Interview Thomas Tippner im Gespräch über berührende Familiengeheimnisse

Worum geht es in deinem Buch Das Flüstern der Elbe?

Hey und Hallo. Hmmm, worum geht es? Wenn ich das schreibe, verrate ich ja schon sehr viel ;-) ABER: Ein bisschen kann ich ja dennoch verraten: Es geht um Intrigen, um das sich verändernde Denken und eine neue Perspektive auf Dinge, die man eigentlich für felsenfest in Granit gemeißelt sah.

Und es geht darum, dass Taten, die vor fast hundert Jahren ausgeführt wurden, auch noch in der heutigen Gegenwart Wellen schlagen können. So erlebt meine Protagonistin Kate wie die Taten ihres Uropas im dem ab 1933 verrückt gewordenen Deutschland sie im Jahr 2023 einholen und sie dazu bringen, die Perspektive auf ihre Familie neu auszurichten.

Thomas Tippner Interview Selfie USA

Was hat dich dazu inspiriert den Roman zu schreiben?

Die erste Idee kam mir, als meine nun fast neunzigjährige Oma 2018 wissen wollte, was eigentlich mit dem 1925 nach Amerika ausgewanderten Bruder ihres Vaters geworden ist. Bis 1939 gab es noch regelmäßigen Kontakt via Briefe. Als der Krieg ausbrach zog sich der amerikanische Teil der Familie zurück, aus Angst, sie könnten in den USA Probleme bekommen, weil sie deutsche Wurzeln haben.

Mein Cousin, Marshal, hatte zwei Jahre vor meiner Oma angefangen zu recherchieren, was aus der deutschen Familie wurde. Und als wir dann mit Oma bei der Veddel waren (das große Zentrum für die Geschichte der Auswanderung hier in Hamburg) registrierten wir uns bei einem Suchprogramm. In dem hatte sich auch mein Cousin einschreiben lassen. Denn im Auswandermuseum konnten wir zwar erfahren, wo Omas Onkel an Land gegangen ist, aber nicht, wohin er verschwand.

Und so kam der Kontakt dann zu Stande und seit 2019 besteht wieder reger Kontakt nach Amerika.

Na ja, und das hat mich dann dazu getrieben, mir eine Geschichte auszudenken, die die Leser:innen jetzt in den Händen halten können.

 

Das Flüstern der Elbe hat eine historische Zeitebene. Wie sieht dein Rechercheprozess aus? Wie lange hast du an dem Roman gearbeitet?

Wie oben schon geschrieben, geht das ja seit 2018 vage und seit 2022 ganz konkret. Ich habe mich natürlich mit dem Ort beschäftigt, in dem ein großer Teil meiner Familie in Amerika heute lebt. Habe dort einige Gegebenheiten übernommen und transportiert. Und den Teil, der in Hamburg-Bergedorf spielt, habe ich selbst besucht und mich umgesehen und umgehört. So auch in dem, bei uns hier in der Nähe liegenden, KZ-Neuengamme welches ja in Hamburg liegt, aber immer nur „KZ-Neuengamme bei Hamburg“ genannt wird. Was total irreführend ist. Denn es ist nicht bei Hamburg, sondern mitten drinnen.

Bei der Gedenkstätte habe ich mich umgesehen, habe Touren mitgemacht, um über den Alltag zu erfahren.

Aber ich habe in den Vier- und Marschlanden auch heute aktuelle Plätze besucht, die es damals schon gab. Wie zum Beispiel das heute geschlossene „Norddeutsche Haus“, das damals von den Menschen gerne besucht wurde.

Dazu das Zollenspiecker Fährhaus, das ja auch einen damaligen und heutigen historischen Wert hat.

Und da ich ja in Bergedorf und den Vier- und Marschlanden aufgewachsen bin, war es für mich eben auch wichtig, Ort und Leute so authentisch wie möglich zu beschreiben. Eben auch die kleinen Eigenheiten von uns Norddeutschen zu zeigen, aber dennoch ihre Warmherzigkeit und Freundlichkeit.

Thomas Tippner Interview Portrait

Wie würdest du die Protagonist:innen Kate und Viktor in wenigen Worten beschreiben? Wie viel von dir selbst steckt in deinen Figuren?

Oh … Äh … Also … In Kate steckt von mir der Wissensdrang, Dinge verstehen und in die richtige Reihenfolge zu bringen. Während Viktor die nach Lösungen suchende Charaktereigenschaft von mir hat. Und sich in Dinge zu verrennen, und dann nicht mehr nach links und rechts zu gucken, weil man ja das Ziel vor Augen hat. Das es aber oft mehrere Wege gibt, muss er wie ich dann oft erfahren, indem man mich mit der Nase draufstößt :-)

Wie würde ich Kate beschreiben: Als etwas orientierungslos, auf der Suche nach sich selbst. Immer mit einem Traum versehen, dem Leben ein wenig Bedeutung zu geben.

Viktor dann eher als rational-emotional denkenden Menschen. Als jemand, der immer lieber gerne perspektivisch wäre, dabei aber voll aus dem Gefühl herausarbeitet. So wie ich eben auch bin. Ich wäre gerne der Logiker, bin aber dann eher der mit Gefühlen vollgestopfte Typ. Was nicht schlecht ist, wie ich finde, da mir Empathie sehr wichtig ist. Und diesen Wesenszug habe ich Viktor dann auch gegeben.

 

Gibt es bestimmte Szenen, die du besonders gerne schreibst? Hast du eine Lieblingsszene?

