Leseprobe Ein delikater Mord

Kapitel 1

Feindseligkeit knisterte am Tisch wie das Karamell auf einer Crème brûlée. Dies war keine Häufung geschäftlicher Meinungsverschiedenheiten, dies waren Machtkämpfe persönlicher Art. Darina Lisle wünschte sich, woanders zu sein.

Christen, die in einer römischen Arena wilden Löwen ins Auge blicken, hätten vermutlich dieselbe makabere Faszination geboten. Hier aber war es unmöglich zu entscheiden, wer die Christen und wer die Löwen waren.

Gegenüber am Tisch saß Marian Drax, vermutlich keine Löwin. Eine magere Frau Anfang Fünfzig, die irgendwann einmal attraktiv gewesen sein mochte, doch das Leben hatte ihr die Kraft ausgesaugt und sie ausgetrocknet zurückgelassen. Blaue Augen, so blass wie gebleichter Jeansstoff, und Haut wie roher Blätterteig. Das verblichene, blonde Haar wirkte in ihrer Hochsteckfrisur zu schwer für den schmalen Hals, und ihre Stimme hatte kaum mehr Kraft als das Rascheln toten Laubes. Einmal hatte ihr dürftiger Körper vor zurückgehaltener Wut gezittert, mit gefährlich tränenden Augen, doch ihr Groll brach lediglich im Ton einer gekränkten Beschwerde aus ihr hervor, ohne jedes Anzeichen christlicher Hingabe. »Du leitest diese Firma, Joel, als wärst du ein Sultan, der seinen Harem herumkommandiert.«

»Nur verständlich, wenn man bedenkt wie er Geschäftsführer geworden ist«, warf Anna Drax schleppend vom anderen Ende des Mittagstisches ein. Ihren Kopf, mit der geschmeidigen Haube aus kastanienbraunem Haar, hielt sie leicht schräg, ihre achatgrünen Augen schimmerten vor Vergnügen und Bosheit. Sie strahlte Energie und Machtbewusstsein aus, definitiv eine Löwin. Dennoch zeigte sie auch den Eifer religiösen Glaubens.

Marian Drax blickte flüchtig nach rechts, zu dem Mann am Kopf des Tisches; ihre dünnen Lippen verzogen sich unbehaglich und ihr Körper zuckte vor Elend. »Oh, ich meinte nicht, also, lass uns fair bleiben, Anna.«

»Ja«, sagte der Gastgeber mit einem urbanen Charme, der deutlicher von Gefahr zeugte, als offene Feindseligkeit es getan hätte; er hatte sicherlich das Potenzial zum Löwen, aber auch etwas anderes, das auf ein viel verschlageneres Tier hindeutete. »Absolut, lass uns fair bleiben, Marian. Lass uns zum Beispiel darüber sprechen, warum du so lange brauchst, um eine Entscheidung über die Digitalisierung der Geschäftskonten zu fällen. Man könnte fast glauben, du würdest befürchten, dass ein effizientes System enthüllen könnte – nun, was könnte es enthüllen?« Mit dem Anschein aufrichtiger Wissbegierde ließ er seinen Blick um den Tisch wandern.

»Um Himmels willen, Joel, du kannst doch nicht unterstellen, dass etwas mit Marians Abrechnungssystem nicht stimmt«, polterte der Verkaufsleiter zu Darinas Rechten. In einer nervösen Geste schloss er die linke Manschette seines feinen Batisthemdes, dabei kamen in Gold gefasste Manschettenknöpfe mit Amethysten zum Vorschein. Der Mann, etwa im Alter der Buchhalterin, hatte sich bis jetzt aus dem Streit herausgehalten. Darina fragte sich, ob Michael Berkeley gezögert hatte, eine Seite zu wählen, oder ob er sich einfach lieber aus der Schusslinie hielt.

Die letzte Person am Mittagstisch war kein bisschen zögerlich gewesen. Anfang Dreißig, nüchtern gekleidet, das schüttere, blonde Haar nach hinten aus seinem verschlossenen Gesicht gekämmt; es war Peter Drax, der die Aufmerksamkeit von der Essensauswahl auf die fehlenden Gewinne der Firma gelenkt hatte.

