Leseprobe Mein Traummann, seine Exfreundinnen und ich

1

„Er steht auf Kaninchenpelz? Na bravo, Klara. Ich fürchte, da hast du dir einen vom anderen Ufer an Land gezogen.“

Das waren harte Worte.

„Aber es gibt doch sehr viele Männer, die Fell mögen, einfach weil es warm und kuschelig ist, oder?“

„In Sibirien vielleicht. Vergiss es! Der Typ ist schwul, bestenfalls bi.“

Im Allgemeinen vertraue ich dem Urteil meiner Freundin Helene hundertprozentig. Die Frau verfügt über einen reichen Erfahrungsschatz und hat generell guten Durchblick. Dieses Mal wollte ich ihren Standpunkt nicht teilen.

Besagter Kaninchen-Fan war nämlich der Mann, den ich möglichst auf direktem Wege in mein Bett locken wollte. Und ich hatte nicht vor, dort mit ihm über Vor- und Nachteile von Foliensträhnchen oder die optimale Pflege weißer Orchideen zu diskutieren.

Ich meine, ich schätze schwule Männer sehr, als sensible Freunde, Friseure oder Feng-Shui-Berater.

Mit Max hatte ich anderes im Sinn.

2

Übrigens hätte ich Max ohne Helenes Hartnäckigkeit gar nicht kennengelernt. Wir wären uns wahrscheinlich niemals begegnet. Was mir einigen Ärger erspart hätte.

Ich saß an jenem Abend zu Hause und lebte einen Entrümpelungsanfall aus, als Leni vorbeischneite.

„Klara, es ist Freitag, Party-Time!“

Mürrisch sah ich zu, wie sie eine grellbunte Karte aus ihrem Handtäschchen zog.

„Heute steigt die Nacht der Medien und meine Einladung ist für zwei Personen.“

„Schön, aber ich komm nicht mit. Hab hier zu tun.“

Fragend betrachtete sie die Papierhäufchen, die überall in meinem Wohnzimmer verteilt lagen.

„Ich bewältige gerade meine Vergangenheit. Und das dauert noch länger.“

Mit sicherem Griff zog sie einen kleinen roten Brief aus einem Haufen.

„Von Tobias, wie herzig.“ Sie las. „Wusste gar nicht, dass er Legastheniker war. Willst du das miese Geschmiere archivieren?“

„Nein, entsorgen. Ich muss mich von altem Ballast befreien, verstehst du? Erst wenn Wohnung und Keller clean sind, wird auch der Geist frei.“

„Ich dachte, der Tobi ist schon längst entsorgt. Alte Liebesbriefe durch den Reißwolf jagen ist außerdem keine Vergangenheitsbewältigung. Also los, raus aus der Jogginghose und rein in den Partyfetzen!“

Ich schüttelte störrisch den Kopf. Lenis permanent gute Laune und ihr enormer Tatendrang gingen mir schon länger auf die Nerven. Seit Monaten schleppte sie mich auf After-Work-Clubbings, Motto-Feten und Vernissagen, in Sushi-Bars, Steh-Italiener und Biergärten. Und das aus reiner Nächstenliebe, wie sie ständig betonte, denn Leni wollte mich endlich wieder an den Mann bringen.

Seit fast zwei Jahren war ich ohne feste Beziehung und anfangs dankbar gewesen, dass Helene mich dauernd zum Ausgehen motivierte. Später dann nicht mehr, denn der gewünschte Erfolg blieb nachhaltig aus: Ich lernte nur Männer kennen, die entweder schwere Bindungsphobien oder Mutterkomplexe hatten, hoch verschuldet, krankhaft geizig oder Neandertaler waren.

Unterm Strich war Leni eigentlich die Einzige, die von meinem Vermittlungsprogramm profitierte. Nach jedem meiner Fehlgriffe konnte sie sich nämlich selber zu ihrem Jussi gratulieren.

Helenes Freund Jussi ist Finne, schweigsam und extrem humorlos. Und er ist beruflich zwei Drittel des Jahres im Ausland. Aber er verdient ein Schweinegeld, ist sehr spendabel und treu wie Gold. Das betont Leni jedenfalls häufig. Letzteres ist für meine Begriffe schwer nachprüfbar, aber ich will ihr da nicht reinreden.

