Leseprobe Battlegrounds

Kapitel 1 – Jump

Das Dröhnen war ohrenbetäubend. Doch um ihn herum war es zu dunkel, als dass Paxton hätte erkennen können, woher es stammte. Das Vibrieren unter seinem Sitz ließ ihn vermuten, dass es von einem Motor stammte. Irgendetwas rüttelte den fensterlosen Raum und ihn gehörig hin und her. Ob er an Bord eines Schiffes war – womöglich auf hoher See? Nur langsam gewöhnten sich seine Augen an das schummrige rote Licht, das seine Umgebung in Blut zu tauchen schien.

»Höhe zehntausend Fuß. Sechzig Sekunden bis Absprung«, knarzte eine blecherne Stimme aus dem Lautsprecher über Paxtons Kopf. Wahrscheinlich befand er sich doch eher an Bord eines Flugzeugs. Eins war jedoch absolut sicher – er würde nirgendwohin abspringen.

Neben sich hörte er ein leises Schluchzen. Dort saß ein asiatisches Mädchen in eng anliegendem Top, kariertem Minirock und weißen Kniestrümpfen. Paxton kam nicht umhin, auf ihre prallen Brüste zu schielen.

»Nicht schon wieder!«, jammerte sie mit den Händen vor den Augen. »Ich will nicht sterben.«

»Niemand wird sterben!«, entgegnete Paxton in dem Versuch, das Mädchen, aber vor allem sich selbst, zu beruhigen.

»Reingefallen!«, rief sie und öffnete die Handflächen vor ihrem Gesicht wie zwei Fensterläden. »Wir machen sie fertig.«

Bevor Paxton fragen konnte, wen und warum, rief ihm jemand derart direkt ins Ohr, dass er vor Schreck zusammenzuckte: »Hey, Noob!« Paxton wandte sich zur anderen Seite, doch der Kerl neben ihm starrte stur geradeaus.

»Hier drüben!«, ertönte die Stimme, die unmöglich von seinem Sitznachbarn stammen konnte, der die Lippen keinen Millimeter bewegt hatte. Es sei denn, er war Bauchredner. Paxton blinzelte in die Finsternis und erkannte einen muskelbepackten dunkelhäutigen Kerl in Tarnfleckhose, Springerstiefeln und einem schwarzen T-Shirt. Täuschte er sich, oder war auf seinem Oberteil ein silberfarbenes Brathähnchen aufgedruckt?

»Ich bin Joe«, sagte der Hüne mit Stimmbruch-Stimme und einem breiten Grinsen. Dabei zeigte er mit dem Finger auf ein Headset an seinem Ohr. »Dein erstes Mal?«

Paxton ertastete einen Kopfhörer in seiner Ohrmuschel und entgegnete: »Mein erstes Mal was?« Er hatte keine Ahnung, in was er hier hineingeraten war. Er konnte sich ja nicht einmal daran erinnern, in das Flugzeug gestiegen zu sein. Mittlerweile hatten sich seine Augen an die dürftige Beleuchtung gewöhnt. Paxton sah sich argwöhnisch um. Links und rechts von Joe saßen Dutzende Männer und Frauen in unterschiedlichsten Outfits auf notdürftigen Sitzen. Neben Paxton bot sich zu beiden Seiten das gleiche Bild. Er befand sich anscheinend in einer Militärmaschine. War er etwa Soldat? Falls ja, hatte er seine Musterung, Einschreibung und Grundausbildung anscheinend verpennt.

»Dein erster Sprung, meine ich«, erklärte Joe, während er die Gurte seines Fallschirmgeschirrs straffte. »Häng dich einfach an meine Fersen! Solange wir zusammenbleiben, haben wir eine Chance.«

Das klang nicht sonderlich aussichtsreich, fand Paxton. Er sah an sich herab und wusste nicht, ob er erleichtert oder entsetzt sein sollte. Jemand hatte ihm das gleiche Geschirr inklusive Sitzgurt umgeschnallt. Der Klumpen in seinem Rücken war höchstwahrscheinlich sein eigener Fallschirmrucksack. Moment! Beim zweiten Hinsehen bemerkte Paxton, dass er außer einer Unterhose aus weißem Feinripp keinerlei Klamotten trug. WTF? Spätestens jetzt war er vollkommen entsetzt.