»Ich würde gerne die Frage nach unserem Gewinnrückgang aufwerfen«, hatte er gesagt. Jedes Wort hatte er mit einer derart präzisen Sorgfalt ausgewählt, dass der Eindruck eines Eiferers entstand, der mehr Reife zu vermitteln suchte, als sein Alter ihm zugestand. »Ich habe mitbekommen, dass unsere Dividende stark sinken wird. Ich hoffe, das ist nur eine vorübergehende Erscheinung und kein Trend, der sich fortsetzen wird. Wenn dem doch so ist ...« Er hob die Hand um voreilige Zwischenreden zu unterbinden, obwohl niemand Anstalten machte. »Wenn dem so ist, hätte ich gerne eine Erklärung.«

Alle Augen richteten sich auf den Geschäftsführer, Joel Madoc, und von diesem Moment an schien Darinas Anwesenheit vergessen.

»Du hättest Hirnchirurg statt Allgemeinmediziner werden sollen, Peter. Du triffst den Nerv der Sache. Lass uns deine Schwester fragen. Also, Anna, was ist deine Erklärung als Marketing-Leiterin?«

Christen und Löwen waren dann dazu übergegangen, gegenseitig ihr Fleisch in grobe, blutige Fetzen zu reißen, während die Argumente im Zickzack über den Tisch flogen. Auf die Zuschauertribüne verdammt, bemühte Darina sich, ihre Aufmerksamkeit mehr dem Essen zu schenken als den Beschuldigungen und Gegenvorwürfen. Dafür war sie immerhin hier.

Der Tisch war mit verschwenderischer Großzügigkeit gedeckt. Die Gerichte schienen die Beute eines ausgedehnten Raubzuges durch ein erstklassiges Feinkostgeschäft zu sein und hätten für weit mehr als sechs Personen gereicht. Vorzüglicher Schinken, gut gewürzte Würstchen vom Festland und köstliche eingelegte Heringe in verschiedenen Soßen, dazwischen jene Sorte Salat, der Darina gewöhnlich keine große Beachtung schenkte. Konservengemüse und Trockenfrüchte waren in fantasievollen Kombinationen stilvoll angerichtet und überraschend schmackhaft. Gleich welche Vorbehalte sie auch gegenüber der Firma an diesem Mittagstisch hatte, sie galten nicht dem Essen.

Was verwunderlich war, denn ursprünglich hatte sie sehr zögerlich darauf reagiert, sich für solche Speisen engagieren zu sollen.

Charles Johnson, ihr Verleger, hatte angeregt, dass sie sich dafür interessieren könnte.

»Finer Foods plant eine Werbekampagne«, hatte er beiläufig gesagt, als sie gerade eine Besprechung über das Titelbild von Darinas neuem Kochbuch beendet hatten. »Als Teil der Neudefinition ihrer Position am Markt wollen sie ein Taschenbuch herausgeben. Sie kennen das, eine Anleitung, wie ihre Produkte zu verwenden sind. Etwas, das die Vielseitigkeit ihrer Feinkostprodukte zeigt und ihre Qualität unterstreicht, mit vielen ansprechenden Rezepten. Illustriert mit stimmungsvollen Strichzeichnungen, haben wir uns gedacht; Exklusivität ohne die Kosten von Fotografien.« Er machte sich einige Notizen und schaute sie dann an. »Wären Sie interessiert, oder haben Sie schon etwas Anderes am Laufen?« Er hätte auch fragen können, ob sie schon entschieden hatte, was es zum Abendessen geben würde.

»Nur Ideen«, hatte Darina eingestanden.

»Also, wie wäre es hiermit? Ein Thema, dem Sie sich annehmen könnten?« Es steckte kein Druck hinter dieser Frage.

