glücklicherweise bemerkte Bennetta, welche Catherine von allen Darcy-Cousinen am meisten schätzte, dass sie furchtbar mangelhaft für eine solche Reise ausgestattet war, da sogar ein Aufenthalt von nur drei Monaten mehr als zwei Paar Schuhe, ihre Reisekleidung und drei Tageskleider verlangte. Sie gab Catherine einige wärmere Kleider und einen dicken Mantel, der den Wind, wenn auch nicht den Regen, abhielte.

Die drei Darcy-Mädchen saßen auf Catherines Bett und sahen dieser beim Packen zu. Miss Darcy, Anne, die ältere Zwillingsschwester, bot zu keinem Zeitpunkt an, Catherines magere Garderobe aufzustocken, aber Jane brachte Unterröcke und Strümpfe – alle säuberlich mit einer Schleife zusammengebunden.

Als Catherine sich bei ihr bedankte, fragte sie sich, warum alle immer meinten, die Zwillinge sähen identisch aus. Sie blickte nun aus den Augenwinkeln auf die zwei, während sie weiter packte – beide waren groß und blond, besaßen blaue Augen, Anne jedoch zeigte das überhebliche Betragen ihres Vaters. Catherine fand, dass es ihr nicht besonders gut zu Gesicht stand. Bei Anne handelte es sich um ein Mädchen, das stets mit unumstößlicher Gewissheit davon ausging, sich bei allem, was es dachte oder tat, im Recht zu befinden. Obwohl ihre Schwester ihr tatsächlich sehr ähnlich sah, war diese jedoch eine sanfte Natur und das Eisblau in Annes Blick sah bei Jane aus wie das warme Blau von Ehrenpreis, als sie Catherine half, ihre Kleidung zu falten und in den fast leeren Koffer zu legen.

„Wir Mädchen nutzen gänzlich andere Kleidung als sonst, wenn wir in den Norden nach Schottland zu unserer Tante Georgiana reisen“, erklärte Jane. „Je weiter nördlich man kommt, desto kälter und kälter wird es. Obwohl du im Sommer reist, wirst du dennoch einen Unterschied merken.“

„Da du – wie ich auch – recht klein bist, passen dir meine Kleider sicher am besten. Mir werden sie nicht fehlen“, verkündete Bennetta fröhlich. „Papa stattet uns mit einem sehr großzügigen Taschengeld für Kleidung aus und wenn Mama von den Bingleys zurückkehrt, wird sie Verständnis dafür aufbringen, warum ich so gehandelt habe.“

Sie hielt die Kleider, die Catherine auf das Bett gelegt hatte, um sie später einzupacken, hoch und rümpfte ihre Nase. „Warum sind all deine Kleider grau oder braun und von diesem fürchterlichen Dunkelblau? Schau nur – dieses hier ist nicht einmal hellgrau, sondern hat etwas von einem trostlosen Schatten.“

Catherine spürte, wie sie errötete. „Ich verbringe viel Zeit mit Harriet und kleine Kinder sind oft klebrig und dreckig. Mama Collins hielt es für sinnvoller, wenn ich Kleidung trüge, auf der man nicht jeden Fleck sieht.“
Bennetta hatte vorgehabt, klar und deutlich zu äußern, was sie davon hielt, entschied jedoch, dass dies nicht klug wäre. Noch vor einigen Monaten hätte sie einfach gesagt, was sie dachte, aber jetzt fühlte sie sich älter und vernünftiger. Gott, sollte sie etwa alt werden, noch bevor sie ihren siebzehnten Geburtstag feierte?

„Nun, alle meine Kleider sind hell und fröhlich. Ich liebe Rot und Rosa und Gelb und Weiß. Du kannst nicht dein ganzes Leben lang Braun und Grau tragen, Catherine! Du bist noch nicht einmal dreiundzwanzig. Gott, schau doch! Dein Abendkleid ist in einem trüben Mauve gehalten! Du besitzt nicht das richtige Aussehen für dieses blasse Lila. Das ist eine Farbe für alte Ladys, nicht für junge Damen.“

Anne wurde langsam ungehalten. „Du wirst sicherlich zwei gute Kleider für den Abend benötigen sowie Tageskleidung. Ich habe keine Ahnung, ob Sir Robert Besuch empfängt oder ob du dabei sein dürftest, wenn seine Freunde zum Abendessen vorbeikommen, sollte dies jedoch der Fall sein, musst du sauber und anständig aussehen. Du reist nicht als Dienerin in den Norden, Catherine. Du wirst für wenige Monate eine Gefährtin und eine Gouvernante sein, wie ich hörte. Und das ist etwas ganz anderes.“
Anne war immer sehr darauf bedacht, die Etikette minutiös einzuhalten. Catherine mochte eine entfernte Cousine sein, aber sie war dennoch mit den Darcys von Pemberley verwandt, weswegen Anne Wert darauf legte, dass Catherine mit dem Respekt behandelt wurde, der dem Namen gebührte, ganz gleich, ob sie ihn verdiente oder nicht.

