Leseprobe Mein Herz in Montana

Ethan

John und ich hatten eine kleine Farm in Montana zwischen den Pryor und Beartooth Mountains. Das Land erschien grenzenlos. Ich liebte die Weite und den Himmel, der sich wie ein endloses Meer bis zum Horizont erstreckte, und ich liebte den Geruch von Gras und Staub. John und ich waren beide im Herzen Montanas geboren, und selbst wenn ich noch nie woanders gewesen war, wusste ich, dass es für mich keinen besseren und schöneren Flecken Erde geben würde als dieses Land. Wenn der Wind über die Ebenen fegte, kam es mir manches Mal so vor, als sänge er ein Lied. Doch seit einiger Zeit waren die Tage trüber geworden, was nicht am Wetter lag.

Ich atmete leise tief durch. Das Sonnenlicht, das durch das Fenster unseres Schlafzimmers fiel, wärmte meine nackte Haut. Eine zarte Berührung, die mir guttat. Für einen Moment schloss ich die Augen. Wie lange war es her, dass mein Mann John mich sanft berührt hatte, zärtlich zu mir gewesen war?

Als wir uns vor etwa vier Jahren kennengelernt hatten, waren wir uns mit großem Respekt begegnet, und auch nach unserer Hochzeit hatte sich daran nichts geändert. Doch seit ein paar Monaten schwand die Liebe zu ihm wie das Licht des Tages am Abend. Wir befanden uns im Zwielicht und John schien es nicht einmal zu bemerken. Er wurde mir zunehmend fremder und manchmal machte er mir sogar richtig Angst.

Ich zog die Bettdecke bis zum Kinn, wollte das Gefühl der Einsamkeit, die ich zunehmend empfand, wenn ich mit ihm zusammen war, abschütteln, nicht wahrhaben. Aber es kehrte stets zurück wie ein Bumerang.

Noch immer konnte ich John zwischen meinen Schenkeln spüren, obwohl er schon vor einer Stunde von mir abgelassen hatte. Danach war er eingeschlafen. Ich fühlte mich, als würde er in mir zunehmend eine Geburtsmaschine, die nicht funktionierte, sehen und nicht mehr seine Ehefrau. Ich blinzelte aufsteigende Tränen weg und suchte krampfhaft nach den Sonnenstrahlen hinter den Gewitterwolken unserer Ehe, die immer dunkler und dichter wurden. Wo war der Mann, der mich einst so fasziniert hatte? Ich war bemüht, mir die Trauer darüber nicht anmerken zu lassen. Ich wollte uns nicht aufgeben. Noch nicht.

Langsam setzte ich mich im Bett auf und stierte ins Leere, meine Gedanken verschwammen. John lag neben mir. Nach einer Weile wachte er auf und schlug die Decke zurück. Wortlos stand er auf und trat ans Fenster. Dabei kratzte er sich seinen leicht behaarten Hintern, während er hinaus auf den Hof der Farm spähte. Mit einem Knurren zog er sich dabei sein eierschalenfarbenes Hemd vom Vortag über und öffnete das Fenster, das in den Angeln quietschte.

„Seid ihr Weicheier oder Männer? Das muss schneller gehen, sonst mach ich euch Beine. Wofür bezahle ich euch eigentlich?“, brüllte er.

Ich schrak zusammen, als er das Fenster mit einem Knall schloss und mit polternden Schritten durch das Zimmer lief. Wem sein Brüllen galt, war nicht schwer zu erraten. An der Tür drehte er sich noch einmal zu mir um. „Ich bin für eine Weile in Billings, habe dort Termine und bin schon spät dran. Du weißt schon, wegen der Vermittlung der Mustangs. Ich will die Geschäftsidee schneller vorantreiben. Also geh du zu den Jungs und sag ihnen, dass sie nachher das Heu für die Pferde einholen sollen. Nein, halt. Sag es diesem Pferdeflüsterer, Ethan Wellington. Bin gespannt, wie der sich macht. Vor allem, ob was an seiner angeblichen Fähigkeit, auch schwierige Wildpferde schnell zu zähmen, dran ist. Wehe ihm, wenn nicht. Dann fliegt er schneller von der Farm, als er die Klappe aufmachen kann“, zischte er noch, ehe er von dannen zog.

Ich war ehrlich gesagt froh, dass ich ein paar Stunden meine Ruhe vor John hatte. Ich war sicher, dass er in dem fünfundzwanzig Meilen entfernten Billings wieder in einer der Kneipen versinken würde. Abermals dachte ich an früher. Damals war mir jede Minute ohne ihn schwergefallen. Ich strich mit einer Hand über meine Oberarme, in die John die Kuppen seiner Finger gegraben hatte, während er mit mir geschlafen hatte. Tief atmete ich ein, hielt dann die Luft ein paar Sekunden in meiner Lunge gefangen und entließ sie langsam wieder. Ekel stieg in mir auf, wenn ich an sein Keuchen und Stöhnen dachte. Seine erregten Laute hatten nach einem Tier geklungen.

Um die stickige Luft in unserem Schlafzimmer zu vertreiben, öffnete ich das Fenster wieder, schnappte mir ein ärmelloses beiges Sommerleinenkleid und ging ins Bad. Dort band ich mir die langen, roten Naturlocken zu einem Zopf und stieg unter die Dusche. Das Wasser wusch die ruppigen Berührungen Johns von meiner Haut. Zumindest redete ich mir das ein.

Ich beeilte mich, um den Jungs Johns Auftrag mitzuteilen, stieg aus der Dusche und trocknete mich ab, doch bereits zwei Minuten später hatte ich einen neuen Schweißfilm auf der Haut. Die Klimaanlage war mal wieder defekt. Ich seufzte. Der Sommer in Montana war dieses Jahr besonders heiß, seit Tagen hatte es nicht geregnet. Es kam mir vor, als würden die Farben der Umgebung zunehmend ihren Glanz verlieren. Ich versuchte durchzuatmen, doch die Luft schien mit jedem Tag dünner zu werden.

Mein Blick fiel auf den letzten Schwangerschaftstest, der wieder kein positives Ergebnis gebracht hatte. Ich hatte ganz vergessen, dass er da noch lag. Ich griff danach und feuerte ihn in den kleinen Mülleimer, der unter dem Waschbecken stand. Dann befühlte ich meinen nackten flachen Bauch mit den Händen. Vielleicht war ja am Morgen, als John mich energischer denn je genommen hatte, ein Wunder passiert und unser Traum von einem Kind wurde doch noch wahr, würde uns wieder Glück auf unsere Farm bringen.

