Leseprobe Bonbons, Whiskey und ein Mord

KAPITEL 1

Fiona Fitzgerald stand in ihrer Bonbonkocherei auf einer Leiter und hatte ihren Kopf zwischen die vielen bunten Lollis gesteckt, die kopfüber von der Decke hingen. Sie liebte es, hier oben zu sein. Es war beinahe wie im Schlaraffenland. Ein bunter Ort voller Süßigkeiten. Man musste nur den Mund aufmachen und zubeißen. Doch wahrscheinlich würde sie sich an den Lollis die Zähne ausbeißen. Im Gegensatz zu den anderen süßen Leckereien in ihrer kleinen Manufaktur waren die Lutscher, die von der Decke hingen, nur reine Dekoration oder besser gesagt Mittel zum Zweck. Sie waren steinhart und durch und durch ungenießbar.

Als sie vor etwas mehr als fünf Jahren das alte Haus ihrer Großmutter übernommen und aus der Bäckerei eine Bonbonkocherei gemacht hatte, war die Decke, die den Laden von ihrer Wohnung im ersten Stock trennte, optisch in keinem guten Zustand gewesen. Es fiel buchstäblich der Putz davon herunter. Deshalb hatte sie zunächst die vergilbte Raufasertapete entfernt und die Decke mithilfe ihres handwerklich begabten Nachbarn Thomas Finnegan neu verputzt. Gefallen hatte ihr die Decke anschließend trotzdem nicht. Es war nichts mehr als eine große, weiße, triste Fläche, die nichts für den Raum tat, außer ihn optisch zu vergrößern und praktisch von ihrer Wohnung zu trennen.

Um etwas mehr Pepp in den Laden zu bringen und die Manufaktur zu einem ganz besonderen Ort zu machen, hatte sie sich dazu entschieden, Hunderte von bunten Lollis in allen möglichen Geschmacksrichtungen verkehrt herum an die Decke zu hängen.

Seitdem wirkte das Geschäft, als habe sie ihre Bonbonkocherei auf den Kopf gestellt. Und allein das hatte einen unglaublichen Effekt: Kunden, die zum ersten Mal ihre kleine Manufaktur betraten, legten erstaunt den Kopf in den Nacken und Kinder bekamen riesige Augen, wenn sie das Meer an Lollis über ihren Köpfen entdeckten. Es war herrlich, ihnen dabei zuzusehen.

Die aufwendige Dekoration hatte nur einen Nachteil: Sie war sehr staubanfällig und musste mindestens einmal im Monat, wenn nicht gar öfter, aufwendig gereinigt werden. Und heute war eben so ein Tag.

Fiona war seit der Ladenöffnung vor knapp zwei Stunden damit beschäftigt, die bunten Lutscher zu entstauben. Sie schrubbte und wedelte an ihnen herum und musste dabei höllisch aufpassen, dass nichts von der Decke fiel. Mit den Jahren war die Konstruktion ganz schön wackelig geworden. Sie würde wohl nicht drumherum kommen, die Dekoration in den ruhigeren Wintermonaten zu erneuern.

Sie fürchtete, dass ihre Arbeit sich noch den ganzen Tag über hinziehen würde, da sie immer wieder von hereinlaufender Kundschaft unterbrochen wurde. Wie oft hatte sie sich schon vorgenommen, den nächsten Entstaubungstag auf einen Sonntag zu legen? Wie schnell könnte sie mit der ungeliebten Arbeit fertig sein, wenn sie die Decke einfach in einem Rutsch und ohne jegliche Unterbrechungen entstauben könnte?

Kling-klang

Das kleine goldene Glöckchen über der Eingangstür bimmelte und kündigte erneut Kundschaft an. Durch Himbeer-Pfirsich- und Erdbeersahne-Lollis hindurch sah Fiona, wie sich die Tür öffnete und ein Mann in den Vierzigern den Laden betrat. Er hatte kurze dunkle Haare, die er zu einem leichten Iro auf dem Kopf geformt hatte, während die Seiten über den Ohren frei rasiert waren.

Bestimmt ein Tourist, dachte Fiona. Jemand mit einem solchen Haarschnitt wäre ihr in dem kleinen Städtchen bestimmt schon früher aufgefallen.

Portrush war nicht gerade ein Mekka für Paradiesvögel. Das kleine 6.000-Einwohner-Örtchen an der nordirischen Atlantikküste machte vor allem in den Wintermonaten einen verschlafenen Eindruck. Viel passierte hier in der kalten Jahreszeit wirklich nicht, es sei denn Mary Higgings, die Blumenfrau, vergaß ausgerechnet in der Weihnachtszeit, ausreichend Mistelzweige zu bestellen.

Im vergangenen Winter hatte das zu wahren Dramen geführt, denn Mary Higgings Misteln waren binnen einer Woche ausverkauft, und – aus für Fiona nicht nachzuvollziehenden Gründen – weigerte sich die ältere Dame beharrlich, Nachschub zu besorgen. Wahrscheinlich fiel es ihr einfach zu schwer, einzugestehen, dass sie bei der Bestellung einen Fehler gemacht und die Nachfrage unterschätzt hatte. Mary Higgings war dafür bekannt, äußerst rechthaberisch zu sein, und würde sich wohl lieber einen Finger abschneiden, als einen Fehler zuzugeben.

