Leseprobe Liebe, Eis und Ministreusel

Kapitel 1

B wie Berühmt

Birnen-Eis

Süßsaftiges Sommerbirneneis umschmeichelt einen Kern aus seidiger Mandelcreme auf einem Bett aus goldknusprigem Blätterteig.

Ich habe ein Geheimnis. Ein Geheimnis, das ich mindestens so liebe wie meinen Ehemann. Dieser sitzt in der warmen Maisonne neben mir auf dem Mäuerchen zwischen meiner Eisdiele und seinem Fahrradladen.

Wobei, Tom sitzt nicht, er zappelt. Im Moment streckt er die Beine wieder aus, die er vor einer Sekunde angezogen hat. Mit den Fingern trommelt er auf den Oberschenkeln und wackelt dabei mit einem Fuß.

»Nun geh schon.« Lachend stupse ich ihn an. »Ich sehe doch, dass dich der Hafer sticht.«

Kaum habe ich zu Ende gesprochen, springt Tom auf und zieht mich mit hoch. »Bist du sicher?«

Ich küsse ihn.

»So eilig habe ich es gar nicht«, murmelt er an meinen Lippen und drückt mich so nah an sich heran, dass nichts mehr zwischen uns passt – außer unser Geheimnis. Toms Hände finden den Weg unter meine Bluse, und zärtlich streichelt er meinen Rücken.

War mir gerade noch angenehm warm wegen der Frühlingssonne, so breitet sich jetzt eine ganz andere Hitze in mir aus. Ich liebe es, mit ihm verheiratet zu sein. Ich glaube, das mache ich öfter.

Ein Räuspern holt mich aus meinem La La Land, und ich muss ein paar Mal blinzeln, um durch meine Honeymoon-Wolken in den schnöden Berliner Alltag zurückzukehren.

Meine Cousine Alma steht plötzlich neben uns. »Ich weiß, ich weiß, Liebe liegt in der Luft, aber Liebe hin oder her, im Schneeflöckchen warten hungrige Gäste, und auch ich habe nur zwei Hände, die Eisbecher füllen und nicht heimlich unter das Shirt des Geliebten schlüpfen.« Zur Bestätigung hebt sie die Hände und grinst Tom und mich an. Ihr rotbraunes Haar, dessen Farbe der meines Portweineises so ähnelt, funkelt dabei satt in der Sonne. Das Portweineis müsste sich doch auch als alkoholfreie Variante herstellen lassen, oder? Gibt es Portwein ohne Wein?

Alma sieht an mir vorbei zu Tom und hält ihm die Hand hin. »Lass uns wetten. Entweder sinniert Sunny über eine neue Variante ihres Portweineises oder wie sie endlich appetitlich aussehendes schwarzes Eis hinbekommen könnte.«

Tom schlägt doch tatsächlich ein. »Die Wette gilt. Ich tippe auf das schwarze Eis.«

»Ha, ha, sehr witzig. Ich kann durchaus auch an andere Dinge denken als an Eismachen!« Indigniert richte ich mir meinen kurzen Zopf, der gern in die eine oder andere Richtung davonrutscht. Es kann ja nicht jede solch eine Haarfülle ihr Eigen nennen wie Alma. Dafür passt mein Blond perfekt zu meinem geliebten Vanilleeis. »Und nur damit ihr es wisst, ich bin kurz davor, mit meinem schwarzen Eis den Durchbruch zu erzielen!« Ich weiß zwar noch immer nicht, was ich hineingeben soll – und nein, Aktivkohle wird es nicht –, aber sei es drum. Ich schaffe das schon.

»Gewonnen.« Tom klatscht mit Alma ab.

Ehe er sich zu sehr selbst feiern kann, gebe ich ihm einen Stoß in die Rippen. »Nix gewonnen! Ich habe zuerst an das Portweineis gedacht und dann an das schwarze Eis. Also habe ich gewonnen.«

»Na ja, technisch gesehen haben Tom und ich gewonnen, schließlich sind deine Eisgedanken der Gegenstand unserer Wette.« Alma lächelt mich an und klimpert mit den Wimpern.

»Höre ich da etwas von einer Wette? Ich liebe Wetten.« Erschrocken drehe ich mich um und stehe Julia gegenüber. Meine Hochzeitsplanerin a. D. drückt mich kurz zur Begrüßung und küsst mich auf die Wange. Es gab eine Zeit, da war Julia die böse Hexe für mich, obwohl sie mit ihrer schwarzen Lockenmähne und der hellen, zarten Haut aussieht wie die moderne Form von Schneewittchen.