Darina betrachtete ihn nachdenklich, während er mit der Rückenlehne nachlässig an das überquellende Bücherregal in seinem Büro stieß. Eine Fliege in Paisleymuster schmückte den Kragen seines Viyella-Hemdes und eine lange, zugeknöpfte Strickjacke reichte bis über seine gutsitzende, graue Hose; halbrunde Brillengläser und blondes Haar, das einen Schnitt vertragen konnte, milderten die Strenge seines knochigen Gesichts und gaben ihm den Anschein eines Gläubigen, der beschlossen hatte, die Mönchszelle sei zu unbequem. Sie kannte ihn jetzt seit einigen Jahren, bewunderte seine Fähigkeit, sich ein Manuskript in fertiger Form vorzustellen, und war begeistert davon, wie er ihr eigensinniges Schreibmaschinenmanuskript in einen gedruckten Entwurf verwandelt hatte, den man mit Freude anschauen und lesen konnte.

Sie hatte sich auch an seine besonnene Herangehensweise gewöhnt, bei Themen, die ihm am Herzen lagen. Sie fragte sich, was ihn an diesem speziellen Projekt begeisterte. Natürlich kannte sie die Produkte von Finer Foods, hauptsächlich Gourmet-Artikel: getrocknete Lebensmittel, Fleisch vom Festland, Obst und Gemüse in Konserven, Eingemachtes, urtümliche Soßen, alles von exzellenter Qualität, doch was er gerade beschrieben hatte, klang wie eines der regelmäßig anfallenden, fremdfinanzierten Bücher; kaum die Art Buch, die sein Verleger-Adrenalin in Wallung brachte.

»Ich bin mir nicht sicher, ob das meine Art zu Kochen ist«, sagte sie vorsichtig.

»Joel Madoc, der Geschäftsführer, ist mein Freund«, sagte Charles mit wegwerfender Sachlichkeit. »Ich würde gerne sehen, dass die Firma mal etwas Neues hervorbringt. Mir kam in den Sinn, dass Sie die optimale Wahl sein könnten. Ihre Gabe, ansprechende, aber leicht zugängliche Rezepte mit dem Hauch von Außergewöhnlichem zu entwickeln, ist genau, was die brauchen.«

»Mit Schmeicheleien erreicht man alles«, sagte Darina. Aber sie war dennoch erfreut.

»Oder erscheint Ihnen die Aussicht auf Hülsenfrüchte, Backpflaumen und Parmesan unbeschreiblich langweilig?«

»Das ist zu gemein«, protestierte sie. »Ich habe mehrere Artikel von Finer Foods in meinem Regal.«

»Nur für den Notfall?«

»Nein, gar nicht.« Wenn sie darüber nachdachte, benutzte sie sogar viele ihrer Produkte regelmäßig; etwa Dosentomaten, die mehr Aroma hatten als die meisten frischen aus England, getrocknete Hülsenfrüchte für eine Vielzahl von Gerichten, Trockenfrüchte für die unterschiedlichsten Zwecke, nicht zu vergessen mehrere aus der umfangreichen Auswahl chinesischer und indischer Produkte. Es gab keinen Grund, sich dieser Firma gegenüber elitär zu geben. »Wie viele Seiten und wie ist der Zeitplan?«

»Nur ein dünnes Buch, und sie wollen es um diese Zeit im nächsten Jahr herausbringen.« Er blickte sie mit vogelartiger Lebhaftigkeit über seine halbrunden Brillengläser an. »Ich brauche, wenn möglich, bis Januar ein vollständiges Manuskript.«

»Aber das gibt mir nur drei Monate!«, rief Darina aus. Doch wenn es das Thema schon nicht tat, die Dringlichkeit des Projektes reizte sie. Also stimmte sie zu, Charles’ Freund, den Geschäftsführer Joel Madoc, zu treffen, und ein Mittagessen bei Finer Foods wurde arrangiert.

Die Firma lag bei Marlborough, in der Nähe der M4, höchstens dreißig Minuten Fahrt von Darinas Haus in Somerset entfernt. Sie war in einem großen, viktorianischen Haus untergebracht, das in Büroräume umgewandelt worden war und einen unauffälligen Anbau hatte, der, wie Joel Madoc ihr erklärte, mal einen Tennisplatz und einen Krocketrasen beherbergt hatte.

