Leseprobe Die bezaubernde Lady Madeline

KAPITEL EINS

Der Salon der jungen Damen, Worthington House, Mayfair, April 1832

Lady Madeline Vivers starrte auf die Liste der Anforderungen an Ehemänner, die sie zusammen mit ihren angeheirateten Schwestern aufgestellt hatte. Als sie sich daran erinnerte, dass ihre Mutter immer wieder erklärt hatte, dass sie sich für ihre Tochter einen Ehemann von angemessenem Stand wünschte, entfuhr ihr unwillkürlich ein Seufzen. Obwohl der Drang sehr stark war, wollte Madeline die Forderung ihrer Mutter, dass der fragliche Herr ein Lord oder Erbe eines Titels zu sein hatte, nicht zu ihrer Liste hinzufügen. Wenn eine ihrer Schwestern dies sehen würde, hätte es ein Gespräch zur Folge, das sie nicht zu führen bereit war. Wenn sie nicht angemessen heiratete, konnte und würde Mama zweifelsohne in Hysterie verfallen. Und nachdem sie bei ihrer zweitältesten Schwester Augusta erlebt hatte, was genau das bedeutete, wollte Madeline, wenn möglich, lieber den Frieden wahren. Abgesehen davon würde ihr wahrscheinlich niemand vorgestellt werden, den ihre Mutter für ungeeignet hielt. Alle Herren, die zu ihr und ihren Schwestern vorgelassen wurden, hatten Mamas Anforderungen entsprochen. Madeline musste sich lediglich darüber im Klaren sein, was sie sich selbst von einer Heirat erhoffte. Charlotte, Madelines angeheiratete Schwester, und Louisa, Madelines älteste Schwester, teilten mit ihren Ehemännern das Interesse für Politik. Augusta und ihr Mann hingegen konnten damit wenig anfangen, besaßen aber eine gemeinsame Passion für akademische Studien. Grace, die Frau von Madelines Bruder Matt, war der Dreh- und Angelpunkt der Familie. Sie hielt alle Mitglieder – ob angeheiratet oder durch Blutsverwandtschaft – sowie ihren Mann und deren Angestellte beisammen und auf Kurs. Für Madeline war diese Aufgabe genauso wichtig wie die Politik. Allerdings war die Familie Vivers-Carpenter ziemlich groß und erforderte immer wieder sehr viel Zeit und Energie.

Zunächst war Madelines dringlichstes Problem, dass sie überhaupt erst einmal einen Herrn treffen musste, der sich für sie interessierte und umgekehrt. Vorher konnte sie ohnehin nichts ändern. Und dieser Gedanke lenkte sie erneut ab, bevor sie auch nur angefangen hatte, darüber nachzudenken, was sie selbst von einer Ehe wollte.

Es klopfte an der Tür und Madeline seufzte erneut. Auf diese Frage würde sie heute wohl keine Antwort mehr finden. „Herein.“

Roberts, der ihr zugeteilte Bedienstete, trat ein. „Meine Damen, ich bin hier, um Ihnen mitzuteilen, dass Lady Merton und ihr Bruder, Mr Henry Stern, im Morgensalon sind.“

Nun, diese Neuigkeit war ohnehin viel interessanter als Madelines Grübeln. Sie kannte Dotty zwar gut, aber ihr älterer Bruder konnte beinahe als Fremder bezeichnet werden. Alle in der Familie nannten ihn Harry, mit Ausnahme von Dotty, die gern für Ermahnungen und Tadel auf seinen vollen Namen zurückgriff. „Vielen Dank, Roberts.“

Alice hob abrupt den Blick von ihrem Buch und antwortete: „Wir werden sofort da sein.“

Der Diener verbeugte sich. „Sehr wohl, Mylady.“

Madeline folgte ihrer Schwester Richtung Tür und versuchte währenddessen, sich Harry Sterns Aussehen in Erinnerung zu rufen. Vor ihrem inneren Auge hatte sie das vage Bild eines Herrn, der ein paar Jahre älter war als Dotty, aber Details wollten ihr nicht einfallen.

„Ich frage mich, was er in der Stadt macht?“, fragte Alice.

Jetzt, wo sie es erwähnte, kam es auch Madeline ein wenig sonderbar vor. Er war eigentlich Anwalt in Bristol. „Vor allem, wo er nicht einmal zu Ostern bei Dotty war.“

Ohne jeden Sinn für damenhaftes Benehmen stürmten sie durch die Tür und die Treppe hinunter und trafen dabei beinahe buchstäblich auf Eleanor, die es gerade noch rechtzeitig schaffte, ihnen auszuweichen.

„Was ist denn in euch gefahren?“

„Dotty ist hier und sie hat ihren Bruder Henry mitgebracht“, erwiderte Alice. „Wir haben ihn seit Jahren nicht mehr gesehen.“

Eleanor runzelte die Stirn. „War er nicht letztes Jahr zu Weihnachten zu Hause?“

„Nur für einen Tag und wir haben ihn nicht gesehen“, empörte sich Alice.

Eleanor folgte ihnen in Richtung des Morgensalons. „Was macht er denn in der Stadt?“

„Genau das wollen wir herausfinden.“ Madeline konnte sich gerade noch davon abhalten, die Augen zu verdrehen. Das war die Frage, die sich ihnen allen aufdrängte. „Ich glaube, ich bin ihm nur einmal begegnet und das auch nur flüchtig.“ Eleanor warf im Vorbeigehen einen Blick in die anderen Salons, an denen sie vorbeikamen.

