Leseprobe Wenn ich deine Hoffnung bin

Prolog

Berkeley, Kalifornien
Januar 2020

Kaylee

Ich stehe am Strand, mit den Füßen im Wasser und lausche mit geschlossenen Augen den Wellen. Es hat etwas Beruhigendes und Verheißungsvolles zugleich an sich.

Und es ist perfekt für einen Neuanfang.

Hier, fernab meiner Heimatstadt New York, des Lärms und vor allem fernab von Rick, ist der perfekte Ort, um von neuem zu beginnen.

Ich grabe meine Zehen in den feuchten Sand und auch wenn das Wasser eisig ist, weil wir erst Januar haben, ist es ein unglaubliches Gefühl. Es hat etwas Echtes an sich, das ich in New York nirgends finden konnte.

Und etwas Echtes ist genau das, was ich jetzt brauche.

Das Haus, in dem ich wohne, steht nur wenige hundert Meter vom Strand entfernt. Ich habe es von meinem Grandpa geerbt und es fühlt sich bereits an meinem zweiten Tag hier in Berkeley wie ein Zuhause an. Es gibt dort zahllose Kleinigkeiten, die mich an meinen Opa erinnern und mir das Gefühl geben, nicht allein zu sein. Wie zum Beispiel die alte Flasche, die eingestaubt auf einem Sideboard stand, als hätte sie nur auf mich gewartet; und die Erinnerungen in mir geweckt hat.

Ich öffne die Augen und betrachte die Flasche, die ich mit der rechten Hand fest umklammert halte. Ich habe sie entstaubt, eine Botschaft hineingesteckt und sie fest verschlossen. Ganz so, wie mein Grandpa es mir früher als Kind beigebracht hat.

Sorgen lässt man am besten hinter sich zurück, indem man sie dem Meer anvertraut.

Ich sehe noch einmal hinab auf die Flasche in meinen Händen, dann hole ich entschlossen aus und schleudere sie ins Wasser.

Sie beschreibt einen hohen Bogen, dann platscht sie auf die Oberfläche und die Wellen schlagen über ihr zusammen. Eine Weile sehe ich einfach nur auf die Stelle, an der die Flasche vom Meer verschluckt worden ist.

Schließlich wende ich mich ab. Meine nackten Zehen sind mittlerweile eiskalt und es wird langsam dunkel.

Zeit, dass ich zurück ins Haus komme und es mir vor dem Kamin gemütlich mache.

Ich schnappe mir meine Schuhe und lasse den feuchten Sand hinter mir.

Und nicht nur den.

Grandpa hatte Recht.

Es bringt nichts, der Vergangenheit nachzutrauern.

Morgen beginnt mein neues Leben an der Uni von Berkeley. Ich werde neue Freunde finden und Rick wird Geschichte für mich sein.

Das nehme ich mir fest vor.

 

Seattle, Washington

Jenson

Die Halle ist zum Bersten voll. Von allen Seiten jubeln die Fans, allerdings nicht für uns. Wir sind zu Gast in Seattle und seit das Eishockeymatch begonnen hat, können wir uns von den Anhängern der Gastgebermannschaft anhören, dass wir Ivy-League-Weicheier seien.

Von wegen. Wir sind für unser hartes, schnelles Spiel bekannt und lassen uns sicher nicht einschüchtern.

»Thorn! Pass, pass!«, brülle ich, während ich an der Seitenlinie auf meinen Schlittschuhen Gas gebe, um den Puck im Ernstfall selbst annehmen zu können. Doch Tom Turner, unser schnellster Mann im Sturm, ist rechtzeitig zur Stelle. Er nimmt den Querpass von Slater Thorn entgegen, prescht mit dem Puck auf das Tor zu – und wird von einem der gegnerischen Spieler mit einem Ellbogen-Check gestoppt, der ihn zu Boden gehen lässt.

»Scheiße«, höre ich mich selbst brüllen und rechne mit einem Pfiff, aber es kommt keiner.

Ist der Schiedsrichter blind, oder was?!

»Lewis, bring das in Ordnung!«, fordere ich.

Matt Lewis ist ein Chaot und nicht gerade mein bester Freund, aber er ist genau die Art von Spieler, die so eine Situation noch retten kann. Mit seinem dicken Handschuh zeigt er mir den erhobenen Daumen, rast an mir vorbei und ich wende mich ab, um zum Schiedsrichter hinüberzufahren.

»Hey! Das war gerade ein eindeutiges Foul!«

Der Schiedsrichter sieht mich nicht an. Angestrengt bleiben seine Augen aufs Spielfeld gerichtet, so als hätte er Angst vor einem Blickduell mit mir. »Das war ein kleiner Rempler, mehr nicht.«

»Unsinn, das hätten Sie pfeifen müssen! Das wären mindestens zwei Minuten Zeitstrafe gewesen!«

»Junger Mann, wenn du versuchst, hier eine Überzahl zu erzwingen, kannst du das gleich wieder vergessen. Gewinnt das Spiel fair oder gewinnt es gar nicht. Und jetzt verschwinde, sonst verpasse ich dir eine Zeitstrafe.«

Er verpasst mir eine was? Das darf der Kerl gar nicht. Ich bin der Kapitän der UC Eagles und habe damit als einziger Feldspieler offiziell das Recht, seine Entscheidungen zu kritisieren. Wofür will er mich also bestrafen? Soweit ich weiß, kommt der Typ aus Portland, wahrscheinlich ist er einfach parteiisch.

