Leseprobe Kiss me (again)

Kapitel 1

Jamie

Ich könnte kotzen.

Was habe ich in meinen achtzehn Jahren Lebenszeit eigentlich falsch gemacht, um hier zu landen?

Die Antwort lautet: nichts. Denn mein Dad ist derjenige, der die Scheiße gebaut hat.

Zu meinem Leidwesen sitze ich gerade in seinem Wohnzimmer und sehe gezwungenermaßen dabei zu, wie seine neue Freundin auf seinem Schoß hockt und ihn befummelt. Seine Freundin Candy. Bei allem Respekt – es lässt sich nicht abstreiten, dass der Name verdächtig nach Stripperin klingt. Dabei weiß ich genau, dass sie in der Firma meines Vaters arbeitet und sie sich dort kennengelernt haben. Dort … lieben gelernt haben.

Ich kann den Satz nicht mal denken, ohne dass mir übel wird. Wie können die beiden hier rummachen, als wäre alles okay? Als hätte Dad nicht vor Monaten meine Mom betrogen und uns dann verlassen. Einfach so, als wäre unsere Familie ein Witz für ihn gewesen.

Gequält wende ich meinen Blick ab und tue stattdessen so, als würden mich die abstrakten Gemälde an den Wänden besonders faszinieren. Mein Blick wandert weiter zur Bar, die in einem dunklen Holzton gehalten ist und die gesamte Ecke des viel zu großen Raumes einnimmt. Dad bewohnt die Penthouse-Wohnung eines großen Gebäudekomplexes in Seattle, die für ihn und seine Freundin viel zu groß ist.

Ich winde mich in dem ausladenden Ledersessel, nehme einen Schluck von meinem Bier und sehe wieder zu den beiden zurück.

Candy fährt mit ihren Fingerspitzen über den Halsausschnitt von Dads Hemd und nestelt an seinen Knöpfen herum.

Muss das vor meiner Nase sein?

Ich schnaube hörbar auf. Warum muss ich hier sein? Weshalb hat Mom mich gezwungen hierher zu kommen? Ihrer Meinung nach soll ich den Kontakt zu meinem Vater nicht verlieren, nur weil die beiden sich getrennt haben, aber … ich bin wütend. Ich bin so scheiß wütend auf ihn, weil er alles kaputt gemacht hat.

Und gleichzeitig vermisse ich ihn. Direkt, nachdem er Mom verlassen hat, ist er fest nach Seattle gezogen, wo sich der Hauptsitz seiner Firma befindet. Früher ist er hin und her geflogen, um möglichst viel bei Mom und mir zu sein. Das ist jetzt nicht mehr der Fall.

Der Griff um die Bierflasche wird fester, während ich meine andere Hand in meinem Schoß zu einer Faust balle.

„Mister Hastings“, ertönt die Stimme von Dads Haushälterin im Türrahmen. „Das Essen ist für Sie serviert.“

Ich zwinge mich dazu ihr zuzulächeln, immerhin kann sie nichts für meine miese Laune. Sie erwidert das Lächeln und verlässt dann den Raum.

Einatmen. Ausatmen. Ein schwacher Versuch meine Anspannung zu lösen.

Candy lässt sich vom Schoß meines Vaters gleiten und kassiert prompt einen Klaps auf den Hintern. Sie quietscht auf und macht einen kleinen Hüpfer.

Ich blinzele verstört. Mit offenem Mund sehe ich zu ihnen herüber.

Bitte erschießt mich!

Es mag sein, dass Candy nett ist. Tatsächlich habe ich in den letzten zwei Wochen sogar ein paar freundliche Worte mit ihr gewechselt. Trotzdem kann ich sie nicht leiden. Dass sie zudem aussieht wie das Covermodel eines Hochglanzmagazins, macht die Sache nicht besser. Außerdem ist sie kaum älter als ich. Mit gerade mal vierundzwanzig passt sie meiner Meinung nach so gar nicht zu meinem fünfundfünfzigjährigen Dad. Dennoch lächelt sie ihn an, als wäre er ihre große Liebe, und reicht ihm die Hand. Er ergreift sie, steht auf und gibt ihr einen kleinen Kuss auf den Handrücken. Ein fieser Stich durchfährt meine Brust. Warum sie? Nur weil sie jung, hübsch und knapp bekleidet ist?