„Tatsächlich solltest du vielleicht mit Miss Smith sprechen. Sie war unsere Gouvernante und ist jetzt unsere Anstandsdame, für den Fall, dass wir eine benötigen“, meinte Jane leise. „Ich bin mir sicher, dass du ihr auf der Hochzeit begegnet bist. Vielleicht hat sie noch einige alte Bücher aus unserer Kinderzeit, die du für deinen neuen Schützling gebrauchen kannst. Sicherlich wird sie niemand in unserem Schulzimmer vermissen. Unsere Brüder sind aus dem Alter heraus, in dem kindische Dinge sie unterhalten könnten.“

„Wurdest du bei der Hochzeit nicht Sir Robert und seinem Bruder Mr Martin Courtney vorgestellt, Catherine?“ Anne war neugierig.

„Und vergiss nicht die furchtbare Tante – sie war die Lady in der ersten Reihe in der Kirche, die diesen riesengroßen lilafarbenen Hut trug!“, lachte Bennetta und zog die Knie an ihre Brust.

Catherine schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht noch einmal erklären, wie Harriet dafür gesorgt hatte, dass sie den Großteil der Zeremonie und des Tanzes danach verpasste.

„Ich mochte Martin Courtney. Er ist wahrscheinlich der schönste Mann, den ich je gesehen habe.“

„Bennetta!“ Jane klang schockiert. „Er ist ein fürchterlicher Charmeur. Ich habe gesehen, wie Papa ihn den ganzen Abend finster angesehen hat.“

„Papa schaut jeden jungen Mann finster an, der zweimal in unsere Richtung blickt. Wehe demjenigen, der dreimal schaut! Ich nehme an, dass Papa dafür sorgen würde, dass man ihn aus dem Land jagt. Ich weiß nicht, wie wir jemals heiraten sollen, wenn er jeden Mann verscheucht, der auch nur das kleinste bisschen Interesse an uns zeigt. Ich fürchte, dass ich keine andere Wahl habe, als durchzubrennen und dann wird es ihm leidtun.“

Anne betrachtete ihr Bild im Spiegel des Schlafzimmers und war mit dem zufrieden, was sie sah. Sie wusste, dass ihr eine gute Ehe mit einem Mann von hohem Rang und mit einem gewissen Vermögen bevorstand. Und, was auch immer ihr Vater sagen mochte, sie würde den Mann heiraten, den sie wollte. Sie war Miss Darcy von Pemberley und bedauerte lediglich, nicht als Junge zur Welt gekommen zu sein, weil sie dann das Anwesen hätte erben können. Sie hegte keinerlei Zweifel, dass sie die damit verbundenen Aufgaben wesentlich besser bewältigen würde, als Fitz es täte, wenn er älter war. Er interessierte sich nur für seine albernen Bücher. Es fühlte sich so unfair an, dass Pemberley eines Tages ihm gehörte und dass sie dabei zusehen musste, wie er sich mehr schlecht als recht darum kümmerte.

Jane seufzte. Wenn sie ehrlich war, ängstigte sie sich ein wenig vor Männern. Sie wusste nie, was sie zu ihnen sagen sollte, und wenn sie endlich die Worte gefunden hatte, stellte sie fest, dass Anne bereits gesprochen hatte und die Unterhaltung ohne sie weiter gegangen war. Würde sie jemals heiraten? Nun, sie konnte immerhin davon ausgehen, dass es nicht geschah, bevor ihre Zwillingsschwester in den Brautstand trat.

Catherine, die eine Ehe nicht einmal in Erwägung zog, packte ihre geliehenen Habseligkeiten und fragte sich, was sie erwartete.

Eine Unterhaltung mit Miss Smith, der Gouvernante, hatte ihre Befürchtungen nicht zerstreuen können. Als Frau mit eingeschränkten Möglichkeiten war diese nur zu erfreut darüber gewesen, auf Pemberley ein Zuhause als Gouvernante der Darcy-Mädchen gefunden zu haben. Nun erfüllte sie die lästigen Aufgaben einer Anstandsdame, da sogar Mrs Darcys zugeben musste, dass es zwecklos war, noch mehr Wissen in Bennettas Kopf pressen zu wollen.

„Alle drei liebe Mädchen“, hatte Miss Smith gesagt, während sie alte, recht abgenutzte Bücher für Catherine heraussuchte, welche diese mit in den Norden nehmen konnte, „aber niemand kann behaupten, dass die Aufgabe einfach sei, Miss Collins. In der Tat, nein. Temperamentvolle junge Damen mit ihrem eigenen Kopf. Das macht es schwierig, sie dazu zu bringen, sich zu konzentrieren und zu lernen, und dann ist man natürlich vor die Aufgabe gestellt, den Eltern erklären zu müssen, warum die Kinder keine Fortschritte erzielen.“

Catherine nickte; sie konnte das gut verstehen. „Aber nun sind Sie ihre Anstandsdame, was eine weitaus einfachere Aufgabe darstellt, wie ich annehme.“
Miss Smith, die bereits wusste, dass ihre fehlende Autorität sie zu einer unzureichenden Gefährtin machte – besonders für Miss Bennetta –, versuchte, strahlend zu lächeln und zu vergessen, dass Mrs Darcys mit ihr bereits über genau dieses Thema gesprochen hatte. Und sollte sie diese Anstellung auf Pemberley verlieren, was würde dann aus ihr? „Oh ja, in der Tat. Und natürlich werden Sie nur ein kleines Mädchen haben, um das Sie sich kümmern müssen. Ich denke, dass ich eines ohne Probleme bewältigt hätte, aber drei! Wie dem auch sei, ich wünsche Ihnen von Herzen Freude an Ihrer Aufgabe.“