Ihre Sturheit führte dazu, dass viele Einwohner gezwungen waren, ihre Misteln in der Umgebung zu kaufen, was wiederum einen regelrechten Rattenschwanz mit sich zog. Da viele aus Portrush ihre Misteln in den Nachbargemeinden kauften, waren auch dort bald alle ausverkauft, sodass einige gar keine Misteln bekamen oder sich ihre Zweige in Belfast oder Londonderry/Derry besorgten.

Keine Frage, seit dieser Weihnachtszeit hatten die Einwohner von Portrush keinen leichten Stand bei ihren Nachbarn. Edna James, die Blumenfrau aus dem angrenzenden Portstewart, schaute Fiona immer noch misstrauisch an, wenn sie auf dem Wochenmarkt an ihrem Stand vorbei bummelte. Dabei hatte Fiona bei ihr lediglich drei Mistelzweige gekauft.

So verschlafen Portrush im Winter auch war, so turbulent wurde es im Sommer. Das Küstenstädtchen hatte sich in den vergangenen Jahrzehnten vom urigen Fischerdorf zum beliebten Urlaubsziel entwickelt, und wenn der Royal Portrush Golfclub als Gastgeber für die British Open fungierte, platzte der Ort aus allen Nähten. Die örtliche Politik hatte ganze Arbeit geleistet, um aus Portrush in den Sommermonaten ein Vergnügungszentrum für halb Nordirland zu machen. Neben traditionellen Pubs gab es moderne Diskotheken, Spielhallen für Kinder und Erwachsene und sogar der über 90 Jahre alte Vergnügungspark wurde wieder auf Vordermann gebracht. Barry’s Amusements bot rund 15 Attraktionen, darunter sogar zwei Achterbahnen.

Fionas Bonbonkocherei lag in der Main Street, der größten Straße des Ortes, unweit vom Hafen. Eingebettet in urige Pubs, Boutiquen und Handwerksläden hätte sie sich keine bessere Lage für ihre kleine Manufaktur wünschen können. In den vergangenen fünf Jahren hatte sie ihr Hobby, die Herstellung von Bonbons und anderen Süßigkeiten, zum Beruf gemacht. Ihre selbstproduzierten Toffees und Fudges waren – nicht zuletzt auch Dank der zahlreichen Touristen, die nach ihrer Heimreise kräftig die Werbetrommel für Fiona rührten – weit über die Stadtgrenzen von Portrush bekannt. Mittlerweile bekam sie sogar Lieferanfragen aus ganz Irland und spielte mit dem Gedanken, einen Online-Shop ins Leben zu rufen.

„Einen kleinen Augenblick, ich bin gleich bei Ihnen.“ Fiona steckte nur kurz ihren Kopf aus den Lollis, um den Kunden mit der außergewöhnlichen Frisur und dem Brillant-Ohrring zu begrüßen.

„Stressen Sie sich nicht. Ich schaue mich derweil um“, sagte der Mann, dessen tiefe Stimme Fiona bekannt vorkam.

Neugierig beugte sie sich nach vorne, um einen genaueren Blick auf den Kunden zu erhaschen. Er hatte ihr den Rücken zugedreht und sah sich die mit Toffees gefüllten Kuppelgläser auf der Anrichte rechts im Laden an. Seine löchrige kurze Jeans endete knapp über den Kniekehlen und das weiße Achsel-Shirt, das er trug, betonte seine muskulösen Oberarme, die mit bunten Tattoos unterschiedlicher Größe übersät waren.

„Und Sie machen tatsächlich alles selbst?“

Der Mann hob skeptisch das Kuppelglas mit den kleeblattförmigen Waldmeisterbonbons an, die sie in diesem Jahr zum ersten Mal am St. Patricks Day zubereitet hatte und die seitdem vor allem als Glückssymbol bei Hochzeiten zum Einsatz kamen.

Fiona nickte, wohlwissend, dass der Kunde es nicht sehen konnte, da ihr Kopf immer noch zwischen den Lollis versteckt war. „Bitte nichts anfassen, ich bin gleich bei Ihnen.“

Erst jetzt schien dem Mann aufzufallen, dass die Stimme, mit der er sprach, nicht aus dem hinter dem Tresen liegenden Raum kam, sondern von der Decke über ihm.

„Ist ja der Wahnsinn“, entfuhr es ihm, als er seinen Blick nach oben richtete. „So eine Decke habe ich ja noch nie gesehen.“

„Alles, was Sie sehen, stammt aus eigener Produktion. Wenn Sie möchten, können Sie gerne mal probieren.“ Fiona kletterte von der Leiter, kam nun ganz zum Vorschein, und legte den Staubwedel beiseite. „Ich wasche mir nur noch kurz die Hände.“ Sie schwebte an dem Mann vorbei in die Küche, wobei ihre roten Locken herumwirbelten. Wenig später kehrte sie mit frisch gewaschenen Händen zurück. „Haben Sie schon einen Favoriten gefunden?“

Der Mann drehte sich um und lächelte.

„I-ich w-werd v-errückt!“, stotterte Fiona. Beinahe hätte sie ihre gute Erziehung vergessen und mit dem Finger auf den Mann vor ihr gezeigt. „Sie sind Nathan Night!“

„Ja, das bin ich. Seit meiner Geburt schon.“ Nathan Night lächelte und blickte verlegen zu Boden. So schüchtern hätte Fiona ihn gar nicht eingeschätzt.

