Leseprobe Ein Tanz mit dem Tod

Kapitel 1

London, Februar 1900

Familie, in etwa so wie ein mächtiges Dessert, genießt man am besten in kleinen Portionen. Vielleicht liebt man es sehr und möchte es in großen Mengen genießen, doch zu viel von beidem kann zu einer so ungesunden Erfahrung führen, dass man eventuell dazu veranlasst wird, es – oder sie – für immer zu meiden.

Nun. Vielleicht galt das nur für meine Familie.

Meine Mutter ist vor vier Monaten zur Hochzeit meiner Schwester bei mir eingefallen – eingetroffen, meine ich – und dann blieb sie, um meine Hochzeit zu planen. Seitdem habe ich es in Betracht gezogen, durchzubrennen oder auf die Äußeren Hebriden zu ziehen, doch da ich des Gälischen nicht mächtig war, blieb ich zu Hause und erduldete den Einfall – ich meine den Besuch – vier Monate lang.

Vier. Lange. Monate.

Der einzige Zufluchtsort, der mir blieb, waren meine Gedanken. Ich flüchtete mich in Tagträumereien. Es mochte so aussehen, als würde ich das Frühstück mit Mutter und Tante Hetty einnehmen, bei dem wir die Liste der letzten – bitte lass es die letzten sein – Hochzeitsvorbereitungen durchsprachen, doch gedanklich war ich in der Kirche und legte mein Gelübde ab.

Ich lächelte. Der Traum würde in kaum mehr als vierundzwanzig Stunden Realität werden.

Ich, Frances Helena, nehme dich, George –

„Ähem!“

Und so besann ich mich zurück in das Esszimmer. Der Altar verwandelte sich in den Esstisch, auf dem eine weiße Decke und alle möglichen handgeschriebenen Zettelchen lagen und beiseite geschobenen Frühstücksteller standen. Die Kerzen in meinem Tagtraum wurden durch den gasbeleuchteten Kronleuchter ersetzt und der Chor verwandelte sich in klapperndes Geschirr, da meine Hausdame Mrs. Thompson gerade neue Teller brachte.

Die Stimme des Pastors wurde durch die meiner Mutter ersetzt.

„Hast du vor, den Kaffee zu trinken, oder willst du ihn nur anhimmeln, Frances?“

Es dauerte noch einen Moment, bis ich den Blick ihrer eisig blauen Augen bemerkte. „Entschuldige, wie bitte?“

„Du hast jetzt seit zehn Minuten in die Tasse gestarrt und nichts von dem gehört, was ich gesagt habe.“

Das war ja genau das Ziel gewesen.

Sie kniff die Augenbrauen zusammen. „Was ist nur los mit dir?“

Wo sollte ich anfangen? Ich hatte das Haus voller Verwandten. Meine Mutter organisierte meine Hochzeit wie einen Kriegszug, während ich versuchte, den Umzug in mein neues Zuhause im kältesten Februar, an den ich mich erinnern konnte, zu koordinieren. Und nun wurde ich aus meinem wunderbaren Tagtraum gerissen. Natürlich konnte ich ihr nichts davon erzählen.

„Es ist alles bestens.“ Ich setzte ein Lächeln auf. „Was hattest du gesagt?“

„Ich habe Antwort vom Floristen erhalten.“ Sie warf eine Karte auf den Tisch. „Er bekommt keine reinweißen Rosen für die Hochzeit. Was soll ich nun unternehmen?“

Ich erschauderte bei dem Gedanken. Es bestand durchaus die Gefahr, dass der Kopf des Floristen rollen würde.

Tante Hetty flüchtete hinter die Morgenzeitung. Ich nahm einen großen, stärkenden Schluck Kaffee. „Ein blassrosafarbener Ton wäre genauso gut“, schlug ich vor. „Rose trägt rosa.“ Rose war meine achtjährige Tochter und die Einzige, die mit mir einzog. Sie war die einzige Person, mit der meine Mutter nicht stritt. Ihrer Ansicht nach konnte Rose nichts falsch machen.

Sie seufzte und ließ sich in ihren Stuhl sinken. „Ich kann nicht riskieren, dass die Blumen den falschen Weißton haben. Ich werde zum Geschäft fahren und sie mir selbst ansehen müssen.“ Sie sah mich vielsagend an. „Das bedeutet, ich werde dich nicht zu deiner Kleideranprobe begleiten können.“

Irgendwo im Himmel sang ein Engelschor.

Ich versteckte mein Grinsen hinter der Tasse. Ein Nachmittag ohne die Nörgelei meiner Mutter kam einem Wunder gleich. Für ein paar Stunden würde ich mein eigenes Leben unter Kontrolle haben, während sie London nach den perfekten weißen Blumen durchkämmte.

Dies war meine zweite Hochzeit, daher war ich nicht sicher, ob alles in Weiß angemessen war, doch die Diskussion war es nicht wert. Außerdem wollte ich meine erste Ehe lieber vergessen. Vor zehn Jahren hatte meine Mutter auch alles organisiert. Sie hatte sogar den Ehemann ausgewählt. Ich hatte mitgezogen, daher konnte ich ihr nicht die gesamte Schuld in die Schuhe schieben. Doch Reggie Wynn war eine schlechte Wahl gewesen. Damals war er der Erbe des Earl of Harleigh und stand unter finanziellem Druck. Er entsprach somit den Kriterien meiner Mutter: ein Mann, der mein Geld brauchte und mit dem ich einen Titel bekommen würde. Ich für meinen Teil war erleichtert, dass er nicht bereits altersschwach war, so wie viele der annehmbaren Aristokraten in jener Ballsaison. Mit dreiunddreißig war er fünfzehn Jahre älter als ich, doch er war fesch und hatte eine unbekümmerte Art, die ihn jünger wirken ließ.

Rose war das einzig positive Resultat dieser Ehe. Meine Bereitschaft, es erneut zu probieren, überraschte mich selbst, doch ich hatte mit George Hazelton einen hervorragenden Beweggrund. Vor allen Dingen liebte George mich und nicht mein Geld – was gut war, da ich sehr wenig davon übrig hatte. Er liebte meine Tochter und wir liebten ihn. Wichtiger noch, ich vertraute ihm. Er hatte eine sehr fortschrittliche Einstellung, was Frauen anbelangte, oder zumindest mich. Obwohl George gelegentlich als Anwalt tätig war, drehte sich sein wahrer Beruf um eine Reihe geheimer Aufträge für die Krone. Dass er meine Unterstützung nie abgelehnt hatte, verriet mir, dass ich mir keine Sorge darum machen musste, wie ungewolltes Gepäck auf einem Landsitz zu versauern, was eine passende Zusammenfassung meiner ersten Ehe war.

„Guten Morgen, die Damen“, sagte mein Vater, der zu uns ins Esszimmer kam. Mein Bruder Alonzo und er waren am Vorabend aus New York eingetroffen. „Schläft Alonzo noch?“ Er kam um den Tisch und küsste mich auf die Wange, bevor er sich zwischen Mutters Stuhllehne und Anrichte hindurchschob und sich eine Tasse Kaffee einschenkte.

„Guten Morgen, Franklin“, sagte Mutter und betrachtete dabei ihre Hochzeitsnotizen. „Wir sind seit Stunden wach. Wo warst du?“

„In Frankies Bibliothek“, antwortete er. „Ich hatte einige Telegramme zu verschicken. Dein Küchenjunge hat sie für mich zum Telegrafenamt gebracht. Ich hoffe, dir macht es nichts, dass ich so frei war.“

„Dies ist nun Tante Hettys Haus“, erinnerte ich ihn. „Er arbeitet für sie.“ Da Rose und ich zu George ein Haus weiter umzogen, hatte Hetty angeboten, mir den Pachtvertrag des gemütlichen kleinen Hauses abzukaufen. Ich konnte mir keine bessere Nachbarin vorstellen und freute mich darüber, es an sie zu verkaufen.

Hetty winkte ab. „Bitte, fühl dich ganz zu Hause.“

„Aber du solltest doch Urlaub machen, Frankie“, antwortete ich. „Kann die Arbeit nicht warten?“ Für meine Geschwister war Franklin Price Vater oder Papa, doch ich hatte ihn nie anders als Frankie genannt und er nannte mich genauso. Schließlich war ich nach ihm benannt. Uns war beiden durchaus bewusst, dass wir die Einzigen waren, die diesem liebevollen Spitznamen nicht entwachsen waren, doch es war eines der wenigen Dinge, die wir gemeinsam hatten. Vielleicht das Einzige. Als Kind kannte ich den Anblick seines Hinterkopfs besser als sein Gesicht, weil das meine Sicht war, wenn er in sein Büro ging. Das letzte Mal hatte ich ihn bei meiner letzten Hochzeit gesehen. Ich hoffte, dass ich kein drittes Mal heiraten musste, um ihn noch einmal zu sehen.

