Leseprobe Küss mich, Mr Right

1

Bane

Juli

„Grün? Denkst du wirklich, dass das eine Farbe ist, mit der du mich überzeugen kannst, Ana?“, frage ich meine Schwester und versuche, angemessen auf ihren Einfall zu reagieren. „Unsere Ananas hat ein sattes Gelb, das den Appetit anregt. Warum sollten wir sie grün färben?“ Manchmal kann ich Anas Gedankengänge nicht nachvollziehen.

„Wir färben ja nicht die Ananas grün. Nur das Eis“, verteidigt sie ihre Idee, während sie an einem losen Faden ihrer zerschlissenen Shorts fummelt.

„Du möchtest ein grünes Sorbet mit grüner Minze?“ Ich nehme die Brille von der Nase, lehne mich auf meinem Schreibtischstuhl zurück und kneife mir mit Daumen und Zeigefinger in die Nasenwurzel. Diese nervenaufreibende Diskussion führen wir nicht zum ersten Mal. Meine Schwester ist ein kleiner, wilder und meist sehr überdrehter Feger, mit den unmöglichsten Eingebungen. Keine Ahnung, woher sie die Eigenschaften hat. Ich bin völlig anders gestrickt. Meine kreativen Geistesblitze halten sich in Grenzen.

Gemeinsam mit unserem Vater führen wir die Keoki-Plantage auf Hawaii, die sich mit dem Anbau und Vertrieb von Ananas beschäftigt. Ein kleiner Zweig der Firma ist unser hausgemachtes Ananaseis, das uns in den letzten Jahren ein hübsches Sümmchen eingebracht hat und nicht mehr wegzudenken ist. Aber obwohl wir nahezu jedes Hotel auf O’ahu beliefern und die Einnahmen stetig steigen, möchte ich nicht zum Eisproduzenten mutieren. Wir sind eine Plantage. Wir bauen Ananas an. Die Eisherstellung muss eine Nebentätigkeit bleiben, egal wie gut sie läuft. Punkt.

„Natürlich möchte ich das bestehende Sorbet mit frischer Minze nicht verändern“, echofiert meine Schwester sich und atmet einmal lange aus, weil meine Gegenwehr sie natürlich nicht überrascht. „Ich möchte etwas völlig anderes kreieren.“

Mal wieder?

Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich das in den letzten Jahren schon gehört habe. Mein Schwesterherz möchte ständig das Rad neu erfinden und hat Erleuchtungen, die es wert sind von allen Seiten begutachtet zu werden. Zumindest ist das ihre Meinung.

Heute hält sie sich mehr als gewöhnlich zurück. Sicher steht sie kurz davor, von ihrem Platz vor meinem Schreibtisch aufzuspringen und im Raum herumzutigern, weil ich nicht so reagiere, wie sie es sich wünscht. Dass sie überhaupt noch auf ihren vier Buchstaben sitzt, habe ich höchstwahrscheinlich Pierce zu verdanken, ihrem Freund, der ein erfahrener Anwalt ist und meine Schwester seit Neustem unter seine Fittiche nimmt. Er bringt ihr bei, die Fassung zu wahren und die schlagfertigsten Argumente erst zum Schluss auf den Tisch zu legen. Meine Schwester ist eine grottenschlechte Schülerin, ihr Temperament steht ihr ständig im Weg. Pierce hat seine liebe Mühe mit ihrer „Ausbildung“. Trotzdem … wenn ich nicht aufpasse, sammelt sie Erfahrung, wird besser … und dann … Gnade mir Gott.

„Was möchtest du denn kreieren?“, frage ich und klinge ein wenig gönnerhaft. Mein Verhalten, sie wie ein kleines Mädchen zu behandeln, ist nicht sonderlich nett. Sollte Pierce davon erfahren, kann ich etwas erleben. Er ist schrecklich verliebt in meine Schwester und beschützt sie, wo er nur kann. Sogar vor ihrem eigenen Bruder. Aber hier geht es um die Plantage, da muss ich hart sein und kann mich nicht zu hirnrissigen Ideen verleiten lassen, die zu nichts führen. Die Finanzen müssen im Vordergrund stehen und nicht Anas Kreativität und deren Auslebung.

„Bane!“, sagt sie und sieht mich streng an.

„Ana!“, kontere ich.

„Behandele mich nicht so. Ich bin kein kleines Kind, das möchte, dass du zukünftig bunte selbstgebackene Einhörner verkaufst“, klärt sie mich ebenfalls herablassend auf. „Ich möchte, dass du dir meinen Vorschlag bis zu Ende anhörst und möglichst bald mein neues grünes Eis probierst, bevor du eine Entscheidung triffst.“ Das Wort grün betont sie unnötigerweise.

Misstrauen macht sich in mir breit.

Warum lächelt sie ohne die Mundwinkel zu heben? Ich erkenne es an den winzigen Fältchen in ihren Augenwinkeln. Das sieht merkwürdig aus und lässt Übles erahnen. Ich hasse Grün.