Nathan Night war ein Reality-Star und hatte bereits in Shows wie I’m a Celebrity  Get Me Out of Here!, dem britischen Dschungelcamp, oder Celebrity Big Brother um den Sieg mitgekämpft. Vor allem aber war er Musiker und Schauspieler. Seine Karriere begann vor Jahren am Londoner West End, wo er als Musicaldarsteller ein gefeierter Star war und schließlich den Sprung ins Fernsehen schaffte.

Doch der Ruhm hatte seinen Preis gehabt und war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Es verging keine Woche, in der nichts über ihn und seine zahlreichen Affären, Alkoholexzesse und Drogeneskapaden in der Yellow Press stand. Als Folge verlor er zahlreiche Fernsehjobs und galt lange Zeit als gefallener Star. Die Herzen der Frauen hatte Nathan Night allerdings nie verloren. Auch Fionas nicht. Sie kannte jedes seiner Musicals und hatte jede seiner Shows verfolgt. Aber er hatte ihr mit dem alten Haarschnitt besser gefallen als mit diesem prolligen Möchtegern-Iro.

„Ich kann nicht glauben, dass Sie hier in meinem Laden stehen.“ Fiona merkte, wie sich ihr Pulsschlag beschleunigte. So musste sich ein Teenager gefühlt haben, der zum ersten Mal auf einem Take That-Konzert war, schoss es Fiona in den Kopf. Anders als die meisten Jugendlichen hatte Fiona ihre Pubertät meist mit einem guten Krimi zu Hause in ihrem Zimmer verbracht und hatte ihre wilde Partyzeit erst viel später auf dem College nachgeholt. Damals schwärmte sie weder für Robbie noch für Marc, sondern vielmehr für Ramington Steele oder Angela Landsburry, was ihr die ganze Schulzeit über einen eher schrägen Ruf einbrachte. Aber Fiona liebte Krimis über alles und hatte einen Großteil ihrer Jugend damit verbracht, sich durch eine Vielzahl Kriminalromane und -geschichten zu lesen.

„Sie können mich gerne kneifen, wenn es Ihnen hilft, das, was Sie sehen, zu begreifen.“ Nathan Night zwinkerte Fiona zu und streckte seinen muskulösen Arm in ihre Richtung aus. „Nur zu, ich beiße nicht.“

Fiona zögerte eine Sekunde, doch dann kniff sie zu. Nathan Night zuckte kurz irritiert zusammen – vermutlich überraschte es ihn, dass Fiona ihn tatsächlich beim Wort genommen hatte – und brach dann in schallendes Gelächter aus.

„Hab ich etwas falsch gemacht?“ Fiona wich einen Schritt zurück. Lachte er sie etwa aus?

„Sie sind ja herrlich! Sie haben mich tatsächlich gekniffen.“ Nathan klatschte in die Hände und drehte sich, warum auch immer, um seine eigene Achse. So, wie er es in seinen Musicals immer gemacht hatte. Fehlte nur noch, dass er gleich anfing zu singen.

„Schön, dass ich Sie zum Lachen gebracht habe.“ Fiona verschränkte ihre Arme vor der Brust, auch wenn sie ganz genau wusste, dass man Kunden so nicht gegenübertrat.

„Nein, nein, nein. So habe ich das nicht gemeint. Bitte verstehen Sie das nicht falsch. Ich lache Sie nicht aus.“ Nathan beendete sein Tänzchen, räusperte sich und wurde wieder ernst. „Ich bin es nur nicht gewohnt, auf Menschen zu treffen, die so natürlich mit mir umgehen.“ Nathan sah sich um, streckte seinen Arm nach oben und ließ seine Finger sanft durch die Köpfe der Lollis an der Decke gleiten. „Sie haben einen tollen Laden. So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen. Nicht mal in London. Es ist, als würde man ein Süßigkeiten-Wunderland betreten.“

Fiona lächelte und war versöhnt. Es war schön zu sehen, dass es auch einer berühmten Persönlichkeit, wie Nathan Night, nicht anders ging als jedem anderen Menschen auch, der zum ersten Mal einen Fuß in ihre Manufaktur setzte.

„Schön, dass es Ihnen gefällt.“ Sie machte einen Schritt auf Nathan Night zu und reichte ihm ihre Hand. „Ich bin Fiona Fitzgerald. Wie wunderbar, Sie hier begrüßen zu dürfen.“

Nathan nahm Fionas Hand und drückte sie fest. „Nathan“, sagte er und schenkte ihr ein versöhnliches Lächeln.

„Also, was kann ich für Sie tun?“

„Ich bin auf der Suche nach einem ganz besonderen Mitbringsel.“

„Für Ihre Freundin?“ Fiona biss sich auf die Zunge. Sie wollte auf keinen Fall zu neugierig erscheinen. Auf der anderen Seite war genau das die Frage, die sie Touristen immer stellte, die sich bei ihr im Laden nach einem süßen Souvenir umsahen.

„Für meine Mum, wenn Sie es genau wissen wollen. Sie ist eine kleine Naschkatze.“ Nathan rollte übertrieben mit den Augen.