 

Die Reise von Derbyshire nach Newcastle war Catherine sehr lang vorgekommen und schien noch länger aufgrund von Lydia Allertons Mangel an intelligenten Gesprächsthemen. Catherine hatte nichts Sachdienliches beizutragen, was die Länge der Röcke dieses Jahr anging, oder dazu, ob Hauben mit Schwarz oder Rot eingefasst werden sollten, sodass die Stille zwischen ihnen wuchs und wuchs. Sie war sich sehr sicher, dass ihre entfernte Cousine sie für ein langweiliges Mädchen hielt, und machte sich Gedanken darüber, ob das vielleicht auch zutraf.

Als sie endlich in der großen Stadt Newcastle ankamen, verabschiedete sich Lydia und ging ohne einen weiteren Blick. Catherine hatte die Nacht in einem Gasthaus verbracht, in welchem sie glücklicherweise das Zimmer mit zwei verwitweten Damen teilte, die sich auf dem Weg nach Schottland befanden. Sie hatten schockiert reagiert, als sie herausfanden, dass Catherine allein reiste, und waren daher erst argwöhnisch, was ihren Charakter betraf. Aber als sie ihre Geschichte hörten, lenkten sie ein und so hatten sie gemeinsam die Postkutsche nach Alnwick genommen, wo ein Pferdewagen mit Pony auf Catherine wartete. Der Junge, der das Fuhrwerk lenkte, teilte ihr mit, dass sein Name Donald sei, und ihr Koffer wurde zwischen Kisten und Säcke voller Lebensmittel gequetscht.

Als sie die Stadt verließen, erweckte Alnwick Castle ihr Erstaunen. Die Burg ragte groß und Ehrfurcht gebietend auf und es schien, als fülle sie den gesamten Horizont aus, so, wie sie die Welt um sich herum dominierte.

„Oh, was für ein großartiger Anblick! Können wir nicht einen kurzen Moment anhalten, um sie uns anzusehen?“

Donald hatte seinen Kopf mit den dunklen Locken geschüttelt und das Pony in einen Trott versetzt. „Nee, Miss. Mir wurde aufgetragen, heute ja keine Zeit auf der Straße zu vertrödeln.“ Er sprach einen sehr starken Dialekt, einen, den Catherine noch nie zuvor gehört hatte.

Sie sah über ihre Schulter zurück. „Sicher ist Courtney Castle nicht derart groß?“

Auf ihre Worte folgte Lachen. „In der Tat nicht, Miss. Courtney ist nur ein winziges Ding im Vergleich zu Alnwick und Bamburgh. Sie werden es sehen, wenn wir da sind. Wir biegen jetzt in Richtung Meer ab und folgen der Küste nach Norden. Vermutlich haben Sie solche Burgen gar nicht im Süden.“

Catherine wusste, dass es sich bei Windsor und Arundel um sehr große Gebäude handelte, aber Donald schien so stolz auf die Burgen seiner Grafschaft zu sein, dass sie nur ihren Kopf schüttelte und inständig hoffte, dass der Junge recht hatte und Courtney Castle ein wenig heimeliger war.

Sie blickt wieder hinaus auf die wilde Landschaft, die gleitenden Seevögel, die mit lautem Geschrei über ihren Kopf hinweg segelten. Plötzlich stieß sie selbst einen Schrei aus und sprang auf die Füße, bevor sie sich beim nächsten Ruck so abrupt wieder setzen musste, dass ihr fast der Atem aus den Lungen gepresst wurde: Sie waren um eine Kurve gefahren und nun lag die große glitzernde Weite des Meeres vor ihr.

Catherine hatte sich immer danach gesehnt, das Meer zu sehen. Sie hatte so viele Bücher gelesen, in denen es beschrieben wurde: die Wellen, die Farbe, das Geräusch der Brandung, die gegen Felsen peitschte. Aber die endlose Weite der Nordsee raubte ihr den Atem. Niemals hatte sie sich etwas so Wundervolles vorgestellt. Sie lag vor ihr wie ein großes, graues, glänzendes Tier, welches im Schlaf sanft atmete. Aber in der Nähe der Küste erkannte sie raue, graue Wellen, die sich an schwarzen Felsen brachen, lange Streifen von Seegras, die von der einsetzenden Flut in die Luft gewirbelt wurden und schließlich den glitzernden Sand des Strandes.

Sie saß da, starrte aufs Meer, sich selbst vor lauter Freude umarmend, während sie ihre Reise fortsetzten. Was auch immer sie in den nächsten Wochen für Erfahrungen machte – gute wie schlechte -, niemand konnte ihr nun diese Erinnerung nehmen.

Schließlich erreichten ihre Gedanken ihren jungen Schützling Matilda. Sie hatte angenommen, dass sie Lady Matilda gerufen wurde, aber Lydia Allerton belehrte sie schnell eines Besseren auf ihrem Weg nach Newcastle.

