Leseprobe Flammendes Herz der Highlands

Prolog

Das Jahr des Herrn – 1497

„Sie ist immer noch das Ebenbild ihrer Mutter.“

Mit rot unterlaufenen Augen starrte Arthur MacGowan Flanna an, und sie starrte zurück. Sie war erstaunt über die Veränderungen, die vier Jahre in diesen Mann gegraben hatten. Einst hatte sie ihn für unbesiegbar gehalten. Sein Gesicht war geisterhaft weiß. Sein Atem rasselte rau und laut in dem dunklen Zimmer.

„Hattest du gehofft, dass ihr ein roter Bart wachsen würde, wie dir?“, fragte Troy Hamilton.

„Mach dich nicht über mich lustig! Ich bin immer noch der Laird hier!“, schrie der alte Mann. Aber seine Stimme war schwach, und die Faust, die er als Symbol seiner Stärke hob, zitterte vor Schwäche. „Aye.“ Er nickte knapp und ließ den Arm wieder auf die samtene Bettdecke sinken. „Ich bin immer noch der Laird hier, und ich liege im Sterben.“

Zum ersten Mal seit langer Zeit spürte Flanna, wie ihre Hände zitterten. Sie verschränkte sie noch fester ineinander, als Erinnerungen über sie hereinbrachen. Erinnerungen an ein kleines Mädchen, das einen zerbrochenen Spiegel festhielt und weinte. Aber jetzt würde sie nicht weinen. Dieses Mal nicht.

„Das Ebenbild ihrer Mutter oder nicht, sie ist deine Tochter“, sagte Troy. „So wie die Eichel von der Eiche kommt. Sie ist deine Tochter. Und dein Herz weiß es.“

„Mein Herz!“ Der alte Mann lachte, aber das Geräusch wurde zu einem Husten. Im Licht der einzelnen Talglampe konnte Flanna sehen, dass die Spucke in seinem Mundwinkel mit Blut durchsetzt war. „Mein Herz hat mich verraten, wie alle, denen ich vertraut habe.“

„Du bist es, der den Verrat begangen hat, MacGowan. Erst die Mutter und dann …“

„Wagst du es, mich zu kritisieren …“, schrie der alte Laird, aber ein Hustenanfall stoppte seinen Wortschwall. Er presste die Augenlider fest zusammen, griff sich kurz an seine Brust und lag still da. „Aye, du wagst es“, flüsterte er schließlich. „Kaum ein anderer hat sich getraut, mich zu kritisieren. Und obwohl wir nur entfernt verwandt sind, waren wir wie Brüder. Aber all das liegt jetzt hinter uns, Troy. Es ist alles Vergangenheit.“ Sein Kopf drehte sich auf dem Kissen schwach von einer Seite auf die andere, und als er die Augen wieder öffnete, glänzten sie von nicht geweinten Tränen. „Ich wünschte, ich könnte in die vergangenen Zeiten zurückkehren und von Neuem beginnen. Vielleicht könnte ich meine Fehler wiedergutmachen. Vielleicht könnte ich die Liebe meiner Lady gewinnen.“

„Sie hat mich geliebt“, murmelte Troy. „Aber sie hat deine Eifersucht nicht überlebt.“

Die blutunterlaufenen Augen schlossen sich. „Was ist mit ihrem Kind?“

Troy schwieg für einen Moment, dann sagte er in einem Ton, so düster wie der Raum: „Er ist auch tot, wie du genau weißt. Er liegt in Bastia begraben, neben seiner Mutter.“

„Ein schottischer Junge in fremder Erde begraben“, murmelte Arthur. „Wie alt wäre er jetzt?“

„Seit dem Tod der beiden sind zwölf Jahre vergangen.“

Der alte Mann öffnete seine Augen. Sogar jetzt konnte Flanna eine Spur des alten Zorns darin sehen. Sogar jetzt konnte sie sich an ihr Schluchzen erinnern, als sie gegen den Deckel der Truhe schlug, in der sie gefangen war, während man sie nach Frankreich schickte. Sie hatte darum gebettelt, herausgelassen zu werden, gefleht zu erfahren, was sie falsch gemacht hatte. Sie hatte geschworen, brav zu sein, die perfekte Tochter zu sein, wenn er sie nur nicht fortschickte, wenn er sie nur wieder liebhaben würde.

„Du hast die Jahre gezählt?“, fragte MacGowan, seine Stimme klang überrascht.

„Du tust ihr immer noch Unrecht“, keuchte Troy. „Bald wirst du ihr wieder ins Gesicht sehen und doch ziehst du ihren Namen durch den Dreck.“

„Guter Gott!“ Der alte Mann vergrub sein Gesicht im Kissen. „Ich konnte an keine andere Frau denken, auch wenn ich in den Armen einer anderen lag. Warum ist sie nicht gealtert? Was für einen Pakt hat sie mit dem Teufel geschlossen, dass sie die Blicke der Männer so anzog, dass alle sie wollten? Sogar du, mein treuer Freund …“ Er hielt wieder inne, griff mit seinen knochigen Händen nach der Decke und kämpfte um jeden Atemzug.

„Habe ich das Mädchen nach all den Jahren wieder aus Frankreich geholt, um mir deine Beschuldigungen anzuhören, alter Mann?“, fragte Troy.

„Ich sterbe“, krächzte MacGowan. „Meine Leute brauchen einen Anführer. Du weißt genau, warum ich dich herrufen ließ.“

„Ich werde nicht heiraten“, sagte Flanna. Ihre Stimme war angespannt, als sie plötzlich die Stille brach. Sie hatte nicht geglaubt, dass sie die Kraft haben würde, diese Worte trotz ihrer Angst auszusprechen. Aber plötzlich war es ihr, als wäre sie nicht sie selbst. Stattdessen stand sie außerhalb des Geschehens, beobachtete die aufrechte, große Gestalt neben dem Bett, hörte die eiserne Standhaftigkeit in ihrer Stimme, und wunderte sich über die Frau, die gar nicht so war wie das verängstigte Mädchen, als das sie sich einmal gekannt hatte. „Wer auch immer er ist, ich werde den Mann, den du ausgewählt hast, nicht heiraten. Nicht einmal, um dem Clan der MacGowans einen Anführer zu geben.“

Für einen Moment herrschte Stille im Raum, als der alte Mann seinen Blick auf sie richtete. „Also Troy, du hast ihr nicht gesagt, warum ich sie rufen ließ.“

„Es gibt Dinge, die sie von ihrem Vater hören muss und von niemandem sonst“, sagte Troy.

Der alte Mann nickte und bedeutete ihr, näher zu kommen. Seltsamerweise – törichterweise, dachte Flanna – gehorchte sie.

„Willst du dich meinen Wünschen erneut widersetzen?“, fragte er.

Flanna antwortete nicht. Tatsächlich fürchtete sie, dass sie nicht antworten könnte, die Panik hatte sie wieder in ihrem klammen Griff. Aber sie kämpfte sie nieder und schaffte es, ihr Kinn zu heben.

„Also hasst du mich, Mädchen.“ Das war keine Frage. „Ich habe dir die Möglichkeit geboten, glücklich zu sein. Deine Mutter sagte, dass du nicht für ein Leben im Kloster gemacht bist. Sie bettelte mich auf ihren Knien an“, murmelte er, als ob er sie auch jetzt sehen könnte. „Also habe ich eine Heirat für dich arrangiert. Es wäre eine gute Verbindung gewesen, aber du hast dich geweigert. Warum?“

Flanna antwortete nicht. Vor langer Zeit hatte sie sich geschämt und hatte ihm deshalb keinen Grund geben wollen. Vielleicht ließ ihr Stolz sie nun schweigen, oder es war das Wissen darüber, dass ihre Antwort wenig bedeuten würde.

„Warum?“, forderte Arthur wieder, aber dann knirschte er mit seinen gelben Zähnen und fluchte. „Du brauchst nichts zu sagen, ich kenne die Antwort. Du wolltest die Verbindung nicht, die ich für dich ausgesucht habe, weil du schon einen Liebsten hattest. Du warst entschlossen, Schande über mich zu bringen, genauso, wie deine Mutter es getan hat. Aber dieses Angebot wirst du nicht ausschlagen!“ Plötzlich griff er nach ihrem Handgelenk. Flanna verzog das Gesicht, aber ihr Körper bewegte sich wie von selbst nach vorne und ihr Blick blieb hart und kalt auf ihren Vater gerichtet.

„Aha!“, sagte MacGowan. „Du bist also keine verweichlichte Frau. Weinst keine Tränen mehr. Das Feuer in deinen Augen hat sie verdrängt, Mädchen. Feuer!“, krächzte der alte Mann und ließ sie plötzlich los. „Und das ist gut, denn du wirst nicht länger eine Frau sein. Nay, du wirst meine Leute an meiner Stelle anführen. Du wirst die Flamme der MacGowans sein.“

Kapitel 1

Das Jahr des Herrn – 1499

Die Nacht war so schwarz wie die Sünden der Forbes. Donner grollte über den Himmel, einer unheilbringenden Warnung gleich. Nebel rollte leise heran. Aber der Hengst trug sie weiter, sein schneller Hufschlag wurde durch das feuchte Heideland gedämpft, sein blasser, gefleckter Körper war in wirbelnden Nebel gehüllt.

Ein Hügel erhob sich vor ihnen und sie rasten gen Himmel. Auf dem Gipfel des Hügels richtete Flame sich auf. Unter ihnen lag das Schloss der Forbes in den schützenden, schnellfließenden Arm des Flusses gebettet, nach dem es benannt war. Im silbernen Licht des Dreiviertelmonds gebadet, sah es aus wie eine magische Zitadelle, die ihre Wurzeln in den umgebenden Nebel schlug. Das hier war ein magischer Ort, wo perlfarbene Einhörner mit den Feen aus alten Tagen herumtollten.

„Bei allen Heiligen“, murmelte Flame. Angst mischte sich in ihrer Brust mit Bewunderung. Es war nicht zu spät umzukehren. Sie saß aufrecht, atmete flach. Vielleicht hatte Troy recht, vielleicht war es ein irrsinniges Unterfangen. Aber die Sünden der Forbes waren mannigfach und sie konnte die Rache nicht länger aufschieben.

Sie würde nicht umkehren. Sie war die Flamme der MacGowans, hatte geschworen, ihre Leute zu beschützen. Und obwohl die Forbes respektable Gegner waren, würden sie für ihren Verrat bezahlen. Sie hatte ihre Rache gründlich geplant. Flame griff mit den Fingern in Lochans Mähne und drückte ihre Fersen in die Seite des Hengstes. Ohne weitere Ermutigung sprang er über die Kuppe des Hügels und zum Schloss. Die Zugbrücke war unten. Nur das Fallgitter bot noch Schutz vor der Außenwelt, ein offensichtlicher Beweis für die ausufernde Arroganz der Forbes. Flame trieb Lochan auf das schwere Holz und hielt ihn an. Wie konnten sie das Land der MacGowans plündern, Clansmänner umbringen und sich immer noch sicher vor Vergeltung wähnen?

Wut und Angst stiegen in ihr auf. „Lasst mich ein!“ Flames Stimme klang schrill und panisch in ihren Ohren, genauso wie die Stimme des einfachen, verängstigten Mädchens, das sie zu sein vorgab.

Keine Antwort. Unter ihr wurde Lochan unruhig und schnaubte ein wenig.

„Bitte, habt Mitleid, lasst mich ein“, bettelte sie wieder. Ihre Worte waren jetzt lauter, aber ihre Stimme nicht weniger verzweifelt. „Ich komme, um Hilfe zu holen.“

Durch die geschmiedeten Eisenstangen des Fallgitters sah Flame ein Licht aufflackern. Sie hielt den Atem an und wartete, spürte, wie das getrocknete Schafsblut auf ihren Fingerknöcheln abplatzte, als sie fester nach den Zügeln griff.

Eine knorrige Gestalt trat vor, fast versteckt hinter den metallenen Rechtecken. „Wer kommt zum Tor des Clans der Forbes?“ Die barsche Stimme war über dem Rauschen des Wassers unter ihnen kaum zu verstehen.

Eine Welle der Angst ließ Flame für einen Moment schweigen. Diese Mission musste Erfolg haben, denn sie konnte ihre Leute nicht mehr mit Worten des Friedens beruhigen.

„Wer ist da, frage ich?“

„Bitte.“ Sie drängte die Unsicherheit aus ihren Gedanken und presste die Worte hervor. Ihre Lippen waren hart vom getrockneten Blut und der aufsteigenden Angst. „Ich brauche Hilfe.“

Die Wache hob eine Laterne, die spärliches Licht auf sie warf. „Wir lassen nach Sonnenuntergang nur unsere eigenen Leute durch dieses Tor“, sagte er und schaute angestrengt in die Dunkelheit. „Komm morgen früh wieder.“

„Nay, das kann ich nicht!“, rief Flame.