„Nun, wenn das so ist, würde ich eine Mischung aus unseren Favoriten zusammenstellen. Mag sie Gin? Whiskey? Rum?“

„Alles“, lachte Nathan. „Ich nehme eine große Tüte von allem.“

„Gute Entscheidung.“ Fiona ging zum Tresen und holte einen rosafarbenen Pappbogen hervor, den sie binnen Sekunden geschickt zu einer kleinen Schachtel faltete. „Ich stelle Ihnen etwas zusammen.“ Sie rauschte an ihm vorbei und füllte den Karton mit unterschiedlichen Toffees und Fudges.

„Sind Sie heute Abend auch in der Show?“ Nathan stellte sich neugierig zu ihr an den Tresen und sah ihr dabei zu, wie sich der Karton mit immer mehr süßen Köstlichkeiten füllte.

„Ja, mein Freund hat mir Karten zum Geburtstag geschenkt“, antwortete Fiona. Sie wusste nicht warum, aber es war ihr wichtig zu betonen, dass sie auf dem freien Markt nicht mehr zu haben war. Bei jemandem mit dem Ruf von Nathan Night wusste man ja nie. Und jetzt stand er doch ein wenig zu nah an ihr dran, wenn sie darüber nachdachte.

Nathan nickte zufrieden, lächelte und rückte einen Schritt von ihr ab. Der Duft seines süßlich herben Aftershaves lag noch in der Luft.

„Sind Sie schon aufgeregt?“ Fiona legte den Deckel über die Schachtel und band eine Schnur darum.

„Wissen Sie, diese Sommertour ist etwas ganz Besonderes. Es ist ein Geschenk, das alles noch einmal zu erleben.“ Nathan Night stoppte und wurde ungewohnt nachdenklich. Er drehte sich von Fiona weg und verbarg sein Gesicht, so als wolle er nicht, dass sie den verletzlichen Nathan Night zu Gesicht bekam.

Fiona kannte die Geschichten aus der Regenbogenpresse. Wenn nur die Hälfte von dem wahr war, was dort geschrieben stand, war Nathan in den vergangenen Jahren durch die Hölle gegangen. Es musste schwer sein, alles, was man hatte, mit einem Schlag zu verlieren und dann wieder von vorne anfangen zu müssen.

Fiona beschloss, das Thema zu wechseln. Sie merkte, wie unwohl sich Nathan mit der Situation fühlte.

„Wir freuen uns sehr auf das Stück.“ Sie reichte Nathan die Schachtel und lächelte mitfühlend. „Hals und Beinbruch.“ Fiona erinnerte sich, irgendwo einmal gelesen zu haben, dass sich Theaterschauspieler dies vor einer Aufführung wünschten und es Glück bringen sollte.

Nathan Night versuchte sich an einem Lächeln, das ihm aber nicht so recht gelingen wollte, reichte ihr das Geld über den Tresen, nahm die Schachtel, drehte sich um und ging.

„Man sieht sich.“

***

„Ich kann nicht glauben, dass du es noch nie gesehen hast!“ Fiona Fitzgerald schlenderte entspannt am Arm ihres Freundes die Main Street in Richtung Westcoast Theatre entlang.

„Was?“ Conor Brennan blieb stehen und sah seine Freundin an. Ihre rotgelockten Haare fielen locker auf ihre Schultern und ihre Augen funkelten grün im grellen Licht der Straßenlaterne.

„Na, die Rocky Horror Show.“ Fiona löste sich von seinem Arm und stemmte die Hände in die Hüften. „Sag nicht, du hast noch nie den Time Wharp getanzt.“ Sie begann mit den Hüften zu wackeln, ihre Knie nach innen zu kippen und sich im Kreis zu drehen.

„Nicht, dass ich wüsste. Aber mach ruhig weiter … sieht gut aus.“ Er trat einen Schritt zurück und tippte mit dem Zeigefinger gegen seine Unterlippe, während er Fiona beobachtete, die auf dem Bürgersteig die Hände nach oben wirbelte, mal nach links und dann nach rechts hüpfte und dabei in schiefer Tonlage ein Lied trällerte.

It’s just a jump to the left

And then a step to the ri-ii-ight

Put your hands on your hips

You bring your knees in ti-i-ight

Auch wenn Fiona viele Talente hatte, Singen gehörte eindeutig nicht dazu. Sie traf beinahe keinen Ton. Außerdem brachte das Hüpfen sie so außer Atem, dass sie zum Schluss der Strophe eher keuchte als sang.

Als sie fertig war, legte Conor den Arm um sie und stupste gegen ihre Nase.

„Du solltest dringend an deiner Kondition arbeiten.“

Er grinste und Fiona wusste genau, worauf er anspielte. Vor ein paar Wochen hatte Conor ihr mitgeteilt, dass er im kommenden Jahr am Belfast City Marathon teilnehmen wollte und schon jetzt mit dem Training dafür begonnen habe. Seitdem lief er jeden Morgen ein paar Kilometer, bevor er sich in sein Auto setzte und von Portrush aus zu seinem Dienst nach Belfast fuhr. Fiona hatte genervt darauf reagiert, dass die wenigen Tage, an denen Conor bei ihr in Portrush war, der Wecker nun schon um 5 Uhr morgens klingelte, und eines Abends hatte sie im Überschwang der Gefühle gesagt, dass sie den Marathon mit ihm zusammen laufen wollte. Natürlich hatte sie es nicht so gemeint, und es war eher ein Scherz gewesen. Auch Conor wusste das. Trotzdem konnte er es nicht lassen, sie bei jeder Gelegenheit mit ihrer miesen Kondition aufzuziehen.

