Leseprobe Der Lord ihrer Träume

Prolog

Porthleven, England, Sommer 1064

Die Kutsche kam am Wegesrand zum Stehen. Lady Brynna Dumont steckte den Kopf aus dem kleinen, mit einem Vorhang verzierten Fenster, um zu sehen, warum ihr Tross angehalten hatte. Ihre Hand, die den samtenen Vorhangstoff hielt, war zierlich, und ihre glatte Haut nahm sich vor dem edlen, hellroten Gewebe weiß aus.

„Derrick, warum halten wir an?“

„Da vorne versperrt ein umgestürzter Baum den Weg, Mylady. Wir müssen ihn erst wegräumen, ehe wir die Fahrt fortsetzen können. Doch ich fürchte, das dürfte eine Weile dauern.“

Brynna legte die Stirn in Falten, aber da sie das Beste aus dem herrlichen Tag zu machen gedachte, stieß sie den Wagenschlag auf, nun neugierig darauf, die Umgebung zu erkunden. Blauer Leinenstoff fiel ihr über den zierlichen, flachen Schuh, ehe Brynna den Waldboden betrat. Sogleich ließ sie ihren Blick durch den Wald schweifen, der in der Sommerzeit dicht bewachsen war. Ihre Augen waren so grün wie die Blätter, die leise in der sanften Brise raschelten. Genüsslich sog sie den frischen Duft des noch taufrischen Grüns ein, als Sir Nathan auf seinem schnaubenden schwarzen Streitross heranritt.

„Begebt Euch wieder in die Kutsche“, befahl er und brachte sein Pferd vor ihr zum Stehen. „Im Wald könnte es gefährlich sein.“

Brynnas Augen wurden schmal, als sie das immerzu missgelaunte Gesicht des Wachmanns betrachtete, dem ihr Onkel Robert am meisten vertraute. Hoch und bedrohlich ragte Sir Nathans Gestalt im Sattel auf, und das Funkeln in seinem unerbittlichen Blick ließ den Schluss zu, dass der Ritter sie nur zu gern übers Knie legen und mit Hieben gefügig machen würde. Brynna gab einen unwirschen Laut von sich, als sie sich Sir Nathans Absicht vergegenwärtigte. Nein, dazu sollte es nicht kommen.

„Ich komme schon zurecht, Sir Nathan.“ Sie bedachte ihn mit einem frechen Lächeln. „Kümmert Ihr Euch nur um den Baum. Ich möchte bald nach Hause zu meinem Vater zurückkehren.“

Sie glaubte, den sengenden Blick des Wachmanns im Rücken spüren zu können, als sie einfach fortging, Sir Nathan weiter keine Beachtung mehr schenkte und in die Baumkronen hinaufschaute. Mit geschlossenen Augen atmete sie tief durch. Wie herrlich, dachte sie bei sich, als eine leichte Brise über ihre Wange strich und ihr eine seidige Locke ihres kupferfarbenen Haars in die Stirn wehte. Mit einem langen, eleganten Finger strich sie die Strähne zurück und warf einen Blick über die Schulter auf Sir Nathan, der seinen Leuten in einem barschen Ton Befehle erteilte. Leichtfüßig setzte Brynna ihren Weg fort, und niemand achtete auf sie, als sie zwischen den Bäumen verschwand.

Ziellos wanderte sie durch den Wald, zog den Kopf ein, wenn alte, mächtige Äste im Weg waren, und drückte die Ranken zurück, die an ihrem Gewand hafteten. Irgendwo weiter hinten ließ sich immer noch Sir Nathans Stimme vernehmen, der den Männern laut erklärte, auf welche Weise sich ein umgestürzter Baum am besten aus dem Weg räumen ließ. Froh, endlich außer Sichtweite zu sein, begann Brynna zu summen. Solange sie denken konnte, stand der streitsüchtige Ritter in Diensten ihres Onkels Robert. Sir Nathan genoss hohes Ansehen, doch das änderte nichts an der Tatsache, dass Brynna sich bei jeder Gelegenheit mit ihm stritt. Natürlich war nicht sie es, die die Auseinandersetzung suchte. Sir Nathan war ein raubeiniger alter Krieger, der die strenge Ansicht vertrat, Damen dürften nicht reiten, keine Stiefel tragen und nur sprechen, wenn sie dazu aufgefordert wurden. Brynna war sich noch nicht ganz im Klaren darüber, ob der Sommer, der ihr manch einen Zwist mit dem Befehlshaber ihres Onkels eingebracht hatte, bislang furchtbar oder eher aufregend gewesen war. Als Tochter von Lord Richard Dumont, des mächtigsten Streiters in ganz England, war Brynna keiner Konfrontation abgeneigt, genau wie ihr Vater.

Doch all dies war jetzt nicht von Bedeutung. Brynna befand sich auf dem Heimweg zu ihrem Vater, aus diesem Grund missfiel ihr die Verzögerung durch den umgestürzten Baum. Doch wenn sie ehrlich blieb, musste sie zugegeben, dass sie sich sehr wohl noch eine Weile gedulden konnte, immerhin vermochte sie auf diese Weise den schönen Tag in der Natur auszukosten.

Sir Nathans rüder Tonfall verfolgte Brynna weiter, als sie tiefer in den Wald drang und ein kleines Tal erreichte, wo die herüberschallende Stimme sich mit den Rufen der Eichelhäher vermischte. Ganz überwältigt von der herrlichen Gegend, ließ sie den prachtvollen Anblick einer Blumenwiese auf sich wirken, auf der weiße, duftende Kamille und blau blühender Flachs standen. Brynna lächelte und raffte die Röcke, um durch die üppig blühende Niederung zu laufen. Im Schatten einer alten Weide sank sie auf die Knie und legte sich schließlich ins hohe Gras, ganz hingerissen von dem Meer aus weißen und blauen Blütenblättern, die ihre Wangen kitzelten.

Da erregte ein eigentümliches Geräusch ihre Aufmerksamkeit. Zunächst glaubte sie, dass sie träumte. Sie setzte sich auf und schaute sich verdutzt um, denn sie wähnte sich allein in dem kleinen Tal. Ein betörendes Lachen erklang in der duftschweren Luft und zog Brynna, wie durch die Macht des Sirenengesangs, zu einer großen Gruppe Johannisbeersträucher hin. Das Lachen des Mannes war auf wundervolle Weise einladend. Kein Zweifel, es musste sich um die Stimme eines Mannes handeln, denn der Tonfall war tief und volltönend. Aber im Gegensatz zu dem schroffen Befehlston, der in der Festung ihres Onkels Robert herrschte, klang diese Stimme keinesfalls rau oder barsch in Brynnas Ohren.

Mit angehaltenem Atem kniete sie nun vor dem dichten Buschwerk und bog vorsichtig die Zweige auseinander.