Leni und ich kennen uns seit der fünften Klasse und sind so was wie Blutsschwestern. Wir haben in Mathe und Latein voneinander abgeschrieben, heimlich auf dem Klo geraucht und beide am gleichen Tag vom gleichen Jungen den ersten Zungenkuss bekommen. Und obwohl wir uns ab und zu Mal in den Haaren liegen, würde ich für sie durchs Feuer gehen.

„Machst du diesen Sommer eigentlich wieder Urlaub im Single-Club?“

Mit dieser beiläufigen, aber hinterhältigen Frage schaffte es Leni, mir meinen Home-Abend madig zu machen. Seit zwei Jahren waren Urlaube für mich nämlich die Pforte zur Hölle. Einmal hatte ich Jussi und Helene als fünftes Rad am Wagen nach Finnland begleitet und wäre dort an Frustration, Mückenstichen und schwarzgebranntem Schnaps fast zugrunde gegangen. Ein verlängertes Wochenende im Winter war ich dann mit lauter glücklichen Pärchen in einer Almhütte in Österreich eingeschneit und hatte bei meinem Fluchtversuch eine gefährliche Nass-Schneelawine ausgelöst. Aber die Krönung waren definitiv 14 Tage All-Inclusive-Single-Club in Tunesien gewesen, wo ich jeden Abend von notgeilen Endvierzigern bei Gemeinschaftsspielen um den Pool gejagt wurde. Ich hatte die Aktion zwar nach einer Woche abgebrochen, aber das Grauen saß mir immer noch im Nacken.

Eine gute Stunde später reihten wir uns in die Warteschlange vor dem Löwenbräukeller in München-Neuhausen ein. Leni in einem goldenen Paillettenrock mit Schlitz bis zum Hintern und bauchfreiem Bustier, ich in Jeans und schlichtem Träger-Top. Ich fand ihr Outfit für diesen Anlass übertrieben, aber Leni wollte nichts davon hören:

„Glaubst du, ich verbringe Jahre in Umkleidekabinen, um die Klamotten dann im Schrank verrotten zu lassen?“

Das ist Helenes größtes Problem. Sie besitzt solche Unmengen von höllenscharfen Designerfummeln, dass sie kaum ein Viertel davon zu gebührenden Anlässen auftragen kann. Für meinen Geschmack übertreibt sie ein wenig in punkto Offenherzigkeit. Denn Leni besitzt eigentlich nur Stücke, die sehr weit ausgeschnitten, sehr eng, durchsichtig und bauchfrei sind. Deshalb ist sie oft erkältet.

Früher habe ich mich manchmal etwas geschämt, wenn Helene in winzig kleinen Tops und Röcken auf meterhohen Absätzen neben mir herstöckelte. Ich hatte Sorge, dass ihr Look – trotz horrendem Preis – ein wenig billig wirken und betrunkene Bauarbeiter anlocken könnte. Aber solche Fragen stellt sich Leni nicht. Sie möchte auffallen, egal in welchen Kreisen.

Die Schlange bewegte sich keinen Millimeter vorwärts, weil zwei Männer, die offensichtlich nicht auf der Einladungsliste standen, mit der Empfangshostess debattierten, um auf die Party zu kommen. Ich verstand nicht, was sie sagten, aber der größere plusterte sich mächtig auf und wedelte wichtig mit einer überdimensionalen Visitenkarte.

„Jesus, das wird länger dauern“, stöhnte Helene und zupfte ärgerlich an ihren Pailletten. „Große Visitenkarte, kleiner Schwanz. Die Sorte kenne ich.“

„Was meinst du damit?“

„Dass dieser Typ so lange den Eingang blockiert, bis sie ihn wegtragen. Minderwertigkeitskomplexe, verstehst du? Nichts in der Hose, aber eine riesige Klappe.“

Ich weiß nicht mehr, ob ich Helene damit beeindrucken wollte oder generell zum Stänkern aufgelegt war. Jedenfalls marschierte ich nach vorne und tippte dem Mann auf die Schulter.