Conor und Fiona waren noch nicht lange zusammen. Sie hatten sich erst vor knapp vier Monaten kennen- und liebengelernt, als Conor beruflich in Portrush war, um einen Doppelmord aufzuklären.

Fiona sah zu Conor rüber, der immer noch breit grinsend vor ihr auf dem Bürgersteig stand, und seinen Arm fest um ihre Taille gelegt hatte. Sie konnte ihm einfach nicht böse sein. Sie liebte seinen Humor, der mal flach und mal sarkastisch war. Sie konnte sich genauso gut stundenlang mit ihm unterhalten, wie einfach nur schweigend neben ihm sitzen und seine Anwesenheit genießen. Sie liebte es, sich in seinen rehbraunen Augen zu verlieren, mit ihm einzuschlafen und neben ihm aufzuwachen. Wenn es stimmte, was ihre Großmutter immer sagte, dass jeder Topf seinen Deckel fand, war Conor eindeutig ihr Deckel. Oder sie sein Topf. Wer wusste das schon so genau?

Fiona hob ihre Arme und wuschelte Conor durch die braunen Haare.

„Du gehst doch nur wegen diesem Nathan Night hin und nicht wegen der Show“, neckte Conor Fiona und drehte seinen Kopf weg, damit sie keinen Zugriff mehr auf seine Haare hatte.

„Er ist schon hübsch anzusehen“, gab Fiona unverfroren zu und grinste, als sie an Nathans Besuch bei ihr im Laden dachte. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass er heute auf einmal vor mir stand.“

„Zum Glück hat er sich benommen. Man hört ja so einiges.“ Conor legte den Kopf schräg und kaute auf seiner Unterlippe herum.

„Man muss nicht alles glauben, was in den Zeitungen steht.“ Fiona winkte ab und kuschelte sich an Conor. Er hatte keinen Grund eifersüchtig zu sein – sie war so glücklich, ihn gefunden zu haben. „Und ich habe doch eh nur Augen für dich.“

„Das bedeutet, du kreischst nicht, wenn er die Bühne betritt?“ Er warf ihr einen flehenden Blick zu.

„Das kann ich dir nicht versprechen.“ Fiona schaute Conor herausfordernd an. Er lächelte schräg.

„Können wir jetzt weiter? Ich möchte auf keinen Fall zu spät kommen.“

„Ich wüsste, wie wir heute Abend auch eine Menge Spaß haben könnten.“ Conor grinste breit, nahm Fiona wieder in den Arm und versuchte, sie zu küssen.

„Conor Brennan. Darf ich dich daran erinnern, dass du mir die Karten geschenkt hast. Zu meinem Geburtstag. Und verdammt noch mal, jetzt wirst du mich auch dahin begleiten!“ Fiona hakte sich bei Conor unter und zog ihn weiter die Main Street hinauf. „Für alles andere wird danach auch noch Zeit sein.“

„Na, hoffentlich.“

KAPITEL 2

Der Pub in der Oceans Road war bis auf den letzten Platz gefüllt. Nach einem erfolgreichen Theaterabend war es Tradition in Portrush, dass man sich hier auf ein Bier traf und Zuschauer sowie Theaterensemble den Abend genüsslich ausklingen ließen. Meist war die Stimmung unter den Gästen locker und ausgelassen, doch es kam vor, dass die Zuschauer vom Stück oder der Inszenierung nicht so begeistert waren. War das der Fall, hatte der Regisseur einen schweren Stand und wurde gerne mal buhend empfangen, was zum Glück nur ganz selten der Fall war.

Heute Abend aber war die Stimmung bestens, denn die Show war ein voller Erfolg gewesen. Fiona und Conor hatten gerade noch einen Platz an der Bar ergattern können, als auch schon die große Eichentür aufsprang und tosender Beifall erklang. Unter anerkennenden Bravo-Rufen betraten die Darsteller den Pub, winkten in die Runde und setzten sich an die für sie reservierten Tische.

Fiona hielt unbewusst nach Nathan Night Ausschau, konnte ihn in der jubelnden Menge aber nicht ausfindig machen. Stattdessen fiel ihr Blick auf einen der anderen Darsteller, Jason Williams, der das Bad in der Menge sichtlich genoss, bereitwillig Autogramme gab und für Selfies in die Handykameras lächelte.

„Fiona? Hi.“ Zu ihrer Überraschung stolperte Nathan Night auf sie und Conor zu und begrüßte beide überschwänglich. Es war offensichtlich, dass er bereits das eine oder andere Pint genossen hatte. Er roch deutlich nach Bier. „Darf ich für Sie auch was bestellen?“

Nathan reichte Conor und Fiona die Hand. „Das muss wohl ihr Freund sein, von dem Sie mir heute Mittag erzählt haben.“

Conor warf Fiona einen zufriedenen Blick zu, den diese nur augenrollend beantwortete.

„Müssen Sie denn nicht zu Ihren Leuten?“ Conor sah sich zum restlichen Cast um, die singend und johlend an ihren Tischen saßen.