Mich überkommt der Verdacht, dass ich gerade Pierce’ Wortlaut zu hören bekommen habe. Hat der erfahrene Strafverteidiger ihr genau diese Sätze in den Mund gelegt? Hat er meiner Schwester Extrastunden gegeben? Möglicherweise hat dieser Verräter sie besser als sonst auf dieses Gespräch vorbereitet. Ich möchte nicht wissen, wie oft er schon Zeugen für die bevorstehende Verhandlung geschult hat. Vielleicht ist Ana ebenfalls in den Genuss eines solchen Trainings gekommen.

Wenn dem so ist, bin ich geliefert. Sicher findet Pierce in seinem Juristenhirn ein paar Klauseln, um Ana zu ihrem Recht zu verhelfen. Schließlich gehört meiner Schwester ein Drittel der Plantage. Sie ist also durchaus irgendwie stimmberechtigt. Die Tatsache verdränge ich mit Vorliebe.

Konzentriere dich!

Ich setze die Brille wieder auf und lasse meinen Stuhl nach vorn gleiten. Sogar die Schultern straffe ich.

Bloß keine Schwäche zeigen, Bane. Vor dir sitzt nur deine kleine Schwester. Du bist älter und weiser als sie. Ein winziges Zugeständnis kannst du ihr gefahrlos machen.

„Also schön“, sage ich und suche ihren Blickkontakt. „Ich mag grün nicht, aber ich kann es ja mal probieren. Probieren schadet nicht. Oder?“

Ana springt vom Stuhl auf und fängt an zu quieken, dabei klatscht sie in die Hände und wirbelt im Kreis herum. Ihre Haare fliegen durch die Luft und bleiben zerstrubbelt liegen, als sie aufhört sich schwindelig zu drehen. Verrückt. So kenne ich sie. Das ist die Reaktion meiner kleinen Ana. Kindisch und wenig erwachsen.

Aber wenn nur meine kleine harmlose Schwester vor mir steht, warum fühle ich mich dann derart unwohl? Ich habe ihr gerade den kleinen Finger gereicht … dessen bin ich mir bewusst … und jetzt? Hoffentlich verliere ich nicht den ganzen Arm.

***

GRÜN! Ich hasse grün. Eine Gurke ist grün. Spinat ist grün. Ein Frosch ist grün. Sogar schleimige Algen aus dem Meer sind grün. Grün ist keine Farbe, die ich essen will. Schlechte Erinnerungen verbinde ich mit der Farbe Grün. Ich mochte im Kleinkindalter kein Gemüse und wurde stets gezwungen wenigstens ein bisschen davon zu probieren. Wegen der Vitamine und so.

Vermutlich habe ich ein Kindheitstrauma. Schwer zu sagen. Aber grünes Eis? Nein, danke! Wer soll das kaufen? Da kann der Geschmack noch so köstlich sein. Allein die Farbe ist abschreckend. Jeder Kunde wird einen Bogen darum machen. Und die Restaurants … niemals … ich denke nicht, dass sie Interesse an diesem Grünschiss haben.

Seit dem Gespräch in meinem Büro sind drei Tage vergangen und heute ist es soweit, ich soll das grüne Zeug probieren. Es ist Sonntag und die Plantage ist voller Touristen, die auf ihre Führung samt Besichtigung warten. Mit ein bisschen Glück könnte ich eine Ausrede finden und in einer der Menschentrauben untertauchen. Ich könnte von Unterbesetzung reden oder Personalmangel heucheln. Es gibt ein paar Möglichkeiten, derer ich mich bedienen könnte. Ein Notfall rechtfertigt vieles.

So weit ist es schon gekommen, Bane.

Ana, Pierce und meine Wenigkeit sitzen an einem Tisch etwas abseits auf der Café-Terrasse. Die Gespräche der schwatzenden Touristen dringen nur leise zu uns herüber.

„Los geht’s.“ Hocherfreut reicht Ana mir ein Schälchen. Pierce, der fast auf ihrem Schoss hockt, wirft mir einen mahnenden Blick zu, kaum dass er meine verzogene Miene registriert hat. Sag bloß nichts Falsches! Ist seine stumme Drohung.

„Danke.“ Ich nehme den Löffel entgegen und bemühe mich, ein hungriges Gesicht zu machen. „Es sieht irgendwie … gesund aus.“ Gesund ist gut. Alle wollen gesundes nahrhaftes Essen. Die Äußerung hört sich positiv an und deutlich besser als das, was mir an Beschreibung eigentlich auf der Zunge liegt.

„Dieses Eis sieht nicht nur gesund aus, es ist auch gesund. Gesund und lecker“, antwortet Ana und strahlt über das ganze Gesicht. Ihre Freude könnte ansteckend sein, wäre ich nicht immun. „Und der Geschmack erst. Du wirst begeistert sein. Nun probiere schon. Du probierst ja gar nicht.“

Besser nicht.

Unter dem Tisch spüre ich Pierce’ Schuhspitze gegen meine stoßen. Ein subtiler Hinweis.

Ich will nicht!

„Gib mir einen Moment. Bitte Ana, … wenn ich dein Eis testen soll, darf ich das auch in meiner Geschwindigkeit tun.“ Mit Bedacht tauche ich den Löffel in die Eismasse, um die Konsistenz zu testen. „Erst der Sichttest, dann der Geschmackstest“, belehre ich sie als würde ich täglich an Verkostungen teilnehmen.