Er zog einen Stuhl vom Tisch weg und setzte sich zwischen Mutter und Tante Hetty. „Die Arbeit wartet auf niemanden, Liebes.“

Hetty ließ die Zeitung sinken und der Anblick von Bruder und Schwester nebeneinander stach mir ins Auge. Sie hätten einander nicht ähnlicher sehen können: dichtes, dunkles Haar, braune Augen, groß und von kräftiger Statur. Frankie hatte inzwischen ein paar mehr Falten als in meiner Erinnerung und einen vollen Bart. Tante Hetty hatte glücklicherweise beides nicht. Sie trug auch keine Brille. Alonzo und ich sahen beide mehr wie unser Vater aus – groß mit ebenmäßigen Gesichtszügen und dunklem Haar –, doch ich hatte etwas von der kecken Nase meiner Mutter und ihre blauen Augen.

„Erklär es mir nochmal“, sprach Frankie weiter. „Warum wird Lily nicht bei der Hochzeit sein? Ich dachte, sie würde nun hier wohnen.“ Er nahm einen Schluck Kaffee und seufzte zufrieden.

Mutter sah ihn lange an, zog eine Augenbraue hoch, bevor sie sich zu einer Antwort herabließ. „Lilys Schwiegervater hat sie nach Frankreich geschickt. Ihr Ehemann arbeitet an“, – sie wedelte mit der Hand –, „ach irgendetwas.“

„Die Arbeit, Franklin“, fügte Hetty hinzu. „Da du ihre Hochzeit aufgrund deiner Arbeit verpasst hast, hätte ich angenommen, dass du es gutheißt, dass sie Leo weiter hart arbeiten lässt.“

„Ich missbillige es nicht, aber Frankreich ist nicht weit entfernt. Bloß eine kurze Reise, um die Hochzeit ihrer Schwester zu feiern.“

Mutter legte ihre Hand auf seine. „Die Reise ist für meine Tochter, die ein Kind erwartet, zu weit.“

In Wahrheit erwartete Lily ein Kind seitdem sie Leo vor vier Monaten geheiratet hatte. Ihre Entscheidung, die Hochzeit nicht zu besuchen, rührte daher, dass sie vermeiden wollte, dass jemandem auffiel, dass ihre Schwangerschaft schon etwas weiter vorangeschritten war als angenommen. Wenn das Baby zur Welt kam, würde sie einfach behaupten, es sei früh gewesen. Ich war nicht sicher, ob meine Mutter sich dieser Umstände bewusst war.

Ich brachte es gewiss nicht über mich, es ihr zu sagen.

„Das musst du besser wissen als ich, aber ich hatte gehofft, sie zu sehen. Stell dir das vor, Daisy. Unsere Jüngste wird uns bald noch ein Enkelkind schenken.“ Er setzte die Brille ab und wischte sie mit der Serviette ab, wobei er Mutters Profil ansah. „Du siehst viel zu jung aus, um Großmutter zu sein.“

„Oh, vielen Dank, Franklin.“ Mutter sah geradezu nervös aus. Wurde sie etwa rot?

„Ich nehme an, du wirst bei ihr bleiben wollen, bis das Kind geboren ist“, fügte er hinzu und nahm einen Schluck Kaffee, wobei seine Brillengläser wieder beschlugen.

Mutters Lächeln erstarb. „Vielleicht werde ich das tun“, blaffte sie. Mein Blick ging zwischen Frankie und Mutter hin und her. Das war schnell gekippt.

Tante Hetty faltete die Ecke ihrer Zeitung um und warf meinem Vater einen Blick zu. „Kennst du Peter Bainbridge, Franklin?“

Frankie tippte rhythmisch mit dem Finger gegen die Tasse, die er in der Hand hielt. „Einer der Goldregen-Barone. Hat sein Geld mit Silber gemacht. Jetzt hat er finanzielle Beteiligungen an fast allem westlich des Mississippis.“

Hetty schnalzte mit der Zunge. „Ich meinte ihn persönlich.“

„Ich habe ihn vielleicht einmal bei einem Geschäftsessen in New York getroffen“, antwortete Frankie. „Wieso fragst du?“

„Er ist vor einigen Tagen zu Besuch in sein Haus in London gekommen. Gestern ist jemand eingebrochen und hat es verwüstet.“

„Dreimal darfst du raten, wer dafür verantwortlich ist, und die ersten zwei Versuche gelten nicht“, sagte Frankie. „Schreiben sie, wem die Schuld dafür gegeben wird?“

Hetty ließ die Zeitung senken. „Nein, aber wer sollte es gewesen sein außer James Connor? Er wohnt derzeit auch in London und ich kann mir keinen besseren Verdächtigen vorstellen.“

„Warum James Connor?“, fragte ich.

Sie warfen mir beide einen geringschätzigen Blick zu. „Wegen der Fehde“, sagte Hetty. „Hast du noch nicht davon gehört?“

Ich hätte tot sein müssen, um nicht davon gehört zu haben. Beide Männer waren nach Amerika ausgewandert – Connor aus Irland und Bainbridge aus England – vor vielen Jahren. Zu Beginn ihrer Karrieren waren sie Geschäftspartner gewesen, doch sie hatten sich zerstritten. Seitdem hatten sie große Anstrengungen unternommen, schockierende und skandalöse Geschichten über einander durch die Zeitung zu verbreiten.

„Es ist kein Zufall, dass sie beide in London sind. Angeblich wollen sie dasselbe Unternehmen kaufen“, erzählte Frankie. „Ich würde vermuten, Connor versucht, Bainbridge abzuschrecken.“

„Sein Büro ist der einzige Teil des Hauses, der verwüstet wurde, und es wurde nichts gestohlen“, fügte Hetty hinzu. „Es ist die Art von Bagatelldelikten, zu denen beide neigen. Den wenigen Geschichten nach, die ich über Connor gehört habe, beschreibt kleinkariert ihn ganz gut.“

Wie wahr ihre letzte Aussage war, war entmutigend. Mrs. Connor war eine meiner Freundinnen. Ihr Ehemann, der sein Glück auch mit Silber gemacht hatte, besaß einen beklagenswerten Charakter. Er war laut, vulgär und sein Humor ging immer auf Kosten anderer. So sehr ich den Umgang mit Willa Connor auch mochte, ich mied Mr. Connor so gut wie möglich. Glücklicherweise machte er sich nichts aus der Gesellschaft, sodass es nicht schwierig war, ihm aus dem Weg zu gehen.

„Bagatelldelikte nennst du das? Das ist Kriminalität.“ Mutter gab einen missfälligen Ton von sich. „Diese Fehde sorgt dafür, dass in London alle glauben, Amerikaner seien dumm. Es ist beschämend und ich gebe Mr. Connor die Schuld. Die Bainbridges wünschen diesem ganzen Unfug ein Ende zu setzen, doch Connor weigert sich, aufzuhören.“

Unsere drei Köpfe fuhren in ihre Richtung herum. Sie sah mit ihren großen, blauen Augen von einem zum nächsten und hob die Hände. „Was habe ich gesagt?“ Sie sah so unschuldig wie eine Porzellanpuppe aus, nur noch hübscher. Ihr flachsblondes Haar war zurückgenommen und betonte ihr perfekt ovales Gesicht, das keine einzige Falte, Unebenheit oder Sommersprosse aufwies. Sie arbeitete sehr hart daran, dass das so blieb. Ihr gutes Aussehen zu bewahren, war Teil von Mutters Persönlichkeit. Dass sie so detailliertes Wissen über diebische Barone wie Connor und Bainbridge besaß jedoch nicht.

„Wie kommt es, dass du mit der Angelegenheit so vertraut bist?“, fragte Hetty.