Ein wenig schläfrig reibe ich mir die Stirn und seufze. Ich vermisse mein kräftiges Espressoeis mit dem Swirl aus cremiger Sahne. Ich muss unbedingt Claires Coffee To Stay einen Besuch abstatten und mich durch ihr koffeinfreies Angebot testen. Sie hat doch auch koffeinfreien Kaffee, oder? Ist das dann gar kein richtiger Kaffee? Bei Claire hört der Spaß bei schlechtem Kaffee auf, wie bei mir bei miesem Eis.

Stimmt ja, das wollte ich auch noch erledigen! »Mist!« Ich sehe quer über den Vierwaldplatz hinüber zum Restaurant Le Meilleur, wo der Chef Fritz Ludewig senior auf sein Nachmittagseis für die Gäste wartet.

»Habe ich schon erledigt.« Alma weiß genau, was ich gerade denke, und wackelt mit dem Zeigefinger vor meiner Nase herum. »Als du rumgeschmust hast.«

»Ah, deswegen das verrutschte Oberteil.« Lachend steckt mir Julia die Bluse zurück, die mir Tom vor ein paar Minuten so nett aus dem Hosenbund gezogen hat.

Eigentlich wäre mir danach, dass er das gleich wieder tut. Ha! Ich denke also doch an andere Dinge als nur an Eis. »Seht ihr, ich denke auch gern an Sex!« Noch ehe ich mich stoppen kann, ist der Satz herausgepurzelt. »An Sex mit Tom selbstverständlich.« So wie der Satz danach.

»Alles klar.« Julia zwinkert mir zu. »Die Details hebe dir gern für später auf, ich muss jetzt erst einmal rüber ins Standesamt zu einer Hochzeit. Wir sehen uns nachher.«

Tom, der anscheinend nicht zugehört hat, drückt mir einen Kuss auf die Stirn. »Du bist sicher, dass ich die Tour machen kann?«

»Na klar, unser Geheimnis läuft uns nicht weg. Noch nicht«, flüstere ich in sein Ohr. Meine Wange schmiegt sich sanft an seine, und ich schließe die Augen, während ich an ihm schnuppere. Er duftet nach dem Blaubeereis von vorhin, ein wenig nach meinem Idôle-Parfum und nach noch etwas anderem. Irritiert öffne ich die Augen.

»Dann bis in zwei Wochen. Und du bist wirklich sicher?« Ein weiterer Kuss landet auf meiner Stirn. »Du kannst mich gern anrufen, wenn du heute Abend unter der Dusche bist, dann kümmern wir uns um deine Gedanken.«

Weg ist er, mich allein und erhitzt zurücklassend. Ich will so unbedingt, dass es bereits Abend ist!

 

Andererseits, der Nachmittag im Schneeflöckchen ist auch wunderbar. Seite an Seite mit Alma erfüllen wir die Eiswünsche unserer Gäste, zaubern aus Sahne, Früchten und Schokolade Glück zum Naschen und strahlen dabei mit der Frühlingssonne um die Wette.

Sowohl in der Eisdiele als auch davor sind alle Tische besetzt. Wird ein Platz frei, so finden sich sogleich neue eishungrige Gäste, die den warmen Sonntagnachmittag genießen.

Zwischendurch applaudieren wir dem frischgebackenen Ehepaar, das aus unserem wundervollen Vierwaldplatz-Standesamt schreitet. Perfekter könnte das Drumherum einer Hochzeit nicht sein. Gerührt tupfe ich mir ein Tränchen aus dem Augenwinkel.

Obwohl, meine Hochzeit war perfekter. Klar, es hat aus Kübeln geschüttet an jenem Weihnachtsabend vor einem halben Jahr, dazu pustete Sturmtief Manu den Regen waagerecht vor sich her, damit auch ja alles und jeder innerhalb von Sekunden nass wurde. Nun gut, und ein paar Gäste waren so doll erkältet, dass Herr Sonthofen immer wieder seine Traurede unterbrechen musste, da er gegen das Gehuste nicht ankam. Und ja, auch dass meine Oma Jolante, die sonst auf Ibiza lebt, ihren Selbstgebrannten dabeihatte, war nicht unbedingt hilfreich für das Bild einer perfekten Hochzeit. Aber davon abgesehen war es für mich die schönste Vermählung an diesem Abend. Nach der schönsten an ebendiesem Morgen, die wir im Schwarzwald feierten – bei funkelndem Sonnenschein, der den Schnee zum Glitzern brachte. Denn Tom und ich haben gleich zweimal an einem Tag geheiratet.