Ana wackelt auf ihren vier Buchstaben hin und her. „Du hast recht. Entschuldige. Ich bin ungeduldig. Was sagst du zu den Kokosnussschalen? Sind die nicht niedlich?“ Mit dem Finger tippt sie an mein Schälchen. „Außerdem ist es umweltbewusst den Rohstoff weiterzuverwenden. Und … das Beste … wir verzichten vollkommen auf Plastik.“

„Ja.“ In dem Punkt muss ich meiner Schwester recht geben und sie für ihren Einsatz bewundern, über das Produkt hinaus zu denken. „Die polierten Kokosnussschalen sind überaus ansehnlich und passen wunderbar zu unserem Firmenimage. Sollten wir uns dafür entscheiden, könnten wir unter Umständen unser Logo in die Schale brennen – oder stanzen. Je nachdem, was besser aussieht.“

„Ein Keoki-Brandzeichen!“ Ana klatscht in die Hände, ihre Augen sind vor Aufregung weit aufgerissen. „Das wäre unglaublich toll. So toll. Du hast fast so gute Ideen wie ich, Brüderchen.“

Oh Gott! Steh mir bei.

„Abwarten“, ziehe ich gleich wieder die Handbremse an. „Es war nur ein erster Einfall. Erste Einfälle haben so ihre Tücken. Bevor wir etwas Derartiges in Auftrag geben, müssen wir durchrechnen, was eine Gravur im Gegensatz zum einfachen Druck kostet. Da gibt es sicher Unterschiede.“

„Natürlich. Natürlich.“ Ana versucht sich sichtbar zu beruhigen. Sie faltet sogar die Hände im Schoß und sitzt plötzlich still. Ihren Mund hält sie von jetzt auf gleich geschlossen. Mir entgeht Pierce’ leises Schmunzeln nicht. Freut er sich, weil Ana es schafft, auf dem Teppich zu bleiben? Er sieht selten dämlich aus. Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich ihn mit dem Fuß trete.

Besser nicht.

Argwöhnisch hebe ich den gefüllten Löffel zum Mund und rieche an dem grünen Zeug. Zwei Augenpaare lassen mich dabei nicht aus den Augen. „Ich fühle mich beobachtet“, informiere ich meine Familie und lasse den Löffel, auf dem das Eis zu schmelzen beginnt, wieder sinken.

„Man könnte meinen, du hast Angst, das Eis zu probieren.“ Es ist Pierce der das sagt. In seinem hochnäsigen Anwaltston, den ich nur leiden mag, wenn er für und nicht gegen mich spricht.

„Eure Blicke können einem den Appetit verderben“, versuche ich mich zu rechtfertigen. „Außerdem ist die Luftfeuchtigkeit heute wieder unerträglich hoch. Können wir nicht ins Haus gehen? Dort schmeckt es bestimmt umso leckerer.“

„Iss!“ Pierce beugt sich über den Tisch und nimmt eine bedrohliche Haltung ein.

Was wird er tun, wenn ich mich weigere? Springt er mir dann an die Gurgel? Da ich nicht vorhabe, es auszutesten, stecke ich mir den Löffel in den Mund und schlucke. Ich halte den Atem an und kann nur mit Mühe verhindern, dass ich meine Augen fest zusammenkneife.

Pierce kommentiert mein Verhalten mit einem Kopfschütteln.

„Hast du dir gerade vorgestellt, mein köstliches Eis wäre eine schlüpfrige Auster?“, fragt Ana, weil sie mich fast besser kennt als ich. „Du hast nur geschluckt, aber nicht geschmeckt.“ Sie wirkt geradezu empört.

Ist ihr das aufgefallen? Warum muss sie mich auch so anstarren. Leute offen zu beobachten wie sie essen, ist unhöflich.

„Äh …“ Ich komme nicht dazu, den Satz zu vollenden, da lautes Touristengeschrei zu uns an den Tisch dringt.

Meine Rettung.

Das Schicksal hat zugeschlagen. Ich bin frei!

Überstürzt stehe ich auf und stelle das Schälchen auf den Tisch. Den Löffel lasse ich in das grüne Zeug fallen. Die Konsistenz hat sich bereits stark verflüssigt und erinnert an grünen Durchfall.

„Da hinten ist etwas passiert. Ich muss nachsehen, was da los ist.“ Ich greife nach der Stuhllehne, stelle das gute Stück beiseite und achte darauf, dass es Ana den Weg versperrt, sollte sie mir nachsetzen wollen. Meine Handgriffe haben etwas Hektisches und Unkoordiniertes. Natürlich übertreibe ich. Was soll auf einer Ananasplantage schon passieren? Wir führen die Touristen herum, lassen sie die Stauden bewundern und von unserer außergewöhnlichen Ananas probieren. Die größte Gefahr besteht darin, dass jemand stolpert oder sich an einem Stück Ananas verschluckt. Selbstverständlich ist meiner Schwester diese Tatsache ebenfalls bewusst. Seit ich denken kann, hat es nie einen dramatischen Zwischenfall auf der Keoki-Plantage gegeben.