„Und ich kann dich nicht reinlassen, Mädchen, also geh bis zum Morgengrauen nach Hause“, befahl die Wache und drehte sich weg.

„Aber meine Schwester! Sie ist sicher tot, bevor der Tag anbricht.“

Der Mann drehte sich wieder um. „Was sagst du da?“

„Ich habe von den Wundern gehört, die Lady Fiona vollbringen kann. Bitte. Ich komme, um an ihre Güte zu appellieren.“

Die Laterne hob sich, aber sie erleuchtete nur die wollene Mütze und die schweren, tiefsitzenden Brauen der Wache. „Wie heißt du, Mädchen?“

„Cara von den McBains. Eure Verbündeten. Habt Mitleid und lasst … “

„Mit wem bist du hergekommen?“

„Ich bin alleine. Bitte. Wenn sie stirbt …“ Sie ließ die Worte erstickt verklingen, während ihr Verstand nach Rissen im Schutzpanzer ihres Plans suchte. Sie durfte nicht scheitern.

Die Laterne senke sich, dann kam die Antwort: „Ich werde dich einlassen, Mädchen, obwohl ich dir keine Hilfe anbieten kann.“

Das Knarren des sich hebenden Fallgitters vertrieb Flames Gedanken und schien ihren Tod vorherzusagen. Sie saß stocksteif da, versuchte ihre Muskeln wieder unter ihre Kontrolle zu bringen und den weitbekannten Mut der Highlander aufzubringen. Aber sie war nur ein zitterndes Mädchen, das gekommen war, um die Aufgabe eines Kriegers zu vollbringen.

Das schützende Gitter hob sich über ihren Kopf wie die eisernen Zähne eines gefräßigen Monsters. Die Sicherheit der Schatten hinter ihr lockte sie, aber Lochan zog an den Zügeln und trat unerschrocken vor.

Seine Hufe klopften auf die dicken Balken und traten dann auf feste Erde im Inneren des dunklen Hofes.

„Du sagst, deine Schwester ist krank?“, fragte der knorrige Wächter, hob seine Laterne und starrte zu ihr herauf. „Himmel!“, keuchte er. „Was ist mit dir passiert?“

„Das ist das Blut meiner Schwester“, log sie. „Ich muss die Lady dieser Burg sehen.“

Der Wächter schwieg, dann nickte er knapp, nahm seinen Blick nicht von Flames Gesicht, als er zu einem Kollegen sprach, den man nicht sehen konnte. „Finlay, bring das Mädchen zur Lady.“

„Aber … “

„Kein Aber, Mann, oder unsere Fiona wird dir die Verzögerung nicht verzeihen, Neugeborenes hin oder her.“ Er hielt kurz inne, dann sagte er: „Beeil dich jetzt. Kannst du nicht sehen, dass sie unsere Hilfe braucht?“

Es war nur eine kurze Strecke bis zur Halle und trotzdem schienen sich Lochans Hufe ewig zu bewegen. Es brauchte Flames ganzen Mut, um abzusteigen und die schützende Gegenwart des Hengstes zu verlassen.

Das riesige Tor ächzte, als Finlay es aufzog. Flames Knie zitterten, als sie den Raum betrat. An der Wand erhob sich ein Jagdhund und winselte, trat auf seine Gefährten und zog an seiner Leine. Sein Schatten zog sich in die Länge, zitterte im flackernden Licht der versteckten Talgkerzen.

„Finlay?“ Eine Männerstimme durchbrach die Stille. Flame sah sich unsicher um, ihr Blick schoss zu dem, der gesprochen hatte und der nun plötzlich aus der Dunkelheit auftauchte. „Gibt es Probleme?“

„Das Mädchen hat um Einlass gebeten“, erklärte Finlay. „Sie sagt, dass sie die Lady sehen muss.“

„Fiona? Warum?“ Der Mann kam näher und schien dabei zu wachsen. „Komm ins Licht, Mädchen!“, befahl er, aber bevor sie ihre Beine zum Gehorsam bringen konnte, sog er scharf die Luft ein und blieb stehen. „Zum Teufel, was ist mit dir passiert?“

„Mir geht es gut“, flüsterte sie, ihre Stimme war schwach. Wer war dieser Mann und warum war er hier? Sie war wegen Fiona gekommen und keinem anderen, denn die Lady war dafür bekannt, dass sie denen half, die in Not waren, auch wenn es sie selbst in Gefahr brachte.

„Gut?“ Ohne Vorwarnung griff er nach ihrem Arm und hielt ihn fest, zog sie ins wabernde Licht der Kerzen. „Was für eine Torheit ist das?“ Er verzog das Gesicht und suchte an ihrem Kopf nach der Quelle des Blutes. „Du musst versorgt werden. Komm, leg dich hin“, befahl er, aber sie befreite sich wirsch aus seinem Griff.

„Nay! Ich kann nicht bleiben.“

Er sah sie düster an. Flame schluckte ihre Angst herunter und konzentrierte sich. Wie auch immer der Mann heißen mochte, er war groß und stark und sprach mit Autorität. Aber er war gekleidet wie jeder andere Highlander, in ein einfaches, safrangelbes Hemd und ein erdfarbenes Plaid. Er war nur eine weitere Wache, versicherte sie sich selbst. Denn die Forbes-Brüder ritten immer mit ihren Kriegern. Sicher taten sie das auch heute Nacht, denn Flames Männer hatten ein Feuer gelegt, um die Forbes herauszulocken; groß genug, um noch in der Normandie gesehen zu werden. Sie hatte aus ihrem Versteck im Wald den Rauch gerochen, hatte zugesehen, wie die Forbes aus den Toren gestürmt waren. Sie hatte gewusst, dass sie in großer Zahl aufbrechen würden, denn die berüchtigte Diebesbande, die durch das Land streifte, wurde immer dreister und skrupelloser. Das beunruhigte sogar die Forbes. Sie hatte zugesehen, wie sie fortgeritten waren, hatte im Schutz der Bäume gewartet, bis der letzte Mann in der Nacht verschwunden war.

„Ich muss gehen!“, sagte sie und erinnerte sich an ihre Aufgabe, ihren umsichtig erdachten Plan. Sie sah sich um und hoffte, dass sie Fiona erblicken würde, aber die einzigen Menschen in der Halle lagen zusammengedrängt am längst erloschenen Feuer und schliefen.

„Musst gehen? Bei den Sünden des alten Gehörnten, du musst gar nichts, Mädchen, du bist schwer verletzt.“

Er griff wieder nach ihr, aber sie zuckte zurück. „Nay. Ich habe keinen einzigen Kratzer. Es ist das Blut meiner Schwester, das Ihr seht.“

Sein Blick verfinsterte sich, als er versuchte, im flackernden Licht ihre Wunden auszumachen. „Was sagst du? Erzähl mir deine Geschichte“, befahl er, spannte seinen Kiefer an und fluchte fürchterlich. „War es die Diebesbande?“

Zum ersten Mal sah Flame ihm direkt in die Augen. Die Krieger würden bald zurückkehren, und dann musste sie schon weit weg sein. „Nay.“ Ihre Stimme war leise aber gleichmäßig. „Es waren keine Diebe.“

„Was dann? Sag es mir, damit ich es Fiona ausrichten kann.“

Große Sorge lag in seiner Stimme! Flame verengte ihre Augen, versuchte zu erkennen, was er dachte, aber dafür blieb keine Zeit. „Meine Schwester und ich suchten im Wald nach etwas Essbarem. Wir hatten Hunger. Es gibt nur wenig …“ Sie presste ein Schluchzen aus ihrer Kehle und schloss für einen Moment dramatisch die Augen. „Es gibt nur wenig seit unsere Eltern gestorben sind. Jetzt sind meine Schwester und ich alleine, und ich … und ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn sie … Bitte!“, sagte sie und griff mit ihren blutigen Händen nach seinem hellen Hemd. „Bitte, lasst sie nicht sterben.“

„Schon gut, Mädchen, beruhig dich.“ Zu ihrer Überraschung schob er ihre dreckigen Finger nicht fort, sondern hielt sie an der Schulter fest. „Mach dir keine Sorgen. Wenn etwas getan werden kann, werden wir es tun. Aber du musst dich ausruhen und mir die ganze Geschichte erzählen. Was ist mit deiner Schwester geschehen?“

Flame hob den Blick zu dem ernsten Gesicht vor ihr. Seins war ein wohlgeformtes Antlitz, schlank und schön mit schweren Wimpern über tiefen, weit auseinanderstehenden Augen. Sein Haar hatte die Farbe von Gerste und hing in dichten Locken bis zu seinen Schultern herab. Aber diese Beobachtungen gaben ihr keinen Hinweis auf seine Identität. „Wir haben gejagt“, flüsterte sie, hielt seinem Blick mit ihrem stand und spürte, wie ihr Körper in seinen Händen zitterte. „Wir hörten ein Geräusch. Ich wollte weglaufen. Aber meine Schwester ist so mutig. Und wir waren so hungrig. Sie dachte, dass es ein Hase oder etwas anderes Ungefährliches wäre. Etwas, das wir fangen und kochen könnten. Aber …“ Mit einem Schluchzen zog sie die Hände von seinem Hemd und verbarg ihr Gesicht in ihnen. „Wir wussten nicht, dass es ein Eber war. Guter Gott! Wir wussten es nicht.“ Sie hob wieder den Blick. Tränen quollen aus ihren Augen. „Ich werde Euch bezahlen, egal wie“, schwor sie atemlos und legte eine Hand auf seine. „Bitte, wenn Ihr nur Mitleid habt mit mir, me Laird, und …“

„Pst, Mädchen. Ich werde tun, was ich kann, obwohl ich nicht der Laird bin.“

„Nay?“ Sie blinzelte schnell, ihr Blick war von Tränen verhüllt. Man sagte, dass Laird Forbes Haar so schwarz war wie die Federn eines Raben, wohingegen dieser Mann mit Gold gekrönt war. Sie musste herausfinden, wer er war. Sie musste sich sicher sein, dass er keine wichtige Rolle spielte. „Aber … sicher seid Ihr von edlem Blut, denn Ihr seid so stark und …“ Sie sah den Ansatz eines Lächelns auf seinen Lippen als Antwort auf ihre schmeichelnden Worte.

„Ich fürchte, ich bin nur ein gewöhnlicher, ungezähmter Schotte, Mädchen“, sagte er sanft. „Dickköpfig, mit einem weichen Herz.“ Sie konnte das Lächeln nun in seiner Stimme hören, obwohl sie den Blick senkte und sich weigerte, die Augen zu heben.

„Trotzdem werde ich tun, was ich kann. Finlay, ich werde die Schwester des Mädchens herholen. Sag … “

„Hierher?“ Flame wich erschrocken zurück, ihr Blick flog zu seinem. „Nay. Das könnt Ihr nicht!“

Sein scharfer Blick durchbohrte sie. „Warum nicht?“

„Sicher ist die Reise zu gefährlich für meine Schwester!“ Heiliger Himmel! Sie musste diesen Mann davon abhalten mitzukommen, denn sie wollte nicht für seinen Tod verantwortlich sein. „Sie … sie ist schwer verletzt. Ich habe es geschafft, sie zu einem eingefallenen Stall zu bringen. Dort habe ich ein Feuer gemacht, aber im Licht konnte ich sehen … konnte ich ihre Wunden sehen.“ Ihre Stimme brach und wurde zu einem Schluchzen. „Sie kann nicht mit uns kommen.“

„Schon gut, Mädchen. Ich habe schon viele Verletzte getragen. Sogar Lady Fiona kann dir versichern, dass ich geübt darin bin. Alles wird gut werden.“

„Nay!“, sagte Flame noch einmal. „Die Lady muss mitkommen. Ihr müsst sie überzeugen, dass Eile geboten ist“, sagte sie.

Er schüttelte den Kopf. „Fiona kann Glen Creag nicht verlassen, Mädchen, denn sie liegt noch im Wochenbett. Ich bin hier, um sicherzustellen, dass sie sich nicht auf einer ihrer wohltätigen Unternehmungen überanstrengt. Sie ist bekannt dafür. Obwohl ich nicht gerade glücklich darüber bin, dass ich wegen so einer kleinen Verletzung wie meiner zurückgelassen wurde.“

„Sie liegt im … Wochenbett?“

„Mit ihrem zweiten Kind“, war die Antwort. „Gerade geboren. Sie kann nicht gehen. Aber ich verspreche dir, dass ich deine Schwester mit größter Eile herbringen werde.“

„Ein Neugeborenes?“, fragte Flame. Ihr Plan zerfiel vor ihren Augen und ließ sie schwankend zurück. „Aber …“

„Ich sehe deine Sorge, Mädchen“, sagte ihr Gegenüber. Er nahm ihre Hand sanft in seine. „Aber ich versichere dir, Fiona Rose muss warten, bis wir wieder hier sind, denn wenn der Frau meines Bruders etwas passieren solle, würde Leith meine Haut als Mantel tragen und meine Zähne als Amulett.“

Die Welt kam knarrend zum Stillstand. Die Luft war in Flames Lungen gefangen. Sie spürte, wie das Blut ihr Gesicht verließ. „Laird Leith ist Ihr … Bruder?“, flüsterte sie.

