Leseprobe Bay Rouge Lions

1. Kapitel – Taylor

Louisiana ist einer der heißesten Staaten in den USA. Ganzjährig sind Temperaturen bis zu zwanzig Grad und mehr zu erwarten. Außer vielleicht beim Jahreswechsel. Zwischen Weihnachten und Ende Januar sind es manchmal nur fünfzehn oder sechzehn Grad, aber welchen Unterschied macht das schon? Für mich keinen, denn ich finde die Hitze in Louisiana von Kindesbeinen an unerträglich. Warum konnten meine Eltern sich nicht in Wisconsin oder Illinois niederlassen? Ich glaube, das hätte mir besser gefallen. Oder ich hätte mich durchgesetzt und mich in einem kühleren Teil des Landes aufs College beworben. Es gibt so viele gute und renommierte Colleges für Kommunikation und Medien in den USA, dass ich nicht in der Stadt, in der ich geboren bin, auch noch studieren muss.

Doch dafür müssten meine Eltern ihr Denken komplett über Bord werfen und das werden sie nicht tun: Seit ich ein Teenager bin, kontrollieren sie mich übermäßig. Mit einer Ortungsapp auf meinem iPhone, Überwachungskameras um unser Haus. Dass ich ein College tausende Kilometer entfernt besuche, ist für sie nicht denkbar.

Meine Mom ist Anwältin und arbeitet am College als Dozentin der Rechtswissenschaften. Sie nimmt mich morgens oft mit zum Campus, obwohl ich einen Führerschein und ein Auto habe. Außerdem darf ich nur auf Partys, die vorher gecheckt wurden, und mit einer speziellen Ortungssoftware auf meinem Handy, die Alarm schlägt, wenn ich mich mehr als zwei Kilometer vom abgemachten Standort entferne. Meine beste Freundin Alice, mit der ich seit der Grundschule befreundet bin, behauptet, dass meine Eltern spinnen. Ja, vermutlich tun sie das, aber ich kann ihnen das nicht sagen und absichtlich ihre Angst um mich schüren. Ihre Sorge kommt nicht von ungefähr und ich möchte sie dieser nicht unnötig aussetzen.

»Taylor«, ruft meine Mom vom Fuß der Treppe unseres Hauses. »Kommst du? Wir müssen los.«

»Gleich, Mom«, antworte ich und greife nach meiner Tasche.

Mein Zimmer ist immer noch dasselbe wie vor drei Jahren, als ich ein Teenager war. Während Alice in einer coolen WG auf dem Campus lebt, bin ich nicht von zu Hause ausgezogen, was auch an den Verlustängsten meiner Eltern liegt. Nächstes Jahr werde ich in den USA volljährig und einen Vorstoß wagen, um dieses Haus zu verlassen. Mir reicht eine kleine Wohnung, gern auch in einem sicheren Viertel in einem Mietshaus mit Kameras. Aber sie müssen mich loslassen. Dass ich weiterhin zu Hause wohne und meine Eltern jeden meiner Schritte überwachen, erdrückt mich sonst irgendwann.

Mit meiner Tasche gehe ich die Treppe hinunter, wo meine Mutter bereits in der offenen Haustür wartet: Clarence Smith sieht wie immer aus, wie aus dem Ei gepellt. Die dunkeln schulterlangen Haare perfekt mit der Rundbürste frisiert, der beige Hosenanzug schmeichelt ihrer Figur und betont ihre Autorität. Für mich ist sie nur ‹meine Mom›, aber ich weiß, dass sie als Dozentin nicht unbedingt zu denen gehört, die es mögen, wenn Fristen nicht eingehalten werden.

»Du siehst hübsch aus.« Mom schenkt mir ein Lächeln.

»Danke«, sage ich.

Ich trage ein hellblaues Blumenkleid, das mir bis zu den Knien geht und dessen Oberteil unterhalb der Brust gerafft ist. Der V-Ausschnitt betont mein Dekolleté, aber lässt nicht zu viel zu.

Gemeinsam verlassen wir das Haus und gehen zum Auto, um zum Campus zu fahren. Dieser liegt mit dem Wagen zwanzig Minuten entfernt. Mit dem Bus eine halbe Stunde. Für Partys und Treffen am Abend wohne ich definitiv nicht zentral genug.

»Wie viele Kurse hast du heute?«, fragt meine Mom und ich sehe zu ihr rüber.

»Nur drei, aber ich treffe mich danach mit Alice.«

»Wo?«

»Mom!«, seufze ich. »Sie geht zum Footballtraining für einen Artikel der Collegezeitung und ich begleite sie.«

»In Ordnung.« Sie klingt, als müsse sie mir erlauben, dass ich mich mit Alice treffe. »Ich kann dich mit nach Hause nehmen. Ich bin bis fünf da.«

»Das ist nicht nötig«, erkläre ich. »Danach gehen wir noch etwas essen und Alice fährt mich.«

»Bist du sicher?« Ihre Stimme nimmt sogleich diesen lauernd besorgten Ton an.

»Ja!« Ich greife nach ihrer Hand und drücke sie. »Mach dir keine Sorgen.«

»Du weißt doch, wie ich bin, Schatz.«

»Ja, ich weiß«, murmle ich. »Du musst dir wirklich keine Sorgen machen, wenn ich mit Alice unterwegs bin.«

»Natürlich nicht.«

Ich schenke ihr noch ein Lächeln, das sie erwidert, aber wirklich überzeugt ist sie nicht.

***

Ich setze mich auf einen freien Platz im Hörsaal und packe meine Sachen aus: Notizbuch, Stifte, MacBook und meine Wasserflasche. Alles lege ich fein säuberlich auf dem kleinen Tisch vor mir ab. Die Sitzreihen sind viel zu eng und der Platz auf den Tischen lässt auch zu wünschen übrig. Ich bevorzuge die Seminarräume um ein Vielfaches, denn dort gibt es normale Tische mit normalen Stühlen.