Mutter zögerte. „Das bin ich nicht wirklich. Die Bainbridges sind Freunde von mir. Alles, was ich über diese sogenannte Fehde weiß, habe ich von ihnen gehört.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich schätze, das ist bloß die eine Seite, aber sie haben mir erzählt, dass sie gern einen Gleichstand hätten und diesem ganzen Unsinn ein Ende setzen würden.“

Mein Vater gluckste und stand auf, um sich den Teller an der Anrichte zu beladen. „Das glaube ich gern. So könnte Gladys Bainbridge Angebote auf all die berühmten Wahrzeichen in Paris abgeben und niemand würde etwas davon mitbekommen.“

Mutter warf ihm einen bösen Blick zu. „Das ist Jahre her, Franklin. Sie ist kein solcher Bauerntrampel mehr. Ich finde es schrecklich, dass Connor sie von jemandem ausspionieren lässt und jeden ihrer Schritte an die Zeitungen verrät.“

„Alles, was sie einander antun, ist schrecklich“, sagte ich. „Die Zeitungen sind die einzigen Gewinner dieser Fehde. Mr. Connor bezahlt sie, damit sie jeden albernen Schritt von Mrs. Bainbridge drucken, während Mr. Bainbridge jedes hässliche Detail über das Leben der Connors ausgräbt. Vor kurzem erst habe ich eine Geschichte über die niedere Herkunft von Mrs. Connor gelesen. Sie haben eine Tochter, die diese Saison ihr Debüt hat. Eine solche Geschichte könnte ihre Chancen auf eine gute Partie ruinieren.“ Ich schnalzte mit der Zunge. „Was haben diese Herren gegeneinander?“

Hetty schüttelte den Kopf, als sie für eine weitere Tasse Kaffee zur Anrichte ging. Ich fragte meinen Vater. „Frankie, weißt du es?“

„Keine Ahnung“, sagte er. „Seitdem ich das erste Mal von ihnen gehört habe, weiß ich von der Fehde. Ich kenne die Männer kaum, bis auf ihren Ruf – und der von Connor ist nicht gut. Ein riesiges Vermögen und ein Mangel an Prinzipien sind eine gefährliche Kombination. Ich habe bisher keine Geschäfte mit ihm gemacht und hoffe, dass ich es niemals muss.“

„Es mag nicht geschäftlich sein, aber du wirst ihn zumindest einen Tag lang ertragen müssen.“ Auf seinen fragenden Blick hin sprach ich weiter. „Die Connors werden zur Hochzeit kommen.“

Hetty, die zum Tisch und ihrer Zeitung zurückgekehrt war, sah überrascht hoch. Mutter keuchte auf. „Du hast jemanden auf die Gästeliste gesetzt? Ohne meinen Rat einzuholen?“

Ich hatte es aufgegeben, meine Mutter daran zu erinnern, dass es meine Hochzeit war. Ihrem Blick zufolge hielt sie es für ein ungeheuerliches, missachtendes Verhalten meinerseits, dass ich die Connors eingeladen hatte.

„Ich habe die Connors vor zwei Wochen auf Alonzos Wunsch auf die Liste gesetzt. Du musst ihre Namen auf der Gästeliste übersehen haben.“

„Warum um alles in der Welt sollte er sie auf deiner Hochzeit haben wollen?“ Meine Mutter verengte die Augen misstrauisch. Ich wünschte, Alonzo hätte sich aus dem Bett geschleppt, um die Neuigkeiten selbst zu verkünden.

„Ich glaube, er ist von Miss Madeline Connor sehr angetan. Sie haben sich in New York kennengelernt. Sie hat ihm erzählt, dass sie die bevorstehende gesellschaftliche Saison hier verbringen wird.“ Ich nahm meine Gabel und konzentrierte mich auf meine nun kalten Eier und hoffte, ich hatte es beiläufig rübergebracht.

„Ich dachte, sie ist hier, um sich einen Duke oder einen Earl zu angeln“, sagte Hetty. „Jemanden mit einem namhaften Titel.“

„Das ist durchaus möglich. Ihr Vater könnte einem glücklichen adligen Herrn eine enorme Mitgift bieten. Genau wie bei den Bainbridges kann man jedoch nicht jedes Wort glauben, das die Zeitungen schreiben.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Sie haben die Einladung angenommen.“

Mutter blätterte grummelnd die Hochzeitsnotizen durch. Vermutlich suchte sie nach der Sitzordnung.

Mein Vater kehrte mit einem vollen Teller und einer grimmigen Miene an den Tisch zurück. „Ich werde mit Alonzo reden müssen“, sagte er. „Das Mädchen mag ein engelsgleiches Gesicht haben, aber mit ihrem Vater fertigzuwerden, wird eine teuflische Angelegenheit. Es wäre besser, wenn er jemand anders findet. Mir gefällt die Vorstellung dieses Mannes bei deiner Hochzeit nicht.“

„Wenn es dir jetzt schon nicht gefällt“, sagte Mutter, die an der Sitzordnung Änderungen vornahm, „dann wirst du es gewiss hassen, wenn ich dir sage, dass Mr. Bainbridge auch da sein wird.“

„Du hast die Bainbridges eingeladen?“ Das musste geschehen sein, nachdem sie die Gästeliste übernommen hatte. Es war eine Sache, wenn ich Gäste ergänzte, aber etwas ganz anderes, wenn meine Mutter es tat. Dies war schließlich meine Hochzeit. „Es sollte eine kleine Feier mit Familie und engen Freunden sein. Ich kenne sie nicht einmal.“

„Und ich nehme an, mit den Connors bist du eng befreundet?“

„Willa Connor und ich sind gute Bekannte. Alonzo muss mit Miss Connor befreundet sein. Und Graham richtet den Hochzeitsempfang im Harleigh House aus, das direkt neben ihrem Haus liegt. Sie sind also Nachbarn meines Schwagers.“

„Als ob das zählen würde.“ Mutter hob das Kinn. „Die Bainbridges sind meine Freunde. Da Gladys in Paris ist, ist Mr. Bainbridge allein, daher habe ich ihn eingeladen. Und das ist gut so, da du eine zusätzliche Dame eingeladen hast. Jetzt sind die Zahlen ausgeglichen.“

„Aber er weiß nicht, dass die Connors auch zugesagt haben, oder?“, fragte ich.

„Natürlich nicht. Ich habe es ja selbst gerade erst erfahren.“

Mein Vater sah sich grinsend am Tisch um. „Beide Parteien einer Fehde auf deiner Hochzeit, Frankie. Am Ende könnte es noch richtig brenzlig werden.“

***

Am Nachmittag machte ich mich in Begleitung meiner Zofe Bridget leichteren Schrittes auf den Weg, meine Laune gehoben dadurch, dass es bloß noch ein Tag war, bis ich mit meinem Ehemann nach Südfrankreich zu unserer Hochzeitsreise segeln würde. Zehn Tage allein mit George in der luxuriösen Villa Kasbeck. Die Besitzer der Villa, der russische Grand Duke Michael Mikhailovich Romanov und seine Frau Sophie, die Countess de Torby, waren in unsere letzte Ermittlung verstrickt gewesen. Sie fanden, dass George und ich ihnen einen Dienst erwiesen hatten und das hatten wir wohl wirklich, doch ich war sprachlos gewesen, als sie uns ihr Haus angeboten hatten.

Nach unserer Rückkehr würde ich neben meinem bisherigen Haus bei George leben. Mutter würde bei Tante Hetty bleiben, mit Frankie und Alonzo nach New York zurückkehren oder aber, wie Frankie vorgeschlagen hatte, nach Frankreich zu Lily reisen. Wie sie sich auch entschied, wir würden in unterschiedlichen Häusern wohnen, was für eine deutlich bessere Beziehung sorgen würde.

Bridget und ich stiegen an der Bond Street aus der Kutsche, wo die Damen und Herren sich trotz des bedrohlich finsteren Himmels auf dem Gehweg drängten und rasch von einem Geschäft zum nächsten eilten, während zerlumpte Jungen mit Besen vor ihnen umher eilten, um ihnen den Weg von Matsch, Schlick und anderen Unschicklichkeiten zu befreien. Unser Ziel war bloß wenige Schritte entfernt: eines der teuersten Kleidergeschäfte, das ich gewagt hatte, zu betreten, seitdem ich Witwe geworden war. Ich gestehe, dass ich nie so leichtfertig und verschwenderisch wie mein verstorbener Ehemann gewesen war, doch ich hatte wenig auf Preise geachtet, bis er starb, und die Rechnungen auf meinem Schreibtisch landeten. Der Schreck hatte mich nach Luft schnappen lassen. Von da an wurde ich unglaublich sparsam, wenn ich meine Garderobe auffrischte: Ich ließ Kleider umschneidern, Hüte aufarbeiten und kaufte nur Neues, wenn es absolut notwendig war.

Bisher war ein solcher Kauf nicht notwendig gewesen. Doch Mutter hatte mein Hochzeitskleid gekauft, daher fühlte ich mich dazu ermutigt, für mein Reisekleid etwas mehr auszugeben. Ich wollte etwas Besonderes. Etwas, um mein neues Leben zu beginnen. Madame Arquettes Kleider waren wirklich besonders. Ich konnte die letzte Anprobe kaum erwarten.

Als Bridget die Tür öffnete, bimmelte eine Glocke an der Tür, sodass zwei Damen in unsere Richtung blickten, als wir in den gemütlichen Vorraum des Ladens eintraten. Und wen trafen wir ausgerechnet hier? Mrs. und Miss Connor. Bridget nahm meinen Mantel und verschwand zu einer der anderen Kammerzofen, die auf einem der Stühle an der Wand saßen, während ich mit einem Lächeln auf den Lippen und einem „Guten Tag“ die Damen grüßte.