„Bane.“ Ana steht auf und wirkt verunsichert, vielleicht auch enttäuscht. Sie durchschaut mich. „Lass das doch die Angestellten klären. Sicher regt sich nur jemand künstlich auf, weil er das falsche Ticket hat oder zu früh für seine Führung hier ist.“

Meine Schwester hat recht. Meist lassen sich solche Unstimmigkeiten im Handumdrehen lösen. Aber sollte das meine einzige Chance sein, dem Grünschiss zu entkommen, ergreife ich sie. Sofort!

„Besser, ich sehe schnell nach.“ Bloß weg. „Dauert sicher nicht lange. Bin gleich zurück. Wartet hier!“

Bevor Ana erneut protestieren kann, setze ich mich in Bewegung und höre, wie jemand aus der Ferne nach dem Rettungswagen ruft.

Wie bitte? Soll das ein Witz sein?

Brauchen wir wirklich einen Rettungswagen? Besorgnis kommt auf und Entsetzen macht sich breit. Unverzüglich beschleunige ich meine Schritte. Ist doch ein Unglück geschehen? Hier auf der Keoki-Plantage, inmitten der Leute?

Die Menschentraube ist schnell gefunden. Am Sammelplatz für die zehn Uhr-Führung haben sich etwa zwanzig Personen im Kreis aufgestellt. Sie blicken auf etwas, das am Boden liegt und scheinen wie erstarrt. Einige haben die Hand vor den Mund geschlagen, andere schütteln mit Entsetzen und Unglauben im Gesicht den Kopf. Die Stimme von Malio unserem ersten Plantagenführer dringt an mein Ohr. „Hat jemand Hilfe gerufen? Schnell! Es muss schnell gehen! Wir dürfen keine Zeit verlieren. Sobald ihre Zunge angeschwollen ist, bekommt sie keine Luft mehr und erstickt.“

Offensichtlich ist doch niemand gestolpert oder hat sich verschluckt. Wenig vorsichtig schiebe ich die Umherstehenden auseinander und sehe eine Frau auf dem Boden liegen. Sie ist etwa in meinem Alter, trägt einen kurzen schulterfreien Jumpsuit in Olivgrün, hat lange schwarze Haare und die Augen so weit aufgerissen, dass ich das Weiße darin sehen kann. Eine Hand hat sie sich um die Kehle gelegt. Mit geöffnetem Mund sieht sie Malio an, der völlig aufgelöst und eindeutig mit der Situation überfordert ist.

„Was ist hier los?“, frage ich und gehe neben der Frau in die Hocke.

„Bane! Gut, dass du da bist. Die Frau hat höchstwahrscheinlich einen anaphylaktischen Schock. Sie hat von der frischen Ananas gekostet. Erst hat nur ihr Mund gejuckt, aber jetzt schwillt die Zunge an, außerdem hat sie rote Flecken im Gesicht. Wir müssen sie in ein Krankenhaus bringen. Es eilt. Die Arme wird ersticken.“ Malio schluchzt und wirkt völlig panisch. „Oh Gott! Oh Gott! Meine Schwester hatte auch mal einen anaphylaktischen Schock. Da hatte sie die gleichen Flecken im Gesicht. Wir müssen uns beeilen. Es muss schnell gehen. Jede Sekunde zählt.“

Die Notleidende am Boden holt Luft und röchelt, dabei lässt sie den aufgebrachten Malio nicht aus den Augen. „Reiß dich zusammen! Schaff die Leute weg! Eine Panik hilft uns nicht weiter“, flüstere ich mit gesenkter Stimme, sodass nur Malio mich hören kann. Anschließend schiebe ich eine Hand in den Rücken der Frau und helfe ihr, sich aufzusetzen. Sofort bekommt sie besser Luft. Dankbar sieht sie mich an und atmet noch mal tief durch.

„Ich bin Bane Keoki“, stelle ich mich vor. „Darf ich kurz in Ihren Mund schauen?“ Ich bemühe mich, meine Stimme ruhig klingen zu lassen. „Unser Plantagenführer hat womöglich etwas überzogen reagiert. Eine Ananasallergie löst nur sehr selten einen anaphylaktischen Schock aus. Die Frucht kenne ich in und auswendig. Ananas ist mein Leben“, kläre ich die Frau auf, damit sie keine unnötigen Ängste aussteht.

Die Besucherin öffnet den Mund ein Stück und lässt mich hineinsehen. Die Schleimhaut ist gerötet und auch die Zunge sieht leicht geschwollen aus. Aber Erstickungsgefahr besteht definitiv nicht. Malio hat ein kopfloses, unverantwortliches Verhalten an den Tag gelegt. Zweifellos hat er durch seine Schwester einiges an Erfahrung gesammelt. Aber seine Sorgfaltspflicht in allen Ehren, … trotzdem brauchen wir keine panischen Touristen.

„Danke.“ Ich tippe mit dem Zeigefinger an ihren Kiefer und die Frau schließt den Mund bis auf ein winziges bisschen. „Machen Sie sich keine Sorgen, das kommt sicher wieder in Ordnung.“ Ich schenke ihr ein aufmunterndes Lächeln und versuche Zuversicht auszustrahlen. „Möchten Sie versuchen aufzustehen? Gerne helfe ich Ihnen dabei.“ Mit der Hand fasse ich nach ihrem Ellenbogen. „Wir können in mein Büro gehen, dort sind weniger Leute. Vielleicht möchten Sie sich ausruhen und abwarten, bis die Schwellung abgeklungen ist? Selbstverständlich habe ich auch ein Glas Wasser für Sie.“

„Danke“, kommt die leise und etwas undeutliche Stimme meiner Patientin. „Ich bin übrigens Lexy. Lexy Rebel.“

2

Lexy

„Wussten Sie nicht, dass Sie unter einer Ananasallergie leiden?“, fragt Mr. Keoki mich, während er die Tür zu seinem Büro aufschließt. Offenbar habe ich in einem günstigen Moment vor den richtigen Leuten schlappgemacht.