»Hey.« Alice lässt sich auf den Stuhl neben mir fallen und packt ihre Sachen ebenfalls aus. »Alles klar?«

»Sicher«, erwidere ich. »Und bei dir?«

»Natürlich«, sagt sie. »Bist du heute Nachmittag beim Training dabei?«

»Habe ich dir doch gesagt«, erwidere ich. »Worüber genau schreibst du deinen Artikel?«

»Dies und das …«. Sie zuckt unmotiviert mit den Schultern. »Ich denke, einen Vorbericht für das nächste Spiel.«

»Das klingt doch … spannend?« Nein, das tut es nicht.

Alice weiß auch, dass es nicht spannend klingt. Darum wirft sie mir jetzt einen wissenden Blick zu: »Na gut. Es klingt nicht spannend, aber was ist schon spannend? Du weißt, dass ich diesen Job nur wegen Alex angenommen habe.«

Ich rolle mit den Augen. Alex Fitzgerald ist seit ein paar Wochen ihr neuer Lover. Als ihren festen Freund kann ich den Footballspieler nicht bezeichnen. Sie gehen lediglich miteinander ins Bett. Er ist Running Back bei den Bay Rouge Lions und im letzten Semester. Im Frühjahr wird er das College verlassen – und beten wir alle, dass ein Football-Club ihn nimmt und er dort sein Geld verdienen kann.

»Dann arbeitest du wohl nicht mehr lange für die Collegezeitschrift.«

»Hey.« Alice stößt mich an. »Sei nicht so, Tay! Du könntest dir auch einen Spieler klarmachen.«

»Auf gar keinen Fall«, erwidere ich lachend.

»Stimmt auch wieder …«. Sie zuckt mit den Schultern. »Dein Leben wird besser überwacht als das des Präsidenten. Stell dir vor, der will in dein Höschen und deine Eltern können dich orten … Gruselig!«

Ich verdrehe die Augen, aber im Grunde hat Alice nicht unrecht. Durch die Überwachung, die meine Eltern betreiben, ist es nicht leicht, Kerle zu halten. Es nervt sie, dass meine Eltern immer genau wissen, wo wir sind, oder vorher erfragen, wohin wir gehen. Dann bitten sie darum, den Ort nicht unplanmäßig zu wechseln. Mein Ex-Freund Jasper und ich haben uns letztes Jahr getrennt. Es ging freundschaftlich über die Bühne und wir verstehen uns immer noch gut, aber auch ihm war das Verhalten meiner Eltern ein Dorn im Auge.

»Würdest du dich nicht immer darüber lustig machen?«, frage ich. »Das ist nicht nett.«

»Nein.« Sie nickt. »Aber es ist die Wahrheit. Du wirst zwanzig.«

»Auch das weiß ich.«

»Gut«, meint Alice. »Ich wollte nur sichergehen, dass …«.

»Guten Morgen«, hallt die Stimme unseres Dozenten Professor Derksen durch den Hörsaal. »Ich hoffe, Sie sind alle physisch und psychisch in meiner Vorlesung angekommen und der Restalkohol des Wochenendes hat Ihre Körper verlassen.«

Ein Lachen geht durch die Reihen.

»Heute beschäftigen wir uns mit der Lehre des deutschen Soziologen Niklas Luhmann. Hat schon einmal jemand von ihm gehört?« Allgemeines Kopfschütteln. »Gut, denn nach dieser Stunde werden Sie …«.

Krachend fällt eine der großen Hörsaaltüren ins Schloss und alle Studenten drehen den Kopf herum. Wie sollte es anders sein schlendert Zack Wilson, Quarterback der Bay Rouge Lions, die Treppenstufen herunter, um sich zu seinen Kumpels in der Mitte des Hörsaals zu setzen. Nicht nur, dass er das gesamte Auditorium stört und die Vorlesung von Professor Derksen unterbricht. Zack beansprucht auch noch den Platz in der Mitte der Reihe, sodass fünfundzwanzig Kommilitonen aufstehen müssen.

»So ein Idiot«, flüstere ich Alice zu. »Wieso kommt er nicht pünktlich?«

»Er hatte Training, weil er beim letzten Spiel nicht seine Bestleistung gezeigt hat.«

»Du verteidigst ihn?« Fassungslos sehe ich sie an.

»Ja. Er ist der Star.«

»Aha.« Ich nicke ihr zu und richte meinen Blick wieder auf Zack, der es endlich geschafft hat, sich zu setzen. Aber nicht, bevor er eine theatralische Begrüßungsrunde mit seinen Freunden zelebriert hat.

»Mr. Wilson.« Professor Derksen ist angespannt. »Sie sind zu spät.« Er ruft etwas auf seinem iPad auf. »Das dritte Mal in der fünften Vorlesung. Haben Sie etwas zu Ihrer Verteidigung zu sagen.«

»Das Wasser in der Dusche wurde zu langsam warm.«

Natürlich hat Zack mit dieser Aussage die Lacher auf seiner Seite. Professor Derksen hebt die Hand, sodass alle verstummen.

»Mr. Wilson«, meint er. »Ich möchte Sie bitten, nach der Vorlesung zu mir nach vorn zu kommen.«

»Okay«, antwortet Zack unbeeindruckt.

»Prima«, murrt der Dozent. »Kommen wir zurück zu Niklas Luhmann.«

Ich versuche, mich auf die Worte von Professor Derksen zu konzentrieren, aber meine Gedanken wandern immer wieder zu Zack. Das ärgert mich. Er denkt sicherlich nicht an mich. Vermutlich weiß er nicht mal, dass ich existiere und einen Namen habe. Warum auch? Er ist der Star des Colleges. Als Starting-Quarterback auch innerhalb seiner Mannschaft. Wie kann ihm der Rest des Campus’ nicht zu Füßen liegen? Er spielt verdammt gut Football!

Zack und seine Brüder Trevor und Cole sind die sportlichen Aushängeschilder des Bay Rouge Colleges. Mittlerweile sind sie im zweiten Jahr, haben noch ein Jahr vor sich und werden dann zum NFL Draft gehen, um in die höchste Football-Liga der Welt zu gelangen.