Heute trägt Candy ein äußerst kurzes schwarzes Kleid, das so tief ausgeschnitten ist, dass es an ein Wunder grenzt, dass alles an seinem Platz bleibt. Und auch sonst setzt sie auf kurze Röcke, Shorts und knappe Oberteile.

Ich presse die Lippen zusammen. Toll. Jetzt bin ich dank meines Dads sogar schon so weit, dass ich eine junge Frau für ihre Kleidung verurteile. Mich sollte nicht im Geringsten kümmern, was sie anzieht oder was ihr gefällt. Das ist allein ihre Sache und sagt ohnehin nichts über ihren Charakter aus.

Ich beiße mir auf die Unterlippe und fühle mich augenblicklich schlecht. Unter normalen Umständen würde ich mich vermutlich sogar mit Candy verstehen, denn ehrlich gesagt verstehe ich mich mit allen Menschen. Diese Situation lässt es aber einfach nicht zu.

Ich erhebe mich ebenfalls und trotte den beiden in Richtung Esszimmer hinterher. Währenddessen klammere ich mich an meine Bierflasche wie ein Ertrinkender an seinen Rettungsring. Ohne Alkohol ertrage ich das hier nicht länger.

Wir betreten das verhältnismäßig kleine Esszimmer, in dem ein ellenlanger Tisch das Zentrum bildet. Unpersönlicher geht es kaum. Immerhin setzen wir uns nur an eine Seite des Tisches, Dad an die Stirnseite, Candy und ich gegenüber voneinander.

Er fängt an zu essen und spricht mit Candy über irgendwelche Leute aus seiner Firma.

Mein Kiefer verkrampft sich, als ich die Zähne zusammenbeiße. Ich greife nach meinem Bier und leere es in einem Zug.

Ich will hier raus. Ein Bissen nach dem anderen wandert in meinen Mund, während ich versuche, Candy und Dad auszublenden.

„In ein paar Wochen solltest du wieder herkommen, Jamie. Candy und ich geben eine große Party und dann könntest du ein paar Kontakte knüpfen.“ Lächelnd sieht Dad zu mir.

Spöttisch verziehe ich die Mundwinkel.

„Nein“, lautet meine schlichte Antwort, dennoch klingt ein bissiger Unterton mit.

Candy lächelt mich verständnisvoll an und zwinkert mir zu, so als würde sie verstehen, was in mir vorgeht. Das nervt.

Dad winkt hingegen ab. „Ach was, ich rede mit deiner Mutter, das geht schon in Ordnung. Sie möchte auch, dass du hier bist.“

Eine Welle aus Wut schwappt über mich hinweg und ich funkele meinen Dad aufgebracht an.

„Du hast absolut keine Ahnung, was Mom will oder nicht will. Und du hast nicht mehr das Recht, dir eine Meinung über sie zu erlauben, nachdem du sie einfach so mit einer billigen Hure betrogen und dann verlassen hast!“ Der Seitenhieb gegen Candy tut mir leid, doch sie scheint ihn gar nicht auf sich zu beziehen.

Ein kleines Lächeln umspielt Dads Mundwinkel. „Jamie, wie oft willst du mir das noch vorhalten? Ist es nicht langsam genug? Du verteidigst deine Mutter, das ist gut, denn genau so habe ich dich erzogen. Aber dennoch bist du ein Mann und weißt nur zu gut, wie das alles läuft. Wir haben Bedürfnisse! Sieh dir Candy doch an. Deine Mutter konnte da nicht mithalten. Ich habe mich gelangweilt. Wir beide sind gar nicht so verschieden, mein Sohn.“ Mittlerweile ist aus seinem Lächeln ein breites, selbstgefälliges Grinsen geworden.

„Ich bin überhaupt nicht wie du. Ich habe eine Freundin, die ich rein zufällig nicht direkt mit der nächstbesten Schlampe bescheiße.“ Dass meine Freundin und ich aktuell eine Beziehungspause einlegen, muss ich meinem Vater nicht auf die Nase binden.

Candy widmet sich ihrem Handy. Offensichtlich will sie sich heraushalten, was sie sympathisch macht, und ich will sie nicht sympathisch finden.