Fürwahr, es handelte sich um einen Mann. Nur wenige Schritte von den Büschen entfernt ließ er sich in einem See auf dem Rücken treiben, umschmeichelt von der glitzernden Sonne und den abgefallenen Blütenblättern des Weißdorns auf den sanften Wellen des Wassers. Bei dem Anblick des bloßen männlichen Körpers stieg Brynna eine heftige Röte in die Wangen, und vor Staunen blieb ihr der Mund offenstehen. Golden schillernde Lichtstrahlen fingen sich auf der wohlgestalteten Brust und den muskulösen Oberarmen. Den Kopf rücklings untertauchend, nahm der Mann Wasser in den Mund, um es im nächsten Moment einer Fontäne gleich wieder auszuspucken.

Brynna seufzte, während sie die malerische Szene auf sich wirken ließ. Im gesamten Uferbereich der kleinen Bucht wuchsen die Büsche des Weißdorns mit zierlichen rosafarbenen und weißlichen Blüten, die in der sanften Brise abgeschüttelt wurden. Schneeflocken gleich schwebten Hunderte von winzigen Blüten durch die Luft, erreichten die Wasseroberfläche und bildeten einen wahren Blütenteppich. Und dort, in der Mitte dieses Garten Edens, befand sich der atemberaubendste Mann, den Brynna je zu Gesicht bekommen hatte. Obgleich er allein schwamm, gab er sich so unbekümmert und verspielt, als wären noch andere bei ihm, um den wunderschönen Tag gemeinsam mit ihm zu genießen. Tief tauchte er in das klare blaue Wasser ein und verschmolz mit einer Welt, die nur er allein zu kennen schien. Wie ein Fisch, auf dessen schillernden Schuppen sich das Sonnenlicht brach, entschwand er immer tiefer in seinem Reich.

Augenblicke verstrichen, in denen Brynna die glitzernde Wasseroberfläche nach Anzeichen des unbekannten Tauchers absuchte. Erschrocken erhob sie sich und nahm sogar in Kauf, ihr Versteck hinter dem Buschwerk preiszugeben. Wo blieb der Fremde nur so lange? Schon war sie im Begriff, in das Wasser zu springen, doch sie zögerte, da sie gar nicht schwimmen konnte. Plötzlich schoss der Mann wieder an die Oberfläche, dass es nur so spritzte und kristallenen Tropfen gleich aus seinem tiefschwarzen Haar rann. Er kam sogar so weit aus dem Wasser, dass Brynna seinen harten, flachen Bauch sehen konnte. Mit einer raschen Körperdrehung verschwand er erneut in den Tiefen, um schon im nächsten Moment wieder aufzutauchen.

Brynna glaubte, einem Meeresbewohner aus der Welt der Sagen, einem Nix, beim Baden zuzuschauen. Vielleicht hatte der Unbekannte unterhalb der Wasseroberfläche einen großen, schuppigen Fischschwanz, der im Sonnenlicht in Regenbogenfarben schillern würde.

Und tatsächlich wirkte dieses Wesen glücklicher in seiner Wasserwelt, als jedes menschliche Wesen es sein könnte. Ungetrübte Freude ließ sein Antlitz erstrahlen, und sein betörendes Lächeln löste ein wohliges Kribbeln auf Brynnas Haut aus und brachte ihr Blut in Wallung. Nie zuvor hatte sie eine solche Verzückung im Gesicht eines Mannes wahrgenommen, als wenn er von etwas berauscht war. Das Wasser erschien ihr wie seine Geliebte, die jede Stelle seines Leibes mit Küssen verwöhnte. Nun schloss er die Augen und gab sich ganz seinem Glück hin. Als er die Lider wieder aufschlug, wandte er sein Antlitz der wärmenden Sonne zu.

Wie berauscht starrte Brynna ihn an, nahm die Farbe seiner Augen wahr, die himmelwärts gerichtet waren. Es waren Augen, die das tiefe Blau des Firmaments aufnahmen und gleichzeitig das unergründliche Grün des Meeres widerspiegelten. Sie wünschte, für immer dort stehen zu können, um diesen Mann zu betrachten, der in seinen Fantasien versunken war. Eine Hitze durchströmte ihren Körper, die ihr bislang unbekannt gewesen war.

In diesem Moment riss der Hufschlag eines herannahenden Pferdes auf der gegenüberliegenden Seite des Sees Brynna aus ihren herrlichen Träumereien. Unwillkürlich drehte sie den Kopf in die Richtung, aus der der Eindringling kam.

Aus den Schatten der Bäume löste sich eine Frau, die auf einem weißen Wallach saß – eine Erscheinung wie aus einem Märchen. Hellblondes Haar fiel ihr in seidiger Fülle über den Rücken und reichte bis zum Sattel. Ihr Antlitz war wunderschön, ihre Gestalt so zierlich und anmutig wie die Schösslinge, die dem Grün des Ufers entwuchsen.

Sowie der Mann der Frau ansichtig wurde, umspielte ein glückliches Lächeln seine Lippen. „Colette, du bist spät“, rief er neckend.

„Ich bin überrascht, dass dir das auffällt.“ Die blonde Schönheit schenkte ihm, ehe sie abstieg und das Pferd an einem Baum festband, ein reizendes Lächeln, das ihre Augen indes nicht erreichte. Brynna traute ihren Augen nicht, als die Frau sich ungeniert das Leinenkleid von den Schultern streifte. Auch das Unterkleid fiel zu Boden, als hätte ein Engel sich seiner hauchdünnen Schwingen entledigt. Die ganze Zeit über beobachtete der Schwimmer die schöne Frau und näherte sich dem Ufer so geschmeidig, dass nicht die kleinste Welle das Wasser kräuselte.

Du liebe Güte, was soll ich nur tun?, schoss es Brynna durch den Kopf. Der heisere Tonfall des Mannes verriet ihr, dass das Paar nicht nur zum Schwimmen hergekommen war. Wie sollte sie sich jetzt unbemerkt davonstehlen? War sie gezwungen, alles mit anzusehen? Merkwürdigerweise fesselte und ängstigte sie dieser Gedanke gleichermaßen. Sie wünschte sich, nur sie hätte dieses Geschöpf des Wassers entdeckt und könnte die Zeit nun allein mit dem Nix verbringen. Schon malte sie sich aus, sie könne mit ihm zusammen schwimmen, in die Welt unterhalb des Wasserspiegels abtauchen und die Verzückung mit ihm teilen, die ihn erstrahlen ließ.

„Ist es kalt?“

„Keine Sorge, ich werde dich wärmen“, versprach der Nix ihr mit sanfter Stimme, die auf Brynnas wild klopfendes Herz beruhigend wirkte.

Anmutig stieg die junge Frau aus der gebauschten Kleiderfülle und trat nackt an das Ufer des Gewässers.

