Leseprobe Love and Betrayal

Prolog

Der Bass der Anlage dröhnt durch die Wände und schallt jedes Mal herein, wenn sich die Tür öffnet. Alizée, meine Gastschwester, steht neben mir am Waschbecken und lässt sich kaltes Wasser über die Handgelenke laufen. Ihre Wangen sind gerötet. Sie dreht den Wasserhahn zu und fährt sich durch die schulterlangen, platinblonden Haare. „Können wir? Ich habe ein paar heiße Typen gesehen. Die müssen wir auschecken.“

„Von mir aus. Zu irgendwas muss das Singledasein ja gut sein“, seufze ich und hoffe insgeheim, das Jahr nicht auch als Single beenden zu müssen.

„Ach komm, ich laufe schon vierzehn Monate solo über das Parkett. Du erst ein paar Wochen. Los jetzt. Bist du fertig?“

Ich werfe einen prüfenden Blick in den Spiegel und nicke schüchtern der Brünetten mit den waldgrünen Augen zu, die mir aus dem Glas entgegenblickt. Die Haare, die mir bis knapp über den Po reichen, trage ich gewellt. Es war die Idee meiner Gastschwester, mich herauszuputzen und meine Naturlocken gekonnt in Szene zu setzen. Bereits auf dem Campus unserer Uni, an der wir zusammen studieren, hat sie unser Styling für den Abend geplant. Ich bin inzwischen ein halbes Jahr in Paris. Damals habe ich meinen Eltern gesagt, dass ich unbedingt Modedesign studieren und die Stadt kennenlernen möchte. Dass es aber noch einen anderen Grund gibt, ahnen sie nicht. Sie finden ohnehin nicht alles gut, was ich mache. Ich sehe zwar lieb wie ein Püppchen aus, stehe aber auf harten Metal, was meine Eltern nie verstehen konnten. Wenn sie wüssten, in welchem Club ich gerade bin, würden ihnen die Haare zu Berge stehen.

Alizée lächelt und öffnet die Tür. Dabei liegt ein Funkeln in ihren blauen Augen.

Die harten Klänge von Bring Me The Horizon dröhnen mir entgegen. Ich liebe diese Band. Alizée auch.

Wir treten aus der Toilette auf den Flur des Obergeschosses, von dem eine breite Wendeltreppe zum Tanzbereich führt. Ich ziehe mein dunkelgrünes Paillettenkleid zurecht, das nur knapp über meinem Po endet. Herrgott, ich verfluche Alizée für dieses Kleid! Meine Idee war das nicht. Über dem viel zu figurbetonten Ding, in dem ich mich wie eine Discokugel fühle, trage ich meine schwarze Lieblingsjacke im Rock-Style. Sie begleitet mich schon seit Jahren und ich trage sie wie eine zweite Haut.

Alizée geht voran und steigt die Treppe hinunter.

Ich folge ihr und tauche schon bald in den Nebel ein, der dicht über der Tanzfläche liegt. Künstliche Blitze zucken und ich habe Mühe, meine Gastschwester nicht aus den Augen zu verlieren.

Um mich herum tanzt und pogt die Menge. Die Stimmung ist der Hammer. Alizée hatte recht: Der Club ist ein echter Geheimtipp für Metal-Fans wie uns.

Vor einem halben Jahr hätte ich mir nicht träumen lassen, hier mit Alizée zu landen. Meine Gastfamilie ist wie die meine – ziemlich spießig. Gastvater Adrian ist Pastor und meine Gastmutter arbeitet in einem kleinen Feinkostladen. Beide ziemlich brave und anständige Leute. Alizée auf den ersten Blick auch. Aber nur auf den ersten. Als ich bei meiner Ankunft meine Tasche ausgepackt habe und sie meine Korn-Alben entdeckt hat, war sie direkt Feuer und Flamme und hat sich als heimlicher Fan geoutet. Sie ist ein echtes Luder. Vor ihren Eltern gibt sie die brave Modestudentin, doch wehe, die zwei sind mal aus dem Haus. Dann dröhnt Metal aus der Wohnung, dass die Fenster wackeln. Wir sind uns charakterlich so ähnlich, dass wir wirklich Schwestern sein könnten. Nur dass sie mehr aus sich rausgehen kann als ich. Alizée und ich sind wie Pech und Schwefel – Blondie und Brownie.

