Leseprobe Eine Wette mit dem Duke

Kapitel eins

London 1815

Henry schlenderte durchs White’s und blieb nach einem flüchtigen Blick auf das Wettbuch abrupt stehen. Üblicherweise zog das, was auf die Seiten gekritzelt wurde, nicht seine Aufmerksamkeit auf sich. Er war nicht in London, um sich die Hörner abzustoßen, wie so viele andere es zu tun pflegten. Der Anblick des Namens von Miss Sophie York, die neu in der Stadt war, in dicker schwarzer Schrift mitten auf der Seite machte ihn jedoch neugierig.

Auch wenn sie aufgrund ihres fehlenden Vermögens nicht als der Diamant der Saison erachtet wurde, war der Liebling dieses Jahres Teil einer Wette. Henry schüttelte den Kopf. Er hatte den Überblick verloren, wie viele Damen bereits so bezeichnet worden waren. Wer wusste schon tatsächlich, wer die Vollkommenste, Wohlerzogenste, Hübscheste und Reinste von ihnen war? Wenn das alle Anforderungen waren, um zur meistgefragten Person in London zu werden, dann könnte er sich ebenso qualifizieren.

Eine große Hand schlug ihm auf den Rücken und schubste ihn nach vorn. Er stolperte in Richtung des Wettbuchs, bevor er sein Gleichgewicht wiedererlangte.

„Holland, werdet Ihr Euren Namen unter die Wette setzen?“, fragte Lord Bankes neben ihm. „Kommt schon, Mann, wir alle wissen, dass Ihr vermutlich gewinnen würdet. Keine Frau in London ist in der Lage, Eurem Charme zu widerstehen, oder zumindest wird mir das allabendlich erzählt.“ Eine Auffassung, die viele in London und sogar in ganz England teilten.

Nicht dass irgendetwas davon der Wahrheit entsprach. Wenn der ton von Henrys Unerfahrenheit im Liebesspiel wüsste, würde er noch vor Anbruch der Dunkelheit mit Gelächter aus der Stadt getrieben worden sein.

„Vermutlich sollte ich es tun“, sagte er, nahm die Feder in die Hand und kritzelte seinen Namen unter die vielen anderen. Es machte ihm nichts aus, das Theater mitzuspielen. Es wiegte ihn auf viele Arten in Sicherheit.

„Ich muss zugeben, dass Miss Sophie York der reinste Engel ist, der je auf den hölzernen Bodendielen der Londoner Häuser mit den reichsten Bewohnern entlanggeschritten ist. Ich wage zu behaupten, dass sich unter ihren feinen Kleidern – auch wenn sie ihr von der Countess of Kemsley geschenkt wurden – zwei göttliche Flügel verstecken, die sie bis hoch in den Himmel tragen würden.“

Henry schnaubte verächtlich und ließ seine Unhöflichkeit dann zu einem Husten werden. Er nickte, da er es nicht wagte, einem Mann in seiner so typischen Vorstellung des Himmels zu widersprechen.

„Ihr habt gewiss recht. Wir wurden einander noch nicht vorgestellt, aber ich habe sie auf verschiedenen Veranstaltungen bereits gesehen, und ich hoffe, das bald nachholen zu können.“

„Nun, das muss passieren, wenn Ihr die Wette gewinnen wollt. Ihr wisst, was Ihr gerade unterzeichnet habt, oder?“ In Bankes’ Augen leuchtete eine gewisse Neugierde auf.

„Natürlich“, bekundete Henry, und seine Antwort duldete keinen Widerspruch. Er schluckte, las sich schnell die Bedingungen der Wette durch und geriet ins Stocken.

„Wer hat diese Wette aufgeschrieben? Der erste Gentleman, dem es gelingt, dass sie sich in ihn verliebt, gewinnt eintausend Pfund?“ Er las weiter und spürte, wie seine Augen immer größer wurden. „Um im Falle einer möglichen Hochzeit ihre fehlende Mitgift auszugleichen.“

Henry musste sich beinahe übergeben bei dem Gedanken daran, was er unterschrieben hatte, auch wenn er die Wette nicht allzu ernst nehmen musste. Er könnte genauso gut einfach ignorieren, dass er sie je unterschrieben hatte, und nur vorgeben, sich daran zu beteiligen.

