Leseprobe Ein Schotte zum Heiraten

Prolog: Der Tanz mit der Diva

Ewan blieb in Position. Soeben wurde der Take erneut abgebrochen, weil Sara King die Schrittfolge vergessen hatte.

»Verdammt noch mal, wer hat sich den Mist ausgedacht?« Ihr stechender Blick fuhr über die versammelte Crew, bevor er sich auf Chris Cross einschoss. »Wie soll ich an zwei Stellen zur selben Zeit sein?«

»Sara, Liebes, es ist ganz einfach.« Chris wieselte durch die Reihe der Tänzer, die sich zur Hauptfigur des Videos umgedreht hatten. Genau wie Ewan selbst wollten sie abschätzen, ob es sich lohnte, die Aufstellung zu verlassen. Die Pop-Diva stemmte die Hände in die Hüften. Ihre blauen Augen verengten sich und warnten einen aufmerksamen Beobachter, ihr nicht zu widersprechen. Chris jedoch stellte sich neben sie und demonstrierte, wie einfach es war, die Schrittfolge einzuhalten.

Ewan wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er verfolgte amüsiert, wie Sara Chris mit brennenden Augen durchlöcherte. Das erwartete Donnerwetter blieb jedoch aus. Ewan kannte Sara nicht persönlich, war von seinem Agenten aber eingehend instruiert worden, wie er mit der Diva umgehen sollte: kein Widerspruch, kein Unmut und auf keinen Fall starren. Nun, dass sie ein explosives Gemüt hatte, war weltweit bekannt. Ewan blieb fasziniert. Seine Mutter hatte er als sanfte Person in Erinnerung und da wunderte es ihn, dass sie die Musikerin so verehrt haben sollte. Aber es gab sogar Videomaterial, auf dem sie – mit Ewan zusammen – zu der Musik der Diva tanzte.

»Und jetzt folge mir.« Chris wiederholte die Moves langsamer. »Komm, Sara, Herzchen, ich weiß, wie agil du bist. Beweg deine Hüften und nun …« Chris stellte sich hinter die Sängerin und legte die Hände gespreizt an ihre Taille. »Und nun …«

Mit langsamen Bewegungen führte er sie durch die Schritte. »Perfekt, Sara, Liebes, diese Moves sind für dich gemacht!«

Der neue Durchgang erfolgte in schnellerem Tempo. Saras Gesicht leuchtete auf und ließ sie gute zehn Jahre jünger aussehen, als sie ohnehin geschminkt war.

»Siehst du?« Chris führte sie erneut durch die Schrittfolge, wobei er dicht hinter ihr stand. Seine Hand rutschte auf ihren Unterbauch. Ewan schüttelte den Kopf. Es war zu intim und ließ Fragen offen.

Jason, einer der anderen Tänzer, gesellte sich zu ihm. Er verschränkte die Arme vor der Brust und wippte auf seinen Fußballen. »Wenn ich nicht wüsste«, sagte er mit einem bedeutenden Blick auf das Duo, »dass er schwul ist, müsste ich denken, dass da was läuft.«

Ewan schmunzelte und zuckte die Achseln. »Selbst wenn nicht …« Jeder musste selbst wissen, wie angreifbar er sich machen wollte, und wenn es den beiden gefiel, vor der gesamten Crew herumzumachen, war es deren Problem.

Jason runzelte die Stirn. »Ich frage mich, wie sie wohl ohne Make-up aussieht.«

Auch diesen Kommentar wischte Ewan mit einem Schulterzucken fort.

»Du nicht?« Jason wandte dem Paar den Rücken zu und musterte ihn. »Komm schon!«

»Nein.«

Der Kollege verdrehte die Augen. »Ich nehme an, du fragst dich eher, was Chris in der Hose hat.« Mit der Bemerkung ließ Jason ihn stehen. Ewan presste die Lippen aufeinander, um seine Meinung für sich zu behalten. Noch ein Tipp von Marc: Nicht denken, nur nicken. Natürlich zielte der Ratschlag auf Sara ab und nicht auf die anderen Mitwirkenden an dem Musikvideo, aber letztlich war es wohl besser, generell die Klappe zu halten.