„Nein, natürlich nicht, Catherine! Hast du keine Bildung genossen? Sir Robert ist lediglich ein Baronet, kein Baron. Seine Kinder tragen keine Titel. Seine Frau wäre Lady Courtney gewesen, wenn sie so lange gelebt hätte, bis er den Titel erbte; wenn er heiratet, wird also seine neue Frau diesen tragen.“

„Und er ist ein angenehmer Mann, Cousine? Ich fürchte, ich erhielt auf der Hochzeit nicht die Möglichkeit, ihn kennenzulernen.“

Lydia zuckte die Schultern; sie war gereizt. Sir Robert hatte sie auf der Feier nicht zum Tanz aufgefordert. In der Tat schien es, als würde er ihr aus dem Weg gehen. Für Männer, die ihr keine Beachtung schenkten, hatte sie nichts übrig, ganz gleich, ob ihre Tochter nun mit diesen verwandt war.

„Ein langweiliger Mann, meiner Meinung nach. Zweifelsohne hält er sich für großartig, da er ein Sir ist. Seine Brüder besitzen mehr Charme, obwohl ich immer noch glaube, dass meine Cassandra besser daran getan hätte, einen Offizier aus dem Regiment zu heiraten als ihren jungen Doktor. Ihr Leben wird nicht besonders aufregend verlaufen, das steht fest.“

„Wissen Sie irgendetwas über seine Tochter? Das kleine Mädchen, das mein Schützling sein wird?“

Lydia war damit beschäftigt gewesen, etwas in ihrem Retikül zu suchen, und nicht wirklich bei der Sache. „Ihr Name ist Matilda, glaube ich … Ich hörte, sie sei ein mürrisches Kind … Ich verabscheue mürrische Kinder … Jemand sagte mir, dass sie kaum spricht, wenn überhaupt je. Eine Tracht Prügel, das braucht sie. Dann spräche sie auch wieder.“

 

Während Catherine jetzt so zwischen den Hühnern saß und ihr jeder Muskel vom Ruckeln des Wagens schmerzte, sinnierte sie erneut über Matilda nach. Offenbar war sie ganz anders als Harriet, deren unablässiges Geplapper ihr oft Kopfschmerzen beschert hatte.

Sie verstand nicht, warum Cousine Elizabeth und Mama Collins glaubten, dass sie die richtige Person für diese Anstellung war. Obwohl sie zugeben musste, dass sie einmal ein Gespräch zwischen Mama Collins und ihrem Vater mitgehört hatte, in dem diese sagte, dass Catherine zwar nicht mit besonderer Schönheit gesegnet, jedoch reich an Vernunft sei. Sie hoffte, das würde ausreichen. Ihre Tätigkeit bedeutete immerhin eine große Verantwortung.

Die lange Reise und das immerwährende Ruckeln forderten schließlich doch ihren Tribut und so fiel Catherine, gegen einen Sack Kartoffeln gelehnt, in einen unruhigen Schlaf. Aus diesem schrak sie auf, als Donald über seine Schulter rief: „Wir sind fast da, Miss. Fahren gerade durchs Dorf.“

Catherine blinzelte; ihre Haube war ihr vom Kopf gerutscht und wurde nun nur noch von den Schleifen in ihrem Nacken gehalten. Glücklicherweise befanden sich jedoch so viele Nadeln in ihrem Haar, dass aus den zwei dicken, geflochtenen Zöpfen nur einige wenige Strähnen entkommen konnten.

Sie sah sich neugierig und interessiert um. Sie fuhren einen unebenen Weg entlang, der sich durch ein kleines Fischerdorf wand. Niedrige Cottages reihten sich an der einen Seite dicht an dicht; ihre Fensterläden waren gegen den Ostwind geschlossen, sodass sie sich blind dem Meer zuwandten. Auf der anderen Seite des Weges befanden sich bunt bemalte Boote, die man aus dem Wasser auf die Steine gezogen hatte; am Rande nahm sie wahr, wie Männer Netze flickten und die Wellen gegen den Strand krachten.

Das Gebäude vor ihr jedoch forderte Catherines ganze Aufmerksamkeit. Ihr Weg ging bergauf aus dem Dorf heraus, an steilen Hängen entlang, die mit derbem Gras bewachsen waren und an denen sich hier und da graue Steine fanden sowie kleine Wildblumen. Als das Gelände kurz vor ihrem Ziel wieder ebener wurde, fiel das Pony in einen schnellen Trott, da es offenbar schnell in den heimischen Stall wollte.

Weiter führte der Weg über eine hölzerne Brücke, die über einem dunklen, stillen Wassergraben verlief, und schließlich zu einer offenen Eingangstür aus nagelbeschlagenem Holz. Die Mauern der Burg waren von derbem grauem Stein und an jedem Ende des quadratischen Baus befand sich ein Turm. Die gesamte Burg ragte hoch auf einem Felsen erbaut in den Himmel und blickte hinaus auf die tosenden Wellen, die an den Steinen unter den steilen Klippen brachen. Catherine hörte die Rufe der wilden Seevögel und das Krächzen der ihr vertrauten Krähen, als sie durch das Eingangstor in den Innenhof trabten.