Der Mann schwamm zu ihr. Und dann, zu Brynnas Entsetzen und quälender Freude, entstieg er dem Nass. Das Wasser lief ihm in Rinnsalen den Rücken hinab, über das feste Gesäß, die wohlgeformten Oberschenkel bis hinab zu den kräftigen Waden. Er ist also kein Nix, dachte Brynna beinahe wehmütig und kaute unschlüssig auf ihrer Unterlippe. Während er die Hand der Geliebten ergriff, wandte er sich erneut dem See zu und zog die Frau vorsichtig hinter sich her. Sie protestierte und gab ein Keuchen von sich, als das kalte Wasser ihre Füße umspülte. Der Mann jedoch lachte frohgelaunt und führte die Frau nur noch tiefer in den See. Sowie das Wasser seine Taille erreichte, ließ er sich rücklings in den See gleiten, während er die Frau in den Armen hielt und gleichsam über sich schweben ließ.

Brynna wollte sich abwenden und fortlaufen, aber sie brachte es nicht fertig. Es war, als würde sie unter einem geheimen Bannspruch stehen, verzaubert von dem Lachen des Mannes, von der unverhohlen fordernden Weise, mit der seine Finger über den nassen weiblichen Leib strichen, der auf seiner Brust ruhte.

Nun tauchte er ab und gab die Geliebte frei. Sie folgte ihm, und Brynna wartete und zählte im Geiste die Sekunden. Es dauerte zu lange. Mittlerweile müssten sie wieder an der Oberfläche sein! Brynna harrte weiter aus und konnte es kaum abwarten, das schöne Antlitz des Mannes zu sehen.

Ein Moment verstrich, dann noch einer, und als Brynna es vor Anspannung kaum noch aushalten konnte, durchbrach das Paar prustend die Wasseroberfläche. Der Mann umschloss die Taille der Geliebten, die nach Atem rang und geräuschvoll die Luft einsog. In starken und männlichen Armen geborgen, lächelte sie, als sie an seinem Leib hinabglitt.

Brynna konnte die Leidenschaft in seinem Gesicht erkennen. Seine Empfindungen waren nicht zu übersehen, so deutlich zeichneten sie sich in seinen Zügen ab, wie das Wasser, das sich in konzentrischen Kreisen ausbreitete. Er verzog den Mund zu einem breiten, hungrigen Lächeln, als er das Gesicht der Frau betrachtete.

„Ich liebe dich.“

Die Worte konnte man von seinen Lippen lesen, spiegelten sich in seinen Augen wider. Brynna seufzte leise, wünschte sie doch, diese wären für sie bestimmt.

Er küsste den Hals seiner Geliebten, zog mit den Lippen eine feurige Spur über ihn nach unten und fand ihre Brüste.

Brynna vergaß das Atmen.

Abermals tauchte er unter, und die junge Frau warf verzückt den Kopf in den Nacken.

Mit aufeinandergepressten Lippen versuchte Brynna sich vorzustellen, was der Mann dort unter Wasser tat, das die Frau zu einem wohligen Seufzen und sogar zu einem unterdrückten Schrei anregte.

Er tauchte wieder auf, diesmal hinter der blonden Frau, schlang die Arme um ihren Oberkörper und flüsterte ihr etwas ins Ohr – Worte, die ihr ein Lächeln entlockten, das so strahlend war wie die Sonne. Dann hob er sie sacht hoch und ließ sie wieder sinken.

Zum Glück wusste Brynna den sehnsüchtigen Laut zu unterdrücken, der ihr auf den Lippen lag. Doch das Feuer, das dieser Mann in ihr entfacht hatte, ließ sich nicht mehr löschen, und Brynna wusste, dass sie diese Gefühle nie mehr vergessen würde.

1. Kapitel

Spätherbst 1065

Rastlos schritt Brynna in ihrer Kammer auf und ab und hinterließ einen Pfad auf dem binsenbedeckten Boden. Weil sie spürte, dass ihre Geduld am Ende war, schlug sie sich mit den flachen Händen auf die Oberschenkel und wandte sich mit schmalen, verkniffenen Lippen ihrer Kammerzofe zu.

„Warum brauchen die denn so lange?“

Alysia beobachtete ihre Herrin von der Bettkante aus. Die junge Kammerzofe schüttelte den Kopf und traute sich nicht, irgendetwas zu sagen. Lady Brynna war zwar eine gutmütige Frau, aber bisweilen loderte ihr Temperament heißer als eine Flamme auf. Heute war so ein Tag. Und doch hatte Alysia ihre Herrin nie zuvor so aufgebracht erlebt. Allerdings hatte sich auch vieles geändert, seit Lady Brynnas Vater, Lord Richard Dumont, das Schlachtfeld als Unterlegener hatte verlassen müssen. Alysia wusste, dass es ihrer Herrin nur darum ging, dass ihr Vater wohlbehalten zurückgekehrt war, aber dieser normannische Bastard hatte ihm eine schmerzliche Niederlage zugefügt. Das erschien den Bewohnern von Avarloch immer noch unglaublich, denn niemand hatte je Lord Richard bezwungen. Das Leben aller würde sich ändern, sobald Lord Brand Risande hier einträfe. Der Sieger würde Anspruch auf die Burg und den Titel von Lord Richard erheben. Doch schlimmer noch als die Tatsache, einen normannischen Herrn zu haben, der über Avarloch bestimmte, waren die Gerüchte, dass Lord Richard durch Verrat in die Knie gezwungen worden war. Sogar nördlich von Aberdeen steckten die Leute die Köpfe zusammen und erzählten sich von dem dunkelhaarigen Ritter, dessen Herz kalt und verhärtet war. Manch einen Abend hatte die junge Alysia bei den anderen Mägden, Tagelöhnern und Vasallen der Burg gesessen und bangen Herzens gelauscht, was aus ihnen allen werden mochte, wenn Lord Richard und Lady Brynna wie überflüssiger Ballast hinausgeworfen würden. Aber Brynna machte sich keine Sorgen. Dafür wuchs ihr Zorn mit jedem Tag, und sie gelobte sich, ihr Zuhause niemals zu verlassen, ganz gleich, was für ein Untier auf der Burg Einzug halten mochte.

Als sich an diesem Morgen der witan, der Kreis der angelsächsischen Adligen, eingefunden hatte, um mit Lord Richard zu Rate zu sitzen, war Brynna die Teilnahme an der Sitzung verwehrt worden. Die meiste Zeit des Tages hatte Alysia schweigend in der Kammer gesessen, während Brynna Flüche von sich gab und Anschuldigungen vorbrachte, bei denen sich der Kammerzofe die Haare sträubten.

„Das ist Verrat, Alysia.“ Brynna kochte sichtlich vor Wut. „Unser König, der selbst ein Sachse ist, hat sich gegen meinen Vater verschworen.“

„Aber warum?“, fragte Alysia.