Am liebsten die mit Gefühl und der damit einhergehenden Veränderung.

Besonders mag ich die Szene, wo Kate die wichtigsten drei Worte im deutschen lernt. Die Szene ist nur kurz und nicht sehr ausschweifend. Aber sie trägt für mich ganz viel. Denn sie zeigt das auf, was wir Menschen eigentlich sein sollten. Was wir zu tun und zu lassen haben sollten. Leider vergessen wir das ja in unserem Alltag immer wieder. Da wir, wie oben schon geschrieben, ja lieber rationale Typen, als emotionale Menschen sein wollen.

Thomas Tippner Interview Portrait 2

Hast du literarische Vorbilder oder gibt es eine Geschichte, die dich in deinem Leben nicht mehr losgelassen hat?

Oh ja. Ich liebe vieles von Edgar Allan Poe. Besonders seine Geschichte Ligeia. Die ebbt seit Jahren in mir nach. Diese Kraft, die er da beschreibt, die Liebe in einem freisetzten kann. Dieser Moment, wo man jemanden verliert und ihn nicht loslassen kann und dadurch selbst Zeit und Raum und die Grenzen zum Jenseits durchstößt. Himmel ja, diese Geschichte ist von solch einer Wucht für mich, dass ich sie immer wieder lesen und hören kann, ach was, lesen und hören muss.

Und dann ist da natürlich Robert Louis Stevenson, der mich damals in den Sommerferien mit der Liebe zur Literatur angesteckt hat. Hätte mein Deutschlehrer mir das Buch damals über die Sommerferien nicht mitgegeben, mit dem Hinweis, ich sollte mal was Ordentliches lesen, wäre ich wohl nicht da, wo ich heute bin.

Natürlich habe ich schon vor meinem zwölften Lebensjahr gerne gelesen und geschrieben. Und ohne den lustigen Briefträger Pitje Puck hätte ich meine Liebe zu Geschichten nie entdeckt.

Aber Stevenson hat das Feuer entfacht, Geschichten schreiben zu wollen, die den Menschen beschreiben.

Vor Stevenson habe ich viele Heftromane gelesen, wie John Sinclair, Professor Zamorra und Macabros oder Larry Brent. Daher wollte ich damals immer gerne Heftromane schreiben. Was ich damals in der Schule ja auch getan habe. Ich hatte damals eine eigene kleine Serie, die ich in der Klasse herumgab. Dameron der Halbdämon. Das bekam mein Deutschlehrer mit und daher sein Kommentar mit der Schatzinsel: „Lies mal was Ordentliches.“

Damit möchte ich die Heftromane nicht abwerten, ich liebe die Art der Erzählung heute noch. Ich mag es, wenn es szenisch übergreift und sich Geschichten aufbauen und es mehrere Handlungsstränge gibt. Aber dennoch war Stevenson derjenige, der mir eine neue literarische Perspektive aufgezeigt hat.

 

Wie sieht deine Schreibroutine aus?

Ich setzte mich, wenn alle aus dem Haus sind, um 8 Uhr hin, schreibe bis 14 Uhr und hoffe dann etwas wertvolles zu Papier gebracht zu haben. Und wenn es nicht den Inhalt hat, wie ich ihn mit erhofft habe, halte ich mich an einen weisen Rat eines Freundes, der einmal gesagt hat: „Hauptsache du hast es geschrieben. Überarbeiten kannst du es immer noch.“ Ein Ziel setzen, es erreichen und dann gucken, was gut und schlecht war. Das Gute behalten und das Schlechte überarbeiten.

Thomas Tippner Interview Bild am Strand

Was machst du neben dem Schreiben am liebsten?

Och, da gibt es vieles. Am liebsten bin ich auf Reisen. Menschen und Kulturen kennenlernen. Den Horizont erweitern, nicht starr im Denken werden.

Aber ich liebe es auch mich einfach hinzusetzen, ein gut gelesenes Hörbuch zu hören, ein Hörspiel aus der Kindheit anzumachen.

Mich mit Freunden treffen. Den HSV gucken (frag mich nicht warum, aber es ist einfach so. Der HSV hat es mir angetan, bei allen Enttäuschungen, die er jedes Jahr für mich bereithält.)

Historische Zeitschriften lesen – ich liebe die europäische und amerikanische Geschichte. Dazu butscher ich gerne durch Hamburg, finde kleine Gassen und Geschäfte und vergnüge mich an gefundenen Kleinigkeiten.

Und ich liebe es mir mit meinen Kumpels Hardcore Punk Konzerte anzuschauen. Das ist immer total befreiend und lustig.

Aber auch so liebe ich Musik und Konzerte. Hier in Hamburg und Schleswig-Holstein gibt es ja viele Möglichkeiten Musicals, Theater und dergleichen zu besuchen. Zu schön, wenn ein Mensch sich musikalisch ausdrücken kann. Ich kann Musik ja leider nur hören. Wäre aber gerne musikalisch. Aber das wird, zum Glück aller Menschen in meiner Umgebung, nur ein Traum bleiben.

 

Welches Genre liest du selbst gerne? Hast du eine Empfehlung für uns?

Ich lese alles was mir gefällt. Bis auf Thriller und so. Alles was blutig ist, ist nicht so meins. Bin eher der Softie und brauche es etwas liebevoller.

Am liebsten aber lese ich Gegenwartsliteratur. Da kann ich nur jedem das Buch Die letzte Liebe des Monsieur Armand empfehlen. Zu schön geschrieben und erzählt.