„Hör zu, wir wachsen hier alle schon an. Wie wär’s, wenn du die Leute, die auf der Gästeliste s-t-e-h-e-n, vorbeilässt und es in einer Stunde einfach noch mal probierst? Vielleicht darfst du ja dann rein.“

Der Typ warf mir einen ungläubigen Blick zu. Ich schien ihn aber aus dem Konzept gebracht zu haben, denn er trat etwas zur Seite und machte damit seinen Füße-scharrenden Hintermännern Platz. Bevor er antworten konnte, schenkte ich ihm ein verbindliches Lächeln, drehte mich schnell um und ging mit gestrafften Schultern zu Helene zurück. Beifälliges Gemurmel begleitete mich.

Obwohl sich die Schlange nun rapide vorwärts bewegte, bereute ich meine Tat bereits. Der Bursche da vorne hatte nicht übel ausgesehen, und sein Kumpel, der neben ihm stand, war sogar ausgesprochen fesch: dunkelblond, breite Schultern, markantes Kinn mit Grübchen, bisschen wie der junge Kirk Douglas. Außerdem wirkten beide irgendwie wichtig. Und die Medienbranche ist ja recht klein. Vielleicht würde einer von ihnen mal einen Führungsposten in meiner Firma kriegen, solche Zufälle soll’s ja geben. Dann könnte ich gleich meine Sachen packen.

Ich arbeitete damals als Pressereferentin beim Fernsehen. Was sich ganz gut anhörte. Meine Freundinnen beneideten mich, weil sie dachten, dass ich mich dauernd mit attraktiven Schauspielern zum Mittagessen traf. Und dann nebenbei ein paar lockere Interviews führte. In Wirklichkeit saß ich meistens in einem zugigen Großraumbüro und schrieb tonnenweise Pressemitteilungen über Einschaltquoten, Marktanteile und andere packende Themen wie Werbeausgaben im Schmelzkäse-Segment. Inzwischen saß ich außerdem auf wackligem Posten. Andi Kübler, der neue Presse-Chef, konnte mich nämlich nicht leiden. Was auf Gegenseitigkeit beruhte, denn er war ein kleiner, böser Gnom, Workaholic und Frauenhasser. Seit seinem Amtsantritt schob ich wöchentlich gefühlte 40 Überstunden und hatte das Rauchen wieder angefangen.

Nachdem wir unsere Mäntel abgegeben hatten, drückte Helene ihren Busen unterm Bustier in Form und sah blitzend um sich.

„Also los. Schauen wir, was geboten wird.“

Es wurde wenig geboten.

„In der Einladung stand doch als Feten-Motto karibisch-heiß, oder?“, fragte ich mit zweifelndem Blick auf die Rentner-Band. „Diese drei Mainzelmännchen sehen eher aus wie die Wildecker Herzbuben mit Klon.“

„Übertreib nicht. Ich finde die Musik hat was.“

„Oh ja, für eingefleischte Bayern1-Hörer.“

„Du bist immer so negativ, Klara. Kein Wunder, dass die guten Typen da Abstand halten. Hör bitte auf zu nörgeln und amüsiere dich. Ist doch jede Menge los hier.“

Mit diesen Worten verschwand Leni in Richtung Toilette und kam nicht wieder.

Sie hatte ja Recht. Welcher Mann sprang schon auf hängende Mundwinkel an. Also bemühte ich mich, ihren Rat zu befolgen und blendend gelaunt zu wirken. Ziemlich anspruchsvolle Aufgabe. Das Fest war zwar gut besucht, aber die meisten Gäste lungerten lustlos an Stehtischen oder machten dem Buffet in affenartiger Geschwindigkeit den Garaus. Es war auch kein einziger süßer Typ in Sicht. Großer Fehler, dass ich die Beaus von der Warteschlange vertrieben hatte, vor allem den mit den Grübchen.