John wünschte sich sehnlichst Nachwuchs. Daraus machte er kein Geheimnis, sondern eine Forderung, die ich seiner Meinung nach endlich zu erfüllen hätte. Und wenn John etwas wollte, dann konnte er richtig penetrant sein. John war altmodisch erzogen worden. Er wollte mit einem Sohn vor allem die Nachfolge der Farm sichern, so wie es seine Eltern getan hatten. Außerdem wurden wir nicht jünger. Ich war bereits fünfundzwanzig, John fast vierzig. Mit keiner der Frauen, mit denen er vor mir zusammen gewesen war, hatte es je lange gehalten. Warum, wusste ich nicht. John sprach nie darüber. Doch die Schuld daran, dass es bei uns mit dem Nachwuchs noch nicht geklappt hatte, trug seiner Meinung nach ich allein.

In der Kinderwunschklinik in Billings war festgestellt worden, dass wir beide fruchtbar waren. Die Ärzte schlugen uns weitere Tests vor, aber John hatte sich geweigert. Die Kosten waren ihm zu hoch. Außerdem glaubte er den Grund, warum es nicht klappte, zu kennen. Regelmäßig warf er mir vor, ich würde mich zu ungesund ernähren, weil ich kein Fleisch aß. Mir würden wichtige Nährstoffe fehlen, vor allem Eisen. Dass unser Hausarzt, Dr. Brown, Johns Theorie für nicht fundiert hielt, wollte er nicht hören und wurde jedes Mal wütend, wenn ich auch nur ansatzweise davon anfing. Das Thema Kinderwunsch dominierte langsam unseren gesamten Alltag als Paar.

Vor etwas mehr als zwei Wochen waren die neuen Mitarbeiter auf der Ranch eingetroffen, um uns zu entlasten. Lange hatte John sich gewehrt, sich Hilfe auf die Farm zu holen, doch das Schicksal hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Johns große Ziele im Leben waren Macht und Erfolg. Er war davon überzeugt, bald groß in den weltweiten Handel mit Wildpferden, sogenannten Mustangs, einsteigen zu können. Er selbst hatte schon ein paar dieser Pferde trainiert, war aber meiner Meinung nach zu streng mit ihnen. Er trieb sie durch den Longierring, bis sie müde wurden, und machte ihnen mit der Peitsche Angst. „Sie müssen von Anfang an lernen, wer ihr Herr ist“, hatte er mich angeschrien, als ich mich eingemischt hatte. Schlagen aber würde er kein Tier, davon war ich überzeugt. Als er sich vor rund zwei Monaten den Rücken bei einem Training verrissen hatte und seitdem immer wieder über Schmerzen klagte, wurde er, was zusätzliche Hilfe auf der Farm anging, zum Umdenken gezwungen. In der Klinik stellte man Verschleißerscheinungen fest, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu schonen.

Also hatte er drei Arbeiter eingestellt, die seinen Stundenlohn akzeptierten. Allen voran Ethan Wellington. Er war Johns große Hoffnung, auch wenn ein dunkler Schatten dessen Vergangenheit durchzog. „Er hat ja niemanden umgebracht, nur niedergeschlagen,“ hatte John mir erklärt. „Hauptsache er ist gut und billig.“

Die anderen zwei waren gute Reiter und emsige Arbeiter, soweit ich bis jetzt beobachten konnte. John allerdings würde nicht so leicht zufriedenzustellen sein.

Ich zog mir das Kleid über, ging ins Schlafzimmer zurück und rubbelte dann mein Haar mit einem Handtuch trocken. Dabei warf ich einen Blick aus dem Fenster. Ethan schleppte einen Kübel voll Wasser über den Hof. Aufgeregt flatterten ein paar Hühner durcheinander, deren Weg er kreuzte. Als hätte er bemerkt, dass ich ihn beobachtete, wandte er sich um und schaute herauf. Ich stockte. Er nickte mir zu und ich nickte zurück. In seinen engen Jeans und dem Hemd machte er eine gute Figur. Augenblicklich kam mir Johns Anweisung wieder in den Sinn, die ich vor lauter Sinnieren fast vergessen hätte. Schnell schloss ich das Fenster und lief hinunter, um Ethan Johns Auftrag mitzuteilen.

Die Stufen der Treppe, die ins Erdgeschoss führte, knarzten bei nahezu jedem Tritt. Das Haus war knapp einhundert Jahre alt. Johns Urgroßvater väterlicherseits hatte es gebaut. Es ächzte an vielen Stellen, und es gab ständig etwas auszubessern. Seit dem Tod von Johns Eltern wirkte es einsam, als wäre seine Seele mit ihnen gezogen. Vor eineinhalb Jahr waren sie kurz nacheinander an Krebs gestorben. Die harte Arbeit auf der Farm hatte ihnen nach und nach die Kraft aus den Knochen gezogen. Auch sie hatten, wie John, Hilfskräfte abgelehnt. Beide waren zu geizig gewesen, hatten lieber alles gespart und es ihrem einzigen Sohn vermacht, der auf der Farm mitgeholfen hatte, seit er klein war. Er wollte sich und mir, wie er sagte, mehr bieten. Durch einen Farmerfreund war John dann vor ein paar Wochen auf die Idee gekommen, mit Mustangs zu handeln.

Der Wind wirbelte Staub auf, als ich nach draußen auf die Terrasse trat, und wehte den Geruch des großen Rapsfeldes herbei. Direkt daneben lagen der Longierring und eine Koppel. Raschen Schrittes ließ ich unser Farmhaus mit den braunen, alten Fensterläden hinter mir und lief auf die gegenüberliegende Scheune zu, in der unter anderem die landwirtschaftlichen Geräte aufbewahrt wurden. Gleich daneben befand sich ein Stall mit ein paar Schweinen und Kühen.

Mit den neuen Arbeitern hatte ich noch nicht viel zu tun gehabt. Ethan Wellingtons Kollegen hießen Malcolm Harrison und Will Banks. Ethan war, wie ich von John erfahren hatte, mit sechsundzwanzig Jahren der jüngste unter ihnen. Die anderen beiden waren nicht wesentlich älter. Malcolm, der aus Richtung der Koppel kam, grüßte mich im Vorbeigehen. Ich grüßte zurück. Doch wo war Ethan hin?