„Ach ja?“, fragt mein Vater mit hochgezogener Braue. „Ich kenne deine Freundin Mia. Ziemlich hübsches Ding. Zufälligerweise hat sie einen tollen Körper, oder? Aber sicher kommt es dir nur auf die inneren Werte an.“

Ich beiße mir auf die Zunge, um ihm nicht die übelsten Schimpfwörter entgegenzuschmettern. Warum muss es so zwischen Dad und mir sein? Noch im letzten Jahr waren wir ein Herz und eine Seele und jetzt befindet er sich anscheinend in irgendeiner üblen Midlife-Crisis und macht sich Gedanken über das Aussehen meiner Freundin. Würg.

Mia ist wunderschön. Sie ist schlank, hat aber genau an den richtigen Stellen Kurven. Mit ihren welligen blonden Haaren ist sie das hübscheste Mädchen, das ich kenne. Dazu ist sie intelligent, hilfsbereit, loyal und witzig. Sie hat ein riesengroßes Herz. Und sie hat beschlossen, dass uns beiden etwas Abstand zueinander guttun würde. Deshalb stecken wir jetzt in dieser grandiosen Beziehungspause, von der ich nicht mal genau weiß, was das eigentlich bedeutet. Ist man zusammen und hat Abstand? Ist man nicht zusammen, hat aber die Option wieder zusammen zu kommen? Für mich ist das alles sehr verwirrend, auch wenn es nicht unbedingt aus dem Nichts kam. Immerhin kann ich nicht behaupten, dass es zwischen uns wunderbar lief. Irgendwie schien es immer so, als wollten wir verschiedene Dinge und am Ende war immer einer von uns beiden frustriert. Sie wollte permanent Zeit mit mir verbringen, was mich nach und nach erdrückt hat. Auch im Bett kamen wir irgendwie nicht so ganz auf einen Nenner, jedenfalls empfand ich das so. Nicht, dass ich mich jemals getraut hätte, das laut auszusprechen. Ich wollte sie nicht verletzen. Mia versucht immer, mir alles recht zu machen und das macht mich … wahnsinnig.

Dennoch bin ich kein bisschen wie mein Dad. Während er permanent über andere urteilt und wertet, finde ich, dass jeder Mensch das tun sollte, was ihn glücklich macht. Jeder sollte sich um seinen eigenen Kram kümmern. Etwas, das Dad nie hinbekommt.

Ich rede mir ständig ein, dass ich seine Anerkennung nicht mehr brauche. Aber das stimmt so nicht, immerhin ist er mein Dad. Das ist vermutlich auch der Grund, weshalb ihm nicht erzähle, dass ich meine Beziehung in den Sand gesetzt habe. Candy zieht so laut die Luft ein, dass es eher einem Schrei gleichkommt. Ich zucke zusammen.

„Das glaubst du nicht, Bram“, quiekt sie aufgeregt und packt meinen Dad aufgeregt am Arm. „Der Sohn von Tiffany und Martin … Sie ist heute früher vom Geschäftsessen nach Hause gekommen und weißt du, was sie da gesehen hat? Er war im Bett – mit einem Jungen.“

Ich hebe meine Augenbraue. Was genau soll daran eine Sensation sein? Candy klingt nicht abwertend, nur sehr aufgeregt, was es nicht wirklich besser macht.

Mein Vater hingegen verzieht das Gesicht. „Das ist widerlich“, stößt er in arrogantem Tonfall aus.

„Ach, das ist widerlich, aber deine Mitarbeiterin in deinem Büro zu ficken oder eine Fummelshow vor deinem Sohn abzuziehen, das ist okay?“ Wut rauscht durch meine Adern. Ich sehe ihn provozierend an, aber wie immer bringt ihn nichts aus der Ruhe.

„Das kann man nicht vergleichen, Jamie. Was die da machen, ist nicht normal. Seine Eltern hätten ihn besser erziehen müssen“, antwortet er und nimmt einen Schluck von seinem Wein.

Mir bleibt der Mund offenstehen, weil ich nicht glauben kann, dass er das gerade gesagt hat.

