Leseprobe Traummann auf Bestellung

1

Adalize

Aus dem Off hört man eine Achtzigerjahre-Liebesschnulze. Oben ohne und in gestreiften Boxershorts liegt er auf einer karierten Picknickdecke im Gras. Um ihn herum schwirren bunte Schmetterlinge und naschen am Nektar der noch bunteren Blüten. Die Sonne scheint. Nur eine einzige wollige Wolke in Form eines Herzens durchbricht das perfekte Blau des Himmels.

Nichts Außergewöhnliches also. Unkreativ unspannend. Und schon gefühlt eine Million Mal mit nur minimalen Veränderungen gesehen. Gähn. Manchmal langweilt mich mein Beruf. Haben die Leute nicht mehr Fantasie?

Als die Frau die Szene betritt, richtet sich der Mann auf und breitet lächelnd die Arme aus. In ihrem weißen Sommerkleid, das in der leichten Brise mit ihrer hellen Wallemähne um sie herumweht, tänzelt sie auf ihn zu.

In Wirklichkeit ist sie nicht blond und langhaarig, sondern trägt ihre straßenköterbraunen Haare in einem knabenhaften Pixieschnitt. Ich notiere mir, sie zu erinnern, dass sie ihr Produkt vor unserem finalen Treffen über ihr wahres Aussehen informieren sollte, um Komplikationen zu vermeiden. Viele Männer sind nicht begeistert, wenn ihre Partnerin plötzlich ganz anders aussieht als gewohnt. Oder zumindest verständlicherweise verwirrt.

Außer einem silbernen, leise bimmelnden Knöchelkettchen ist sie barfuß. Mit einem Gurren schmiegt sie sich in seine Arme. Sofort fangen die beiden an, sich zu küssen. Seine Hände wandern ihren Rücken hinunter und bleiben auf ihren Hüften liegen. Seine Erektion ist in den Boxershorts deutlich zu erkennen. Selbst aus der Entfernung.

Jetzt wechselt die Musik, Geigen erklingen, werden lauter und setzen zum Finale an. Dazu Vogelgezwitscher.

Für heute habe ich genug gesehen. Leise erhebe ich mich hinter dem Busch, der mich verborgen hat und schleiche davon.

Anfangs kam ich mir oft wie ein Spanner vor. Aber es gehört nun mal zu meinem Job, verliebte Paare bei allen möglichen Dingen zu beobachten. Auch bei intimen. Die Szene eben wird vermutlich in Sex enden, wie die meisten Besuche bei meinen Kunden.

Nur einen Augenblick später bin ich wieder zuhause und lasse mich auf das Sofa fallen. Nach einem Besuchstermin brauche ich immer ein wenig Ruhe, um mich zu sammeln. Zwar ist die Prozedur an sich – mein Arbeitsweg quasi – für mich so einfach wie atmen, doch die vielen Gefühle, denen ich ständig ausgesetzt bin, sind dafür umso anstrengender. Nicht körperlich, vielmehr seelisch. Wird Zeit, dass ich mal wieder einen Auffrischungskurs zum Energieabschotten besuche. Das goldene Ei, das ich zum Schutz um mich herum aufbaue, schwächelt schon lange.

Mom hat mit den vielen Fremdenergien keine Probleme, meint, ich sei viel zu sensibel. Mag sein, aber jeder ist eben, wie er ist. Vielleicht wird es leichter, wenn ich älter bin.

Obwohl es bereits weit nach Mitternacht ist und ich beinahe im Stehen einschlafe, gehe ich nicht sofort ins Bett. Im Bad ziehe mich aus und drehe das Wasser in der Dusche auf. Ich warte, bis unser alter Boiler blubbernd zum Leben erwacht. Dann stelle ich mich unter den Strahl. Das heiße Wasser trommelt auf meinen Kopf und rinnt meinen Körper hinab. Mit geschlossenen Augen genieße ich die Dusche, die mich nicht nur vom Schmutz und Schweiß des Tages, sondern auch von den Energien und Gefühlen anderer Menschen reinigt.