»Der Laden brummt, Frau von Spatzen.« Alma drückt mir ein Glas Mineralwasser in die Hand und zieht mich zu der knallroten Bank, die vor der Eisdiele steht.

Da alle Gäste versorgt sind, lasse ich mich mit Alma darauf nieder. Aufatmend strecke ich die müden Beine aus und wackele mit den Zehen in den Sandalen. »Meine Zeit als falsche Prinzessin letzten Dezember hat dem Schneeflöckchen nicht gerade geschadet.«

Alma lacht leise. »Die Eisdiele florierte schon immer, aber seit deinem Ausflug in die Welt der Adligen hast du echt noch einmal ein Krönchen draufgesetzt. Dabei weiß keiner, was eigentlich so richtig los war.«

»Und so soll es bleiben. Eine Möchtegern-Prinzessin genießt und schweigt, schließlich umgibt mich damit der Hauch des Geheimnisvollen. Außerdem hat Sanna um Diskretion gebeten, und ich muss nicht erklären, wie es dazu kam, dass ich mit einer Prinzessin verwechselt wurde.«

»Soso. Apropos Sanna. Ich habe gelesen, sie wandert in die USA aus? Fake News oder Körnchen Wahrheit?« Mit drei großen Schlucken trinkt Alma ihr Glas aus und stellt es neben sich auf die Bank.

Vorsichtig nippe ich an meinem Wasser. Was hat Alma da nur hineingetan? Oder spült unsere Maschine das Geschirr nicht mehr richtig? Irritiert über den Spüligeschmack schüttele ich den Kopf. »Natürlich zieht Sanna nicht in die USA. Also nicht richtig, sie geht lediglich nächstes Jahr für ein Sommersemester an die Brown University, sie hat eine Gastprofessur übernommen.«

»Oh wow, wie kommt sie denn dazu?«

Ich winke nonchalant ab. »Ach du weißt schon, wegen Emma und so.«

Almas Augenbrauen wandern in die Höhe. »Emma Watson?«

»Jup.« Ehe Alma mich weiter löchern kann, springe ich auf, da sich die Familie am Tisch vorne links suchend umsieht. »Ich muss dann mal weitermachen.«

»Mit dem Thema bin ich noch nicht durch«, ruft sie mir hinterher. »Nachher will ich alles haarklein von dir erzählt bekommen.«

Unglaublich, wer welche Details von mir hören will. Dabei wissen sie noch nichts von meinem allergrößten Geheimnis!

Voller Vorfreude auf unser Mädelstreffen gleich – oder eher Damenkränzchen –, drehe ich mit Alma die letzten Runden in der Eisdiele. Pünktlich um sechs Uhr schaffen wir es sogar mal, so gut wie keine Gäste mehr im Schneeflöckchen zu haben. Die wenigen, die vereinzelt an den Tischen sitzen, zählen nicht. Das sind Stammgäste. Und neue Gäste.

Ehe noch mehr Stammgäste oder neue Gäste dazukommen, schieben Alma und ich draußen rasch zwei Tische vor dem bodentiefen Fenster zusammen und reservieren sie für unsere Familien, die in Form meiner Mutter Marie und Almas Mutter Marietta über den Vierwaldplatz auf die Eisdiele zuschlendern. Die zwei sind Zwillingsschwestern durch und durch, äußerlich und innerlich. Beide sind sie von zarter Statur mit wilden blonden Locken – wobei ich das Blond geerbt habe und Alma die wilden Locken. Und bis auf einen kleinen Schokokuchen-Eklat vor zwei Jahren lieben sie sich inniglich und toben sich jeden Tag in ihrem Feinkostladen MaMa aus, wo sie ihre Kundschaft mit den leckersten Delikatessen verwöhnen.

Doch gleich werden die beiden von Alma und mir verwöhnt, denn heute ist ihr Hochzeitstag. Wie sollte es auch anders sein, meine Mutter und Tante Marietta haben am selben Tag geheiratet.

»Ein wenig schlechtes Gewissen habe ich schon, dass wir Berno und Ole zu Hause lassen, wo es ihnen doch so gar nicht gut geht.« Meine Mutter drückt mir rechts und links ein Küsschen auf die Wangen und mustert mich dann von oben bis unten. »Du siehst dünn aus, Kind, du musst mehr essen!«

Pikiert mustere ich mich in der Scheibe des Schneeflöckchens. Ich bin nicht dünn, ich habe sogar zugenommen, und ich muss mich ganz doll bremsen, ihr das nicht zu sagen. Vor allem, warum.