Catherine sah die Ställe und die Scheunen auf der einen Seite und den Rest der Burg, der in einem dreistöckigen Quadrat mit Zinnen auf dem Dach aufragte. Über dem Tor befand sich ein Fahnenmast, an dem eine schwarz-rote Flagge im Seewind hin und her geworfen wurde. Ja, tatsächlich fand sie hier nicht die ausladende Erhabenheit von Alnwick vor, aber dennoch handelte es sich um eine Burg und sie würde hier leben!

Sie spürte, wie Aufregung in ihr aufstieg; sie wollte Sir Robert und Matilda unbedingt kennenlernen, wollte einen guten ersten Eindruck hinterlassen und zeigen, dass sie eine vernünftige, verantwortungsbewusste Person war – eine gute Gefährtin für das kleine Mädchen.

 

Sir Robert Courtney saß in dem Arbeitszimmer neben den Ställen und sah dabei zu, wie seine Tochter auf dem Nebentisch mit Holztieren spielte. Da er wollte, dass sie sich bereithielt, ihre neue Gouvernante willkommen zu heißen, hatte er zuvor in ihrem Kinderzimmer nach ihr gesucht und es leer vorgefunden. All seine Ängste um ihre Sicherheit kochten in ihm hoch und er ging ihr Kindermädchen harsch an, da dieses das Kind offenbar für einige Minuten aus den Augen gelassen hatte. Seine Erleichterung, als er Matilda außerhalb der Burgmauern in den Ställen fand, wo sie die großen Zugpferde streichelte, ließ ihn wütend klingen, während er mit ihr sprach. Er wusste genau, dass er übervorsichtig handelte, aber sie war alles, was ihm diese Welt noch gelassen hatte. Wenn er Matilda verlöre, wüsste er nicht, was er täte. Er versuchte, jeden Tag ein wenig Zeit mit ihr zu verbringen, versuchte, sie zum Sprechen zu bringen. Aber sie lächelte kaum und äußerte kein Wort.

„Matilda! Ich glaube, du hörst mir nicht zu. Du darfst nicht einfach wegrennen und dich in den Ställen verstecken. Du bist eine junge Dame und musst dich wie eine verhalten.“ Stille war die Antwort. Seufzend fuhr er fort: „Möchtest du gern draußen warten, um deine neue Gouvernante zu begrüßen? Sie muss jede Minute hier sein, wenn sie von Alnwick aus eine gute Reise hatte. Eine Miss Collins, die heute aus Derbyshire hier ankommt. Das ist sehr weit weg. In meinem Arbeitszimmer habe ich eine Landkarte von England – sollen wir hineingehen und Derbyshire suchen?“

Aber auch darauf hatte er keine Antwort erhalten.

Plötzlich hörte Sir Robert vom Hof her Hufgetrappel. Er stand auf und seufzte erleichtert. Das müsste der Pferdewagen sein, der jene Miss Collins brachte, über die Elizabeth Bennett geschrieben hatte, dass es sich dabei um eine entfernte Verwandte von ihr handele; ein ernsthaftes, verantwortungsbewusstes, fürsorgliches Mädchen. Vielleicht bewegte diese Person Matilda dazu, wieder zu sprechen. Zumindest aber konnte sie dem Kind hoffentlich etwas Disziplin beibringen und ihm seinen Unterricht erteilen. Er hatte Sorge, dass Matilda weder des Schreibens noch des Sprechens kundig und ungebildet enden könnte.

„Was im Namen des Herrn …“ Vom Hof her ließ sich unsäglicher Lärm vernehmen. Eine Frau rief: „Fangt sie! Fangt sie! Lasst das Pony nicht auf sie treten!“ Hühner gackerten, ein Pony wieherte und Chaos schien in der ruhigen Welt von Courtney Castle Einzug zu halten.

Er riss die Tür auf und starrte erstaunt auf die Szene, die sich ihm bot. Eine junge Frau, welche er als eines der Hausmädchen von Pemberley erkannte – sie war diejenige, die er unbekümmert um den Brunnen hatte tanzen sehen –, rannte nun ohne Haube über seinen Hof und versuchte, ein ganzes Gelege gelber Küken einzufangen, die in alle Richtungen hüpften und flatterten. Zwei Hühner flogen herum, Federn segelten durch die Lüfte und ihre Käfige lagen zerbrochen auf dem Boden. Einige Küchenmädchen bemühten sich, die Tiere in eine Ecke zu treiben, während die Pferdeknechte und andere Diener dabeistanden und lachten.

„Ruhe! Hört sofort mit diesem Affentheater auf! Zurück an die Arbeit, ein jeder von euch! Und Sie, Miss, Miss … würden Sie bitte das Küken absetzen und mir verraten, was Sie hier tun?“

Er blickte sich im Innenhof um, auf der Suche nach der vernünftigen Verwandten, die Elizabeth Bennet versprochen hatte, in den Norden zu schicken, damit sie ihm mit seiner Tochter half. Sie musste dieses Dienstmädchen als Anstandsdame mit auf die Reise gesandt haben. Aber der Hof leerte sich nun, da die Ordnung wieder hergestellt wurde, sodass schließlich als einzige weibliche Person die schmale, junge Frau mit den geflochtenen Zöpfen zurückblieb, in welchen nun zwei kleine Hühnerfedern hingen. Auf ihren Wangen befand sich ein Striemen, der nach Kartoffelerde aussah, und in ihren Händen hielt sie einen kleinen gelben Vogel.