„Aye.“ Kleine Fältchen erschienen wieder in seinen Augenwinkeln. „Das ist er, Mädchen, und obwohl er unter Fionas Händen wie ein kleines Kätzchen schnurrt, sind wir Forbes nicht immer so sanft, wie wir erscheinen.“

Nicht so sanft! „Dann seid Ihr …“, setzte sie an, aber ihre Stimme versagte nun völlig.

„Roderic Forbes, Mädchen. Und du?“

Zur Hölle! Er war Roderic Forbes, einer der Männer, denen sie geschworen hatte, dass er für die Entführung ihrer Lady büßen würde. Sie war sich so sicher gewesen, dass er mit den anderen Kriegern reiten würde … und dass Fiona sie begleiten würde. „Ich … muss wieder zu meiner Schwester“, murmelte sie und versuchte sich aus seinem Griff zu befreien.

Er hielt sie immer noch fest, sein Ausdruck war ernst. „Aye. Wir werden zusammen reiten. Finlay … “

Flame griff ohne nachzudenken wieder nach seinem voluminösen Ärmel. „Bitte. Ich möchte euch nicht weiter belästigen, und ich habe von der Güte der Lady gehört. Sicherlich …“

„Das Kind braucht sie, Mädchen.“

„Aber sicher kann sich eine andere um den Säugling kümmern.“

„Nay. Die Lady kümmert sich selbst um ihren Nachwuchs und wird ihn nicht zurücklassen.“

Flame schwieg, beobachtete den Mann vor ihr. Sie war keine kleine Frau, aber er war viel größer. Für einen schamvollen Moment verließ sie der Mut. Dann erinnerte sie sich an seinen Verrat. Die Forbes hatten geschworen, ihre Verbündeten zu sein, aber stattdessen hatten sie ihre Herden überfallen und ihre Leute gequält. Die Wunden der Tiertreiber waren fürchterlich genug gewesen. Simons Tod hatte ihren Willen gestählt. Nur der Teufel selbst würde einen Boten des Friedens erschlagen. Für einen Moment erinnerte sich Flame an Simons raues Lachen, ein Lachen, das von den Trauerklagen seiner Witwe abgelöst worden war.

„Dann müsst Ihr mitkommen“, flüsterte sie.

„Aye. Das werde ich“, sagte Roderic. Er schaute ihr eine Weile direkt in die Augen, bevor er den Blick zu dem Mann hinter ihr hob. „Geh auf deinen Posten zurück, Finlay. Wir können das Tor nicht vernachlässigen, wenn meine Brüder nicht hier sind.“

„Roddy? Gibt es Schwierigkeiten?“, ein etwa zwölfjähriger Junge mit schläfrigen Augen und flammend rotem Haarschopf kam auf leisen Sohlen heran. Er blieb neben Roderic stehen und sah ihn an.

„Aye, Roman. Die Schwester des Mädchens braucht Fionas heilende Hilfe. Ich will gehen und sie …“

Aber der Junge eilte schon zur Tür, ein Schäferhund folgte ihm. „Ich werde Mor holen.“

Roderic nickte. „Und mach ein Pferd für das Mädchen bereit.“

Die Tür schloss sich wieder hinter Finlay und Roman, aber Flame bemerkte es kaum, denn ihre Aufmerksamkeit war nun von Roderics Worten gefangen. Sie würde Lochan Gorm nicht zurücklassen, denn der Hengst war ihr Freund und ihr wertvollster Besitz. „Ich habe mein eigenes Pferd, me Laird.“

„Habe ich dir nicht gesagt, dass ich kein Laird bin?“, fragte Roderic.

„Ich …“ Er stand so nah bei ihr. Die Zeit verstrich. „Ich habe mein eigenes Pferd“, wiederholte sie unruhig.

„Aye, Mädchen, aber dein Tier wird erschöpft sein. Ein frisches Reittier wird die Reise beschleunigen.“

„Nay! Würde es nicht!“

Er legte den Kopf leicht schief und beobachtete sie. „Vielleicht ist dein Tier aus Eisen gemacht?“

Sie hatte zu hochmütig und zu gebildet geklungen. „Nay“, sagte sie nun sanfter. Machte er sich über sie lustig? Wut stieg in ihr auf, aber sie unterdrückte sie. „Natürlich nicht, me Laird. Er ist nur aus Fleisch und Blut, wie jedes andere Ross.“

„Dann ist die Entscheidung getroffen. Du wirst ein Pferd der Forbes reiten.“

„Aber …“

„Genug jetzt. Wie heißt du, Mädchen?“

Sie sah in seine Augen, vergaß vorübergehend zu atmen. „Cara“, sagte sie leise. „Von den McBains. Meine Schwester wartet in dem Unterstand südlich des Forbes-Lands.“ Sie schloss die Augen und flüsterte: „Wenn sie noch lebt.“

Flame konnte seinen warmen Blick auf sich spüren. „Komm“, sagte er abrupt und führte sie zu dem Tisch, an dem er gesessen hatte, hob einen Zinnkelch und drückte ihn ihr in die Hand. „Trink. Nay“, sagte er, um ihrer Ablehnung zuvorzukommen. „Sträub dich nicht, denn deine Schwester wartet und du brauchst Kraft für den Ritt auf einem Forbes-Ross.“ Seine Augen schienen zu lächeln, und obwohl sie sich nicht die Zeit nahm, seine Laune zu entschlüsseln, hörte sie den Stolz in seiner Stimme. „Wir haben wirklich große Pferde in Glen Creag. Und heute Nacht musst du wie ein erfahrener Krieger reiten.“

Sie hielt seinem Blick mit ihrem stand und nahm den warmen Becher aus seiner Hand. Sie hob ihn schnell und leerte das berauschende Getränk in einem langen Zug.

„Seid Ihr jetzt bereit loszureiten?“, fragte sie und reichte ihm den Kelch.

Roderic blickte vom Becher zu ihrem Gesicht. „Trinken kannst du schon wie ein erfahrener Krieger.“ Er hob seine hellen Brauen vor Verwunderung.

„Seid Ihr bereit?“, wiederholte sie.

„Aye. Wenn du laufen kannst, Mädchen, bin ich bereit.“

Sie drehte sich um und schritt zur Tür. Roderic stellte scheppernd den leeren Kelch auf den Tisch und eilte ihr nach.

Die Luft draußen fühlte sich schwer und feucht an, war voller Erwartungen. Lochan wieherte und tauchte aus der Dunkelheit auf, ein blasser Schatten in der Nacht.

Hinter ihr räusperte sich Roderic. „Das ist also dein … Ross?“

Flame legte eine Hand auf die Mähne des Tiers, das sie absichtlich mit Schlamm eingerieben hatte und ließ ihre Gefühle in die einfache Berührung strömen. Lochan warf den Kopf zurück. „Ja. Er gehört mir.“

„Nun ja …“, sagte Roderic zögernd. „Ich bin mir sicher, dass er sich gut reiten lässt, Mädchen, aber da ist Roman schon mit unseren Rössern. Dein Tier wird gut versorgt werden, bis wir zurückkommen.“

„Nein.“ Sie sprach leise und drehte sich zu ihm um. „Ich werde mein Tier reiten. Ich danke Euch, für Eure Großzügigkeit, aber ich bin nur eine einfache Maid, me Laird, und …“ Der Junge brachte zwei riesige Pferde in der Nähe zum Stehen. Sie scharrten unruhig mit ihren mächtigen Hufen, legten ihre Ohren an und drehten ihre weiß geränderten Augen zu Lochan. Der kleinere Hengst grollte eine leise Herausforderung und tänzelte zur Seite, so weit, wie seine Zügel es zuließen.

Flame zog ihn näher. „Ich bin nur eine einfache Maid“, wiederholte sie, „und kann sicher nicht so ein mächtiges Tier lenken, wie Ihr es mir anbietet.“

„Hab keine Angst, Mädchen. Ich werde dafür sorgen, dass dir nichts …“, setzte Roderic an, aber bevor er sein Versprechen beenden konnte, hatte Flame sich schon auf Lochans nackten Rücken geschwungen.

„Meine Schwester“, erinnerte sie ihn atemlos. „Sie kann nicht warten. Und Lochan kennt den Weg, sogar in düsterster Nacht.“

„Nun gut, Mädchen. Du sagst, deine Schwester wartet an unserer südlichen Grenze?“

„Aye.“

„Dann sollten wir sie kurz vor dem Morgengrauen erreichen“, sagte er und wandte sich an den Jungen. „Der Rückweg wird länger dauern, aber halte drei Stunden nach Sonnenaufgang nach uns Ausschau.“

„Kann ich nicht mitkommen, Roddy?“

„Ich wünschte, du könntest, Junge. Denn ich würde mich mit dir an meiner Seite sicherer fühlen. Aber wir können heute Nacht nicht einen Mann entbehren.“ Roderics Zähne glänzten in der Dunkelheit, als er sprach, und der Rücken des Jungen schien sich bei den Worten vor Stolz zu strecken. „Ich lege die Sicherheit aller hier in deine Hände, bis ich zurückkomme, denn ich weiß, dass du die Arbeit eines Mannes leisten kannst.“

Roman nickte ernst, dann löste er ein Schwert von seiner Hüfte und reichte es schnell dem anderen. „Ich habe Neart mitgebracht, denn du kannst nicht unbewaffnet losreiten, wenn sich Diebe herumtreiben.“

Roderic griff nach der langen Klinge, band sie sich um seine schlanke Taille. Flames Herz schien in ihrer Brust stillzustehen. Sie hatte gehofft, die Lady der Forbes mitzubringen und nicht einen bewaffneten Krieger, aber sie konnte nun nicht mehr zurück.

„Du bist ein Segen, Junge“, sagte er. „Bring Skene zurück und stell sicher, dass Fiona bereit ist, wenn wir zurückkommen.“

Der Junge nickte, als Roderick auf den wartenden Hengst stieg.

Es war nur eine kurze Strecke bis zum Haupteingang des Schlosses. Auf Roderics Befehl wurde das Fallgitter hochgezogen und die Pferde trabten über die hölzerne Brücke. Der Hufschlag des großen Hengsts war gleichmäßig und schwer, Lochans war schnell und leicht.

Mit einem einzelnen Abschiedswort senkte sich das eiserne Gitter wieder. Die Nacht breitete sich vor ihnen aus, hieß Flame mit dunklen, ausgestreckten Armen willkommen. Lochan setzte eigenständig zum Galopp an, schluckte die Meilen mit seinen langen, ausholenden Schritten. Über ihnen fand der Mond eine Öffnung in den zerfetzten Wolken und warf ein silbernes Licht auf den gewundenen Pfad.

Gebeugte, nebelschwere Farngewächse griffen nach Lochans Hufen, aber er flog durch sie hindurch. Er kannte das Ziel und würde sie nicht im Stich lassen. Flame legte ihre Hand auf seinen Hals und spürte seine Kraft. Auf dem Gipfel eines Hügels blickte sie nach unten. Das Tal unter ihnen lag in Schatten und Nebelschwaden. Flame lockerte die Zügel, ließ Lochan entscheiden, welchen Weg er durch das Nebelmeer nahm, wo verdeckt und still die zerfallenen Überreste eines Stalls lagen.

Nebel wallte um ihre Beine wie eine aufsteigende Flut.

Alles würde gut werden. Flame verlangsamte bewusst ihren Atem, versuchte ihre angespannten Muskeln zu lockern, aber Sorge und Angst hielten sie fest im Griff. Alles würde gut werden, versicherte sie sich wieder. Es gab niemanden, der sie aufhalten würde. Es war nur noch ein kleines Stück. Einhundert Schritte oder so und …

Aus dem Nichts kam ein dunkler Arm aus dem Schatten. Flame kreischte auf und zuckte zur Seite. Lochan drehte sich wild um und warf sie fast ab. Aber der Arm zog sich wie von selbst zurück und stieg mit den ausgebreiteten Flügeln einer jagenden Eule auf. Es war ein schlechtes Omen. Flame richtete sich auf Lochans Rücken auf, war nicht in der Lage zu atmen. Jemand würde heute Nacht sterben.

„Mädchen!“ Roderic war sofort an ihrer Seite, griff nach Lochans Zügeln und brachte ihn zum Stehen. Flame blieb regungslos, starrte durch den Nebel auf ihr Ziel.

„Es war nur eine Eule“, versicherte er ihr. „Bist du verletzt?“

Sie schluckte trocken. „Nay. Es geht mir gut.“

„Du zitterst.“ Seine Hand glitt von den Zügeln zu ihrem Arm. Durch den klammen Wollärmel fühlten sich seine Finger warm und stark an. Für einen Moment wurde sie schwach. „Komm. Du kannst mit mir reiten.“

„Nay“, hauchte sie.