Die fünf Pferde auf der Koppel wieherten. John hatte die Mustangs aus einer Auffangstation geholt und alle auf seine Art trainiert. Das letzte Pferd, das er zähmen wollte, war eine Stute, die ich Cassy taufte. Sie musste seit dem letzten Training im Stall ausharren, weil sie zu bockig gewesen war und während des Trainings mehrfach ausgeschlagen hatte. Heute allerdings hatte sie Freigang, stellte ich freudig fest. Sie graste friedlich zwischen den anderen Pferden auf der Koppel. John nannte die Stute bissig und unbelehrbar. Er gab ihr die Schuld daran, dass er sich beim Training mit ihr den Rücken gezerrt hatte. Auch sie hatte er aus der Auffangstation in der Nähe von Billings geholt, wo es kaum tierärztliche Versorgung und Schmiedebesuche gab.

Die Vermittlung der gezähmten Pferde an interessierte Käufer lief über eine Vermittlungsstelle, die sich Sky Country Mustangs Org. nannte. Ihr Hauptsitz befand sich in Billings. Ich fand die Idee gut, zumal die Tiere eine Chance auf ein neues und hoffentlich besseres Zuhause bekamen. Viele waren ausgemergelt und schwach, wenn sie eingefangen und zur Station gebracht wurden. Zu gerne hätte ich mich intensiver um unsere Pferde gekümmert, doch seit einem Reitunfall als Kind hatte ich Angst vor Pferden. Ich hatte mich seitdem nie wieder auf den Rücken eines Pferdes gewagt und konnte nur bedingt mithelfen, was die Versorgung betraf.

Cassy kam an den Koppelzaun und stierte zu mir herüber, als wolle sie mir etwas mitteilen. Dass sie zu mir kam, berührte mich. Sie wieherte zweimal, was mich zwei Schritte zurücktreten ließ. Ihre Augen sahen traurig aus. Gänsehaut überlief meinen Körper.

Cassy war so hübsch wie wild. Eine stolze Stute mit edler Braunfärbung und von gutem Wuchs. Auf der Brust trug sie einen weißen Fleck. Ich war überzeugt, Johns Mutter würde sich im Grab umdrehen, könnte sie sehen, wie ihr Sohn mit den Pferden umging. Sie hatte Pferde geliebt und sie stets mit Respekt behandelt. So auch Johns Vater.

„Es tut mir leid“, flüsterte ich und mir kam es vor, als würde der Wind ihr meine Worte zuflüstern, denn ein paar Sekunden später bewegte sie den Kopf so, als wolle sie nicken.

Als Malcolm ein weiteres Mal meinen Weg kreuzte, grüßte er mich mit einem freundlichen „Guten Tag, Mrs London.“

„Guten Tag, Malcolm.“ John hatte gesagt, dass ich die Männer mit Vornamen anreden solle, so wie er es auch tat.

„Haben Sie eine neue Aufgabe für mich?", fragte Malcolm, während er mich offen mit seinen braunen Augen ansah. Sein ebenso braunes Haar, das mit Staub benetzt war, hatte er im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden. Das blaue Hemd trug er offen, was einen Blick auf seine Bauchmuskeln freigab. Für einen kurzen Moment wurde ich verlegen, also antwortete ich rasch: „Für dich nicht, aber für Ethan.“

„Der ist im Stall, mistet den Schweinestall aus“, teilte Malcolm mir mit.

Ich nickte. „Danke.“

Ich konnte ein verstecktes Lächeln in seinen Mundwinkeln entdecken, dann eilte er auch schon weiter.

Auf meinem Weg zum Stall, aus dem das Quieken unserer Schweine drang, die vor kurzem Zuwachs bekommen hatten, begegnete ich kurz Will, der die gleiche muskulöse Statur besaß wie Malcolm und Ethan, wenngleich er ein wenig beleibter war. Er nickte mir zu, das Gesicht starr. In Händen trug er ein Bündel frisch gehacktes Geäst, das er in die Scheune brachte. Die Tür zum Schweinestall stand halb offen und ich schlüpfte hindurch. Der beißende Geruch, der mir entgegenschwebte, machte mir nichts aus. Zugegeben, anfangs hatte ich mich schwergetan mit der Farmarbeit. Aber die Tiere gaben mir viel zurück.

„Ethan?“, rief ich, als ich ihn nirgends entdecken konnte.

„Mrs London? Ich bin hier“, hörte ich plötzlich seine Stimme, die einen angenehmen Klang besaß. Zwei Sekunden später tauchte er hinter den Schweinekoben auf.

Er klopfte sich etwas Dreck von der Hose und legte die Mistgabel zur Seite. Ein paar Strähnen seines kurzen, schwarzen, leicht lockigen Haars hingen ihm in die Stirn. Die Schweine quiekten lauter, als sie mich sahen, so als wollten sie mich begrüßen.

Ethan lachte. „Die sind ganz aufgeregt über Ihren Besuch, glaube ich“, sagte er.

Ich stimmte in sein Lachen mit ein und schaute nach den Ferkeln, die abgetrennt von den anderen bei ihrer Mutter lagen und an ihren Zitzen saugten. „Wie schön. Es ist ein Wunder. Nicht wahr?“, erwiderte ich, obwohl John mir verboten hatte, zu viel nebensächliche Worte mit den Arbeitern zu wechseln. Aber er war ja nicht hier.

Ethan kam näher. Er schwitzte, roch aber dennoch angenehm – nach Sonnenschein und Tannen.

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte er und sah mich überaus freundlich an.

Zum ersten Mal fielen mir seine strahlenden azurblauen Augen unter den sichelmondförmigen dichten Brauen auf. Sein kantiges Gesicht besaß weiche Züge und die Lippen hatten einen schönen Schwung. Auch er trug sein Hemd, wie Malcolm, offen, zog es vorn jedoch ein wenig zusammen, als er meinen Blick bemerkte. Mein Herz begann sofort zu wummern.

„Es ist verdammt heiß hier drin“, sagte er.

„Ja ist es“, erwiderte ich leise und ein wenig verlegen. In Wyoming, wo er, Malcolm und Will herkamen, mussten ihm die Frauen in Scharen nachlaufen.

„John, also mein Mann, sagte, du sollst noch heute das Heu für die Pferde einfahren.“

Er nickte und nahm die Mistgabel wieder zur Hand. „Natürlich, wird gemacht. Ich soll heute auch noch das Holz fertig schichten, aber das kann ich später machen. Außerdem will ich noch einmal nach dem neuen Wildpferd sehen. Nach Cassy.“

„Hast du Cassy auf die Koppel geführt?“, wollte ich von ihm wissen.

„Ja, das war ich. Ihr Mann weiß Bescheid. Ich konnte ihn überreden, dass es wichtig für Cassy ist, bei den anderen zu sein. Sonst wird sie nur noch sturer. Was nicht daran liegt, dass sie böse oder dergleichen ist“, gab Ethan zurück und lächelte.