Ein anderer Teil von ihm zuckte zusammen bei der Vorstellung, dass Miss York keinerlei Kenntnis davon hatte, im Mittelpunkt eines solchen Plans zu stehen, und nicht wissen würde, warum so viele Gentlemen sie umwarben und jedem ihrer Verlangen nachgingen.

„Richtig, sie ist nicht gerade flüssig, aber wenn Ihr Euch die Namen anschaut von denen, die unterschrieben haben, sind alle davon reich genug, sie und ihre Mutter, von der ich hörte, dass sie in einem Cottage auf dem Land lebt, zu unterstützen“, bemerkte Bankes und fuhr dann fort: „Aber sie ist eine hübsche kleine Debütantin und wird eine hervorragende Bettpartnerin abgeben. Ich hoffe, sie ist zwischen den Laken nicht so engelhaft, wie sie es auf der Tanzfläche zu sein scheint. Im Schlafzimmer würde ich eine Füchsin durchaus bevorzugen.“

„In der Tat“, brachte Holland hervor, machte auf dem Absatz kehrt und ließ Bankes allein neben dem Wettbuch zurück. Er war in London, um eine Ehefrau zu finden. Er war achtundzwanzig, alt genug, um sich niederzulassen und Kinder zu bekommen, einen Erben, wenn er Glück hatte. Aber einer Frau den Hof zu machen, die nichts von dem Spiel wusste, das im Gange war, war falsch.

Er hasste es, daran zu denken, was sie wohl sagen oder wie sie reagieren würde, wenn sie mitbekam, dass derjenige, der ihr Herz gewonnen hatte, sich während dieser Saison einem solchen Spiel gegen die Gentlemen aus der Stadt hingegeben hatte.

Nun, er würde es nicht tun. Er würde vorgeben, teilzunehmen, sie jedoch nicht umwerben, egal wie hübsch sie auch sein mochte. Er würde noch genug andere junge Frauen kennenlernen, die ebenfalls gutmütig und auch neu in der Stadt waren.

Ganz zu schweigen von den vielen, die bereits ihre zweite oder dritte Saison begannen. Ein Mauerblümchen würde gut zu seinem Wesen passen – seinem allzeit aufrichtigen Wesen. Es gefiel ihm nicht, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, der Schönling auf jedem Ball zu sein, der Lebemann, den alle verheirateten Frauen sich in ihrem Bett wünschten, egal was die anderen sagten oder dachten.

Irgendwie war es ihm gelungen, den Ruf eines Rüpels zu erlangen, indem er sich bloß besonders geheimnisvoll verhalten hatte. Was ganz und gar nicht mysteriös war, sondern lediglich für seine Insichgekehrtheit sprach. Die Tatsache, dass sein Vater an der Lustseuche gestorben war, beherrschte immer dann Henrys Verstand, wenn in ihm der Gedanke aufstieg, seinen Samen rücksichtslos zu verteilen.

Er ließ sich in einen der luxuriösen Ledersessel des White’s sinken und winkte einen Diener zu sich herüber. Ein Glas mit starkem Alkohol war genau das, was er in diesem Moment brauchte. An diesem Abend fand der Derby-Ball statt, auf dem die Spiele des Umwerbens und des Vortäuschens von Vernarrtheit unter den Gentlemen beginnen würden.

Er würde all die Kraft der bernsteinfarbenen Flüssigkeit in seiner Hand benötigen, die er bekommen konnte. Letzten Endes war an flüssigem Mut nichts falsch.

***

Sophie tat einen tiefen, beruhigenden Atemzug und legte ihre Hand in die von Lord Kemsley, der ihr beim Ausstieg aus der Kutsche behilflich war. An diesem Abend fand der Ball des Dukes und der Duchess of Derby statt. Es war nicht der erste Ball, den sie in diesem Jahr besuchte, doch alle, die in der Gesellschaft eine Rolle spielten, wurden dort vermutet. Eine besonders ausgewählte Einladungsliste, und sie war dankbar, dass sie dazugehörte. Nicht dass sie behaupten konnte, aus eigenem Verdienst eingeladen worden zu sein. Sie musste Harlow, Lord Kemsley und ihren Verbindungen für diese Ehre danken.