„Welch Überraschung, Sie hier zu sehen, Lady Harleigh.“ Mrs. Connor sprach mit einem langsamen, trällernden Akzent, der mich vermuten ließ, dass sie aus den Südstaaten stammte. Ich hatte mich immer gefragt, von wo genau sie kam, doch dann waren die peinlichen Gerüchte über ihre Herkunft aufgekommen, die verrieten, dass sie vor ihrer Ehe mit Connor vor gut zehn Jahren der Arbeiterklasse angehört hatte. Obwohl meine Familie ihren Ursprung in der soliden Mittelschicht hatte, spürte ich, dass Fragen zu ihrer Vergangenheit ihr Kummer bereiten würden, was ich tunlichst vermeiden wollte. Sie war eine gescheite, gutaussehende Frau mittleren Alters, zierlich gebaut mit dunklem Haar und dunklen Augen, und gerade trug sie ein modisches, rotes Kostüm. Trotz ihrer Vorgeschichte schien sie nun gut dazustehen. Sie wirkte trotzdem oft angespannt, so als würde sie darauf warten, dass jemandem etwas dämmerte.

„Ich hätte gedacht, Sie bereiten sich auf Ihre morgige Hochzeit vor“, sagte sie. „Gibt es da nicht noch hunderte Dinge zu tun?“

„Ach, aber dies ist eines dieser letzten Dinge: die letzte Anprobe meines Reisekleides.“

Bei diesen Worten horchte Madeline Connor auf. „Wo werden Sie Ihre Hochzeitsreise verbringen, Lady Harleigh?“

„In erster Linie in Cannes. Doch ich hoffe, auch ein wenig von der französischen Landschaft zu sehen.“

„Das klingt wunderbar.“ Mrs. Connors Gesichtsausdruck war verträumt. „Ich fürchte, wir werden den restlichen Winter hier verbringen. Mr. Connor muss sich um Geschäftliches kümmern und wir brauchen Kleider für Madelines bevorstehende Ballsaison.“

„Vorausgesetzt, Papa erlaubt mir, daran teilzunehmen.“ Die zusammengekniffenen Augen und das Funkeln in ihren Augen ließen Rebellion erahnen.

Mrs. Connor, die mindestens zehn Zentimeter kleiner als ihre Stieftochter war, streckte sich und strich ihr über die braunen Locken. „Dein Vater würde dir dein Debüt nicht vorenthalten. Doch bei der Ballsaison geht es nicht nur um Feste und Tänze, weißt du.“ Sie sah zu mir und lächelte. „Madeline hat einen neuen Verehrer und Mr. Connor glaubt wohl, dass er soweit ist, um ihre Hand anzuhalten.“

Das würden schlechte Neuigkeiten für Alonzo sein. Ich ließ mir nichts anmerken und verheimlichte meine Enttäuschung. „Vielleicht sollten Sie ihn auf Ihre Antwort warten lassen, Miss Connor. Sie könnten viele Verehrer haben, wenn die Ballsaison beginnt.“

Mrs. Connor zog die Augenbrauen zusammen und spielte nervös mit den Händen. „Madeline würde ihm keinen Anlass zur Sorge geben wollen, nicht wahr, Liebes?“

Bevor das Mädchen antworten konnte, kam Madame Arquette, um Mrs. Connor abholen. „Einen ganz kurzen Moment bitte, Lady Harleigh, dann bin ich bei Ihnen. Wir haben heute Morgen weniger Arbeitskräfte.“

„Ich könnte nicht in besserer Gesellschaft sein“, sagte ich. Ich hakte mich bei Madeline ein und wir setzten uns auf eine gemütliche Polsterbank, die hinter einem Tisch stand, auf dem sich Rollen mit kostbaren Stoffen türmten. Obwohl ich mich sonst nicht in die privaten Angelegenheiten anderer einmischte, wünschte ich mir sehr, den Namen ihres neuen Verehrers zu erfahren – natürlich Alonzo zuliebe. Im Alter von achtzehn Jahren wirkte sie fürchterlich jung auf mich, doch ich versuchte sie mir durch Alonzos Augen anzusehen – ein herzförmiges Gesicht, rosige Lippen, mandelförmige Augen, deren Augenwinkel leicht nach oben zeigten. Sie war durchschnittlich groß und ging Lon wohl etwa bis zur Schulter, sodass sie zu ihm durch die langen Wimpern aufblicken musste. Oh ja, da war Lon verloren.

Während ich darüber nachdachte, wie ich die Unterhaltung geschickt auf das Thema ihres Verehrers lenken konnte, nahm Miss Connor die Unterhaltung in die Hand. „Ist Ihr Bruder bereits eingetroffen, Lady Harleigh?“

„Ja, er und mein Vater sind gestern angekommen.“

„Gestern?“ Sie machte große Augen. „Du meine Güte, nur ein wenig schlechtes Wetter und sie hätten die Hochzeit vielleicht gänzlich verpasst. Ich hatte angenommen, sie seien schon seit Tagen hier.“

Trotz ihrer zum Ausdruck gebrachten Sorge bemerkte ich ein leichtes Lächeln. Hatte sie gedacht, Alonzo sei seit Tagen in der Stadt gewesen und hatte sie nicht aufgesucht? „Noch keinen ganzen Tag“, sagte ich. „Mein Vater war heute Morgen bereits auf, doch Alonzo schlief noch die Nachwirkungen der Reise aus.“

„Ich verstehe.“ Sie setzte sich so auf ihrer Seite der Polsterbank hin, dass sie geradeaus blickte. Dann drehte sie den Kopf und sah mich von unter der Krempe ihres Huts an. „Darf ich mit Ihnen im Vertrauen sprechen?“, fragte sie. „Ich möchte mich nicht aufdrängen, doch da meine Stiefmutter einen Verehrer erwähnte, möchte ich mich gern erklären.“

Es war, als hätte sie meine Gedanken gelesen. Ich nickte ermutigend.

„Es ist Daniel Fitzwalter.“

Himmel! Ihre Familie strebte hoch hinaus. Viscount Fitzwalter war der erstgeborene Sohn und Erbe des Marquis of Sudley, einem mächtigen und einflussreichen Mitglied des britischen Oberhauses. Es war ein alter und stolzer Adelstitel. Der einzige höhergestellte war der eines Dukes. Obendrein war Fitzwalter jung. Er hatte vor Kurzem sein Studium in Oxford abgeschlossen, also war er kaum älter als zwanzig. Wenn sie Jagd auf einen Titel machte, hätte ich ihr gratuliert, doch ihre Miene verriet, dass sie mit diesem Ausgang nicht zufrieden war. Sie wandte das unglückliche Gesicht in meine Richtung und wartete auf eine Reaktion.

„Ich habe den Eindruck, Sie sind von dieser möglichen Partie weniger begeistert“, sprach ich meine Beobachtung laut aus.

Sie seufzte schwer. „Ich bin so froh, dass Sie es verstehen.“

Ich blinzelte. Was verstand ich? Sie hatte mir nichts gesagt. „Ich fürchte, das tue ich nicht.“

„Meinen Vater macht die bloße Vorstellung einer solchen Partie überglücklich, doch ich habe kein Interesse an Titeln, Glanz und Gloria. Ich kenne Fitzwalter kaum, doch mein Vater lockt ihn mit einer enormen Mitgift und ich habe Angst, dass der Viscount mir einen Antrag machen wird. Wenn er das tut, weiß ich nicht, wie ich ihn abweisen kann.“

Als ich mir ihr Klagen anhörte, wurde mir klar, dass sie keinen Rat, sondern eher eine Übermittlerin suchte. Ich sollte diese Informationen Alonzo zukommen lassen, doch ich wünschte, er hätte mir gesagt, was seine Absichten bezüglich Madeline waren. Mochte er sie so sehr, dass er um sie kämpfen würde, oder würde er sie Fitzwalter überlassen? Ohne dieses Wissen wusste ich nicht, wie ich antworten sollte.