»Na, da hatte wohl jemand keine G-Coins für Skins!«, erklang eine andere Stimme, die sich anhörte, als würde man ein Reibeisen über eine leere Kokosnuss ziehen. »Schaut euch diesen Newbie an!« Drei Plätze links von Joe krümmte sich ein Typ vor Lachen. Mit seiner Sonnenbrille und dem schwarzen Kapuzenledermantel glich er Neo aus Matrix. Das Outfit wirkte zwar völlig fehl am Platze, aber Paxton hätte es sofort gegen sein eigenes eingetauscht. In Neos Gelächter, das von den Wänden widerhallte und durch den Flugzeugbauch schallte, stimmten drei ebenso finstere Gestalten neben ihm ein.

»Wir sehen uns auf den Battlegrounds!«, rief er und fuhr dabei mit seinem Daumennagel am eigenen Hals entlang. »Es wird mir ein Vergnügen sein, dich zurück in die Lobby zu schicken.«

Paxton hatte keinen Plan, wovon dieser Typ sprach. Lobby klang aber weitaus gemütlicher als der Notsitz, auf dem er hockte, und definitiv ungefährlicher als ›Battlegrounds‹. Auf einem Schlachtfeld wollte er garantiert nicht landen.

Eins war sicher: Beschissener konnte seine Situation kaum werden – dachte er zumindest. Da erschütterte eine ohrenbetäubende Explosion das Flugzeug. Paxtons Ohren fiepten und er verlor für einen Moment die Orientierung. Die Maschine sackte so schnell ab, dass ihm der Anschnallgurt die Eingeweide zerquetschte.

»Da ist wohl mal wieder ein Triebwerk abgefackelt.« Joe seufzte.

»Passiert so was öfter?«, wollte Paxton wissen. Obwohl – wollte er das wirklich?

»Circa jedes zehnte Mal. Cool bleiben, das wird schon.«

Leichter gesagt als getan. Das Ruckeln war jetzt heftiger als zuvor und er hatte Mühe, das Essen bei sich zu halten. Dabei hatte Paxton nicht die leiseste Ahnung, wann er das letzte Mal etwas gegessen hatte, geschweige denn, was. Die kreischende Sirene und das orangefarbene Blinklicht halfen ihm jedenfalls nicht dabei, cool zu bleiben.

»Dann wollen wir mal!«, rief Joe und erhob sich von seinem Sitz. »Ich schlage vor, wir landen auf der Shooting Range. Da ist normalerweise wenig los und der Loot ist ordentlich. Okay, Squad?«

Überhaupt nichts war okay. Schießplatz klang für Paxtons Geschmack nicht unbedingt einladend. Und wen oder was meinte Joe mit Squad? Sie waren ja nur zu dritt. Bestand so ein Team beim Militär nicht aus mehr Leuten?

»Passt«, sagte die junge Frau neben ihm und stand auf. War Manga-Mädchen etwa ebenfalls in seinem Team? Aus wie vielen Mitgliedern bestand ein Team überhaupt? Doch bevor Paxton Antworten auf seine Fragen bekam, öffnete sich die Ladeklappe am Heck des Flugzeuges und der Lärm wurde so laut, dass Paxton seine eigenen Gedanken nicht mehr hörte. Geschweige denn, was Joe ihm zubrüllte. Der schnappte ihn ohne Vorwarnung am Schlafittchen und rannte mit ihm Richtung Ladeklappe. Paxton protestierte, bis er den Boden unter den Füßen verlor. Dann schloss er die Augen und fiel ins Leere.

Kapitel 2 – Hot Drop

Als Paxton die Augen wieder öffnete, pfiff ihm ein kalter Wind um die Ohren. Seine Wangen flatterten wie weiche Waschlappen und bald zitterte er am gesamten Körper. Das Flugzeug über ihm, umhüllt von Flammen und schwarzem Rauch, glich einem Meteoriten kurz vor dem Einschlag. Zahlreiche andere Insassen sprangen aus dessen Bauch, um sich in Sicherheit zu bringen. Das alles war der schlimmste Albtraum seines Lebens.

Unter Paxton tat sich eine riesige Insel mit grünen Wiesen, Wäldern und Bergen auf. Straßen durchzogen die Landschaft wie feine Adern. Auch einzelne Gebäude und ganze Ortschaften konnte er erkennen. Und sie kamen näher – schnell.

Neben den Siedlungen und an vielen weiteren Stellen auf der Insel poppten fremdartige Namen wie Pochinki oder Mylta auf. Wie konnte das sein? Mit einer Hand tastete er sein Gesicht ab und bemerkte erst jetzt, dass er eine Schutzbrille trug. Vermutlich verfügte sie über eine Art Head-up-Display, auf dem Zusatzinformationen eingeblendet wurden. Bevor er sich damit vertraut machen konnte, geriet er durch die Bewegung seiner Hand ins Trudeln. Wie wild wirbelte er um die eigene Achse und vollführte einen Salto nach dem anderen. Bittere Galle stieg in ihm auf und brannte in seinem Rachen. Ohne jegliche Orientierung purzelte er in die Tiefe. Bis eine Hand nach seinem Fuß griff und ihn stabilisierte.