»Ach, Papa und Onkel Berno werden schon wieder, bestimmt haben sie nur etwas Falsches gegessen.« Auch Alma begrüßt unsere Mütter und lässt sie dann Platz nehmen.

Fehlt nur noch Julia. Und da ist sie schon. Wie Wonder Woman schreitet sie über den Vierwaldplatz auf uns zu. Sämtliche männliche Gäste vergessen bei ihrem Anblick ihre Namen. Und auch ein paar weibliche Gäste, wenn mich nicht alles täuscht.

»Hi, grüßt euch.« Mit einem dicken Seufzer lässt sich Julia nieder. »Endlich Feierabend.«

Meine Mutter mustert sie, wobei ihr Blick an ihrem Dekolleté hängebleibt, das ihr smaragdgrünes Etuikleid eindrucksvoll in Szene setzt. »Du siehst gut aus, meine Liebe. Geradezu umwerfend.«

»Ich fühle mich eher umgeworfen. Umgeworfen müde.«

Liebevoll tätschelt meine Mutter Julias Hand und nickt bedächtig. »Ruh dich nur aus, das hast du dir verdient.«

Verpasse ich hier gerade etwas?

»Sunny, bist du bitte so lieb und bringst Julia eine Erfrischung? Vielleicht eine Apfelsaftschorle, die hat viele Mineralstoffe.« Meine Mutter lächelt mich an. »Und für mich bitte ein Vanilleeis mit Himbeerstreuseln.«

»Mir bring bitte auch eine Apfelsaftschorle mit.« Mittlerweile sitzt Alma ebenfalls am Tisch, ihr Gesicht der Abendsonne entgegengestreckt.

»Und für dich vielleicht ein Apfeleis, Tante Marietta?« Ich kann es nicht ganz verhindern, irgendwie stiehlt sich ein spitzer Ton in meine Stimme.

Meine Tante nickt und lehnt sich im Stuhl zurück. »Das klingt fabelhaft. Hast du welches aus Alkmenen da?«

Leise in mich hineingrummelnd gehe ich in die Eisdiele, um die Schorlen und das Eis anzurichten. Eigentlich sollte ich jetzt da draußen sitzen und mich bedienen lassen.

Sie können es nicht wissen!

Doch! Können sie! Sanft fasse ich mir an den Bauch.

Oh, wie ich mich freue. Am liebsten würde ich mein Geheimnis der ganzen Welt anvertrauen, jetzt und hier und gleich, aber ich will es erst nur mit Tom erleben, und noch ist ja massig Zeit. Außerdem prickelt es so schön, ein Geheimnis zu haben.

Mein Lächeln verrutscht, als ich großzügig die Himbeerstreusel über das Vanilleeis streue. Sie riechen komisch. Habe ich vielleicht keine Himbeeren, sondern etwas anderes für die Streusel benutzt? Vielleicht verschrumpelte Bananenschalen, die auf dem Kompost unter einer verschimmelten Gurke lagen?

Ich muss mir morgen unbedingt in der Apotheke Nasenspray besorgen, ich glaube, ich habe einen ausgewachsenen Schnupfen, der meinen Geruchssinn erstickt. Nur ohne Schnupfen halt.

Ich verteile die Getränke und das Eis an meine Liebsten, ehe ich mich dazusetze. Mir gönne ich eine Tasse Kümmeltee, davon kann ich in letzter Zeit gar nicht genug bekommen. Irgendwie muss ich es schaffen, dieses wunderbare Aroma nach italienischen Pinien, gepaart mit saftigen Süßkirschen, in ein Eis zu bekommen. Meine Versuche waren bisher leider durchwachsen bis mau.

Wieder mustert meine Mutter Julia. Und ja, ich kann verstehen warum. Zufrieden sitzt sie mit der Schorle in der Hand da und strahlt eine Ruhe und Gelassenheit aus, die fast greifbar ist. Ihre Wangen sind leicht gerötet, und ein Dauerlächeln ziert ihren Mund, während die dunklen Augen funkeln.

»So, raus jetzt mit der Sprache, ich sehe doch, dass du uns ein kleines Geheimnis verraten möchtest.«

Mein Herz macht einen Satz, und erschrocken sehe ich von Julia zu meiner Mutter. Doch die meint nicht mich, ihr schiefes Grinsen gilt Julia.

