Interview Sprecher Moritz Brendel im Interview

Du gibst dem Krimi Sturmtod deine Stimme. Was hat dir am besten an der Geschichte gefallen?

Als allererstes: Der Titel! Allerdings hatte das Buch zu dem Zeitpunkt, als ich es eingesprochen habe, noch einen anderen Arbeitstitel, nämlich „Die Sturmtänzer“. Ich empfand es als eine ungewöhnliche Wortschöpfung, die meine Neugier sofort geweckt hat. Sprachlich, also rhythmisch, war es zudem ein gut zu sprechender Titel ;-). Und es gefiel mir, dass man sich eben nicht gleich etwas darunter vorstellen konnte. Okay, das ist jetzt vielleicht gleich in die Nessel gesetzt, weil das Buch ja jetzt einen anderen Titel hat. Sturmtod ist in seiner Aussage eine recht eindeutige Sache und vielleicht auch ein Hinweis.

Jennifer Nowak ist eine Protagonistin, die viel Schlimmes im Leben erfahren und all ihren Lebensmut verloren hat. War es eine Herausforderung für dich? Wie hast du dich auf die Rolle vorbereitet?

Frauen sind grundsätzlich – aber auch als Hörbuchsprecher – eine besondere Herausforderung für mich. Sie sind oft viel klüger als Männer. Na, oder sagen wir: Sie haben oft eine unaufdringlichere Intelligenz als Männer. Das gefällt mir. Aber ich schweife vielleicht ein wenig von der Frage ab …

Die Figur Jennifer ist im Besonderen eine Herausforderung gewesen, weil sie ja nicht nur Schicksalsschläge erlitten hat, sondern auch großes Glück in Ihrem Leben erfahren hat. Und so muss man die Balance suchen und sich fragen: Was will ich mit dieser Figur? Und Jennifer ergeht es da ja ganz ähnlich. Sie ist an einem Punkt in ihrem Leben angelangt, wo sie sich fragt: Jetzt da ich die Mittel habe – also keine Ausreden mehr – was will ich mit meinem Leben anfangen? Diese Fragestellung fand ich interessant. Dieselbe Frage könnte sich auch ein Mann stellen. Aber ich glaube, ein Mann fände einen ganz anderen Weg zu seinen Antworten als eine Frau.

Zur zweiten Frage: Ich lasse mich ein. Dazu braucht es vor allem mentale Vorbereitung und Konzentration. Nach dem Lesen des Buches gehe ich manchmal mit den Figuren quasi im Alltag „spazieren“. Es passieren mir Dinge wie, dass ich als Jennifer die Orangen im Supermarkt auswähle und sie mir dann zum Beispiel sagt: „Wieso muss ich immer alles andatschen?!“ Natürlich sage ich das nicht laut, sondern bin in einer Art Selbstgespräch mit ihr. Das macht viel Spaß, weil es mich selbst oft überrascht und mich zum Schmunzeln bringt. Es ist ein Weg, wie ich die Figuren spielerisch und über das Buch hinaus kennenlerne. Das kann ich aber nicht planen („Heute gehe ich mal mit Jennifer in den Zoo, mal sehen, was sie zu den Gibbons sagt …“ – das funktioniert nicht). Insofern ist das keine methodische Vorbereitung. Die Figuren wollen aber raus ins Leben und sie suchen sich ihre Wege selbst. Da habe ich in der Vorbereitung – offenbar – gar nicht so viel Einfluss drauf, wie es vielleicht manchmal den Anschein hat.

Gibt es eine Szene im Krimi, die dir besonders im Kopf geblieben ist?

Ja, die Passagen im Hafen, auf dem Kutter. Das sind sehr ruhige Passagen, bei denen es nicht viele Worte für diese Bilder braucht. Das liebe ich. Zwei bis drei Sätze und man ist an einem anderen Ort und spürt und sieht sofort sehr viele Details. Dann beginnt es: Ich bewege mich in den Bildern des Textes als wäre ich dort. Dann beginne ich „von dort aus“ zu erzählen. Der Hafen ist auch das Metier und Umfeld der Sayers. Die Szenen zwischen Vater und Sohn sind mir besonders gut in Erinnerung geblieben.

Welche Figur hat dir am besten gefallen und warum?

Der Täter. Ich wußte von Anfang an, dass er es war.
Okay! Das ist nicht richtig. Ich wusste sofort beim Lesen: Der (!) hat mehr Dreck am Stecken als man denkt … Und es ist einfach stimmlich am spannendsten: Wie spricht der Täter? Wie ist seine Stimme, wie sein Körper usw. All diese Fragen machen mir sehr viel – ja machmal sogar höllischen Spaß!

Hast du selbst einen Bezug zu Cornwall oder liest gerne Romane, die dort spielen?

Ich war leider noch nicht dort. Ich finde aber alles, was ich aus Filmen oder durch Bilder von Cornwall kenne, sehr schön. Es gehört definitiv zu meinen Wunsch-Reiseorten. Schon allein aus dem Grund, weil die Küste so irre schroff und steil ist!

Wie kamst du dazu, Sprecher zu werden?