Ich stand etwas verloren herum und versuchte das karibisch heiße Flair aus locker verteilten Löwenbräu-Sonnenschirmen, Plastik-Papageien und Sandhäufchen aufzusaugen. Da es partout nicht funktionieren wollte, gesellte ich mich zu meinem ehemaligen Kollegen Frank, der ein paar Meter weiter ganz alleine an einem Stehtisch lehnte und sich über eine wilde Mischung aus Nudelgratin, Leberkäs, Thunfisch-Steaks und Maracuja-Mousse auf seinem Teller hermachte. Leider merkte ich zu spät, dass er bereits angetrunken war.

„Klara, meine Presse-Perle“, hickste er und stürzte den Rest seines Gin Tonic hinunter. „Du siehst phantastisch aus heute Abend.“

Er schien sich riesig zu freuen, mich zu sehen, und begann sofort, mir mampfend von seiner sagenhaften Karriere als freier Unternehmensberater zu erzählen. Die Story war von vorne bis hinten erlogen. Ich wusste nämlich zufällig von einer Kollegin, dass Fettwanst Frank null Aufträge hatte und deshalb wieder bei seiner Mama ins Kinderzimmer gezogen war. Flurfunk ist in meiner Branche das verlässlichste Medium. Da höre ich immer genau hin.

Trotzdem nickte ich beflissen, schließlich war positives Denken angesagt. Außerdem war ich froh, dass ich überhaupt einen Gesprächspartner gefunden hatte und zumindest für Außenstehende so wirkte, als würde ich mich gut amüsieren. Als sich Frank immer mehr in Fahrt log und seine feuchte Hand an meiner Hüfte parkte, wurde ich dann doch etwas nervös. Keine Rettung weit und breit. Dafür hatte die Trachten-Band das Genre gewechselt und spielte jetzt latein-amerikanische Rhythmen, so dass sich tatsächlich ein paar Leute auf die gähnend leere Tanzfläche wagten.

Um Franks Hand loszuwerden, wippte ich hektisch zur Musik. Seine Finger wippten mit. Zum Glück erspähte ich Helene, die mich von weitem auf die Tanzfläche winkte. Mein Fluchtweg tat sich auf.

„Du, Frank, die spielen gerade ein super Lied. Ich geh mal tanzen.“

„Ohlala, Salsa“, lallte er und lockerte seine Krawatte. „Ich tanz mit dir, okay?“

Keine Ahnung, warum ich manchmal Ja sage, wenn ich eigentlich Nur über meine Leiche!!! meine.

Ich habe schon unter vielen schlechten Tänzern gelitten, Frank aber stellte alle in den Schatten. Er war der leibhaftig gewordene Albtraum, unrhythmisch wie ein Nilpferd.

„Super, oder? So was hab ich seit Jahren nicht mehr getanzt!“

Ach, tatsächlich?

„Und Drehung, hoppla! Und noch mal. Läuft ja wie geschmiert.“

Ich darf anmerken, dass ich selber recht gut tanze. Was mir in diesem Fall aber nichts half, denn Frank ließ sich partout nicht führen. Wie ein defekter Brummkreisel rotierte er mit mir vor der Band auf und ab und schrie in regelmäßigen Abständen: „Hoppla, jetzt Dreeehung!“

Helene lachte sich schlapp. Ich musste diese Tanz-Farce schleunigst beenden, bevor mich zu viele Leute dabei beobachten konnten. Bei der folgenden Schrittkombination mit wüster Doppeldrehung hatte ich eigentlich vor, loszulassen und tänzelnd in der Menge unterzutauchen, doch Frank zerrte mich so heftig am Arm, dass ich umknickte und zu Boden ging. Dummerweise riss ich dabei einen Stehtisch mit in die Tiefe. Wutschnaubend rappelte ich mich auf – und hätte mich am liebsten gleich wieder hingelegt, um zügig zum Ausgang zu robben.

Vor mir, in knapp drei Metern Entfernung, stand der Typ, den ich am Eingang blamiert hatte.