„Sieht nicht aus, als würden die mich vermissen.“ Nathan zog eine Grimasse, die deutlich machte, wie egal ihm der Rest des Teams war. „Also, trinken Sie noch was mit mir?“ Sein Blick wanderte von Conor zu Fiona und wieder zurück zu Conor, der lächelte und zustimmend nickte.

„Okay.“

Fiona fragte sich, ob es wohl unverschämt wäre, Nathan um ein Foto zu bitten. Wie gerne würde sie es ihrer Cousine zeigen und ein wenig damit angeben. Wenn auch nur ein ganz kleines bisschen. Aber irgendetwas sträubte sich in ihr. Auch wenn sie Nathan nie wiedersehen würde, so war sie doch auch eine Geschäftsfrau. Und Nathan Night sollte sich an ihre köstlichen Bonbons erinnern, wenn er an Portrush dachte, und nicht an einen nervigen Fan, der nur auf ein Selfie aus gewesen war. Vielleicht würde er ihre Manufaktur sogar weiterempfehlen? Was zweifellos die beste Werbung war, die sie weit und breit bekommen könnte.

 

„Kann ich dich sprechen?“

Die piepsige, unsichere Stimme einer Frau riss Fiona aus ihren Träumereien. Conor und Fiona wirbelten herum und blickten in das Gesicht einer jungen Frau, nicht älter als Mitte zwanzig. Ihre blonden langen Haare hatte sie zu einem Knoten auf dem Kopf zusammengebunden und ihre blauen Augen spiegelten sich im Licht der schummrigen Barbeleuchtung. Sie trug einen ultrakurzen Minirock aus schwarzem Lackleder, der ihre langen Beine gut in Szene setzte. Dazu eine halbdurchsichtige Chiffonbluse, ebenfalls in Schwarz, und ultrahohe High Heels. So sehen also Groupies aus.

Da weder Conor noch Fiona die junge Frau kannten, musste sie mit Nathan gesprochen haben, der weiter mit dem Rücken zu ihr an der Bar lehnte und versuchte, Bier zu bestellen.

„Nathan“, sagte sie vorsichtig, drang aber nicht zu ihm durch.

Fiona klopfte Nathan auf die Schulter, um ihn auf die junge Frau aufmerksam zu machen. Sichtlich genervt drehte er sich um.

„Was?“, maulte er. Als er bemerkte, dass es Fiona gewesen war, die ihm auf die Schulter geklopft hatte, entschuldigte er sich kaum hörbar und lächelte. „Sorry.“

„Ich glaube, da möchte Sie jemand sprechen.“ Fiona deutete auf die Blondine, die direkt hinter Nathan stand und ihn anlächelte.

„Ich hab ihre Stimme schon gehört, hab heute aber kein Interesse.“ Nathan drehte sich wieder um und haute mit der flachen Hand auf den Bartresen, um die Aufmerksamkeit des Barkeepers zu bekommen.

„Nathan, bitte, ich muss mit dir reden.“ Die junge Frau ließ nicht locker. Vorsichtig trat sie näher an ihn heran und legte ihm sanft die Hände auf die Schultern. Sie schien ihn gut zu kennen. „Hast du nicht wenigstens eine Minute Zeit für mich?“

Fiona konnte kaum mit ansehen, wie sehr die junge Frau um Nathans Aufmerksamkeit bettelte. Hatte sie denn gar kein Ehrgefühl?

„Ich hab gesagt, ich will heute nicht. Ich will nie wieder. Kannst du das nicht endlich kapieren? Verschwinde!“ Nathan sprach lauter, als er eigentlich musste. Emily stand direkt vor ihm, es wäre nicht nötig gewesen, sie anzuschreien.

Die junge Frau zuckte zusammen, ließ sich aber nicht abwimmeln. „Ich gehe nicht ohne dich“, sagte sie bestimmt, wenn auch immer noch mit piepsiger Stimme.

„Tja, dann wirst du heute Abend ziemlich lange hier auf mich warten müssen. Ich habe mir nämlich vorgenommen, die Nacht durchzumachen. Aber bitte, wenn dich das anmacht, Süße.“ Er hauchte ihr einen Kuss entgegen und grinste.

Fionas Mitleid mit Nathan Night war auf der Stelle verschwunden. Der Mann, der hier mit Conor und ihr am Tresen saß, hatte so gar nichts mit dem gemein, der heute Nachmittag in ihrem Laden gestanden und mit den Tränen gekämpft hatte. Der Nathan Night hier vor ihr, war betrunken und respektlos. Vielleicht war doch nicht alles falsch, was in der Presse stand?

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, stupste Conor Fiona in die Seite und zog sie näher an sich heran. Sein Und-den-findest-du-toll-Blick machte überdeutlich, dass er das gleiche dachte, wie Fiona.

„Am liebsten würde ich mit dir hier verschwinden, aber ich habe ein ungutes Gefühl bei dem Typen. Der hat sie doch nicht mehr alle.“ Conor rutschte vom Barhocker und stellte sich beschützend vor Fiona.

Sein ständiger Beschützerinstinkt, der aufgrund seines Jobs unvermeidbar war, nervte Fiona zwar manchmal, aber irgendwie fand sie es auch süß, dass er sie stets beschützen wollte. Er gab ihr damit das Gefühl, etwas sehr Wertvolles zu sein ­– was er auch nicht müde wurde, zu betonen.

„Wir sollten sie wirklich nicht alleine hier lassen“, gab Fiona ihm recht.