Die stellt mit zittriger Hand ihr Glas ab und nickt ungewohnt heftig. »Ja, habe ich.« Sie räuspert sich. »Ich bin schwanger. Leo und ich bekommen ein Kind!«

»Nein!« Alma beugt sich nach vorn und reißt die Augen auf. »Das gibts doch nicht.« Über den Tisch greift sie nach Julias Händen und lacht laut auf. »Ich bin auch schwanger. Fritz und ich werden im Herbst Eltern.«

Nein! Das kann doch alles nicht wahr sein! Jetzt will ich aber auch! »Ich bin auch schwanger!«

»Ach Sunny, bitte, was du dir nun wieder für eine Geschichte ausdenkst. Nicht heute, mein Schatz.« Meine Mutter schüttelt den Kopf und zieht die Augenbrauen zusammen. So hat sie mich auch früher angesehen, wenn ich ihr die Zwerge gezeigt habe, die zwischen meinen Teddys gewohnt haben, oder die Fee, die immer wieder mein Nachtlicht angeknipst hat, damit ich ihr noch weiter aus meinem Buch vorlese. »Almachen, Julia, ich freue mich ja so für euch beide. Ihr werdet ganz wundervolle Mütter sein, nicht wahr, Sunny?«

Kapitel 2

A wie Anders

Aprikosenhonig-Eis

Saftige Aprikosen, geküsst von der Sonne Griechenlands, umarmt von würzigem Waldhonig, gegossen in ein sahniges Eis, lassen den Sommer in uns tanzen.

Stumm sehe ich zu, wie Alma und Julia beglückwünscht werden. Mir fehlen die Worte. Meine eigene Mutter glaubt mir nicht, dass ich schwanger bin?

Klar, mit meiner Nicht-Hochzeit mit Tom vor zwei Jahren bin ich ein wenig über das Ziel hinausgeschossen. Auch meine Zeit als Prinzessin Susanna im Schwarzwald vergangenes Weihnachten war unter Umständen einen Tick zu weit entfernt von der Wahrheit. Aber! Mittlerweile bin ich standesgemäß und wahrhaftig mit Tom verheiratet und habe den Adelstitel zurückgegeben an Sanna, die einzig wahre Prinzessin derer zu Hollerburg.

Was stimmt nicht mit meiner Familie, dass sie nicht zwischen Flunkerei und Wahrheit unterscheiden kann? Und überhaupt, wie bitte soll eine Schwangerschaft vorgetäuscht werden?

Ich setze mich demonstrativ aufrecht hin und recke meinen Bauch nach vorn. Nun gut, allzu viel macht er noch nicht her. Aber das liegt nicht an mir, ich bin normal groß, doch das kleine Wesen in mir ist vermutlich noch nicht größer als ein Himbeerstreusel.

Räuspernd versuche ich, die Aufmerksamkeit am Tisch zu erhaschen, doch es geht im allgemeinen Geplapper über Almas und Julias Glück unter.

Noch ehe ich mich weiter aufplustern kann, höre ich hinter mir Hufgetrappel und springe auf. »Überraschung!«

Auch Alma hat sich erhoben und bedeutet meiner Mutter und Tante, ebenfalls aufzustehen. »Herzlichen Glückwunsch zu eurem Hochzeitstag. Papa und Onkel Berno sind natürlich nicht krank.«

Meine Mutter schlägt sich die Hände vors Gesicht, während Tante Marietta die Augen aufreißt. »Ist das für uns?«

Ich nicke und laufe zu der Kutsche, aus der mein Vater und Onkel Ole aussteigen, um meine Mutter und Tante Marietta einsteigen zu lassen. »Ihr habt mir so oft erzählt, dass ihr zu eurer Hochzeit so gern in einer Kutsche gefahren wärt, die von zwei Schimmeln gezogen wird. Voilà, euer Wunsch soll endlich in Erfüllung gehen.«

»Oh Sunny«, haucht meine Mutter. »Das ist so wunderbar. Vielen Dank.« Sie umarmt mich fest, ehe sie etwas wackelig in die offene Kutsche klettert. Nachdem mein Vater Tante Marietta beim Einsteigen geholfen hat, setzt er sich neben meine Mutter. Fest kuscheln sie sich zusammen, genauso wie meine Tante und mein Onkel gegenüber.

»Der Dank gebührt nicht nur mir. Julia hat das alles organisiert.« Schwungvoll schließe ich das Kutschentürchen und trete einen Schritt zurück.

Julia legt mir einen Arm um die Taille. »Aber es war deine Idee, ich musste nur das tun, was ich auch sonst tue, um meine Bräute glücklich zu machen.«

Der Kutscher schnalzt, und die Pferde setzen sich in Bewegung. Unter Winken verabschieden wir uns und sehen der Kutsche hinterher, wie sie gemächlich über den Vierwaldplatz Richtung Standesamt fährt und dann abbiegt, genau Richtung Sonnenuntergang. Perfekt.