Ich sah ihn, er sah mich. Muss ich extra erwähnen, dass er schadenfroh grinste? Neben ihm stand sein gut gebauter Kumpel. Auch er schmunzelte und beobachtete, wie ich mir den Inhalt eines Aschenbechers von der Jeans klopfte. Von Frank war nichts mehr zu sehen. Schade, ich hätte ihn gerne gefoltert. Wie ich später erfuhr, hatten sich seine fünf Gin Tonic schlecht mit den Salsa-Figuren vertragen, und er musste den Rest der Nacht über der Kloschüssel verbringen. Wenigstens das.

Während ich einen Zigarettenstummel aus meinen Haaren fischte, kam mir Helene endlich zu Hilfe. Sie hakte mich unter und schleppte mich zu einer Prosecco-Bar am anderen Ende des Festsaals.

„Spitzenmäßige Vorstellung!“ Sie hatte Mühe, sich zu beherrschen. „Ich hab mir fast in die Hosen gemacht. Wie du mit dem Dicken über den Tanzboden gestampft bist! Und dann dein Sturz ... bühnenreif!“

„Danke vielmals für die aufbauenden Worte“, murrte ich. Mit Helenes ausgeprägter Schadenfreude hatte ich schon öfter Bekanntschaft gemacht. „Der Kerl wollte mit mir tanzen, was hätte ich machen sollen?“

Nicht mit ihm tanzen. Wer war der Troll überhaupt? Eine neue Eroberung?“

„Kein Kommentar. Mir reicht‘s für heute, ich verschwinde. Am besten durch die Kanalisation. Hauptsache, ich begegne keinem mehr.“

„Meinst du wirklich? Na, ich bleib noch ein bisschen. Um zwölf will der Chris vorbeischauen. Oh, da vorne steht er ja schon …“ Und weg war sie.

Ich druckste noch verlegen auf meinem Barhocker herum und überlegte, wie ich die Party unauffällig verlassen könnte, als zwei Männer auf mich zusteuerten. Gott bewahre, schon wieder diese zwei vom Eingang! Außer mir standen nur drei Pärchen an der Theke. Die Chancen, mich in der Menge zu verstecken, waren denkbar schlecht.

Auch der Typ mit den großen Visitenkarten schien nicht erfreut, mir noch mal zu begegnen. Er griff sich schnell ein Glas von der Bar und zog wieder ab. Sein Begleiter mit dem Grübchen stellte sich dagegen neben mich, musterte mich aus den Augenwinkeln und fragte nach einer Zigarette.

Ich fummelte mit hochrotem Kopf in meiner Tasche, die klein, aber trotzdem sehr unübersichtlich ist. Blöderweise war die Kappe meines grünen Filzstifts, den ich für spontanen Handynummern-Austausch immer dabei habe, abgegangen. Als ich nach langem Suchen die zerdrückte Packung herauszog, hatte ich grüne Finger. Peinlich, aber da ich ihm die Zigaretten schlecht mit dem Mund reichen konnte, streckte ich ihm das Päckchen auf meiner grün gesprenkelten Hand entgegen.

„Eine gefährliche Hautkrankheit? Ich hoffe, das ist nicht ansteckend“, witzelte er und griff trotzdem zu.

In der Packung befand sich nur noch eine Zigarette, und die war in der Mitte durchgeknickt. War ja klar. Alles in meinem Leben hatte irgendwie eine Macke.

„Macht nichts, die Halbe hier reicht auch“, sagte er lächelnd.

Zögernd hob ich den Blick und schaute in babyblaue Augen. Ohh! Babyblau ist meine absolute Lieblingsfarbe. Da werde ich ganz schnell schwach. Bei Angorapullis, Möbelstücken und vor allem bei Männeraugen.

„Ich muss mit der Qualmerei sowieso aufhören. Ist ungesund und verpestet die Luft.“

Mmm! Und die Stimme war auch toll. Dunkel, kehlig, hocherotisch. Wahrscheinlich ein Kettenraucher. Aber wen stört so was?

Etwas verlegen fuhr er sich durch seine blonden Haarstoppel. Eigentlich hatte ich immer ein ausgeprägtes Faible für üppige Locken, aber sein Raspelkopf war entzückend.

Nur das Outfit war, sagen wir, gewöhnungsbedürftig.