„Emily, Love. Ich wusste gar nicht, dass du auch in Portrush bist. Wo hast du dich die ganze Zeit versteckt?“ Jason Williams war unbemerkt zu ihnen an die Bar gekommen und legte besitzergreifend seinen Arm um die zarte Blondine.

„Jason, lass das. Ich bin mit Nathan hier.“ Sie drehte sich unter seinem Arm weg und versuchte, seinen Fängen zu entkommen.

Fiona und Conor beobachteten das Schauspiel, bereit einzuschreiten, wenn Emily ihre Hilfe benötigte. Dieser Jason Williams schien sehr aufdringlich zu sein.

„Sieht nicht so aus, als hätte er heute Interesse an dir.“ Jason sah abfällig auf Nathan Night, der drei, vier Mal tief ein- und ausatmete und sich dann ruckartig umdrehte.

„Lass die Finger von ihr, Jason“, schrie Nathan. „Du bist Abschaum, Jason. Meinst, du kannst die Frauen wie den letzten Dreck behandeln. Aber Emily ist Abschaum nicht wert.“

„Im Moment sehe ich nur einen, der die Kleine wie den letzten Dreck behandelt hat. Hast dich nicht mal nach ihr umgedreht, dabei ist sie dir so willig entgegengesprungen.“ Jason hob seine Hand und strich Emily sanft über die Wange, die sich daraufhin angewidert wegdrehte.

„Finger weg, sag ich.“ Nathan sprang vom Barhocker und packte Jason am Hals. „Ich warne dich!“

„Na- …“, japste Jason, sichtlich überrascht von Nathans Wutausbruch. Conor, der die Situation mit Adleraugen verfolgte, wollte schon einschreiten, doch so schnell, wie Nathan Jason gepackt hatte, so schnell ließ er ihn auch wieder los. „Komm!“, befahl Nathan, griff nach Emilys Hand und zog sie hinter sich her in Richtung Ausgang.

„Sieht so aus, als würde jemand jetzt doch wieder Appetit kriegen. All die guten Vorsätze, ein besserer Mensch zu werden … sie sind schon wieder dahin … wer von uns ist hier der Abschaum?“, rief Jason Williams hinter den beiden her, die längst in der Menge verschwunden waren und ihn gar nicht mehr hörten.

Es dauerte eine Weile, bis Jason realisierte, dass Nathan und Emily den Pub bereits verlassen hatten und seine Beschimpfungen nicht mehr hören konnten. Irritiert sah er sich um. Die Blicke der anderen Gäste ruhten auf ihm, einige steckten tuschelnd die Köpfe zusammen. Die Auseinandersetzung zwischen den beiden gefallenen Musicalstars würde sich schnell in Portrush herumsprechen, war sich Fiona sicher. Es würde sie nicht wundern, wenn schon morgen ein Reporter der Yellow Press hier auftauchen würde, auch wenn die Theatercrew dann längst weitergezogen sein würde.

Sie sah sich um. „Hot Toby“ stand unweit der Bar und beobachtete Jason, der jetzt peinlich berührt in Richtung Ausgang schlich und dabei versuchte, so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen. Hot Toby, der eigentlich Toby Meyers hieß, bezeichnete sich selbst als Influencer, auch wenn ihm auf Instagram nur wenige folgten. Er hatte sein Handy gezückt und die Szene, die sich eben vor seinen Augen abgespielt hatte, ganz offensichtlich gefilmt. Das breite Grinsen in seinem Gesicht verriet ihn. Es würde sie nicht wundern, wenn er das Video bereits an die Presse geschickt oder gar auf seinem eigenen Account gepostet hatte. Warnend schaute sie ihn an und schüttelte mit dem Kopf, doch Toby zuckte nur mit den Schultern und tippte eifrig weiter auf seinem Mobiltelefon herum. Für ihn musste es der Moment seines Lebens gewesen sein. Ein Streit zwischen den beiden Erzfeinden Nathan Night und Jason Williams, die ihre Fehde offiziell beigelegt hatten, um die West End-Sommertour zu promoten, würde ihm mit den richtigen Hashtags sicher jede Menge neue Follower bringen oder zumindest seine Reichweite erweitern.

„Wollen wir?“ Conor tippte Fiona auf die Schulter. In seinem Blick wurde deutlich, dass er genug von diesem Abend hatte. Und ehrlich gesagt, war sie auch müde.

„Lass uns gehen“, sagte sie und nickte. Conor reichte ihr den Trenchcoat und half ihr hinein. „Tut mir leid, dass der Abend so endet.“ Irgendwie hatte sie das dringende Bedürfnis, sich bei ihm zu entschuldigen. Dabei wusste sie, dass sie gar keine Schuld traf.

„Ach, du musst dich nicht entschuldigen, Babe. Ich hab mich amüsiert.“ Er zog sich seinen Mantel an und zwinkerte ihr zu.

„Wirklich?“ Sie hakte sich bei ihm ein, als sie in Richtung Ausgang gingen.

„Natürlich. Die Show war klasse – sowohl die im Theater als auch die hier im Pub. Für unser Geld haben wir ’ne Menge geboten bekommen.“ Er schmunzelte, öffnete die Tür und sofort wehte ihnen ein kräftiger Wind um die Ohren.

„Puh, wo kommt der denn auf einmal her?“ Fiona zog den Gürtel ihres Trench enger und kuschelte sich dicht an Conor.