„Wo sind sie denn gerade?“

„Im Morgensalon“, erwiderte Alice über die Schulter nach hinten.

Madeline nahm Eleanors Hand und eilte Alice hinterher. Bis zu ihrem zwölften Lebensjahr, als Matt Eleanors und Alices ältere Schwester Grace geheiratet hatte, waren die Zwillinge nicht weit von Dotty und ihrer Familie aufgewachsen.

Als sie den Morgensalon erreichten, erhob sich gerade der Herr der Stunde, dessen Ähnlichkeit zu seiner Schwester unverkennbar war: Sie hatten die gleichen schwarzen Locken und grünen Augen, aber während Dotty recht zierlich war, besaß er kantige Züge. Seine Nase war schärfer und sein Kinn mit dem kleinen Grübchen fast quadratisch.

Sein Lächeln bei ihrem Anblick erfasste auch seine Augen. „Ihr seid groß geworden.“

Alice bedachte ihn mit ihrem typischen, herausfordernden Blick. „Du offenbar nicht.“

„Da hat sie dich erwischt.“ Dottys Mundwinkel kräuselten sich. „Das ist das Problem, wenn man jemanden von Kindestagen an kennt.“

„Oder von Geburt an.“ Harry verbeugte sich. „Bitte vergebt mir, Mylady.“

Alice neigte den Kopf und deutete einen Knicks an. „Es ist schön, dich wiederzusehen.“

„Es ist auch schön, dich zu sehen.“ Er wandte sich Eleanor zu. „Und wie ist es dir ergangen?“

Eleanor trat vor und umarmte ihn. „Wir alle sind bei bester Gesundheit.“ Sie bedeutete Madeline mit einem Winken vorzutreten. „Erinnerst du dich an unsere Schwester, Lady Madeline Vivers?“

Sie hielt seinem Blick stand, während er offensichtlich seine Erinnerung bemühte. Dann schüttelte er den Kopf und schenkte ihr ein leichtes Lächeln. „Ich erinnere mich nur an ein dunkelhaariges Mädchen, das sich immer zwischen dir und Alice versteckt hat.“ Harry verbeugte sich. „Mylady, es ist mir eine Freude.“

Die Beschreibung war so treffend, dass Madeline unwillkürlich lachen musste. „Die Freude ist meinerseits.“

Sie, Alice und Eleanor umarmten Dotty. Die Zwillinge nahmen auf dem Sofa gegenüber von Dotty und ihrem Bruder Platz, während Madeline einen Sessel wählte, der näher bei Harry stand.

Eleanor richtete die Aufmerksamkeit auf ihn. „Was treibt dich in die Stadt? Wenn ich mich recht erinnere, warst du immer zu beschäftigt, um dir die Mühe eines Besuchs zu machen.“

In seinen Augen regte sich ein Glänzen und er grinste breit. „Darf ich vorstellen, ihr habt den neuen Abgeordneten für Bittleborough im Unterhaus vor euch.“

Ein Abgeordneter! Madeline wartete darauf, dass die Zwillinge fragten, wie er das geschafft hatte.

„Ausgezeichnet!“ Eleanor klatschte begeistert in die Hände. „Wie hast du das denn fertiggebracht?“

„Großmutter hat mit meinem Onkel gesprochen und ihn davon überzeugt, dass er mir keine Steine in den Weg legen sollte, auch wenn er gegen die Ehe von Mama und Papa war. Sie hat ihn an meine Erfolge als Anwalt erinnert.“ Harry warf seiner Schwester einen Blick zu. „Und Dotty hat ebenfalls mit ihm gesprochen.“ Sein Lächeln blitzte erneut auf. „Sie steht hoch in seiner Gunst, weil sie standesgemäß geheiratet hat.“ Harry zuckte mit den Schultern. „Als der Sitz frei wurde, hat er mich als Kandidaten unterstützt.“

Seine Großmutter war die Dowager Duchess of Bristol und sein Onkel war der derzeitige Duke.

„Papa hält, wie du weißt, nichts davon, dass Lords die Kandidaten für das Parlament bestimmen“, sagte Dotty. „Aber er hielt Harry für den besten Mann für das Amt und wäre bereit gewesen, ihm im Wahlkampf zu helfen, wenn Onkel ihn nicht unterstützt hätte.“

Mit „Papa“ war Sir Henry Stern gemeint. Er unterstützte die Gruppierung der Radikalen, die sich unter anderem für die Abschaffung des Adels und das allgemeine Wahlrecht einsetzte. Würde das Harry in Konflikt mit seinem Vater bringen? „Wirst du tun, was der Herzog dir vorgibt?“

Harrys Lächeln wurde ein wenig schwächer. „Natürlich, wenn ich glaube, dass es das Richtige ist. Merton hat mich zum nächsten Mittagessen seines Zirkels eingeladen, um mit ihm über die Ideen seiner Gruppe zu sprechen.“

Glücklicherweise konnte der Duke of Bristol Harry nicht durch jemand anderen ersetzen, wenn er mit seinem Handeln nicht einverstanden war. Allerdings vermutete Madeline, dass es seine Wiederwahl erschweren könnte.