„Sir, ich möchte mich aufrichtig entschuldigen“, sagte Catherine nun, als sie über die Pflastersteine auf ihn zuging. Dabei achtete sie darauf, wohin sie trat, als sie sich ihren Weg durch noch mehr Küken bahnte. „Das ist alles meine Schuld. Ich habe mich so gefreut, endlich angekommen zu sein, dass ich nicht bemerkte, dass mein Fuß eingeschlafen war, weil er so lange neben den Hühnerkäfigen eingeklemmt wurde. Aus diesem Grund habe ich sie umgeworfen, als ich vom Wagen gesprungen bin und …“ Sie sah auf, während sie sprach und hielt abrupt inne. „Oh! Sie sind das!“

Catherine traute ihren Augen nicht. Der Sir Robert Courtney, für den sie arbeiten sollte, war derselbe Mann, der sie am Tag von Cassandras Hochzeit so schroff und geringschätzig behandelt hatte. Bei dem Mann, den sie so gern beeindrucken wollte, handelte es sich um Richards älteren Bruder, der sie nun voller Erstaunen und Missbilligung ansah.

„Wie ist dein Name, Mädchen?“

Catherine versteifte sich bei seinem Tonfall und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Sie wollte nicht in irgendeiner Form respektlos erscheinen, aber sie war die Tochter eines Gentlemans und die Enkelin von Sir William Lucas. Es schien ihr wichtig, das deutlich zu machen.

„Mein Name, Sir, ist Miss Catherine Collins. Mein Vater ist Mr William Collins, ein Gentleman und Kirchenmann, welcher der Gemeinde Meryton in Hertfordshire vorsteht. Ich bin eine entfernte Cousine von Mrs Elizabeth Darcy von Pemberley, welche meine Patentante ist, und von Mrs Cassandra Courtney, Ihrer Schwägerin.“

Sir Robert setzte zum Sprechen an, hielt dann aber inne. Er fuhr sich mit den Fingern durch sein dunkles Haar und Catherine fragte sich, ob sie ihm mitteilen sollte, dass sich nun ein Strohhalm direkt über seinem Ohr befand. Eine vorsichtige Berührung an ihrem Arm ließ Catherine nach unten schauen. Ein kleines Mädchen mit langem, blondem Haar und großen blauen Augen stand neben ihr, sein wunderschönes Gesicht ernst.

„Matilda, geh sofort nach drinnen und zieh dir ein sauberes Kleid an. Sag Bessie, dass sie dich nach unten in den Salon bringen soll, wenn du dich wieder sehen lassen kannst.“

Catherine wollte sich gern vorstellen, bemerkte jedoch schnell, dass zuvor noch einiges klargestellt werden musste. Stattdessen setzte sie das kleine, flauschige Küken in die Hände des Mädchens und sagte leise: „Vielleicht wärst du so lieb und bringst das Tierchen hier zu seiner Mutter zurück, bevor du gehst, Matilda.“ Das wurde mit einem kurzen Blick aus dunkelblauen Augen belohnt, welche das Kind von seinem Vater geerbt hatte.

„Kommen Sie herein, Miss Collins. Es beginnt zu regnen und wir können unsere Unterhaltung keineswegs hier im Hof fortsetzen.“

Catherine folgte ihm über die Pflastersteine, wobei sie fast rennen musste, um mit seinen langen Schritten mithalten zu können. Er ging ihr voraus an die Seite der Burg, die genau gegenüber dem Haupttor lag. Stufen führten hinauf zum Eingang, der von zwei zähnebleckenden Löwen bewacht wurde. Als sie durch die Tür trat, fand sie sich in einer großen Eingangshalle mit Balkendecke wieder. Flure liefen von hier aus ins Dunkel und über ihrem Kopf konnte sie auf drei Seiten Galeriegänge erkennen. Rüstungen standen in den Ecken und einige große Porträts von uniformierten Gentlemen dekorierten die steinernen Wände. Den Raum zwischen ihnen zierten Speere und Äxte. Es handelte sich um einen dunklen, düsteren Ort; man hatte nichts unternommen, um ihn heller zu gestalten und dadurch eine freundlichere Atmosphäre zu schaffen.

Sir Robert stand ungeduldig in einem Türrahmen und sie folgte ihm in einen Raum, bei welchem es sich vermutlich um sein Arbeitszimmer handelte – dunkles Holz und Leder, Jagdszenen hingen an den Wänden und zwei Hunde, die vor einem schwelenden Feuer lagen, sahen träge auf und bellten sie sanft an. Einer stand auf, kam zu ihr und leckte ihre Hand, bevor er sich wieder an seinen Platz legte.

‚Und das‘, dachte Catherine ernüchtert, ‚ist die herzlichste Begrüßung, die ich bisher in meinem neuen Zuhause erfahren habe.‘

Sir Robert ließ sich auf einen Stuhl hinter seinem Schreibtisch fallen und starrte die kleine, braunhaarige Frau vor sich an. Er sah, dass sie Anfang zwanzig sein musste; nicht so jung, wie er erst gedacht hatte, aber sie wirkte trotzdem immer noch nicht alt genug, um als Gouvernante zu arbeiten. Elizabeth Darcy hatte ihm jemanden mit Verantwortungsbewusstsein versprochen!