»Holla!«, rief Joe und lachte. »Du bist ja ein wahrer Luftakrobat.«

»Sehr witzig!«, presste Paxton durch seine klappernden Zähne – ob vor Kälte oder Angst konnte er nicht sagen.

»Dieser Noob wird uns alle umbringen!«, schimpfte das Manga-Mädchen aus einigen Metern Entfernung. Den zwei kleinen Ausbeulungen in ihrem Top nach fror sie ebenfalls. »Wir müssen ihn unbedingt loswerden.«

»Kommt nicht infrage! Niemand wird zurückgelassen«, rief Joe. »Wir treffen uns alle bei meiner Markierung auf der Karte!« Dann legte er die Arme an seinen Körper und schoss davon. Dicht gefolgt vom Manga-Mädchen, dessen rosa Schlüpfer kurz unter ihrem Rock aufblitzte. Paxton wandte den Blick ab und bemerkte dadurch eine andere Gruppe in seiner Nähe.

»Hey, Noob!«, schrie Neo zu ihm rüber. »Wir sehen uns – und zwar durch mein Visier –, bevor ich dir eine Kugel verpasse.«

Mit einer kaum wahrnehmbaren Handbewegung drehte er sich von ihm ab und flog mit flatterndem Mantel, gefolgt von seinen Schergen, davon. Was hatte er damit gemeint?

Doch Paxton blieb keine Zeit, sich darüber zu wundern. Er verlor weiterhin rasend schnell an Höhe. Wenn er es nur annähernd zu Joes Markierung schaffen wollte, musste er unbedingt darauf zu halten. Nur wie? Er ruderte mit den Armen und schaffte es irgendwie, sich auszurichten. Dann tat er es Joe gleich und legte die Hände flach an die Oberschenkel. Zu seiner eigenen Überraschung flog er jetzt in die gewünschte Richtung.

Joe und das Manga-Mädchen hatten einen ziemlichen Vorsprung und waren kaum mehr als kleine Punkte am Horizont. Nur dank der im Head-up-Display eingeblendeten Namen wusste Paxton, dass es sich um seine Teammitglieder handelte. Plötzlich öffneten sich Fallschirme über den beiden. Ehe er sichs versah, schoss er ungebremst an ihnen vorbei und kam dem Boden immer näher.

»Du musst den Schirm öffnen, sonst schaffst du es nicht bis zur Shooting Range!«, rief Joe ihm zu.

Dass er ansonsten als blutiger Klecks am Boden enden würde, unterschlug er. Leichter gesagt als getan. Paxton hatte nicht die leiseste Ahnung, wie man den Fallschirm auslöste. Hektisch tastete er das raue Geschirr ab, das seinen nackten Oberkörper längst wund gerieben hatte. Unter sich konnte er bereits kleine Büsche und einzelne Felsen erkennen. Ihm blieb nur noch wenig Zeit. Endlich fand er einen metallischen Griff am linken Schultergurt. Paxton zog daran, doch es passierte nichts. Der Boden unter ihm war keine hundert Meter mehr entfernt.

»Du musst richtig fest reißen!«, schrie Joe.

Paxton fasste sich ein Herz und zog mit ganzer Kraft an dem Griff. Ein derartiger Ruck presste ihn in den Sitzgurt, dass ihm ein Leben als Eunuch unausweichlich schien. Der Schirm über seinem Kopf hatte den Fall in letzter Sekunde abgebremst. Allerdings blieb ihm keine Zeit, sich darüber zu freuen, denn seine Füße streiften bereits die obersten Äste einzelner Baumwipfel. Wenn er nicht im nächsten Baum hängen bleiben wollte, musste er unbedingt ausweichen. Nur wie?

»Zieh an einer der Schnüre über dir!«, rief Joe, der oberhalb von ihm schwebte. Paxton hatte gelernt, Joe zu vertrauen, aber dessen Anweisungen waren doch recht dürftig. Über seinem Kopf liefen Hunderte Kordeln zusammen. Beim genauen Hinsehen baumelten zwei davon mit Griffen an ihren Enden neben seinen Ohren. Er zog an dem linken der beiden und schwenkte sofort in dieselbe Richtung. Die wunden Stellen an seinem Oberkörper protestierten vehement. Um Haaresbreite verfehlte er die Krone eines Laubbaumes, nur um direkt auf den nächsten Baum zuzuhalten. Hektisch steuerte er den Schirm nach rechts und flog im Slalom den Hang hinunter, an dessen Fuße die Shooting Range lag.