„Weil mein Vater sich an die Kirche gewandt und sein Missfallen über die Art und Weise zum Ausdruck gebracht hat, wie König Edward England regiert. Edward ist schwach und hat zu viel vom Schicksal dieses Landes in die Hände seines Schwagers Harold of Wessex gelegt.“ Brynna trug ihr rötlichbraunes Haar offen, abgesehen von zwei dünnen Zöpfen an den Seiten, die sie am Kopf zurückgebunden hatte. Als sie während ihres unruhigen Einherschreitens auf dem Absatz herumwirbelte, umspielte ihr langes, schimmerndes Haar ihr Gewand aus edlem Baumwollbatist wie ein Fächer aus Flammen. „Edward ist ein Feigling, der sich nicht traut, dem forschenden Blick meines Vaters standzuhalten. Lieber würde er das Land einem Normannen überlassen.“

Alysia erwiderte darauf nichts, denn sie traute sich nicht, den Einwand zu erheben, dass ihre Herrin soeben Hochverrat beging. Nicht, dass sie für diese Wortwahl von irgendjemandem in Avarloch des Verrats bezichtigt würde. Dafür wurde Brynna von allen zu sehr geliebt, genau wie Lord Richard.

„Jetzt hat mein Vater sein Zuhause verloren, und mein Schicksal liegt in den Händen eines Rats von Männern, die ich kaum kenne. Nun, das eine sage ich dir.“ Brynna wirbelte erneut auf dem Absatz herum. „Wenn dieser normannische Schweinehirt glaubt, er könne einfach herkommen und mir mein Zuhause rauben, so wird es ein böses Erwachen für ihn geben. Ich werde ihm die Augen auskratzen, das schwöre ich!“

Alysia schluckte. Es war nur ein leises Geräusch, doch Brynna vernahm es und starrte die junge Zofe finster an. Ihre Augen funkelten wie das Feuer in Smaragden.

„Wie? Soll ich diesen Bastard etwa nicht töten?“, sagte sie erhitzt.

Wieder schüttelte Alysia den Kopf. „Ich … ich habe nichts gesagt, Mylady.“

„Du denkst, ich soll mein Zuhause kampflos aufgeben?“

Alysia blieb keine andere Wahl; jetzt sah sie sich gezwungen, etwas zu sagen. „Vielleicht ist er … gar nicht … so schlecht“, stotterte sie und bohrte ihre Finger in Brynnas Bettlaken. „Ich hörte die Leute sagen, er sei recht gut aussehend und groß und stark und …“

„Von mir aus kann er so groß wie Goliath sein“, rief Brynna. Sowie sie sah, dass ihre Zofe den Kopf einzog, senkte sie ihre Stimme und kniete sich vor Alysia. „Vergib mir, Alysia. Es war nicht meine Absicht, dich anzuherrschen. Es ist nur so, dass …“ Sie brachte den Satz nicht zu Ende. Ihre Lippen bebten einen kurzen Moment, ehe sie eine dünne und entschlossene Linie bildeten.

In diesem Moment öffnete sich die Tür und ein Wächter steckte den Kopf in die Kammer. „Ihr könnt nun nach unten kommen, Mylady. Der Rat erwartet Euch.“

Brynna bedachte den Mann mit einem finsteren Blick, obgleich er nichts mit dem Verrat an ihrem Vater zu tun hatte. Schließlich erhob sie sich. „Hab Dank, Martin.“ Ihre Stimme klang mit einem Mal weich, und ihre Miene täuschte eine Ruhe vor, die Brynna beileibe nicht spürte.

„Was wird aus Euch werden, Mylady?“, fragte ihr junges Dienstmädchen und rang die Hände in ihrem Schoß.

Brynna schaute mit einem lieblichen Lächeln auf Alysia und reichte ihr die Hand. „Fürchte dich nicht. Ich werde nichts unversucht lassen, damit ich hierbleiben kann. Ich lasse dich nicht zurück.“

Brynna betrat die Große Halle mit der Anmut und Eleganz einer Königin … sehr zur Freude von Lord Richard Dumont. Sie lächelte ihren Vater an, als ihre Blicke sich über die dicht besetzte Tafel hinweg begegneten. Bei Gott, sie liebte ihn. Er war der bestaussehende Mann im Saal, aber da die Männer, die an dem langen Tisch Platz genommen hatten, allesamt wie dicke Schinken erschienen, sagte die Beobachtung nicht viel aus. Brynna ließ den Blick von Gesicht zu Gesicht wandern und lächelte angespannt.

Der Kreis der witan, der noch aus der Zeit König Alfreds stammte, bestand aus Edlen, die nach Rücksprache mit dem König verschiedenste Angelegenheiten regelten. Diese Männer vergaben Lehen, sprachen Recht und entschieden über Angelegenheiten wie Krieg und Frieden, stets in Übereinkunft mit ihrem König.

Lord Richard erhob sich von seinem Platz, als seine Tochter vor ihn trat. Er nahm ihre Hand und hob sie zu einem sanften Kuss an die Lippen. „Mein Sonnenschein“, flüsterte er und wies ihr den Platz zu seiner Rechten an.

Ehe sie sich setzte, erblickte Brynna ihren Onkel Robert, der neben Sir Nathan saß. Der reizbare Ritter nickte ihr stumm zu.

„Meine Liebe“, hob ihr Onkel an und rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her. „Du weißt, warum wir uns hier eingefunden haben.“

„Um über mein Schicksal zu befinden“, erwiderte Brynna. Ihre Miene blieb ausdruckslos, dabei wünschte sie, sie könnte all diesen Männern sagen, dass sie sich zum Teufel scheren sollten. Niemand würde sie zwingen, ihr Zuhause aufzugeben.

„Ich wünschte, es wäre so, mein Kind“, sprach er leise. „Ich würde dich gern wieder in mein Haus aufnehmen, bis dein Vater eine angemessene Heirat für dich arrangiert hat.“ Sir Nathan grummelte etwas vor sich hin, und Brynna war versucht, dem missmutigen Ritter ein Lächeln zu schenken, doch dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren Onkel. „Ich fürchte jedoch, dein Schicksal war bereits besiegelt, als der Normanne deinen Vater bezwang.“

Brynna hob eine vollkommen geschwungene Braue. „Wie meint Ihr das, Onkel?“

„Brynna“, antwortete ihr Vater stattdessen. Es fiel ihm schwer, seiner Tochter in die Augen zu schauen, als sie sich ihm zuwandte, aber er wollte derjenige sein, der es ihr erzählte. Es war sein Versagen, gegen den Normannen verloren zu haben – den Rest seines irdischen Daseins müsste er mit dieser Enttäuschung leben. „Der Rat weigert sich, dieses Land den Normannen zu übergeben.“

„Aber was können wir ausrichten?“ Sie wandte sich dem langen Tisch zu und versuchte die Mienen der Männer zu deuten. Manch einer mied ihren Blick. „Wird der König meinem Vater erlauben, in eine weitere Schlacht gegen diesen Normannen zu ziehen?“

„Nein, meine Tochter“, sprach Richard und schüttelte den Kopf. „Der Rat verlangt, dass der normannische Krieger dich ehelicht. Wenn er eine sächsische Gemahlin hat, ist sichergestellt, dass das Land zumindest zum Teil unter angelsächsischem Einfluss bleibt.“

„Eine Gemahlin?“ Brynna verschluckte sich beinahe an diesem Wort. Sie spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich, und bemühte sich, gegen das Schwindelgefühl anzukämpfen, als der Raum sich zu drehen begann. „Aber ich …“

„Du bist jetzt neunzehn Jahre alt, Brynna“, rief ihr Onkel ihr behutsam in Erinnerung. „Schon jenseits des Alters, in dem eine Dame sich vermählen sollte.“

Aber sie war noch nicht so weit, eine Ehefrau zu werden. Sie wollte den Mann nicht heiraten, der ihren Vater im Kampf bezwungen hatte. Diesen Normannen hasste sie schon jetzt. Wie sollte sie ihn da ehren und ihm gehorchen, wenn sie ihn doch in die Abgründe der Hölle wünschte? Widerspruch regte sich in ihr, aber als sie den Mund öffnete, entwich ihren Lippen nur ein leises Seufzen. Begriff sie doch, dass diese Entscheidung womöglich der einzige Weg war, um in Avarloch bleiben zu dürfen.