„Ich werde dir nicht wehtun.“

„Nay“, sagte sie noch einmal und senkte den Blick. „Es ist nicht mehr weit bis zu meiner Schwester und …“ Sie wandte den Blick auf Lochans Mähne und erzitterte.

„Schon gut, Mädchen.“ Roderic richtete sich auf, ließ seine Hand aber noch einen Moment auf ihrem Arm, um sie zu stützen. „Hab keine Angst! Ich glaube, ich sehe ein Licht. Deine Schwester, ist sie dort?“, fragte er und blickte durch den Nebel. „Da vorne?“

Flame nickte, konnte ihre Stimme nicht finden, aber sie zwang sich, an den Grund für ihre Rache zu denken.

„Du musst dich nicht mehr selbst quälen, Mädchen. Ich werde alleine hingehen und sie holen. Du musst ihre Wunden nicht mehr sehen, bis Lady Fiona sie versorgt hat.“

Gegen ihren Willen fand Flame seine Augen in der Dunkelheit. Sie lagen im Schatten und waren so tief. Sie schnappte nach Luft. Ihre Lippen öffneten sich. Sie hatte nicht geglaubt, Güte in diesem Mann zu finden. Sie hatte es nicht gewollt. Die Wahrheit drohte von ihren Lippen zu sprudeln, aber der Schmerz ihrer Leute hielt ihre Worte zurück. Sie nickte langsam.

Die Wärme seiner Hand verschwand. Dann war auch er verschwunden, verschlungen von der Dunkelheit und dem rollenden Nebel.

Flame saß regungslos da, jeder ihrer Muskeln war gespannt. Unter ihr bäumte sich Lochan halb auf und zog an den Zügeln. Sie ließ ihn ein paar Schritte nach vorne tun.

Der zerfallene Umriss aus Holz und Steinen tauchte aus den erdnahen Wolken auf. Roderics Pferd stand einsam mit leerem Sattel herum.

Flame rutschte von Lochans Rücken und eilte zu dem verlassenen Stall. Der Türdurchgang war ein goldenes Rechteck aus Licht in der Dunkelheit. Sie eilte weiter und blieb stehen. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen.

Das Feuer brannte schwach. Sieben ihrer Männer standen im Ring der Steine. Einer lehnte an der Wand und hielt sich den Arm.

„Lobet die Heiligen“, grollte Troy. „Wir hörten dich schreien und sorgten uns um deine Sicherheit.“

Flame versuchte zu sprechen, aber ihre Kehle war zugeschnürt, ihre Aufmerksamkeit zu sehr von Roderic Forbes gefangen.

Er stand ganz still. Seine Arme waren auf seinen Rücken gepresst. Troys Gestalt war neben ihm, die falkengleichen Augen sichtbar über dem Kopf seines Gefangenen. Er fesselte Roderics Hände.

Flame sah zu, fand keine Worte. Ein kleines Rinnsal aus Blut lief über Forbes Stirn. Sein Schwert lag in Gilberts Hand, einem der Krieger, die ihn im Halbkreis umringten.

„Ich frage mich …“, setzte Roderic an. Seine Stimme war leise, aber sein Blick war hart und kalt im flackernden Licht des Feuers. „… welches dieser schönen Mädchen ist deine Schwester?“

Kapitel 2

„Ich zeige dir gleich ein schönes Mädchen, du Teufel!“, fauchte Bull und trat vor. Sein Gesicht war rot und sein Körper, der so breit und bullig war wie das Tier, dem er seinen Namen verdankte, steif vor Wut. Er hob sein tödliches Schwert. „Meine Waffe wird dir einen Kuss geben, den du so bald nicht vergessen wirst.“

„Stopp!“, befahl Flame. Obwohl ihre Knie sich schwach anfühlten, war ihre Stimme scharf und gleichmäßig, als sie nun vortrat. „Es wird heute kein Blutvergießen geben.“

„Kein Blutvergießen?“, schnaubte Bull. „Das hättest du Forbes sagen sollen, bevor er Shaw verletzt hat.“

„Shaw!“, hauchte Flame. Nun wurde ihr klar, warum der treue Krieger so still gewesen war und immer noch an der Wand lehnte. Sie drehte sich schnell um. „Bist du schwer verletzt?“

„Nay. Nay, me Lady.“ Shaw war ein junger Mann, schweigsam und mutig. Er hielt seinen blutigen Arm fest und sah blass aus. Aber er richtete sich auf. „Es geht mir gut.“

„Er ist schwer verletzt!“, sagte Nevin. Sein Rücken war aufrecht, aber er sah blass aus, als er sich von der Wunde des anderen abwandte.

„Was hast du dir dabei gedacht?“, fragte Bull Flame und hielt immer noch sein Breitschwert bereit. „Du solltest die Lady der Forbes entführen. So hatten wir es ausgemacht.“

Sie war dabei, die Kontrolle an die Männer zu verlieren. Flame stand sehr still, schätzte die Stimmung ihrer Männer ein, überlegte, was als Nächstes zu tun war. Zweifel beschlich sie, aber seit achtzehn Monaten war sie nun die Anführerin, hatte mit schmerzhaft kleinen Schritten das Vertrauen der Männer gewonnen und ihre Loyalität. Sie konnte nun nicht zurück, denn die MacGowans hatten kein Mitgefühl mit Feiglingen und Idioten.

Wir waren uns einig!“ Flame hob ihr Kinn. Wenn sie jetzt nachgab, wäre alles verloren. Ihr Clan würde sich spalten und die Forbes würden ihre Leute von den zerklüfteten Weiten Schottlands fegen. „Kann es sein, dass du vergisst, mit wem du sprichst, Burke MacGowan?“, fragte sie und benutzte Bulls Geburtsnamen wie eine Ermahnung. „Vergisst du, wessen Vater hier schon der Laird war, bevor du geboren wurdest? Vergisst du, wen ihr zum Anführer gewählt habt?“

Keiner der Männer sprach.

„Hat noch jemand von euch das vergessen?“, fragte sie, hob ihre Stimme und sah jeden Krieger der Reihe nach an. „Habt ihr vergessen, dass ihr geschworen habt, euch an den Forbes zu rächen? Habt ihr vergessen, wer seine Haut riskiert hat, um ihn an euch auszuliefern?“

Bull senkte den Blick und ließ die Spitze seines Breitschwerts ins Gras zu seinen Füßen sinken. Das Feuer knisterte, spuckte lebende Funken auf sie und ihren Gefangenen. „Ich bitte um Verzeihung, me Lady.“

Flame holte tief Luft, spürte, wie ihre Hände zitterten, und verschränkte schnell die Arme vor ihrer Brust, damit niemand ihre Unsicherheit bemerkte. „Gibt es noch andere, die mein Urteilsvermögen in Frage stellen?“

„Nay“, sagten mehrere Stimmen.

„Nay, Lady“, sagte Nevin. „Ein Forbes ist so gut wie jeder andere. Obwohl es heißt, dass Fiona eine Heilerin ist und viel Gutes für unsere Leute hätte tun können, statt ihnen Wunden zuzufügen, so wie der hier.“

Flames Entschlossenheit wankte und ihr Blick eilte zu Shaws verletztem Arm. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hindurch und durchtränkte seinen Ärmel. Der Anblick drehte ihr den Magen um, noch eine Schwäche, um die sie sich kümmern musste – die sie verstecken musste.

„William.“ Sie nahm all ihr Selbstbewusstsein zusammen um ihre Stimme stark klingen zu lassen, als sie sich an den ruhigen Krieger wandte, der in ihrer Nähe stand. „Kümmere dich um Shaws Wunde. Was den Gefangenen betrifft …“

„Gefangener?“ Roderics Stimme war mit beißendem Humor gespickt. Nicht für einen Moment hatte er den Blick von ihr gewandt. „Sicher plant so ein bunter Haufen wie ihr nicht, einen Forbes lange gefangen zu halten.“

„Aye!“ Bull trat angriffslustig vor, obwohl sein Kopf kaum bis zu Roderics Schulter reichte. „Das tun wir. Bis dein Laird in voller Höhe für den Schaden aufgekommen ist, den ihr den MacGowans zugefügt habt.“

Roderic sah Bull mit arrogantem Blick an, obwohl seine Hände gefesselt waren und das Rinnsal aus Blut immer noch über seine Braue und seine linke Wange lief. „Also bist du ein MacGowan.“ Er drehte sich langsam wieder zu Flame. „Und du bist ihre … verlogene Hexe?“

„Verflucht sollst du sein!“, fluchte Shaw und sprang von der Wand auf ihn zu.

„Dafür wirst du mit deiner Zunge bezahlen!“, schwor Bull und hob seine Waffe, während die anderen sich um sie drängten.

Aber Flame riss die Doppelklinge aus Bulls Hand und schwang sie nach vorne. Sie richtete das Schwert nach oben, gegen Roderics Kehle, drückte es in seinen Unterkiefer.

„Soll ich ihn umbringen, Junge?“, fragte sie leise.

Roderics Kopf war zurückgebeugt, weg von der Klinge, aber seine Augen zeigten nichts als Verachtung.

„Soll ich ihn umbringen? Oder soll ich ihn am Leben lassen?“ Das Schwert weiter auf ihn gerichtet, ließ sie den Blick zu ihren Männern schweifen. „Soll er leben, damit wir noch größere Rache nehmen können?“, fragte sie und hob ihre Stimme. „Soll er leben, damit wir unsere Verluste wiedergutmachen können und den Forbes zeigen können, dass mit den MacGowans nicht zu spaßen ist?“

Für einen Moment dachte Flame, ihr Plan würde nicht aufgehen. Aber schließlich murmelte Shaw: „Lass ihn leben, denn er wird sich sicher bald den Tod wünschen, wenn sein Bruder das Lösegeld bezahlt hat und seiner Wut über den Verlust freien Lauf lässt.“

„Aye“, murmelte Bull widerstrebend.

„Aye“, stimmte Nevin mit leiser Stimme zu. „Es ist besser, ihre Sünden ungesühnt zu lassen, obwohl Tate seinen rechten Arm nie mehr benutzen wird. Und auch Simons Witwe und der Kleine werden Simon sehr vermissen.“

Flame knirschte mit den Zähnen. Nevins Worte streuten wie immer Salz in die offene Wunde statt sie zu lindern. Sie spürte, wie sie selbst zusammen mit ihren Männern bei der Erinnerung an den großen Verlust zornig wurde. Simon war der Sprecher der MacGowans gewesen, ein loyaler Mann, der zu jung durch die Hand der Forbes gestorben war. Mit einiger Anstrengung brachte sie ihre Wut unter Kontrolle, denn sie konnte sich dieses Gefühl jetzt nicht erlauben. „Wird ein toter Forbes Simon zurückbringe?“, fragte sie leise, als würde sie tief in ihrer Seele wirklich über die Frage nachdenken. „Wird er unsere Pferde zurückbringen und unser Vieh?“

„Nay.“ Obwohl Bulls Wangen noch immer vom Zorn gefärbt waren, erkannte er die Weisheit in ihrer Geduld. „Es wird eine langsamere Rache sein, aber sie wird dadurch nur süßer.“

Gott sei Dank gab es Bull. Das Schwert zitterte in Flames Hand, aber nicht, weil ihr Arm müde wurde. „Sind wir uns dann einig?“, fragte sie ruhig und sah jeden Mann einzeln an.

Übereinstimmendes Nicken und ein paar gemurmelte, zustimmende Worte.

„Gut. Dann gilt es, keine Zeit mehr zu verlieren. Bull …“ Sie gab ihm das Schwert mit der Klinge voran zurück. „Ich vertraue dir den Gefangenen an, damit du ihn bewachst. William, du kümmerst dich um Shaws Arm. Nevin und Gilbert, ihr haltet Wache.“ Zum ersten Mal ließ sie den Blick wieder zu dem großen Krieger schweifen, der hinter Roderic stand. „Troy, ich will dich draußen sprechen“, befahl sie, bevor sie sich schnell wegdrehte.

„Es stört dich doch nicht, wenn ich mich setze, oder?“, fragte Forbes von hinten.

Flame drehte sich zu ihm um, obwohl sie kaum noch in der Lage dazu war, denn die Müdigkeit drohte sie zu übermannen. „Bist du so schwach, dass du nicht auf den Beinen bleiben kannst, Forbes?“

Er neigte langsam den Kopf. „Vielleicht schwächt mich deine Schönheit“, schlug er ruhig vor, seine Augen waren tödlich kalt. „Oder vielleicht dein sinnloses Gerede?“

Sie wollte nichts lieber, als ihrer Wut nachzugeben. Stattdessen befahl sie: „Lasst ihn sitzen. Und macht, dass er den Mund hält.“

Sie drehte sich steif um und eilte durch die Tür. Draußen war die Luft still und schwer. Sie schloss die Augen und atmete tief ein, um ihre Nerven zu beruhigen.