Sie betraten das beachtliche georgianische Herrenhaus am Berkeley Square und warteten wie einige andere Anwesende darauf, die Gastgeber zu begrüßen, bevor sie weiter in den Ballsaal vordrangen.

Sophie schaute flüchtig an ihrem edlen Kleid von Madame Laurent hinab. Die Robe war ihr am Nachmittag gebracht worden, und es war das hübscheste Kleid, das sie je besessen, geschweige denn getragen hatte. Es war hellgelb, und im Kerzenschein schimmerte es leicht golden. Das dunkelgrüne Geflecht, das sich über das Mieder zog, und die kurzen Ärmel trugen nur noch mehr zu seiner Schönheit bei.

Ihre Cousine Harlow war zu süß und lieb zu ihr, und Sophie würde für immer in ihrer Schuld stehen dafür, dass sie ihr eine Saison ermöglichte.

Sie verdiente keine. Nicht wirklich. Auch wenn sie lächelte und kicherte, wenn sie von den Gentlemen mit Komplimenten überhäuft wurde, diente das alles nur zur Ablenkung. Wenn sie nur ihr Geheimnis kennen würden, würden sie ihre Nasen besonders weit nach oben recken und sie stehen lassen. Ohne Freunde und allein, so wie sie es schon gewesen war, als sie Highclere verlassen hatte.

Nachdem sie ihre Gastgeber begrüßt und den Ballsaal betreten hatten, sagte Harlow: „Dieser Ball wird ganz sicher sehr aufregend für dich sein, Sophie. Ich sehe, dass Lord Bankes und Mr Fairbanks bereits deine Anwesenheit bemerkt haben.“

Sophie gab ihr Bestes, sich von der Herrlichkeit des Raumes nicht überwältigen oder dazu verleiten zu lassen, vor Staunen den Mund aufzureißen, wie sie es üblicherweise tat, wenn so prachtvolle Räumlichkeiten wie diese sich ihr offenbarten.

Der Reichtum in London ging über alles hinaus, was sie je gekannt hatte – Harlow mit eingeschlossen. Lord Kemsley liebte ihre Cousine abgöttisch, und es gab nichts, woran es ihnen mangelte.

In Highclere hatte es Zeiten gegeben, in denen Sophie und ihre Mutter jede Einladung zu Abendessen mit Freunden in dem kleinen Dorf angenommen hatten, nur um wenigstens an einem Abend ein gutes Essen zu bekommen. Niemand würde ahnen, wie tief ihre Familie gefallen war und welches einmalige Geschenk ihre Cousine ihr mit ihrer Unterstützung machte.

Sophie wusste nicht, ob ein freundlicher Gentleman um ihre Hand anhalten und sie heiraten würde, aber sie durfte träumen. Dass sie hier war, war Geschenk genug, und auch wenn sie nicht erwartete, einen Gentleman mit Titel zu ehelichen, hoffte sie, dass sie, egal wen sie nun heiraten würde – ob einen Juristen oder einen Mediziner –, nie wieder Hunger würde leiden müssen. Sich nie wieder würde sorgen müssen, wie sie den Fleischer oder den Kohlehändler bezahlen sollte.

Sie griff nach Harlows Arm und hakte sich bei ihrer Cousine unter. „Ich kann dir nicht genug dafür danken, dass du mich heute mit hierhergenommen hast. Ich weiß, dass der Brief meiner Mama ziemlich verzweifelt geklungen hat und –“

„Psst“, zischte Harlow und tätschelte ihren Arm. „Du brauchst mir nicht noch mehr zu danken. Wir sind eine Familie, und glücklicherweise verstehen wir uns so gut, dass ich es nicht ertragen würde, wenn du fortgehst und nicht das bekommst, wonach dein Herz sich sehnt. Du verdienst nur das Beste, und ich werde einen Ehemann für dich finden, der einfach perfekt zu dir passt.“

Sophie hoffte, dass es so kommen würde. Sie blickte über das Meer an Köpfen, und ihr Herz geriet beim Anblick des Dukes of Holland ins Stolpern. Harlow bemerkte ihr Interesse. Ihr kleines wissendes Kichern verriet Sophie, dass auch sie den Duke entdeckt hatte.