Ich verstand die Zweideutigkeit und nickte. „Wenn es zu viel Arbeit auf einmal für dich ist, dann kann ich auch Malcolm oder Will beauftragen, einen Teil deiner Aufgaben zu übernehmen.“

Er hielt inne. Sein Blick ruhte auf mir, doch ich wich ihm aus. Ich wollte nicht ein weiteres Mal zu tief hineintauchen, um nicht Gefahr zu laufen, darin zu ertrinken.

„Ihr Wunsch und der Ihres Mannes ist mir Befehl, Mrs London. Aber ich finde es äußerst großzügig, dass Sie den Vorschlag gemacht haben. Danke.“ Er sprach wie ein Gentleman.

„Nichts zu danken, Ethan.“

Als ich mich zum Gehen wandte, rief er mir nach: „Warten Sie kurz! Bitte.“

Ich hielt inne. Warum hatte ich gehofft, dass er das tun würde? Ich wagte einen Blick über die Schulter und wies mich selbst zurecht. Das war doch lächerlich.

Ethan kam auf mich zu und hob eine Hand. „Da ist etwas.“ Er schmunzelte. „Ein kleiner Irrläufer in Ihrem Haar. Darf ich?“

Ich sah ihm doch wieder direkt in die Augen und er erwiderte meinen Blick. Wusste er, dass es ein besonderer Blick war? Einer jener Blicke, der ein Band zwischen zwei Menschen knüpfte?

Für einen Wimpernschlag wurde mir schummrig. Es musste an dem schwülen Wetter liegen. Sicher würde es bald Regen geben, sagte ich mir, und versuchte die anderen, seltsam schönen, aber zugleich beängstigenden Gedanken zum Schweigen zu bringen. Die indes hatten ihren eigenen Kopf.

Ethans Finger berührten flüchtig mein Haar – ein Moment, der mir eine Gänsehaut auf die Haut zauberte. Erschrocken wich ich zurück, als hätte ich mich verbrannt.

„Keine Angst. Er ist ungefährlich.“ Ethan lachte und zeigte mir seine Fingerkuppe, auf der ein kleiner Käfer saß, der grünlich schimmerte.

Fast war ich erleichtert. „Danke“, murmelte ich, ohne Ethan noch einmal anzusehen.

„Ich schenke ihm die Freiheit, wenn es Ihnen recht ist.“ Er lächelte verschmitzt, fast ein wenig geheimnisvoll.

„Natürlich. Freiheit ist das größte Gut, das man haben kann.“

Erneut trafen sich unsere Blicke.

„Das stimmt allerdings“, erwiderte er.

***

„Ich glaube, heute Nacht kommt endlich mal ein Gewitter. Wird auch Zeit“, sagte John und lutschte das restliche Fleisch von seinem Hühnerknochen. Wir aßen auf der Terrasse. John trank von seiner Bierflasche. Es war bereits die Dritte. Seine Wangen glühten rot.

Ich ertappte mich dabei, dass ich noch immer an Ethans letzte Worte und seine Augen dachte.

„Hast du gut gemacht, Adi.“ Wenn es ihm schmeckte, war er meist guter Laune.

„Danke“, erwiderte ich, stand auf und ging ins Haus, um kurz allein zu sein. Ich trank ein Glas kalte Milch, um die innere Hitze zu löschen, die Ethan in mir ausgelöst hatte. Ich schämte mich einerseits dafür, andererseits genoss ich die sehnsüchtigen Gedanken an ihn. Mit einem leisen Seufzen stellte ich das Glas in die Spüle, atmete ein paar Mal tief durch und kehrte dann zu John zurück.

Draußen war es frischer geworden. Die Sonne war bereits am Horizont verschwunden und von Westen her zogen dichte Wolkenbänke auf. Ich rieb mir die Oberarme.

„Willst du nichts mehr essen, Adeline?“, fragte John.

Ich schüttelte den Kopf. Das Gemüse hatte mir gereicht.

Plötzlich hieb John mit der Faust auf den Tisch, dass das Geschirr nur so klirrte. Dann schoss er hoch und ich zuckte zusammen.

„Warum isst du nicht auch von dem Hühnchen?“ Sein Tonfall besaß diese Schärfe, die ich nicht mochte und die immer dann ihren Weg in seine Stimme fand, wenn er Alkohol im Blut hatte. Seine Augen sahen glasig aus und waren rot unterlaufen.

„Weil ich kein Fleisch mag. Das weißt du doch“, erwiderte ich leise.

Für ein paar Sekunden hielt er meinen Blick fest, dann ließ er sich auf seinen Stuhl plumpsen, der fast seitlich weggerutscht wäre. Etwas, das ihn urplötzlich zum Lachen brachte. Er wandte sich wieder zu mir. „Komm schon her, Adi.“ In seinen Augen sprühten Funken der Erregung, die seine Wut zu verbrennen schienen.

Ich verneinte, doch das ließ John nicht gelten.

„Na komm schon.“

„Jetzt nicht, John“, antwortete ich schnell.

Seine Miene verfinsterte sich zunehmend. So wie der Himmel. „Komm schon her!“ Er war nun drauf und dran, erneut aus seinem Stuhl hochzufahren, und ich hielt in meiner Bewegung inne.

„Ich bin nicht einer deiner Arbeiter, die du herumkommandieren kannst, John“, erwiderte ich deutlich. Danach presste ich die Zähne aufeinander, um nicht noch mehr auszuspucken, das mir auf der Seele lag.

Mein Aufruhr brachte ihn erneut zum Lachen. Er stampfte mit einem Fuß auf den Boden und wurde wieder ernst. „Aber du bist meine Frau. Und ich will dich jetzt hier bei mir haben.“

Auch wenn mir sein Verhalten Angst machte, dachte ich nicht daran, seinem Befehl nachzukommen. John musste lernen, dass er mich nicht holen und wegwerfen konnte, wie es ihm beliebte. Ich setzte an, mit ihm über das letzte Mal zu sprechen, als wir miteinander geschlafen hatten, hielt dann aber doch inne. Verdammt, ich musste lernen, viel mehr zu sagen, was mir nicht passte, und ihm klarmachen, dass nicht immer alles nach seinem Kopf gehen konnte. Er stand seinen Mann. Aber ich durfte auch meine Frau stehen! Wir waren schließlich nicht mehr im Mittelalter.