»Musik!«, rief Chris enthusiastisch, was Ewan ablenkte. Der Durchgang lief ohne Patzer in Originalgeschwindigkeit.

»Wie für mich gemacht!« Sara sah sich um. Sie atmete schwer, Schweiß lief ihr über die Schläfen und verwischte ihr Make-up. »Dann machen wir den Take endlich!«

Ewan lockerte die Muskeln, als Chris in seinem üblichen fröhlichen Singsang widersprach.

»Zuckerschnute, zunächst richten wir dich wieder her.« Er legte den Arm um die Schultern der Diva und führte sie unter gutem Zureden aus dem ausgeleuchteten Bereich. Damit zerstreuten sich die Backgroundtänzer, die bisher ihre Position eingehalten hatten. Jede Pause war Gold wert und konnte sinnvoller zugebracht werden als damit, in die Luft zu starren. Ewan schnappte sich seine Flasche Wasser und ließ das Set hinter sich. Nur Sara hatte einen Raum, in den sie sich zurückziehen konnte, die restlichen Anwesenden mussten sich damit begnügen, auf dem Boden zu sitzen, denn die Location bot keinerlei Komfort. Der Take wurde in einer abgewrackten Lagerhalle in den Docks von Seattle aufgenommen, bevor die gesamte Entourage nach Florida weiterzog. Fünf Tage waren für den Dreh angesetzt, was bedeutete, dass sie diesen Take zwingend heute abschließen mussten. Ewan lehnte sich gegen einen Pfeiler und legte den Kopf in den Nacken. Schon der Vortag war anstrengend gewesen, schließlich hatten sie nur den einen Tag gehabt, um die Choreographie zu lernen, und das, nachdem er einen Fünfzehn-Stunden-Flug hinter sich gebracht hatte.

Ein Pfiff schreckte ihn auf. Alex Gray winkte ihm zu. Der Freund und Kollege befand sich bereits wieder auf seinem Platz und auch die anderen Tänzer beeilten sich, ihre Positionen wieder einzunehmen. Ewan lief los, irritiert, dass Saras Instandsetzung so rasch vonstattengegangen sein sollte. Allerdings war es nicht die Diva, die in der Mitte der Bühne stand, sondern eine Blondine in identischer Kostümierung.

Chris flatterte um sie herum und rief den männlichen Tänzern Anweisungen zu. »Wir haben dreißig Minuten, nutzen wir sie weise!«

Ewan war der Letzte in der Rautenformation und schüttelte die Arme und Beine aus, um die Muskeln zu lockern. Die Musik setzte ein und er spulte seine Schrittfolge ab, bis die Melodie abbrach. Chris klatschte begeistert.

»Wundervoll! Genau so habe ich es mir vorgestellt! Noch einmal, aber Liv, dieses Mal schmiegst du dich bitte an ihn.« Seine Hand flatterte vor Jasons Nase herum. »Sara möchte es intensiver.« Der Choreograph verdrehte für jeden offensichtlich die Augen. »Geben wir ihr Frischfleisch!« Er demonstrierte es, indem er sich auf Jason warf, den Arm um seinen Nacken schlang und das Bein anhob. »Na komm schon!« Er schnappte sich Jasons Hand und wollte sie an sein Bein legen, aber der Tänzer entwand sich ihm schnell.

»Bist du sicher, dass Sara das will?«, blaffte er. »Ich glaube, dir gefällt einfach nur die Vorstellung, uns alle begrapschen zu können!«

Chris’sonst so fröhliche Miene verkniff sich. »Und ich glaube, wir brauchen einen qualifizierteren Tänzer im Herzen der Aufnahme.«

»Ich bin der …« Jason trat drohend auf den schmaleren Mann zu, der ihm gelassen den Rücken kehrte.

»Also, wer traut sich zu, die Rolle zu übernehmen?« Sein Blick sprang von einem zum anderen und blieb erst bei Ewan hängen. Chris verengte die Augen und spitzte die Lippen, wobei er den Kopf wiegte. »Kennedy, oder?«

Ewan stieß den Atem aus, schließlich legte sich auch der schneidende Blick des zu ersetzenden Kollegen auf ihn.