Ich habe dieses homophobe Gerede von ihm schon immer verabscheut, aber das hier ist ein neues Level. „Du glaubst ernsthaft, dass Erziehung etwas damit zu tun hat, ob man schwul wird?“

„Natürlich. Ich habe dir beigebracht, was im Leben wichtig ist und jetzt sieh dich an. Du bist ein beliebter Junge von achtzehn Jahren, hast eine fabelhafte Freundin, siehst aus wie ein junger Gott und kannst jede haben, die du möchtest.“

Er sieht so selbstgefällig aus, als wäre das alles tatsächlich sein Verdienst. Als hätte meine Beliebtheit nichts mit meinem Charakter oder meinem Wesen zu tun oder als wäre Mia nur mit mir zusammen, weil er so gute Arbeit geleistet hat.

„Und was würdest du sagen, wenn ich schwul wäre?“, provoziere ich ihn und strecke mein Kinn herausfordernd vor.

Er bricht in schallendes Gelächter aus und nimmt mich nicht für voll. „Bitte, mein Sohn ist nicht schwul. Ich habe meinen Job als Vater schließlich erledigt.“ Grinsend nimmt er einen weiteren Schluck von seinem Wein.

Dieses blöde, aufgeblasene Arschloch!

Innerhalb weniger Sekunden fasse ich einen Entschluss, nur um ihm das Grinsen aus dem Gesicht zu wischen. Ich will ihn um jeden Preis provozieren. Ich kann seine Ruhe und Gelassenheit nicht mehr ertragen, ebenso wenig diese abfälligen Aussagen. Mein Puls schnellt in die Höhe. Keine Ahnung, warum mich sein Verhalten so unglaublich wütend macht. Klar, er ist ein homophobes Arschloch, aber das sind viele Menschen. Es ist ja nicht so, dass es mich persönlich betrifft. Doch heute Abend bin ich schwul und zwar nur, um meinem Vater eins auszuwischen.

Ich schiebe meinen Stuhl zurück und stehe auf, obwohl ich nicht mal aufgegessen habe. Der Appetit ist mir vergangen. „Ich gehe aus“, sage ich über die Schulter, als ich aus dem Esszimmer gehe.

„Tu nichts, was ich nicht auch tun würde“, höre ich die Stimme meines Dads, die durch das viel zu große Apartment hallt.

„Darauf würde ich nicht wetten!“, rufe ich zurück und verschwinde in meinem Zimmer, um mich umzuziehen.

Kapitel 2

Jamie

Als ich den kleinen Club mit dem schlichten Namen Basement betrete, habe ich ziemlich einen sitzen. In meiner Wut habe ich in der Bar im Apartmentkomplex, in dem mein Dad das Penthouse bewohnt, bereits ein paar Drinks gekippt, sonst würde ich jetzt vermutlich gar nicht hier stehen.

Da mein Dad mitten im Zentrum Seattles wohnt, ist es ein Leichtes, in irgendeinen Club zu stolpern. Und dieser hier hat gute Google-Bewertungen. Ich bin kein großer Clubgänger, ich bin mehr so der Am-Strand-mit-Freunden-besaufen-und-Blödsinn-machen-Typ. Ich zeige meinen gefälschten Ausweis am Eingang vor und werde von dumpfen Bässen begrüßt. Sie wummern deutlich lauter, als ich den großen Club-Raum betrete. Im Zentrum thront eine große Bar, die gänzlich in glänzendem Schwarz gehalten ist. Direkt daneben befindet sich eine recht große Tanzfläche, auf der bereits einige Leute zum Beat abgehen. Überall verteilt befinden sich Stehtische und an den Wänden stehen dunkle Tische mit lederbezogenen Sitzbänken.

Mir wird klar, weshalb der Club so gut bewertet ist. Klein und modern mit einem chilligen Ambiente. Genau das, was ich gesucht habe. Und passend für meine heutige Mission. Einen Typen küssen und dann wieder gehen. Klingt eigentlich einfach. Ist es aber nicht. Natürlich könnte ich auch einfach nach Hause gehen und behaupten, dass ich einen Typen geküsst habe, aber leider kennt Dad mich viel zu gut. Er merkt sofort, wenn ich ihn anlüge. Wenn ich ihm also morgen um die Ohren haue, dass ich einen Kerl geküsst habe, dann muss es auch der Wahrheit entsprechen.