Ausgezeichnetes Timing, Lexy.

Mr. Keoki hat ein eigenes Büro, sogar mit Namen an der Tür. Entweder er ist der Chef oder er ist der Sohn vom Chef. Perfekt. Ich liebe es, wenn ein Vorhaben auf Kurs kommt. Besser hätte es nicht laufen können. Die Keokis können sich warm anziehen, jetzt kommt Lexy.

„Doch, ich wusste es. Ich vertrage das Enzym Bromelain nicht.“ Das ist die Wahrheit. Obwohl ich hin und wieder in die Trickkiste greife, um mein Ziel zu erreichen, gehöre ich nicht zu den Lügnern dieser Welt. „Es ist mir bekannt, dass ich ein Brennen auf der Zunge bekomme, sobald ich frische Ananas esse.“

Mr. Keoki bittet mich herein und deutet auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Obwohl er sich über meine Antwort wundern muss, verzieht er keine Miene. „Bitte setzen Sie sich. Ich gebe Ihnen ein Glas Wasser, das sollte die ersten Symptome lindern.“

Folgsam tue ich wie mir geheißen, setze mich und sehe zu, wie mein Gastgeber eine Flasche Wasser aus einem Minikühlschrank in der Ecke holt. Er dreht den Verschluss ab und reicht mir das Getränk.

Sehr höflich dieser Mann. Ich nehme mir einen Moment, um ihn genauer in Augenschein zu nehmen. Bane Keoki ist groß, breit gebaut wie ein Schwimmer, mit einer schlanken Taille. Seine Haut hat einen dunklen Teint, und seine schwarzen Haare könnten einen Schnitt vertragen. Sie kräuseln sich leicht über den Ohren. Zu meinem Entzücken trägt er eine Brille. Ich steh auf Männer mit Brille. In Kombination mit einem Drei-Tage-Bart geben sie einem Kerl das gewisse Etwas. Wie Bane Keoki wohl mit Stoppeln am Kinn aussieht?

„Also, Lexy mit Ananasallergie“, durchbricht der Mann vor mir meine Gedanken, die gerade dabei sind abzudriften. „Warum essen Sie Ananas, wenn Sie wissen, dass Sie allergisch reagieren? Sie hätten an der Führung auch ohne Verkostung teilnehmen können“, fragt er und lehnt sich mit dem Gesäß gegen seinen Schreibtisch.

Bevor ich antworte, trinke ich einen großzügigen Schluck Wasser. Das unangenehme Kribbeln im Mund hat bereits nachgelassen und die Flecken in meinem Gesicht werden bis morgen verschwunden sein. Den restlichen Nachmittag werde ich mit Niesen und Husten verbringen, aber danach ist alles wieder in Ordnung. Alles halb so wild.

„Ich wollte unbedingt wissen, wie Ihre Ananas schmeckt.“ Wieder antworte ich nichts als die reine Wahrheit.

Bane Keoki mustert mich misstrauisch von der Schreibtischkante aus. „Sie wollten wissen wie unsere Ananas schmeckt?“, wiederholt er meine Worte ungläubig, als wäre ich ein bisschen plemplem.

„Ja.“ Obwohl ich keinen Durst verspüre, trinke ich noch einen Schluck. Das vertraute Prickeln in der Nase kündigt sich bereits an. Gleich geht das Niesen los. „Ich wollte wissen, ob es eine gute Ananas ist. Süß, saftig und mit vollem Aroma – genau im richtigen Reifezustand.“

Jetzt habe ich seine volle Aufmerksamkeit. Mein Gegenüber setzt sich aufrechter hin und fixiert mich mit seinem Blick. Er ist eindeutig gespannt auf mein Urteil. „Und? Konnte der Geschmack unserer Keoki-Ananas Sie überzeugen?“

„Ja.“ Ich nicke und niese gleichzeitig. Dabei fallen mir meine Haare unschön nach vorne als würde ich zu einem Heavy Metall Song headbangen. Peinlich. „Entschuldigung. Dieses schreckliche Niesen im Anschluss ist schlimmer als das Kribbeln im Mund während des Ananasverzehrs.“ Ungeniert reibe ich mir über die Nase, da es unaufhörlich kitzelt.

Mr. Keoki reicht mir ein Taschentuch. „Sie haben mich neugierig gemacht. Erzählen Sie mir mehr über das Geschmackserlebnis mit unserer Ananas.“ So leicht lässt mich der werte Herr nicht vom Haken. Gut, darauf habe ich spekuliert. Ich will sein Interesse – und noch viel mehr.