Entschlossen nahm ich das Geschirr und brachte es in die Küche zur Spüle. Kaum hatte ich es dort abgestellt, kam John mir nach und umarmte mich grob von hinten. Er küsste meinen Nacken, saugte sich daran fest. Meine Haut brannte an der Stelle. Der Geruch seines Atems war widerlich, er war widerlich!

Ich erschrak.

Hatte ich das gerade wirklich gedacht?

„Probieren wir es heute noch einmal. Oder zweimal oder mehrmals. Es muss irgendwann klappen, Adeline. Streng dich einfach etwas mehr an.“

Ich schüttelte den Kopf. „John! Bitte. Und fass mich nicht so grob an. Du tust mir weh, verstanden?“ Ich wich ihm aus und ließ Wasser für den Abwasch in die Spüle laufen.

„Wollte ich nicht. Du machst mich nur so … verrückt. Außerdem hält eine Farmerin einen richtigen Mann aus. Du bist so jung, so schön. Du müsstest nur etwas mehr essen …“ Er schob mich Richtung Küchentisch, drängte mich auf einen Stuhl, schnappte sich ein Stück Hähnchen, das übrig geblieben war, und hielt es mir vor den Mund. Die Züge seines schmalen Gesichts wirkten hart, als wären sie mit einer Säge herausgearbeitet worden. John besaß markante Wangenknochen mit braunen Augen, die dunkel glänzten. „Komm. Ein Bissen wenigstens.“ Ein Lächeln umspielte seine zuckenden Mundwinkel.

„Nein, John. Hör auf damit.“ Ich drehte den Kopf zur Seite, doch John gab nicht auf. Seine Finger zitterten.

„Ich meine es doch nur gut, Adi.“

Ich atmete tief durch.

„Nur einmal reinbeißen. Das ist lecker. Glaub mir. Los, Adi!“ Er rieb das Hähnchen an meinen Lippen.

Wütend biss ich in das Stück Hähnchen und gleichzeitig in Johns Finger, sodass er aufschrie. Er taumelte rückwärts und fing sich an der Standuhr an der gegenüberliegenden Wand ab, die ein Erbstück seines Großvaters war und kurz ins Wanken geriet, dann tickte sie unbeeindruckt weiter vor sich hin. Ich wirbelte herum, ein unangenehmes Kribbeln in Armen und Beinen, das mir sagte, ich war zu weit gegangen.

„Du hast mich gebissen, Adi!“ Johns Augen weiteten sich ungläubig. „Deine Frechheiten muss ich mir nicht länger bieten lassen!“

„Ich wollte das nicht. Du hast mich provoziert. Was ist nur los mit uns?“, stieß ich hervor.

Er sagte kein Wort mehr. Eine Minute später verließ er schweigend die Küche, um sich draußen im Hof abzureagieren. Ich konnte ihn dabei durch das Fenster beobachten. Blitze zuckten am Himmel, der Wind wurde intensiver. Tränen stiegen mir in die Augen, während ich ihm zusah. Wenn das zwischen uns so weiterging, würden wir uns endgültig verlieren. Nur, was sollte ich tun, wenn er so ein Sturkopf war und nicht mit sich reden ließ?

John eilte zu dem gehackten Holzstapel hinüber und trat mit voller Wucht dagegen, sodass er auseinanderfiel. Danach trommelte er die Männer zusammen. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis sie auf der Bildfläche erschienen. Eiligen Schrittes kamen sie einer nach dem anderen aus dem Nebenhaus, in dem Will, Ethan und Malcolm in kleinen getrennten, spartanisch eingerichteten Zimmern schliefen. Manchmal übernachtete Ethan auch im Stall bei den Pferden, wo er sich einen Schlafplatz in einer leeren Box eingerichtet hatte. Früher gehörte sie einer Stute, die leider letzten Herbst an Koliken gestorben war. John musste sie einschläfern lassen, und das hatte mir fast das Herz gebrochen. Nie würde ich den traurigen Blick des Tieres vergessen.

Ich wusste, dass Ethan, nachdem er das Heu eingefahren hatte, das Holz geschichtet und sich damit extra beeilt hatte.

John nickte Richtung Holzscheite und tippte sich mehrfach an die Stirn. Dann stieß John Ethan heftig zurück, sodass er taumelte und dabei fast rücklings zu Boden fiel. Mit Zornesröte im Gesicht zeigte John auf die umherliegenden Holzscheite und brüllte herum, dass ich seine Stimme bis zum Haus hören konnte. Ethan begann sofort, den Stapel neu zu schichten. Unterdessen deutete John auf die anderen beiden und trieb sie an, woraufhin sie sich zu Ethan gesellten, um ihm zu helfen.

Erste Regentropfen plätscherten gegen das Fenster, als John zurückkam und sich im Wohnzimmer schnaubend in seinen Sessel sinken ließ. Vor sich hin brabbelnd zündete er sich eine Zigarette an. Ich blieb in der Tür stehen und beobachtete ihn dabei.

„Der Stapel war perfekt aufgerichtet, John“, wagte ich zu bemerken.

„Dann mach das nächste Mal besser die Augen auf, Adi!“, erwiderte John und pustete Rauch aus.

Ich atmete tief durch. „Das habe ich, John.“ Mir entfuhr ein genervtes Stöhnen. „Gute Nacht.“

„Warte. Du gehst schon ins Bett?“

„Ich bin müde“, erwiderte ich rasch.

„Weil du wieder einmal zu wenig gegessen hast.“

Wut und Enttäuschung ließen meine Stimme ebenfalls anschwellen. „Nein, von dir. Du warst ungerecht. Die Männer haben gute Arbeit geleistet, John. Es sind fleißige Menschen, behandle sie bitte auch so.“

Seine Wangenmuskeln zuckten und er blies Rauch durch die Nase aus. „Ich entscheide, was gute Arbeit ist und was nicht“, sagte er.

Ich schüttelte den Kopf und verließ das Zimmer, um noch einmal an die frische Luft zu gehen. Von der Veranda aus beobachtete ich, wie Will Ethan energisch zur Seite drängte, als dieser weitere Holzscheite auf den neuen Stapel legte. Ethan machte weiter und beachtete Will nicht. Es war wohl auch besser so. Unwillkürlich musste ich wieder an sein warmes Lächeln denken und das Strahlen in seinen blauen Augen. Da wurde mir klar, dass ich mir wünschte, es bald wiedersehen zu dürfen.

Verstohlene Blicke

„Sind sie das? Eure neuen Arbeiter?“, fragte Missy Stone und lehnte sich gegen das Gatter der Pferdekoppel auf der Farm.