Alizées helle Haare, die sie ebenfalls gelockt trägt, stechen aus dem Gewühl der Tanzfläche heraus. Sie hat sich einen Platz inmitten der Menge ausgesucht und winkt mich zu sich herüber.

Vorsichtig bahne ich mir einen Weg durch die tobende Menge.

Wir tanzen ausgelassen und geben uns den harten Klängen hin.

Nach einer Weile beugt sie sich zu mir. „Ich hole mal was zu trinken. Willst du auch was, Mia?“

„Ein Bier“, schreie ich und spüre bereits das leichte Kratzen, das sich in meiner Kehle andeutet. Morgen werde ich garantiert heiser sein.

Alizée verschwindet aus meinem Augenwinkel und plötzlich wird es dunkel. Stromausfall? Nein, das gehört zum Song. Nihilist blues von Bring Me The Horizon.

Die Lichtflut fällt auf mich und verdrängt die Dunkelheit. Das gleißende Licht blendet mich, doch kurz darauf haben meine Augen sich an die Helligkeit gewöhnt. Plötzlich zucke ich zusammen, denn ein hochgewachsener Mann steht vor mir. Verwundert weiche ich zurück und bemerke, dass er den Blick starr auf mich gerichtet hat.

Der hübsche Unbekannte hat einen wohl barbierten Vollbart und ziemlich dunkle Augen, mit denen er in mein Inneres vorzudringen scheint. Sofort überzieht Gänsehaut meinen Körper und ich senke den Blick ein wenig.

Der Fremde trägt ein dunkles Hemd. Die oberen drei Knöpfe stehen offen und geben den Blick auf eine Kreuzkette frei. Ich meine, auch ein Tattoo zu sehen, doch ich kann es nicht genau erkennen. Was ich allerdings deutlich sehe, und was mir einen angenehmen Schauer über den Körper jagt, ist seine definierte, breite Brust.

Obwohl ich es nicht will, muss ich wieder seinem Blick begegnen. Der gut aussehende Kerl kneift die Augen leicht zusammen, als würde er sich fragen, ob ich real oder nur eine Erscheinung bin und ich meine, dann ein kleines Lächeln über seine Lippen huschen zu sehen. Sein Haar ist lang und dunkel. Er trägt es nach hinten gestylt, wo es ihm bis zum Nacken reicht.

Was passiert hier gerade? Wo kommt er auf einmal her?

Ich bin noch immer über sein plötzliches Erscheinen erschrocken. Eigentlich hätte ich ihn vorher irgendwo sehen müssen, doch das habe ich nicht. Dabei wäre mir solch ein hübscher Mann garantiert aufgefallen.

Je mehr Sekunden verstreichen, desto unangenehmer ist mir die Situation. Erst recht, weil mir bewusst ist, dass ich wie eine Discokugel funkle.

Er hebt seinen Arm und legt seine große Hand vorsichtig auf meine Schulter.

Seine Berührung lässt ein eigenwilliges Kribbeln in meiner Brust entstehen. Ich kann mir gar nicht erklären, warum. Das Ganze wird mir unheimlich. Ich lächle freundlich und drehe mich schnell von ihm weg.

Kurz darauf spüre ich, wie jemand nach meiner Hand greift.

Überrascht fahre ich herum und überlege mir die passenden Worte, um den Kerl freundlich zurückzuweisen, doch ich erblicke nicht ihn, sondern Alizée neben mir.

„Wo willst du hin?“ Sie sieht mich fragend an. „Hier ist dein Bier.“

Ich nehme es an und blicke mich suchend um, allerdings kann ich den Kerl nirgendwo mehr entdecken. Merkwürdig. Wo ist er hin?