 

2

Jaxon

Diesmal liege ich nackt in einem riesigen Bett. Wie ich hierhergekommen bin, weiß ich nicht. Wie immer. Plötzlich bin ich eben einfach irgendwo. Manchmal bin ich vollständig angezogen, manchmal – wie heute – nicht. Ich bin ohnehin lieber nackt. Die Anzüge, die ich in letzter Zeit öfters tragen musste, sind unbequem. Genauso wie die Jeans und die Lederjacke, aber wenigstens fühle ich mich darin einigermaßen wohl. Die graue Jogginghose vom letzten Mal war gut, bequem, keine eingequetschten Eier, kein Rubbeln auf der Haut.

Aber unabhängig davon, was ich trage, sie zieht mich innerhalb kurzer Zeit ohnehin aus. Oder sie verlangt von mir, dass ich für sie strippe. Ihre Stimmung dagegen ist nicht so berechenbar wie ihr Verhalten. Jedes Mal ist sie anders. Das nervt, aber wenigstens bleibt so unser Liebesleben spannend. Sex ist das, was wir am häufigsten tun. Ficken, poppen, rammeln, miteinander schlafen. Was davon es wird, entscheidet meistens sie. Und ich passe mich an. Mir ist es egal, wie ich sie bekomme. Unter mir oder über mir oder vor mir. Sie ist mir in allen Stellungen recht. Hauptsache, ich kann meinen Schwanz in ihre gierige Möse stecken. Sie mag es, wenn ich solche Sachen zu ihr sage. Dirty Talk nennt sie das. Ich brauche das nicht. Viel Reden ist nicht so meins. Erst recht nicht mit ihr.

Nur selten unternehmen wir auch mal etwas anderes. Gehen zum Tanzen oder zu einem Konzert. Gemeinsam im Urlaub waren wir auch schon, inklusive Sex am Strand unterm Sternenhimmel. So glücklich und zügellos habe ich sie selten erlebt.

Ständig sagt sie mir, wie sehr sie mich liebt. Ich antworte immer brav mit „Ich dich auch.“ Doch im Grunde ist sie mir schnurz. So gefühlsmäßig meine ich. Ich hänge nicht an ihr oder verzehre mich nach ihr. Ehrlich gesagt kann ich sie nicht einmal besonders gut leiden. Wenn sie nicht auftauchen würde, würde ich sie nicht vermissen. Aber ich mag den Sex mit ihr, tue grundsätzlich, was sie mir sagt, auch wenn ich keine Ahnung habe, wieso, befriedige sie und hole mir meine eigene Erleichterung. Ein Arrangement also, von dem beide Seiten profitieren.

Während ich auf sie warte und dabei mit meinem Schwanz spiele, schaue ich mich um, wo ich diesmal gelandet bin. Ein Schlafzimmer. Draußen scheint die Sonne, einzelne Strahlen fallen durch das Fenster und malen glitzernde Streifen auf den Holzfußboden. Außer einem Nachtkästchen, auf dem eine Flasche und zwei Gläser stehen, ist der Raum leer. Champagner schmeckt mir nicht, Bier ist mir lieber, aber wenn sie es will, muss ich dieses blubbernde Gesöff trinken. Sie schüttet es wie Wasser in sich hinein. Einen Schrank oder Kleidung kann ich nicht entdecken. Offenbar bleiben wir heute hier. Na gut. Soll mir recht sein. Wobei es auch schon passiert ist, dass ich von einem Moment auf den anderen etwas anhatte. Einfach so. Ohne den Zwischenschritt des Anziehens.

Gleich wird sie hereinschneien. Das weiß ich, weil ihr Erscheinen immer mit Musik angekündigt wird. Meistens spiegelt diese auch ihre Stimmung wider. Heute ist die Melodie leise. Und furchtbar schnulzig. Kerzen tauchen auf dem Fensterbrett auf und die Sonne geht auf einmal unter und überflutet das Zimmer mit orangem Licht. Es riecht nach Blumen. Rosen vielleicht. Keine Ahnung. Bin ja kein Gärtner. Ist auch egal. Ich brauche das ganze Gedöns nicht. Aber weil sie es glücklich und willig macht, protestiere ich nicht. Ich bin schließlich kein Unmensch.

Von einer Sekunde auf die andere räkelt sie sich vor mir auf dem Bett. Ebenfalls nackt. Ihre Nippel recken sich mir entgegen. Lecker sieht sie aus, wie sie da so liegt und mich lasziv angrinst. Ich will in sie. Also beuge ich mich vor und küsse sie. Meine Zunge klopft an ihre Lippen und sie gewährt mir Einlass. Eine Weile küssen wir uns, während mein Penis aufrecht und ungeduldig darauf wartet, endlich loslegen zu dürfen.