„Ist er nicht einer der am besten aussehenden Männer Londons? Mit Ausnahme meines Ehemannes natürlich, aber er würde sich hervorragend als dein Gatte machen. Er ist alleinstehend, trägt einen Titel und ist wohlhabend. Die perfekten drei Anforderungen, die ich mir für dich vorstelle.“

Sophie schüttelte den Kopf, konnte bei den Erwartungen ihrer Cousine das Lächeln jedoch nicht von ihren Lippen wischen. „Ich denke nicht, dass er mich überhaupt in Betracht ziehen würde. Er ist ein Duke, um Himmels willen, und nach dem zu urteilen, was ich gehört habe, auch noch ein ziemlicher Rüpel. Nicht dass ich das wissen sollte, aber ich habe gehört, wie Lady Leigh an einem Nachmittag bei dir zu Hause erwähnt hat, dass er eine Liebesaffäre mit einer Dowager Marchioness hat.“

Harlow blickte Sophie mit vor Demütigung geweiteten Augen an. „Du solltest solchen Unterhaltungen nicht lauschen, Sophie. Ich entschuldige mich, dass du solche Dinge mitangehört hast.“

Sophie machte das überhaupt nichts aus. Wie sollte sie herausfinden, wer zu ihr passte, wenn sie dem Klatsch und Tratsch keine Beachtung schenkte? Sie brauchte einen Mann, der die intimen Besonderheiten einer Frau nicht kannte, besonders dann nicht, wenn die Frau sich bereits einem Mann hingegeben hatte.

Die Verzweiflung ihrer Schande überflutete sie, und einen Moment lang fiel sie wie eine Blume, die zu lange der Sonne ausgesetzt gewesen war, in sich zusammen. Ein solcher Rüpel wie der Duke of Holland würde wissen, dass sie in ihrer Hochzeitsnacht keine Jungfrau mehr wäre, und er würde sie dafür hassen. Vermutlich würde er sie aus seinem Schlafzimmer werfen und um eine Annullierung der Eheschließung bitten. Und dann wäre sie ruiniert, dieses Mal jedoch öffentlich.

Alles, was ihr blieb, war die Fähigkeit, ihre Schande im Verborgenen zu halten, und sie brauchte einen Mann, der weniger über Frauen wusste als das Gegenteil.

„Es hat mich in keinster Weise gekränkt. Es hilft mir, zu verstehen, welche Gentlemen ernsthaft an einer Frau interessiert sind und welche nicht. Es wurde nichts Unangebrachtes oder Anstößiges gesagt. Das verspreche ich. Bitte erzähle Lady Leigh nichts davon.“

„Also gut“, sagte Harlow und seufzte. „Das werde ich nicht tun. Aber nun komm. Lord Bankes sieht so aus, als würde er gleich auf uns zukommen. Ich denke, dass bald dein erster Tanz stattfinden wird.“

Sophie blickte in Richtung des Earls. Er war weniger gut aussehend als der Duke of Holland, aber sie vermutete, dass er ein perfekter Kandidat für einen Ehemann wäre – der Art nach zu urteilen, wie er an seinem Halstuch herumspielte und sein Haar glattstrich. Er sah nicht so aus, als hätte er sich je mit einer Frau unterhalten, geschweige denn mit einer geschlafen.

Sie schenkte ihm ihr süßestes Lächeln, und er wurde knallrot.

In der Tat: der perfekte Gentleman.

Kapitel zwei

Als die zweite Stunde des Balls vorüber war, schmerzten Sophies Zehen nach den zahlreichen Malen, die jemand darauf getreten war. Ihre armen neuen Schuhe sahen deutlich weniger hübsch aus, als sie es bei ihrer Ankunft auf dem Ball noch getan hatten.

Nicht dass sie sich über solche Belanglosigkeiten beschweren würde, selbst wenn ihre Zehen am nächsten Tag ganz blau wären. Dank ihrer Cousine hatte sie getanzt und war in den Genuss eines Balls gekommen. Sie hätte nie die Möglichkeit erhalten, den Ball zu besuchen, hätte sie nicht das Glück gehabt, Harlow zu kennen.