„Alles okay? Wer war denn der hübsche Mann?“ Alizée zwinkert mir mit einem zweideutigen Funkeln in den Augen zu.

„Niemand.“ Irritiert lege ich das Glas an meine Lippen und leere es zur Hälfte. Scheinbar war ich durstiger, als ich gedacht hatte. „Komm, lass uns tanzen.“

 

Zwei Stunden später ist Alizée ziemlich betrunken, darum halte ich es für das Beste, den Heimweg anzutreten.

Beharrlich ziehe ich meine Gastschwester hinter mir her in Richtung Ausgang.

Alizée hat sichtbar Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten und torkelt hin und her. „Miaaa“, lallt sie und stolpert fast.

Sofort halte ich sie am Arm fest und bewahre sie davor, unfreiwillig zu Boden zu sinken. „Hoppla. Langsam.“

Alizée hält sich die Hand vor den Mund.

„Musst du dich übergeben? Komm, wir sind gleich an der frischen Luft. Schön einen Fuß vor den anderen setzen.“

Meine Güte, das kann ja was werden. Wie gut, dass ich die Vernünftigere von uns beiden bin, sonst würden wir wahrscheinlich beide heute Nacht nicht mehr nach Hause kommen.

In Gedanken bin ich schon im Taxi auf der Heimfahrt und bete, dass Alizée mich nicht vollkotzen wird.

Wir treten durch den Ausgang und die kühle Nachtluft hüllt uns angenehm ein.

Der Himmel ist sternenklar.

„Komm, Ali. Wir halten nach einem Taxi Ausschau“, sage ich und ziehe sie hinter mir her. Alleine würde sie niemals heil nach Hause kommen. Zum Glück sind meine Gasteltern das Wochenende über weggefahren. Das hätte richtig Ärger gegeben, wenn sie ihre Tochter so gesehen hätten.

Alizée murmelt etwas Unverständliches und sackt in die Knie. Ich muss sie stützen und lege ihren Arm um meine Schulter.

Zusammen gehen wir langsam über den großen Parkplatz in Richtung Straße.

Sie nimmt die Hand vom Mund und atmet tief durch.

„Geht es wieder?“, frage ich besorgt und nehme erleichtert ihr Nicken zur Kenntnis.

Unweit von uns höre ich plötzlich Stimmen. Sie klingen ziemlich aggressiv und fluchen wild auf Französisch.

Sofort verlangsame ich den Schritt und überlege umzudrehen, doch Alizée läuft einfach strammen Schrittes weiter. Schon hat sie die Gruppe von Männern erreicht, die sich in einer Ecke auf dem Parkplatz versammelt hat und im Schatten einer Straßenlaterne steht.

Alizée hebt lächelnd die Hand und winkt. „Huhu, Jungs. Habt ihr ein Taxi gesehen?“

„Nein. Alizée! Komm sofort zurück!“, wispere ich und sehe sie flehend an.

Doch sie nimmt mich nicht wahr, die Männer allerdings schon, die auch sie sofort in Augenschein nehmen. Durch das schwache Laternenlicht erkenne ich nicht viel von ihnen.

„Aber hallo. Chérie. So ganz allein hier?“, höre ich eine Stimme, die kratzig wie ein Reibeisen klingt und zu einer der dunklen Gestalten gehören muss. „Na, komm her. Lass dich mal ansehen.“

„Heiße Schnitte“, raunt eine weitere Stimme aus der düsteren Ecke.

Klingt nicht nach vertrauenswürdigen Männern. Eher nach Gefahr. Wir sollten schleunigst hier verschwinden.

„Alizée! Nein!“, flüstere ich, verstecke mich im Schatten eines parkenden Autos, doch meine Gastschwester hört mich nicht.

Wacklig geht sie auf die Männer zu und bleibt plötzlich wie angewurzelt stehen.