Er trug einen eng sitzenden, grünen Anzug aus schillerndem Stoff mit hellbraunem Pelz am Kragen und an den Manschetten. Ich tippte auf Kaninchen. Pelz im Mai? Ungewöhnlich, aber wahrscheinlich fror er schnell. Auch das fand ich sehr süß. So menschlich.

Vielleicht war es doch eine gute Idee gewesen, auf dieses Fest zu gehen. Ein Hoch auf Lenis Hartnäckigkeit. Jetzt musste nur schnell ein richtig gutes Gesprächsthema her, etwas Charmant-Sympathisches mit viel Geist und Witz.

„Na, habt ihr zwei euch über den Hintereingang reingeschlichen“, hörte ich mich sagen und hätte mir gern selber eine runtergehauen. Mein absolut miesester Flirt-Einstieg seit Jahren. Ausgerechnet jetzt. Er sah mich schräg an.

„Äh, nein. Der Peter hat die Einladung doch noch gefunden. Sie lag im Auto. Ich weiß nicht, warum wir nicht auf der Liste standen.“

„Oh, ja klar, so was kann passieren. Ich meine, mir ist es auch schon passiert, dass ich nicht auf der Liste stand, obwohl ich eingeladen war. Und dann hängt man da so rum am Eingang. Und, ähm ...“

„Max! Dich trifft man ja wirklich auf jeder Fete!“

Während ich mir das Hirn zermarterte, wie ich dieses Gespräch noch charmant herumreißen konnte, hatte sich eine attraktive Dunkelhaarige zwischen mich und meinen neuen Bekannten gedrängt. Sie fiel ihm stürmisch um den Hals.

„Und wieder am Qualmen! An Silvester hast du noch geschworen, dass du damit aufhörst.“

Er drückte sofort die Zigarette aus und räusperte sich.

„Darf ich bekannt machen, das ist Susanne, und das ist ... wie heißt du eigentlich?“

„Klara“, sagte ich knapp und versuchte eine lässige Körperhaltung einzunehmen.

„Hübscher Name. Ich heiße Max.“

Susanne zog die gezupften Augenbrauen hoch und beschloss offensichtlich, mich nicht in den weiteren Verlauf des Abends einzubeziehen. Sie drehte mir demonstrativ den Rücken zu und hielt Max einen Monolog über Kehlkopfkrebs.

Zehn Minuten lang starrte ich auf ihren gelockten Hinterkopf und drehte mein Glas in der Hand. War ich Luft, oder was? Da schnorrte dieser Wicht in seinem albernen Pelzjäckchen meine letzte Zigarette und drückte mir ein Gespräch aufs Ohr, und kaum tauchte irgendeine Susanne auf, ließ er mich auf meinem Barhocker versauern. Unverschämtheit. Himmelschreiende Ungerechtigkeit. Warum war ich bloß so uninteressant für Männer, die ich selber so interessant fand?! Trug ich bereits das Schandmal Weit über Dreißig, solo und für alles dankbar auf der Stirn? Witterte man bereits einen Hauch von Verwesung? Geknickt beschloss ich, unverzüglich nach Hause zu gehen. Schließlich hatte ich meine Zeit nicht gestohlen. Als ich nach meiner Tasche griff und vom Hocker kletterte, unterbrach Max Susannes Redefluss.

„Gehst du schon, Klara?“

„Ja, ich muss ins Bett. Hab’ morgen ein wichtiges Meeting um neun.“

Top-Ausrede, morgen war Samstag, aber egal.

„Der Abend fängt doch erst an. Komm, trink wenigstens noch ein Glas.“

„Entschlossene Leute soll man nicht aufhalten“, ermunterte Susanne mich und reichte mir mein Feuerzeug, das noch auf dem Tresen lag. Sie wollte mich offensichtlich schnell loswerden. Max winkte aber dem Barkeeper und orderte Nachschub.