Sophie stand neben einem Fenster, das einen Spalt breit offenstand, sodass die kühle Abendluft hereinströmte. Sie nahm einen Schluck aus ihrem Glas mit Limonade. Ein Moment des Friedens und der Ruhe, während Harlow und Lord Kemsley gemeinsam einen Walzer tanzten.

Sie schaute ihnen zu und wurde bei der Liebe, die das Paar füreinander ausstrahlte, von Freude erfüllt. Sie wäre tatsächlich eine Närrin, wenn sie nicht nach einer solchen Liebe streben würde, nach einem Ehemann, der sie so anschaute, wie Lord Kemsley seine Frau betrachtete.

Wie wundervoll das doch wäre.

„Miss York, ich hoffe, Ihnen gefällt der Ball“, sagte Mr Fairbanks und verbeugte sich vor ihr.

Sie machte einen Knicks und lächelte. „Mr Fairbanks, wie schön, Sie wiederzusehen“, erwiderte sie. „Und ja, tatsächlich gefällt mir der Ball sehr gut. Ihnen hoffentlich auch?“

Er kam auf sie zu und stellte sich neben sie. Auf seinem hübschen Gesicht lag ein erhabener Ausdruck. „Jetzt gefällt mir der Ball umso mehr, da ich weiß, dass Sie ihn ebenfalls besuchen“, sagte er. „Die Londoner Saison scheint Ihnen gut zu stehen. Sie kommen vom Land, nicht wahr?“

„Ja, aus dem kleinen Dorf Highclere, in dem meine Mama noch immer wohnt“, erklärte sie knapp, da sie keine weiteren Ausführungen über ihr Leben machen wollte. Je weniger die Leute von ihr wussten, desto geringer war die Chance, dass jemand herausfand, dass sie nicht die war, die sie zu sein schien.

Wenn die Leute sie anschauten, sahen sie Unschuld, ein recht hübsches Gesicht, eine mittellose Frau mit hoch angesehenen Verbindungen. Und all diese Dinge trafen vermutlich auch auf sie zu – mit einer Ausnahme.

Sie war nicht unschuldig.

Sophie schob den nur wenig hilfreichen Gedanken beiseite und nahm einen weiteren Schluck ihrer Limonade. „Der Ball ist ein einziges Gedränge. Ich kann nicht glauben, dass ich während dieser Saison eine Veranstaltung besuche, auf der es so schwer ist, sich zu bewegen.“

„Ja, der Duke und die Duchess of Derby laden jeden ein, der dem würdig ist, und niemand wagt es, die Einladung abzulehnen. Deshalb das Gedränge. Aber zumindest ermöglicht das intimere Gespräche. Schließlich sind wir gezwungen, so nah beieinander zu stehen.“

Die anzügliche Anspielung, die in den Augen von Mr Fairbanks funkelte, erinnerte Sophie an Lord Carr und ihren Fehler, zu glauben, dass sich alle Männer wie Gentlemen verhalten würden, wenn sie es in Wirklichkeit gar nicht taten.

Es kam nichts Gutes dabei heraus, wenn man an solche Unwahrheiten glaubte.

Sie hoffte, dass Mr Fairbanks ehrlich und freundlich war. All die Dinge, die er vorgab zu sein, aber sie war sich nicht sicher. Die Vielzahl der Gentlemen, die allabendlich auf sie zukamen und mit ihr tanzten, ließ sie taumelnd und unsicher zurück, wem sie überhaupt vertrauen und glauben konnte.

„Ich nehme an, unsere Gastgeber möchten, dass ihr Ball am schönsten von allen wird und dass bis zum nächsten noch alle darüber sprechen. Ich verstehe, warum sie so viele Leute eingeladen haben. Sollte ich je den Luxus haben, eine Gastgeberin in so großem Maße zu sein, würde ich wohl dasselbe tun. Finden Sie nicht, dass es einfach wunderbar ist?“ Der Ballsaal glitzerte im Kerzenlicht. Die Kleider der Frauen erfüllten den Raum mit einem Regenbogen aus bunter Seide, ganz zu schweigen von ihrem Schmuck. So viele hübsche Diamanten und andere Edelsteine, um die Sophie ihre Trägerinnen nur beneiden konnte. Wie viel Glück diese Leute doch hatten, und die meisten von ihnen würden es nie wissen.