Einer von ihnen tritt ins Licht der Laterne. Er hat langes, blondes Haar, das er am Hinterkopf zusammengeknotet hat, und hellblaue Augen. Sein Gesicht ist mager, die Wangen hohl. Ein Drachentattoo ziert seinen Hals und reicht ihm bis zu den Schläfen. Er sieht aus wie ein Cowboy, trägt Schlangenlederstiefel und Fransen hängen von den Ärmeln seiner Jacke.

Fuck! Der hat definitiv keinen guten Leumund.

Mein Herz trommelt einen heftigeren Beat, als jener, der im Metal-Club eben erklungen ist. Ein letzter tiefer Atemzug und schon schäle ich mich aus dem Schatten des Autos und halte auf meine Gastschwester zu.

„Na, wen haben wir denn da?“ Der blonde Schmiertyp gafft mich auf eine so ekelhafte Art an, dass sich mir die Nackenhaare aufstellen. Dann grinst er und leckt sich über die schmalen Lippen.

Sofort ergreife ich die Hand meiner Gastschwester und will sie wegziehen, doch sie bleibt einfach stehen. Erstarrt.

„Wo soll’s denn hingehen, douceur?“, fragt der Typ mit einer Stimme, die sich rau wie Schmirgelpapier anhört und starrt mich lüstern an.

Ich sag ihm doch nicht, wo ich hin will.

In seiner Hand hält er ein Messer, dessen Klinge blutrot befleckt ist. Er lässt es fallen, und geht einen Schritt auf Alizée und mich zu.

Perplex lasse ich Alizées Hand los, weiche zurück und bin in höchster Alarmbereitschaft. Sofort muss ich an die Worte meines Gastvaters denken: Paris ist bei Nacht sehr gefährlich.

Alizée gerät ins Taumeln und stürzt, als ich kurz wegen des Messers abgelenkt bin.

„O Scheiße! Alizée. Es tut mir leid!“, fluche ich und helfe ihr auf.

„Tu es allemande, douceur? Du bist Deutsche?“ Der Kerl, der meine Herkunft an dem Akzent meines inzwischen fließenden Französisch rausgehört haben muss, leckt sich erneut über die Lippen. Ein wenig Speichel bleibt in seinem blonden Bart hängen.

Angewidert rümpfe ich die Nase und hebe die Hand. „Lass uns in Ruhe, ja?“

„Sonst was?“ Mit einem schmutzigen Grinsen im Gesicht hebt er das Messer auf und geht einen Schritt zur Seite.

Hinter ihm liegt ein Mann regungslos in einer Blutlache auf dem Kiesboden. Zwei andere Männer stehen im Hintergrund, sind durch die Dunkelheit für mich nicht genauer erkennbar.

Ein eiskalter Schauer läuft mir den Rücken herunter, als mir klar wird, dass wir verdammt noch mal am Arsch sind.

Der blonde Kerl fährt sich über das Haar, das platt auf seinem Kopf liegt und dabei wie geleckt glänzt. „Komm, Chérie, lass uns ein bisschen Spaß zusammen haben. Deine Freundin darf auch zuschauen, wenn sie zu k. o. ist, um mitzumachen.“ Er klopft auf seinen Schritt, grinst schmierig und baut sich vor mir auf. Durch seine schiefen Zähne dringt ein Mix aus Alkohol, Fäulnis und kaltem Qualm.

Ich muss fast würgen. Dieser Typ ist so abartig. Den würde ich nicht einmal mit der Kneifzange anfassen. Wenn ich nur daran denke, dass er seine schmierigen Griffel an mich legen will …

Alizée hockt neben mir auf dem Boden und wimmert. Die Locken fallen ihr ins Gesicht und sie hält den Blick gesenkt. „Lass uns gehen. Tu uns bitte nichts.“

Der Kerl deutet mit dem Kopf auf den Toten. „Ihr habt zu viel gesehen.“ Dann hebt er das Messer und leckt ganz langsam und genussvoll die blutige Klinge ab.