Gott, was tue ich hier?

Ich habe häufig bescheuerte Ideen. Wenn ich wütend bin, setzt in meinem Kopf etwas aus und eine blöde Idee mutiert schnell zu einem nicht aufzuhaltenden Chaos. Mit Alkohol nimmt das Ganze katastrophale Ausmaße an, was mich bisher jedoch niemals davon abgehalten hat, eine Idee auch durchzuziehen. Bisher bin ich aus jeder Nummer unbescholten herausgekommen.

Einzig die Tatsache, dass ich scheißwütend und betrunken bin, erklärt, warum ich tatsächlich hier bin. Ich bin fest entschlossen, meinem Dad unseren Abschied morgen so richtig zu vermiesen. Dafür bin ich bereit, Opfer zu bringen. Sicher, es ist nicht wirklich ein Opfer, einen hübschen Kerl zu küssen. Möglicherweise küsst er gut. Vielleicht hat er … Gott. Der Alkohol vernebelt mir offenbar die Sinne.

Mein Herz rutscht mir in die Hose. In der Theorie klang mein Plan so genial. In der Praxis macht er mir eine Heidenangst, dabei sollte ein Kuss keine so große Sache sein. Verdammt!

Ich setzte mich in Bewegung und bahne mir einen Weg zwischen den Leuten hindurch, bis ich an der Bar ankomme. Ich bestelle mir ein paar Shots und kippe sie nacheinander auf ex runter. Ein Hoch auf meinen gefälschten Ausweis.

„Nicht schlecht“, ertönt die melodische Stimme eines Mädchens neben mir. Eines echt niedlichen Mädchens. Sie ist blond, trägt einen lockeren Dutt und einen Game-of-Thrones-Kapuzenpullover. Sie ist klein und hat eine süße Stupsnase. Ihr Outfit passt so gar nicht in einen Club in Seattle, was sie mir auf Anhieb sympathisch macht.

„Cooler Pulli“, sage ich schmunzelnd, bevor ich ihr einen Shot hinhalte und nach einem weiteren greife.

Wir stoßen an und ich lasse die klare Flüssigkeit meine Kehle hinunter rinnen. Der Schnaps brennt in meinem Hals und ich beiße schnell auf eine Zitrone, um den beißenden Geschmack zu vertreiben.

Das Mädchen neben mir stößt einen gequälten Laut aus und schüttelt sich. „Bäh!“

„Ich liebe Tequila“, sage ich und setze dabei mein freches Grinsen auf, von dem meine beste Freundin Macey immer behauptet, es käme direkt aus der Hölle.

Sie grinst zurück und deutet auf meinen Pullover, auf dem die sieben Dragon Balls prangen.

„Ich habe noch nie einen Mann in einem Club gesehen, der einen Anime-Pullover trägt. Ehrlich gesagt bin ich davon ausgegangen, dass ich der einzige Mensch auf der Welt bin, der in einem Hoody einen Club betritt.“

Ich hatte keine Lust mich umzuziehen, schließlich habe ich nicht vor, wirklich jemanden abzuschleppen. Ganz abgesehen davon entspricht das meiner Vorstellung von chic.

„Ja, leider gibt es nicht viele Leute mit Geschmack, vor allem in Seattle kämpft man auf verlorenem Posten. Hier scheint es kaum jemanden zu geben, der wirklich weiß, was gut aussieht“, antworte ich in gespielt bedauerndem Ton, was sie zum Lachen bringt.

„Dich mag ich. Ich bin Kim.“

„Jamie“, gebe ich zurück.

„Was sagst du, Jamie? Lust auf einen Drink mit meinen Freunden?“

Ich zögere.

Kim sieht aus, als könnte ich einen lustigen Abend mit ihr verbringen, aber ich habe nicht vor, mit einem Mädchen zu flirten. Schließlich bin ich mit meiner aktuellen Nicht-Freundin schon mehr als ausgelastet. Kein Grund es noch komplizierter zu machen.

Ihr muss mein Zögern aufgefallen sein, denn ihre Mundwinkel zucken.