»Das hätten wir also auch erledigt.« Alma streckt sich. »Dann heißt es nur noch aufräumen und für meinen Teil ab nach Hause und die Füße hochlegen.«

»Oh ja.« Julia gähnt hinter vorgehaltener Hand. »Mehr passiert bei mir heute auch nicht mehr. Bist du auch immer so dermaßen müde?« Über meinen Kopf hinweg sieht sie Alma an.

»Ständig. Ich hoffe, dass das im Lauf der Schwangerschaft nachlässt.« Alma zieht eine Schnute. »Und vergesslich bin ich geworden. Immer wieder gehe ich irgendwohin und weiß nicht mehr, was ich da wollte.«

»Das mit der Vergesslichkeit kenne ich auch, allerdings betrifft es bei mir Namen, was echt blöd ist in meinem Job, wenn ich die Bräute falsch anspreche.«

»Autsch, da würde ich mir über meine Hochzeitsplanerin auch so einiges denken.« Lachend schüttelt Alma den Kopf.

»Ich bin eigentlich nicht müder als sonst. Oder vergesslicher. Dafür tun mir die Füße weh.« Was allerdings auch an meinen neuen Schuhen liegen könnte, deren roter Lack wahnsinnig schick aussieht, sie aber leider nicht bequemer macht.

»Ach Sunny.« Alma streicht mir über den Rücken und kräuselt die Nase.

Julia lächelt schief.

Entrüstet stemme ich die Hände in die Hüften. »Ihr glaubt mir nicht, dass ich schwanger bin, richtig?«

Julia blinzelt, während sich Alma räuspert. »Klar glauben wir dir.«

»Nein, tut ihr nicht.«

»Na doch, ein bisschen.« Alma stellt die Gläser vom Tisch auf ein Tablett. »Nein, eigentlich nicht.«

»Aber ich soll euch glauben, oder was?« Heftig rücke ich die Stühle gerade.

Julia kramt in ihrer Umhängetasche und holt ein blaues Heftchen daraus hervor. »Hier, mein Mutterpass.«

»Meiner ist drinnen im Schneeflöckchen, im Rucksack.« Alma hält beim Aufräumen inne und sieht mich ebenso wie Julia an. Als würden sie darauf warten, ob ich gleich einen Salto mache oder mich in Luft auflöse.

»Ich habe noch keinen Mutterpass«, murmele ich und entscheide mich für das In-Luft-auflösen, indem ich davonstapfe. Sollen die beiden schwangeren Besserwisserinnen mit ihrem vorbildlichen Mutterpass das Schneeflöckchen allein aufräumen. Ich bin mindestens genauso schwanger. Und müde. Und vergesslich.

Doch es fällt mir schwer, meine Wut auf die beiden aufrechtzuerhalten, denn die Wut über mich selbst überwiegt. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er dann die Wahrheit spricht. Noch nie lag mir ein Sprichwort so schwer auf der Seele wie dieses!

Und überhaupt! Mutterpass! Was für ein blödes Wort.

 

Eine Woche später kann ich noch immer keinen Mutterpass vorweisen, denn meine Frauenärztin ist der Meinung, unbedingt zwei Wochen Urlaub machen zu müssen. Über die Schwester einer Nichte einer Bekannten einer der Gäste im Schneeflöckchen habe ich erfahren, wo Frau Doktor Wiener urlaubt, und ihr höflich einen handgeschriebenen Express-Brief ins abgeschiedene Genussdorf bei Salzburg geschickt, mit der Bitte, mir doch bitte, bitte meinen Mutterpass zuzuschicken.

Aber nichts.

Erst nach meinem zweiten Versuch – dieses Mal eine knallpinke Ansichtskarte mit einem Storch darauf – kam eine Antwort von ihr, mein Termin Anfang Juni wäre völlig ausreichend, und sie wäre für die nächsten Tage offline – digital und analog!

Dann halt nicht.

Mein selbstgebastelter Mutterpass konnte nicht einmal mich so recht überzeugen, und im Internet war kein Secondhand-Exemplar zu finden. Tom hat nur gelacht, als wir telefonierten. Und mir erzählt, wo er mich überall küssen wird, wenn er wieder da ist. Ausgiebig küssen wird.

»Da, wo du gerade bist, will ich auch hin.« Irritiert zwinkere ich ein paar Mal und stehe meiner Mutter gegenüber, in meinem Schneeflöckchen, mit einem Putzlappen in der Hand, den ich zart streichele. Toms imaginärer Kuss verpufft, und die Realität hat mich wieder.