Mit seinen kurzen blonden Haaren, den blaugrauen Augen und seinem einnehmenden Wesen ist Zack nicht umsonst ein absoluter Frauenschwarm. Außerdem soll er Charaktereigenschaften wie Cleverness und Humor besitzen. Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen. Mehr als ein ‹Hallo› und ‹Tschüss› in Gegenwart von Alice und Alex habe ich noch nie mit ihm gewechselt.

Das Besondere an den Wilson-Brüdern ist, dass sie Drillinge sind. Das muss man sich mal vorstellen! Ein Kind empfinde ich schon als eine Herausforderung, aber drei auf einmal? Wirklich hart für ihre Mutter! Zack und Trevor sind eineiige Zwillinge. Man kann sie auch nur unterscheiden, weil Trevor einen Bart trägt und Zack nicht. Cole dagegen hat dunkle Haare und Augen …

»Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.«

Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch, die sich eineinhalb Stunden darum gedreht haben, welchen Charakter Zack Wilson und seine Brüder wohl besitzen. Das kann doch nicht wahr sein! Meine Notizen bestehen aus dem Namen des Theoretikers, über den ich gar nichts weiß, und dem heutigen Datum. Große Klasse!

Genervt klappe ich mein MacBook zu.

»Das war langweilig«, meint Alice.

»Hm.«

»Du hast überhaupt nicht zugehört, oder?« Amüsiert funkelt sie mich an.

»Doch … Sicher«, rede ich mich aus. »Ich kann schließlich auch mal etwas langweilig finden.«

»Stimmt«, meint Alice. »Was bereitest du bis nächste Woche vor?«

»Hä?« Hitze steigt in mir auf und ich sehe Alice mit großen Augen an. Es gab eine Aufgabe für zu Hause und ich habe sie nicht mitbekommen! Das ist mir noch nie passiert.

»Wir sollen Zweiergruppen bilden und Luhmanns Theorie an verschiedenen Beispielen verschriftlichen. Bis zum Semesterende jede Woche eine Ausarbeitung …«.

»Oh!«

»… und diese werden per Zufallslos vorgetragen«, vollendet meine beste Freundin die Aufgabenstellung.

»Ich habe wohl doch nicht zugehört«, räume ich ein. »Welche nehmen wir?«

»Tay, es gibt nur eine Systemtheorie, die wir unter verschiedenen Aspekten analysieren müssen.«

»Oh … Ach ja.« Verlegen sehe ich sie an. »Tut mir leid.«

»Wo warst du denn mit deinen Gedanken?«, schimpft sie, als wir aufstehen und unsere Sachen packen. Nach und nach leert sich der Hörsaal.

»Nicht bei Luhmann«, erwidere ich grinsend.

»Das habe ich …«.

»Ms. Smith!«, ruft Professor Derksen und ich habe für eine Sekunde die Hoffnung, dass es hier noch eine andere Ms. Smith gibt, aber dem ist nicht so.

»Ja?«, erwidere ich zögerlich und hebe die Hand. »Ich bin hier.«

»Bitte kommen Sie zu mir vor.«

Ich soll …? Wieso das denn? Ja, ich habe nicht zugehört heute und ja, das tut man nicht, aber ich musste noch nie zu einem Dozenten nach vorne kommen nach einer Vorlesung. Panisch sehe ich Alice an. Meine beste Freundin zuckt mit den Schultern.

»Hals- und Beinbruch«, kichert sie und verschwindet aus dem Hörsaal.

Schöne Scheiße.

Ich schultere meine Tasche und gehe die Stufen hinunter bis zu Professor Derksen. Als ich einen Blick durch den Hörsaal werfe, fällt mir auf, dass bis auf Zack und mich alle Studenten gegangen sind. Er lehnt in einiger Entfernung gelangweilt an der Sitzlehne eines Stuhls und spielt auf seinem iPhone herum. Ich wäre gern auch so gechillt und mir wäre alles egal, was passiert. Wenn ich solch ein sportliches Talent hätte wie er und mir eine Millionen-Dollar-Zukunft bevorstünde, solange ich mich nicht verletzte, wäre ich vermutlich ebenso gelassen.

»Hier bin ich«, sage ich zuversichtlich zu Professor Derksen.

»Sehr schön, Ms. Smith«, meint er und lächelt mich an. »Ich habe eine Bitte oder vielmehr ein Anliegen.«

»Ach … ja?« Das klingt schon mal nicht nach einer Maßregelung.

»Ihr Kommilitone Mr. Wilson …«, er zeigt auf Zack, der nicht mal mit der Wimper zuckt, als er seinen Namen nennt, »… hat ein paar Probleme in seinen Kursen.«

»Aha.«

»Genauer gesagt so enorme Probleme, dass ich es melden muss.«

»Oh.«

»Ms. Smith … Sie sind meine beste und zuverlässigste Studentin.«

»Da … danke, Professor Derksen.«

»Und ich möchte Sie bitten, Mr. Wilson dieses Semester als Ihren Projektpartner zu nehmen.«

Mir fällt alles aus dem Gesicht, mein Mund öffnet sich, um etwas zu sagen, aber schlussendlich kommt kein Ton hervor. Ich soll mit Zack Wilson Projektarbeit leisten über das gesamte Semester? Ich meine, bis Februar? Das ist ein Ding der Unmöglichkeit.

»Natürlich müssen Sie das nicht umsonst tun, Ms. Smith«, bietet Professor Derksen mir sofort an.

»Nicht … umsonst?«, hake ich nach und ziehe skeptisch die Augenbrauen zusammen.

»Ich weiß, dass ich viel von Ihnen verlange, aber ich biete Ihnen auch etwas.«

»Und … Und was?«, stammle ich.

»Wie Sie wissen, pflegen wir seit Jahrzehnten eine Austauschpartnerschaft mit der Oxford University in England.«

Natürlich weiß ich das. Eine der renommiertesten und ältesten Universitäten Englands. Es ist mein Traum, eines Tages dort zu studieren.

»Ja?«, frage ich und trete nervös von einem Fuß auf den anderen.