„Nimm mich. Jetzt!“, haucht sie zwischen den Küssen.

Das lasse ich mir nicht zweimal sagen, drücke sie rückwärts auf die Matratze und versenke mich in ihr, stoße in sie, bis sie am ganzen Körper zitternd den Höhepunkt erreicht. Beim Kommen schreit sie meinen Namen, wimmert und bettelt, ich solle bitte bitte nicht aufhören. Ich pumpe und stoße, gebe ihr, was sie verlangt und braucht. Sie klammert sich mit Beinen und Armen an mich, biegt sich mir entgegen und kommt kreischend ein weiteres Mal. Ihre Vagina zieht sich um mich zusammen, massiert meinen ohnehin schon schmerzhaft harten Schwanz. Noch einmal erschaudert sie, presst den Kopf ins Kissen, vergräbt ihre Nägel in meine Schultern. Als ich merke, wie sie erschöpft erschlafft – das Zeichen, dass sie genug hat –, konzentriere ich mich auf mich und befriedige mich an ihr, bis ich meinen Saft in sie spritze.

Befriedigt rolle ich mich von ihr herunter. Sie schmiegt sich seufzend an mich und schließt die Augen. Nach ein paar Minuten atmet sie ruhig und gleichmäßig. Sie schläft. Ich nicht. Ich habe noch nie geschlafen. Stattdessen halte ich sie in meinen Armen und warte, was weiter passieren wird.

 

Mir ist langweilig. So lange schläft sie sonst nie. Normalerweise nickt sie nur kurz ein oder ruht sich aus, bevor wir eine zweite oder dritte oder vierte Runde einlegen. Sie ist es, die die Regeneration braucht. Ich nicht. Ich kann immer. Sie hat mir mal erzählt, dass das nicht bei allen Männern so ist. Was jucken mich andere Männer?

Mir ist so langweilig.

Kurzentschlossen stecke ich meinen Kopf unter die Decke und robbe nach unten, lecke über ihre, von meinem Saft noch feuchte Muschi, und versuche, sie auf diese Weise aufzuwecken. Was funktioniert, denn nach nur wenigen Zungenschlägen windet sie sich stöhnend und drückt meinen Kopf fester zwischen ihre Beine. Es dauert eine Weile, bis sie kommt. Das ist meistens so, wenn sie geschlafen hat. Noch bevor ihr Orgasmus ganz verklungen ist, richte ich mich wieder auf, drehe sie auf den Bauch und besteige sie von hinten.

„Wir müssen reden“, sagt sie, als wir danach schwer atmend nebeneinanderliegen. Sie rappelt sich auf und stützt sich auf ihren Ellbogen.

Mich zu konzentrieren fällt mir schwer, weil mich ihre Nippel anstarren. „Reden?“, stoße ich hervor und lecke mir die Lippen. Aber weil sie die Augen verdreht, reiße ich mich zusammen und erwidere ihren Blick.

Sie beugt sich über mich und kreist mit dem Zeigefinger um meine Brustwarze. „Wie würdest du es finden, wenn wir für immer zusammen sein könnten?“

Ich verstehe nicht, was sie meint. „Sind wir doch.“

Sie öffnet den Mund, holt Luft, schließt ihn wieder. Seufzt.

„Na ja, eigentlich …“ Sie stoppt und knabbert an ihrem Daumennagel. „Vergiss es. Küss mich lieber.“

Keine Ahnung, was mit ihr los ist. Aber ich denke nicht weiter darüber nach und drücke meinen Mund auf ihren.

 

3

Adalize

Mein Wecker reißt mich nur gefühlte fünf Minuten später, nachdem ich mich hingelegt habe, aus einem tiefen Schlaf. Müde reibe ich mir die Augen und versuche mich zu erinnern, warum ich so früh aufstehen soll. Ach ja, der Frühstückstermin. Die Frau von heute Nacht, eine nette, aber ungeduldige Person, die nur schwer davon zu überzeugen war, dass ich nicht allein durch ein Fingerschnippen ihre Wünsche und damit meinen Auftrag erfüllen kann. Ein wenig Vorlauf brauche ich durchaus. Und dazu gehören nun mal die nächtlichen Besuche.