„Aber erstmal“, sagte Dotty, „ist er vor allem hier, um euch drei zu bitten, mit ihm bei Almack’s zu tanzen.“

„Ausgezeichnet.“ Eleanor warf einen Blick zu Alice und Madeline. „Damit haben wir schon Partner für drei Tänze.“

Und Madeline hatte immerhin einen Partner, der nicht gleichzeitig auch einer der Verehrer ihrer Schwestern war. Dann kam ihr ein weiterer Gedanke. Wenn Harry Almack’s besuchte, hieße das doch, dass auch er eine Frau suchte. Dieser Gedanke führte sogleich zum nächsten. Sie hatte soeben zum ersten Mal einen Mann kennengelernt, der nicht den Anforderungen ihrer Mutter entsprach. Madeline schüttelte den Gedanken ab. Der Mann war gutaussehend und offensichtlich intelligent, aber das musste ja nicht heißen, dass sie sich auch zu ihm hingezogen fühlte.

***

Einer der Bediensteten brachte ein Teetablett und Eleanor schenkte den Anwesenden ein. Harry nahm eine Tasse entgegen und reichte eine an Lady Madeline weiter. „Hat sich seit der gewonnenen Wahl schon eine Möglichkeit ergeben, an einer Parlamentssitzung teilzunehmen?“, fragte sie. Er konnte sich nur davon abhalten, sie anzustarren, in dem er sich voll und ganz auf die Bewegung seiner Hände konzentrierte. Selbst das Wort „wunderschön“ schien nicht angemessen, um Madeline zu beschreiben. Und wie sollte er sie ansprechen? Sollte er sie Lady Madeline nennen? Schließlich war er nicht mit ihr aufgewachsen, wie mit den Zwillingen und dem Rest der Carpenter-Familie. Andererseits hatten sich die Vivers und Carpenters zu einer Familie zusammengeschlossen und erwarteten im Allgemeinen, auch als solche behandelt zu werden.

„Ja. Ich hatte das Glück, mich nicht zuerst um eine Unterkunft kümmern zu müssen, und konnte damit sofort meine Pflichten wahrnehmen.“ Er verzog das Gesicht. „Allerdings werde ich mir bald einen eigenen Wohnsitz suchen müssen. So gern ich auch bei Merton und Dotty unterkomme, es ist nur eine vorübergehende Lösung.“

Madeline legte leicht den Kopf zur Seite und ihre wohlgeformten Brauen kräuselten sich. „Ist es bei Merton und Dotty denn nicht möglich, nach Belieben ein und aus zu gehen?“

„Natürlich. Aber darum geht es mir nicht. Ich fühle mich unwohl bei dem Gedanken, ihr Zuhause in Beschlag nehmen zu müssen, wenn ich beispielsweise Kollegen einlade.“ Sollte er erwähnen, dass er auch auf der Suche nach einer Frau war? Seine Großmutter hatte ihm eingebläut, wie hilfreich eine Ehepartnerin für ihn wäre. Andererseits würde dies vielleicht zu einer peinlichen Situation führen. Er kannte Lady Madeline nicht so gut wie die Zwillinge und er war sich fast sicher, dass er nicht dieselbe Art von Vertrautheit mit ihr erreichen wollte. Die beiden waren wie jüngere Schwestern für ihn.

„Ich verstehe.“ Sie nahm einen Schluck Tee. „Ich hoffe, dass sich bald etwas Gefälliges findet.“

„Das hoffe ich auch. Merton hat mir seinen Sekretär zur Seite gestellt, um mich dabei zu unterstützen.“ Harrys Gedanken zerstreuten sich, als sie in einen Zitronenkeks biss und kurz ihre Zunge zwischen dem kräftigen Rosa ihrer Lippen hervorschaute, um einen Krümel einzufangen. „Habe ich denn schon etwas Interessantes verpasst?“

Madeline schüttelte den Kopf. „Die Saison fängt gerade erst an. Wir haben uns angewöhnt, frühmorgens auszureiten. Das ist die einzige Zeit, in der wir noch frei galoppieren können.“

Das klang interessant. „Um wie viel Uhr ist denn üblicherweise dieser Ausritt?“

Sie schluckte den letzten Rest ihres Kekses hinunter und wischte sich vorsichtig die Hände an der Serviette ab. „Kurz nach Sonnenaufgang.“

Damit hätte er genug Zeit für den Ausflug, ohne zu riskieren, zu spät zum Parlament zu kommen. Und um sie besser kennen zu lernen. Er warf einen Blick zu den Zwillingen und Dotty, die jedoch in ihr eigenes Gespräch vertieft waren und ihm und Lady Madeline keinerlei Beachtung schenkten. Seit dem Zeitpunkt, als sie das erste Mal den Salon betreten hatte, war er von ihrer Schönheit überwältigt gewesen. Von den kastanienbraunen Locken, die ihr perfekt ovales Gesicht umrahmten – und erst diese Augen. Sie glänzten wie polierter Lapislazuli. Dann rief er sich in Erinnerung, dass sie so alt war wie die Zwillinge, und er wollte sich einfach nicht vorstellen, dass sie bereits alt genug waren, um zu heiraten. Dennoch fühlte er sich zu Madeline auf eine Weise hingezogen, wie er es bisher bei keiner anderen Frau erlebt hatte. Und er hatte in Bristol bereits einige Frauenbekanntschaften gemacht. Ein Ausritt wäre die perfekte Gelegenheit, um mehr über sie zu erfahren.