»Ich schlage Sie für das nächste Wintersemester vor und verfasse das nötige Empfehlungsschreiben, ohne dass sie dafür eine zusätzliche Leistung abliefern müssen …«, bietet er mir an, »… wenn Sie Wilson auf Kurs bringen.«

Ich öffne den Mund und schließe ihn wieder. Es wäre unglaublich, wenn er das tun würde. Meine Noten sind gut, sehr gut sogar, aber die Empfehlung von einem Dozenten fehlt mir noch, um zum Bewerbungsverfahren zugelassen zu werden. Professor Derksens Angebot klingt wie der Himmel auf Erden.

»Bis Februar?«, frage ich nach dem Zeitplan, um zu wissen, wie lange ich Zack an der Backe haben werde.

»Wilson muss das Semester mindestens mit einer Drei abschließen oder besser.«

»Das kriege ich hin«, antworte ich zuversichtlich, obwohl ich keine Ahnung habe, wie ich einem ignoranten Footballspieler, der nichts anderes als seinen Sport im Kopf hat, beibringen soll, dass er mit mir lernen muss.

»Dann haben wir einen Deal, Ms. Smith?«

Er hält mir die Hand hin und ich schlage, ohne zu zögern, ein.

2. Kapitel – Zack

Es gibt Dinge in meinem Leben, die sind mir egal. Dazu gehört auch diese todlangweilige Vorlesung von Professor Derksen, die ich nur besuche, weil in Pflichtveranstaltungen Fehltage gezählt werden. Ich habe keine Ahnung, worum es hier geht und was mir das für meinen Lebensweg bringen soll. Noch dazu ist der Dozent so unglaublich langweilig, dass ich jedes Mal fast einschlafe. Obwohl: Ein Nickerchen nach einem anstrengenden Frühtraining am Montagmorgen ist ja nicht verkehrt. Mal ehrlich: Ich gehe zum College, weil es nun mal der Weg ist, um in die NFL zu kommen. Nichts anderes ist seit der Junior-High mein Ziel. Ich will in die beste Football-Liga der Welt. Was interessiert mich eine blöde Vorlesung über einen saulangweiligen deutschen Theoretiker, wenn ich auf dem Platz stehen kann und Bälle werfe? Glaubt irgendwer, dass ich kurz vor dem Snap noch mal über diese Theorien nachdenke? Das ist totaler Bullshit und ich weiß auch nicht, wie ich so blöd sein konnte, mich von Trevor überreden zu lassen, eine Vorlesung Montagmorgen um zehn zu belegen. Dass Derksen mich sprechen möchte, ist nun mal so, aber Coach Peters wird schon nicht zulassen, dass mir jemand ans Bein pisst und meine Noten wirklich ein Thema werden.

Ich bin Zack Wilson, der Quarterback der Bay Rouge Lions und der fucking Superstar dieser Institution.

Ich werfe einen Blick auf Professor Derksen und die junge Frau, die bei ihm steht. Ich habe sie schon ein paar Mal beim Training auf der Tribüne sitzen sehen. Ihre Freundin Alice ist die aktuelle Flamme von unserem Running Back Alex Fitzgerald. Sie begleitet sie oft. Allerdings kann ich mich nicht an ihren Namen erinnern. Oder doch … Tony heißt sie. Ihre Mutter ist Dr. Smith. Sie lehrt Jura. Tony ist hübsch. Ihre langen braunen Haare fallen in weichen Wellen über ihren Rücken. Sie ist kaum geschminkt, was ihre Natürlichkeit unterstreicht. Auch das hellblaue Kleid, das sie trägt, ist süß. Aber süß ist nicht unbedingt das, worauf ich stehe. Vielmehr auf heiß und sexy.

Tony ist nicht gerade heiß und sexy.

Sie unterhält sich angetan mit Professor Derksen. Zwischendurch werden ihre Augen groß und sie lächelt breit. Dann plötzlich schlägt sie bei ihm ein und schüttelt seine Hand. Na endlich, das ist hoffentlich das Ende ihres Gesprächs und ich kann mit ihm reden. Ich habe heute echt noch mehr vor!

»Mr. Wilson«, ruft er nach mir. »Bitte kommen Sie zu uns.«

Hat er … uns gesagt? Uns wie … er und Tony? Offenbar, denn sie bleibt weiterhin neben ihm stehen. Die Lippen zusammengepresst starrt sie mich an. Ich nehme zwei Stufen auf einmal, sodass ich binnen weniger Sekunden vor ihnen ankomme.

»Sie wollten mit mir sprechen, Professor Derksen?«, frage ich.

»Das wollte ich«, nickt er. »Sie beiden sind einander bekannt?«

»Wir …«, eröffnet Tony das Gespräch, aber ich würge sie sofort ab. Mir fehlt die Zeit für eine schmachtende Studentin.

»Wir kennen uns flüchtig«, antworte ich und ein Grinsen erscheint auf dem Gesicht des Professors.

»Wunderbar«, meint er. »Ms. Smith wird dieses Semester Ihre Projektpartnerin sein, Mr. Wilson.«

Ich schaue Derksen einen Moment an und warte darauf, dass er lacht, aber das tut er nicht. Seine Miene ist bitterernst. Schnell schaue ich noch einmal zu Tony in der Hoffnung, dass sie die Situation auflöst, aber ihre Lippen sind weiterhin verschlossen.

»Sie soll meine …«, ich suche nach den richtigen Worten, »… Projektpartnerin sein für das Semester?«

»Ganz genau.« Stolz sieht er mich an.

»Und wie soll das funktionieren?«, frage ich. »Ich arbeite mit Trevor zusammen.« Ich will keine neue Projektpartnerin. Mein Bruder und ich arbeiten immer zusammen. Schon seit Kindertagen sind wir ein Team.

»Dieses Semester nicht, Mr. Wilson«, entscheidet Professor Derksen. »Wer ist Ihre Partnerin, Ms. Smith?«

»Alice Westwood.«

»Ms. Westwood arbeitet mit Mr. Wilson zusammen … dem anderen Mr. Wilson.«

Zumindest diese Nachricht lässt Tony nach Luft schnappen. Das wurde aber auch mal Zeit, dass sie eine Reaktion zeigt. Das ist doch das größte Schmierentheater aller Zeiten!