»Du warst Saras erste Wahl.« Er winkte ihn zu sich. »Deine Zusage kam nur zu spät. Na komm schon.«

Ewan zuckte die Achseln. Er konnte mit Jasons Groll leben, wenn er dadurch die Stelle als erster Tänzer bekam. Lediglich die neue Schrittfolge machte ihm Sorge. Chris’Blick fiel anerkennend an ihm herab, als Ewan vor ihn trat. Sein Grinsen bezeugte, dass es ihm durchaus gefiel, Saras Rolle kurz zu übernehmen. »Irgendwelche Einwände?«

Ewan schüttelte den Kopf. Chris vergewisserte sich, dass Liv zuschaute, bevor er sich an ihn klammerte wie zuvor an Jason. Vorgewarnt fing Ewan Chris’Knie auf und drehte sich in die erste Figur.

Chris lachte auf. »Dein Enthusiasmus gefällt mir.« Sein Zwinkern war eindeutig.

Ewan stellte ihn ab. »Ich frage mich nur, wie wir die Position wechseln wollen, wenn wir faktisch aneinanderkleben.« Ursprünglich war vorgesehen, dass Jason und seine Tanznachbarn Lars und Alex um die Grande Dame des Pop herumtanzten.

Chris wischte die Bemerkung mit einem Wedeln seiner manikürten Finger davon. »Du drehst Sara zur Seite, damit Alex sie übernehmen kann, und siehst zu, dass du nicht aus dem Takt gerätst.« Er klatschte in die Hände. »Aufstellung, Mädels!«

Ewan schüttelte innerlich den Kopf. Momentan gab es nur Liv am Set, wodurch Mädels fast beleidigend klang.

»Ach, und wo soll ich hin?«, fragte Jason. Sein Blick war so ätzend, dass Ewan erwartete, Chris würde augenblicklich in Flammen stehen. Die Antwort des Choreographen ließ jedoch auf sich warten. Zunächst wandte er sich absolut gelassen dem dampfenden Tänzer zu, bevor sein Blick über ihn glitt und nichts als Verdruss zeigte.

»An die freie Stelle natürlich.«

Jason lief rosa an. »Ich kenne die Schrittfolge aber nicht!«

Chris verdrehte die Augen. »Warum werden Dilettanten eingestellt?«

Der verunglimpfte Tänzer machte einen Schritt auf ihn zu, stoppte dann aber von selbst. Seine Wut blieb trotzdem sichtbar, denn er schob das Kinn vor und ballte die Fäuste.

»Na gut, alle, die wissen, was sie zu tun haben, machen zehn Minuten Pause!«

Ewan blieb nichts anderes übrig, als auf der provisorischen Bühne zu bleiben. Chris fing seinen Blick auf. »Du zuerst. Schau gut zu!«

Ewan nickte und verfolgte die Schrittfolge, um sie zu kopieren. Es waren im Grunde seine Schritte, die er am Ende der Formation ausgeführt hätte, mit wenigen Ausnahmen.

»Wunderbar, und nun die kleine Änderung.« Chris nahm die Position in der Mitte ihrer Formierung ein, die später Sara ausfüllte. Mit dem Einsetzen der Musik landete er wieder in Ewans Armen, rekelte sich lasziv an ihm und ließ sich dann fortschieben. »Ein Naturtalent.« Chris tätschelte seine Brust. »Mach deine Pause. Ewan, nicht wahr? Schotte.« Es war mehr ein Gurren, trotzdem behielt Ewan seine Gelassenheit.

»Aye.«

Chris lachte, tappte wieder auf seine Brust und zwinkerte ihm zu. »Kein Wunder, dass du ihr gefällst.« Damit drehte er sich weg und fasste Jason ins Auge.

Ewan folgte seinem Blick, weshalb er die mühsam in Schach gehaltene Aggression des Kollegen bemerkte.

»Kommen wir zu dir.« Chris stemmte die Hände in die Hüften. »Alex!«, rief er. »Zeig ihm seine Schritte. Der Rest: noch fünf Minuten.«

Abgefertigt. Ewan hatte Mitleid mit Jason, allerdings war das Showbiz ein hartes Pflaster und es waren unzählige Kompromisse nötig, um dort zu bestehen. Zur Not fraß man eben Fliegen – oder flirtete mit Partnern, die nicht der eigenen Vorliebe entsprachen.