Wer nicht wagte, der nicht gewann. „Wäre es in Ordnung, wenn ich mich anschließe?“

Sie zog leicht die Augenbrauen hoch. „Aber natürlich. Zwei andere Herren begleiten uns, sofern sie es fertigbringen, früh genug aufzustehen.“ Den letzten Teil sprach sie mit einem recht angewidert wirkenden Tonfall aus. Harry konnte erkennen, dass Lady Madeline solche Ausflüchte für sich nie gelten lassen würde. „Eine zuverlässigere Gesellschaft wäre schön.“

„Vielen Dank. Soll ich Lady Madeline oder einfach nur Madeline sagen?“

Die Frage schien sie zu überraschen. „Du sprichst Alice und Eleanor auch nicht mit ihrem Titel an. Wir sind Schwestern, daher gibt es keinen Grund, es mit mir anders zu halten.“

Außer vielleicht in einem formellen Rahmen wie bei einem Ball oder bei Almack’s. Aber der Verzicht auf solche Förmlichkeiten würde ihm den Umgang mit ihr erleichtern. „Vielen Dank.“ Dotty erhob sich und er tat es ihr gleich. „Wir sehen uns dann morgen früh.“

Madeline schenkte ihm einen neugierigen Blick. „Ich freue mich schon darauf.“

Seine Schwester umarmte nacheinander die Zwillinge und Madeline zum Abschied. „Danke für den Tee. Wir machen heute eine ganze Reihe von Besuchen.“ Dotty warf ihnen einen verschwörerischen Blick zu. „Großmama hat mir befohlen, ihn zu verheiraten.“

Eleanor und Alice grinsten verschmitzt und Alice sagte: „Du kannst gerne mit uns dein Debüt geben.“

Harry stöhnte beinahe auf. Natürlich würde Alice diesen Vergleich anstellen, wenn seine Schwester jedem erzählte, dass er eine Frau suchte.

„Hast du nicht früher schon in der Stadt gelebt?“ Eleanor runzelte die Stirn, als würde sie versuchen, sich zu erinnern.

„Für eine kurze Zeit nach der Universität.“ Harry erinnerte sich daran, als sein Vater ihm recht deutlich erklärt hatte, dass er nicht dafür aufkommen würde, wenn er seine Zeit in der Stadt dazu nutzen würde, um sich auszutoben und sein Taschengeld zu verspielen. „Ich war etwa einen Monat lang hier.“ Gerade lange genug, um zu verstehen, was sein Vater damit gemeint hatte. „Aber ich hatte bereits ein Angebot von einer angesehenen Anwaltskanzlei in Bristol und musste wenig später meine Stelle dort antreten.“

„Ich bin sicher, dass du dich gut schlagen wirst“, sagte Madeline. „Dotty und Merton können dich beraten.“

Er verbeugte sich vor ihr. „Da hast du natürlich recht. Ich verlasse mich auch in dieser Hinsicht auf die beiden.“

„Komm mit.“ Seine Schwester hakte sich bei ihm unter. „Wir haben heute sehr viele Leute zu treffen.“

Die Mädchen – er unterbrach seine Gedanken; sie waren keine Mädchen mehr – die Damen begleiteten sie zur Tür und er verbeugte sich vor den dreien. Doch als er sprach, blieb sein Blick auf Madeline haften. „Ich habe den Tee genossen und auch die Gelegenheit, etwas Zeit mit euch verbringen zu können.“

„Ich bin sicher, dass wir dich schon bald wiedersehen werden“, sagte Alice.

„Das werdet ihr.“ Harry hatte nicht vor, zu erwähnen, dass er mit ihnen ausreiten würde. „Wir sehen uns später.“

Er half Dotty in die Kutsche und ging dann zur anderen Seite, um selbst einzusteigen. „Gibt es einen bestimmten Grund, warum du beschlossen hast, allen zu verkünden, dass ich eine Frau suche?“

Sie tätschelte seine Hand. „Mein lieber Bruder, ich tue selten etwas ohne Grund.“

Langsam wurde ihm klar, dass er seine Schwester nicht so gut kannte, wie er dachte. „Würde es dir in dem Fall etwas ausmachen, mich darüber in Kenntnis zu setzen?“

Sie bedeutete dem Stallknecht mit einem Nicken, die Zügel loszulassen, und sie setzten sich in Bewegung. Sie fuhren die Straße hinunter und bogen vom Berkeley Square ab. „Du bist kein Lord und wirst wohl auch nie einer sein. Du verfügst über kein nennenswertes Vermögen und bist ein Abgeordneter des Unterhauses.“ Damit war seine Situation kurz und bündig beschrieben. „Folglich musst du eine Dame finden, die bereit ist, dich zu akzeptieren, nicht deinen Status.“ Sie blickte ihn an. „Du hast den Vorzug, dass du gut aussiehst, der Enkel und Neffe eines Dukes bist und dazu noch sympathisch aufzutreten vermagst. Auch du hast gewisse Ansprüche.“

Er nickte, mehr zu sich selbst als zu ihr, da sie sich um das Lenken der Pferde kümmerte. „Ich kann mir ein wenig Luxus im Leben leisten, aber nicht alles.“

„Ganz genau“, sagte Dotty anerkennend. „Das bedeutet auch, dass du nicht darauf angewiesen bist, eine reiche Erbin zu heiraten.“

Daran hatte er nicht gedacht. „Und das wiederum macht es leichter, mich als Partner zu akzeptieren.“

Sie schenkte ihm ein leichtes Lächeln. „Es ist besser, schon früh die Spreu vom Weizen zu trennen. Die jungen Damen und ihre Eltern wissen sehr gut, was sie von dir erwarten können.“

„Mit anderen Worten: Ich bin eine akzeptable Partie, aber keine sehr gute.“ Diese Einsicht sollte ihn eigentlich nicht verärgern, doch genau das tat sie. „Wenigstens muss ich mir nie die Frage stellen, ob sich eine Dame für mich oder meinen Status interessiert.“

Dotty brachte die Pferde vor einem Haus in der Green Street zum Stehen. „Das hoffe ich. Allerdings wirst du dich vielleicht mit Eltern herumschlagen müssen, die eine vorteilhaftere Ehe für ihre Tochter wünschen.“

So war es auch seinen Eltern ergangen. Sie hatten nur dank der Sturheit seiner Mutter und der Beharrlichkeit seines Vaters überhaupt heiraten können. Nun ja, seine Großmutter hatte ebenfalls ihre Hände im Spiel gehabt, aber ohne diese Eigenschaften hätten sie andere Partner gesucht. Er musste also eine Frau finden, die ebenso stur war wie seine Mutter.