»Manchmal wünschen sich einige Firmenmitglieder, es gäbe sie noch. Die Arbeitsmoral lässt hier im Moment zu wünschen übrig.« Die beißende Schärfe in seiner Stimme hätte sie warnen sollen, dass ihr Mittagessen nicht unbedingt angenehm werden würde.

Joel Madoc sah aus wie eine Bulldogge nach einer Gesichtsstraffung. Tadellose Körperpflege gaben dem strengen Kinn und den quadratischen Lippen einen sanften Charme. Ergrauendes Haar mit kräftigen Locken im Bürstenhaarschnitt betonten den markanten Kopf. Sein schlanker Körper war in einen Anzug von atemberaubend zurückhaltender Eleganz gekleidet. Darunter stach ein Hemd hervor, das nach Bestätigung schrie, mit Streifen in einer betörenden Mischung aus Terrakotta, Blau und Aprikose, denen zur vollen Würdigung des Effektes nur die italienische Sonne fehlte.

Er hatte ihre Hand mit beiden Händen gefasst und mit dringlicher Wärme gedrückt, während toastbraune Augen tief in die ihren blickten – unbeeindruckt davon, dass sie ihn mit ihren ein Meter achtzig und hohen Absätzen ein gutes Stück überragte. »Charles hat mir viel von Ihnen erzählt und ich freue mich so auf das Erscheinen ihres Buches, Kochen für zwei ist genau, was ich brauche.« Seine Stimme hatte eine flüssige Schwere, die sich über Darina ergoss wie Karamellsoße über Eiscreme.

Einigermaßen benebelt hatte sich Darina in einem kurzen Rundgang durch die Büroräume von Finer Foods führen lassen. Moderne Effizienz im Anbau und weitläufiger Charme im ursprünglichen Haus, wo sich das Konferenzzimmer und das Chefbüro befanden. Der Rundgang schloss eine reizvolle Küche ein, die in die frühere Bibliothek eingepasst war, und laut Geschäftsführer für Experimente mit neuen und laufenden Produkten genutzt wurde.

Endlich hatte Joel Madoc die Tür zum Speisesaal der Firma geöffnet, um Darina den anderen Vorstandsmitgliedern vorzustellen.

Plötzliche Stille erfüllte den Raum, als sie eintraten. Die Gruppe aus zwei Frauen und einem Mann stand betreten am Kamin, wie Kinder die bei etwas Verbotenem erwischt worden waren. Dann bewegte sich Anna Drax Johnson sanft vorwärts und Darina vergaß diesen ersten Eindruck. Beinahe sofort danach hatte Peter Drax mit Entschuldigungen für seine Verspätung den Raum betreten und die Gesellschaft war komplett.

Anna, die Marketingleiterin, Marian, die Buchhalterin und Michael, der Verkaufsleiter, waren Darina vorgestellt worden. Als Peter Drax an der Reihe war, wurde ihr kein erläuternder Titel genannt; er musste zum Aufsichtsrat zu gehören.

Seit seiner Anfrage zur finanziellen Situation der Firma schienen alle Vorstandsmitglieder den Gast am Mittagstisch vergessen zu haben, und als die Machtkämpfe in Fahrt kamen, fragte Darina sich, ob Charles Johnson wusste, dass Finer Foods finanzielle Probleme hatte. Er hatte ihr gegenüber diese Möglichkeit gewiss nicht erwähnt. Er hatte nur gesagt, dass die Firma angesichts erhöhter Konkurrenz den Bedarf sah, ihr Profil als Marktführer bei Gourmet-Lebensmitteln zu stärken.

Es schien allerdings, als hätte die Firma ernstere Probleme als die Ausbreitung von Konkurrenzprodukten.

Als Marketingleiterin lieferte Anna ihre Situationsanalyse mit leidenschaftlicher Überzeugung und mit scharfem Sarkasmus für das, was sie als Joels Ignoranz empfand. Ihrer Meinung nach lag die Antwort auf die Schwierigkeiten darin, die Firma in Supermärkten zu etablieren. »Das könnte unsere Verkaufszahlen deutlich erhöhen. Unsere Zukunft liegt dort, wo der moderne Kunde sein Essen kauft. Die Tage, um Lebensmittelläden und Feinkostgeschäfte vor Ort zu fördern, sind vorbei, für diese Art des Einkaufes hat niemand mehr Zeit.«

»Finer Foods hat seinen Ruf auf Exklusivität aufgebaut, auf der Loyalität zu Gourmet-Verkaufsstellen«, sagte Joel schnell.