„Mädchen?“ Troys Stimme war kaum mehr als ein erdiges Grollen in der Dunkelheit, als er die deckenlosen Wände des eingefallenen Stalls verließ.

„Hier“, antwortete Flame. Dann konnte sie den Schatten des alten Kriegers sehen, der sie überragte.

„Also …“ Er blieb vor ihr stehen, seine riesigen Arme in die Hüften gestemmt. „Du hast einen Forbes gefangen.“

Ihre Unsicherheit und ihre Sorge waren in betäubende Müdigkeit umgeschlagen. „Ich möchte jetzt nicht darüber reden.“

„Mädchen …“

„Nay!“ Ihre Stimme war schärfer als gewollt. „Wie lange, denkst du, werden die MacGowans eine Anführerin akzeptieren, die nicht nach Rache strebt? Wir haben die Verluste lange genug hingenommen. Ich habe gesagt, dass ich einen Forbes gefangen nehmen werde und das habe ich getan.“

Troy schüttelte den Kopf. „Es ist nicht nur irgendein Forbes, den du gefangen genommen hast, Mädchen. Es ist Roderic der Gauner.“

„Es ist mir egal, ob er ein Gauner ist oder ein Schoßhund oder der Teufel selbst!“, spuckte sie ihm ihre Antwort entgegen.

Der alte Krieger schwieg für einen Moment, dann sagte er: „Es wird dir nicht lange egal sein, Mädchen, denn er ist nicht nur Leiths Bruder, er ist einer der drei Forbes-Brüder und ein mutiger Kämpfer. Es heißt, dass keiner ihn im Kampf schlagen kann.“

Flame richtete sich auf. „Ich hätte nicht gedacht, dass du so leicht zu verängstigen bist“, sagte sie, aber Troy grunzte nur.

„Heb dir deine schlauen Worte für die Jungs auf, Flanna MacGowan, und denke immer daran, ich habe dich schon gekannt, als du noch gewickelt wurdest und nicht größer als mein Arm warst. Ich war es, der deine Tränen sah, als du im französischen Kloster warst, und der dir Lochan gebracht hat, um deine Einsamkeit zu lindern.“

Die Luft entwich aus Flames Lungen, und sie ließ ihren Blick sinken. „Was habe ich getan?“, flüsterte sie.

„Ein guter Zeitpunkt, das jetzt zu fragen, Mädchen“, grollte Troy, aber seine Wut verflog schon.

„Lady Fiona hat ein Neugeborenes“, murmelte sie, schließlich hob sie ihren Blick zu Troys stoischen Gesicht. „Ich konnte sie ihm nicht wegnehmen.“

Er schüttelte seinen Kopf. „Ich hätte nicht vergessen sollen, dass du zuerst eine Frau bist“, murmelte er.

„Was?“

„Nichts, Mädchen.“

„Was soll ich jetzt tun?“, flüsterte Flame und spürte, wie sie wieder zu zittern begann. „Es war nicht geplant, ihn herzubringen.“

„Aber du hattest das Bedürfnis zu beweisen, dass du der bessere Mann bist?“

„Freundlichkeit hat mir wenig eingebracht“, sagte sie leise. „Verwegenheit bringt mir mehr.“

Troy zog seine Kappe aus und ließ seine Finger durch sein dichtes, graues Haar gleiten. „Es ist wahr, dass ein Highlander wenig Respekt vor Schwäche hat, Mädchen.“

„Oder Freundlichkeit.“ Sie wandte ihr Gesicht ab.

Troy zuckte mit den Schultern, beobachtete sie immer noch. „Manche denken, Freundlichkeit und Schwäche sind ein und dasselbe.“

Flame spannte ihren Kiefer an und sah wieder zu ihm. „Das denke ich auch“, sagte sie.

Troys Ausdruck war unergründlich. Er beobachtete sie lange. „Warum hast du sie den Forbes dann nicht umbringen lassen?“

„Es hätte uns nichts gebracht, außer einer Leiche.“

„Dann hat Freundlichkeit vielleicht doch einen Zweck.“

Flame versuchte etwas zu ersinnen, was Troy widerlegte. Aber sie hatte schon vor langer Zeit festgestellt, dass nur ein Narr es wagte, Troy zu widersprechen. Sie atmete langsam aus. „Was soll ich jetzt tun?“

„Die Flut ist gekommen und hat uns mit sich genommen. Wir können nichts anderes tun, als uns am Strandgut festzuhalten und zu versuchen, den Kopf über den Wellen zu halten.“

Flame knirschte mit den Zähnen. Die Müdigkeit brachte sie aus dem Gleichgewicht. „Um Himmels willen, Troy, sprich einmal nicht in Rätseln.“

„Du wolltest unbedingt einen Gefangenen nehmen und das hast du auch getan, Mädchen. Wir können nichts tun, außer den Gauner als Geisel zu halten und zu hoffen, dass ein oder zwei MacGowans unversehrt bleiben, wenn der Sturm vorbei ist.“

Flame stand bewegungslos da, versuchte ihr Zittern zu beruhigen, aber es war schon einer ihrer Männer gestorben. Der Gedanke, dass andere verletzt werden könnten, überforderte sie. War dieser kleine Vorteil für ihren Stolz und ihr Ansehen den Preis wert, den sie dafür zahlen müsste? Aber wie viele MacGowans würden erst sterben, wenn sie kein Vertrauen in ihre Fähigkeiten als Anführerin mehr hätten und ihre eigenen Wege gingen?

„Du wirst es schon schaffen, Mädchen“, sagte Troy.

Sie versuchte zu nicken, schaffte es aber nicht. „Es ist seltsam“, murmelte sie. „Aber ich wünschte mir fast, mein Vater wäre hier.“

„Ist er nicht.“

„Oder mein Bruder“, flüsterte sie.

„Gregor ist auch nicht mehr, Mädchen. Du bist die Einzige, die noch von eurem Haus übrig ist.“

Sie hob ihren Blick zu seinem. „Manche denken, dass du sie anführen solltest.“

„Ich habe meine eigenen Gründe, das abzulehnen, und du bist gewählt worden, Mädchen, im Guten wie im Schlechten.“

„Und was ist mit Nevin?“, flüsterte sie. „Der Sohn meines Onkels. Warum kann Nevin nicht herrschen?“

Troy richtete seinen scharfen Blick auf sie. „Eher wäre die Sonne ins Meer gefallen als dass dein Vater den Sohn seines Bruders als Nachfolger akzeptiert hätte.“

„Mein Vater ist tot. Und ich muss bestimmen, was am besten für die MacGowans ist.“

Troy fixierte sie mit seinem Blick. „Und du würdest Nevin wählen?“

Sie drehte sich weg. „Er ist intelligent. Und er ist seinem Stamm gegenüber loyal.“

„Aber du bist ihre Flamme.“

Sie drehte sich abrupt um, die Hände an ihrer Seite zu Fäusten geballt. „Aber ich kann nicht ewig weiterbrennen!“ Angst schwoll in ihr an – Angst, dass entdeckt werden könnte, wer sie wirklich war – ein Mädchen, das bei dem Gedanken an Gefahr erzitterte und das sich beim Anblick von Blut übergab. „Ich kann sie nicht anführen!“, sagte sie leise. „Mein Vater wusste, dass ich …“

„Dein Vater wusste nichts über dich“, unterbrach Troy sie.

Tausend heftige Gefühle brannten in Flanna. „Bin ich nicht seine Tochter?“, flüsterte sie. „Ist das der Grund, warum sich seine Liebe für mich in Hass verwandelt hat?“

„Du bist seine Tochter, Mädchen. Deine einzige Sünde war es, dass du ihn an deine Mutter erinnert hast.“

Sie ballte die Fäuste und trat einen Schritt vor. „Lügst du mich an, Troy? Lügst du uns alle an? Du warst ihr Freund, sogar am Schluss. Sie hätte dir die Wahrheit erzählt.“

Für einen Moment schwieg er. „Du bist seine Tochter, Flanna MacGowan, obwohl er dich nicht verdient hat.“

„Und das Kind, das mit ihr gestorben ist?“, fragte Flanna. „Was ist mit ihm?“

Troy drehte sich weg. „Es gibt keinen Grund, das jetzt zu besprechen, denn sie sind jetzt tot. Es macht keinen Unterschied mehr.“

Flame schloss ihre Augen. „Wenn Gregor nur gelebt hätte …“

Troy grunzte und sah sie wieder an. „Gregor war nie dafür bestimmt, zu regieren. Gregor war ein schöner, weiter Lochan auf dem die Bewunderung seines Vaters wie Sonnenschein glitzerte. Aber der Lochan fließt nirgendwo hin, Mädchen. Er steht still, während die Flamme anschwillt und wächst, wenn ein Sturm bläst.“

„Ich weiß nicht, was du mir sagen willst“, erwiderte Flame. „Ich weiß nicht, was du … “

„Aye, das weißt du, Mädchen. Du weißt genau, was ich sage, denn du hast den Verstand deines Vaters. Du hast die Fürsorge deiner Mutter und du hast deine eigene Gabe, mit den Pferden umzugehen. Gregor hatte nichts davon.“ Troy seufzte wieder. „Es ist fast zehn Jahre her, dass Gregor während eines Raubzugs ins Wasser fiel. Aye, er wäre gestorben, wenn Leith Forbes ihn nicht rausgezogen hätte. Damals wurde zwischen ihnen und uns Frieden geschlossen. Aber es war immer ein unruhiger Frieden, und manchmal denke ich, es wäre besser gewesen, wenn Forbes deinen Bruder nicht aus dem tosenden Wasser gefischt hätte.“

„Maßregel mich nicht, Mädchen“, sagte er und hob seine Hand. „Wenn Gregor früher gestorben wäre, hätte dein Vater vielleicht erkannt, was er schon die ganze Zeit hätte wissen müssen. Vielleicht hätte er dich früher nach Hause geholt.“

Flame starrte ihn schweigend an. „Ich kann meine Leute nicht führen“, sagte sie leise.

„Aye, Mädchen, du kannst.“

„Ich habe Angst.“

Troy nickte knapp. „Nur ein mutiger Krieger gesteht sich seine Angst ein.“

„Und ich bin deiner verworrenen Weisheiten müde. Todmüde“, sagte sie.

Troy lachte, warf seinen mächtigen Kopf für einen Moment zurück. „Dann werde ich schweigen und dich denken lassen.“

Flame lächelte verlegen in der Dunkelheit. „Verzeih mir, Troy. Du weißt, dass ich es nicht so gemeint habe. Meine Sorgen machen mich gehässig, denn ich fürchte, dass es mehr als mein bisschen Weisheit braucht, um die MacGowans anzuführen.“

„Aye, Mädchen“, sagte Troy. „Es wird auch die Kraft deines Willens brauchen. Aber höre meine Worte. Manchmal braucht es eine Frau, um einen Mann zu führen.“ Er drehte sich leicht und deutete hinter sich. „Und Forbes, er ist nur ein Mann, falls du das vergessen haben solltest.“

Flame holte tief Luft, sammelte ihre Kraft und starrte auf die Ruine des alten Stalls. „Du weißt, dass du mich den Wölfen vorwirfst?“

„Aye, Mädchen“, sagte Troy, legte eine breite Hand auf ihren Rücken und schob sie zur Tür. „Aber du musst immer daran denken …“, fügte er hinzu und schritt neben ihr her. „Sogar der größte Wolf fürchtet sich vor dem Feuer.“

„Troy …“ Sie hielt abrupt inne. Wieder überkam sie Unsicherheit.

„Du hast deine Sache gut gemacht da drin, Mädchen“, sagte er sanft. „Besonders der Teil mit dem Schwert hat mir gefallen.“ Er lächelte ihr zu, während er zwei Finger an seinen Hals legte. „Es wäre noch ein wenig glaubwürdiger gewesen, wenn deine Hände nicht so gezittert hätten, wie …“

„Forbes!“, schrie jemand.

Panik flackerte in Flame auf. Für einen Moment stand sie wie gelähmt da, dann wirbelte sie herum und rannte durch den steinernen Türdurchgang. Troy zog sein Schwert und donnerte ihr hinterher.

„Zurück!“, blaffte Roderic. Sein Unterarm presste sich fest an Shaws Kehle. Bei seinen Füßen lag das kleine Stück Holz, mit dem er seine Fesseln durchgebrannt hatte und qualmte noch. „Du! Bull! Leg dein Schwert hin und schieb es mir rüber. Du heißt Gilbert?“, fragte er und deutete mit dem Kopf auf den anderen. Roderics Bewegungen ließen seine noch glühenden Fesseln unter Shaws Kinn hin und herschwingen. „Versucht keine Tricks, denn ich möchte euren Freund nicht töten müssen.“

„Wenn wir ihn alle …“, setzte Bull an, aber Roderic schüttelte den Kopf.