„Zwing sie doch nicht. Klara sieht schon total müde aus. Bei den Augenringen hat sie ihren Schlaf bitter nötig.“

Miststück. Wenn ich etwas hasse, dann Leute, die mich auf meine Augenringe ansprechen. Die habe ich von meiner Mutter geerbt und sind immer da, egal, ob ich zehn Stunden Tiefschlaf hinter mir habe oder eine durchsoffene Nacht. Die fiese Suse hatte es auf Max abgesehen, ganz klar. Verärgert beschloss ich, nun doch umzudisponieren und nicht mit hängenden Schultern heim zu schleichen, sondern mit vorgestreckter Brust am Tresen sitzen zu bleiben. Ich hatte Max schließlich zuerst entdeckt. Zumindest an diesem Abend.

„Okay, noch ein Glas. Wenn ich morgen nicht aus dem Bett komme, ist es deine Schuld, Max“, lächelte ich kokett.

Zweideutige Antwort, sehr gut, das finden Männer stimulierend. Susanne rang sich ein säuerliches Grinsen ab – und räumte tatsächlich nach einem kurzen „Man sieht sich, Süßer“ das Feld. Das Tête-à-tête mit Max gegen eine Dreierrunde mit mir einzutauschen, schien nicht nach ihrem Geschmack. Mit einem solch schnellen Abgang hatte ich nicht gerechnet.

Vielleicht war ich doch nicht ganz aus der Übung. Ich sah ihr befriedigt hinterher.

„Sehr sympathische Frau“, log ich. „Eine Kollegin von dir?“

„Ehemalige Kommilitonin und seitdem eine gute Freundin. Susanne ist super, nur ein bisschen streng“, lächelte Max. „Wenn sie mich mit einer Zigarette erwischt, hält sie mir regelmäßig Standpauken.“

Ich lächelte auch, dachte mir aber meinen Teil. Brauchte dieser Max ein Kindermädchen, oder was?

Doch der Rest der Party war grandios. Max erwies sich als lustig und sehr unterhaltsam. Ich mag Männer, für die ich nicht den Entertainer spielen muss, und Party-Smalltalk zählte ohnehin nie zu meinen Stärken. Aber Max wollte gar nicht smalltalken. Er stellte Fragen, die so klangen, als würde er sich tatsächlich für die Antworten interessieren, und erzählte auch einiges aus seinem Leben.

Erst vor Kurzem hatte er zusammen mit seinem Freund Peter eine Event-Agentur gegründet. Um den Laden in Schwung zu bringen, war er ständig auf Akquise. Er telefonierte sich die Finger wund und rannte sich die Hacken ab, mit bislang mäßigem Erfolg. Die Konkurrenz in München war groß und die Kundenbudgets für Veranstaltungen schrumpften. Trotzdem konnte es Max nicht schlecht gehen. Beiläufig erzählte er von seiner Dachterrassenwohnung mit Blick auf die Isar und seinem hellblauen Austin. Ein Oldtimer, an dem er gerne herumbastelte.

Max hatte ziemlich lange Kommunikationswissenschaften studiert und war dann für ein Jahr um die Welt gereist. Ich hing an seinen Lippen, als er mir von seinen Touren durch Lateinamerika und Asien berichtete. Globetrotter finde ich toll. Besonders wenn sie schöne blaue Augen und einen knackigen Hintern haben.

Ansonsten war Max ein ziemlich untypischer Mann. Er tanzte. Sogar sehr gut und ausdauernd. Ich war begeistert. Und er kochte. Das konnte ich vor Ort zwar nicht nachprüfen, aber seine detaillierte Schilderung, wie man eine Veilchen Crème brûlée professionell mit Bunsenbrenner zubereitet, beeindruckte mich schwer. Und er legte offenbar viel Wert auf pfiffige Kleidung. Auch diese Neigung war Neuland für mich. Mit meinen verflossenen Liebschaften hatte ich oft heftige Diskussionen über deren textile Vorlieben führen müssen. Und es kam regelmäßig vor, dass ich uralte Lodenjanker mit Mottenfraß, noch ältere Hosen aus weinrotem Breitcord oder filzige Pullis mit Rautenmuster in Nacht- und Nebelaktionen entsorgte.