Damit ich nicht zu näseln anfange, putze ich mir zuerst die Nase. So viel Zeit muss sein. „Die Keoki-Ananas ist süß, saftig, hat einen vollen Geschmack und ist wunderbar erfrischend“, erkläre ich. „Sie wäre die perfekte Zutat für einen unserer neuen Vitamin-Smoothies.“ Den Satz beende ich mit einem Niesen, Headbangen inklusive.

„Smoothies?“, fragt der Mann vor mir als wäre das ein ihm unbekanntes Fremdwort.

„Sie wissen schon …“, ich ziehe die Nase hoch, „… die kalten Mixgetränke aus Obst und Gemüse, die hin und wieder auch mit Milchprodukten kombiniert werden.“

„Ich weiß, was ein Smoothie ist.“ Der Tonfall meines Gesprächspartners nimmt an Schärfe zu. Sein Interesse schwindet schneller als mir lieb ist. Er scheint meine Absichten zu wittern. Besser, ich schalte einen Gang hoch und erledige, weswegen ich gekommen bin. Sicher ist sicher.

„Gut“, antworte ich ebenfalls forsch, „dann bedarf es keiner weiteren Erklärung.“ Ich greife an meine Seite und ziehe meine Kühltasche hervor. Sie ist klein und handlich und kann leicht mit einer Handtasche verwechselt werden. In sie passt genau einer unserer To-go-Becher, mehr nicht. Bevor Mr. Keoki merkt, dass er in die Falle getappt ist, hole ich den Glasbehälter heraus, klicke den Deckel ab und reiche ihm unsere Kreation. „Bitte, probieren Sie unseren neuartigen Smoothie. Der Geschmack wird Sie überzeugen. Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass Sie ihn lieben werden. Die Qualität ist außergewöhnlich.“

Bane Keoki nimmt den Glasbehälter, hält ihn gegen das Licht und betrachtet den Inhalt. Sein Blick ist mehr als skeptisch, während er die Flüssigkeit leicht in Bewegung bringt. Ist er ihm zu dickflüssig? Hat er Befürchtungen, ihn zu trinken?

„Sie haben einen Smoothie dabei?“, fragt er und wirkt leicht verstört. „In Ihrer Handtasche?“ Im nächsten Augenblick kommt noch ein Funken Überraschung hinzu.

„Ja. Ich komme von Sunny Fruit Passion und suche nach aufgeschlossenen Kooperationspartnern. Bitte, probieren Sie. Er schmeckt vorzüglich. Ich habe ihn höchstpersönlich und frisch zubereitet, bevor ich gekommen bin.“

Bane Keoki lässt den Becher sinken. Seine Miene kann ich nicht deuten. Ist das Abscheu in seinem Gesicht? Oder nur Fassungslosigkeit? „Das Zeug ist grün.“

Was für ein Schlauberger. Farbenblind ist er nicht. „Ja. Äh. Richtig. Dieser Smoothie hat ein saftiges, gesundes Grün.“

„Ein gesundes Grün?“, wiederholt der Plantagenbesitzer die Worte mehr für sich selbst als für mich. „Nein, danke.“ Er reicht mir den Becher, ohne gekostet zu haben zurück und erhebt sich. Danach geht er um den Schreibtisch herum und setzt sich auf seinen Platz. Eindeutig Chef!

„Ich trinke nichts Grünes.“

„Wie bitte?“ Was ist das für eine eigenwillige Einstellung? Sind wir im Kindergarten?

„Ich esse und trinke keinen Grünschiss. Keine Ahnung, was mit der Menschheit um mich herum los ist. Aber … nein danke. Ich mag eben kein Grün. Punkt. Ende. Aus.“

Ich bin fassungslos. Entsetzt trifft es eher.

„Grünschiss! Haben Sie meinen vollwertigen, absolut gesunden und lebensverlängernden Smoothie, der nur aus den frischesten Zutaten und besten Vitaminen besteht, gerade als Grünschiss bezeichnet?“ Herzhaft niese ich zwei Mal kurz hintereinander. „Grünschiss! Was für eine Frechheit.“

Mein Atem geht schnell und abgehakt, deshalb versuche ich mich zu beruhigen. Kein Mann ist es wert, dass eine Frau sich über ihn aufregt. Rote Flecken im Gesicht reichen, vollständig rot möchte ich nicht werden.

„Hören Sie …“, ein Seufzen folgt den Worten, „… wie es scheint, geht es Ihnen besser. Nehmen Sie das Wasser mit hinaus und entschuldigen Sie die Überreaktion unseres Plantagenführers. Offenbar hat Malio zu viele schlechte Erfahrungen mit anaphylaktischen Schocks gesammelt. Ich bin an Ihrem grünen Smoothie nicht interessiert. Sie müssen nach einem anderen Kooperationspartner suchen.“

„Sie wissen ja nicht mal, was ich Ihnen vorschlagen möchte“, empöre ich mich.

„Ich glaube doch.“ Er lehnt sich zurück und überschlägt die Beine. Ganz der überlegene Geschäftsmann. „Sie wollen, dass ich die Ananas für Ihre gesunden Smoothies liefere. Und sobald Sie damit ein Rezept entwickelt haben, soll ich das Ergebnis mit unserem sehr erfolgreichen Ananas-Sorbet an die Hotels verkaufen. Wenn Sie gut sind, haben Sie sich über die Keoki- Plantage informiert, bevor Sie hergekommen sind. Deshalb wissen Sie, wo unsere Qualitäten liegen.“ Ein Zeichen der Belustigung huscht über seine Lippen. „Liege ich mit meiner Vermutung richtig?“

Mist.