Mr Fairbanks schaute sie aufmerksam an. Was dachte der Mann? Fand er ihre Antwort geschmacklos? Sie wusste, dass man im ton nicht über Hochzeiten oder schöne Dinge sprach, aber sie hatte weder einen Ehemann, noch verfügte sie über viel Besitz. Galten die Regeln also wirklich für sie?

„Sie würden eine wunderschöne Gastgeberin abgeben“, sagte er.

Sie lächelte und ließ ihren Blick über die Tanzfläche schweifen. Sie musste dieses Gesprächsthema abschließen, bevor es unangemessen wurde. Beim Anblick des Dukes of Holland lief ihr ein Schauer den Rücken hinunter. Er unterhielt sich mit dem Duke und der Duchess of Derby, und seine Größe und Statur zogen den Blick jeder Dame auf sich. Er war so gut aussehend, so beeindruckend und unnahbar.

Was für eine Schande, dass sie nicht einen so stattlichen Mann wie ihn für sich gewinnen konnte. Aber er war alles andere als unschuldig und würde ihr Geheimnis erfahren und sie aufgrund dessen verachten.

So als würde er ihren prüfenden Blick auf sich spüren, schaute er flüchtig in ihre Richtung, und sie hielt abrupt den Atem an. Ihre Blicke trafen sich und hielten einander einen verlockenden Augenblick lang stand, bevor er sich wieder seinen Freunden zuwandte.

Oje, oje, oje, er war wundervoll.

Das bedeutete Ärger in Großbuchstaben, wenn sie auch nur ein wenig Menschenkenntnis besaß.

„Das ist der Duke of Holland, Miss York“, erklärte Mr Fairbanks. „Wurden Sie einander bereits vorgestellt?“

Hitze schoss ihr in die Wangen, weil er ihren Blick auf den Mann bemerkt hatte, und sie schüttelte den Kopf und vermied es, in Richtung des Dukes zu schauen, der, wenn sie ehrlich war, viel zu attraktiv war.

„Ich kenne nicht viele Leute in der Stadt. Lady Kemsley versucht, das zu verbessern, aber ich glaube, sie wird daran scheitern.“

Mr Fairbanks deutete ihr, ihm zu folgen. „Ich kann Sie einander vorstellen, wenn Sie das wünschen. Es wäre mir ein großes Vergnügen. Nach meinem Verständnis war der Duke seit der letzten Saison nicht mehr in London und ist erst vor wenigen Tagen angekommen.“

In Sophies Magen flatterten Schmetterlinge umher, und sie fragte sich, ob es wohl angemessen wäre, wenn sie Mr Fairbanks gestatten würde, sie Lord Holland vorzustellen.

Sie blickte sich nach Harlow um und fand sie in einer Unterhaltung mit Lady Jenkins.

Sophie wandte sich Mr Fairbanks zu und hakte sich zustimmend bei ihm unter. „Also gut. Ich halte es nicht für problematisch, vorgestellt zu werden. Und da ich den Duke und die Duchess of Derby kenne, wird es mir wohl nicht zum Nachteil sein, höflich zu sein.“

„Ich könnte Ihnen nicht mehr zustimmen.“ Mr Fairbanks grinste und führte sie zu dem Mann, der vielmehr wie ein Gott als ein Sterblicher erschien und der vermutlich genauso unantastbar war wie diese mystischen Wesen.

***

Henrys Nackenhaare stellten sich achtsam auf, und er griff nach oben und rieb sich über die Schultermuskeln. Er drehte sich um, ohne den Grund dafür zu kennen, und sein Magen zog sich zusammen.

Eine der wunderschönsten Frauen, die er je gesehen hatte, stand vor ihm und schaute zu ihm auf. Ihre großen blauen Augen beobachteten ihn interessiert und ein wenig ehrfürchtig, und einen Moment lang gelang es ihm nicht, den Blick abzuwenden.