»Die meisten davon gehen den Bach runter.«

»Dann wäre da noch die Präsentation der Waren, wir hätten keine Kontrolle darüber, das könnte desaströs sein.«

»Wenn du dich je bequemt hättest, in einen modernen Laden zu gehen, hättest du gesehen, dass deren Auslage mindestens genauso ansprechend ist, wie die in deinen sogenannten exklusiven Lebensmittelläden, oft sogar deutlich ansprechender. Sie haben Theken für Feinkost und frischen Fisch, ihre Fleischereien sind marktführend und wer stellt seinen Kunden neues Obst und Gemüse vor? Nicht dein örtlicher Gemüsehändler.«

»Hast du ihre nachlassenden Wachstumskurven in letzter Zeit nicht gesehen? Den Profitzwang, die Zunahme von lagerhausartigen Billigläden? Ist es das, wo du Finer Foods sehen willst? Ich weiß, dass du wenig Verständnis für unsere Produkte als Lebensmittel hast, aber ...«

Anna feuerte einen Blick voller Bosheit und Missgunst auf ihn ab und unterbrach ihn, ehe er sie weiter schlechtmachen konnte. »Ich weiß weitaus mehr über unsere Produkte als du, und ich bin über jeglichen Zweifel erhaben, wenn ich sage, dass deine Idee von einer Feinkostkette uns in den Bankrott treibt, noch bevor der erste Laden aufmacht.«

Zu dem Zeitpunkt mischten sich das gegenseitige Angiften von Marian und Peter in Annas Auseinandersetzung mit dem Geschäftsführer.

Darina kam nicht umhin, Joel Madocs Selbstbeherrschung zu bewundern. Wie persönlich die Beleidigungen auch wurden, er erhob nie die Stimme und behielt sein gelassenes Auftreten. Je haarsträubender die Anschuldigung, desto ruhiger wurde er. Doch als Michael Berkeley Marian Drax zur Seite sprang, indem er nahelegte, sie könnte ein anderweitiges Motiv für ihr Zögern in der Computerentscheidung haben, legte Joel Messer und Gabel so bedächtig zur Seite, wie ein Boxer, der vor seinem Kampf den Mantel ablegt.

»Lasst mich eine Sache völlig klarstellen. Der Rückgang der Firmenprofite bereitet mir ebenso viele Sorgen wie jedem von euch. Als Neueinsteiger kann ich dafür keine Verantwortung übernehmen, aber ich bin entschlossen, die Ursache zu finden. Eure Zahlen, Anna und Michael, legen nahe, dass es sich nicht um einen markanten Umsatzeinbruch handelt. Ich habe mir auch die anderen Zahlen angeschaut, die Marian zur Verfügung gestellt hat, aber zurzeit gibt es zu wenig Informationen, um sich auf irgendetwas festzulegen.«

Er blickte einmal um den Tisch herum, in die argwöhnischen Gesichter, die ihn betrachteten. »Ohne eine detaillierte Statistik mit neuesten Daten sind wir verloren. Deshalb bin ich so erpicht darauf, diesen Albtraum durchzustehen, und ich verstehe«, sagte er an Marian Drax gewandt, »dass die Digitalisierung der Konten für dich genau das sein muss. Aber die Alternative muss ein noch größerer Albtraum sein, sowohl für dich, als auch für die Firma. Wenn du nicht in der Lage bist, bis zum Ende des Monats einen Computer auszuwählen und zu bestellen, werden wir einen Buchhalter einstellen, der es kann.«

Bestürzte Stille. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr, wer Christ und wer Löwe war. Marian Drax saß nur da, die letzte Farbe wich aus ihrem Gesicht. Ihre Lippen öffneten und schlossen sich wie die eines Fisches, schnappten wortlos nach Luft. Sie blickte zu Anna Drax Johnson, in der Hoffnung auf Unterstützung. Und bekam sie.