»Mama. Du hast mich erschreckt.«

»Und du warst weit weg.« Mit zusammengekniffenen Augen sieht sie mich an. »Alles gut?«

»Na klar.« Bis auf die Tatsache, dass mir meine Familie nicht glaubt, dass ich schwanger bin, und ich es nicht beweisen kann. Halt! Ich könnte schnell rüber in die Drogerie flitzen und einen Schwangerschaftstest kaufen. Dann kann meine Mutter live dabei zusehen, wie der wundervolle rosa Strich entsteht und mich und damit ihre zukünftige Enkeltochter reuevoll in die Arme schließen. Noch einmal halt! Heute ist Sonntag, sogar Sonntagabend, und die Drogeriemärkte haben geschlossen.

Meine Mutter nimmt mir den Lappen aus der Hand und zieht mich mit sich zu dem kleinen Sofa in der Ecke der Eisdiele. »Was auch immer du gerade ausbrütest, lass es sein. Nur weil Julia und Alma schwanger sind, musst du es nicht auch sein. Hab Geduld und gönne den beiden die Aufmerksamkeit.«

Voller Frust reiße ich die Arme in die Höhe. »Aber ich bin wirklich schwanger.«

»Ach Kind«, seufzt meine Mutter und reibt mir den Rücken.

Unfassbar! Sie glaubt mir noch immer nicht. Die einzige Mutter, die ich habe. Wir sind vom gleichen Fleisch und Blut. Müsste sie ihre Enkeltochter nicht spüren, die Anwesenheit des winzigen, neuen Lebens fühlen? Ist sie vielleicht gar nicht meine leibliche Mutter?

Wie auch immer, also ich werde eine bessere Mutter sein. Zumindest in dieser Beziehung. Ich werde noch vor meiner Tochter wissen, dass sie in anderen Umständen ist!

»Es war eine wundervolle Zeit, als ich mit dir schwanger war, Sunny. Anstrengend, aber dennoch ganz wunderbar.«

Alarmiert sehe ich sie an. Sie spricht so gut wie nie über die Monate, in denen sie mit mir schwanger war. Es war halt so, sagt sie mir immer, und damit basta. Und nun sitzt sie hier auf meinem orangenen Lieblingssofa in meinem Schneeflöckchen und sieht verträumt nach draußen auf den Vierwaldplatz. Die langen Schatten kündigen den baldigen Abend an, und am Springbrunnen hocken ein paar Teenager, die wild miteinander gestikulieren. Vor Jahren saß auch ich dort, zusammen mit meinen Freunden, und in diesen Augenblicken gab es nichts Wichtigeres. Es konnte damals stürmen oder hageln, die Sonne konnte uns braten oder die Kälte bibbern lassen – uns ging es gut.

Für einen Moment schließe ich die Augen und wünsche mir genau das für meine ungeborene Tochter.

Fest nimmt mich meine Mutter in den Arm und drückt mich. »Ich wollte nur noch mal Danke sagen für diesen wundervollen Hochzeitstag letzten Sonntag, die Kutschfahrt war genau so, wie ich sie mir damals erträumt habe.«

Vorsichtig löse ich mich aus ihrer Umarmung. »Warum seid ihr nach eurer Trauung eigentlich nicht mit einer Kutsche gefahren, wenn es so ein großer Wunsch von dir war?«

Sie antwortet mir nicht gleich, und ich warte geduldig. »Marietta und ich hatten viel geplant. Wir wollten das ganze Programm. Angefangen beim größten Kleid bis über die mehrstöckige Torte bis hin zu den Schimmeln, die unsere Kutsche zogen.«

»Aber?«

»Nichts aber. Es gab Wichtigeres als plüschige Hochzeitskleider und schneeweiße Hochzeitstorten.« Wieder schweigt sie, bevor sie meine Hände in ihre nimmt. »Ich war schwanger mit dir, und mir ging es großartig. Doch kurz vor der Hochzeit änderte sich das, und als alles nichts half, wurde mir strenge Bettruhe verordnet. Ich musste jegliche Aufregung meiden, und war diese noch so schön wie meine Trauung. Es ging um dein Leben. Ich hätte alles getan, um dich zu schützen.«

Mein Puls rast, und eine Mischung aus Mitgefühl und Schuldgefühlen knotet sich rund um mein Herz. »Das hast du mir nie erzählt.«

»Warum auch. Als du klein warst, tat es nichts zur Sache, und dann später, als sich herausstellte, welch ein sensibler und fantasievoller Mensch du bist, wollte ich es dir nicht mehr sagen. Du hättest dich schuldig gefühlt, dass ich nie geheiratet habe. Und das wollte ich nicht, denn du bist nicht dafür verantwortlich.«

Doch! Ich bin verantwortlich. Und ich fühle mich schuldig.