Missy war eine gute Bekannte von uns und die Frau eines benachbarten Farmers. Ihr Mann Heathcliff und sie hatten zwei kleine Töchter und bewirtschafteten einige Hektar Land. In ein paar Monaten erwartete Missy ihr drittes Kind, das, dem sehnlichsten Wunsch Heathcliffs nach, ein Junge werden sollte. Stolz strich sich Missy über ihren gewölbten Bauch und schürzte die Lippen. Ein paar Strähnen ihres blonden Haares stahlen sich aus ihrem zu einem Zopf gebundenen Haar. Lächelnd neigte sie den Kopf zur Seite und beobachtete Ethan dabei, wie er den Zaun an einer Stelle richtete. Will und Malcolm reparierten derweilen Johns Jeep, der einen Platten hatte.

„Der dort am Zaun gefällt mir. Sehr attraktiv. Wie heißt er?“, fragte Missy und verengte die Augen, während sie das Kinn anhob.

„Missy?“, entfuhr es mir überrascht.

Sie lachte und sah mich an. „Was denn? Schauen darf man doch wohl noch. Unsere Männer hören es ja nicht, oder? Sag nicht, dass du das nicht machst. Glaub mir, Männer gucken auch, wenn sich ihnen eine schöne Gelegenheit bietet.“ Sie stupste mich an.

„Nein!“, log ich.

Missy Stone war eine Plaudertasche. Ich kannte sie so lange wie John, wusste aber immer noch nicht recht, ob ich ihr trauen konnte. Sie knöpfte ihre weiße Bluse bis zum oberen Rand ihres weißen BHs auf und nickte Ethan zu, der kurz zu uns herüberblickte. „Jetzt erzähl mir schon was über ihn“, drängte sie mich.

„Schon gut, bevor du vor Neugierde zerfließt. Er kommt wie die anderen beiden aus Wyoming“, gab ich schnell zurück und wollte das Thema wechseln, aber sie war schneller.

„Name?“

„Ethan Wellington“, antwortete ich kühl. Ein Stich durchfuhr mich. Was ging sie Ethan an? Irgendwie gefiel mir die Art nicht, wie sie fragte und dass sie es überhaupt tat. Doch hätte es mir bei den anderen zweien auch so viel ausgemacht?

Missy hob die rechte Braue. „Ethan also. Der ist nicht von schlechten Eltern“, murmelte sie, biss sich auf die dünne Unterlippe. Dann winkte sie ihn zu uns.

„Was hast du vor?“, fragte ich stirnrunzelnd.

Sie gab mir keine Antwort und hob ihr rundliches Kinn noch ein Stück mehr, als Ethan zu uns trat. Das Hemd trug er wieder offen, das Haar war leicht feucht vom Schweiß. John hatte ihn den ganzen Tag über den Hof gehetzt und ihn mit Arbeit überschüttet. Seine Laune war noch immer am Nullpunkt. Wenigstens hatte ich ihn nachts von mir fernhalten können, indem ich Magenschmerzen vorgetäuscht hatte.

Ethans Blick blieb länger als nötig an mir hängen. Es fiel mir schwer, ihn nicht direkt anzusehen. Aber ich hatte Angst, dass Missy mir am Ende meine Faszination ansehen könnte, die vor allem seine Augen auf mich ausübten.

„Hallo“, begrüßte er uns, freundlich wie immer.

Missy schob sich sogleich dicht vor ihn. „Du bist also aus Wyoming. Dort war ich noch nie. Woher von dort genau, Ethan Wellington?“ Die Züge ihres Gesichts mit der hohen Stirn wurden weicher. Ethan gefiel ihr wirklich. Sie verzog ihren breiten Mund zu einem Lächeln.

„Aus Buffalo“, antwortete er knapp.

„Oh. Ist es schön dort?”, säuselte Missy.

„Ganz okay. Ich bin dort aufgewachsen.“

„Und wie gefällt dir Montana?“

„Ich wollte schon immer mal nach Montana. Ich liebe die Weite des Landes hier“, erwiderte er und verzog die vollen Lippen zu einem Lächeln. Ein unvergleichliches Lächeln. Ich sah in seine Augen, die sanft und weich wie das Gras der Weiden wirkten.

Es schien mir, als würden Missy ähnliche Gedanken durch den Kopf fliegen, vielleicht auch noch schmutzigere. „Lass uns einen Tee trinken, Missy“, schlug ich ihr hastig vor.

„Und hier zu arbeiten ist ein Traum von dir?“, fragte Missy weiter und ignorierte meine Frage.

„Ich möchte irgendwann eine eigene Pferdefarm haben. Am liebsten hier in Montana. Nach dem Unfalltod meiner Eltern hielt mich nichts mehr in Buffalo.“ Er tauschte einen weiteren Blick mit mir.

Dass er seine Eltern verloren hatte, dazu auf tragische Weise, wusste ich bis dahin nicht. „Das mit deinen Eltern tut mir leid, Ethan“, sagte ich deshalb. Nicht auszudenken, wenn meinen Derartiges passieren würde.

„Danke, Mrs London.“

„Schön, dass du ein Ziel hast. Der Weg dorthin ist sicher steinig und lang. Aber du bist ja noch jung. Wie wir.“ Missy hauchte die letzten beiden Worte nahezu.

Er nickte. „Ja. Aber erst muss ich mir für diesen Traum ein bisschen Geld dazu verdienen.“

„Dann viel Glück. Ich bin übrigens Missy Stone. Aber nenn mich gerne Missy.“ Sie spitzte die Lippen. „Hast du eine Freundin in Buffalo, Ethan?“

Am liebsten hätte ich ihr einen Tritt gegen das Schienbein versetzt. Ethan hingegen nahm ihre Neugierde mit Humor und schien ihren Flirtversuch zu durchblicken. „Vielleicht.“

Im ersten Moment schaute Missy Stone verdutzt, dann lachte sie jedoch fröhlich.

„Du sollst arbeiten, nicht quatschen, verdammt noch mal“, raunzte John hinter uns.

Ich drehte mich um. Mit großen Schritten stapfte John auf uns zu, und sofort machte sich Ethan wieder an die Arbeit.

„Gut gemacht, Missy. Deinetwegen hat er nun Ärger“, flüsterte ich.

Mit aufgesetzter Unschuldsmiene lief Missy John entgegen und blieb dicht vor ihm stehen. „Wenn du unzufrieden mit ihm bist, dann kündige ihm und schick ihn zu uns, John. Ich finde immer Verwendung für einen kräftigen Burschen wie ihn“, bemerkte sie salopp und neigte den Kopf zur Seite.