„Sag ihnen, sie sollen sich nicht bewegen, Mädchen, oder Shaw wird keinen Atemzug mehr tun.“

Flame tat einen kurzen Schritt nach vorne, ihre ganze Aufmerksamkeit galt den beiden am Feuer. „Wenn wir jetzt gehen, wirst du ihn loslassen?“

„Aye, du hast mein … “

Das Surren eines losschnellenden Pfeils sang vom Tod. Flame schrie und warf sich zur Seite, versuchte sich dem Geschoss in den Weg zu stellen, aber gleich darauf steckte Nevins Pfeil tief in Shaws Brust.

Flame erstarrte, vom Schreck gelähmt. Sie sah, wie der gefederte Schaft in seinem Opfer zitterte. Shaws Lippen bewegten sich, aber kein Geräusch war zu hören, als er steif aus Roderics Hand glitt.

Hinter Flame eilte Nevin in den Durchgang. „Gütiger Gott!“, kreischte er, fiel auf die Knie, als er sah, was er getan hatte. „Shaw! Nein!“ Seine Stimme war ein verzweifeltes Heulen. Er ließ den Bogen fallen und senkte sein Gesicht in seine zitternden Hände, aber dann sprang er wieder auf die Beine. Er zog sein Schwert und stürzte vorwärts.

„Nay!“, schrie Flame. Sofort riss sie Troy die Klinge aus der Hand und warf sich vor Roderic. „Nay!“ Sie drehte sich um. Ihr Rücken war dem Gefangenen zugewandt. Sie stand breitbeinig da, denn sie hielt das schwere Schwert mit beiden Händen. Aber Nevin stürzte auf sie zu.

Einen Moment lang herrschte atemloses Schweigen. Dann erklang ein unmenschliches Knurren und Troy stürzte vorwärts. Er griff Nevin am Hemd, hob ihn von den Füßen und warf ihn durch die Luft wie ein Hund eine Ratte.

Der junge Mann prallte mit einem dumpfen Krachen gegen die Mauer. Sein Schwert fiel ins Gras.

„Das Mädchen sagt nay!“, grollte Troy und drehte seinen mächtigen Körper so, dass er die Frau beschützte, die vor Roderic stand. „Gibt es noch jemanden, der ihre Entscheidung anfechten möchte?“

„Er ist tot.“ Williams Stimme war leise. Er kniete neben Shaws erschlafftem Körper.

„Bei Gott!“, sagte Bull durch zusammengebissene Zähne. „Auge um Auge!“

Troy bewegte sich mit langsamer Sicherheit, um seinem neuen Gegner entgegenzutreten. „Bist du bereit, ein Auge aufzugeben, Junge?“ grollte er leise.

„Werden wir diese Tat ungesühnt lassen?“, kreischte Bull. Sein Schwert war gezogen, sein Gesicht von Wut verzerrt. Neben ihm war auch Gilbert sichtlich außer sich. „Forbes hat einen der unseren umgebracht.“

„Nay!“, sagte Flame, sie hätte am liebsten vor Trauer geweint. Sie hielt das Schwert still in ihren schmerzenden Händen und weigerte sich, den Krieger anzusehen, der mit starren Augen am Boden lag. „Das hat er nicht. Es war unsere eigene Achtlosigkeit, die Shaws Tod verursacht hat.“ Sie ließ ihren Blick auf Bull ruhen, der seine Augen zusammen mit seinem Schwert senkte.

„Ich habe nicht gesehen, dass Forbes seine Fesseln durchbrennt“, krächzte er. „Es ist meine Schuld. Ich hätte sterben sollen, nicht Shaw.“

Ein Schweigen, so schwer wie der Nebel um sie herum, hielt sie gefangen, bis Flame wieder in der Lage war zu sprechen.

„Nay, Bull“, flüsterte sie. „Keiner sollte sterben.“

Sie trat vor, steckte die Spitze von Troys Schwert in die Erde und legte eine zitternde Hand auf Bulls Arm. „Wir alle sind schuld. Wir alle tragen die Trauer in uns. Aber jetzt bleibt keine Zeit dafür. Ich weiß, dass Shaw dein Freund war. Es ist dein Recht, dafür zu sorgen, dass sein Körper sicher nach Hause gebracht wird.“

Sie holte tief Luft und drehte sich um. Das Leid, das an ihrem Herzen nagte, zeigte sich auch in den Augen der Männer, aber dieses Gefühl war eine unnötige Schwäche, die sie sich nicht leisten konnte. „Bringt die Pferde her“, befahl sie. „Und macht sie bereit für den Ritt.“

Nevin stand vom Boden auf. „Verzeiht mir, Lady. Ich hatte nicht gedacht …“ Seine Stimme brach und seine zitternden Hände griffen ins Nichts. „Ich habe nicht nachgedacht, was ich tue. Es ist meine Schuld. Ich sah, wie Forbes Shaw festhielt und ich wollte ihn nur aufhalten …!“, klagte er. „Lieber Gott! Ich wollte ihn nur davon abhalten, Shaw zu verletzen, aber ich habe schlecht gezielt.“ Er fiel wieder auf die Knie. „Und wieder verlieren wir einen Mann an die Forbes. Wie viele müssen noch ihretwegen sterben?“

Flame griff fester nach Troys Schwert. „Heute wird es keine weiteren Toten geben, Nevin. Steh auf. Wir müssen unsere Trauer hinter uns lassen. Sieh nach den Pferden.“

Er holte tief und zitternd Luft und stand langsam auf, sein Kopf war dabei weiter gebeugt. „Aye, Lady“, sagte er und folgte Shaws Körper, der vorsichtig nach draußen getragen wurde.

Flame drehte sich langsam um. „Hörst du das, Forbes?“, fragte sie.

Roderic beobachtete sie. Also war sie wirklich die Anführerin der MacGowans. Er hatte davon gehört, es sich aber nur schwer vorstellen können. Die MacGowans und die Forbes hatten, nachdem Leith und Fiona den Erben des alten Lairds vor dem Ertrinken gerettet hatten, ein vorsichtiges Abkommen getroffen. Aber seitdem hatte der junge, hitzköpfige Gregor sein Leben während eines Überfalls verloren. Der alte Laird war kurz darauf gestorben. Einige behaupteten, dass seine Trauer ihm das Herz gebrochen hatte.

„Hörst du?“, fragte Flanna MacGowan noch einmal. Sie tat einen Schritt auf ihn zu, sodass sie nun neben Troy stand. Der Krieger war in jeder Hinsicht ein gigantischer Mann mit einem kräftigen Körperbau und der stoischen Einstellung eines Wolfshunds.

„Heute wird es keine weiteren Toten geben“, sagte sie noch einmal, lauter. Der Griff ihres geliehenen Schwerts reichte fast bis zu ihrer Brust, die unter dem hochgeschlossenen Gewand aus dreckigem, dunklem Plaid versteckt war. Er fragte sich, welches Blut ihr Gesicht und ihre Kleidung verschmierte. Sicherlich nicht das ihrer Schwester, denn der Laird der MacGowans hatte keine anderen Kinder oder nahen Verwandten.

Die MacGowans hatten in den letzten Jahren viele Verluste erlitten. Krankheiten und andere Leiden hatten ebenfalls ihren Tribut gefordert. Ihre Feinde waren dabei sicher nicht hilfreich gewesen. Und nun war der Clan klein und geschwächt. Doch wer konnte schon ahnen, was diese weibliche Kriegerin erreichen würden? Roderic betrachtete sie schweigend. Sie war keine kleine Frau. Tatsächlich überragte sie einige ihrer eigenen Männer. Ihr Rücken war gerade, wie eine neu geschmiedete Lanze, und ihr Ausdruck so stark und nobel wie der eines siegreichen Königs.

„Keine Toten mehr!“, zischte sie und stach Troys Schwert wieder in die Erde, um seine Aufmerksamkeit zu erhalten.

Roderic richtete den Blick auf sie und hob frech seine Brauen. „Bietest du mir an, mich freizulassen?“

„Nay!“ Sie stach wieder in den Boden. „Ich biete dir dein Leben.“

„Aber mein Leben habe ich schon, Mädchen.“

„Und ich werde es dir nicht nehmen“, schwor sie, „wenn du versprichst, friedlich mit uns zu gehen.“

„Und den Spaß und die Ehre ausschlagen, die mir eine erfolgreiche Flucht einbringen würde? Würde ich damit nicht meine Pflichten als Schotte vernachlässigen?“

„Du wirst nicht versuchen, zu entkommen!“, bestand Flame und stach wieder zu.

Troy verzog das Gesicht. „Bitte, Mädchen“, sagte er und trat näher, um ihre Finger von dem schön gravierten Griff des Schwerts zu lösen. „Gloir war das Breitschwert meines Vaters. Und seines Vaters vor ihm.“ Er hob die Klinge und untersuchte sie im schwachen Licht. „Es hat nichts getan, um deinen Zorn zu verdienen. Vor deiner Nase hast du ein gutes Opfer, an dem du deine Wut auslassen kannst. Oder …“ Er prüfte die Schneide der Klinge mit seinem breiten Daumen und schaute Roderic dabei an. „… soll ich das für dich übernehmen?“

Roderic beobachtete den riesigen Krieger mit stetem Blick. „Dann komm, Wolfshund. Bis jetzt hat ein waffenloser Forbes noch immer einen bewaffneten MacGowan geschlagen.“

Troys Brauen hoben sich leicht. „Aber ich bin kein MacGowan, Kleiner. Ich bin ein Hamilton. Und niemand schlägt einen Hamilton. Und auch nicht die, die er beschützt.“

Roderic betrachtete den anderen Krieger für einen Moment, versuchte die Gefahr einzuschätzen, die von ihm ausging. Troy wäre ein würdiger Gegner, wenn die Zeit reif war, aber noch war es nicht so weit. Er blickte langsam zu Flanna hinüber. „Es scheint, dass ich dir meinen Dank schulde, dafür, dass du deine Hunde von meiner Kehle fernhältst“, sagte er. „Aber es ist schwer, dankbar zu sein, da du sie mir überhaupt erst auf den Hals gehetzt hast.“

Sie hob ihr Kinn leicht, sah herrschaftlich und unbesiegbar aus. „Es ist nichts im Vergleich zu dem, was ihr uns angetan habt, Forbes.“

„Bitte …“ Roderic griff nach dem Plaid an seiner Brust. „… sag mir, welche angeblichen Sünden uns Forbes angelastet werden. Und lass dir Zeit, Mädchen, denn ich habe nichts Wichtiges vor.“

„Das käme dir gerade recht, wenn ich hier stehe und dich an jedes Verbrechen der Forbes erinnere, nicht wahr?“, fragte Flame. „Aber ich hege nicht den Wunsch, noch hier zu sein, wenn dein Bruder eintrifft. Vielleicht hätte ich dich Bull überlassen sollen.“

„Es ist zu spät das zu bedauern, Mädchen“, sagte Troy. „Ich fürchte, uns bleibt nicht die Zeit, ihn umzubringen. Ich werde ihm einen Schlag verpassen, damit er ohnmächtig wird und wir ihn mitnehmen können.“

Roderic ließ seine Arme locker zur Seite sinken und spürte, wie sein Temperament geweckt wurde. Er spreizte die Beine, beugte die Knie und wartete. „Das kannst du gerne versuchen, Wolfshund.“

„Hört auf, alle beide. Forbes, wenn du nicht weißt, welche Sünden deine Leute gegen meine begangen haben, dann komm friedlich mit uns. In Dun Ard erzähle ich dir die Geschichte.“

Roderic schwieg für eine Weile, beobachtete und wägte ab. „Ich bin dafür bekannt, gerne gute Geschichten zu hören, Mädchen, egal wie haarsträubend sie sein mögen.“

„Dann wird dir diese gefallen“, sagte sie flach. „Sie erzählt von einem mächtigen Clan, der seine Verbündeten ausraubt. Und wie der ungerecht behandelte Clan Rache nimmt.“

„Tatsächlich?“ Roderic verengte die Augen zu Schlitzen. Eine freundliche Debatte war in Ordnung, aber er würde es niemandem erlauben, Lügen auf den Clan der Forbes zu spucken – nicht mal einer hübschen, feuerspeienden Kriegerin. „Und welcher Clan …“

„Entscheide dich jetzt!“, befahl Troy ungeduldig. „Kämpfen wir oder kommst du auf eigenen Beinen mit uns?“

Roderic drehte sich langsam um, sah wieder den Krieger an, der ihn überragte. „Soviel sei gesagt, großer Hund, wenn wir zwei kämpfen, wirst du derjenige sein, der hinausgetragen wird.“ Er blickte wieder zu der Frau. „Aber die Geschichte interessiert mich, und ich fürchte, dass ich alle fünf Männer töten müsste, um das Mädchen zu überzeugen, sie mir zu erzählen. Und bis dahin wäre ich wahrscheinlich ein wenig müde.“ Er hob die Brauen, als wöge er die Möglichkeiten ab. „Vielleicht sogar zu müde, um eine wohl gesponnene Geschichte schätzen zu können. Ich werde mitkommen“, entschloss er sich plötzlich. „Unter der Voraussetzung, dass du mir eine bequeme Unterkunft gibst und dich um meine Bedürfnisse kümmerst, wie es sich ziemt.“ Seine Stimme war auf irritierende Art aufreizend.