„Wo sind wir?“

„Wir sind zu Besuch bei Lady Turley.“ Dotty wartete, während ein Diener die Zügel der Pferde übernahm. „Sie ist eine Freundin von Henrietta. Ich hoffe, Lady Exeter wird ebenfalls anwesend sein.“

Ein anderer Dienstbote trat aus dem Haus und half Dotty beim Aussteigen, während Harry selbst absprang und ihr seinen Arm anbot. „Wie viele andere solcher Termine gibt es noch?“

Sie schenkte ihm ein leichtes Lächeln. „So viele, wie ich es für nötig halte. Dom wird dich den Herren vorstellen. Du wirst Freunde und gute Kontakte brauchen.“

Sie wurden in den Morgensalon geführt, in dem sich vier Frauen und mehrere kleine Kinder aufhielten.

„Harry!“ Seine Schwester Henrietta sprang vom Boden auf, wo sie gerade einem älteren Kleinkind geholfen hatte, Bauklötze aufzutürmen. „Dotty, warum hast du mir nicht gesagt, dass du ihm die Stadt zeigst?“

„Ich bin erst spät gestern Abend angekommen“, schaltete sich Harry ein, um einen Konflikt zwischen seinen Schwestern zu vermeiden.

Dotty gab Henrietta einen Kuss auf die Wange. „Ich habe heute Morgen eine Nachricht geschickt, aber du bist wohl noch nicht zu deiner Korrespondenz gekommen. Hat Großmama dir schon gesagt, dass er heiraten muss?“

„Ja.“ Henrietta nickte. „Ich werde Dorie und Adeline um Hilfe bitten.“ Sie wandte sich um zur vierten Dame im Zimmer. „Augusta wird leider überhaupt keine Hilfe sein. Sie und Phinn interessieren sich für die wenigsten Zerstreuungen des Stadtlebens.“

Die Frau, die Madeline sehr ähnlich sah, zuckte mit den Schultern. „Phinn und ich sind Gelehrte. Die wenige Zeit, die uns bleibt, verbringen wir lieber mit unseren Familien und Freunden.“

Eine andere Dame lachte. „Und ihr würdet es nicht anders haben wollen.“

Augustas Mundwinkel wanderten nach oben. Erst da fiel der Groschen. „Sie sind Matt Worthingtons Schwester?“

Sie erhob sich vom Boden und streckte die Hand aus. „Das bin ich. Auch bekannt als Augusta Carter-Woods oder Lady Phinn. Ich glaube, Sie sind das einzige Mitglied Ihrer Familie, dem ich bisher nicht zumindest einmal über den Weg gelaufen bin.“

„Gute Güte“, sagte Henrietta. „Meine Manieren haben mich im Stich gelassen. Dorie, Adeline, erlaubt mir, euch meinen ältesten Bruder vorzustellen, Mr Henry Stern. Harry, Dorie ist die Marchioness of Exeter und Adeline ist die Viscountess Turley.“

Lady Exeter und Lady Turley neigten bei der Vorstellung jeweils den Kopf. „Meine Damen, es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen.“

„Wir haben schon viel von Ihnen gehört“, sagte Lady Exeter. „Ich gratuliere zu Ihrem Sitz im Unterhaus.“

„Ja, in der Tat.“ Lady Turley lächelte. „Herzlichen Glückwunsch. Wir freuen uns darauf, Sie in dieser Saison zu unterstützen.“

„Danke.“ Diese Saison würde viel anstrengender werden, als er gedacht hatte. Er würde sicherlich morgendliche Ausritte brauchen, um einen klaren Kopf zu bewahren und hoffentlich eine Frau zu finden.

KAPITEL ZWEI

Der Himmel begann sich gerade aufzuhellen, als Madeline die Augen öffnete. Würde Harry Stern sich ihnen wirklich anschließen oder hatte er nur höflich sein wollen? Sie würde es bald erfahren.

Harper, die Zofe, hatte bereits Madelines Reitkleid bereitgelegt. Sie kletterte aus dem Bett und wusch sich hinter dem Wandschirm. Als sie fertig war, hatte ihre Zofe ein Stück Toast und eine Tasse Schokolade für sie bereitgestellt.

„Ihre Schwestern sind auch schon wach“, sagte Harper. „Die Pferde werden schon auf Sie warten, wenn Sie fertig sind.“

„Perfekt.“ Vor einem Jahr hatte Grace Zofen für Madeline und ihre Schwestern eingestellt, um sie auf ihr Debüt vorzubereiten. Mit Harper hätte sie nicht zufriedener sein können. Die Frau wusste immer genau, was zu tun war. Madeline kleidete sich an, aß ihren Toast und trank ihre Schokolade, während ihr die Zofe das Haar zu einem Knoten zusammensteckte und ihr einen kleinen Hut aufsetzte.