„Der König hält es in vielerlei Hinsicht mit den Normannen, da er mit Herzog William von der Normandie verwandt ist“, erklärte ihr Onkel ruhig, obwohl nicht zu übersehen war, dass seine Ungeduld zunahm. Nach seinem Dafürhalten sollte seine Nichte lieber einen Wandteppich sticken und nicht mit Männern über Politik sprechen. „Lord Brand Risande verspürt nicht den Wunsch zu heiraten, aber der König hat zugesichert, in dieser Angelegenheit Herzog William um Hilfe zu bitten. Risande hat seine Ausbildung zum Ritter unter der Vormundschaft des Herzogs abgeschlossen, und unser König hat uns zu verstehen gegeben, dass er Williams Aufforderung befolgen wird, dich zu ehelichen.“

„Unser König?“ Brynnas Temperament flammte auf. Ihre grünen Augen zogen sich zusammen, als sie ihren Onkel und die anderen in der Runde fixierte. „Sprecht Ihr von dem König, der einen Erlass unterzeichnete, der demjenigen Edlen die Herrschaft über Avarloch in Aussicht stellte, der gewillt war, gegen meinen Vater in den Kampf zu ziehen und den Sieg davonzutragen? Ein König, der diese schwerwiegende Entscheidung fällte, ohne sich mit den witan zu beraten, wie es das Recht verlangt? Und warum sollte Edward sich bereit erklären, uns zu helfen, nachdem er beschlossen hatte, meinen Vater von seinem Land zu vertreiben?“

„Da wir“, antwortete ihr eine raue Stimme, und Brynnas Blick wanderte zu Sir Nathan, „Avarloch mit Krieg überziehen werden, wenn der Normanne dich verschmäht.“

„Nein!“ Brynna wäre beinahe von ihrem Stuhl aufgesprungen, wäre da nicht die besänftigende Hand ihres Vaters auf ihrer Schulter gewesen. Verzweifelt wandte sie sich ihm zu. „Vater, das kannst du doch nicht zulassen.“

„Wir gehen nicht davon aus, dass es dazu kommen wird, Brynna“, versicherte ihr Vater ihr. „Es gibt viele Dinge, die mir an Edward missfallen, aber er ist nicht einfältig. Wenn der Rat sich gegen Lord Risande stellt, werden die Normannen gewiss beleidigt sein, insbesondere jetzt, da wir Herzog William mit in die Angelegenheit hineingezogen haben. Das könnte einen Krieg auslösen.“ Lord Richard lächelte und tätschelte aufmunternd Brynnas Hand, als er sah, dass seine Tochter ungläubig den Kopf schüttelte. „Verstehst du, Liebes? Wenn es hier zum Krieg kommt, muss Edward Partei für die Angelsachsen ergreifen und dadurch sämtliche Bündnisse mit Herzog William aufkündigen. Er wäre gezwungen, uns zu helfen. Es mag sein, dass er keinen Dumont in Avarloch haben möchte, aber nun hat er keine andere Möglichkeit. Was den Herzog der Normandie anbelangt, so hat er mir in einem Schreiben mitgeteilt, dass er innerhalb der nächsten Woche hier sein wird. Er hat den König ersucht, dass ich so lange bleiben darf, bis er eintrifft. Ich weiß nicht, warum ihm so viel an meiner Anwesenheit liegt, aber ich bin mir sicher, dass er nicht wegen einer einzigen Burg in England in den Krieg zu ziehen gedenkt. Verstehst du nun? Es wird hier zu keinem Kampf kommen. Der Herzog wird diesen Mann dazu überreden, dich zu seiner Gemahlin zu machen. Du brauchst dein geliebtes Zuhause nicht aufzugeben, und Avarloch bleibt – zumindest teilweise – eine angelsächsische Festung.“

Brynna schlug das Herz bis zum Hals hoch, als sie sich ausmalte, was eine Schlacht um Avarloch anrichten würde. Die Vorstellung, ihre Vasallen könnten in dieser Auseinandersetzung ihr Leben verlieren, trieb ihr Tränen in die Augen. Und als sie sich ausmalte, ihr Zuhause könnte dem Ansturm der Angreifer zum Opfer fallen, stand ihr Entschluss fest, alles Erdenkliche zu tun, um ein solches Schicksal abzuwenden. Und was blieb ihr für eine Wahl? Keine. Ihr Schicksal war tatsächlich besiegelt worden, als ihr Vater Lord Risande unterlag. Sie musste den Normannen heiraten. Nun wandte sie sich den Edlen zu, die sie erwartungsvoll ansahen. Bedeutungsvoll straffte sie die Schultern. „Ich werde es nicht zulassen, dass Avarloch zerstört wird. Was Ihr auch immer von mir verlangt, ich werde es tun. Aber nie werde ich König Edwards Treuebruch gegenüber meinem Vater vergessen. Er hat Eure Lehenstreue nicht verdient, und er wird meine nie erhalten.“

Ein Raunen ging durch den weiten Saal. Den König mit seinen eigenen hinterhältigen Maßnahmen zu schlagen, war eine Sache, aber Verrat und Treuebruch waren etwas ganz anderes. Sir Nathan, der abschätzig die Stirn runzelte, sah Brynna kopfschüttelnd an.

„Du sprichst von Verrat und bringst dich dadurch selbst in Gefahr, junge Frau. Wenn du meine Tochter wärst, würde ich dich verprügeln lassen“, stellte er unmissverständlich klar.

In diesem Moment verbarg die Sonne ihr Antlitz. Die hellen Lichtstrahlen, die eben noch durch die hohen Fenster der Großen Halle gefallen waren, verschwanden. Es schien, als hätte die Sonne den Zorn des Burgherrn gespürt und sich zurückgezogen. Eine unerwartete Dunkelheit umfing Avarloch, als Lord Richard sich langsam erhob.