»Das kannst du nicht machen, Joel. Dies ist ein Familienbetrieb, Marian ist nicht nur Buchhalterin, sondern auch Anteilseignerin.«

»Bis du für mehr als fünfzig Prozent der Anteile sprechen kannst«, sagte er seidig sanft, »denke ich, dass meine Entscheidungen maßgeblich sind.«

Anna biss sich auf die Lippe und eine geballte Faust presste sich fest auf den polierten Mahagoni-Tisch.

»Wenn du nur unsere Abfindung akzeptieren würdest, Joel, dann wären deine Probleme gelöst.«

»Hoffnungslos, meine Liebe. Ich habe diese Firma geerbt und ich werde sie führen.«

»Auch in den Bankrott?«

Es war Peter Drax, der die Situation entschärfte. »Ich muss gestehen, Anna, dass ich mit Joel übereinstimme und nicht verstehen kann, worüber Marian sich so aufregt. Bei uns in der Praxis läuft alles über Computer und es ist beeindruckend, wie das alle möglichen Situationen für uns vereinfacht hat. Wir wissen genau, wie viel jeder Aspekt der Arbeit kostet und können die aktuellen Zahlen mit denen von vor einer Woche, einem Monat oder einem Jahr vergleichen.« Er lehnte sich zu der blassen Frau an seiner Rechten. »Ich weiß, dass du all die Jahre wunderbare Arbeit geleistet hast, Marian, aber die Zeiten ändern sich.«

Sie erwiderte seinen Blick, in ihren blassblauen Augen lag eine Mischung aus Fassungslosigkeit und Kummer, sie versuchte zu sprechen, fand nicht die nötige Beherrschung, ließ ihre Serviette auf den Teller fallen und verließ eilig den Tisch.

Michael Berkeley erhob sich. Anna legte eine Hand auf seinen Arm. »Lass sie gehen, du kannst ihr nicht helfen.« Er sank zurück in seinen Stuhl.

Joel schien sich endlich wieder an seinen Gast zu erinnern. »Liebste Darina, wie unmanierlich von uns, all unsere schmutzige Wäsche vor Ihren Augen zu waschen. Diese Angelegenheiten gehören in den Konferenzraum, nicht an den Mittagstisch. Ich traue mich kaum noch zu fragen, ob Sie bereit sind, diesen Auftrag zu übernehmen.«

»Ich glaube, es ist unmöglich, etwas zu schreiben, das Sie alle zufriedenstellt«, sagte Darina langsam und an den ganzen Tisch gerichtet. »Es scheint zu viele verschiedene Zukunftsperspektiven zu geben.«

»Machen Sie sich keine Sorgen um mich«, sagte Anna mit hochrotem Gesicht, geradezu schmerzhaft aufrecht und beherrscht dasitzend. »Ich habe dem Plan zugestimmt, als er das erste Mal erörtert wurde. Tatsächlich ist das einer der wenigen Pläne, denen ich zurzeit zustimme.«

»Genau!«, sagte Michael Berkeley herzlich und stürzte sich damit hoffnungsvoll auf das unstrittige Thema. »Ich sage schon seit einer Weile, dass wir genau so ein Buch brauchen, etwas, das unser Qualitätsversprechen unterstreicht, das erklärt, dass unsere Produkte ...«, er zögerte und blickte hilfesuchend zu Anna.

Die Hilfe kam unerwarteterweise vom Geschäftsführer. »Etwas, das erklärt, dass unsere Produkte für die gehobene Küche genauso brauchbar sind wie frisch geerntetes Gemüse oder gut abgehangenes Fleisch; dass sie essenziell für die Küche eines jeden guten und experimentierfreudigen Kochs sind. Das ist die Botschaft, die wir vermitteln wollen. Michael, führe Miss Lisle ins Konferenzzimmer und sieh mit ihr unser Sortiment durch.« Er wandte sich an Darina. »Ich werde dafür sorgen, dass man Ihnen dort Kaffee bringt.« Es war eher ein Befehl als ein Vorschlag.

Ob sie wollte oder nicht, Darina würde mehr über Finer Foods und seine Produkte erfahren.