Ich bin keine große Frühstückerin, ein Kaffee und eine Stunde schweigen und die Wand anstarren reichen mir. Doch weil Miss Endevor ohnehin nicht lockergelassen hätte, habe ich zugestimmt, sie noch vor ihrem Arbeitsbeginn als Staatsanwältin zu treffen.

Wir haben uns in einem kleinen Café unweit des Gerichtsgebäudes verabredet. Als ich den Gastraum betrete, sitzt meine Kundin bereits an einem Tisch am Fenster und telefoniert. Mit ihrer perfekt manikürten Hand winkt sie mich zu sich. Es ist immer wieder seltsam, die unterschiedlichen Versionen meiner Kundinnen zu erleben – die im Traum und die in der Realität. Miss Endevor ist eine der Frauen, die im Traum das genaue Gegenteil ihres wachen Ichs darstellen. Hier ist sie die disziplinierte, knallharte Juristin, die ohne mit der Wimper zu zucken auf Todesstrafe plädieren würde. Dort ist sie sorglos, fröhlich, ein Hippie-Girlie, das auf Sommerblumenwiesen herumtollt. Heute trägt sie ein Twinset aus Bleistiftrock und Seidenbluse, die raspelkurzen Haare glatt an den Kopf gegelt, die Lippen im gleichen Rot bemalt wie ihre Fingernägel. Ganz anders als das ungeschminkte, natürlich strahlende Mädchen von heute Nacht.

Was ihren Traummann angeht, hat sie bis jetzt nur die Wahrheit gesagt. Ihre Beschreibung passt in jedem Detail zu dem Kerl, den ich gestern beobachtet habe. Etwas anderes hätte mich bei einer Staatsanwältin auch gewundert. Unser aktuelles Treffen ist angesetzt, um noch mehr über ihn zu erfahren und einen weiteren Besuchstermin zu vereinbaren. Danach kann ich abschätzen, ob weitere Vorabbesuche nötig sind oder der Auftrag zeitnah abgeschlossen werden kann.

Mit einem kurzen „Wir sehen uns heute Nachmittag“ beendet sie ihr Telefonat und steckt ihr Smartphone zurück in ihre Designer-Handtasche. Mom besitzt die gleiche, deswegen weiß ich, wie teuer die war.

„Miss Collins, schön, dass Sie es geschafft haben. Setzen Sie sich. Was darf ich Ihnen bestellen?“, begrüßt sie mich herzlich.

„Nur einen Kaffee, danke.“

Ich erwidere ihr Lächeln. Erfolgreiche und immer top gestylte Frauen wie sie sind zwar zuweilen anstrengend und erinnern mich an mein ganz und gar nicht perfektes Leben, trotzdem mag ich sie. Bewundere insgeheim ihre zielstrebige Art und ihren Mut, den Schritt zu wagen, wegen dem wir uns gerade treffen. Ein Schritt, der ihr Leben ungleich mehr beeinflussen wird als ein gewonnener Gerichtsfall. Sie wedelt mit der Hand, woraufhin eine Bedienung erscheint und mir eine Speisekarte auf einem Klemmbrett reicht. Ungesehen gebe ich sie ihr zurück und wiederhole, dass ich nur einen Kaffee möchte. Ohne Milch, dafür mit viel Zucker. Nach langen Nächten wie der gestrigen brauche ich besonders viel davon. Nicht, weil meine Live-Recherche so lange gedauert hätte. Miss Endevor geht schlichtweg so spät ins Bett, dass ein früherer Traumbesuch nicht möglich war. Ich muss für das nächste Mal unbedingt auf einen Termin vor zwei Uhr morgens bestehen. Nur mühsam kann ich ein Gähnen unterdrücken. Sie dagegen sieht frisch und ausgeruht aus. Wie macht sie das nur? Gute Gene? Eigener Make-up-Artist? Vielleicht hat sie durch ihren Beruf auch einfach Kontakte zum Drogenmilieu. Wäre es sehr aufdringlich, sie zu fragen, welche Aufputschmittel sie nimmt?

Schweigend warten wir, bis die Bedienung meinen Kaffee bringt und ich daran nippe. Miss Endevor hat ihre Ellbogen auf der Tischplatte abgestützt, ihr Kinn ruht in ihren Händen.

„Ist er nicht wunderbar?“, schwärmt sie.