O nein! Mir wird plötzlich schlecht und ich komme mir wie in einem Albtraum vor – mit dem bedeutenden Unterschied, dass ich wach bin.

Langsam beugt das blonde Ekelpaket sich vor und lässt die Spitze seines Messers von meinen Unterschenkeln zum Saum meines Kleides hinaufgleiten und zerschneidet dabei meine Strumpfhose.

Ich wage es nicht, mich zu bewegen. Zu groß ist die Angst, dass er mir dann ins Bein schneidet. Wo bin ich da nur hineingeraten?! Der Typ wird mich vor Alizées Augen vergewaltigen und dann wird er uns beide töten. Meine Gasteltern werden dann in der Zeitung von einem Parkplatzüberfall mit Todesfolge lesen und wahrscheinlich an einem Herzinfarkt sterben. Genauso wie meine Eltern, wenn sie davon erfahren.

Mir schlägt das Herz bis zum Hals und mein Körper ist vollgepumpt mit Adrenalin.

Die Klinge fährt immer höher und hält kurz vor meinem Rock an. Dann schaut der Typ plötzlich zu mir auf. Das schmierige Grinsen und die Gier in seinen Augen lassen mich Böses erahnen.

Verzweifelt überlege ich, was ich tun soll. Einen Ausweg scheint es nicht zu geben. Selbst wenn es mir gelingen sollte, den Penner außer Gefecht zu setzen, sind da immer noch zwei weitere Männer, die Alizée und mir gefährlich werden können. Und sie werden es. Da bin ich mir sicher.

Der schmierige Blonde erhebt sich wieder, öffnet die Schnalle seines Gürtels und ich ahne schon, was gleich passieren wird. Bitte, lieber Gott, hilf mir!

Mit seinen hageren Fingern öffnet er Knopf und Reißverschluss, und wühlt in seiner Hose.

Mich überkommt das Gefühl, ihm jeden Moment vor die Füße kotzen zu müssen, und mein Puls rast, als wäre ich einen Marathon gelaufen.

„Nein, bitte!“, wimmert Alizée. „Wir haben doch gar nichts gesehen. Wir wollen einfach nur nach Hause. Bitte, lasst uns gehen.“

„Vergiss es, Kleine. Ihr geht nirgendwo hin. Und du … du bist gleich auch noch dran. Erst fick ich euch und dann piss ich auf euch, bevor ich euch die Kehle durchschneide.“ Der Blonde klingt so entschlossen und kalt, dass sich mir sämtliche Haare meines Körpers aufstellen. Seine Augen sind verkniffen und die Pupillen starr auf uns gerichtet und sein Gesicht wirkt dadurch wie versteinert. Plötzlich packt er mich und fasst unter meinen Rock.

Das Letzte, was ich sehe, bevor ich kurz davor bin, resignierend die Augen zu schließen, ist die Waffe in seiner Körpermitte, mit der er mich brutal verletzen wird und die bereits wie eine Eins steht. Tränen laufen über meine Wangen.

Ich will um mich schlagen, doch der Arsch hält meine Handgelenke mit einer Hand fest. Mit der anderen Hand schiebt er meinen Slip zur Seite.

„Nein, bitte!“, flehe ich, weiß aber auch, dass es kein Entrinnen gibt. Mein Körper ist erstarrt und mein Atem geht schnell. Ich rechne mit allem. Schmerzen, Brutalität … Doch nicht damit, dass plötzlich ein weiterer Mann aus der Dunkelheit auftaucht und dem blonden Kerl brutal ins Gesicht schlägt. Blut spritzt aus dem Mund des Blonden und kurz darauf schubst ihn der Mann mit voller Wucht zur Seite.

Geschockt reiße ich die Augen auf und starre auf meinen Beinahe-Vergewaltiger, der über den Boden rollt und kurz darauf von dem Unbekannten in einer Anzughose einen Tritt in die Eingeweide bekommt. „Verpiss dich, du Penner!“, schimpft eine dunkle Männerstimme.