„Hab ich bestellt, damit ich dich näher bei mir habe.“ Er zog sie eng an sich und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Schau nicht so traurig. Mir hat der Abend wirklich gefallen. Auch wenn Nathan Night ein Spinner ist.“ Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Fiona musste lachen. Sie wusste, dass er Recht hatte.

„Ich finde es nur schade, dass es mir nicht gegönnt war, nur den netten, verletzlichen Nathan kennenzulernen. Warum musste es auch diese arrogante Seite von ihm sein? Darauf hätte ich gerne verzichtet. Und mein Teenie-Ich auch.“ Sie kuschelte sich noch enger an Conor, während sie zur Main Street zurückgingen. „Was sie wohl gerade macht?“

„Wer?“

„Na, diese Emily. Ob Nathan sie mit ins Hotel genommen hat?“

„Wenn ja, dann wird er sie heute Nacht bestimmt sehr glücklich machen.“

„Hör auf so zu reden.“ Sie boxte Conor in die Rippen. „Was ist bloß los mit euch Männern? Nathan Night lebt gerade in einer glücklichen Beziehung.“

„Sagt wer?“

„Na, Hello News. Ehrlich, du solltest mehr lesen.“ Sie war versucht, mit den Augen zu rollen, konnte sich aber gerade noch beherrschen.

„Aber bestimmt keine Klatschblätter!“ Conor rieb sich immer noch über die Rippen, denen Fiona mit ihrem Ellenbogen einen Stoß versetzt hatte. „Autsch. Das tat weh.“

„Sollte es auch. Ich mein es ernst. Glaubst du, es geht ihr gut?“ Sie sah besorgt die Straße hinauf, an dessen Ende es eine Kurve in Richtung des Marlborough Inn machte, in dem Nathan Night und der Rest des Casts untergebracht waren.

„Fiona, diese Emily ist alt genug. Und so verrückt dieser Nathan auch sein mag. Er machte auf mich nicht den Eindruck, dass er ihr etwas antun würde.“

„Mal abgesehen davon, dass er ihr das Herz bricht.“ Sie seufzte.

„Das wirst du nicht verhindern können. Du standest doch auch neben ihr und hast gesehen, wie sehr sie ihm hinterhergelaufen ist. Er hat sie so mies behandelt und trotzdem ist sie nicht von seiner Seite gewichen. Er …“ Conor stoppte, als am Ende der Straße ein Auto mit viel zu hoher Geschwindigkeit in die Main Street einbog.

Der weiße SUV kam aus Richtung des Marlborough Inn und fuhr in leichten Schlangenlinien die Main Street herunter in Richtung Theater. Conor kniff die Augen zusammen. Fiona tat es ihm nach. Die Scheinwerfer blendeten so sehr, dass sie für eine Sekunde lang nichts sehen konnte. Doch als das Auto direkt an ihnen vorbeiraste, machte es auf einmal einen Schlenker, und hätte beinahe Fiona erfasst. Conor konnte sie gerade noch so zur Seite ziehen und erhaschte dabei einen kurzen Blick auf den Fahrer.

„Idiot“, rief er hinterher und zückte sein Handy, während Fiona dicht neben ihm stand und mehrmals tief durchatmete, um sich von dem Schock zu erholen.

„Das war Nathan Night. Er sollte in diesem Zustand kein Auto mehr fahren“, schimpfte Conor.

„Willst du ihn verhaften?“, scherzte Fiona. Sie wusste, dass Conor ein gewissenhafter Inspector war und seinen Job liebte. Und ein wenig fürchtete sie, er würde sie jetzt hier auf der Main Street stehenlassen und dem SUV nachlaufen. Wobei das schwachsinnig wäre, Conor würde ihn zu Fuß nicht einholen können. Marathontraining hin oder her.

„Scherzkeks.“ Conor wandte sich Fiona zu, die ihn mit einem breiten Lächeln ansah. „Aber wir können nur hoffen, dass er in dem Zustand nicht noch weiteren Blödsinn baut und niemand zu Schaden kommt.“ Er schüttelte den Kopf. „Vielleicht sag ich doch lieber den Kollegen Bescheid, dass sie ein Auge darauf haben. Nicht, dass er tatsächlich noch einen Unfall baut.“

„Saß Emily auch mit im Wagen?“, fragte Fiona.

„Keine Ahnung. Ich hab niemand anderen gesehen. Es ging alles so schnell.“ Conor schaute dem SUV nach, von dem in der Dunkelheit nur noch die roten Rückleuchten zu sehen waren. Conor rief kurz auf der Wache in Portrush an, gab die Richtung, in die Nathan unterwegs war, durch und ordnete an, dass sie eine Streife losschicken sollten, die den SUV anhält. Als er das Telefonat beendete, legte er einen Arm um Fiona. „Komm, gehen wir nach Hause“, sagte er und zog sie fest an sich. Sie liebte es, wenn er von ihrer kleinen Wohnung über der Bonbonmanufaktur von seinem Zuhause sprach. Sie kannten sich erst ein paar Monate, waren in dieser kurzen Zeit aber schon so sehr zusammengewachsen, dass sie sich gar nicht mehr vorstellen konnte, dass sie einmal ohne ihn gelebt hatte. Und das war die schönste Vorstellung von allen.