Ich muss meine Nur-einmal-schwul-sein-Mission vorantreiben. Nach wie vor brenne ich darauf, meinem Vater den selbstgefälligen Ausdruck aus dem Gesicht zu wischen.

„Ich bin schwul“, sage ich also mit einem Schulterzucken.

Die Lüge ist ohne große Schwierigkeiten über meine Lippen gekommen. Es fühlt sich sogar nicht mal sonderlich komisch an. Trotzdem läuft mir bei meinen Worten ein leichtes Kribbeln über meinen Rücken.

Ein belustigter Ausdruck breitet sich auf Kims Gesicht aus. „Trink was mit uns, schwuler Jamie. Teilst du immer allen sofort deine sexuelle Orientierung mit? Ich finde das ziemlich erfrischend.“

Ich pruste los und sie stimmt mit ein. Sie wird mir von Sekunde zu Sekunde sympathischer. „Okay.“

Ich stehe auf und folge ihr durch die Menge. An einem Ecktisch sitzen zwei Mädchen und drei Typen, die sich gut gelaunt unterhalten.

„Hey, Leute“, wendet Kim sich an die Gruppe. „Darf ich vorstellen: der schwule Jamie.“

Wieder kann ich mir ein Lachen nicht verkneifen, schon gar nicht als ich bei der Vorstellung die entsetzten Gesichter sehe, die nicht mir gelten, sondern ihr.

„Kim!“, zischt eines der Mädchen schockiert.

„Kein Ding, ist irgendwie meine Schuld“, winke ich ab und lasse mich neben Kim auf die lederbezogene Bank fallen.

Nacheinander geht sie die Reihe ihrer Freunde durch und nennt mir ihre Namen.

„Und das ist Liam“, beendet sie ihre Vorstellung, als sie auf den Jungen mir direkt gegenüber deutet.

Ich sehe zu ihm und erstarre mitten in meiner Bewegung. Seine Augen. Sie sind so ozeanblau, dass es mir die Sprache verschlägt. Den Ozean habe ich schon immer geliebt. Die unendliche Weite, das Rauschen der Wellen, die gewaltige, rohe Kraft des Wassers. Ich fahre mit meinen Augen seinen glatten Kiefer entlang, werde von seinem Bartschatten in den Bann gezogen. Liams Haare sind pechschwarz und stehen verwuschelt von seinem Kopf ab. Er trägt ein T-Shirt, das seine Muskeln deutlich unter seinem Shirt hervorhebt und einen Blick auf den Ansatz seiner Brustmuskeln freigibt. Trotzdem ist er kein breiter Typ, sondern wirkt schlank.

Liam sieht mich neugierig an. Seine Augen wandern einmal von oben an mir herab, er checkt mich offenkundig ab. Dank seines Lächelns blicken leicht spitze Eckzähne hervor. Sein komplettes Erscheinungsbild erwischt mich kalt. Augenblicklich fährt ein blitzartiges Gefühl durch meinen Körper. In südliche Regionen.

Fuck! Dieser Typ ist unglaublich heiß.

Was zur Hölle denke ich da?

Ich habe eindeutig wesentlich mehr getrunken, als mir guttut.

Noch nie habe ich ein Problem damit gehabt anzuerkennen, wenn ein Typ gut aussieht, aber ich habe definitiv noch niemals so auf jemanden reagiert. Nicht mal auf Mia.

„Dragon Ball-Fan also?“, fragt er mich belustigt. Seine raue Stimme jagt mir einzelne Schauer über den Rücken.

„Nein, wäre ich ein Fan, hätte ich das sicherlich mit einem Fan-Shirt zum Ausdruck gebracht“, antworte ich sarkastisch. Kim kichert leise. Die anderen am Tisch beachten uns gar nicht.

Liam fährt mit seiner Zunge über seine Lippen, was mein Körper mit einem Ziehen in meinem Unterleib quittiert. Hilfe. Was passiert mit mir? Verwirrung macht sich in mir breit.

Ich atme tief durch.

„Ich liebe diesen Jungen jetzt schon. Sicher, dass du mich nicht heiraten willst?“, fragt Kim mich und wackelt anzüglich mit den Augenbrauen.

„Nennen wir unseren ersten Sohn Son-Goku und ich mache dir auf der Stelle einen Antrag“, gebe ich flapsig zurück und spiele damit erneut auf Dragon Ball an.