Er schaute in das Gesicht des lachenden Mr Fairbanks und verengte die Augen auf den Gentleman. Dabei waren ihm dessen Belustigung und Intention vollkommen bewusst. Er erinnerte ihn an die Wette, unter die er dummerweise seinen Namen gesetzt hatte. Und all das, weil er es nicht hatte ertragen können, als der Schwindler, der er war, entlarvt zu werden.

„Der Duke und die Duchess of Derby, wie Sie vermutlich wissen, Miss York. Darf ich Euch jedoch Miss York vorstellen, Euer Gnaden?“ Mr Fairbanks richtete seine Frage an Henry. „Miss York, das ist der Duke of Holland.“

Die hellhaarige Göttin mit fürs Küssen nur so geschaffenen Lippen machte einen tiefen Knicks, und Henry wandte den Blick ab, da er sich nicht sicher war, ob der Knicks wirklich so majestätisch tief hätte ausfallen müssen.

„Euer Gnaden, das ist Miss Sophie York aus Highclere, die Cousine von Lady Kemsley“, erklärte Fairbanks.

Henry verbeugte sich. „Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Miss York“, sagte er und war nicht in der Lage, seinen Blick von ihren Augen abzuwenden. Sie waren so tiefblau, wie er es seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte. Als er sie über die Tanzfläche des Ballsaals hinweg bemerkt hatte, hatten sie wie Juwelen im Kerzenlicht gestrahlt. „Ich hoffe, Sie genießen Ihren Aufenthalt in London“, sagte er und wünschte sich inständig, dass diese Unterhaltung nicht unangenehm wurde. Ihre großen Augen und die leicht rosafarbenen Wangen verrieten ihm, dass sie ein wenig nervös war, doch er konnte den Grund dafür nicht ausmachen.

„Das tue ich, Euer Gnaden. Danke der Nachfrage.“

Henry zerbrach sich den Kopf auf der Suche nach weiteren Gesprächsthemen, und glücklicherweise kam ihm die Duchess of Derby zur Hilfe.

„Ich hoffe, Sie nehmen morgen Nachmittag an unserem Picknick teil, Miss York“, sagte die Duchess. „Ich weiß, dass Sie unser Gewächshaus gern besuchen würden, und ich habe sichergestellt, dass es für Ihren Besuch in bestem Zustand ist“, fuhr sie mit warmer Stimme fort.

„Sie gärtnern gern?“, fragte Henry. Es war auch eine seiner liebsten Freizeitbeschäftigungen, und das war eine wirklich glückliche Wendung. Zumindest hätten sie ein Thema, über das sie sich unterhalten konnten.

„Mir gefallen Gewächshausblumen, Euer Gnaden. Die verschiedenen Gerüche. Ich habe ein kleines Buch, eine Liebhaberei. Ich versuche, die Düfte zu beschreiben. Ich bin nicht besonders gut darin, und in den vergangenen Wochen habe ich es schrecklich vernachlässigt, aber sollte sich jemand beispielsweise für eine bestimmte Rose interessieren und dabei eine speziell duftende Blüte suchen, könnte es vermutlich als hilfreiche Quelle dienen. Nicht dass ich bereits zahlreiche Blumen vervollständigt habe. In Highclere blieben mir nicht viele Möglichkeiten zum Studieren.“

„Ihr Anwesen besaß kein Gewächshaus?“, fragte er und bereute seine Frage unmittelbar, als sie vor aller Augen ganz blass wurde.

„Wir waren nicht sehr wohlhabend, Euer Gnaden.“

Sie führte das nicht weiter aus, und Henry blickte in Derbys Augen und wusste, dass er versuchen musste, seinen Fauxpas, der nun zwischen ihnen allen schwebte, wiedergutzumachen.

„Tanzen Sie mit mir, Miss York?“, platzte er heraus, bevor er noch weiter darüber nachdenken konnte.

Aus Miss Yorks Augen verschwand die Verzweiflung, die sich zuvor darin gesammelt hatte, und sie blühte förmlich vor ihm auf. „Das würde ich sehr gern, Euer Gnaden. Vielen Dank.“