„Sir Nathan, wir kennen einander seit vielen Jahren. Und vielleicht denkt Ihr deshalb, Ihr könntet Euch respektlos gegenüber meiner Tochter benehmen. Aber da irrt Ihr Euch.“ Lord Richard fasste den Ritter scharf ins Auge. „Ich bin nachsichtig mit Euch, da Ihr ein treuer Freund meines Bruders seid. Aber ich rate Euch, niemals auch nur in Erwägung zu ziehen, Hand an meine Tochter zu legen, denn dann werde ich Euch sämtliche Glieder einzeln ausreißen und Eure Überreste draußen im Moor verteilen.“ Richard ließ seinen herausfordernden Blick über die anderen Gäste schweifen.

„Ich habe meiner Tochter beigebracht, das zu sagen, was sie denkt. Ihr alle wisst, dass Risande auf Geheiß unseres Königs entsandt wurde, um mich zu töten. Der Normanne verschonte mein Leben, obwohl ich nicht weiß, warum er das tat. Er ist ein starker Krieger, dessen Kampfeskraft die jedes anderen Mannes übertrifft. Eine solche Kühnheit schreibt man höchstens noch William von der Normandie zu. Edwards Bestrebungen, mich aus England zu vertreiben, haben ihm einen weitaus gefährlicheren Mann an meiner statt beschert. Schon bald wird Edward dies erkennen. Und wenn er dann jemanden entsendet, um den Normannen im Kampf zu bezwingen, so wird er sich nach einem Mann umschauen müssen, dessen Schwertarm schneller als der Wind ist und dessen Herz nach dem Klang der Kriegstrommeln schlägt. Ich bezweifele, dass ihn jemand besiegen kann. Ich jedenfalls vermochte es nicht, und daher muss meine Tochter für meine Niederlage bezahlen. Aber dies verspreche ich: Wenn Brynna in irgendeiner Weise durch König Edwards fortwährende Intrigen ein Leid geschieht, werde ich notfalls sogar aus der Hölle zurückkehren und ihn töten.“ Er ließ einen Augenblick verstreichen, und als niemand das Wort ergriff, nahm Lord Richard seine Tochter bei der Hand und führte Brynna aus der Großen Halle.

Brynna kehrte in ihre Kammer zurück und warf sich auf das Bett. Alysia war fort. Es war kalt in dem Schlafgemach, denn in der Feuerstelle glühten nur noch ein paar Kohlen. Der Winter kam dieses Jahr früh; der Normanne brachte die Kälte mit. Brynna erschauerte bei diesem Gedanken. Sie war gewillt, alles zu tun, wenn sie dadurch Avarloch vor Kriegszügen bewahren konnte. Aber wie sollte sie es vollbringen, ihr Leben und ihren Leib einem Mann zu schenken, den sie nicht liebte?

Wie so oft, wanderten ihre Gedanken zwei Sommer zurück zu einem wolkenlosen Tag, an dem sie in Porthleven gewesen war. Zurück zu einem Mann, dessen Augen die Farbe des blauen Himmels gehabt hatten, zu einem Mann, dessen Herz vom Vergnügen des Lebens erfüllt war. Niemals würde sie die Leidenschaft in seinem Lächeln vergessen und die wohlige Wärme, die dieses Lächeln in ihrer Lendengegend ausgelöst hatte.

Mit einem tiefen Seufzer vergrub sie ihr Angesicht in den Kissen. Oh, könnte sie doch ihn – ihren wundervollen Wassermann – heiraten.

2. Kapitel

Brynna stand an der Brustwehr und blickte über die weiten Felder und die weiter weg liegenden Wälder, die den Besitz ihres Vaters bildeten.

Nein, jetzt gehörte ihm all dies nicht mehr.

Denn er näherte sich der Burg. Brynna konnte ihn förmlich spüren, erahnte seine Gegenwart in dem böigen Wind, der die Baumwipfel in der Ferne schüttelte. Der normannische Ritter kam, um ihr Zuhause in Besitz zu nehmen, und daran konnte sie nun nichts mehr ändern. Niemand vermochte etwas dagegen auszurichten. Nicht einmal ihr Vater. War der Normanne wirklich so unbezähmbar, dass sich sogar ein Recke wie Lord Richard Dumont im Kampf ergeben hatte? Die Vorstellung verblüffte Brynna auch jetzt noch. Nie hatte ihr Vater zuvor eine Schlacht verloren.

Lord Richard war ein unerschrockener Streiter, den jeder Angelsachse kannte, seitdem er König Edwards Befehlshaber gewesen war. Einst kämpfte er gegen Godwin, den Vater Harolds of Wessex, der eine erfolglose Rebellion gegen den König angestrebt hatte, nachdem ein normannischer Geistlicher auf Edwards Geheiß zum Erzbischof von Canterbury ernannt worden war. Godwin und Angehörige seiner Sippe wurden in die Verbannung geschickt, kehrten indes ein Jahr später zurück und erfreuten sich beim einfachen Volk großer Beliebtheit. Eigenartigerweise gewährte König Edward Harold wieder seine Gunst und zwang Richard, ein Jahr im Exil bei den Türken zu verbringen, da er gegen die Familie Godwin gekämpft hatte. Es hatte eine Strafe sein sollen, aber Brynnas Vater wurde der Freund der türkischen Seldschuken, als er auf deren Seite gegen die feindlichen Byzantiner kämpfte. Brynna war zehn Jahre alt, als ihr Vater heimkehrte, reich beschenkt mit kostbaren Seidenstoffen aus dem Morgenland. Er brachte zudem eine junge Kammerzofe mit Namen Alysia mit, die Brynnas Mutter dienen sollte.

Fürwahr, Lord Richard war ein vortrefflicher Streiter und würde fortan noch andere Schlachten schlagen, dessen war Brynna gewiss. Sein sächsisches Blut strömte tief durch seine Adern … und durch Brynnas. Aber sein Kampf um Avarloch war vorüber. Er hatte verloren, und jetzt war er gezwungen, seine Burg zu verlassen.

Brynna ließ den Anblick ihres Landes auf sich wirken. „Aber ich werde Avarloch nie verlassen“, verkündete sie trotzig und heftete den düsteren Blick auf den Waldrand, als könne der Normanne sie auf diese Entfernung hören. „Ich werde mich Euch nie ergeben.“ Die Arme um den Leib geschlungen, reckte sie trotzig das Kinn empor und horchte in die Stille des kalten Tages hinein. Ihr wollenes Oberkleid war viel zu dünn für den scharfen Wind.

Sie wusste nichts über den Mann, abgesehen von dem Klatsch, den ihr die Dienstmägde zugetragen hatten. Kein Geringerer als sein alter Freund William, der Herzog der Normandie, nannte ihn „Brand, den Leidenschaftlichen“, da der Ritter sich offenbar überschwänglich an allen Facetten des Lebens erfreute. Es hieß, er habe noch nie einen Kampf verloren, denn sein eiserner Wille, den Sieg davonzutragen, sei größer und stärker als alle Gegner, die sich ihm entgegenstellten.