»Aber …«, protestiere ich, doch der Dozent fällt mir sofort ins Wort.

»Es ist bereits entschieden, Mr. Wilson«, sagt er. »Ms. Smith wird sie ausgezeichnet durch das Semester bringen und …«.

»Das ist mir völlig egal«, unterbreche ich ihn. »Ich arbeite mit meinem Bruder zusammen. Wie stellen Sie sich das eigentlich vor bei unserem straffen Zeitplan?«

Tony schnappt nach Luft, als wäre sie tatsächlich überrascht, welchen Ton ich an den Tag lege. Leider zwingt mich Derksen aber dazu. Sein Vorschlag ist komplett bescheuert und dermaßen wenig durchdacht, dass ich glaube, ich drehe gleich durch. Mein ganzes Leben am College ist nach dem Trainingsplan und den Spielen ausgerichtet. Trevor hat denselben Plan. Das funktioniert perfekt so. Wieso will Derksen plötzlich, dass ich mit Tony zusammenarbeite? Ja, ich bin nicht gut in seinem Kurs und ja, ich komme immer mal zu spät. Das ist aber noch lange kein Grund, mich so auszubooten.

»Die Frage ist nicht, wie ich mir das vorstelle, Mr. Wilson«, erwidert er. »Die Frage ist, wie Sie sich Ihre Zukunft vorstellen, wenn ich gezwungen bin, Ihre unterirdischen Leistungen in meinem Kurs zu melden.«

Die Regeln am College besagen, dass, wenn die Noten der Sportler nicht stimmen, die Dozenten dies melden müssen. Aber bisher dachte ich immer, das kommt in der Praxis nicht mehr vor. Außerdem wird niemand so saublöd sein, mich vom Training und den Spielen zu suspendieren. Ich bin der Star der Mannschaft.

»Das können Sie nicht machen«, verteidige ich mich wenig eloquent, was auch Tony auffällt, denn sie rollt mit den Augen.

»Ich sage es noch einmal«, meint Professor Derksen, »es geht nicht darum, was ich machen kann, sondern, was ich machen muss. Ich muss Sie melden, weil ich sonst meinen eigenen Job und Ruf gefährde.«

»Hm.« Ich stemme die Hände in die Hüften. »Und der Deal ist, dass ich mit Tony zusammenarbeiten muss?«

»Wer ist denn Tony?«, fragt sie plötzlich und sieht mich scharf an.

»Na du, wer sonst?«, entgegne ich genervt.

»Mein Name ist nicht Tony«, berichtigt sie mich.

»Wie auch immer …«. Ich blende sie aus und sehe wieder Derksen an. »Ich muss mit Tony oder … wie auch immer sie heißt, dieses Semester zusammenarbeiten und im Gegenzug verpfeifen Sie mich nicht?«

»Wenn Sie es so zusammenfassen wollen … Ja.«

Sein genervtes Augenrollen entgeht mir nicht.

»Okay«, sage ich. »Dann machen wir das so. Kann ich gehen?«

Professor Derksen sieht mich überrascht an, dass ich nicht noch weiter diskutieren will.

»Natürlich«, meint er. »Sie beide sollten Telefonnummern austauschen und sich auf nächste Woche vorbereiten. Sie werden die erste Ausarbeitung vortragen.«

»Okay«, stimme ich auch diesmal zu. Bloß weg hier. »Bis nächste Woche.«

Dann drehe ich mich um und lasse Tony stehen. Es ist mir echt scheißegal, was sie bis nächste Woche auf die Beine stellt. Ich bin anwesend, lausche ihren klugen Worten und bekomme mein Fleißsternchen. Ich jogge die Stufen des Hörsaals nach oben, als ich eine helle Stimme hinter mir vernehme.

»Zack!«, ruft sie. »Warte bitte.«

Ich bleibe stehen und drehe mich herum. Tony holt schwer atmend zu mir auf und sieht mich genervt an.

»Wir sollten Nummern tauschen und … uns verabreden für morgen oder übermorgen.«

»Ich habe keine Zeit«, sage ich und gehe weiter.

»Wie meinst du das?«, will sie wissen. »Jetzt bleib gefälligst stehen!«

Ihre Stimme ist überraschend laut und ausdrucksvoll, sodass ich tatsächlich anhalte.

»Danke«, sagt sie und sucht meinen Blick. »Ich kann verstehen, dass du keine Lust darauf hast, mit mir zusammenzuarbeiten. Ich kann mir auch Schöneres vorstellen, aber wir haben keine andere Wahl.«

»Hör zu«, entgegne ich und checke noch mal, ob Derksen den Hörsaal verlassen hat. »Wie ich bereits sagte, ist meine Zeit sehr begrenzt. Ich muss viel trainieren und darf sie nicht für so was Unsinniges wie eine Projektarbeit verschwenden.«

»Aber …«.

»Wie wäre es, wenn du alles vorbereitest, mir am Sonntagabend ein Skript mailst, und dann wird das ein Selbstläufer. An meine Mailadresse des Colleges Z Punkt Wilson @ BR minus College Punkt com.«

»Du nimmst mich auf den Arm, oder?«, fragt sie nun. »Das ist eine Partnerarbeit, Zack. Du musst aktiv mitmachen, sonst bist du am Arsch.«

»Bin ich nicht.«

»Bist du wohl«, erwidert sie energisch. »Hast du Professor Derksen nicht zugehört?«

»Doch, habe ich.« Grinsend sehe ich sie an. »Er sagte, dass wir Montag etwas vortragen müssen. Wie das entstehen soll, hat er nicht gesagt.«

»Gott!« Sie wirft den Kopf in den Nacken. »Womit habe ich das nur verdient?«

»Du hättest ablehnen können«, schlage ich vor und ihr Kopf schießt nach oben. Ihre Augen funkeln mich wütend an und ich muss zugeben, dass das tatsächlich sexy auf mich wirkt. Sehr sexy sogar.