„Scheiße! Lass uns verschwinden!“, höre ich einen der Männer rufen, die zu den Blonden gehören.

Ich weiß gar nicht, wie mir geschieht und fixiere immer noch den Blondschopf, der sich vor Schmerzen windet. Der Angreifer umfasst mein Gesicht und zieht es sanft nach oben. Fassungslos starre ich in ein paar dunkle Augen, aus denen etwas Diabolisches, aber auch eine gewisse Wärme spricht. Es ist der hübsche Kerl von der Tanzfläche.

Auf seiner Stirn zeichnen sich kleine Denkfältchen ab und der Mund zuckt angespannt. „Alles in Ordnung?“, fragt er und sieht mich besorgt an.

Ich nicke nur beiläufig als Antwort auf seine Frage und zittere am ganzen Leib.

„Emilian. Komm her!“, ruft mein Retter in die Dunkelheit, dessen Stimme immer leiser zu werden scheint. „Schnapp dir die anderen. Die hauen ab!“

Schritte nähern sich und mein Sichtfeld wirkt verschwommen. Der Boden unter meinen Füßen scheint mir allmählich zu entgleiten.

„Ihr kommt erst mal mit mir“, höre ich den Mann, in dessen Arme ich immer tiefer sacke, noch zu Alizée sagen, bevor mir die Lichter ausgehen.

1. Kapitel

Lion

„Was hast du dir dabei gedacht?!“, schimpft Mario und sieht wütend von seinem Schreibtisch auf.

Das Knistern des Feuers im Kamin hinter ihm ist in dieser Situation weiß Gott nicht romantisch, sondern kommt eher einem Höllenfeuer gleich.

„Das war so überhaupt nicht geplant“, sage ich zu meiner Entschuldigung, verziehe verbissen das Gesicht und nehme vor dem großen Sekretär in einem Stuhl mit rotem Samtbezug Platz.

Mario spielt nervös mit seinem Siegelring, der breiter als der Finger ist, an dem er ihn trägt und bedenkt mich mit einem strengen Blick. „Du hast einen Bandenkrieg angezettelt! Wir mischen uns nicht in die Angelegenheiten der Boullards ein. Das weißt du doch!“, zischt er wütend und schlägt bedeutungsvoll mit der Faust auf den Tisch.

Ich schweige, denn ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, da mir die Regeln klar sind.

Mario stößt angespannt Luft aus und schüttelt den Kopf. „Lion“, stöhnt er und fährt sich durch das grau melierte Haar. „Also …“, beginnt er dann, zupft den Ärmel seines sündhaft teuren, dunkelblauen Anzuges zurecht und sieht mich verständnislos an. Die graublauen Augen scheinen müde, obwohl sein Gemüt ziemlich erhitzt ist. „Dass du dich ausgerechnet mit Raphael anlegen musst! Ihr seid neulich schon aneinandergeraten und eigentlich dachte ich, ich hätte mich klar ausgedrückt!“

„Hast du auch“, sage ich mit einem Seufzen und führe mir die Szene von damals vor Augen. Gleichzeitig hoffe ich, dass Mario mir nicht lange böse sein wird. Schließlich ist er nicht nur mein Boss, sondern auch ein väterlicher Freund.

„So? Und was hast du daran nicht verstanden?! Jetzt habt ihr einen von seinen Leuten auf dem Gewissen, du und Emilian. Musste das sein?“

Egal, was ich jetzt antworte – es wird falsch sein.