„Wenn Sie Einwände gegen Fitzwalter haben“, wagte ich mich vor, „aber Sie ihn nicht zurückweisen wollen, warum sagen Sie nicht Ihrem Vater oder Willa, was Sie fühlen?“

„Mein Vater würde wütend werden und ich glaube nicht, dass meine Stiefmutter mir helfen würde, ihn umzustimmen. Ich würde lieber mit Ihrem Bruder sprechen.“

Das war, was ich befürchtet hatte. Sie wollte, dass Alonzo sie rettete. Das funktionierte fast nie. Ganz abgesehen davon, dass er mit der Unterstützung, die er Madeline bot, den Zorn ihres Vaters auf sich ziehen würde. Und das wollte keiner von uns. „Ich bin sicher, Sie beide werden bald miteinander sprechen, Miss Connor.“

Eine Bewegung hinten im Laden zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Willa Connor war fertig und kam zusammen mit Madame in unsere Richtung. „Irgendwann werden Sie Ihrem Vater Ihre Wahl mitteilen müssen“, sprach ich weiter. „Auch wenn Sie fürchten, dass ihm Ihre Entscheidung nicht gefallen wird, ändert sich seine Meinung vielleicht mit der Zeit. Vielleicht bekommen Sie diese Zeit, indem Sie Fitzwalter in seinem Werben entmutigen. In solch heiklen Angelegenheiten sollte man am besten Vorsicht walten lassen.“

Als Madame mich herbeiwinkte, stand ich auf. Nachdem ich mich von Mrs. Connor verabschiedet hatte, wandte ich mich an Madeline und wünschte ihr einen schönen Tag. Mich überraschte die Trostlosigkeit, die in ihrem Blick lag. Da war eindeutig etwas, das sie mir nicht erzählt hatte, und nun zweifelte ich daran, dass mein Rat ausreichend war. Ich hoffte, Alonzo und sie würden nichts Unüberlegtes tun.

Kapitel 2

Das Kleid passte vortrefflich und konnte noch am selben Nachmittag geliefert werden. Bridget war gegangen, um meine neuen passenden Handschuhe abzuholen. Ich strahlte daher vor Freude, als Fiona Nash das Geschäft betrat. Fiona ist Georges Schwester und eine gute Freundin von mir. Sie war hier, um mich zum Harleigh House, dem Londoner Haus meines Schwagers, dem Earl of Harleigh, zu begleiten, um nach den Vorbereitungen für den Hochzeitsempfang zu sehen.

Fionas kastanienbraunes Haar, das oft zu einem wahrhaften Turm frisiert war, glich heute eher einem Plateau. So eignete es sich besser, um darauf ihren Hut zu balancieren, der aussah wie ein roter Teller, auf dem ein glasierter, blütenbestreuter Kuchen stand. Vielleicht lag es an ihrer Statur, ihrer gertenschlanken Figur oder ihrem langen, aristokratischen Gesicht und der Nase, aber niemand außer Fiona konnte so einen Hut tragen.

Der bloße Anblick machte mich hungrig.

Sie verschränkte die Arme und lehnte sich mit einem verschmitzten Grinsen zurück. „Hach, junge Liebe.“

„Wohl kaum“, sagte ich. Als ich meinen Mantel zugeknöpft hatte, hakte ich mich bei ihr ein und ließ mich von ihr aus dem Geschäft führen. Auf dem Gehweg blieben wir kurz stehen und ich zog fröstelnd den Kragen enger. Fiona nickte in Richtung ihrer Kutsche und wir gingen weiter.

„Gut, dann nenne ich es neue Liebe. Ist das besser?“ Fionas Fahrer öffnete die Kutschentür und ließ die Stufe herunter. Wir stiegen rasch ein, um aus der kalten, feuchten Luft zu kommen.

„Ich bin nicht sicher, ob eines von beidem zutrifft“, antwortete ich und ließ mich auf den weichen Ledersitz nieder. „George und ich kennen uns seit Jahren.“

„Aber der Teil mit der Liebe ist neu.“

Dagegen konnte ich nichts einwenden. Obwohl ich George Hazelton vor vielen Jahren kennengelernt hatte, war er vor weniger als einem Jahr wieder in meinem Leben aufgetaucht, als ich in mein neues Haus gezogen war und herausfand, dass er mein Nachbar war. Der Teil mit der Liebe, wie Fiona es ausgedrückt hatte, kam kurz darauf. Ein Schauer lief mir über den Rücken, der nichts mit dem Wetter zu tun hatte. „Neu oder nicht, das Gefühl ist nicht zu übertreffen.“

Fiona setzte sich neben mich und drückte meinen Arm. „Das war die Antwort, die ich hören wollte. Einen Moment lang dachte ich, du würdest meine Hoffnung zerstören.“

„Ich fürchte, das habe ich vor wenigen Augenblicken jemand anderem angetan.“ Fionas Worte riefen mir Madeline in Erinnerung. Tatsächlich war mir die trostlose Miene des Mädchens während der Anprobe kaum aus dem Kopf gegangen. Auf Fionas erwartungsvollen Blick hin zuckte ich mit den Schultern. „Ich fürchte, dass ich die Details für mich behalten muss. Es genügt zu sagen, dass eine junge Dame sich mir bezüglich einer romantischen Angelegenheit anvertraut hat und ich fürchte, dass sie von meiner Antwort ziemlich enttäuscht war.“

„Dann hat sie wohl eine Kummerkastentante gesucht. Die jungen Leute wissen ja nicht, wie schwierig es ist, den Liebeskranken Ratschläge zu geben.“

„Ich bin nicht sicher, dass es bei der Angelegenheit um Liebe geht.“ Ich schnitt eine Grimasse. „Es klang mir eher nach Verzweiflung.“

„Ich bin sicher, du hast ihr vortrefflichen Rat gegeben.“ Sie tätschelte meine Hand. „Du kannst nicht allen helfen. Zumindest nicht heute. Wir müssen an deine Hochzeit denken.“

„Das müssen wir wirklich. Ich kann immer noch kaum glauben, dass Graham angeboten hat, dass wir sein Haus für den Hochzeitsempfang nutzen dürfen, aber ich bin dankbar dafür. Selbst diese kleine Feier wäre zu viel für mein Haus gewesen, oder Tante Hettys Haus, ihr gehört es ja nun. Georges Haus hätte vielleicht funktioniert, aber wir brechen morgen Abend zu unserer Hochzeitsreise auf, da hätten wir alle Gäste aus dem Haus werfen müssen, damit wir aufbrechen können.“

„Ein Jammer, dass die Hochzeit im Februar ist“, sagte sie. „Cannes wäre in ein oder zwei Monaten so viel angenehmer.“

„Je länger wir warten, desto länger muss ich mit meiner Mutter zusammenleben.“ Ich zog eine Augenbraue hoch.

„Ein gutes Argument. Wie war es, deinen Vater wiederzusehen? Das ist Jahre her, nicht wahr?“

Ich nickte. „Er kam nicht, als Rose geboren wurde, und auch nicht zu Lilys Hochzeit. Ich verstehe, dass seine Arbeit ihm viel abverlangt, aber wenn er sich nicht gelegentlich davon löst, wird er für seine Familie ein Fremder. Ich wage zu sagen, dass meine Mutter deshalb so lange bei mir geblieben ist – der Gesellschaft wegen.“ Ich konnte mir nicht vorstellen, mehrere Monate am Stück nicht bei George zu verbringen, obwohl meine erste Ehe genau so verlaufen war. Mein verstorbener Ehemann hatte wenig Interesse an mir gehabt, das über meine Mitgift hinausgegangen war. Ich hoffte, meine Eltern teilten noch einige Interessen.

„Trotz der vergangenen Zeit scheint er genau so zu sein, wie ich ihn in Erinnerung habe“, sprach ich weiter. „Ständig mit seiner Arbeit beschäftigt. Er ist etwas grauer und etwas fülliger.“

„Und währenddessen altert deine Mutter überhaupt nicht“, merkte Fiona an. „Sie sollte ihre Magie mit ihrem Ehemann teilen.“

„Sie hält sich an eine strikte Routine. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Vater sich dem willentlich unterzieht.“

Wir kamen am Harleigh House an und warteten, dass der Fahrer uns beim Aussteigen half. Fiona blickte aus dem Fenster. „Ist das nicht Inspektor Delaney?“

Ich reckte den Hals, um an der breiten Krempe ihres Huts vorbeizusehen. „Vor Harleigh House?“

„Nein.“ Sie lehnte sich zurück und tippte gegen die Fensterecke. „Vor der Haustür der Connors.“

Sie versperrte mir noch immer den Blick. „Fiona, es gibt auch Hüte, die nicht dreimal so groß wie der eigene Kopf sind.“

„Du hast ihn sowieso verpasst.“ Sie warf mir einen Blick zu, als der Kutscher die Tür öffnete. „Ich mag es, groß zu sein, gerade weil ich deshalb solche Hüte gut tragen kann.“

Wir gingen rasch zur Tür, wo Grahams Butler Crabbe uns mit einer Verbeugung in das spärlich beleuchtete Foyer hereinbat. Ich grüßte ihn und erkundigte mich nach seinen Rückenschmerzen. Er nahm unsere Mäntel entgegen und beschrieb ausführlich die neue Salbe, die er benutzte, dann ließ er uns im Salon zurück, während er Graham über unsere Ankunft unterrichtete.