»Das glaubst du doch selbst nicht, oder?« Sie schüttelt den Kopf. »Was frage ich dich eigentlich? Du glaubst ja, dass du mit dem Verhalten weiterhin durchkommst.«

»Tony …«, sage ich.

»Wer, zur Hölle, ist Tony?«, keift sie mich an.

»Na du.«

»Mein Name ist nicht Tony, das wollte ich dir eben schon erklären«, zischt sie. »Aber weißt du, was? Mach, was du willst. Ich brauche diesen Kurs nicht, um das Semester zu bestehen. Wahrscheinlich lasse ich ihn am Ende auch komplett streichen, sodass er mir meinen Notendurchschnitt nicht versaut. Für dich geht es um alles, aber das scheinst du nicht zu kapieren, solange es nichts mit einem eiförmigen Ball zu tun hat.«

Dann rempelt sie mich, aber so richtig, an der Schulter an und verlässt den Hörsaal, dessen Tür sie noch hinter sich zuknallt.

Tony ist heiß, wenn sie sauer ist.

***

Cole hat sich auch Stunden später in unserem Stammdiner noch nicht eingekriegt, dass Professor Derksen mir Tony als Wachhund an die Seite gestellt hat.

»Und dann auch noch die Tochter von Dr. Smith«, freut er sich erneut. »Du sitzt echt in der Scheiße!«

»Ich sitze nicht …«, wiederhole ich mich und schüttle den Kopf. »Ich habe Tony klargemacht, dass ich keine Zeit habe.«

Meine Brüder tauschen einen Blick.

»Und was hat sie geantwortet?«

»Nach anfänglichem Motzen hat sie eingesehen, dass sie das allein stemmen muss und mir nur das Skript mailt mit den Passagen, die ich vortrage.«

»Du verarschst uns?«, fragt Trevor. »Das wird sie niemals machen.«

»Wenn ich es euch doch sage«, erwidere ich und sehe meine Brüder an.

»Wie genau hat sie sich ausgedrückt?«, fragt Trevor.

»Sie hat gemeint, dass ich machen soll, was ich will und sie diesen Kurs am Ende nicht nötig hat.«

»Ah …«, machen meine Brüder im Chor.

»Was ist denn jetzt wieder?« Genervt lehne ich mich zurück und beiße in meinen kalorienarmen Burger, der wie Pappe schmeckt, wohlgemerkt.

»Warum sollte sie das tun?«, mischt Cole sich wieder ein. »Du hast sie nicht wirklich auf deiner Seite, Zack. Und wie sie selbst festgestellt hat, sie hat die Note nicht nötig. Sie könnte dich bei Derksen anschwärzen und dann …«.

»Das traut sie sich nicht«, zische ich. »Dafür wird sie diesen Kurs viel zu sehr mit Eins bestehen wollen. Im Grunde bin ich nur Ballast für ihre Note. Da es eine Partnerarbeit ist, werden wir auch als Partner bewertet.«

»Nein«, entgegnet Trevor.

Mein Kopf fährt herum und mein Puls beschleunigt sich. Hat er gerade ‹Nein› gesagt? Schweiß bricht auf meiner Stirn aus und ich sehe meinen Bruder entgeistert an.

»Wie … Nein?«, erwidere ich.

»Wenn du Derksen mal fünf Minuten zugehört hättest, als es wichtig war, und nicht gepennt hättest oder ein Fick-Date mit Chelsea ausgemacht …«.

Ich rolle mit den Augen.

»… wüsstest du, dass wir zwar Partnerarbeit machen, aber die Beteiligten unterschiedlich bewertet werden.«

»Das …«, ich suche nach den passenden Worten, »… ist richtig scheiße.«

Cole grinst dreckig und steckt sich eine Pommes in den Mund. Trevors Blick ist auch nicht besser. Panik macht sich in mir breit. Tony wird das alles wissen und genau deswegen auch ihren Teil der Arbeit sauber erledigen. So eine verdammte Scheiße, das kann doch wohl nicht wahr sein! Und ich Idiot habe nicht mal ihre Nummer, um sie anzurufen und zu klären, wann wir uns treffen!

»Was mache ich denn jetzt?«, frage ich angsterfüllt und sehe zwischen Trevor und Cole hin und her.

»Na ja …«. Trevor schmunzelt. »Zunächst einmal solltest du ihren Namen lernen.«

Cole lacht schadenfroh und isst genüsslich weiter. Genervt ziehe ich ihm die Pommes weg. »Hör auf zu essen und hilf mir«, fordere ich ihn auf. »Und was ist denn mit ihrem Namen?«

»Sie heißt nicht Tony«, verkündet Trevor.

Dunkel erinnere ich mich daran, dass sie mir etwas Ähnliches heute Morgen auch gesagt hat. »Ach, und wie heißt sie?«, frage ich.

»Ihr Name ist Taylor«, korrigiert Trevor mich. »Was du auch wüsstest, wenn du zuhören würdest, Zack.«

»Sie hat mir ihren Namen nicht genannt«, entgegne ich patzig.

»Es ist egal, wie sie heißt«, bekräftigt Cole. »Taylor, Tony, Tania. Das Problem ist, dass du keine Adresse von ihr hast, keine Nummer und auch keine anderen Kontaktdaten.«

»Hm«, stelle ich fest und verschränke die Arme vor der Brust.

»Man könnte manchmal meinen, dass du der Jüngste von uns dreien bist«, stöhnt Trevor genervt. »Jetzt hör auf, dich wie ein Kind zu verhalten, und überleg dir was, Zack. Deine Karriere steht hier vielleicht auf der Kippe und es geht mir gerade echt auf die Nerven, dass ich mit dir rede, als lägen zwischen uns sechs Jahre und nicht sechs Minuten.«

Betreten sehe ich meinen Bruder an und nicke. Sie haben doch recht, beide. Ich muss mit Tony – ich meine Taylor – reden und mich bei ihr entschuldigen.

Dann muss ich sie überzeugen, dass ich mit möglichst wenig Aufwand eine möglichst gute Note bekomme.

3. Kapitel – Taylor

Den verbliebenen Tag rege ich mich über Zacks Verhalten auf.