Als sie auf den Flur trat, gesellten sich Alice und Eleanor zu ihr und sie machten sich zusammen auf den Weg zur Eingangshalle und nach draußen zu den Pferden. „Das wird so ein schöner Tag.“

Die Stallknechte halfen ihnen beim Aufsteigen auf die Pferde, aber nur einer von ihnen begleitete sie üblicherweise auf ihrem Ritt. Heute war es Madelines Stallknecht Finnigan. Wie viele ihrer männlichen Bediensteten hatte auch er in der Armee gedient. Er hinkte, aber die Verletzung an seinem Bein hielt ihn nicht vom Reiten ab.

Sie und ihre Schwestern ritten vom Berkeley Square auf die Mount Street. Als sie in die Park Street einbogen, wurden sie von Harry Stern begrüßt. „Guten Morgen. Es scheint ein schöner Tag zu werden.“

Seine Haltung im Sattel war ausgezeichnet und sah ebenso wie sein prächtiges dunkelbraunes Pferd sehr stattlich aus. Ihr Blick wanderte nach unten und sie bemerkte, dass die weißen Strümpfe des Reiters perfekt zu den hellen Beinabzeichen des Tiers passten.

Alice blickte an ihm vorbei die Straße hinunter. „Es sieht so aus, als wären Lord Montagu und Lord St. Albans nicht früh genug aufgestanden, um sich uns anzuschließen.“

Harry lenkte sein Pferd neben das von Madeline, was Alice dazu veranlasste, die Position neben Eleanor einzunehmen. Jahrelang war Madeline immer zwischen ihnen geritten. „Ihr Pech.“

Sie grinste. „Nicht jedem fällt es so leicht, früh aufzustehen.“

Sein Blick fiel auf sie, als sie durch das Tor zum Park ritten. „Meine ganze Familie besteht aus Frühaufstehern. Ich glaube, ich wüsste gar nicht, wie ich ausschlafen könnte, selbst wenn ich wollte.“

„Bei uns im Haus stehen die meisten ebenfalls früh auf.“ Das hatte wahrscheinlich mit den jüngeren Kindern und den Tieren zu tun. „Normalerweise reiten wir entweder zur großen Eiche oder zur Serpentine.“

„Ich folge überall hin, Mylady.“ Er grinste.

Rose, Madelines Cleveland-Bay-Stute, war bereits zum Galoppieren bereit und sprintete auf ihr Signal hin los. Trotz ihres kleinen Vorsprungs erreichte Harry den Baum zur gleichen Zeit wie sie. „Dein Hengst ist schnell.“

Er tätschelte den Hals des Pferdes. „Er hat Spaß daran.“

Sie versuchte erfolglos, die Rasse zu bestimmen. „Was für ein Pferd ist er?“

„Ein Trakehner.“ Harry streichelte den Hals des Hengstes. „Mein Schwager, Nate Fotherby, hat ebenfalls einen. Seiner war der zweite, den ich überhaupt je gesehen habe. Ich habe Willy gekauft, nachdem ich mein altes Pferd in den Ruhestand schicken musste. Sein offizieller Name lautet Wilhelm Cóiméad, um seine irischen und preußischen Wurzeln widerzuspiegeln.“ Sein Blick wanderte zu ihrem Pferd. „Deine Stute ist auch nicht gerade langsam. Ist sie ein Cleveland Bay?“

„Das ist sie.“ Sie lächelte bei dem Gedanken an ihre Stute. „Ihr Name ist Rose.“ Madeline warf ihren Schwestern einen Blick zu. „Eleanor und Alice entschieden sich für klassische Pferdenamen, aber Rose schien einfach besser zu ihr zu passen.“

„Ein hübscher Name für eine hübsche Dame.“ Harry sah sich im Park um. „Wohin reiten wir von hier aus? Noch ein Galopp?“

„Ja. Zur Serpentine.“ Er war ebenso erfüllt von Energie wie seine Schwestern Dotty und Henrietta. Selbst wenn er stillsaß, schien er voller Bewegung zu sein. „Bereit?“

„Immer“, erwiderte er mit einem Grinsen.

Madeline gefiel es, wie leicht und schnell sein Lächeln aufblitzte. Als sie die Pferde zum Galopp antrieben, hatte sie das Gefühl, dass er sie hätte überholen können, sich aber dafür entschied, auf gleicher Höhe zu bleiben. Wieder einmal bewunderte sie seine Haltung im Sattel. Doch seine Reitkünste waren wenig überraschend. Auch seine Schwestern machten sich gut im Sattel.

Als sie die übliche Stelle an der Serpentine erreichten, wurden sie dort bereits von ihren Schwestern erwartet. Zu ihnen hatten sich Henrietta, Dorie Exeter und Georgiana Turley gesellt und sie alle tauschten Grüße aus.

„Harry“, sagte seine Schwester, „Nate hat dir eine Nachricht geschickt, in der es um eine vorgezogene Sitzung des Ausschusses geht, der heute über das Konkursrecht berät. Er hat zufällig davon erfahren und glaubt, dass sie absichtlich zu einem Zeitpunkt angesetzt wurde, an dem die meisten neueren Abgeordneten des Ausschusses nicht teilnehmen können.“

Harry zog die Brauen zusammen und runzelte die Stirn. „Um wie viel Uhr soll die Sitzung stattfinden?“

„Um acht.“

„Zwei Stunden vor Eröffnung des Parlaments. Mir wurde gesagt, dass die Ausschüsse normalerweise nach der Hauptsitzung tagen.“

Madeline schaute auf ihre Broschenuhr. „Es ist sechs Uhr dreißig. Wenn du dich umziehen und frühstücken willst, solltest du jetzt los.“

„Danke.“ Er schenkte ihr ein Lächeln. „Würdest du um fünf mit mir in den Park reiten?“

„Ja, sehr gerne.“ Sie war froh, dass er seine Pflichten ernst nahm, aber hatte sie wirklich etwas anderes von einem Mitglied seiner Familie erwartet?