Sie war gut gekleidet, ihr Mantel ganz offensichtlich teuer, jedoch hatten die schwere dunkelblaue Jacke und der Rock, den sie trug, bereits bessere Tage gesehen, aber alles, was er vor Augen hatte, wenn er diese Catherine Collins anblickte, war, wie sie im Garten von Pemberley tanzte, wie ihre offenen Haare durch den Wind wirbelten und das Braun in bronzefarbenen und rostroten Tönen schimmerte, als die Strahlen der frühen Morgensonne darauf fielen.

„Miss Collins, es tut mir leid, wenn ich Sie für eine Bedienstete hielt, als wir uns auf Pemberley trafen, aber Ihre Kleidung hat mich getäuscht und ich habe mich im Ton vergriffen. Sie scheinen mir sehr jung für diese Anstellung hier, jedoch versicherte mir Ihre Cousine, dass Sie die Rolle mit Bravour ausfüllen werden.“

Catherine erlangte ihre Fassung wieder und versuchte, so würdevoll wie möglich auszusehen, was nicht so einfach war, da eine lose Hühnerfeder ihr Ohr kitzelte.

„Es ist sehr freundlich von ihr, das zu sagen. Ich werde mein Bestes geben, um von Nutzen zu sein und die Aufgaben zu erledigen, die Sie mir stellen.“

Sir Robert nahm einen Stapel Papiere in die Hand, richtete sie gerade aus und legte sie zurück auf den Tisch. „Ich versichere Ihnen, dass ich die Familienverbindungen kenne, und weiß, dass Sie mit meiner neuen Schwägerin verwandt sind.“

„Sehr entfernt, Sir, ja. Aber was auch immer meine Verbindungen sein mögen, ich bin hier, um mich um Ihre Tochter zu kümmern, von der ich annehme, dass ich sie gerade eben draußen traf.“

Sir Robert sprang plötzlich auf die Füße, ging zum Fenster und sah hinaus, sodass er seiner Besucherin den Rücken zuwandte. Die Fenster dieses Zimmers gingen auf den Hof, wo gerade ein Pferdeknecht das Regenwasser von den Pflastersteinen schrubbte. Die Wolken waren vorübergezogen und der Himmel strahlte in blassem Blau.

Robert atmete tief ein, war sich bewusst, dass er gleich Dinge aussprechen würde, die ihn sehr schmerzten.

„Lassen Sie mich die Situation erklären, Miss Collins. Wie Sie vielleicht wissen, habe ich die Burg und den Titel erst vor wenigen Monaten geerbt, als mein Vater starb. Ich zog mit Matilda aus unserem vorherigen Zuhause hierher zurück. Meine Brüder, meine Schwester und ich wurden alle in dieser Burg großgezogen und ich lebte bis zu meiner Eheschließung hier. Meine Frau und ich zogen nach Courtney Hall, in ein kleineres Herrenhaus einige Meilen weiter nördlich die Küste hinauf. Matilda wurde dort geboren. Vor zwei Jahren habe ich meine Frau bei einem Unfall verloren, in welchen auch meine Tochter verwickelt war. Körperlich ist sie Gott sei Dank unversehrt geblieben, aber sie hat seitdem nicht mehr gesprochen. Kein einziges Wort.“

Catherine streckte unwillkürlich die Hand nach seinem durchgedrückten Rücken aus, zog sie jedoch wieder zurück, wobei sie nicht bemerkte, dass er ihre Bewegung in der Spiegelung der Fensterscheibe gesehen hatte. „Das ist furchtbar, Sir.“
„Ja, aber sie muss dennoch lernen, eine Lady zu sein. Muss rechnen können, schreiben und lesen. Ich möchte, dass sie in der Malerei, der Musik und der Nadelarbeit bewandert ist. Wir gehen jeden Sonntag in den Gottesdienst im Dorf und jeden Abend, bevor sie ins Bett geht, betet sie, wobei sie natürlich nicht laut spricht. Ich glaube, dass sie intelligent ist, und sie ist mein einziges Kind.“

Er drehte sich zu Catherine um, ließ jegliches Gefühl aus seinem Gesicht weichen. „Ich werde vielleicht bald wieder heiraten, aber bis das alles geregelt ist, möchte ich, dass Matilda eine weibliche Gefährtin und Gouvernante hat.“

„Leben Sie und Matilda allein auf der Burg, Sir?“
„Nein, meine Tante Honoria wohnt ebenfalls hier. Sie ist bereits sehr alt, aber trotzdem immer noch eine beeindruckende Persönlichkeit. Sie war auch bei Richards Hochzeit – vielleicht ist sie Ihnen in der Kirche aufgefallen, wo sie auf der vordersten Kirchenbank saß und einen immens großen lilafarbenen Hut trug – aber womöglich wurden sie einander nicht vorgestellt. Ich glaube, nach dem Gottesdienst hat sie sich in ihr Zimmer zurückgezogen.“ Ein grimmiges Lächeln huschte über sein Gesicht. „Sie half dabei, mich, meine Brüder und meine Schwester großzuziehen, nachdem unsere Mutter starb, aber sie ist zu alt, um Matilda kontrollieren zu können, welche immer das zu tun scheint, was sie will.“