„Weißt du, Junge, ich habe mir noch nie was aus Blondschöpfen gemacht“, sagte Troy und betastete wieder seine Klinge. „Aber deiner würde sich nett machen, aufgespießt auf meiner Lanze.“

„Das werde ich tun“, sagte Flanna und blickte zur Türöffnung, wo die ersten Lichtstrahlen auf dem wabernden Nebel glitzerten. „Wenn du versprichst, keine Schwierigkeiten zu machen.“

„Schwierigkeiten?“ Roderic grinste. „Ich?“

„Ich weiß, von welcher Lanze Troy spricht“, warnte sie ihn gleichgültig. „Und ich schwöre bei allem, was heilig ist, wenn du dein Versprechen brichst, lasse ich ihn deinen Kopf damit aufspießen.“

Roderic schwieg für einen kurzen Moment, dann sagte er: „Du hast eine sehr überzeugende Art, Mädchen.“ Er trat vor und fügte hinzu: „Ich nehme deine großzügige Einladung an.“

Kapitel 3

Die Nacht wich dem blassen, besorgniserregenden Licht des Morgens. Obwohl der schwere Nebel die Reisenden für eine Weile verbarg, verließ er sie schließlich doch und Flame fühlte sich unruhig und dem vollen Licht des Tages ausgesetzt. Aber daraufhin beruhigten die gedämpften Farben des Sonnenuntergangs ihre Gedanken. Dunkelheit folgte wieder.

Sie zügelte Lochans Tempo. Obwohl er fast die doppelte Strecke gelaufen war, stach er die großen Reittiere leicht aus. Flame legte eine Hand auf seinen glatten Hals, versuchte seine Kraft, seine Sicherheit aufzunehmen. Er war seit vielen Jahren ihr Begleiter, und obwohl Troy oft gesagt hatte, dass ihre Freundschaft unheimlich sei, war es doch nur das Band zwischen einem einsamen Kind und einem armseligen Tier.

„Wir sind fast da, Mädchen“, grollte Troy und holte mit seinem großen Streitross zu ihr auf. „Sorge dich nicht.“

Flame drehte sich zu ihrem Freund um. Sie war froh über seine sie überragende Präsenz. „Warum denkst du, dass ich mich sorge?“

Troy verzog das Gesicht in Anbetracht des Weges, der vor ihnen lag. „Lochan schlägt mit dem Schweif um sich wie eine begossene Wildkatze mit dem Schwanz.“

Trotz der Umstände lachte Flame. „Wir teilen nicht jedes Gefühl“, versicherte sie ihm. „Ganz gleich, was du denkst.“

„Wenn das Tier sprechen könnte, bräuchtest du deine Stimme nicht mehr“, sagte er.

Flame sog die Luft tief ein. Sie wusste, dass Troy versuchte, sie von ihren Sorgen abzulenken. „Alles in Ordnung?“

„Aye, Mädchen“, versicherte er ihr. „Forbes macht keinen Ärger.“

„Er hat schon genug Ärger für ein ganzes Leben verursacht. Shaws Tod wird nicht so schnell vergessen werden. Aber jetzt kann er nicht mehr viel Unheil anrichten“, sagte sie. Die Reise gen Süden hatte ihr zu viel Zeit zum Nachdenken gegeben, zu viel Zeit, an die Verluste zu denken, die sie durch die Hände der Forbes erlitten hatten. „Vergiss nicht, dass seine Hände gefesselt und seine Waffen beschlagnahmt sind.“

„Unterschätze den Gauner nicht, Mädchen“, warnte Troy sie leise.

„Was meinst du damit?“

„Ich habe schon so einige Geschichten über die Taten des Jungen gehört. Ich habe sie der Phantasie eines guten Geschichtenerzählers zugeschrieben. Aber jetzt, da ich den Mann getroffen habe, frage ich mich, ob sie nicht wahr sind.“ Er drehte sich ernst zu ihr um. „Ich sage es noch einmal: Unterschätze seine Fähigkeiten nicht.“

„Das ist also mein neues Zuhause?“, fragte Roderic.

Der Mond war aufgegangen und schien auf die weißen Steine von Dun Ards quadratischem Turm. Vom Wehrgang aus hatten die Wachen einen uneingeschränkten Blick auf das umliegende Land. Das oberste Stockwerk bot im Inneren nur geringfügig weniger Aussicht und kaum mehr Komfort.

„In der Tat eine bequeme Unterkunft“, sagte Roderic und betrachtete die kahlen Wände, den Steinboden und die schmalen Fenster. „Wie du versprochen hast.“

„Ich habe solch einen herrschaftlichen Besuch wie den deinen nicht erwartet“, sagte Flame. Sie hatte seinen Sarkasmus bemerkt und weigerte sich, ihren Zorn wecken zu lassen.

„Ah, aber natürlich“, antwortete Roderic. „Du hast Lady Fiona erwartet.“ Er zuckte mit den Schultern und grinste. „Es scheint, dass dies dein Glückstag ist, denn stattdessen bin ich jetzt hier.“

Flame beobachtete ihn vorsichtig. Er war ein gutaussehender Mann und wortgewandt. „Du hältst sehr viel von dir, Forbes.“

„Aye. Das tue ich in der Tat, Mädchen. Aber …“ Er ließ sein Lächeln verblassen und schaute sie ernst an. „Ich wollte nur sagen, dass Leith euch nicht in Ruhe gelassen hätte, wenn ihr die Lady entführt hättet. Wahrscheinlich hätte er nicht einen MacGowan in Schottland verschont.“

Flame hob ihr Kinn. „Sie bedeutet ihm also sehr viel?“ Es klang unglaubwürdig, dass ein so hartherziger und arroganter Mann wie Leith Forbes eine einfache Frau so wertschätzte. Der Gedanke verstörte sie, genauso wie Roderics direkter Blick, aber sie hielt ihre Stimme gleichmütig. Letzte Nacht hatten die Entführung und das Lösegeld wie eine gute Idee gewirkt. Heute Morgen schienen sie der schlimmste Alptraum einer Närrin zu sein. Wenn sie doch statt dieses goldhaarigen Teufels nur Fiona mitgenommen hätte. Dann würde Shaw sicher noch leben und die Lady der Forbes hätte getan, wie ihr geheißen, statt jeden ihrer Befehle zu hinterfragen und sich über jede Entscheidung lustig zu machen.

„Aye. Sie bedeutet ihm viel.“

„Sogar mehr als das Leben seines Bruders?“, fragte Flame. Sie hatte diesen speziellen heiseren Ton bis zur Perfektion geübt, aber er schien seinen Stolz nicht verletzen zu können.

Stattdessen lachte er leise. „Ich möchte dich nicht belügen, Mädchen. Leith kennt mich gut und schätzt meinen Schwertarm. Aber wenn du die Wahrheit wissen willst, in diesem Moment hat er mein genaues Spiegelbild an seiner Seite. Wenn es Zwillinge gibt, ist einer immer entbehrlich.“

Flame kniff die Augen zusammen und suchte nach der Wahrheit in seinen Worten. Sie hatte auch Geschichten über Roderic und Colin Forbes gehört. Und da es viele Erwähnungen ihres teuflisch guten Aussehens und ihres schnellen Verstandes gab, hatte sie angenommen, dass man die Geschichten ausgeschmückt hatte. Ihre Vermutung war falsch.

„Es gibt nur eine Fiona Rose, und Leith würde eher sterben, als sie zu verlieren“, sagte Roderic. Seine Stimme war fast ehrfürchtig.

Gefühle schlugen in Flames Herz Funken. Es hätte fast Neid sein können, ein Verlangen nach etwas, das sie nie kennen würde. Aber sie würde nicht darüber nachdenken, denn sie hatte sich vor langer Zeit entschieden. „Wenn du mir etwas zu sagen hast, Forbes, sag es jetzt.“

Roderic trat zwei Schritte nach rechts und lehnte sich lässig mit der Schulter gegen die Steinwand des Turms. Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass er sich bei seinem Fluchtversuch die Handgelenke verbrannt hatte. Das Seil, das ihn jetzt fesselte, musste brennen wie das Höllenfeuer. Aber Schuldgefühle waren eine Schwäche, die sie sich nicht erlauben konnte.

„Ich sage nur, dass mein Bruder für mich kein Lösegeld zahlen wird, Mädchen“, versicherte er ihr.

Flame lächelte. „Du wirst mir nachsehen, wenn ich dem Wort eines Forbes keinen Glauben schenke?“

„Ich?“ Roderics plötzliches Lächeln überstrahlte ihres leicht, das wusste sie. „Ich werde dir das in der Tat nachsehen, Mädchen, denn ich bin sehr nett. Aber Leith …“ Er schüttelte den Kopf, ließ sein Lächeln wieder verschwinden. „Er ist nicht von der verzeihenden Sorte. Es wäre besser, wenn du mich gehen lässt, bevor du seinen Zorn weckst.“

„Aber sagtest du nicht gerade, es sei ihm egal, dass wir dich gefangen halten?“, fragte sie süß und dachte, sie hätte den Fehler in seinen Worten gefunden.

„Nay, habe ich nicht, Mädchen. Ich habe gesagt, dass er nicht bezahlen wird, um mich zurückzubekommen.“

„Schlägst du also vor, dass wir eure Sünden gegen uns einfach vergessen?“, fragte sie.

„Ähm, ja.“ Er verlagerte sein Gewicht leicht, was seine Brosche in dem Licht funkeln ließ, das durch das offene Fenster schien. Das Schmuckstück, das sein Plaid an seinem Hemd befestigte, war fast so groß wie ihre Faust. Es war schön gearbeitet, bestand aus einem Kreis aus feinem Silber, in den kleine Splitter aus Blutstein gesetzt waren, die ihr aus den Augen einer winzigen, ins Metall geritzten Wildkatze zuzwinkerten. Obwohl es ein schönes Stück war, spiegelte es nicht den wahren Reichtum des Forbes-Clans wieder. Seine bescheidene Kleidung überraschte sie. „Also kommen wir schließlich zu der lang ersehnten Geschichte, wie die schrecklichen Forbes sich gegen ihre Verbündeten, die unschuldigen MacGowans, gerichtet haben?“

„Du machst dich über mich lustig“, sagte sie.

„Aye. Das tue ich, Mädchen! Denn wir haben nichts getan, um euch zu schaden.“

Sie lachte laut. Das Geräusch klang hohl in dem hallenden Raum. „Denkst du, dass der Mord an unseren Landsleuten uns nicht verletzt hat?“

Er starrte sie mit zusammengekniffenen Augen an, die Flame an die leuchtenden Steine der Brosche erinnerten.

„Vielleicht haben die Forbes so viele Männer, dass ein einzelner unwichtig ist. Aber wir MacGowans halten jedes Leben in Ehren.“

„Zum Teufel, Frau!“, donnerte Roderic plötzlich und tat einen schnellen Schritt nach vorne.

Troy stellte sich näher an ihre Seite, aber Flame hob nur ihr Kinn.

„Ich nehme an, du streitest alles ab. Sogar die Überfälle auf unser Vieh?“, fragte sie.

„Euer Vieh?“ Roderic sah zu Troys riesiger Gestalt, bevor er seinen Blick wieder abwertend auf sie richtete. „Nun frage ich mich, Mädchen, warum sollten die Forbes die schäbigen Herden der MacGowans überfallen, wenn unsere eigenen Tiere fett und fruchtbar sind?“

Sie schnaubte. „Dann streitest du es ab?“

„Aye, das tue ich!“, sagte er, seine Stimme war hart, sein Blick starr.

„Und du bestreitest auch, dass die Forbes unsere Pferde gestohlen haben?“

„Pferde?“ Er lachte bellend und seine hellen Brauen hoben sich. „Jetzt wo du es sagst, Mädchen, erinnere ich mich an einen Gaul mit Senkrücken, der sich bis nach Glen Creag verlaufen hat. Es war ein humpelndes, einäugiges Tier, das nur noch ein paar Atemzüge in sich hatte. Es sah in der Tat dem Hengst ähnlich, den du heute geritten bist. Könnte das das wertvolle Tier gewesen sein, das ihr verloren habt?“

Ohne nachzudenken tat Flame einen schnellen Schritt nach vorne. Ihre Hand war plötzlich zur Faust geballt und ihr Körper war steif vor Wut.