„Wir sehen uns dann.“ Er trieb sein Pferd in Richtung des Tors.

Seine Haltung im Sattel war wirklich ausgezeichnet.

Sie warf einen Blick auf die anderen. „Möchte noch jemand galoppieren, bevor wir aufbrechen?“

Einstimmig vergrößerten sie den Abstand zueinander und trieben dann die Pferde auf die alte Eiche zu. Alice erreichte das Ziel kurz vor den anderen. Nach dem Galopp lenkten sie ihre Pferde in Richtung des Tors.

Madeline wollte gerade ihren üblichen Platz zwischen den Zwillingen einnehmen, als Henrietta neben ihr auftauchte. „Es ist wunderbar, Harry in der Stadt zu haben. Seit er nach Bristol gezogen ist, haben wir ihn nur selten gesehen.“ Sie verzog das Gesicht. „Aber ich nehme an, das Unterhaus wird ihn auf Trab halten.“

Madeline fragte sich, wie viel Freizeit ihm wohl bleiben würde. „Es klingt so, als wäre das jetzt schon der Fall. Und das Oberhaus hält Matt und die anderen beschäftigt.“

Henrietta nickte nachdenklich. „Das stimmt, aber glaubst du nicht, dass es bei den Mitgliedern des Unterhauses anders ist? Immerhin erhalten sie ein Gehalt und werden in ihr Amt gewählt.“

„Da hast du Recht.“ Lords erhielten ihre Positionen, indem sie einfach nur geboren wurden, und einige machten sich nicht einmal die Mühe, an den Sitzungen teilzunehmen. „Wirst du morgen Abend bei Almack’s sein?“

„Oh, ja.“ Sie lachte. „Mir wurde gesagt, dass wir alle kommen sollen.“

Madeline wollte am liebsten die Augen verdrehen. Wahrscheinlich hatte Matt darauf bestanden. „Alle Mann an Deck?“

„Genau.“ Sie ritten durch das Tor, und Henrietta begleitete Adeline in Richtung Green Street.

Alice lenkte ihr Pferd ein Stück zur Seite, sodass Madeline zwischen den Zwillingen reiten konnte.

„Was hältst du von Harry?“, fragte Eleanor.

„Ich glaube, er ist mit dem Alter deutlich netter geworden“, antwortete Alice. „Madeline?“ Alice zog fragend die Brauen hoch.

„Natürlich kannte ich ihn vorher nicht, aber ich mag ihn. Er scheint sehr standhaft zu sein.“ Die Worte ihrer Mutter wollten ihr nicht aus dem Kopf gehen.

Und gutaussehend, aber das brauchte sie nicht erwähnen.

„Das ist kein besonders großes Lob“, bemerkte Eleanor.

„So war es nicht gemeint. Es ist nur so, dass ich ihn nicht sehr gut kenne.“ Das Problem war, dass sie ihn aber vielleicht besser kennenlernen wollte. Madeline brachte ihre Stute vor Worthington House zum Stehen und stieg ab.

„Das stimmt“, murmelte Alice, als sie sich zu Madeline gesellte. „Aber du wirst die Gelegenheit dazu bekommen.“

Das stimmte natürlich, aber sie wollte nicht, dass ihre Schwestern auf dumme Gedanken kamen, also erwiderte sie rasch: „Er wird euch wahrscheinlich auch auf eine Kutschfahrt einladen. Schließlich ist er gerade erst in der Stadt angekommen und kennt nicht sehr viele Frauen.“

„Das bezweifle ich.“ Eleanor schüttelte den Kopf, als sie die Eingangshalle betraten. „Das wäre so, als würde er Henrietta oder Dotty ausführen.“ Alice nickte.

„Es spielt keine Rolle, warum er mich eingeladen hat. Ich habe vor, mich zu amüsieren. Es ist das erste Mal, dass ich zu einem Ausritt in den Park eingeladen werde.“ Eleanor hatte den Marquis von Montagu begleitet und Alice hatte ein Angebot des dem Earls of St. Albans ausgeschlagen. Und Madeline hatte nichts weiter vor, als sich zu amüsieren.

***

Harry atmete erleichtert auf und bedankte sich kurz bei Fotherby für die Information und bei Dotty und Merton für das Angebot, ihn bei sich aufzunehmen. Obwohl Harry früh aufgebrochen war, hatte es einige Zeit gedauert, den verflixten Ausschussraum zu finden. So kam er gerade in dem Moment an, als die anderen Mitglieder dort eintrafen. „Guten Morgen.“ Er hatte gelernt, in gemischter Gesellschaft – also in Gegenwart von adelsstämmigen und Personen mit anderem Status – nicht die Anrede „Gentlemen“ zu nutzen. „Ich bin Henry Stern für Bittleborough.“

„Ah, Mr Stern,“ reagierte ein älterer Mann mit weißem Haar. „Michael Taylor, Durham. Wir freuen uns, Sie bei uns begrüßen zu dürfen. Neues Blut ist immer wichtig.“

Ein Blick auf einige der anderen zeigte, dass nicht alle mit der Aussage einverstanden schienen. „Ich freue mich, dass ich teilnehmen kann.“

Einer der Männer zog die Brauen zusammen. „Stern?“

Harry nickte.

