Interview Volker Dützer im Interview

Worum geht es in deinem Buch Seelensammler?

Es geht um eine neurotische junge Frau namens Jule Rahn, deren Ängste ihrem Leben enge Grenzen setzen. Das geht so weit, dass sie ihre Wohnung nur auf exakt festgelegten Wegen verlässt. Jede Abweichung von ihrem streng geregelten Tagesablauf versetzt sie in Panik. Die einzigen Bekanntschaften, die sie pflegt, sind die alten Menschen, die in ihrer Nachbarschaft wohnen. In ihnen sieht Jule keine Gefahr, alle anderen Menschen jagen ihr eine Höllenangst ein. Es gibt natürlich einen Grund für ihre übersteigerte Angst, den ich hier aber nicht verraten will. Jule ist von allen Figuren, die ich bisher erfunden habe, meine Lieblingsprotagonistin. Da ihre Entfaltungsmöglichkeiten zu Beginn so begrenzt sind, besitzt sie enormes Entwicklungspotential in der Geschichte. Beim Schreiben zu beobachten, wie Jule sich entwickelt und ihre Seele von den Schrecken der Vergangenheit befreit, hat mich genauso gefreut wie meine Leser. (Was ich natürlich erst hinterher erfahren habe.)

Eines Tages beschließt Jule, gegen ihre Angst anzukämpfen und einen kleinen Umweg zu nehmen. Prompt fällt ihr ein Toter vor die Füße und das Unglück nimmt seinen Lauf. Sie hat etwas beobachtet, dass sie niemals hätte sehen dürfen. Fortan ist ein Killer hinter ihr her, um sie zum Schweigen zu bringen. Aufgrund von Jules verschrobenem Charakter glaubt ihr niemand und sie ist gezwungen, den Mord selbst aufzuklären, wenn sie überleben will. Bei ihren Problemen wahrlich keine Kleinigkeit. Sie findet heraus, dass das Mordopfer ein alter Mann ist. Bald darauf verschwinden einige der alten Menschen, um die sie sich kümmert. Der abgehalfterte Polizist Lucas Prinz, für den sein neuer Job die letzte Station ist, um sich zu bewähren, hilft Jule schließlich. Die beiden kommen sich näher als Jule zunächst lieb ist, und sie finden heraus, dass alle Verschwundenen eine Krebserkrankung überstanden haben und etwas ungeheuer Wertvolles besitzen, das die Begehrlichkeiten finsterer Mächte weckt: den Schlüssel zur Verlängerung der natürlichen Lebensspanne.

Was hat dich dazu veranlasst dich mit der Thematik auseinanderzusetzen?

Wie immer waren es mehrere Ideen, die erstmal nichts miteinander zu tun hatten und dann irgendwie zusammengefunden haben. Da war zum einen die Figur der Jule, die fix und fertig war und auf eine Geschichte wartete, in der ich sie einsetzen konnte. Zum anderen liebe ich Thriller, deren Grundidee auf Entwicklungen und Techniken beruhen, die noch nicht heute, aber in naher Zukunft möglich sein werden. Etwas Ähnliches habe ich in Morgen bist du tot schon thematisiert, und die reale Entwicklung hat das Buch inzwischen schon an vielen Stellen überholt.

In Seelensammler geht es um die Frage, ob es möglich sein könnte, den eigenen Tod zu überwinden. Die gleiche Frage habe ich auch in Seeleneis gestellt, jedoch völlig anders beantwortet.

Die bittere Tatsache, dass wir uns alle mit unserer eigenen Sterblichkeit abfinden müssen, galt lange als unabänderlich. Ob das so bleibt, ist jedoch fraglich. Der Wunsch nach Unsterblichkeit ist wohl so alt wie Menschheit. In den Hightech-Laboren wird derzeit mit Hochdruck an Möglichkeiten der Lebensverlängerung oder gar der Unsterblichkeit gearbeitet. Wenn man sich die Fortschritte auf dem Gebiet der KI anschaut, könnte es tatsächlich sein, dass kommende Generationen vielleicht ewig leben werden – zumindest sehr viel länger als es normalerweise der Fall wäre.

Als Autor beginne ich immer mit der Frage: „Was wäre wenn?“

Ich fragte mich, wozu Menschen wohl bereit wären, um den eigenen Tod abzuwenden. Vor allem dann, wenn sie über Macht und sehr viel Geld verfügen.

Meine Antwort im Roman lautet: Sehr viel. Nahezu alles, was machbar ist.

Weiter stellte ich mir vor, dass es ein ironischer Streich des Schicksals wäre, wenn ausgerechnet alte Menschen, die ihr Leben größtenteils gelebt haben, den Schlüssel zur Unsterblichkeit in sich trügen. Ich habe diese Gruppe gewählt, weil sie in unserer auf Jugend und Leistung ausgerichteten Gesellschaft kaum eine Lobby hat und wir alten Menschen nicht den Respekt entgegenbringen, den sie verdient haben. Anstatt ihnen einen würdevollen letzten Lebensabschnitt zu ermöglichen, stecken wir sie in Heime, in denen entwürdigende Zustände herrschen. Was ich in den letzten Kapiteln von Seelensammler beschreibe, mag überspitzt dargestellt sein, ja es ist fast schon eine Karikatur, und doch nicht so weit von der Realität entfernt, wie man meinen könnte. Darum habe ich auch den versteckten Hinweis auf H.G. Wells’ Roman Die Zeitmaschine eingebaut. Dort sind ja die herrschenden Eloi so weit degeneriert, dass sie von den Morlocks, die unter die Erde verbannt wurden, um dort den Eloi ihr göttergleiches Leben zu ermöglichen, gefressen werden. Eine ähnliche Metapher ist die Beauty-Klinik in den Bergen, in der das Rätsel der verschwundenen alten Menschen in Seelensammler aufgedeckt wird: Oben lassen sich die Reichen verjüngen, während die Alten tief unter ihnen das „Ambrosia“ dafür liefern. Mehr will ich hier nicht verraten.