»Sunny, nicht. Denk nicht einmal daran.« Zart streicht mir meine Mutter mit dem Daumen über die zittrigen Hände. »Statt einer Hochzeit habe ich so viel Wertvolleres erhalten. Um nichts in der Welt würde ich daran etwas ändern.«

Zu aufgeregt, um länger sitzen zu bleiben, springe ich auf. Mir ist übel, und die Düfte nach Vanille und Himbeere, die so sehr zum Schneeflöckchen gehören, sind verschwunden. Stattdessen riecht es modrig und dumpf. Ich reiße die Tür auf und atme tief die frische Abendluft ein. Doch die ist durchzogen von fettigen Bratengerüchen aus dem Le Meilleur gegenüber. »Meine Güte, kann der alte Fritz nicht mal andere Sachen kochen!« Mit mehr Schwung als notwendig schmeiße ich die Tür wieder zu. Die Scheibe klirrt.

»Sunny, nicht.« Meine Mutter schüttelt den Kopf.

»Doch! Das ist ein Unding!«

»Und genau deswegen habe ich es bisher für mich behalten. Ich habe schon längst nicht mehr daran gedacht.« Sie steht auf und stellt sich zu mir an die Tür. Gemeinsam sehen wir auf den Vierwaldplatz, wo gerade die Lichter der altmodischen Laternen angehen.

Ich stupse meine Mutter leicht mit der Schulter an. »Du hättest es mir sagen sollen.«

»Nein, hätte ich nicht.«

»Doch.«

»Nein.«

»Du weißt schon, dass ich damit jetzt keine Ruhe mehr geben werde.« Ich muss meine Mutter nicht ansehen, um zu wissen, dass sie gerade die Augen verdreht.

Sie seufzt, wie sie es nur in meiner Gegenwart schafft. »Ach Kind. Du weißt, ich bin kein Fan davon, Dingen hinterher zu weinen. Es ist wie es ist. Und es ist gut so.«

»Warum haben Papa und du nicht später geheiratet?«

Wieder seufzt sie, legt mir einen Arm und die Taille und lehnt ihren Kopf an meinen. »Irgendwie hat es nie gepasst. Das Leben tobte um uns herum. Alma und du und das MaMa. Marietta, Ole und Papa, wir hatten mehr als genug zu tun. Und wie ich schon sagte, irgendwann habe ich gar nicht mehr daran gedacht. Außerdem hatten Berno und ich jedes Jahr unseren wundervollen Hochzeitstag, zu denen Alma und du euch immer so tolle Sachen ausgedacht habt.«

»Es tut mir so leid, Mama«, flüstere ich.

»Ist schon gut, mein Liebchen. Dich würde ich für keine Hochzeit der Welt eintauschen.« Fest schmiegt sie sich an mich, und ihr vertrauter Geruch gibt mir die Sicherheit, dass es genauso ist, wie sie sagt.

Aber trotzdem! Diese Geschichte will ich nicht hinnehmen.

»Oh sieh nur, die Brautleute werden zum Baumstammsägen geführt.« Meine Mutter zeigt zum Le Meilleur, wo das Brautpaar von heute Nachmittag gerade eine große Doppelsäge in die Hand gedrückt bekommt und zu einem Baumstamm geschoben wird, der auf zwei Holzböcken liegt.

»Das schöne Kleid!« Ich kann gar nicht hinsehen. Welche Freunde lassen sich so einen Blödsinn einfallen?

Meine Mutter lacht. »Es ist halt Tradition.«

»Da fallen mir spontan zwölf andere Traditionen ein, die weder eine rostige Säge noch einen schmutzigen Baumstamm beinhalten.«

»Aber immerhin haben sie es bis zum Traualtar geschafft, da ist dieses kleine Hindernis nur ein Spaß.«

Nachdenklich sehe ich meine Mutter von der Seite her an. Und sie wird es auch zum Traualtar schaffen, beschließe ich, und wenn ich dafür einen ganzen Wald zersägen muss. Es kann nicht sein, dass ich zwei Hochzeiten hatte und meine Mutter nicht eine einzige!

»Sunny!«

»Ja?«

»Was immer sich bei dir gerade zusammenbraut, lass es bitte sein. Es ist alles gut so, wie es ist.«

Beruhigend drücke ich ihr einen Schmatzer auf die Wange. Aber sicher ist es das. Doch, könnte es nicht noch ein wenig besser sein?