Was für Auswirkungen mochte ein Treuebruch auf einen Mann wie Risande haben? Wenn es stimmte, was Lily und Alysia erzählten, so hatte man Lord Brands Verlobte dabei erwischt, als sie sich einem von Brands Leibwächtern leidenschaftlich hingab. Nun machten sich Brynnas Dienstmädchen Sorgen über das Gerücht, der neue normannische Herr habe ein kaltes Herz. Brynna hätte Mitleid mit ihm gehabt, wenn sie nicht bereits Hass für ihn empfinden würde.

Er bringt die Kälte mit sich.

Sie wurde in ihren Gedanken unterbrochen, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Sie drehte sich um und schenkte ihrem Vater ein Lächeln.

Lord Richard trat an die Brüstung, zog seine Tochter an sich und schaute in die Ferne.

„Ich vermag dich nicht vor dem Kommenden zu schützen, Brynnafar“, sagte er mit einem Anflug von Wehmut in der Stimme.

„Ich weiß“, erwiderte sie leise und schmiegte ihre Wange an seine breite Schulter. Obwohl er schon zweiundvierzig Jahre zählte, war ihr Vater ein eindrucksvoller Mann, ein Krieger von unbezähmbarem Wesen. Doch leider hat sein Kriegsglück ihn jetzt verlassen, dachte Brynna traurig.

„Ist er furchtbar, Vater? Hat er langes, zotteliges Haar und scharfe Fangzähne?“

Lord Richard lachte leise und drückte Brynna an sich. „Nein, meine Tochter, er hat keine Fangzähne. Für einen Normannen sieht er recht gut aus.“ Er hielt inne und dachte an den Mann, gegen den er gekämpft hatte. „Merkwürdig.“ Die Bemerkung kam ihm unwillkürlich über die Lippen. Ein Anflug von Verwunderung lag in diesem einen Wort und noch etwas, das Brynna nicht recht zu deuten vermochte.

„Was ist?“ Gespannt schaute sie zu ihm auf, als rechne sie damit, dass ihr Vater sie auf eine Missbildung ihres Verlobten aufmerksam machen würde.

„Der Normanne … er ist ein eigenartiger Bursche. Nachdem man mich gefangen genommen hatte, trieb man mich und den Rest meiner Leute auf einer kleinen Lichtung zusammen. Der Normanne kam auf uns zu, und da war noch jemand bei ihm. Wie ich hörte, handelte es sich um den Bruder von Risande, einen starken Ritter, der viele meiner Männer mit seiner Klinge niederstreckte. Die beiden sprachen miteinander, worauf Lord Brand zu lachen anfing. Einen Augenblick lang konnte ich nicht begreifen, dass dies der Mann sein sollte, der mir die Niederlage beigebracht hatte.“

„Warum nicht?“, fragte Brynna, die sich ganz in dem betörenden Klang seiner Stimme verloren hatte.

„Er kam mir …“, Lord Richard schüttelte den Kopf, denn offenbar fand er nicht die richtigen Worte, um den Krieger angemessen zu beschreiben, „unschuldig, ja beinahe kindlich vor, als wisse er nicht, was Hass oder Zorn bedeuteten. Weder Kälte noch Berechnung lagen in seinem Lächeln. Doch dann war diese Unschuld verflogen, als unsere Blicke einander begegneten. Da wusste ich, dass genau der Mann vor mir stand, gegen den ich auf dem Schlachtfeld gekämpft hatte. Es kam mir eigenartig vor, dass ein Mann so unerbittlich kämpfen kann und im nächsten Moment die Sorglosigkeit eines Kindes an den Tag legt.“ Ihr Vater drehte den Kopf zu Brynna und schaute auf sie hinab. „Sein Mienenspiel täuscht, Brynnafar. Sei auf der Hut in Gegenwart dieses Mannes.“

„Ich werde daran denken, Vater“, versprach sie und reckte den Hals, um erneut einen Blick über die Brüstung zu werfen.

Lord Richard betrachtete seine Tochter. Bedauern lag in seinen Augen, die von einem feinen Faltenkranz umrahmt waren. „Wenn ich nur eine Möglichkeit sähe, dieser Vermählung Einhalt zu gebieten …“ Seine Stimme verlor sich, und er wandte sich dem hölzernen Tor zu, das in den Burgfried führte. „König Edward ist bereits hier, um sicherzustellen, dass der Normanne in die Ehe mit dir einwilligt. Und Herzog William müsste noch heute Abend eintreffen.“

Brynna straffte die Schultern, und ihr Vater wollte sie erneut in den Arm nehmen. Sie war seine Tochter, stolz und furchtlos im Angesicht der Gefahr, aber als er sah, dass sie sich seinetwegen bemühte, tapfer zu erscheinen, verspürte er einen Stich im Herzen.

„Ich werde tun, was ich tun muss, damit ich in meinem Haus bleiben kann, Vater. Er wird mir Avarloch nie fortnehmen. Für mich lebt Mutter immer noch hier, unten im Kräutergarten und bei den Falken. Ich kann förmlich fühlen, wie sie in der Kemenate näht oder am Spinnrad sitzt. Mit vielen der Leute hier bin ich aufgewachsen. Erinnerst du dich, als ich sieben Jahre alt war und die Köchin mir erlaubte, ihr bei der Zubereitung der Speisen für die Abendmahlzeit zu helfen? Ich benutzte einige von Mutters Kräutern für den Eintopf und hätte beinahe alle in der Burg vergiftet.“

„Ja, dein Schierlingseintopf“, sagte ihr Vater mit einem Lachen. „Wie könnte ich das vergessen!“

„Und da war der alte Gavin, der Schmied, der mir beibrachte, wie man ein Hufeisen herstellt.“

Ihr Vater nickte. „Du hast versucht, es meinem Hengst anzulegen, und das Tier trat aus. Er verfehlte dich, aber du fielst auf den Rücken und bist mit dem Kopf gegen eine Schaufel gestoßen.“

„Der arme Gavin war eine Woche lang untröstlich.“ Brynna lächelte, als sie in den alten Erinnerungen ihrer Kindheit auf Avarloch Castle schwelgte.

Wieder fuhr ihr eine eisige Brise durch ihr langes, rötlichbraunes Haar. Mit ihren feingliedrigen Fingern strich sie sich eine Locke aus dem Gesicht. „Ich werde diesen Mann überleben, wie ich auch die harten Winter hier überstehe.“

„Komm wieder in die Burg, Brynna.“ Ihr Vater nahm ihre Hand, um seiner Tochter Trost zuzusprechen, aber sie schüttelte den Kopf.

„Nein, ich möchte sehen, wenn er kommt“, sagte sie, und ein Anflug von Trotz haftete ihren Worten an. „Ich möchte, dass er meine Gegenwart hier oben wahrnimmt. Ich werde ihm meinen Hass mit dem Wind entgegensenden.“ Beharrlich richtete sie den Blick auf die Bäume in der Ferne. Ihr Vater wusste, dass es zwecklos war, sich mit ihr zu streiten. Sie besaß einen starken Willen, und wenn es ihre Absicht war, den Normannen ihren Hass spüren zu lassen, dann würde er ihn auch zu spüren bekommen.