„Was hat dich darauf gebracht, der Mann, den du gesehen hast, könnte Delaney sein?“, fragte ich Fiona.

„Er ist ziemlich unverwechselbar, findest du nicht? Dieser unförmige braune Mantel und das widerspenstige Haar.“

Sie hatte recht. Delaneys Haar, genau genommen auch seine Augenbrauen, waren eine Mischung aus welligem braunem und drahtigem grauem Haar, das fast lebendig schien und das er eindeutig nicht unter Kontrolle hatte. Es machte ihn unverwechselbar. „Ich frage mich, was er bei den Connors zu tun hat. Oh. Hallo, Graham.“

Die letzten Worte richteten sich an meinen Schwager, den Earl of Harleigh, der gerade aus dem Flur in den Salon getreten war. Etwas wirkte an ihm anders. Er trug einen grauen Cutaway über einer dunklen Weste und einer gestreiften Hose. Das hellbraune, beinahe blonde Haar wellte sich aus der Stirn so wie sonst. Er hatte in den letzten Monaten mit verschiedenen Arten von Bärtchen experimentiert. Die derzeitige Version war glattrasiert mit leicht angedeuteten Koteletten hinten am Kiefer. Ich war froh darüber, keinen Bart zu sehen – Moment, das war anders – Graham lächelte. Ein Lächeln zog sich als Antwort über mein Gesicht.

„Guten Tag, Frances. Lady Fiona.“ Er nickte Crabbe zu, der in der Tür stand. „Bitten Sie doch Mrs. Rimstock zu uns.“

„Sehr wohl, Sir.“

Graham drehte sich zu uns um, wobei er nicht mehr lächelte, aber eine freundliche Miene machte. Ich war so daran gewöhnt, dass seine Miene verkniffen und missbilligend war, dass er fast wie ein Fremder wirkte, doch einer, an den ich mich gerne gewöhnen wollte. „Du siehst heute gut aus, Graham.“

„Tue ich das?“

Himmel, da war es wieder und diesmal blitzten sogar seine Zähne kurz auf.

Der Wortwechsel erregte Fionas Aufmerksamkeit. Statt des Salons musterte sie nun ihn. „Frances hat recht“, verkündete sie. „Was immer Sie geändert haben, es steht Ihnen.“

„Vielen Dank, die Damen.“ Er deutete auf die Sitzecke. „Ich werde meinem Kammerdiener mitteilen, er solle mit dem, was auch immer er tut, fortfahren.“

Ich hatte den Eindruck, dass sein Kammerdiener nichts mit der Verbesserung seines Aussehens zu tun hatte. Eine solche Veränderung musste das Ergebnis besserer Laune und Aussichten sein. Ich vermutete, dass eine Dame dahintersteckte, doch solange er nicht entschied, das Thema anzuschneiden, würde ich mich nicht einmischen. Es war noch nicht ganz ein Jahr her, dass seine Frau gestorben war, und auch wenn ich froh war, dass er vielleicht mit jemandem sein Glück gefunden hatte, würde er derartige Neuigkeiten nicht publik machen wollen.

„Ich habe die Haushälterin gebeten, dass sie sich zu uns gesellt, falls Änderungen an den Vorkehrungen vorgenommen werden sollen. Da es eine kleine Gesellschaft ist, denke ich, dass der Speisesaal zum Lunch genügen wird, und wir öffnen die Türen zwischen dem östlichen und westlichen Salon. Da das Wetter so fürchterlich kalt ist, können wir die Türen zum Wintergarten geschlossen halten.“ Er nickte zur anderen Seite des weitläufigen Salons, wo ein kleinerer Raum, in dem Topfpflanzen standen, einen Blick in den Garten bot. „So haben wir trotzdem eine nette Aussicht.“

„Das wäre großartig, Graham. Ich habe die Gästeliste für Mrs. Rimstock mitgebracht. Sie liegt jetzt bei zweiundzwanzig, aber wir sollten ausreichend Platz haben, um uns unter die Leute zu mischen.“

„Ich habe die Bibliothek für den Fotografen geräumt.“ Er führte uns durch das Foyer und schob eine Tür auf, hinter der sich ein heller, größtenteils leerer Raum auftat. „Es standen viel zu viele Tische mit viel zu viel Krimskrams hier“, sprach er weiter. „Er wird für seine Ausrüstung viel Platz benötigen und hier ist das Licht gut, findest du nicht auch?“

„In der Tat“, antwortete ich. „Mir scheint, du hast an alles gedacht, Graham.“

„Wird es sich komisch anfühlen, deine Hochzeit hier zu feiern, Frances?“

Diese Frage hatte ich mir auch gestellt und auch mehrfach George. Schließlich war dies mein Zuhause gewesen, als ich mit Reggie verheiratet gewesen war, obwohl ich kaum mehr als einige Monate im Jahr hier verbracht hatte und meist ohne Reggie.

„Nein, mir gefällt dieses Arrangement“, sagte ich. „Es ist vertraut, ohne zu viele damit verbundene Erinnerungen. Und die, die ich habe, sind gute Erinnerungen.“ Ich wandte mich zu meinem Schwager um. „Danke, dass du es angeboten hast.“

Als Mrs. Rimstock eintraf, verbrachten wir eine Weile damit, über einige dieser guten Erinnerungen zu plaudern, bevor wir auf die praktischen Vorbereitungen zu sprechen kamen. Ich überreichte den Sitzplan, besprach das Blumenarrangement und überprüfte das Lunch-Menü. Die Bezeichnung Hochzeitsmahl war meiner Ansicht nach etwas irreführend. Die Hochzeit selbst würde um zwölf Uhr mittags in der Kirche stattfinden, gefolgt von einem leichten Lunch und natürlich der Hochzeitstorte hier. Mrs. Rimstock versicherte mir, dass der Koch höchsterfreut war, die aufwändige Torte zu backen. Ich mochte es mir eingebildet haben, doch sie schien Fionas Hut einen kurzen, abschätzenden Blick zuzuwerfen.

„Wir freuen uns alle so sehr für Sie, Mylady“, flüsterte sie, als wir uns verabschiedeten. In ihren Augen schimmerten ganz leichte Tränen und es wärmte mir das Herz, sodass ich ihr die Hand drückte, doch es sorgte nicht dafür, dass ich mir die alten Zeiten zurückwünschte. Mein Leben mit Reggie, wenn auch nicht vollkommen elend, war nicht gerade von glücklichen Erinnerungen geprägt gewesen. Ich schätzte mein neues Leben und freute mich auf noch glücklichere Zeiten zusammen mit George.

Als wir im Foyer warteten, dass die Kutsche vorgefahren wurde, erhaschte Graham einen Blick auf etwas draußen und sogleich machte er ein finsteres Gesicht. Da war der Gesichtsausdruck, den ich sonst mit ihm verband. „Was zum Teufel geht nebenan vor sich?“, fragte er.

Ich sah durch das Fensterglas neben der Tür. „Du hast recht, Fiona. Das ist Inspektor Delaney. Ich hatte gehofft, ihn zu sprechen.“

Wir verabschiedeten uns rasch von Graham und gingen zu Delaney, den wir einholten, als er gerade in eine wartende Kutsche stieg. Fiona rief nach ihm und er drehte sich um und trat zurück auf den Gehweg. Er zog den Hut vom Kopf, als wir uns näherten.

„Lady Harleigh. Lady Fiona. Guten Tag.“

„Guten Tag, Inspektor“, antwortete ich und zügelte mich, zu fragen, was ihn zu den Connors führte. Obgleich es mich nichts anging, brannte ich trotzdem vor Neugier. Stattdessen schnitt ich das Thema meiner Hochzeit an. „Ich habe Ihre Absage letzte Woche erhalten, doch ich hoffe, ich kann Sie überreden, Ihre Meinung zu ändern und morgen zu unserer Hochzeit zu kommen.“

„Mylady, so sehr ich mich für Mr. Hazelton und Sie freue, wäre es nicht richtig, wenn ich an den Feierlichkeiten teilhabe. Ich würde nicht zu den übrigen Gästen passen.“ Er wiegelte jede Diskussion mit gehobenen Händen ab. „Und wie es sich ergibt, habe ich morgen Nachmittag eine Schicht und könnte daher sowieso nicht kommen.“

Ich seufzte. Delaney mochte sich unwohl dabei fühlen, bei einer gesellschaftlichen Veranstaltung unter Adligen zu sein, doch er war ein bedeutender Teil meines Lebens an Georges Seite, so komisch das auch wirken mochte. Wir verbrachten eine Menge Zeit damit, mit ihm an Fällen zu arbeiten. „Wir werden Ihre Abwesenheit spüren“, sagte ich. „Aber ich werde nicht mit der Metropolitan Police diskutieren.“

Ein seltenes Lächeln umspielte seine Lippen. „Man wird froh sein, das zu hören, Ma’am.“

Ich warf ihm einen schiefen Blick zu, doch bevor ich darauf antworten konnte, trat Mr. Connor aus seiner Haustür und stürmte über den mit Reif bedeckten Rasen auf uns zu. Der Mann war überdurchschnittlich groß und wuchtig. Er wirkte immer riesiger, je näher er kam, und sein Schnauzbart bebte bei jedem Schritt, das Gesicht rotgefleckt vor Anstrengung und der Kälte. Oder vielleicht Wut. Fiona und ich traten einen Schritt zurück, was sich als unnötig erwies. Er ignorierte uns gänzlich und baute sich vor Delaney auf. Und als wäre das nicht aufdringlich genug, stieß er dem Inspektor obendrein noch mit dem Finger gegen die Schulter.