Sie hält sich die Hand auf ihr Herz und säuselt: „Ich bin verliebt!“

Ich lache losgelöst und bin froh, heute Abend noch hier gelandet zu sein. Die Anspannung, die mich beim Essen zu Hause begleitet hat, fällt immer mehr von mir ab.

Ich finde mich schnell in die Gespräche am Tisch ein, bin aber irritiert, dass mein Blick immer wieder zu Liam gleitet. Ihm scheint es mit mir ähnlich zu gehen.

Diese Situation ist surreal. Liam ist … er ist … gutaussehend. Aus einem mir unerfindlichen Grund bemerke ich, dass er verdammt gut aussieht. Phänomenal, ehrlich gesagt. Wieso denke ich dieses Adjektiv in Zusammenhang mit einem Typen? Da stimmt doch was nicht, mit mir stimmt irgendwas nicht. Liam fährt sich mit der Hand durch seine wuscheligen Haare und wirft mich damit komplett aus der Bahn.

Nicht hinsehen, Jamie!

Um meine Gedanken verstummen zu lassen, trinke ich einen Shot und zur Sicherheit noch einen zweiten.

„Woher kommst du?“, spricht Liam mich schließlich direkt an. „Du bist nicht von hier, oder?“

Ich räuspere mich. Irgendwie traue ich mir gerade selbst nicht. „Nein. Ich bin aus Kalifornien“, antworte ich, was Kim neben mir ein Quietschen entlockt.

„Du siehst auch aus wie ein Surferboy mit deinen blonden Haaren.“

Ich ziehe eine Augenbraue nach oben und sehe sie spöttisch an.

„Da muss ich dich leider enttäuschen. Surfen ist mir viel zu anstrengend. Ich bin eher der entspannte Typ.“ Stimmt nicht unbedingt, mir wird nur schnell langweilig.

„Was machst du dann in einem Club in Seattle, wenn du es eher entspannt magst?“, fragt Liam belustigt.

Sein letzter Satz klingt so zweideutig, dass ich mir auf die Unterlippe beiße. „Ich besuche meinen Dad, der mich in den Wahnsinn treibt, und brauchte dringend ein bisschen Alkohol, um ihn zu ertragen.“

„Na dann, prost!“

Ich nehme meine Bierflasche und stoße mit ihm an, bevor ich einen tiefen Schluck nehme. Dabei lasse ich ihn nicht aus den Augen. Sein Kiefer spannt sich an und die Adern an seinem Hals treten hervor, als er sein Bier herunterschluckt.

Halleluja!

Plötzlich fällt es mir schwer, mich zu konzentrieren.

Ich schaffe es dennoch, mich mit ihm zu unterhalten und finde heraus, dass er gerne Kurzgeschichten schreibt und hofft, nach seinem letzten Highschooljahr Literatur studieren zu können.

Ich muss grinsen, als mir klar wird, dass keiner von uns alt genug ist, um in einem Club zu trinken. Offensichtlich bin ich nicht der Einzige, der einen gefälschten Ausweis hat.

Sicherlich bin ich aber der Einzige, der sein Exemplar von seinem Vater bekommen hat.

Kapitel 3

Liam

Dieser Typ ist der Hammer!

Ich habe noch niemals jemanden wie ihn getroffen. Sein ganzes Wesen strahlt Selbstbewusstsein aus und ich bin mir eigentlich sicher, dass Jamie nicht schwul ist. Keine Ahnung, woher ich diese Überzeugung nehme. Mein Radar hat mich bisher jedoch niemals im Stich gelassen. Vielleicht ist es einfach Instinkt. Ob Jamie nun schwul ist oder nicht – ich springe unglaublich auf ihn an.

Er sitzt mir in seinem lockeren Kapuzenpulli gegenüber und unterhält unseren ganzen Tisch. Wann immer er mich ansieht, hat er ein freches Grinsen im Gesicht, während seine leuchtenden grünen Augen aufblitzen. Die blonden Haare heben sich von seiner gebräunten Haut ab, was ihn absolut unwiderstehlich macht.