„Es kommt nicht mehr vor, Mario. Eines der Mädchen sieht Emma ähnlich. Da ist bei mir eine Sicherung durchgebrannt. Außerdem war es Notwehr. Der Typ ist auf mich losgegangen und Emilian hat mir nur helfen wollen. In Zukunft halten wir uns fern von den Boullards.“

„Das will ich für dich hoffen!“, kommentiert er säuerlich und beugt sich zu mir vor. Seine harte Miene lockert sich. „Du bist mein bester Mann, Lion, und ich kann auch verstehen, dass du nach der Sache mit deiner Schwester diesen Raphael hasst wie die Pest. – Aber noch so eine Aktion und ich muss dich rausschmeißen, klar?! Jetzt sieh zu, wie du den Typen wegschaffst. Warum habt ihr ihn überhaupt in Emilians Auto mitgenommen?“

„Wir wollten ihn am Krankenhaus absetzen, weil wir dachten, er schafft es noch“, antworte ich knapp, nicke ihm zu und erhebe mich. Ich will mich schon zum Gehen umdrehen, als Mario sich räuspert.

„Wo sind die Mädchen? Im Kerker nehme ich an?“

Ich bleibe stehen, rolle mit den Augen und presse für einen kurzen Augenblick die Lippen aufeinander. Er wird ausrasten.

„Lion!“

„Auf ihrem Zimmer“, presse ich schuldbewusst hervor.

Ein lauter Knall lässt mich zusammenzucken.

„Du hast ihnen bei uns ein Zimmer gegeben? Sag mal, bist du noch ganz bei Trost?“

„Es ist nur vorübergehend“, antworte ich zähneknirschend.

„Vorübergehend?“, fragt Mario, als hätte er sich verhört.

Langsam drehe ich mich zu ihm um.

Er hat sich hinter seinem Sekretär aufgebaut und funkelt mich wütend an.

„Ja, ich habe überlegt, ob wir sie nicht behalten, oder den Boullards zur Entschädigung anbieten sollen. Zumindest eine von beiden.“

Verständnislosigkeit steht Mario ins Gesicht geschrieben. „Sehe ich aus wie ein Mädchenhändler? Außerdem, was soll das bringen? Du hättest sie ihnen von Anfang an überlassen sollen.“ Er reibt sich das Kinn. „Können sie was? Sind sie zu was nütze?“

Grübelnd hebe ich eine Augenbraue. „Nun ja, sie sehen recht passabel aus. Vielleicht könnten sie das ein oder andere Escort-Mädchen ersetzen.“

Mario kneift die Augenbrauen zusammen. „Schöne Mädchen bekommst du hier an jeder Ecke. Das reicht mir nicht. Schaff sie weg. Und den Typ auch! Und zwar bis morgen. Klar?“

„Wie du willst“, antworte ich ihm kleinlaut und verlasse den Raum. Mario ist der Boss. Was er sagt, ist Gesetz. Ich lasse den Mädchen noch diesen einen Tag, bevor ich sie irgendwo aussetze.

Kopfschüttelnd gehe ich den langen Flur hinab und steuere die große Treppe an. Wieso habe ich mich da bloß eingemischt? Es war wie ein Reflex. Ich wollte das überhaupt nicht. Klar, die Kleine mit den langen Haaren ist hübsch, aber ich brauche nur mit dem Finger zu schnippen und mir liegen die schönsten Frauen von Paris zu Füßen. Dafür muss ich mich nicht mit den Boullards anlegen. Aber ich habe eben etwas gegen Vergewaltiger. Und was dieser Penner vorhatte, war ganz offensichtlich. Mit meiner Schwester Emma hat der Bastard Raphael damals das Gleiche gemacht. Nachdem er sich genommen hatte, was er wollte, hat dieser Hurensohn erst ihren Freund und dann Emma umgebracht. Raphael hat mir alles genommen, was mir etwas bedeutet hat. Für ihn war es nur irgendein Pärchen, das Zeuge seiner kriminellen Machenschaften geworden ist. Doch seit er weiß, dass es sich um meine Schwester gehandelt hat, kostet er seinen Triumph richtig aus. Damals konnte ich nichts tun, denn ich war zweihundert Kilometer entfernt auf Geschäftsreise. Allerdings war ich jetzt vor Ort und konnte mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, diesem Bastard ausgiebig die Fresse zu polieren.