„Sind Sie verwandt mit Sir Henry Stern?“

„Das bin ich, Sir. Er ist mein Vater.“

„Sehr gut. Wirklich sehr gut. William Smith ist mein Name, Norwich. Ihr Vater und ich schreiben uns regelmäßig. Ich werde ihm mitteilen, dass ich Ihre Bekanntschaft gemacht habe.“

„Ich denke, jetzt sollten wir Herrn Stern inzwischen alle zur Genüge kennen“, schaltete sich ein Mann in brauner Jacke und Weste ein. „Lassen Sie uns zur Sache kommen.“

Smith schlug sofort vor, das Konkursrecht zu ändern, um auch Personen einzubeziehen, die keine Kaufleute waren. Harry unterstützte die Idee, die allerdings sofort abgeschmettert wurde. Nun, ihm war von Anfang an klar gewesen, dass die Reform nicht einfach sein würde. Er hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass sie so früh schon einen ersten Rückschlag erleiden würde.

Der Ausschuss tagte bis kurz vor Beginn der regulären Parlamentssitzung. Mr Taylor trat an ihn heran, als er den Sall betrat. „Mr Stern, ich würde Sie gern am nächsten Dienstag zum Abendessen einladen.“

Es gab keinen Grund abzulehnen und es wäre nützlich, andere Abgeordnete näher kennen zu lernen. „Sehr gerne.“

„Wohin soll meine Frau die Einladung schicken?“

Harry hatte bisher versucht, Mertons Namen nicht zu erwähnen, aber solange er keine eigene Unterkunft hatte, war das nicht möglich. „Ich wohne zurzeit im Haus meiner Schwester, in Merton House am Grosvenor Square“.

Die Lippen seines Gegenübers kräuselten sich leicht. „Ah, Sie sind aus der Familie Stern. Meine Frau wird sehr erfreut sein, Ihre Bekanntschaft zu machen.“

Das hörte sich so an, als hätte Taylor einen tieferen Grund, Harry zum Essen einzuladen. Er wünschte nur, er wüsste, was dieser war. Andererseits wüsste Dotty es vielleicht. „Ich freue mich ebenfalls darauf, sie kennenzulernen.“

***

Er kam gerade rechtzeitig in Merton House an, um eine der bereitstehenden Kutschen vorfahren zu lassen und nach Worthington House aufzubrechen. Bei seiner Ankunft wurde ihm sofort die Tür geöffnet. Als er eintrat erschien Madeline am oberen Absatz der Treppe. Er war natürlich mit dem Ausdruck „atemberaubend“ vertraut, aber er hätte nie gedacht, dass er es buchstäblich am eigenen Leib erfahren würde. Sie war umwerfend. Ihr gelbes Kutschenkleid schien um sie herum zu schweben, aber er konnte sich nicht erklären, wie das möglich war, da der Stoff kein Musselin war. Es musste etwas mit ihrer Körperhaltung zu tun haben. Wie zuvor war ihr Gesicht von Locken umrahmt, wobei dieses Mal die Aufmerksamkeit auf ihre dunkelrosa Lippen gelenkt wurde. Ihr Hut war mit schlichtem Blumenschmuck verziert.

Er streckte die Hand aus. „Du siehst aus wie der menschgewordene Frühling.“

Sie legte ihre Finger zwischen die seinen und lächelte. „Vielen Dank. Der Frühling ist eine meiner Lieblingsjahreszeiten.“

Harry wandte sich mit ihr zur Tür. „Und was sind die anderen?“

„Oh, Sommer, Herbst und Winter natürlich.“ Sie lachte. „Jede Jahreszeit hat ihre schönen Seiten. Welche ist dein Favorit?“

„Das ist eine sehr gute Frage. Ich glaube, darüber habe ich noch nie nachgedacht. Ich nehme an, es wäre ein knappes Rennen zwischen Sommer und Winter.“ Er half ihr in die offene Kutsche. „Im Sommer hatte ich immer schulfrei und im Winter ist Weihnachten.“ Harry kletterte selbst hinein und nahm die Zügel auf. „Obwohl, wenn ich so darüber nachdenke, hat auch der Frühling sehr viel für sich.“

Madelines Wangen nahmen einen schönen Rosaton an. „Du wirst feststellen, dass es beim Herbst nicht anders ist.“

Er setzte die Pferde in Bewegung. „Das ist mein erster Ausflug in den Park. Du wirst mir ein wenig helfen müssen.“

Ihre lapisblauen Augen weiteten sich und er hatte Mühe, den Blick wieder auf die Pferde zu richten. „Je nachdem, wie viel in der Stadt los ist, könnte es im Park ziemlich voll werden. Es wäre gut, wenn wir einmal außenherum fahren.“

Harry fragte sich, wie lange das wohl dauern würde und ob er sie so länger bei sich behalten könnte. „Warst du jemals bei Gunter’s?“

„Ja, natürlich.“ Ihre Lippen formten ein breites Lächeln. „Ausgezeichnet. Ist es einen Besuch wert?“

„Auf jeden Fall. Schade, dass du noch nie dort warst. Das Eis ist wunderbar!“

Aha. Er hatte etwas gefunden, das ihr gefiel. „Wenn es dir nichts ausmacht, könnten wir heute nach unserem Ausritt hingehen?“

Madeline klatschte aufgeregt in die Hände. „Das wäre perfekt!“

Sie war perfekt. Er grinste sie an. „Dann machen wir das doch.“

Während sie ihr Eis aß, konnte er in Erfahrung bringen, an welchen Bällen und anderen Veranstaltungen sie teilnehmen würde.