Ich muss schon den ganzen Abend den Drang unterdrücken, über den Tisch zu klettern und mich auf ihn zu werfen. Sein Sarkasmus, den er alle paar Minuten zum Ausdruck bringt, gibt mir den Rest und sorgt dafür, dass ich mit einer Erektion hier herumsitze. Ich kann ihn gar nicht aus den Augen lassen.

„Hey, Jamie“, spreche ich ihn an und unterbreche so seine Unterhaltung mit Kim.

Er wendet sich mir grinsend zu, seine Wangen sind gerötet vom Alkohol, den er in sich reingeschüttet hat. Seine Augen sind glasig. Der Typ ist echt trinkfest. Hätte ich so viele Shots vernichtet wie er, würde ich bereits unter dem Tisch liegen und mir vermutlich die Seele aus dem Leib kotzen.

Er sitzt allerdings hier wie das blühende Leben und zieht abwartend eine Augenbraue hoch, als ich nichts sage.

Ich räuspere mich kurz.

Bitte, lass ihn schwul sein! Bitte, lass ihn schwul sein!

„Du bist doch nicht wirklich schwul, oder?“

Sein Grinsen wackelt nicht, als er die Arme verschränkt und sich näher zu mir lehnt.

„Wieso denkst du das?“, fragt er herausfordernd.

Ich verziehe keine Miene. „Na ja, du wirkst auf mich eher so, als würdest du Frauen bevorzugen. Nenn es Intuition.“

„Ich möchte deine Intuition ja nicht infrage stellen, aber ich denke kaum, dass du das beurteilen kannst, Liam.“

„Ich bin selbst schwul, also kann ich das vielleicht doch.“ Gelassen zucke ich mit den Schultern und beobachte zufrieden, wie ein kurzer Schatten über sein Gesicht huscht. Ha, habe ich es doch gewusst – nicht schwul.

Umso überraschter bin ich, als er angriffslustig das Kinn nach vorne reckt und seinen Blick herausfordernd über mich wandern lässt. Er checkt mich ab und überall, wo seine Augen über mich hinweg gleiten, kribbelt mein Körper. Wow!

„Soll ich es dir beweisen?“, fragt er mich mit rauer Stimme.

Ein Schauer läuft über meinen Rücken.

„Wie willst du das anstellen?“

„Challenge accepted“, sagt er selbstsicher und seine Augen funkeln begeistert auf. Offensichtlich steht da jemand auf Herausforderungen.

Ehe ich weiter darüber nachdenken kann, steht Jamie auf und beugt sich über den schmalen Tisch. Er zieht mich am Halsausschnitt meines T-Shirts näher zu sich heran und presst seine heißen Lippen auf meine.

Heilige. Scheiße.

Ein Feuerwerk explodiert in meinem Körper und das, obwohl er nichts macht, außer seine Lippen auf meine zu drücken.

Die Uhs und Ahs meiner Freunde nehme ich kaum wahr, so konzentriert bin ich auf Jamie.

Der Kuss dauert nur wenige Sekunden und gerade, als ich ihn vertiefen will, lehnt er sich zurück.

Er sieht mich mit weit aufgerissenen Augen an, den Mund leicht geöffnet.

Anscheinend bin ich nicht der Einzige, der gespürt hat, was hier eben abgegangen ist. Bevor ich meine Lippen wieder auf seine legen kann, zieht er ruckartig den Kopf zurück und setzt sich neben Kim. Augenblicklich kehrt das freche Grinsen in sein Gesicht zurück. Einzig seine Augen verraten, dass ihn der Kuss genauso durcheinandergebracht hat wie mich.

„Beweis genug?“, fragt Jamie.

Mittlerweile haben wir die gesamte Aufmerksamkeit meiner Freunde.

„Beweis? Ja. Genug? Absolut nicht“, erwidere ich neckisch, beinahe herausfordernd.

Er beißt sich auf seine Unterlippe und ich muss mich wirklich zurückhalten keine weitere Regung zu zeigen.

Ich bin so dermaßen heiß, meine Erektion presst sich hart gegen meine Jeans.

„Tja, mehr wirst du leider nicht bekommen, Liam.“

Jamie hat seine Stimme gesenkt, sodass nur ich ihn hören kann.

Mein Lächeln wird breiter.

Challenge accepted.