„Sagen Sie Bainbridge, dass ich nichts davon halte, dass er die Polizei herschickt. Rein gar nichts. Wenn ich dafür verantwortlich gewesen wäre, wäre er nicht mehr hier, um Anzeige zu erstatten.“

Delaney, der selbst nicht klein war, sah zu dem Finger hinunter, dann zurück in Connors Gesicht. Als er die Brauen zusammenkniff, nahm Connor den fehlplatzierten Finger weg. „Seien Sie vorsichtig, Mr. Connor“, sagte Delaney, die Stimme beinahe zu ruhig. „Das klang sehr nach einer Drohung.“

„Und was, wenn es so ist?“ In Connors Stimme schwang ein ganz leichter irischer Akzent mit, der die Worte merkwürdigerweise noch bedrohlicher klingen ließ.

„Ich bin mit der Arbeitsweise der amerikanischen Polizei nicht vertraut, Sir, aber hier stehen Sie nicht über dem Gesetz. Sie sollten Vorsicht walten lassen. Wir werden der Sache auf den Grund gehen.“

„Sie werden herausfinden, dass ich nichts damit zu tun hatte. Als ob ich mich zu Vandalismus herablassen würde.“ Connor verzog das Gesicht und machte auf dem Absatz kehrt. Nach einigen Schritten drehte er sich um, als wäre ihm plötzlich aufgefallen, dass Fiona und ich die ganze Zeit dabei gewesen waren. Er deutete mit dem Finger nacheinander auf uns. „Lady Fiona. Lady Harleigh.“ Seine Stimme war nicht mehr spöttisch, doch freundlich konnte man sie kaum nennen.

„Sie haben uns korrekt ausgemacht, Sir“, sagte ich. Sollten wir ihm für diese Bemühung applaudieren?

Der Finger ging hin und her. „Lady Vorname. Lady Adelstitel. Vornehm geboren. Vornehm verheiratet.“ Er grinste. „Sehen Sie? Ich lerne, wie die Dinge hier laufen.“

Die Lektion über Taktgefühl hatte er eindeutig verpasst.

„Diese Dinge mögen einem vertraut sein, Sir“, sagte Fiona. „Man redet jedoch nur selten darüber.“

Er machte ein abschätziges Geräusch und wandte seine Aufmerksamkeit auf mich. „Ihr Bruder hat meines Wissens nach Interesse an meiner Tochter Madeline. Sagen Sie ihm, er soll sein Interesse auf jemand anderen lenken.“

„Also wirklich.“ Ich sträubte mich vor Empörung. Der Mann war nicht bloß taktlos, er war unverschämt.

Delaney trat vor. „Sie sollten besser keine Drohungen aussprechen, Sir.“

Connor hob die Hände mit einer Geste, als wolle er niemandem etwas tun, und ging zurück zu seinem Haus.

„Gütiger Himmel“, sagte Fiona. „Was für ein wahrlich abscheulicher Mann. Wie kann Mrs. Connor ihm nur erlauben, das Haus zu verlassen?“

„Abscheulich und offenbar zerstörerisch.“ Und zu meiner Hochzeit eingeladen. Ich seufzte. „Ich wünschte, Sie würden sich doch entschließen zu kommen, Inspektor. Sowohl Mr. Connor als auch Mr. Bainbridge werden anwesend sein.“

Delaney erinnerte mich daran, dass er arbeiten musste. „Hoffen wir, dass ich nicht in meiner offiziellen Rolle auftauchen muss“, sagte er. „Die beiden an einem Ort – das bedeutet Ärger.“

„Genau davor fürchte ich mich.“

***

Fiona und ich tranken noch zusammen Tee, daher war es früher Abend, als ich nach Hause kam und mich freute, als ich erfuhr, dass George mit meinem Vater, Alonzo und Tante Hettys neuem Beau, Mr. Gilliam, in der Bibliothek war.

Auch wenn ich anfangs nicht besonders von Gilliam angetan gewesen war, als ich ihn vor einigen Monaten kennengelernt hatte, schaffte er es, durch seinen guten Geschmack meine Meinung zu ändern, indem er meine Tante umwarb. Als ich herausfand, dass sie seine Zuneigung erwiderte, entschied ich, dass er genau der Richtige für sie war. Er war der Besitzer von zwei Theatern, war schlau und ehrgeizig, doch seine Arbeit nahm ihn nicht so ein wie die meines Vaters. Ich hoffte, die beiden würden Freunde werden.

Die vier Gentlemen genossen Tante Hettys Brandy und ein prasselndes Feuer und es schien, dass sie sich prächtig verstanden, als ich den Kopf zur Tür hereinsteckte. Zu meiner Linken saß Frankie hinter meinem Schreibtisch. Gilliam und Alonzo saßen entspannt auf den Gästesesseln und zu meiner Rechten lehnte George, groß und schlank, am Erkerfenster, wobei eine Hand auf einem Sitzpolster ruhte und er in der anderen ein Glas Brandy hielt. Die Abendsonne funkelte auf seinem dunklen Haar. Beim Lächeln bildeten sich Fältchen um seine Augen und er zog mich an seine Seite.

„Moment.“ Mein Vater war halb aus seinem Sessel aufgestanden. „Bringt es nicht Pech, wenn die Braut und der Bräutigam sich vor der Hochzeit sehen?“

Ich winkte ihn zurück in seinen Sessel und setzte mich auf die gepolsterte Sitzbank am Erkerfenster. „Hätten wir einander vor der Hochzeit nicht gesehen, wäre es sehr unwahrscheinlich, dass wir überhaupt heiraten würden.“

Alonzo lachte. „Ich nehme an, du gibst nichts auf Aberglauben.“

Gilliams Bart zuckte, als er lächelte. „In meinem Metier gibt es reichlich davon.“ Gilliam war breitschultrig, dunkelhaarig und abenteuerlustig. Und zehn Jahre jünger als Hetty, was ihr einige Sorgen bereitete, aber zum Glück nicht genug, um ihn aufzugeben. „Ich glaube, es ist die Nacht vor der Hochzeit, in der der Bräutigam sich rarmachen soll“, fügte er hinzu.

George blickte auf seine Uhr. „Na dann haben wir genau genommen noch eine oder zwei Stunden.“ Er lächelte mich strahlend an. „Wie war dein Tag? Ist im Harleigh House alles in tadelloser Ordnung? Hast du immer noch vor, mich zu heiraten?“

„Mein Tag war interessant. Graham hat alles unter Kontrolle. Und ja, das habe ich, also solltest du morgen besser in der Kirche auftauchen.“ Ich schüttelte den Kopf. „Es kommt mir albern vor, dass wir nicht zusammen hingehen.“

„Manche Anlässe erfordern ein gewisses Maß an Tradition“, antwortete er.

„Hazelton hat uns von euren Plänen für die Hochzeitsreise berichtet“, sagte Gilliam. „Zwei Wochen in der Villa der Romanovs in Cannes. Ich hoffe, das Wetter wird mitspielen.“

„Ich bin sicher, dass uns das Wetter nicht kümmern wird.“

Er gluckste. „Nein, das erwarte ich auch nicht.“

„Du sagtest, dein Tag war interessant. In welcher Hinsicht?“, fragte George.