Wie unverschämt kann eine einzige Person sein? Nicht nur, dass er glaubt, dass ich allein den aktiven Teil in einer Partnerarbeit übernehme, er kennt nicht mal meinen Namen und nennt mich Tony. Immerhin ist das ein Name mit T und Tony und Taylor haben wenigstens ein bisschen Ähnlichkeit. Aber trotzdem ist es unverschämt.

Er muss doch wissen, dass es seine letzte Chance bedeutet, wenn Professor Derksen mich beauftragt, seine Projektpartnerin für dieses Semester zu sein. Für ihn steht nicht nur die Abschlussnote für dieses Modul auf dem Spiel, sondern vielleicht auch seine komplette berufliche Zukunft. Mr. Wilson fühlt sich seiner Sache so sicher, weil für ihn noch nie etwas Konsequenzen hatte.

Egal, wie lange ich mich über ihn aufrege, das ändert nichts daran, dass ich die Vorlesung von heute Morgen auch nacharbeiten muss. Alice hat mir ihre Notizen gegeben, die ich mir inzwischen abgeschrieben habe. Jetzt überlege ich mir, wie ich die Theorie von Luhmann an einem Beispiel festmache. Dazu gab es zum Download Texte von Professor Derksen. Ich habe zu Zack gesagt, dass ich auf die Note in der Vorlesung scheiße und sie von meinem Notenspiegel streichen lasse, aber die Wahrheit ist, dass ich das nicht mit mir vereinbaren kann. Zack darf das jedoch nicht erfahren. Ich will ihn schmoren lassen, auch wenn er wahrscheinlich nicht schmoren wird. Ihm ist es egal, dass seine gesamte Zukunft auf der Kippe steht.

Ich rufe in meinem Browser die Internetseite des Colleges auf, und melde mich mit meinen Log-in-Daten an. Auf meiner Startseite wird mir neben meinem Stundenplan für diese Woche auch mein Postfach angezeigt. Alice wollte mir noch weitere Mitschriften schicken.

Neben der Mail von Alice habe ich auch eine von Zack. Ich schließe die Augen, weil ich es nicht glauben kann, und öffne sie wieder. Doch die Mail bleibt in meinem Postfach.

Was will er denn jetzt von mir? Hoffentlich reumütig zu Kreuze kriechen und mich um Verzeihung bitten. Vor allem, weil er mich Tony genannt hat. Was ist das für ein Name? Wie kommt er darauf?

Mutig öffne ich die Mail:

 

Von: Zachary Wilson (z.wilson@br-college.com)

An: Taylor Smith (t.smith@br-college.com)

Betreff: Partner?

Hallo Taylor,

zuerst einmal entschuldige bitte, dass ich dich Tony genannt habe. Ich war mir sicher, dass dies dein Name ist. Das kommt nicht wieder vor.

Können wir uns morgen Mittag gegen halb eins in der Bibliothek auf dem neuen Campus treffen? Ich habe danach noch Training, das würde mir einen Weg ersparen und wir haben mehr Zeit.

Zack

 

Ich lese die Mail dreimal, um zu begreifen, dass er sich bei mir entschuldigt für den falschen Namen und dieses Semester mein Projektpartner bleiben will. Wobei er nur schreibt, dass er mich treffen möchte. Davon, dass er aktiv etwas beiträgt, ist nicht die Rede. Das wäre auch zu viel verlangt.

 

Von: Taylor Smith(t.smith@br-college.com)

An: Zachary Wilson (z.wilson@br-college.com)

Betreff: AW: Partner?

Hallo Zack,

Wir können uns morgen treffen.

Taylor

 

Ohne weiter auf seine Entschuldigung einzugehen, schicke ich die Mail ab.

Dann öffne ich die Mail von Alice und lade mir die fehlenden Unterlagen herunter, die sie mir noch geschickt hat, um eine Zusammenfassung zu schreiben, sodass ich morgen bei dem Treffen mit Zack zumindest ein bisschen vorbereitet bin. Zu meiner Überraschung ploppt das E-Mail-Postfach wieder auf und zeigt mir an, dass ich eine neue Mail bekommen habe.

Wieder von Zack.

Mein Puls beschleunigt sich und ich öffne sie:

 

Von: Zachary Wilson (z.wilson@br-college.com)

An: Taylor Smith (t.smith@br-college.com)

Betreff: AW: AW: Partner?

Hallo,

super, ich bin da.

Im Anhang schicke ich dir die Unterlagen von meinem Bruder. Du kannst sie mit deinen vergleichen. Vielleicht findest du schon einen Ansatz. Ich habe diesmal nicht mitgeschrieben.

Meine Nummer: +1 888 987654

Zack

 

Ich öffne den Anhang der Mail und schaue mir Trevors Aufzeichnungen an. Sie decken sich mit denen, die Alice hatte. Das bedeutet aber auch, dass sie mich nicht weiterbringen. Ich antworte Zack erneut auf seine Mail.

 

Von: Taylor Smith(t.smith@br-college.com)

An: Zachary Wilson (z.wilson@br-college.com)

Betreff: Danke

Hallo,

Danke für deine Nummer und die Unterlagen. Ich habe noch keine Idee, aber wir überlegen uns morgen zusammen etwas.

Taylor

 

Ich sende die Mail ab und greife nach meinem iPhone.

Taylor: Zack hat mir eine Mail geschrieben und sich entschuldigt. Wir treffen uns morgen!!!

Alice: OMG!!!

Alice: Kopiere mir die Mail!!!

Ich rolle mit den Augen, weil das typisch Alice ist, und öffne die College-App auf meinem iPhone, um Zacks Mail dort aufzurufen. Ich kopiere den Text und schicke ihn meiner besten Freundin. Witzig finde ich, dass der Server des Colleges so sicher ist, dass er nicht mal einen Kopierschutz im Mailprogramm besitzt.

Alice: Ich kann nicht glauben, dass er sich entschuldigt, Tony ????

Taylor: Ich auch nicht

Alice: Vielleicht bin ich morgen auch zufällig in der Bibliothek, wenn ihr euch trefft. Das wird heiß …

Taylor: Wir machen eine Projektarbeit!