„Ich wusste nicht, dass ich so leicht zu durchschauen bin. Wo habe ich den Fehler begangen?“, gebe ich mich nach kurzem Zögern geschlagen und klicke den Deckel zurück auf den Becher. Dann probiert er eben nicht.

Die Frage entlockt meinem erbarmungslosen Gegenüber ein breites Haifischgrinsen. „Fehler würde ich es nicht nennen. Sie sind schlau und Ihre allergische Reaktion ist offensichtlich nicht gespielt.“ Er deutet auf mein Gesicht, das wie ich aus Erfahrung weiß, furchtbar aussehen muss.

Prompt melden sich meine empfindsamen Nasennebenhöhlen mit einem herzhaften und wenig damenhaften Niesen zu Wort. „Stimmt.“ Kaum ausgesprochen, wandert der Becher zurück in die Kühltasche.

„Ihr Pech war es, dass ich Erfahrung mit Frauen wie Ihnen habe.“

Reflexartig schnappe ich nach Luft.

Bitte?

„Frauen wie mir?“ Muss ich mich beleidigt fühlen? Warum ist da plötzlich dieser überhebliche Ausdruck in seinen Augen.

„Entschuldigen Sie, mein Gerede sollte nicht anmaßend klingen. Aber ich habe eine jüngere Schwester, die ähnlich gesunde und überschäumende Ideen hat wie Sie. Ich bin ein Meister darin, sie zu durchschauen und effektiv dagegen zu steuern“, erklärt mir dieser überhebliche Esel. „Ein Mann erträgt nur ein gewisses Maß an Unsinn.“

Unsinn?

„Ich verstehe.“ Hier scheint jede Mühe vergebens zu sein. Zeit die Flatter zu machen.

„Seien Sie nicht traurig. Bestimmt finden Sie einen anderen Kooperationspartner. Wenn Sie nur an der Ananas interessiert sind, können wir gerne ins Geschäft kommen. Ich verkaufe Ihnen so viel Ananas wie Sie wollen. Nur an Ihren Smoothies bin ich nicht interessiert.“

„Ich verstehe“, wiederhole ich mich. Geschlagen stehe ich auf und stelle die halbleere Flasche auf den Schreibtisch. „Danke für Ihre Hilfe und das Wasser. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“

 

Kaum bin ich auf den Gang getreten, bemerke ich einen Mann und eine Frau, die auf etwas zu warten scheinen. Da sie die Tür, aus der ich gerade gekommen bin, im Auge behalten, gehe ich davon aus, dass sie zu mir oder Mr. Keoki wollen. Unter Umständen haben sie sich Sorgen gemacht. Mein oskarreifer Zusammenbruch hat anscheinend mehr Aufsehen erregt als ich eingeplant hatte. Zum Glück hat jemand den Rettungswagen wieder abbestellt, sonst wäre er längst hier.

„Geht es Ihnen besser? Wir haben uns Gedanken gemacht“, stürmt die Frau auf mich zu, kaum dass ich die Bürotür hinter mir ins Schloss gezogen habe. „Ich bin Ana Keoki.“ Eine Hand taucht vor mir auf.

„Keoki?“ Ich ergreife sie, bleibe aber skeptisch. Wie viele Keokis gibt es denn? Ist das möglicherweise die Schwester, von der er grade erzählt hatte? Warum konnte sie mir nicht zur Hilfe eilen? Mein Gefühl sagt mir, dass ich mit meinem Smoothie bei ihr auf sehr viel mehr Zustimmung gestoßen wäre. „Hallo. Ich bin Lexy Rebel.“ Kaum ausgesprochen, lasse ich die Hand los und kann gerade noch verhindern, dass der Henkel der Kühltasche mir von der Schulter rutscht. „Danke. Es geht schon wieder. Die Symptome sind fast abgeklungen“, sage ich und niese, um das Gegenteil zu bezeugen.

„Hat mein Bruder Ihnen zur Seite gestanden? Wir könnten einen Arzt rufen, wenn Sie das möchten.“

Bruder? Demzufolge liege ich mit meiner Vermutung richtig. Vor mir steht die kleine Schwester von der ich gerade gehört habe und die ähnliche Ideen wie ich haben soll. Interessant. „Das ist nicht nötig.“ Ich reibe mir über die juckende Nase. „Bis morgen sind alle Flecken in meinem Gesicht verschwunden. Dieses lästige Problem ist leider nicht neu.“

Ana nickt, wirkt aber nicht vollends überzeugt. Der Mann hinter ihr hat noch kein Wort gesagt. Er ist einen Kopf größer, hat kurze Haare und trägt ein weißes T-Shirt und Shorts. Mit der Kleidung sieht er aus wie zwei Drittel der Leute, die heute ihren Sonntag hier verbringen. Und trotzdem … der chillige Freizeittyp ist er nicht. Darauf würde ich wetten. Bestimmt arbeitet er bei der Polizei oder der Security. Möglicherweise ist er Anas Bodyguard. Diese vollkommene Gelassenheit ist nicht für jedermann selbstverständlich.