Nickend bestätige ich, schlucke meinen Kaffee hinunter und bekräftige: „Ja, ist er.“

Es steht mir nicht zu, Urteile über die Partner der Kundinnen zu fällen. Mir müssen sie nicht gefallen, sondern ihnen. Und schließlich entstammen die Männer auch nicht meiner Fantasie. Ohnehin ist das Exemplar der Kundin eher Durchschnitt als herausragend. Zugegeben gehobener Durchschnitt, aber doch Mainstream. Auch wenn sich die Vorlieben bezüglich Aussehen und Charakter alle paar Jahre ein wenig verändern, zeichnet sich doch immer mehr der Trend zu „echten Kerlen“ ab.

„Wann machen wir weiter? Ich kann es kaum erwarten, ihn endlich in meine Arme zu schließen.“ Sie trommelt mit den Fingern auf dem Tisch.

Diese Ungeduld ist typisch. Die meisten Frauen warten schließlich jahrelang darauf, dass ihr Traum endlich wahr wird.

„Ich würde Sie bitten, vor unserem nächsten Termin unser ganztägiges Seminar Richtiges Träumen zu besuchen. Das ist wichtig, damit Sie beim finalen Manifestieren das erforderliche geschützte Setting erschaffen. Es würde auch ohne funktionieren, aber so machen Sie Ihrem Partner den Übergang leichter.“

Sie sieht mich ernst an und nickt. „Wie bei einer Geburt, meinen Sie? Raus kommen sie alle, aber eine natürliche Geburt in schöner Umgebung ist angenehmer als eine Sturzgeburt oder mit Saugglocke in einem sterilen Kreißsaal mit Neonröhren.“

Die Frau ist schlau. „So ist es“, bestätige ich lächelnd. „Schöner Vergleich.“ Mit einem stolzen Gesichtsausdruck lehnt sie sich zurück.

„Ist Ihr Partner denn besonders sensibel oder sollte ich auf etwas Spezielles achten?“

Auch Miss Endevors Mann entspricht dem gängigen Mainstream-Klischee. Groß und breitschultrig, mit ungekämmten Haaren, Dreitagebart und tiefsinnigen Augen. Ob man mit ihm auch so tiefsinnige Gespräche führen kann, konnte ich bei meinem ersten Besuch noch nicht herausfinden. Geredet hat er auf jeden Fall nicht viel. Gar nichts, genauer gesagt. Offenbar will Miss Endevor in ihren Träumen keine langen Plädoyers halten und lieber schnell zur Sache kommen. Verständlich eigentlich.

Der Erstkontakt mit den Produkten dient lediglich dazu, einen Eindruck über Situation, Paarkonstellation und Charakter zu gewinnen. Meine Intuition und Erfahrung sprechen zu lassen, mich in den Auftrag einzufühlen.

Mit den Fingern am Kinn überlegt sie. „Nein, er ist intelligent, aber besonders sensibel ist er nicht. Er hat eher … andere Talente.“

Verstehe.

„Dann sollte es kein Problem sein, ihn sicher und ohne große Anpassungsschwierigkeiten zu überführen. Der nächste Termin ist dafür gedacht, mich bei ihm vorzustellen und ihn in das Procedere einzuweisen. Ihre Aufgabe ist es zwischenzeitlich, ihm die Rahmenbedingungen zu erklären.“

Sie seufzt. „Und wie bringt man jemandem schonend bei, dass er bis jetzt nur im Traum existiert hat und daraus quasi herausgezaubert und in eine echte Person verwandelt werden soll?“

Tatsächlich ist das das Schwierigste. Aber die Erfahrung zeigt, dass es für die Männer leichter zu verstehen und zu verkraften ist, wenn es ihnen eine liebende Person nahebringt.

„Auch das ist Teil des Seminars. Machen Sie sich keine Sorgen. Sie sind Staatsanwältin. Sie können sicher gut argumentieren.“ Damit will ich sie ermutigen, doch sie schaut nur noch besorgter.

„Dabei geht es aber nie um die Liebe meines Lebens.“

Beinahe tut sie mir leid. Aber da muss sie durch. Wie alle Kundinnen.

„Sie werden das schaffen. Alles wird gut. Das Seminar findet in drei Tagen statt. Können Sie das terminlich einrichten?“ Sie zieht einen in Leder gebundenen Filofax aus ihrer Designer-Handtasche, blättert darin herum und nickt.

„Bis dahin machen Sie weiter wie bisher. Genießen Sie die letzten Tage in der jetzigen Konstellation und freuen Sie sich auf das Kommende.“