„Die meisten Kinder in dem Alter wollen frei sein, umherrennen und spielen.“

Sir Robert runzelte die Stirn. „Nun, genau aus diesem Grund brauche ich jemanden mit Verantwortungsbewusstsein, der auf sie aufpasst. Ich möchte sie keinerlei Gefahren aussetzen. Zum Beispiel fand ich sie erst heute in den Ställen, als sie die Arbeitspferde mit Karotten fütterte! Das sind riesige Kreaturen von immenser Kraft und die hätten sie deswegen leicht zertrampeln können. Und als ich aus Pemberley zurückkam, erfuhr ich, dass sie letzte Woche in meiner Abwesenheit die Burg verlassen hatte und man sie im Fischerdorf wiederfand. Sie spielte auf den Felsen! Allein die Vorstellung lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.“

Catherine schwieg. Sie fühlte sich müde und dieser anstrengende Mann hatte nicht einmal nach dem Verlauf ihrer Reise gefragt, geschweige denn ihr einen Stuhl angeboten. Sie war versucht, ihm mitzuteilen, dass sie nach dem Pferdewagen verlangen würde, damit dieser sie am Morgen zurück nach Alnwick brachte, sodass sie nach Hause nach Longbourn reisen konnte – ganz gleich, ob Mama Collins sie haben wollte oder nicht. Zur gleichen Zeit aber verspürte sie eine Welle der Zuneigung für Sir Robert. Offensichtlich lag ihm sehr viel an seiner Tochter, auch wenn er dadurch überfürsorglich schien. Es blieb zu hoffen, dass seine neue Frau alles zu jedermanns Zufriedenheit regelte.

„Sir, aufgrund unserer ersten Begegnung könnten Sie zu dem Schluss gelangt sein, dass ich mich verantwortungslos verhalte, aber ich versichere Ihnen, dass das nicht der Fall ist. Ich werde mein Bestes für Matilda tun und immer für ihre Sicherheit sorgen. Ich schlage vor, dass ich erst einmal für eine Woche bleibe, und wenn Sie dann unzufrieden mit mir sind, reise ich zurück nach Hause. Und“ – sie fühlte, dass sie vor Erschöpfung schwankte, zwang sich jedoch, stehen zu bleiben – „wenn ich jetzt in mein Zimmer gebracht werden könnte, wäre ich sehr dankbar. Es war eine extrem lange Reise und ich bin sehr müde, rieche nach Hühnern und würde mich gern waschen!“

Sir Robert spürte, wie seine Wangen erröteten. Diese Frau klagte ihn fast der Unhöflichkeit an. Was war nur los mit ihm? Er hatte ihr nicht einmal einen Stuhl angeboten und erkannte nun, dass sie sich nur noch mit Mühe auf den Beinen hielt. Warum hatte das alberne Mädchen nicht vorher erwähnt, dass es müde war? Die meisten seiner weiblichen Freunde und Bekannten wären längst unaufgefordert auf einen Stuhl gesunken.

„Sicher, Miss Collins. Das scheint mir ein vernünftiger Kompromiss zu sein. Ich möchte mich dafür entschuldigen, Sie hier stehengelassen zu haben.“ Er wandte sich um und zog an der Klingelschnur hinter seinem Schreibtisch. „Meine Haushälterin, Mrs Crawford, wird Sie in Ihr Zimmer bringen. Ich habe angeordnet, dass Sie Ihre Mahlzeiten mit Matilda einnehmen, mit Ausnahme des Abendessens, versteht sich. Dieses wird normalerweise erst serviert, nachdem Matilda bereits im Bett liegt. Die Uhrzeiten werden Ihnen mitgeteilt werden, ebenso ihre Routinen. Bei denen bestehe ich darauf, dass Sie diese nicht verändern.“

„Natürlich. Danke, Sir.“

„Ich hoffe, dass Sie ihre Gesellschaft nicht allzu bedrückend empfinden. Ich weiß, dass einige Menschen schnell verärgert darüber sind, dass sie nicht spricht. Vor dem Unfall hat sie wie ein Wasserfall mit allen und jedem geplappert.“

Die Tür öffnete sich und eine kleine, pausbäckige, vollkommen in Schwarz gekleidete Dame mit einem Spitzenkragen betrat das Zimmer. Catherine lächelte sie an, knickste vor Sir Robert und wandte sich zum Gehen. Sie hatte gerade die Tür erreicht, als sie innehielt und fragte: „Macht Matilda überhaupt irgendwelche Geräusche?“

Die Antwort fiel barsch aus. „Manchmal, wenn sie hinfällt, weint sie. Sagt aber kein Wort. Sie weigert sich, zu sprechen. Die Ärzte meinen, dass sie dazu in der Lage ist, aber nicht will und ich sie nicht zwingen kann. Mein jüngster Bruder, Richard, den Sie natürlich auf der Hochzeit kennengelernt haben, ist, wie Sie wissen, Arzt, und er hat den Rat der großen Spezialisten in London eingeholt, aber niemand kann ihr helfen.“

Catherine wollte schon sprechen, schüttelte dann aber den Kopf und folgte der Haushälterin hinaus in den Hauptkorridor. Sie verstand das alles noch nicht wirklich, denn sie war sich sicher, dass Matilda, als sie mit dem Küken in Händen losgelaufen war, gekichert hatte.