Aus dem Keokiclan werde ich noch nicht schlau.

„Das ist übrigens Pierce“, stellt Ana mir den Mann vor, den ich gerade angestarrt habe. Offensichtlich ist ihr mein musternder Blick nicht entgangen. Sie zieht an seinem Arm und schiebt ihn in die erste Reihe. „Er ist mein Freund und hält sich hin und wieder gerne im Hintergrund auf.“ Ana zwinkert mir zu. „Er tut so als würde er auf mich aufpassen, aber eigentlich will er mir nur auf den Hintern starren. Er ist schrecklich verliebt in meine kurzen Shorts.“

Wow. Die Frau spricht anscheinend sofort aus, was ihr durch den Kopf geht. Eine sympathische Eigenschaft.

Die Bemerkung bringt dem quirligen Feger einen Klaps auf besagten Hintern ein. Ana quiekt, macht einen Satz und beschwert sich. „PIERCE!“

Der Provokateur bringt sie mit einem kurzen schnellen Kuss zum Schweigen. Danach reicht er mir ebenfalls die Hand. „Hallo, Lexy Rebel. Ich bin Pierce Huxley jun., Anas Freund. Schön, dich kennenzulernen.“ Während er das sagt, hält er Ana fest, die sich in seinen Armen windet und sich offensichtlich gerne für den Klaps revanchieren möchte.

„Pierce!“

„Ana.“

Die beiden scheinen sich nicht entscheiden zu können. Die Finger können sie ebenfalls nicht voneinander lassen. Besser, ich mache mich vom Acker. Mein schöner Plan ist gescheitert. Für mich gibt es hier nichts mehr zu holen. Meinen Kooperationspartner werde ich mir wohl oder übel woanders suchen müssen.

„Ich wünsche noch einen schönen Tag“, versuche ich mich leise und ohne weiter zu stören, zu verabschieden. Wenn mir nicht im nächsten Moment der Henkel der Kühltasche von der Schulter gerutscht wäre, wäre es mir vermutlich auch gelungen.

Mist!

Mit einem Krach geht sie zu Boden. Da der Reißverschluss noch offensteht, fällt der To-go-Becher heraus und rollt bis vor Anas Füße. Zum Glück ist der Deckel nicht abgesprungen. Ein Segen. Das wäre eine Schweinerei geworden.

Eilends bücke ich mich.

„Was ist das?“, fragt Ana und wirkt hochinteressiert. Ihren Freund hat sie losgelassen.

Ich halte den Glasbehälter hoch, damit sie den Inhalt erkennen kann. „Wenn es nach deinem Bruder geht: – Grünschiss!“ Vielleicht hat mich sein Kommentar mehr gekränkt, als ich zugeben will.

„Grünschiss?“ Anna sieht mich fragend und ein bisschen entsetzt an.

Pierce bricht in schallendes Gelächter aus. „Der Kommentar passt zu Bane.“ Er hält sich den Bauch. „Ich wette, das gleiche hat er bei deinem Eis gedacht, und sich nur nicht getraut, es auszusprechen.“

„PIERCE!“, beschwert Ana sich und boxt ihren Freund in die Schulter.

„Ist doch wahr. Hast du nicht gesehen, wie er das Eis geschluckt hat? Er konnte die Augen kaum offenhalten, so angewidert war dein Bruderherz.“

„Ich verstehe nicht?“ Wovon reden die beiden?

„Ignorier ihn.“ Ana winkt ab. „Bevor du für Aufsehen gesorgt hast, war Bane bei einer Eisverkostung. Er sollte meine neue Eissorte probieren.“ Ein Seufzen kommt der schönen Hawaiianerin über die Lippen. „Lange Rede kurzer Sinn. Ich glaube, er war ziemlich froh, dass du ihn vom Tisch geholt hast.“ Sie gibt mir einen freundschaftlichen Schubs gegen die Schulter. „Hattest du damit etwas Ähnliches im Sinn?“ Sie deutet auf den Becher in meiner Hand. „Sollte mein Bruder deinen Smoothie probieren?“

Ohne zu wissen warum, fühle ich mich mit dieser Frau verbunden. Gerne würde ich ihr mehr erzählen.

„Ja. Ich bin die Eigentümerin von Sunny Fruit Passion. Meine Firma stellt gesunde und nahrungsergänzende Smoothies her. Mit dieser Kostprobe wollte ich deinen Bruder von unseren Produkten überzeugen“, erkläre ich mein Vorhaben.

„Da hast du dir eine schwere Aufgabe gestellt“, sagt Pierce und sieht mich mitfühlend an.

Ungefragt hakt Ana sich bei mir unter. „Ich bin neugierig, mein Interesse hast du geweckt. Und ich bin ebenfalls eine Keoki. Obwohl ich nicht so viel zu sagen habe wie mein Brüderchen, bekommst du nun die Chance, mich von deinem gesunden Produkt zu überzeugen. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir beide uns gut verstehen werden. Wir sind aus dem gleichen Holz geschnitzt.“ Ana grinst breit und ein klein wenig gerissen. „Komm, wir gehen in die Küche. Hast du Lust, im Anschluss meine neue Eiskreation zu probieren? Ich könnte die Meinung von einer Ernährungs-Fachfrau gebrauchen.“