Alice: Egal! Hat er noch mehr geschrieben?

Taylor: Er hat mir seine Nummer gegeben für eine bessere Absprache.

Alice: Du hast Zacks Handynummer? OMG!!!

Taylor: Du spinnst. Zack ist nur nett zu mir, weil er endlich kapiert hat, dass ich seine einzige Chance bin, das Semester zu schaffen.

Alice: Hast du ihn schon angeschrieben?

Taylor: Natürlich nicht und das werde ich auch nicht.

Alice: Wieso?

Taylor: Das vertiefen wir nicht weiter …

Ich lege mein iPhone beiseite und schaue wieder auf meinen MacBook-Bildschirm, der mir erneut eine Mail anzeigt. Sie muss von Zack sein. Ich öffne den Posteingang und ja, sie ist von ihm:

Von: Zachary Wilson (z.wilson@br-college.com)

An: Taylor Smith (t.smith@br-college.com)

Betreff: AW: Danke

Schreib mir bitte mal. Dann habe ich deine Nummer auch.

Zack

Mein Herzschlag beschleunigt sich und ich scrolle nach oben zu der Nachricht, in der seine Nummer steht. Dann greife nach meinem iPhone und speichere sie mir ein. Den rasenden Herzschlag ignorierend öffne ich seinen Chat in meinen Nachrichten und tippe.

Hallo

Etwas mehr Informationen hätte ich ihm geben können, aber etwas in mir sträubt sich noch immer dagegen. Noch dazu wird ihm klar sein, dass das meine Nummer ist.

Zack: Tony?

Ich verdrehe die Augen.

Taylor: Ich dachte, du wüsstest, dass das nicht mein Name ist.

Zack: Sieh es als Spitznamen.

Taylor: Tony ist doch kein Spitzname für Taylor.

Zack: Klar.

Taylor: Du spinnst.

Zack: Was muss ich morgen mitbringen?

Er wechselt einfach so das Thema, ohne darauf einzugehen, dass ich weder mit Vornamen noch als Spitzname von ihm ‹Tony› genannt werden möchte. Der Kerl ist so unverschämt!

Taylor: Deinen Laptop oder Tablet, deine Notizen, Stift und Zettel.

Zack: Okay. Hast du schon eine Idee?

Taylor: Nein.

Zack: Das ist schlecht, weil wir schneller fertig sind, wenn du eine hast.

Sagte ich bereits, dass er unverschämt ist?

Ich glaube schon, ja. Ich mache das nicht unter der Voraussetzung, dass er nur physisch anwesend ist, um am Ende nicht von Professor Derksen angeschwärzt zu werden.

Taylor: Noch mal für dich zum Mitschreiben: Ich mache das nicht allein, Zack. Wir sind ein Team. Als Footballer solltest du wissen, wie wichtig Teamwork ist, wenn man gemeinsam in die Endzone will. Der Touchdown wird deine Note sein.

Zack: Wie philosophisch. Magst du Football?

Taylor: Was glaubst du denn?

Ich lehne mich zurück und habe allmählich Spaß an der Unterhaltung.

Zack: Du weißt, was ein Touchdown sowie dass es ein Teamsport ist und die Endzone kennst du auch. Das ist doch schon recht viel.

Taylor: Glaubst du, ich mag Football nicht?

Zack: Ich habe dich noch nie bei einem Spiel gesehen. Darum dachte ich, dass es dich nicht interessiert.

Taylor: Hättest du mich überhaupt wahrgenommen im Stadion?

Zack: Punkt für dich. Oft sehe ich nicht mal meine Freunde, wenn es richtig voll ist. Also: Magst du Football?

Taylor: Ein bisschen.

Ich mag Football, aber das sage ich ihm nicht. Das Einzige, was ich nicht mag, ist das, was der Sport charakterlich aus den Spielern macht. Zack ist arrogant und nimmt sich Vieles heraus, was andere Studenten sich niemals erlauben dürften. Ja, gut, einmal darf das vielleicht jeder, aber eine zweite Chance gibt es für Normalsterbliche nicht. Für ihn schon, weil er der Quarterback der Bay Rouge Lions ist. Er kommt ständig zu Veranstaltungen zu spät, schreibt unterirdische Tests, denen nicht nachgegangen wird, und gibt den Dozenten oft so flapsige Antworten, dass andere eine Sechs dafür eingetragen bekämen.

Zack: Du könntest am Wochenende zu unserem Heimspiel gegen Louisiana State kommen. Hast du Lust?

Überrascht schaue ich auf den Bildschirm und weiß nicht, was ich antworten soll. Das Spiel ist seit Wochen ausverkauft. Dass Zack Karten bekommt, sollte mich nicht wundern, aber dass er sie für mich opfern will, schon. Er kennt mich nicht mal richtig.

>Er will dich kennenlernen<, sagt das Engelchen auf meiner Schulter.

Taylor: Warten wir morgen ab.

Zack: Ich benehme mich.

Ich lache laut auf.

Taylor: So wie heute früh?

Zack: Ich verspreche es, Tony (Das ist ein liebevoller Spitzname.).

Shit, wenn er so weitermacht, kann ich >humorvoll< wirklich zu seinen Charaktereigenschaften zählen und das möchte ich nicht. Humor ist eine positive Eigenschaft, die nicht jeder hat.

Taylor: Gute Nacht, Zack

Zack: Es ist nicht mal neun?

Das stimmt, aber ich beende unser Gespräch jetzt.

Taylor: Ich gehe nun mal zeitig ins Bett. Morgen ist ein langer Tag.

Zack: Okay. Gute Nacht, Tony!

Ich schüttle lächelnd den Kopf und lege mein iPhone beiseite.

Was für eine verrückte Unterhaltung mit Zack Wilson!

Und dann, ganz langsam dämmert mir, was geschehen ist.

Ich, Taylor Smith, habe mit Zack Wilson, dem begehrtesten Typen auf dem College geschrieben.

OMG.

Ich hoffe, ich höre schnell wieder damit auf, mich seinetwegen hysterisch zu benehmen. Das ist peinlich.