Das würde ihr so passen. Ethan würde bei uns bleiben, dafür würde ich sorgen. Heathcliff, Missys Mann, hätte ihren Vorschlag am Ende in die Tat umgesetzt. Ich war sicher, dass er ihr in allem, was sie tat und sagte, vertraute und bereit war, Missy jeden Wunsch zu erfüllen. Ich versuchte seit Jahren, hinter ihr Geheimnis zu kommen. Lag es vielleicht daran, dass sie ziemlich kratzbürstig werden konnte, mitunter sogar hysterisch, wenn sie genervt war oder sich ungerecht behandelt fühlte, und im Gegensatz dazu zuckersüß, wenn sie bekam, was sie wollte?

„Wellington hat nichts bei euch zu suchen. Ich habe viel mit ihm vor. Aber ich bezahle ihn nicht für Tratschereien“, donnerte John.

„Es war nicht seine Schuld. Missy war nur neugierig, wer er ist“, sagte ich.

„Ja, das gebe ich zu. Kennst mich doch, John Boy“, gab Missy zurück, was auch das Mindeste war, wie ich fand.

Missys Schuldspruch beruhigte John. Sogleich hielt er inne, sah sie entgeistert an. „Warum? Hat Heathcliff dir gesagt, du sollst ihn uns abspenstig machen? Weil er angeblich so gut mit Pferden kann?“

Missy blieb ganz ruhig, schürzte nur kurz die Lippen. „Ach, kann er? Wusste ich nicht. Nein, ich bin eben neugierig. Und das hier ist ein freies Land, nicht wahr?“ Sie lächelte spitz.

John räusperte sich und war offensichtlich zufrieden mit ihrer Antwort. „Natürlich, Missy. War nur so ein Gedanke. Nicht böse gemeint.“

„Dann ist es ja gut, John London. Wenn du es genau wissen willst, habe ich ihn gefragt, warum es ihn ausgerechnet nach Montana verschlagen hat. Er meinte, er will irgendwann selbst Farmer werden.“ In ihrer Stimme schwang unüberhörbar ein Stachel mit. Zumindest für mich.

John dagegen brachte es zum Lachen. „Wie bitte? Dieser Grünschnabel? Aber das kann mir egal sein. Der soll für mein gutes Geld arbeiten, mehr interessiert mich nicht.“

Missy wurde wieder lockerer. „Sagt Cliff auch immer über unsere Arbeiter. Ihr zwei könntet Brüder sein.“

„Wo ist der alte Knabe? Normalerweise trifft man euch doch immer im Doppelpack an?“, fragte John.

„Mit den Arbeitern auf dem Feld. Er kann nie still sitzen. Weißt du doch. Wie geht es deinem Rücken?“

John streckte sich und verzog dabei schmerzhaft das Gesicht. „Danke der Nachfrage. Leider noch nicht so gut.“

„Oh tut mir leid. Adi sollte dich besser massieren.“

„Allerdings.“

Ich verdrehte innerlich die Augen und wagte verstohlen einen Blick in Ethans Richtung, während sich die zwei weiter unterhielten. Ihre Worte vermischten sich zu einem Brei. Ich bekam nur mit, dass John sich darüber aufregte, dass Heathcliff immer noch genauso ordentlich zupackte wie zu seiner Anfangszeit als Farmer. Und das, obwohl er nun wahrlich genug Arbeiter auf der Farm hatte. Ich wusste, dass John ihn beneidete, zumal sein Grundbesitz um einige Hektar größer war als unserer. Zudem lebten seine Eltern noch und erfreuten sich bester Gesundheit.

Ethan arbeitete derweil genau und flink. Ich war sicher, dass er ein guter Farmer werden würde, und wünschte ihm von Herzen, dass sich sein Traum eines Tages erfüllen würde. Er streifte die Hemdsärmel zurück. Die Muskeln seiner Arme spannten sich, als er eines der Bretter gegen die Holzpfeiler drückte, um es daran festzunageln.

„Bekomme ich nun einen Eistee mit Pfefferminzblättern oder nicht?“, fragte Missy und riss mich aus meinen Gedanken.

„Was? Ja, natürlich.“

Auffordernd streckte sie mir einen Arm entgegen und ich hakte mich bei ihr unter. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass John mir einen genervten Blick zuwarf.

„Missy, erkläre ihr mal, dass man auch Fleisch essen sollte. Ich muss jetzt zu den Arbeitern, neue Aufgaben verteilen. Und bitte, Missy, vergiss es nicht“, bat er sie, bevor er sich auf zu Ethan, Malcolm und Will machte.

„Er hat dir davon erzählt?“, fragte ich erstaunt.

Missy runzelte die Stirn. „Hast du nicht zugehört?“

„Doch, doch“, lachte ich gespielt, weil ich mich ertappt fühlte.

„Ach, lass ihn reden. Es klappt schon noch. Ich denke, ihr setzt euch beide zu sehr unter Druck.“

Dankbar für diese Meinung nickte ich und machte uns in der Küche Tee. Danach setzten wir uns auf die Terrasse. Zeit für eine Teestunde hatte ich zwar eigentlich nicht, aber die musste ich mir wohl oder übel nehmen, denn Missy war schnell beleidigt. Und wenn sie jemanden auf dem Kieker hatte, konnte sie sehr ungemütlich werden.

Sie roch an ihrem Tee, bevor sie daran nippte. „Hast du die Geschichte von Stella gehört? Die Frau von Caleb Green. Die zwei sind aus Laurel.“

Ich schüttelte den Kopf, während ich mich dabei erwischte, dass ich schon wieder nach Ethan Ausschau hielt. Am Zaun konnte ich ihn nicht mehr entdecken.

„Meine Güte, ein Skandal. Selbst in der heutigen Zeit und besonders in Laurel.“ Missy verdrehte die Augen. „Stella hat sich in einen seiner Arbeiter verguckt. Ihr Mann hat es herausgefunden und den Typ gefeuert. Die Leute sagen, Green habe ihn mit der Mistgabel von der Farm gejagt. Er war nackt.“ Sie lachte grell. „Jetzt folgt Stella ihrem Ehemann reumütig auf Schritt und Tritt. Er hat ihr verziehen, wie es scheint. Ich als ihr Mann hätte sie gleich hinterhergejagt, und zwar ebenfalls nackt.“ Missy lachte abermals, dieses Mal kreischend, was mich anwiderte. Sie labte sich gern an dem Schicksal anderer, eine Eigenschaft, der ich nichts abgewinnen konnte. Ich verschluckte mich an meinem Tee und Missy klopfte mir beherzt auf den Rücken, bis sich mein Husten gelegt hatte. Danach rückte sie näher und flüsterte, als könnte uns jemand hören: „Also, ich würde mich nie ernsthaft auf so einen armen Schlucker einlassen, auch wenn der ein oder andere wirklich zum Anbeißen ist. So wie Ethan. Findest du nicht?“

Nie ernsthaft? Das klang nicht gerade so, als würde sie es nicht doch in Erwägung ziehen, würde sich eine Gelegenheit bieten.

