Interview Thriller-Autor Volker Dützer im Gespräch

Worum geht es in deinem Thriller Morgen bist du tot?

Die ehrgeizige Journalistin Valerie de Crécy setzt alles daran, den bekannten Starwahrsager Gabriel Nexx als Schwindler zu entlarven. Als sie unverhofft die Chance auf ein Interview erhält, entpuppt sich Nexx als Psychopath, dem Valerie unbedacht eine Tür in ihr Leben geöffnet hat. Als sie sich seinen Nachstellungen widersetzt, prophezeit Nexx ihren baldigen Tod.

Gabriel Nexx ist ein Star-Wahrsager, der sich als psychopathischer Stalker entpuppt. Wie kamst du auf die Idee, einen Thriller zum Thema Stalking zu schreiben?

Die Idee kam gewissermaßen durch die Hintertür. Es gibt grundsätzliche Fragen, auf die alle Menschen Antworten suchen. Eine davon lautet: „Ist die Zukunft vorherbestimmt oder kann man den Lauf des Schicksals beeinflussen?" Dazu müsste man heute wissen, was das Morgen bringt; und das ist unmöglich. Oder doch nicht? Ideen zu meinen Geschichten beginnen häufig mit der Frage: „Was wäre, wenn …?“
Ich recherchiere meine Romane sehr sorgfältig, also wollte ich wissen, was die Wissenschaftler zum Thema „Die Zukunft vorhersehen“ zu sagen haben. Was ich erfuhr, überraschte mich. Damit hatte ich nicht gerechnet. Mit der ungeheuren Rechenleistung heutiger Großrechner und immer leistungsfähigeren Algorithmen gelingt es Forschern inzwischen, verblüffend genaue Vorhersagen über drohende Börsencrashs, politische Entwicklungen oder das Klima zu machen. In den USA laufen in mehreren Städten Projekte zum „Predictive Policing“. Ein Computer verrät den Cops, wo und wann welche Verbrechen zu erwarten sind. Die Erfolge bei der Verhinderung von Straftaten sind verblüffend. Um das Verhalten von Menschen vorhersagen zu können, braucht man vor allem eins: eine Unmenge von Daten. Je mehr Daten ein Algorithmus verarbeiten kann, desto genauer sind seine Vorhersagen.
Wir alle wissen, dass Konzerne und Regierungen Daten über uns sammeln und wir akzeptieren es nur, weil wir es nicht bemerken. Ich versuchte mir vorzustellen, die Datensammelkrake hätte ein Gesicht, wäre ein Mensch aus Fleisch und Blut, der an der Supermarktkasse hinter mir steht und notiert, was ich einkaufe. Er sitzt auf dem Rücksitz, wenn ich mein Navi programmiere, er hört mit, wenn ich telefoniere, und schaut mit mir Fernsehen. Mit anderen Worten: Ich werde von einem Stalker verfolgt – womit wir beim Thema Stalking wären. Niemand von uns würde das dulden. Wir tun es, weil es im Verborgenen geschieht. Mit der Figur des Nexx wollte ich der Krake ein Gesicht geben, er ist die fleischgewordene Verkörperung von Big Data.
Der nächste Schritt lag auf der Hand: Was passiert eigentlich mit all den Daten? Wozu diese Sammelwut? Die Antwort ist einfach und lautet: Das (Kauf)verhalten von Menschen zu beeinflussen. Im Roman gehe ich noch einen Schritt weiter. Wenn ich genug über eine Person weiß, könnte ich ihr Handeln vorhersagen und steuern. Damit kann ich zwar nicht die Zukunft vorhersagen, aber ein Umfeld schaffen, in dem die Person so reagiert, wie ich es wünsche. Das wäre ungefähr das Gleiche. Ich bin bei meinen Recherchen auf viele Beispiele gestoßen, dass dies bereits geschieht, und das Ausmaß hat mich erschreckt. Der Algorithmus, den ich im Roman beschreibe, ist noch Fiktion, aber wie lange noch?

Morgen bist du tot Interview Bild von Autor

Kannst du deine Protagonistin Valerie de Crécy und ihren Gegenspieler Gabriel Nexx in jeweils drei Worten beschreiben?

Valerie: Stark und zerbrechlich.
Nexx: Selbstverliebt, psychotisch, allwissend.

Was macht für dich einen guten Psychothriller aus?

Die Figuren. Sie müssen lebensecht, dreidimensional und vielschichtig sein. Je mehr sie leiden, je tiefer die Grube, in die sie zu Beginn der Handlung stürzen und je cleverer sie wieder herausklettern, desto spannender ist die Geschichte.

Wie sah deine Recherchearbeit genau aus? Hast du dich an einem wahren Fall orientiert oder entsprang alles ausnahmslos deiner Fantasy?

Die Figuren sind rein fiktiv, der Hintergrund ist es nicht. Ich habe das Internet nach den neuesten Forschungsprojekten zu Big Data und Algorithmen durchforstet. Dabei trug ich so viel Material zusammen, dass die Aufzählung hier den Rahmen sprengen würde. Wer sich näher mit der Gefahr des Datenmissbrauchs beschäftigen will, dem empfehle ich u.a. die Bücher Sie kennen dich! Sie haben dich! Sie steuern dich! von Markus Morgenroth und Payback von Frank Schirrmacher. Einige Beispiele von Verhaltenssteuerung, die im Roman auftauchen, habe ich aus diesen Büchern entnommen.

Morgen bist du tot erschien bereits 2017 unter dem Titel Nexx-Die Spur. Für die Neuauflage habe ich das Buch überarbeitet und war schockiert, wie schnell die technische Entwicklung seitdem vorangeschritten ist. Dinge, die ich im Roman als Fiktion beschrieben hatte, sind inzwischen längst Realität geworden. Ich erlebe es immer wieder, dass die Wirklichkeit meine Ideen ein – bzw. überholt.

Morgen bist du tot beschäftigt sich u.a. mit Datenmissbrauch. Wie bewertest du unsere Abhängigkeit vom Internet?
Wie alle menschlichen Erfindungen, hat das Internet gute und schlechte Seiten. Es kommt darauf an, was man daraus macht. Es braucht klare, gesetzliche Regelungen, die ich vermisse. Die Datenschutz-Grundverordnung war ein Schritt in die richtige Richtung, heraus kam jedoch vor allem ein bürokratisches Monster. Nach wie vor haben wir keine wirkliche Kontrolle darüber, was mit unseren Daten geschieht. Auf der anderen Seite gibt es peinlich genaue Vorschriften, wie das Impressum auf meiner Homepage gestaltet sein muss. Das passt nicht zusammen und nützt vor allem den berüchtigten Abmahnanwälten. Weder Konzerne noch Regierungen haben naturgemäß ein großes Interesse daran, dass sich das ändert.

Gehen dir deine Geschichten selbst nahe? Welche Szene war am schwierigsten für dich?

Wenn beim Schreiben keine Gefühle in mir aufkommen, läuft etwas falsch. Dann wird sich auch der Leser nicht mit den Figuren identifizieren. Wie soll es den Leser „packen“, wenn mich die Geschichte selbst kalt lässt? Ja, ich leide mit meinen Figuren, sie wachsen mir ans Herz wie gute Freunde. Trotzdem kann ich gnadenlos zu ihnen sein.
Am schwierigsten sind immer die Liebesszenen. Sie dürfen nicht platt und aufgesetzt wirken, so als ob noch eine Portion Sex in die Handlung gehört, weil sich das nun mal gut verkauft.

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