Seine nackten Fußsohlen schrammten auf dem Boden entlang und Paxton versuchte vergeblich, Schritt zu halten. Doch er stolperte über einen herumliegenden Ast und überschlug sich. Das Gras pikste in seinen Rücken und er knallte mit dem Kopf gegen einen stumpfen Stein. Ein dumpfer Schmerz explodierte in seinem Schädel. Nach zwei weiteren Purzelbäumen kam er endlich am Ende des Abhangs zum Halten. Leicht benommen lag Paxton am Boden und horchte in seinen Körper hinein. Abgesehen von einer eindrucksvollen Beule an der Stirn sowie ein paar Kratzern und blauen Flecken hatte er den Sturz unverletzt überstanden. Paxton war froh über das glimpfliche Ende dieses unfreiwilligen Abenteuers. Aber nur, weil er nicht ahnte, was ihn als Nächstes erwartete.

Kapitel 3 – First Blood

»Aufstehen!«, rief Joe von der anderen Seite der Shooting Range. »Wir haben Gesellschaft!«

Paxton, der immer noch auf dem Rücken lag, sah einen weiteren Fallschirm über sich schweben. Ein Kerl in weißem Hemd, dünner schwarzer Krawatte und Bluejeans baumelte daran.

»Schnapp dir sofort eine Waffe!«, bellte Joe ihn an. »Wir sind zu weit weg, um dir zu helfen.«

Joe machte wohl Witze. Das Letzte, was Paxton wollte, war, sich zu bewaffnen. Schon gar nicht, um gegen eine irgendeine wildfremde Person zu kämpfen. Aber die Dringlichkeit in Joes Stimme ließ ihn sich zumindest aufrappeln. Der Schlipsträger landete neben einer Mauer aus Sandsäcken und sammelte von dort Gegenstände auf. Er setzte einen Militärhelm auf und schnallte sich eine schusssichere Weste um. Beides nicht unbedingt vertrauenerweckend. Spätestens als der Kerl ein riesiges Maschinengewehr aufhob, wurde Paxton klar, dass er sich nicht nur verteidigen wollte.

»Hast du schon was gefunden?«, fragte Joe.

Paxton sah sich hektisch um. Vor ihm lag ein hüfthohes Labyrinth aus Sandsäcken umgeben von einem rostigen Maschendrahtzaun. Dazwischen verstreut standen Zielscheiben in Form menschlicher Silhouetten. Doch die einzige ›Waffe‹ in seiner unmittelbaren Nähe war eine Bratpfanne. Tolle Wurst! Selbst wenn er damit nicht viel ausrichten können würde, schnappte er sie sich. Schlipsträger fummelte immer noch mit dem Munitionsgurt herum und hatte offenbar Schwierigkeiten, das Gewehr zu laden. Das war Paxtons Chance. Reflexartig rannte er mit erhobener Pfanne auf ihn zu, obwohl jede Faser seines Körpers ihm das genaue Gegenteil befahl. Im letzten Moment, als der Deckel des Maschinengewehrs einrastete und Schlipsträger den Lauf auf ihn richtete, schlug Paxton ihm mit der Rückseite der Pfanne gegen den Schädel. Mit einem dumpfen Klonk sackte sein Gegenüber zu Boden. Ungläubig und mit rasendem Puls stand Paxton über ihm. Hatte er gerade tatsächlich einen Menschen niedergeschlagen? Die Einblendung ›Knock‹ in seinem Head-up-Display nahm er kaum wahr.

»Let’s go!«, rief Joe, der vollbepackt und bis an die Zähne bewaffnet zu ihm gejoggt kam. »Dein erster Knock!«

Paxton atmete erleichtert auf, als Schlipsträger auf allen vieren davonkroch. Zumindest war er nicht tot.

»Bring es zu Ende!«, sagte Manga-Mädchen, die mittlerweile zu ihnen gestoßen war. In der Hand hielt sie eine Kalaschnikow mit Holzgriff, und über ihrer Schulter ragte der Lauf eines Sniper-Gewehrs hervor. Ihren Busen hatte sie gegen alle Gesetze der Physik in eine Weste mit eingenähten Metallplatten gepresst und auf dem Kopf trug sie einen Motorradhelm.