Lord Richard bemerkte die Gestalt nicht, die in dem Schatten einer Nische verborgen war. Sir Luis wartete so lange, bis Brynnas Vater in den Burgfried gegangen war, und betrat erst dann den Wehrgang. Der junge angelsächsische Ritter war tags zuvor mit dem König eingetroffen. Sowie er die schöne Brynna Dumont erblickt hatte, war ihm bewusst geworden, dass er es für immer bereuen würde, an jenem Tag nicht selbst in den Kampf gegen Lord Richard gezogen zu sein. Denn dann hätte er die Hand dieses feurigen Geschöpfs gewonnen und ihre Burg noch dazu.

Lautlos trat er vor und betrachtete die junge Frau zunächst von hinten, ehe er sich bemerkbar machen wollte. Das prachtvolle Haar fiel ihr in dichten Wellen über den Rücken. Ihre Beine, von Beinlingen aus schwarzer Wolle bedeckt, waren lang und wohlgeformt; lederne Reitstiefel reichten ihr bis zu den Waden. Sie trug keine Gewänder bei der Ankunft ihres Bräutigams, sondern versuchte, ihre Schönheit zu verbergen.

Luis verzog den Mund zu einem raubtierartigen Lächeln. Dieser Frau schien nicht bewusst zu sein, dass sie ihre Schönheit niemals würde vertuschen können.

Da wandte Brynna sich um, obwohl Luis kein Geräusch gemacht hatte. Und als sie den Ritter gewahrte, verdrehte sie die Augen und ließ den jungen Mann ihre Verachtung spüren. Sie mochte diesen Menschen nicht, der ständig in irgendwelchen dunklen Winkeln stand und sie mit seinen kleinen dunklen Augen zu beobachten schien. Er war groß und hager und trug eine Auspolsterung unter den Beinlingen, um seine Männlichkeit unanständig groß erscheinen zu lassen.

„Schert Euch fort“, bedeutete sie ihm gelangweilt.

Luis machte einen weiteren Schritt nach vorn. „Seid Ihr so erpicht darauf, Euren normannischen Krieger zu erblicken, dass Ihr sogar die Kälte hier oben in Kauf nehmt?“

Darauf ging sie nicht ein, denn obgleich der Ritter vorgab, um das Wohlbefinden einer Dame besorgt zu sein, nahm Brynna deutlich den sarkastischen Unterton in seiner Stimme wahr. Schon mehrfach hatte sie diesen unangenehmen Zug an dem Mann bemerkt.

„Er will Euch nicht, wie Ihr wisst.“ Luis stand nun neben ihr. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Brustwehr und nahm Brynnas Schönheit mit seinen gierigen dunklen Augen in sich auf.

„Das ist mir gleich“, entgegnete sie knapp, ohne den jungen Mann anzuschauen.

Der Ritter hob eine buschige Braue. „Oh“, gab er sichtlich erheitert von sich, und Brynna sah, wie seine Oberlippe sich verächtlich kräuselte. „Es beleidigt Euch nicht, dass dieser Mann gezwungen sein wird, Euch zu ehelichen? Lord Brand hat klargestellt, dass er nicht Euer Gemahl zu sein wünscht. Der König musste sogar den Herzog der Normandie hierher bestellen, um einen drohenden Krieg abzuwenden.“ Luis betrachtete die weichen Konturen von Brynnas Antlitz, während er sprach, und setzte ein schmales Lächeln auf, als er die kleine Falte auf Brynnas hübscher Stirn entdeckte. „Er würde lieber gegen die Angelsachsen kämpfen, als Euch zu heiraten, Mylady, und Ihr wollt mir weismachen, dass Ihr daran keinen Anstoß nehmt?“

„So lautete meine Antwort.“ Brynnas Miene blieb unveränderlich, ebenso ihr frostiger Tonfall. Was kümmerte es sie, ob der Fremde sie nun zu heiraten gedachte oder nicht? Doch obwohl sie es zu leugnen versuchte, fragte sie sich tatsächlich, warum der normannische Ritter eher ins Feld ziehen würde, als ihr Gemahl zu werden. Hasste er die Angelsachsen so sehr? Und hatte seine ablehnende Haltung etwas mit der Untreue seiner früheren Verlobten zu tun?

„Eure Hände wirken ein wenig verkrampft, Mylady“, schnurrte Luis und brachte sein Gesicht unangenehm nah an das ihre. „Ruft der Gedanke, das Bett mit dem Normannen zu teilen, Abscheu in Euch hervor?“

Da Brynna nicht gewillt war, diese zudringliche Stimme auch nur einen Moment länger zu ertragen, wirbelte sie herum und wandte sich dem jungen Ritter ganz zu. „Nein, Ihr seid es, dem mein Abscheu gilt, Sir Luis.“

Ein gefährliches Glimmen lag in den verengten Augen des Ritters, ehe er Brynna bei den Schultern packte. „Ihr würdet nicht so reden, wenn Ihr meine Männlichkeit tief in Euch spüren würdet.“ Er versuchte, ihr einen Kuss aufzuzwingen, aber Brynna zog rasch den Kopf zurück und setzte sich heftig zur Wehr, bis sie sich seinem Griff entwinden konnte. Entschlossen holte sie aus und schlug dem jungen Mann mit aller Kraft ins Gesicht.

„Ich werde meinen Vater und den König augenblicklich von Eurem ungebührlichen Betragen unterrichten und dafür sorgen, dass Ihr bestraft werdet.“ Verächtlich spie sie ihn an.

Luis verdrängte den brennenden Schmerz auf seiner Wange und bedeutete Brynna scheinbar unbeeindruckt, ihr Vorhaben zu verfolgen. „Dann werde ich ihm erzählen, dass Ihr mich angefleht habt, Euch von hier fortzubringen, oder dass Ihr Eure weiblichen Reize eingesetzt habt, um mich dazu zu bewegen, Euch in mein Bett zu holen. Es käme zu keiner Vermählung, wenn der König glaubt, Ihr hättet bei mir gelegen. Dann würdet Ihr Euer geliebtes Land einbüßen.“ Luis lächelte sie an, doch in seinen Augen glomm ein unheiliges Leuchten. „Wagt nicht, mich erneut zu schlagen, denn wenn Ihr es tut, werde ich mir nehmen, was ich begehre, und die anderen Ritter wissen lassen, was geschehen ist.“ Er war im Begriff, in den Burgfried zurückzukehren, blieb jedoch stehen und drehte sich noch einmal zu ihr um. „Vielleicht sollte ich das ohnehin tun.“

Brynna sah, wie er durch die Tür entschwand. Eine leise Furcht ließ sie erschauern. Doch sowie sie sich vergewissert hatte, dass der abstoßende Ritter wirklich fort war, schaute sie wieder auf den Wald jenseits der Felder. Gütiger Gott, betete sie im Stillen, mach, dass der Normanne anders als Sir Luis ist.