Ich habe damit sehr früh angefangen, weil meine Eltern beide Schauspieler sind und mich mitgenommen haben. Tonstudios kannte ich also schon sehr früh: im Rundfunk mit Bandaufnahmen, mit der Revox oder in Tonstudios in und um Stuttgart. Meine erste eigene Sprachaufnahme war ein Hörspiel, da war ich acht Jahre alt. Ein Junge, der Hui Buh das Schloßgespenst kennenlernt und sich mit ihm anfreundet. Später als ich auf der Schauspielschule in Frankfurt studierte, hatte ich dann einen sehr guten Mentor, bei dem ich „Mikrophonsprechen“ als Fach an der Hochschule unterrichtet bekam. Er hieß Peter Heusch, ist leider schon verstorben. Er war sehr von mir überzeugt und hat sich für mich eingesetzt. Und er war sehr gut im Geschäft (was man nicht von allen Dozenten an Schauspielschulen behaupten kann). Er hat mir meine ersten Jobs beim HR und in den vielen Studios des Medienstandorts Frankfurt verschafft. Das war ein großes Glück für mich, weil ich gleich gutes Geld verdienen konnte (als Student) und früh sehr vielseitig am Mikro zu arbeiten gelernt habe.

Wie sieht Dein Job als Sprecher aus? Und was gefällt dir besonders daran?

Immer noch das Sprechen an sich. Ich mag diesen körperlichen Akt des Sprechens: Die Konzentration, das Atmen, das sich überraschen lassen. Ich höre auch sehr gerne zu. Da beginnt es ja auch, denn so lernen wir überhaupt zu sprechen: Mit dem (Zu-)Hören.

Mein Job ist es, Geschichten zu erzählen, dafür werde ich bezahlt. Dazu werfe ich alles in die Waagschale und suche in Dokus im TV als Kommentarsprecher, bei einem Werbespot im Internet oder für ein Corporate Video eines Global Players. Denn alle Medien leben von Geschichten. Sie sind, neudeutsch gesagt, sowas wie ihre „DNA“, weil es bei Medien immer um Bedürfnisse geht. Sie stecken dahinter, weswegen Menschen Medien aufsuchen und nutzen. Auch wenn das jetzt sehr einfach klingt: Das fand ich schon immer sehr spannend: Menschen und ihre Geschichten. Im Einfachen liegt für mich die Kunst.

Gibt es einen Roman, den du gerne mal einsprechen würdest? Und warum diesen?

Ullysses von James Joyce. Hammertext. Allein die erste Seite... das ist so eine schöne Sprache! Paul Auster ist auch interessant. Er ist zwar ganz anders, aber sehr spannend, weil er sehr dicht und nah am Leben schreibt.

Was tust du neben deiner Arbeit als Hörbuchsprecher?

Ich habe mein ursprüngliches Tätigkeitsfeld, die Schauspielerei, sehr bald dahingehend erweitert, dass ich den Transfer der speziellen Fähigkeiten eines Schauspielers in andere Bereiche, die mich interessiert haben, gesucht habe. Synchronsprechen zum Beispiel hat ja eine große Nähe und Verwandtschaft zur Schauspielerei, weil es zu einem großen Teil auch reines Schauspiel ist. Wobei ich natürlich anfangs keine Ahnung hatte: „Aber irgendwie muss es doch gehen..!“ dachte ich mir. Und so lernte ich dazu. Ich liebe das Kino. Also lag es für mich sehr nahe, für diese Liebe zu lernen. Und dann habe ich angefangen, Bücher (Synchron-Dialogbücher) zu schreiben. Und die Synchronregie wurde mir mit diesem Auftrag auch gleich angeboten. Meine erste Arbeit für Synchron als Autor und Regisseur war ein sehr ruhiger – und wie ich fand – sehr spannender Roadmovie über eine Frau, die am Ende ihres Berufslebens auf einmal nicht mehr gebraucht wird und in eine Odysse hineingerät, die ihre innere Orientierungslosigkeit nach außen sichtbar macht. Das Ganze spielt mitten in der argentinischen Wüste. Und diese Senora Theresa findet durch eine sehr trickreich erzählte Liebesgeschichte einen Weg in ein neues Leben. Wunderbare Geschichte, oder?

Was ich neben meiner Arbeit sonst tue? Ich esse und koche wahnsinnig und leidenschaftlich gerne. Zum Beispiel genieße ich es täglich, mit unserem Hund in der Natur zu sein: Luft, Atmen, Gehen – all sowas.

Und ich spiele gerne Schach!

Liest du selbst gerne Krimis? Hast du eine Buchempfehlung für uns?

Ich lese gerne Krimis, ja! Allerdings lese ich beruflich bedingt schon sehr, sehr viel. Zum Beispiel Mädchenseelen von Daniel Tappeiner: Der Roman ist so präzise in der Beschreibung der Geschehnisse und Figuren, sodass die Dinge sich unaufwendig im Inneren Auge des Hörers entfalten und entstehen können. Es ist ein krasser Text mit Nervenkitzel. Von daher ist das meine Buchempfehlung!

Vielen Dank an dp für die interessanten Fragen!