Spoiler: Der Thriller behandelt ein aktuelles Thema (Bryan Johnson, der zwei Millionen Dollar im Jahr ausgibt für den Versuch, den Alterungsprozess seines Körpers zu stoppen). Wie gehst du mit dem Altern um?

Es macht definitiv keinen Spaß. Ich werde nächstes Jahr sechzig, und das ist schon ein Hammer. In meinem Kopf tobt noch immer der kleine Junge mit der übersprühenden Fantasie herum, aber mein Körper erinnert mich jeden Morgen daran, dass ich nicht mehr ganz jung bin. Ich versuche, mich fit zu halten und treibe viel Sport. (Was aber nicht verhindert, dass mein Haar immer dünner wird.) Außerdem versuche ich, jeden Tag, jeden Moment zu genießen, denn er kommt nicht wieder. Zeit, die man mit Streit, Ärger und negativen Gefühlen verbringt, ist vergeudet. Ich glaube, dass es wichtig ist, die einfachen, kleinen Dinge wahrzunehmen und wertzuschätzen – einen Sonnenaufgang, Zeit mit Familie und Freunden, oder die Eichhörnchen im Garten zu beobachten. Wir alle nehmen uns viel zu wenig Zeit für Müßiggängertum. Ich benutze extra dieses hässliche Wort, dabei ist es so wichtig, einfach mal am Fenster zu sitzen und hinauszuschauen. Je älter ich werde, desto mehr erkenne ich, wie kostbar Lebenszeit ist und was für ein wunderbares Geschenk das Leben ist.

Was wäre das Leben ohne Tod?

Ich weiß nicht, ob der Mensch dafür gemacht ist. Möglicherweise gelingt es der Wissenschaft, den menschlichen Körper sehr viel langsamer altern zu lassen. Aber was ist mit unserer Psyche? Können wir es überhaupt verkraften, 500 Jahre alt zu werden? Und außerdem … womit verbringe ich denn die Ewigkeit? Ich könnte mir vorstellen, dass es nach 200 Jahren ziemlich langweilig werden wird.

Ich bin fasziniert von Berichten über Nahtoderfahrungen (obwohl ich es für ziemlich ausgeschlossen halte, dass es nach dem Tod weitergeht, aber ganz ausschließen kann man es ja nicht).

Biologisch würde eine unsterbliche Spezies evolutionären Stillstand bedeuten. Es wäre keine Anpassung an veränderte Umweltbedingungen mehr möglich, und genau das bedeutet die Entwicklung des Lebens und Evolution ja: ständige Veränderung und Anpassung. Wir müssen sterben, damit Neues entstehen kann. Die Frage, wie es sich mit unserem Bewusstsein verhält, wenn wir sterben, ob es auch außerhalb des Körpers existieren kann, wie die Berichte von Nahtoderfahrungen nahelegen, ist es wert, in einem neuen Roman beantwortet zu werden. Ideen dafür gibt es bereits.

Was macht für dich einen guten Thriller aus?

Ich mag es, wenn man sofort in die Geschichte hineingesogen wird. Der Held muss sofort in furchtbaren Schwierigkeiten stecken. Je cleverer er aus der Grube herausklettert, in die er gestürzt ist, desto spannender wird die Sache. Ich finde es wichtig, dass sich die Figuren im Lauf der Handlung von einem Pol zum anderen entwickeln, innerlich wachsen und sich verändern. Thriller eignen sich hervorragend, um zu zeigen, wie Menschen mit Extremsituationen umgehen. Am Ende seiner Reise muss der Held ein anderer Mensch sein als zu Beginn. Und natürlich muss sich alles um spannende Fragen und Rätsel drehen, deren Lösungen der Leser entgegenfiebert. Ebenso wichtig finde ich aufregende und unerwartete Wendungen. Davon kann es nie genug geben.

Auf welche neuen Buchprojekte können sich deine Leser:innen freuen?

Auf eine neue Krimireihe, von der bereits zwei Bände in der Schublade liegen, ein dritter ist in Arbeit. Die Reihe wird auf der kleinen Kanalinsel Alderney spielen, Detective Steve Cole die Hauptrolle spielen. Es geht um spannende, ungewöhnliche Mordfälle. Ich habe Alderney als Schauplatz gewählt, weil ich einerseits das Meer liebe, andererseits aber nicht den x-ten Küstenkrimi schreiben wollte. Es ist ein ungewöhnliches Setting für eine Krimiserie, aber je mehr ich über die Insel in Erfahrung brachte, desto geeigneter erschien sie mir. Lasst euch also überraschen.

Hast du einen Buchtipp für uns?

Ein Buch, das ganz gut zum Thema des Romans passt, sich wie ein Thriller liest, aber keiner ist: Der blinde Uhrmacher von Richard Dawkins. Darin geht es um die Entstehung des Lebens auf der Erde und seiner Evolution. Ich finde das ungeheuer spannend.