Auf ihre Aussage hin entgegnete ich etwas scharf: „Nein, finde ich nicht, Missy.“

Stirnrunzelnd lehnte sie sich in den Stuhl zurück. „Halleluja, das war nur ein Witz, Adi. Ich dachte, du wärst ein wenig lockerer und würdest ihn verstehen. Dieser Kinderwunsch verbittert euch noch, wenn ihr nicht aufpasst.“

„Tut mir leid. Das liegt wohl eher an dem schwülen Wetter und dem Berg Arbeit, der noch auf mich wartet.“ Ich konnte nur hoffen, dass sie die Zweideutigkeit meiner Worte verstanden hatte.

Missy stellte ihre Tasse ab. „Ich merke schon, ich störe. Wenn dir Arbeit wichtiger ist als ein paar Minuten mit einer guten Freundin, dann gehe ich lieber.“ Sie rümpfte die Nase. Dumm war sie nicht.

Zeitgleich mit ihr stand ich auf. „So war es nicht gemeint, Missy.“ Die Lüge kam mir leicht über die Lippen, aber ich hasste es. Und das, obwohl Missy für mich keine Freundin war, dafür stichelte sie zu oft. Ihre Äußerungen über Stella Green hatten dieses Gefühl nur noch untermauert. Zudem wusste ich nie, wie ich bei ihr dran war. Auf Dauer war das ermüdend.

Die einzige wahre Freundin, die ich je gehabt hatte, war vor einem Jahr gestorben. Ich vermisste sie jeden Tag. Anne Wilkins hatte mit ihrem Mann in Billings gewohnt. Sie hatte den kurzen Kampf gegen den Unterleibskrebs verloren. Anne hatte John nie gemocht. Auch jetzt konnte ich sie aus der Erinnerung sagen hören: „Er raubt dir irgendwann den Atem, und du lässt es zu. Das tut mir weh. Denk lieber mal an dich, Adeline.“

Ihr Mann Richard war ein herzensguter Mensch, der nach ihrem Tod die Farm mit seinen Geschwistern weiter bewirtschaftete, aber keine neue Frau wollte. Für ihn gab es keine zweite große Liebe.

Missy stapfte davon und machte noch einen Abstecher bei John. Ich sah, dass die beiden miteinander lachten und sich mit Wangenküsschen verabschiedeten. Bevor Missy Stone den Hof verließ, warf sie mir noch einen ernsten Blick zu und hob dabei die Nase in die Luft. Ich winkte ihr dennoch, atmete geräuschvoll aus und ging zurück ins Haus, um die Wäsche zu machen. Das Gewitter war vorüber. Fürs Erste jedenfalls.

***

John kam eine halbe Stunde später ins Haus und umarmte mich von hinten. Sein beißender Schweißgeruch war mehr als unangenehm.

„Es ist verdammt schwül heute“, sagte er und riss sich das Hemd vom Leib, sodass zwei Knöpfe auf den Boden sprangen.

„John, pass doch besser auf“, bat ich ihn.

„Was denn? Die sind doch schnell wieder angenäht. Lass die dummen Knöpfe. Ich habe jetzt Lust auf dich.“

„Ich habe Kopfschmerzen“, sagte ich, um ihn loszuwerden. Das war nicht gelogen. Aber ich hatte auch keine Lust auf ihn.

Langsam drehte er sich um und sah mich an. Diesen Blick kannte ich nur zu gut. Ich wollte noch ausweichen, doch schon hatte er mich am Haar gepackt, zog meinen Kopf in den Nacken und fixierte mich.

„Nicht hier. Einer der Arbeiter könnte hereinkommen“, bat ich ihn hastig.

Johns Augen funkelten. „Die betreten das Haus nicht einfach so. Keine Sorge. Und wenn sie uns beobachten würden, wäre das auch nicht so schlimm. Die sollen ruhig mitbekommen, wie gut wir uns verstehen.“

„John, hör auf“, bat ich inständig.

Aber er dachte nicht daran, küsste mich und presste mich dabei an seine behaarte, nackte Brust. Dann sah er mich stirnrunzelnd an. „Du glühst ja, Adi.“

„Hör auf!“, bettelte ich. Wie erbärmlich ich mich dabei fühlte.

Er hielt tatsächlich inne, obwohl es ihm merklich schwerfiel. Er atmete schwerer, Schweiß perlte ihm auf der Stirn. „Was ist denn?“, fragte er unwirsch.

„Ich … ich habe meine Tage bekommen. Vorhin. Daher wohl auch die Kopfschmerzen.“

„Deine … Tage. Ach so.“ Sofort ließ er von mir ab.

Wieder eine Lüge, die mich mit einem schlechten Gewissen strafte. Aber ich konnte nicht anders.

Eilig zog sich John sein Hemd über. „Dann geh ich mal wieder an die Arbeit. Später nähst du die verdammten Knöpfe an, wenn sie dir so wichtig sind.“ Er zeigte auf mich. „Und heute Abend gibt es nichts anderes außer Fleisch. Ich bringe dir ein fettes Huhn mit. Verstanden?“ Sein Blick zeigte, dass er keine Widerrede duldete.

„Ja, in Ordnung. Vorher fahre ich noch einmal nach Laurel zu Mom und Dad. Das heißt, wenn der Jeep wieder okay ist. Ich hab Mom versprochen, mit ihr in die Kirche zu gehen.“

„Ja, gut. Und bitte den da oben gleich mal darum, dass er dich endlich schwanger werden lässt“, erwiderte John, dann verzog er sich ins Schlafzimmer. Dort verwahrte er in einem kleinen Tresor Teile seines Vermögens auf, von dem auch meine Eltern in regelmäßigen Abständen etwas abbekamen. Es dauerte nicht lange und er kehrte mit einem Kuvert zurück, das er mir wortlos in die Hände drückte. „Sag der alten Lilith Grüße von mir.“

Für das Geld hätte ich ihn am liebsten umarmt. Aber die Kluft zwischen uns war zu groß geworden. Also lächelte ich nur und dankte ihm.