»Spinnst du?«, entgegnete Paxton. »Ich habe ihm nur aus Notwehr eins übergezogen. So kann er uns ja nicht mehr gefährlich werden.«

»Was, wenn seine Teamkollegen hier aufkreuzen und ihn wieder raisen?«

»Ihn was?«, fragte Paxton irritiert.

Doch statt zu antworten, hob das Manga-Mädchen den Lauf ihrer Waffe und feuerte Schlipsträger eine Salve Kugeln in den Rücken. Das Knallen der Patronen war überlaut. Ein paar Blutspritzer landeten in Paxtons Gesicht, der seinen Augen nicht traute. War das wirklich gerade passiert? Die Einblendung ›Assist‹ seines Head-up-Displays bestätigte seine Befürchtung.

»Okay«, sagte Joe unbeeindruckt. »Schnapp dir das M249 und seine Sachen und dann nichts wie weg hier.«

»Wie bitte?«, fragte Paxton fassungslos. »Ist das für dich etwa in Ordnung, wenn Manga-Maniac hier einfach Leute über den Haufen schießt?«

»Hör zu!«, sagte Joe und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich weiß, das erste Mal ist immer etwas schwierig, aber man gewöhnt sich dran.«

Paxton hatte nicht vor, sich an das Töten von Menschen zu gewöhnen.

»Wenn du überleben willst, gibt es keine andere Möglichkeit. Entweder du oder er.«

Wo war er hier bloß hineingeraten? Widerwillig hob er den Helm von Schlipsträger und dessen Maschinengewehr auf.

»Seine Kevlarweste ist leider futsch«, sagte Joe, als ob er ernsthaft in Erwägung gezogen hätte, dass Paxton dem Leichnam die blutverschmierte Weste ebenfalls abnahm. »Aber seine Hose hat kaum etwas abbekommen und die Stiefel sind wie neu.«

»Nicht dein Ernst!«, rief Paxton. »Machst du Witze?«

»Ich meine ja nur«, entgegnete Joe. Dabei musterte er ihn von Kopf bis Fuß. Als Paxton an sich herabsah, musste er sich eingestehen, dass ihm ein paar Klamotten nicht schaden würden. Angewidert zog er Schlipsträger dessen Namensgeber und die restlichen Kleidungsstücke vom Körper und streifte sie sich schweigend über.

»Ich habe da hinten eine frische Polizeiweste und einen leichten Rucksack gesehen«, sagte Joe, um die betretene Stille zu überspielen. »Das ist ein Anfang und du solltest das unbedingt einsammeln. Außerdem noch zusätzliche Munition und ein Erste-Hilfe-Set. Beides wirst du brauchen.«

Paxton gefiel die Aussicht, weitere Patronen zu benötigen, fast weniger als das Verbandszeug. Er sammelte trotzdem alles ein, was ihm in die Finger kam, bis sein Rucksack prall gefüllt war. Joe reichte ihm ein Rotpunktvisier, das auf sein Maschinengewehr passte. Sogar eine Handgranate fand Paxton, die er an einer Öse seiner Weste befestigte.

»Der Circle ist echt weit im Süden«, rief Manga-Mädchen. »Wir sollten langsam los. Zumal ich vorhin drei Fallschirme in Severny habe landen sehen. Wenn das die restlichen Mitglieder von Schlipsträgers Squad waren, kreuzen die hier womöglich bald auf.«

»Denen könnten wir an der östlichen Brücke von Georgopol auflauern«, sagte Joe. »Da müssen sie im Zweifel den Fluss überqueren.«

Paxton verstand nur Bahnhof. Erst als er die beiden Ortsnamen auf der Karte seines Head-up-Displays entdeckte, ergab der Plan einen Sinn. Sie waren im Norden der Insel gelandet und befanden sich außerhalb eines großen weißen Kreises, der circa drei Viertel der Landfläche abdeckte.

»Was hat es mit diesem Kreis auf sich?«, fragte Paxton.

»Das ist der Circle. Der wird mit der Zeit immer kleiner«, erklärte Joe. »Und außerhalb davon zieht sich die Bluezone zusammen. In der nimmst du Damage und verlierst Health.«

»Aha«, sagte Paxton, in etwa so schlau wie zuvor. Aber an Manga-Mädchens Gesichtsausdruck merkte er, dass jetzt nicht die Zeit für weitere Fragen war. Zumal etwas anderes, was sie gesagt hatte, an ihm nagte. Wenn Schlipsträgers Squad aus drei Teammitgliedern und ihm bestand, wo war dann ihr eigenes viertes?