„In gewisser Weise hat es mit Lon zu tun, wobei ich nicht gänzlich sicher bin, wie sehr.“ Ich sah meinen Bruder an. „Ich bin nicht sicher, ob du willst, dass ich in Gesellschaft darüber spreche.“

„Jetzt, da du meine Neugier geweckt hast, musst du weitersprechen.“ Alonzo rutschte auf seinem Sessel herum, sah mich an und überkreuzte die Beine. Ich staunte darüber, wie sehr er unserem Vater ähnelte, und fragte mich, wie Frankie mit dreiundzwanzig ausgesehen haben mochte. Sie hatten beide ein recht langes Gesicht, eine hohe Stirn und ernste braune Augen, doch Alonzos Haare waren beinahe pechschwarz, lockig und kurz geschnitten. Er hatte außerdem die Tatkraft eines jungen Mannes und meist ein Lächeln auf den Lippen, wohingegen unser Vater eher ernst war. „Alle hier gehören zur Familie“, sagte er, „oder jedenfalls fast. Was ist passiert?“

„Also gut, aber du musst mich unterbrechen, wenn es zu privat wird.“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Komm schon, Franny. Erzählst du es uns jetzt oder nicht?“

„Na schön. Ich bin Mrs. und Miss Connor heute Morgen begegnet.“

Alonzos Miene erhellte sich, ein Anblick, der meinen Vater die Stirn runzeln ließ.

„Gibt es zwischen Miss Connor und dir irgendeine Art Übereinkunft?“, fragte ich.

„Nun. Nein, nicht wirklich. Sie weiß, dass ich interessiert bin, und ich habe das Gefühl, dass sie das ermutigt, doch ich mache ihr noch nicht offiziell den Hof.“

„Noch nicht?“ Die Falten auf der Stirn unseres Vaters wurden tiefer.

„Ja. Deshalb habe ich Frances gebeten, die Connors zur Hochzeit einzuladen. Ich hoffe, dass ich die Erlaubnis erhalte, Miss Connor zu umwerben. Sie ist ein reizendes Mädchen, nicht wahr, Frances?“

Mein Vater wartete nicht auf meine Antwort. „Das mag ja sein, Lon, aber ihr Vater ist ein etwas zwielichtiger Charakter. Einige seiner Geschäftstaktiken sind unmoralisch, um es gelinde auszudrücken. Eine Verbindung mit ihm würde deinem Ruf schaden.“

„Aber wir sind nicht in derselben Branche. Was hat Bergbau mit dem Handel am Aktienmarkt zu tun?“

„Er hat die Finger in vielen Geschäften und er ist so berüchtigt, dass es egal ist, in welcher Branche man ist. Man würde dich nach seinen Taten beurteilen.“

„Ich fürchte, meine Neuigkeiten werden die Diskussion überflüssig machen“, sagte ich. „Offenbar hat Madeline einen neuen Verehrer und ihr Vater heißt ihn gut. Es klingt sogar so, als würde er ihn lieber mögen als Madeline es tut.“

„Na dann.“ Mein Vater stand auf. „Ich möchte nicht lieblos klingen, Lon, aber es wäre nicht leicht, in ihre Familie einzuheiraten.“ Er legte eine Hand in den Rücken und streckte sich. „Ich werde mich für das Abendessen zurechtmachen. Ich hatte einen angenehmen Tag, Hazelton. Schön, Sie kennengelernt zu haben, Gilliam. Ich freue mich auf morgen.“

Nachdem er aus dem Raum geschlendert war, griff George nach dem Brandy, der praktischerweise auf einem Tisch beim Kamin stand. „Noch etwa eine Stunde bis zum Abendessen. Frances? Gentlemen? Noch einen Schluck?“ Er warf mir einen Blick zu und verzog das Gesicht schuldbewusst. „Entschuldige, Frances. Ich hätte dich fragen sollen, bevor ich deinen Brandy anbiete.“

Ich winkte ab. „Tante Hetty versorgt uns mit Spirituosen und ich bin sicher, es macht ihr nichts aus. Was mich daran erinnert, warum seid ihr alle hier zusammengepfercht anstatt bei den Damen? Ich nehme an, Mutter und Tante Hetty sind im Salon?“

Gilliam lachte und schüttelte den Kopf, als George die Flasche anbot. „Sie waren in eine Debatte über ihre Pläne der morgigen Kleiderwahl vertieft. Wir haben uns hinausgeschlichen, als es um die Hüte ging. Ich bezweifle, dass es ihnen aufgefallen ist.“

Alonzo hielt sein Glas hoch, das George ordnungsgemäß füllte, dann drehte er sich zu mir. „Übrigens ist eine Lieferung von deiner Schneiderin eingetroffen.“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Was wird das sein?“

„Das geht dich überhaupt nichts an.“ Mein Blick wanderte zu Alonzo, der in Schweigen verfallen war. „Bist du sehr enttäuscht, Lon?“

„Eigentlich nicht. Ich wurde nun hinreichend vor Connor gewarnt und werde es im Kopf behalten. Wenn die Dinge mit Miss Connor vorangehen, werde ich darauf achten, dass mein Umgang mit ihrem Vater nicht über ein persönliches Maß hinausgeht.“ Er verengte die Augen. „Wer ist dieser neue Verehrer? Jemand, den ich kennen sollte?“

„Ich bezweifle es. Er heißt Daniel Fitzwalter.“

George pfiff leise. „Ich nehme an, dass es der zukünftige Adelstitel des Mannes ist, den Connor gutheißt.“

„Das ist anzunehmen.“ Auf den fragenden Blick meines Bruders hin, erklärte ich es ihm. „Sein Vater ist der Marquis of Sudley. Fitzwalter wird den Titel eines Tages erben.“

Zu meiner Überraschung erhellte sich seine Miene. „Das bedeutet, Miss Connor müsste in England leben, und sie hat mir oft erzählt, dass sie Amerika bevorzugt.“ Alonzo grinste. „Das wird vielleicht doch kein so harter Kampf.“

„Mr. Connor hat mir sehr deutlich gesagt, ich solle dich von ihr fernhalten.“

George berührte meinen Arm. „Du hast Mr. Connor heute auch gesehen?“

„Es war eine andere Begegnung.“ Ich gab ihm die Kurzfassung. „Da hat Connor mir Lons Marschbefehl gegeben“, schloss ich und ließ den Blick zu meinem Bruder schweifen. „Ziehst du ihn noch immer als Schwiegervater in Betracht?“

„Zugegebenermaßen war meine Fantasie noch nicht so weit gegangen. Ich will die Chance bekommen, ihr den Hof zu machen, und herausfinden, ob wir so gut zusammenpassen, wie ich glaube. Wenn es ums Heiraten geht, wäre es wohl am besten, wir halten von ihrem Vater Abstand.“

„Das ist die richtige Einstellung!“

Ich drehte mich überrascht zu George um. „Du ermutigst ihn?“

„In der Tat, das tue ich. Hätte ich die Ablehnung deiner Mutter nicht akzeptiert, hätte ich nicht so lange auf dich warten müssen.“

Darauf wusste ich keine Antwort. Auch wenn ich meiner Mutter verziehen hatte, dass sie George damals davongejagt und Reggie ins Visier genommen hatte, wäre ich nicht so nachsichtig gewesen, hätte George in der Zwischenzeit jemand anders geheiratet. Ich war dankbar, dass er gewartet hatte, und wenn ich an meine Tochter dachte, konnte ich die Jahre mit Reggie nicht gänzlich bereuen. Vielleicht waren George und ich füreinander bestimmt, bloß damals noch nicht.

„Ich muss das Streben nach Romantik auch unterstützen.“ Gilliam stand auf und hob das Glas. „Was sagst du, junger Mann?“

Alonzo richtete seine schlaksige Gestalt vom Sessel auf und imitierte Gilliam. „Sehr richtig!“, sagte er. „Ich gewinne vielleicht nicht die schöne Madeline, doch ich werde für ihr Recht, ihre eigene Entscheidung zu treffen, kämpfen. Und um der Romantik willen, Gilliam, sollten wir das glückliche Paar jetzt allein lassen. Ich muss mich ohnehin zum Abendessen umziehen und du kannst die Damen ausfindig machen.“

Als sie gingen, blieb ich mit dem frustrierenden Gefühl zurück, dass Lon alle Warnungen Mr. Connor betreffend vollkommen abgetan hatte. „Ich wünschte, du hättest ihn nicht ermutigt, George.“

Er setzte sich neben mich und nahm meine Hand. „Er ist verliebt, Frances.“

„Ist er das? Da bin ich mir nicht so sicher. Es scheint fast, als wäre ihm die Herausforderung, Miss Connors Herz zu gewinnen, wichtiger als der Preis selbst.“

Er führte meine Hand an seine Lippen. „Sie brauchen beide die Chance, herauszufinden, ob der Preis es wert ist. Wenn dein Bruder aufgibt, werden sie nie wissen, was hätte sein können.“

Je länger seine Lippen an mein Handgelenk flüsterten, desto mehr Sinn ergab seine Annahme. Oder zumindest war es weniger wichtig. Ich war mit meinem Verlobten allein. Wir würden morgen heiraten. Ich würde mich zu einem späteren Zeitpunkt um Alonzo sorgen.