Max war da anders. Er war ein Mann mit Stil, facettenreichen Interessen und blendenden Manieren. Und er genoss offensichtlich sein Leben in vollen Zügen. Das nennt man, glaube ich, Savoir Vivre.

Ich wollte auch Savoir Vivre.

Die Stunden flossen dahin. Ich spürte die neidischen Blicke der anderen Frauen, als ich mit Max übers Parkett schwebte, und fühlte mich großartig. Wir tanzten eng, wir nippten an unseren Cocktails und warfen uns intensive Blicke zu, wir lachten und berührten uns wie zufällig am Arm. Es war irre.

Als wir die Party um vier Uhr morgens verließen, war ich rauschhaft glücklich. Vier Uhr! Das muss man sich mal vorstellen. Ich bin ja eher der Typ, der um Mitternacht schon zum dritten Mal gähnt. Nicht in dieser Nacht. Ich war putzmunter, hätte Bäume ausreißen können. Ich hatte die besten Stunden meines Lebens verbracht, mit einem unglaublichen Mann, der nicht nur blendend aussah, intelligent und humorvoll war, sondern auch ganz fürchterlich süß. Auf einer dicken rosa Wolke schwebte ich aus dem Löwenbräukeller.

Kaum standen wir auf der Straße in der klammen Feuchtigkeit des anbrechenden Morgens, da war der Zauber irgendwie weg. Max rieb sich die Schultern und brummelte unzufrieden.

„Ist verdammt spät geworden. Man, ich muss in vier Stunden schon wieder im Büro sein, leider muss ich auch samstags ran. Mein Auto lass’ ich besser stehen. Nach den ganzen Drinks wär das keine gute Idee. Werd’ mal ein Taxi rufen.“

Er sprach gar nicht mit mir, sondern mit sich selber. Männer sind ja manchmal zerstreut, aber dass Max innerhalb von dreißig Sekunden vergaß, mit wem er die halbe Nacht verbracht hatte, irritierte mich.

„Tja, ich muss ja auch früh raus, wie du weißt.“

Betretene Stille. Ungute Situation. Ich musste irgendetwas tun, um ihn wieder in Stimmung zu bringen.

„Schön, ich werde dann mal den Heimweg antreten. Viel Glück bei der Taxi-Suche“, sagte ich stattdessen lahm und verwünschte meine Phantasielosigkeit.

„Okay, mach’s mal gut. Wir treffen uns bestimmt irgendwann wieder.“ Max zögerte.

Kam da vielleicht noch etwas? Es kam nichts. Wir hatten uns stundenlang unser Leben erzählt, unsere gemeinsamen Interessen und unsere Seelenverwandtschaft entdeckt. Und dann Mach’s mal gut!

Trotz meiner Enttäuschung wollte ich Max nicht einfach ziehen lassen. Er würde auf immer im Nirwana verschwinden. Ich würde ihn nie wieder treffen, denn ich treffe immer nur die Leute zufällig wieder, die ich absolut nicht treffen will.

Ich atmete durch, hatte ja eh nichts zu verlieren.

„Also, ich gebe dir mal meine Karte, für den Fall, dass du irgendwann Zeit hast, unser nettes Gespräch fortzusetzen.“ Wieder so ein Anti-Spruch!

„Alles klar, man weiß ja nie.“ Max steckte mein Kärtchen ein und zog dann seine eigene Visitenkarte aus der Jackentasche. Ich erstarrte kurz. Noch so ein Riesenteil! Ach so, Peter und er arbeiteten ja in derselben Firma.

„Falls du jemanden kennst, der eine hochkreative, noch bezahlbare Event-Agentur sucht, kannst du den Kontakt gerne weitergeben.“

Na großartig. Wahrscheinlich war ich für den Herrn nur ein Akquisegespräch für potenzielle Neukunden gewesen. Und dafür hatte ich mir die Nacht um die Ohren geschlagen!

„Wird gemacht“, lächelte ich zitronig und reichte ihm die Fingerspitzen.

Max drückte mir einen Kuss auf die Wange – für Akquise schien er zu allem bereit – und winkte dann hektisch einem vorbeifahrenden Taxi. Ich drehte mich um und ging in den grauen Morgen.