»Ich zeig Ihnen, wie man ein Match gewinnt«, knurre ich, mache auf meinen Kufen kehrt und rase zurück aufs Feld, um mir einen Überblick zu verschaffen.

Wir befinden uns schon in der Verlängerung, es kommt jetzt auf jede Sekunde an.

Matt hat sich den Puck geholt, wird aber von drei gegnerischen Spielern bedrängt. Steve, der zweite Verteidiger, steht in seiner Nähe, macht sich aber anscheinend gerade die Nägel oder schaukelt sich die Eier. Zumindest macht er keine Anstalten, zu signalisieren, dass er freisteht.

Ich nehme an Fahrt auf. »Matt! Hier!«

Matt entdeckt mich, schlägt einen kleinen Haken, der die gegnerischen Angreifer für ein paar Sekunden täuscht und nutzt die Zeit, um den Puck zu mir zu passen.

Augenblicklich wendet sich die gesamte Aufmerksamkeit mir zu. Anderen Spielern machen diese Momente Angst – sie fürchten die Konfrontation, die harten Checks, wenn sie angegriffen werden. Ich dagegen gerate in eine Art Tunnel, sehe nur noch das Wesentliche.

Steve, der aufgewacht ist und über die rechte Seite angerast kommt.

Slater, der dicht an mir vorbei hetzt und mit einer Geste andeutet, dass ich zu ihm passen soll, um die Seattle-Spieler abzulenken.

Jetzt gilt es, alles zu geben. Das Blut rauscht in meinen Ohren und mein Blick fühlt sich starr an, während ich dem Puck einen Schubs zur Seite versetze, direkt mit dem Stock aushole und einen harten Pass auf Tom Turner spiele, der sich hinter Steve schon fast vor dem Tor positioniert hat.

Mühelos nimmt er an und befördert die Scheibe mit einem gezielten Schlag hinter die Linie. Der gegnerische Torwart ist chancenlos und wir gehen in Führung.

Dann ertönt der Schlusspfiff. Es ist vorbei. Wir haben in letzter Minute gewonnen.

Ein paar der Spieler aus Seattle feuern wütend ihre Stöcke zu Boden.

Ohrenbetäubende Buhrufe ertönen.

Meine Mannschaft versammelt sich vor dem gegnerischen Tor, um Turner für seinen Treffer in der letzten Sekunde der Verlängerung zu feiern. Auf dem Weg dorthin nehme ich meinen Helm ab und wende mich nochmal dem Schiedsrichter zu.

»Meinten Sie das mit Gewinnen?«, frage ich ihn.

Betont unbeeindruckt sieht er mich an, aber ich erkenne an seinen Augen, dass es in ihm nur so brodelt. »Fahrt zurück auf euren Luxuscampus, eingebildetes Pack«, höre ich ihn murmeln.

Wow, da hat jemand wohl ein Problem mit der Tatsache, dass unsere Uni eine der besten in den Staaten ist.

Aber das soll nicht meine Sorge sein. Ich gleite an ihm vorbei und werde von Steve an der Schulter gepackt.

»Das war der Hammer. Eiskalt durchgezogen!«

»Denen haben wir’s gezeigt«, stimme ich ihm zu, fahre mit ihm zum Rest unserer Truppe und verkünde, während die Buhrufe langsam leiser werden: »Okay, Männer! Das war das erste wichtige Spiel des Jahres! Darauf gebe ich einen aus!« Ich deute auf Dexter Piers, unseren Torwart. »Dir allerdings nur, wenn du mir versprichst, dass es beim nächsten großen Match keine Gegentore gibt!«

Blöd grinsend salutiert er vor mir. »Aye aye, Captain!«

Dann fahren wir geschlossen zur Bande. Doch bevor wir die Eisfläche verlassen, sehe ich mich nochmal um.

Wie viele Plätze hat die Halle? Fünfhundert?

Fünfhundert Menschen, die gegen uns waren, und wir haben uns trotzdem durchgesetzt. Ich bin verflucht stolz auf mein Team.

Wir haben ein paar harte Monate hinter uns: Im letzten Jahr haben wir die Meisterschaft knapp verloren und die privaten Sorgen einiger Spieler hätten uns beinahe weitere Siege gekostet. Aber mittlerweile läuft alles wieder in den richtigen Bahnen; auf dem Feld konzentriert sich jeder aufs Wesentliche.

Spielen.

Gewinnen.

Der Liga und allen anderen beweisen, dass wir uns nicht unterkriegen lassen.

Wenn es so weitergeht, ist mir, genau wie einigen anderen im Team, eine Profikarriere nach der Uni sicher.

»Jenson, willst du da übernachten?«, ruft Tom.

Triumphierend verlasse ich als Letzter das Eis.

Oh Mann, ich liebe diesen Sport.