„Mädchen“, warnte Troy. „Denk daran, wie wertlos ein toter Forbes ist.“

Sie hielt weniger als einen Schritt vor Roderic inne und starrte in sein Gesicht. Wie konnte er es wagen, die Tiere zu beleidigen, die er gestohlen hatte, fragte sie sich. Aber dann brachte sie ihren Zorn unter Kontrolle und ließ ihre Stimme süß klingen. „Du hast natürlich recht, Troy“, sagte sie. „Aber ich fange an, am Wert eines lebenden Forbes zu zweifeln.“

Troy lachte. „Es war eine lange und ermüdende Reise, Mädchen. Geh jetzt. Iss. Schlaf. Ich werde mich selbst um den Gefangenen kümmern, damit du dich ausruhen kannst.“

Müde! Das Wort war kaum stark genug, um ihren momentanen Zustand zu beschreiben. Noch nie in ihren einundzwanzig Lebensjahren hatte sie sich so erschöpft und ausgelaugt gefühlt.

„Danke, Troy“, sagte sie und wandte sich schließlich von Roderics schneidendem Blick ab. „Du hast recht. Ich muss mich ausruhen.“

„Aye“, sagte Roderic, seine Stimme war flach. „Aber ich befürchte, die Lady hat vergessen, dass sie mir ihr Wort gegeben hat, mir die Geschichte der Forbes und der MacGowans zu erzählen.“ Er hielt inne und blickte auffordernd in ihr Gesicht. „Oder hast du in der Hinsicht auch gelogen?“

Sie hob langsam die Augen. „Ich lüge nicht.“

„Nay?“ Er lachte wieder. „Dann sollte ich einen Priester holen, um deiner Schwester die letzte Ölung zu geben, denn sie ist mittlerweile sicherlich an der Schwelle des Todes.“

Flame nickte und gestand Roderic damit seinen verbalen Sieg zu. „Ich hätte sagen sollen, dass ich nur Schlangen und Ungeziefer belüge. Und dessen bin ich jetzt müde. Pass gut auf ihn auf, Troy“, sagte sie und drehte sich um. „Du weißt, wie schlüpfrig diese Schlangen sein können.“

Roderic wachte vom Geräusch des Türriegels auf. Das schwache Licht des Morgens drang durch die Läden. Der Schlaf war ungebeten gekommen, hatte ihm ungewollte Träume geschenkt und einen steifen Nacken.

Er setzte sich auf und starrte auf die Tür, die von schweren Lederscharnieren gehalten wurde. Er konzentrierte sich und versuchte herauszufinden, welche Art von Riegel die Tür verschloss. Aber genau in dem Moment betrat Flanna MacGowan das Zimmer und lenkte ihn ab.

Sie hatte sich gewaschen und umgezogen. Wie hätte er wissen können, dass so eine einfache Handlung so einen dramatischen Unterschied machen würde. Er stand langsam auf, mit dem Rücken zur Wand, und sah zu, wie sie hereinkam.

Ihr Haar war rot, keine tief gebrannte Farbe, sondern der Ton einer lebendigen Flamme. Es war geflochten und mit einem weißen Band um ihren Kopf gelegt. Aber es legte sich nicht gefügig. Stattdessen umrahmte es ihr Gesicht in wilden, lockigen Strähnen aus kräftigen Farben. Ihre Haut war golden, als hätte die Sonne sie geküsst und ihre Lippen waren so rot und voll wie die Beeren der Stechpalme. Aber es waren ihre Augen, die seine Aufmerksamkeit gefangen hielten. Sie waren so grün, wie getöntes Fensterglas, klar und hell und leuchtend. Ihr langer, statuenhafter Körper war in ein schönes, waldgrünes Kleid gehüllt, das in hellem Gelb bestickt war.

Sie zog ihn an wie schwarze Magie, durchbohrte ihn mit ihren Augen, lähmte ihn mit ihrer herrschaftlichen Haltung. Es hatte keinen Zweck, ihre Wirkung auf ihn zu leugnen. „Du siehst wunderschön aus“, sagte er leise. „Und du ehrst mich mit deiner Anwesenheit.“

Für einen Moment stand sie schweigend da, sah sehr jung und verletzlich aus. Aber dann lachte sie, als könnte sie seine Schmeicheleien mit Leichtigkeit ausschlagen. „Wohl kaum, Forbes. Es ist nur so, dass wir MacGowans nicht wie die Schweine leben … So wie andere, die mir einfallen“, sagte sie und besah sich seine zerknitterte Kleidung.

Roderic hob die Brauen. Die Frau war nicht leicht mit schönen Worten zu gewinnen. Er lächelte und nahm die Herausforderung gerne an. „Falls du mich meinst, Mädchen“, sagte er leise und nahm den Blick nicht von ihrem Gesicht, „würde ich deine Hilfe beim Baden gerne annehmen.“

Ihre Lippen öffneten sich überrascht. Hinter ihr grollte Troy warnend, aber sie hob die Hand und hielt ihn zurück, hatte die Fassung schnell wiedererlangt. „Und ich würde deinen Kopf gerne auf einer Servierplatte entgegennehmen“, sagte sie süßlich.

Troy lachte.

Roderic blickte den kräftigen Krieger düster an. „Mädchen, ich schätze deine Anwesenheit hier zwar sehr, aber ich muss dich bitten, dass du deinen Wolfshund bei den anderen Kötern anleinst, wenn du das nächste Mal kommst.“

„Bei allen Heiligen!“, knurrte Troy und trat einen Schritt nach vorne, aber Flame rief ihn schnell an ihre Seite zurück.

„Hast du mir nicht beigebracht, dass ein Hund nur bellt, wenn er keine Zähne mehr hat, mit denen er beißen kann“, fragte sie Troy, obwohl sie Roderic immer noch anblickte.

„Aye“, grollte der alte Krieger. „Das habe ich, Mädchen. Aber dieser hier macht auch ohne Zähne Ärger.“

„Willst du meine Zähne sehen, Wolfshund?“, fragte Roderic. Er war von Natur aus geduldig, aber die Müdigkeit forderte ihren Tribut, und er war es nicht gewohnt, in seiner Spitzzüngigkeit von einer Frau geschlagen zu werden. Er bevorzugte es, bewundert zu werden. Er hob die Handgelenkte und sagte: „Wenn dem so ist, dann schneide meine Fesseln durch.“

„Ich schneide lieber deine Kehle durch“, kommentierte Troy.

„Das wäre die Art der MacGowans“, sagte Roderic. „Meine Kehle durchzuschneiden, ohne meine Hände zu befreien.“

„Er hegt wirklich den Wunsch zu sterben“, folgerte Troy mit gesenkten Brauen.

„Ich habe euch mein Versprechen gegeben, friedlich mitzukommen. Es ist eine Beleidigung, dass ihr mich trotzdem gefesselt habt.“

Genau in dem Moment tauchte der Mann namens Nevin im Türrahmen auf, er hielt eine Mahlzeit in der Hand, die offensichtlich für den Gefangenen bestimmt war. Roderic blickte ihn kurz an, bevor er seine Aufmerksamkeit zurück auf Flame richtete und in sanfterem Ton fortfuhr: „Ich verdiene es wohl anstandshalber zumindest mit freien Händen essen zu dürfen. Es sei denn, du willst mich füttern.“

Für einen Moment blickten sie sich an, und Roderic stellte bestürzt fest, dass er den Atem anhielt. Dann tauchte plötzlich ein Dolch in ihrer Hand auf. Er war lang und tödlich und mit quadratischen, blutroten Steinen geschmückt.

Roderic ließ den Atem entweichen, der in seinen Lungen gefangen war, und hob eine Braue, als sie auf ihn zukam. Er betrachtete das Messer und sagte: „Vielleicht sollten wir darüber reden, was du mit dem Ding vorhast, bevor du noch näher kommst.“

Sie kam näher. Troy hatte keine Einwände, obwohl seine Brauen buschig über seinen blassblauen Augen standen.

„Habe ich etwas gesagt, dass dich besonders beleidigt hat?“, fragte Roderic. „Das ist ein Problem, das ich öfter habe, fürchte ich. Aber ich bin nicht so töricht, mich nicht zu entschuldigen, wenn man mir erlaubt, meinen Fehler einzusehen.“ Er hob die gefesselten Hände, als wolle er sie besänftigen und behielt seinen ernsten Gesichtsausdruck. Aber es war keine leichte Aufgabe, denn er hatte sie schließlich ihrer ruhigen Selbstsicherheit beraubt, und diese Leistung fand er aufregend.

Sie hielt direkt vor ihm inne. Ihre Blicke trafen sich, und für einen Moment dachte er, sie würde den Dolch zwischen seine Rippen rammen. Aber stattdessen schnitt sie das Seil durch. Mit einem schnellen Schnitt fielen seine Fesseln zu Boden.

„Ah“, Roderic seufzte und zog die Arme auseinander. „Das ist sehr nett von dir, Mädchen. Oder …“ Er beugte sich etwas näher, um zu verhindern, dass die anderen seine Worte hören konnten. „Oder kann es sein, dass du mich losgeschnitten hast, weil du Angst hast, in der Nähe eines echten Mannes zu sein. Mich zu füttern könnte sehr … stimulierend sein.“

Sie beugte sich zu ihm und hielt seinem Blick stand. „Oder es könnte einfach“, sagte sie und schnüffelte, „eklig sein.“

Roderic öffnete seinen Mund für eine verbale Erwiderung. Aber sie hatte Recht, er stank. „Wolfshund“, sagte er und nahm die Augen nicht von ihr. „Es scheint, dass ich mich waschen muss, bevor ich esse.“

„Er ist ein großspuriger Kerl. Das muss ich ihm lassen“, sagte Troy.

„Ich?“ Roderic hob den Blick zu dem übergroßen Krieger. „Du schätzt mich sicher falsch ein. Ich möchte nur nicht die Lady beleidigen. Ich habe nicht darum gebeten, hergebracht zu werden. Aber ich beschwere mich nicht und verlange auch nicht, dass ihr lauwarmes Wasser hier herauftragt. Ich bin mehr als gewillt, zum Brunnen zu gehen.“

„Er tut so, als wüsste er nicht, dass unser Brunnen vergiftet wurde, sodass unsere Leute von dem Wasser krank geworden sind“, höhnte Nevin.

„Es ist nicht ratsam, das Wasser hier zu trinken“, sagte Flame, und machte sich nicht die Mühe hinzuzufügen, dass es jene gab, die glaubten, dass ein Forbes sich in ihren Hof geschlichen hatte, um den verrottenden Körper ins Wasser zu werfen. Es stimmte, dass die MacGowans einen Sündenbock suchten für all ihre Probleme. Simons Tod war der Auslöser gewesen, der ihre Wut zu wildem Zorn hatte werden lassen. Es gab nichts, was sie tun konnten, außer zurückzuschlagen.

„Vergiftet?“, fragte Roderic. „Dann muss ich zum Bach gehen.“

„Du musst uns wirklich für dämlich halten, wenn du glaubst, dass wir dir erlauben, diese Mauern zu verlassen“, sagte Nevin.

„Nay, nicht dämlich“, sagte Roderic. „Es war ein schlauer Plan, den ihr euch ausgedacht habt, als ihr mich herbrachtet. Und um meine Anerkennung für einen guten Plan zu zeigen, werde ich schwören, dass ich nicht vor Sonnenuntergang fliehen werde.

„Du bist so arrogant, dafür gibt es keine Worte“, sagte Nevin. „Zu denken, dass du so mit meiner Lady sprechen kannst, denn sie ist gut und …“

„Ruhe“, sagte Fiona und hob die Hand. „Warum sollten wir dir glauben, Forbes?“

Roderic richtete sich leicht auf und betrachtete die Stimmung im Raum. „Weil ich nicht lüge“, sagte er dann leise. „Nicht mal Schlangen oder Ungeziefer belüge ich. Aber ich werde fliehen. Ganz einfach.“ Er schnipste mit den Fingern. „Wenn du mir nicht gewisse Freiheiten erlaubst.“

„Du würdest dich schwertun, an mir vorbeizukommen, Forbes!“, sagte Bull und betrat den Raum.

Roderic blickte zu dem untersetzten Krieger. „Glaubst du?“, fragte er und lächelte. Als Junge hatte er den ernsten Leith mit seiner munteren Stimmung und seinen trockenen, kalkulierten Witzen leicht ablenken können. Jetzt ließ er seine Aufmerksamkeit wieder zur schönen Anführerin des Clans schweifen. „Was denkst du, Mädchen? Wirst du mir diese Ehre erweisen, als Zeichen deines guten Willens oder muss ich erst gehen, bevor wir die Gelegenheit haben, uns besser kennenzulernen?“

„Ein klein wenig Freiheit ist ein geringer Preis für den guten Willen des Gauners, Mädchen“, sagte Troy leise.

Flame schwieg für einen gedankenverlorenen Moment, dann nickte sie. „Gut, Forbes. Du kannst dich waschen“, sagte sie ruhig. „Aber du kannst dir sicher sein, dass ich dir dabei zusehen werde.“

Roderic schaute selbstgefällig drein. „Sei dir gewiss“, sagte er sanft, „dass ich es genau so mag.“